Frauen und Depression – welche Aspekte gibt es zu beachten? Stephanie Krüger Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Universitätsklinikum Charité Berlin, Campus Mitte Volkskrankheit Depression • Depressionen sind häufig: – Lebenszeitprävalenz in Deutschland 15% – Punktprävalenz >5% • In Allgemeinkrankenhäusern 12-19% • Allein in Hausarztpraxen >10%! • Nur 30% bis 35% aller Depressiven werden diagnostiziert • Hohe Belastung des Gesundheitssystems • Lebenszeitprävalenz für depressive Störungen bei Frauen höher als bei Männern – National Comorbidity Survey: 21.3% vs. 12.7% (Kessler et al., Arch Gen Psychiatry, 1994) – Punktprävalenz 1.9% vs. 1.0% (Wu und Anthony, J Affect Disorders, 2000) – Studie in 10 europäischen und nordamerikanischen Ländern: Frauen erkranken doppelt bis dreimal so häufig an Depressionen wie Männer (Weissman et al., JAMA, 1996) – WHO-Studie in 14 Ländern: Frauen leiden doppelt so häufig an Depressionen wie Männer (Maier et al., J Affect Disorders, 1999) Problem • Frauen und Männer gehen unterschiedlich mit Depressivität um • Männer: entwickeln häufiger körperliche Symptome, während es Frauen leichter fällt, über veränderte Gefühle zu sprechen • Männer zeigen überkompensatorisches Verhalten: schnelles Auto fahren, Hypersexualität • KEIN Unterschied in Bezug auf Suchtmittelkonsum, bei Frauen nur kulturell sanktionierter als bei Männern Die Symptome depressiver Episoden s1 Motorische und vegetative Symptome Gefühlssymptome Gedrückte Stimmung Gefühllosigkeit Selbstabwertung Angst Verlangsamung/Agitation Völlige Hemmung Appetitmangel/Essanfälle Schlafstörungen Sexuelle Dysfunktion Körperliche Symptome z.B. Schmerzen Verdauungsbeschwerden Schwächegefühl Herzbeschwerden Kognitive Symptome Psychotische Symptome Wahn Halluzinationen Verwirrtheit desorganisiertes Verhalten Konzentrationsstörungen Aufmerksamkeitsstörungen Gedächtnisstörungen kognitive Verlangsamung Folie 5 s1 es fehlt ein pfeil stekrue; 12.02.2008 Körperliche Symptome - Häufige Beschwerden depressiver Menschen (vor allem Männer) 69% körperliche Beschwerden andere Kopfschmerz Rückenschmerz Krämpfe Erschöpfung Nackenverspannungen Herzklopfen Muskelschmerz Magenbeschwerden Abdominelle Beschwerden Allg. Schwäche Sehnenschmerz Beklemmungen in der Brust Schwindel Benommenheit 1 Simon GE et al. N Engl J Med. 1999;341:1329-1335. • Im Rahmen einer internationalen Studie an 1146 Patienten mit Depression konnte gezeigt werden, dass 69% ausschließlich aufgrund von körperlichen Beschwerden im Rahmen der Depression ihren Hausarzt aufsuchten1 Zeiten hormoneller Veränderungen = Risikozeiten • Frauen erkranken häufiger an depressiven Episoden in der – Prämenstruellen Zeit – Schwangerschaft – Postpartalen Zeit – Peri-/postmenopausalen Zeit (z.B. Altshuler, J Clin Psychiatry, 2001) Depression in der Schwangerschaft • 20% aller Frauen haben während der Schwangerschaft depressive Symptome • 10% aller Frauen müssen antidepressiv behandelt werden – Risikofaktoren: • • • • • Depression in der Anamnese Geringe soziale Unterstützung Kinderzahl + Alter < 25 Ambivalenz bzgl. der Schwangerschaft • Viele Frauen schämen sich, über Depressivität in der Schwangerschaft zu sprechen – Gesellschaftlich sanktioniert – Bagatellisiert – Unverständnis von Seiten des Partners/der Familie (Kornstein, 2001; Yonkers, 2004, Andrade et al., 2007) Depression in der Schwangerschaft • Eine unbehandelte Depression in der Schwangerschaft erhöht das Risiko für – Schlechte pränatale Vorsorge – Substanzmissbrauch – Suizid – Geburtskomplikationen – Postpartale Depression • Verschlechterung der affektiven Symptome in Schwangerschaft: Postpartum-Depression +++ • Risiko mit jeder Schwangerschaft gleich (Freeman et al., 2002; Kornstein, 2001) Der Einfluss mütterlicher Stresshormone auf den Fötus • • • • Geburtsgewicht erniedrigt Muskeltonus vermindert Sauerstoffmangelsymptomatik Häufiger Spontanaborte Diagnostik und Therapie einer antenatalen Depression sind wichtig! (Mian, 2005) Das Fetale Alkoholsyndrom ¾Häufigste geistige Behinderung, die nicht genetisch bedingt ist. ¾ Die weltweite Inzidenz von FAS in der Allgemeinbevölkerung : 0.5 bis 2 auf 1.000 Geburten (geschätzt!) ¾ Häufigkeit steigt auf 1% aller Geburten, wenn man die alkoholbedingten neurologischen Entwicklungsstörungen (ARND) und die alkoholbedingten Geburtsschäden (ARBD) hinzunimmt (May & Gossage, 2001). ¾ Dunkelziffer weitaus höher, weil nicht alle Fälle erkannt werden und es keine Meldepflicht gibt. Damit stellen Fetale Alkoholspektrum-Störungen (FASD) zusammen mit dem Down-Syndrom die häufigsten angeborenen Behinderungen dar. (e.g. Nathanson, BMJ 2007) Nikotinabusus Bereits 5 Zigaretten/Tag in der Schwangerschaft können auslösen: – – – – – – Small for date babies Niedrige APGAR scores Neuropsychol. Entwicklungsst. Obstruktive Lungenerkrankung Neonatales Asthma Sudden death (e.g. Jauniaux und Burton, 2007; Duncan et al., 2007) Therapie • Die meisten antepartalen Depressionen müssen pharmakologisch behandelt werden – Schwere Depressionen sind der Psychotherapie meist nicht zugänglich, hier muss abgewartet werden • Psychotherapie ist wichtig, vor allem wenn es Konflikte mit Partner und Familie gibt • Psychotherapie kann dabei helfen, die Schuldgefühle der betroffenen Frauen gegenüber dem Ungeborenen und er Familie zu bearbeiten und somit zur Reduktion von Suizidalität beitragen Die Postpartumperiode Spektrum der PostpartumErkrankungen Vorübergehend Medizinischer Andauernd, Nicht behandlungsbedürftig Notfall pathologisch Postpartum Blues ↑Risiko für Postpartum ↑ Depression Postpartum Depression Inzidenz 50% to 70% 2/3 beginnen innerhalb 6 Wochen postpartum Postpartum Psychose 10% Cohen LS. Depress Anxiety. 1998:1:18-26. 70% sind affektive Störungen mit psychotischen Merkmalen 0.01% Subtypen postpartaler Erkrankungen - eigentlich Kontinua • Postpartum-Blues, 'Heultage' - 2-14 Tage nach der Geburt - Ausgelöst durch rapide hormonelle Veränderungen innerhalb von 24h postpartum - Keine Therapie • Postpartum Depression - Bestehen der Symptomatik über 14 Tage hinaus - Ätiologie unklar - Symptomatik wie andere Depressionen, aber bis 40% aller Mütter haben Zwangsgedanken, ihrem Kind etwas anzutun! • Postpartum-Psychose - Seltenes Ereignis in der Allgemeinbevölkerung - Fulminante Entwicklung innerhalb von 24-72h nach der Geburt - Symptome eines manisch-depressiven Mischzustandes, häufig -Beginn einer bipolaren Erkrankung -Ätiologie und nosologische Zuordnungwerden in europäischer Psychiatrie diskutiert (z.B. Kornstein, J Clin Psychiatry, 2001) Postpartum Depression - Symptome • Dieselben Symptome wie bei depressiver Episode außerhalb des Wochenbetts – – – – – – – Innere Leere/Gefühllosigkeit Energieverlust/Antriebslosigkeit Schlaf-/Appetitstörungen Grübelneigung, Konzentrationsstörungen Halluzinationen, Wahn Motorische Verlangsamung Suizidalität • zusätzlich aber – – – – – Fremdheit dem Kind gegenüber Unfähigkeit das Kind anzunehmen Fehlende Liebesgefühle Zwangsgedanken, dem Kind etwas anzutun Bei Suizidalität: erweiterte Suizidgedanken Bright. Am Fam Physician. 1994; 50: 595. Suri and Burt. J Pract Psychiatry Behav Health. 1997; 3: 67. Postpartale Zwänge • • • • Zentrieren sich um das Kind Bis zu 3-5% aller Mütter Bis zu 50% aller Mütter mit PPD Gedanken, das Kind zu verletzen – Fallen lassen – Ertränken – Erstechen – Das Kind in die Mikrowelle/den Ofen stecken – Sexueller Mißbrauch – Jemand anders könnte das Kind stehlen oder verletzen (Ross et al., 2006) Postpartale Zwänge • Handlungen − Können vermeidend sein, um Zwangsgedanken zu kompensieren, oder rituelle Handlungen darstellen – Das Kind übermäßig reinigen – Ständige Kontrolle, ob es noch atmet, noch Herzschlag hat… – Das Kind nicht auf den Arm nehmen – Keine Treppen mit dem Kind gehen – Das Kind nicht baden – Messer, Scheren verstecken – Die Küche nicht betreten – Die Windeln nicht wechseln – Das Haus nicht verlassen (Ross et al., 2006) Promi-Mütter (Fit for Fun, April, 2009) Schlank nach der Schwangerschaft Nicole Kidman Nach Angaben von Bekannten wog Nicole Kidman schon wenige Wochen nach der Geburt zehn Pfund weniger als vor der Schwangerschaft. Von Anfang an habe Nicole alles daran gesetzt, die Schwangerschafts-Pfunde so schnell wie möglich zum Purzeln zu bringen. Regelmäßig trainiert die australische Schauspielerin mit einem Coach – sie macht Yoga, schwimmt und joggt und ernährt sich mit viel Gemüse. Promi-Mütter Schlank nach der Schwangerschaft (Fit for Fun, April 2009) Jennifer Lopez Ein ordentliches Tempo hat die Latina vorgelegt. Kurz nach der Geburt ihrer Zwillinge Max und Emme lief sie zu sportlichen Höchstleistungen auf. Im September 2008 absolvierte sie den ersten Triathlon ihres Lebens. J. Lo. benötigte beim Nautica Malibu Triathlon für die sogenannte Volksdistanz aus rund 800 Meter Schwimmen, knapp 29 Kilometer Radfahren und 6,4 Kilometer Laufen insgesamt 2 Stunden, 23 Minuten und 28 Sekunden. Soziale Isolation, viele Kinder, junges Alter Armut, fehlende familiäre Unterstützung Auswirkungen mütterlicher psychischer Erkrankungen auf das Kind Kind • Nimmt mit Mutter seltener Blickkontakt auf • Hat mehr physiologische/körperliche Reaktionen (Bauchschmerzen, Schlafstörungen, Unruhe) • Weniger Laute • Neuropsychologische Entwicklung im ersten Jahr verlangsamt Murray L, Cooper P. Arch Dis Child. 1997;77:99-101; Downey G, Coyne JC. Psychol Bull. 1990;108:50-76; Weinberg MK, Tronick EZ. J Clin Psychiatry. 1998;59(Suppl 2):53-61 Infantizid • Hohe Dunkelziffer – Schätzungen 1:25000 Geburten, 40-50/Jahr in Deutschland • Häufig erweiterter Suizid bei psychotischer Depression oder Postpartumpsychose • Wird in Deutschland, wenn angeklagt nach §§ 212/213 als Totschlag gewertet Das Thema ist tabuisiert, es muss aber im ärztlichen Gespräch bei postpartaler Erkrankung angesprochen werden z.B. Brockington, 1988; Spinelli, Am J Psychiatry, 2005 Therapie der postpartalen Depression (1) Medikamentöse antidepressive Therapie in den meisten Fällen erforderlich Keine systematischen Studien zur Psychotherapie, dennoch: postpartale Zwänge, Schuldgefühle und Ängste müssen psychotherapeutisch behandelt werden Für viele Frauen ist es traumatisch, dass sie ihr Kind nicht lieben können, hier PT unerlässlich Payne et al., 2007 Prämenstruelle dysphorische Störung Erkrankungen des reproduktiven Zyklus Schweregrade prämenstrueller Symptomatik Keine Symptome Symptome ohne wesentliche Beeinträchtigung PMDS Symptome schwer, Therapie erforderlich % Frauen 10 50 20 30 40 (Ramcharan et al., 1992; Johnson et al., 1987, Dell, 2009) Ausmaß prämenstrueller Symptomatik • Kann zwischen Menarche und Menopause auftreten • Symptome von PMDS dauern üblicherweise bis zu 6 Tage/Zyklus • Während der reproduktiven Jahre verbringen Frauen mit PMDS 2800 Tage (=7-8 Jahre) mit Symptomatik – Einschränkung der beruflichen Leistungsfähigkeit und der Lebensqualität HylanTR et al. J WomensHealth GendBased Med 1999; 8: 1043–1052. Reviewed in HalbreichU et al. Psychoneuroendocrinology2003; 28 Suppl3: 1–23. Symptome des PMDS nach DSM-IV und Montreal Konsensus 2 vorhanden: -Deutlich gedrückte Stimmung -Hoffnungslosigkeit - Selbstabwertung -Angst, Anspannung - Affektive Labilität -Wut, Reizbarkeit, Impulsivität -interpersonelle Konflikte Mindestens 1 Symptom zusätzlich: Vermindertes Interesse an üblichen Aktivitäten - Konzentrationsstörungen -Lethargie, Fatigue - Veränderungen des Essverhaltens -Schlafstörungen -Kontrollverlust Neu in Montreal Konsensus: -Ovulation in Diagnosekriterien enthalten -Körperliche Symptome genauso relevant wie psychische -Symptomfreiheit in der Follikelphase -Keine zugrundeliegende psychiatrische Erkrankung - Funktionelle Belastung Beeinträchtigung durch PMDS Therapeutische Strategien • Es gibt eine Reihe medikamentöser Optionen zur Therapie des PMDS – Hormonell – Psychopharmakologisch • Keine spezifischen Studien zur Psychotherapie, aber – Viele Frauen profitieren von psychoedukativen Maßnahmen – Einbeziehung des Partners wenn Beziehung durch PMDS dysfunktional – Verhaltensmodifikation prämenstruell erfordert systematische psychotherapeutische Begleitung • Impulsivität • Angst • Reizbarkeit JoffeH et al. Am J ObstetGynecol2003; 189: 1523–1530. Geschlechtsspezifische Verordnungen bei ausgewählten Indikationsgruppen Indikation Kosten (M:F) Packungen (M:F) Migränetherapie 1,0 : 5,3 1,0 : 5,4 Antidepressiva, Benzodiazepine Neuroleptika 1,0 : 2,7 1,0 : 2,9 Psychostimulanzien 3,6 : 1,0 3,8 : 1,0 Insuline 1,8 : 1,0 1,7 : 1,0 Orale Antidiabetika 1,7 : 1,0 1,6 : 1,0 Glaeske & Jnnhsen, GEK Arzneimittel-Report 2004 Frauen haben andere Nebenwirkungen als Männer Frauen Männer Prolaktinerhöhung Gewichtszunahme Metabolisches Syndrom Torsade des Pointes Osteoporoserisiko Aichhorn, A et al. Nervenarzt 2007 : 78 (1); 45 -52 Frauenanteil in publizierten Studien in klinischpharmakologischen Journalen 2001 100 90 % Studien mit … 80 70 60 F+M nur M keine Angabe 50 40 30 20 10 0 Probanden n= 239 Studien an N = 15.880 Versuchspersonen Patienten 3 Journale f. klinische Pharmakologie Fleisch, Fleisch & Thürmann CP&T 2005 Brauchen wir eine geschlechtsspezifische Psychotherapie? • Frauen erkranken anders und eindeutiger als Männer an affektiven Störungen über den reproduktiven Zyklus – Die Forschung in bezug auf männliche Depressivität ist weniger weit fortgeschritten, da hier die reproduktiven Zusammenhänge nicht so offensichtlich sind • Die Kenntnis über Risikoprofile und spezifische Symptomatik ist erforderlich, um den Frauen adäquat zu helfen • Die Ausbildung von Ärzten und Psychologen sollte sich speziell mit geschlechtsspezifischen Aspekten bei psychischen Erkrankungen befassen