Klassische Mechanik - Institut für Theoretische Astrophysik

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Theoretische Physik I: Mechanik
Matthias Bartelmann
Institut für Theoretische Astrophysik
Universität Heidelberg
ii
Inhaltsverzeichnis
1
2
Newtonsche Axiome
1
1.1
Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
1.2
Vektoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2
1.3
Bahnkurven, Geschwindigkeit und Beschleunigung . .
4
1.4
Newtonsche Axiome . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5
1.5
Eindimensionale Bewegung . . . . . . . . . . . . . .
7
1.5.1
Freier Fall aus geringer Höhe . . . . . . . . .
7
1.5.2
Fall aus geringer Höhe mit Stokes’scher Reibung
8
1.5.3
Fall aus geringer Höhe mit Luftwiderstand . .
9
1.5.4
Freier Fall aus großer Höhe . . . . . . . . . .
11
Schwingungen
15
2.1
Freie Schwingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . .
15
2.2
Gedämpfte Schwingungen . . . . . . . . . . . . . . .
17
2.2.1
Schwache Dämpfung . . . . . . . . . . . . . .
18
2.2.2
Starke Dämpfung . . . . . . . . . . . . . . . .
19
2.2.3
Kritische Dämpfung . . . . . . . . . . . . . .
19
Erzwungene Schwingungen, Resonanz . . . . . . . . .
20
2.3.1
Allgemeine Lösung . . . . . . . . . . . . . . .
20
2.3.2
Resonanz und Halbwertsbreite . . . . . . . . .
22
2.3.3
Grenzfall schwacher Dämpfung . . . . . . . .
23
2.3.4
Beispiel: Die natürliche Breite von Spektrallinien 24
2.3
3
Drehimpuls und Energie
27
iii
iv
INHALTSVERZEICHNIS
3.1
3.2
3.3
3.4
4
27
3.1.1
Bahnkurve, Tangential- und Normalvektoren .
27
3.1.2
Beispiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
28
3.1.3
Tangential- und Normalkomponenten . . . . .
29
Drehimpuls . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
29
3.2.1
Drehmoment und Drehimpuls . . . . . . . . .
29
3.2.2
Wechsel des Bezugssystems . . . . . . . . . .
30
Energiesatz für einen Massenpunkt . . . . . . . . . . .
31
3.3.1
Energiesatz in einer Dimension . . . . . . . .
31
3.3.2
Energiesatz in drei Dimensionen . . . . . . . .
33
3.3.3
Wann sind Kräfte Potentialkräfte? . . . . . . .
35
Beispiel: Bewegung in konstantem Schwerefeld . . . .
37
Bewegung unter dem Einfluss einer Zentralkraft
39
4.1
Allgemeine Lösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
39
4.2
Das Keplerproblem . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
41
4.2.1
Arten der Bewegung . . . . . . . . . . . . . .
41
4.2.2
Form der Bahnen . . . . . . . . . . . . . . . .
42
4.2.3
Kreisbahnen . . . . . . . . . . . . . . . . . .
43
4.2.4
Ellipsenbahnen . . . . . . . . . . . . . . . . .
43
4.2.5
Parabel- und Hyperbelbahnen . . . . . . . . .
45
4.2.6
Der Laplace-Lenz-Runge-Vektor . . . . . . . .
45
Mechanische Ähnlichkeit und der Virialsatz . . . . . .
46
4.3.1
Mechanische Ähnlichkeit . . . . . . . . . . . .
46
4.3.2
Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
46
4.3.3
Der Virialsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . .
47
4.3
5
Kinematik in drei Dimensionen . . . . . . . . . . . . .
Mechanik eines Systems von Massenpunkten
49
5.1
Bewegung des Schwerpunkts . . . . . . . . . . . . . .
49
5.2
Drehimpuls und Energie . . . . . . . . . . . . . . . .
50
5.2.1
53
Beipiel: Das Zweikörperproblem . . . . . . . .
INHALTSVERZEICHNIS
5.3
5.4
6
Elastischer Stoß zwischen zwei Teilchen . . . . . . . .
54
5.3.1
Erhaltungssätze . . . . . . . . . . . . . . . . .
54
5.3.2
Transformation der Streuwinkel . . . . . . . .
55
5.3.3
Beispiel: Energieübertrag bei elastischer Streuung 56
Streuung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
57
5.4.1
Streuwinkel . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
57
5.4.2
Streuquerschnitt . . . . . . . . . . . . . . . .
57
5.4.3
Streuung unter kleinen Winkeln . . . . . . . .
58
Systeme mit Nebenbedingungen
61
6.1
61
Das d’Alembertsche Prinzip . . . . . . . . . . . . . .
6.1.1
Nebenbedingungen und verallgemeinerte Koordinaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
61
6.1.2
Zwangskräfte und Prinzip der virtuellen Arbeit
63
6.1.3
Allgemeine Formulierung des d’Alembertschen
Prinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
65
d’Alemberts Prinzip im dynamischen Fall . . .
65
Lagrange-Gleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . .
66
6.2.1
Lagrange-Gleichungen erster Art . . . . . . .
66
6.2.2
Lagrange-Gleichungen zweiter Art . . . . . . .
68
6.2.3
Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
70
6.1.4
6.2
7
v
Extremalprinzipien
71
7.1
Hamiltons Prinzip der stationären Wirkung . . . . . .
71
7.1.1
Beispiel: Das Fermatsche Prinzip . . . . . . .
71
7.1.2
Hamiltons Prinzip . . . . . . . . . . . . . . .
72
Hamilton-Funktion und kanonische Gleichungen . . .
74
7.2.1
Die kanonischen Gleichungen . . . . . . . . .
74
7.2.2
Hamilton-Funktion und Energie . . . . . . . .
76
7.2.3
Kanonische Gleichungen aus dem Wirkungsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
78
Die Routhsche Funktion . . . . . . . . . . . .
78
7.2
7.2.4
vi
8
INHALTSVERZEICHNIS
Kräfte in bewegten Bezugssystemen
81
8.1
81
Koordinatentransformationen . . . . . . . . . . . . . .
8.1.1
8.2
8.3
8.4
9
Zusammenhang zwischen kartesischen Koordinatensystemen . . . . . . . . . . . . . . . . .
81
8.1.2
Eigenschaften orthogonaler Matrizen . . . . .
82
8.1.3
Transformation des Ortsvektors . . . . . . . .
82
Zeitabhängige Transformationen . . . . . . . . . . . .
83
8.2.1
Winkelgeschwindigkeit . . . . . . . . . . . . .
83
8.2.2
~ . . . . . . . . . . . . . . . .
Bedeutung von ω
85
8.2.3
Infinitesimale Transformationen . . . . . . . .
85
Bewegung auf der rotierenden Erde . . . . . . . . . .
86
8.3.1
Scheinkräfte . . . . . . . . . . . . . . . . . .
86
8.3.2
Zur Corioliskraft . . . . . . . . . . . . . . . .
87
Das reduzierte Dreikörperproblem . . . . . . . . . . .
88
Bewegung starrer Körper
91
9.1
Die Euler-Winkel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
91
9.2
Trägheitstensor und Drehimpuls . . . . . . . . . . . .
93
9.2.1
Der Trägheitstensor . . . . . . . . . . . . . . .
93
9.2.2
Drehimpuls . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
96
Eulersche Gleichungen und der kräftefreie Kreisel . . .
98
9.3.1
Eulersche Gleichungen . . . . . . . . . . . . .
98
9.3.2
Der kräftefreie Kreisel . . . . . . . . . . . . .
98
9.3.3
Kreisel im Schwerefeld . . . . . . . . . . . . .
101
9.3
10 Kleine Schwingungen um eine Ruhelage
103
10.1 Lagrange-Funktion und Bewegungsgleichungen . . . . 103
10.1.1 Kinetische und potentielle Energie . . . . . . . 103
10.1.2 Bewegungsgleichungen . . . . . . . . . . . . 105
10.2 Normalkoordinaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105
10.2.1 Transformation auf Normalkoordinaten . . . . 105
INHALTSVERZEICHNIS
10.2.2 Bestimmung der Normalkoordinaten . . . . . .
vii
107
10.2.3 Stabilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108
10.2.4 Beispiel: Gekoppelte Pendel . . . . . . . . . . 109
10.3 Schwingungen eines linearen, dreiatomigen Moleküls . 110
10.3.1 Lagrange-Funktion . . . . . . . . . . . . . . . 110
10.3.2 Normalkoordinaten . . . . . . . . . . . . . . .
11 Mechanik kontinuierlicher Medien
111
113
11.1 Lineare Kette . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113
11.1.1 Grenzübergang zum Kontinuierlichen . . . . . 113
11.1.2 Ableitung der Bewegungsgleichungen aus dem
Lagrange-Funktional . . . . . . . . . . . . . . 115
11.1.3 Die d’Alembertsche Gleichung . . . . . . . . . 116
11.2 Schwingende Saite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118
11.3 Schwingende Membran . . . . . . . . . . . . . . . . .
12 Symmetrien und Erhaltungssätze
121
123
12.1 Galilei-Invarianz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123
12.2 Noether-Theoreme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125
12.3 Elemente relativistischer Mechanik . . . . . . . . . . . 128
12.3.1 Die spezielle Lorentztransformation . . . . . . 128
12.3.2 Eigenschaften des Minkowski-Raums . . . . . 130
12.3.3 Vierergeschwindigkeit und Viererimpuls . . . . 132
12.3.4 Zur Äquivalenz von Masse und Energie . . . . 134
13 Analytische Mechanik
135
13.1 Kanonische Transformationen . . . . . . . . . . . . . 135
13.1.1 Bahnen im erweiterten Phasenraum . . . . . . 135
13.1.2 Transformationen der Koordinaten . . . . . . .
137
13.1.3 Kanonische Transformationen . . . . . . . . . 138
13.2 Hamilton-Jacobi-Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . 139
13.2.1 Die Hamilton-Jacobi-Gleichung . . . . . . . . 139
viii
INHALTSVERZEICHNIS
13.2.2 Harmonischer Oszillator . . . . . . . . . . . . 140
13.2.3 Bewegung des freien Massenpunkts . . . . . .
141
13.2.4 Lösung der Hamilton-Jacobi-Gleichung . . . . 143
13.3 Liouvillescher Satz, Poisson-Klammern . . . . . . . . 144
13.3.1 Der Liouvillesche Satz . . . . . . . . . . . . . 144
13.3.2 Poisson-Klammern . . . . . . . . . . . . . . . 144
14 Stabilität und Chaos
147
14.1 Stabilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
147
14.1.1 Bewegung in der Nähe des Gleichgewichts . .
147
14.1.2 Definitionen und Sätze zur Stabilität . . . . . . 150
14.1.3 Hamiltonsche Systeme . . . . . . . . . . . . .
151
14.1.4 Attraktoren; die van-der-Polsche Gleichung . . 153
14.2 Chaos in der Himmelsmechanik . . . . . . . . . . . . 154
14.2.1 Beispiel: Saturnmond Hyperion . . . . . . . . 154
14.2.2 Chaotisches Taumeln auf der Ellipsenbahn . . 156
Kapitel 1
Newtonsche Axiome
1.1
Einführung
• Physik ist eine Erfahrungswissenschaft; theoretische Physik sucht
die Einheit hinter der Vielfalt, die möglichst fundamentalen Gesetze, die der Vielfalt der Erfahrungstatsachen zugrunde liegen; diese
Gesetze müssen prüfbare Vorhersagen erlauben
Galileo Galilei
• physikalischen Gesetzen liegen notwendiger Weise Idealisierungen zugrunde, weil wesentliche von unwesentlichen Eigenschaften
physikalischer Systeme unterschieden werden müssen
• theoretische Mechanik beschreibt die Gesetze, nach denen sich
Körper im Raum unter dem Einfluss von Kräften mit der Zeit
bewegen; sie führt zu Begriffen und Methoden, die sich durch die
gesamte theoretische Physik ziehen und vor allem für die Quantenmechanik und Quantenfeldtheorie außerordentlich fruchtbar
waren
Isaac Newton
• geschichtliche Entwicklung: Galileo Galileis Fallversuche, Tycho
Brahes Messungen der Marsbahn und deren gesetzmäßiger Zusammenfassung durch Johannes Kepler, Isaac Newtons Axiomen
und seiner Erklärung der Keplerschen Gesetze durch das Gravitationsgesetz; weitere für die Entwicklung wichtige Personen sind
Joseph Lagrange, Leonhard Euler, d’Alembert, Hamilton, Emmy
Noether
• „Vierheit“ der Objekte in der Mechanik: Körper, Kräfte, Raum,
Zeit; moderne Vereinheitlichung setzt fundamental an dieser Stelle
ein
• Körper: idealisiert als Massenpunkte bestimmter Masse; Ausdehnung sehr klein gegenüber den Dimensionen des gesamten betrachteten Systems; „klein“ oder „groß“ sind höchst relative Begriffe;
1
2
KAPITEL 1. NEWTONSCHE AXIOME
System aus vielen Massenpunkten bewegt sich im Ganzen so,
als würden die äußeren Kräfte am Schwerpunkt angreifen; fester
Körper wird als System von Massenpunkten aufgefasst, deren
Abstände untereinander konstant sind
• Kräfte: Ursachen der Bewegung, mathematisch genauer zu definieren; in der klassischen Mechanik wird angenommen, dass Kräfte
instantan wirken, d.h. mit unendlicher Ausbreitungsgeschwindigkeit
• Raum: die Lage von Körpern im dreidimensionalen Raum hat
keinen absoluten Sinn, sondern muss relativ zu anderen Körpern,
den Bezugssystemen, angegeben werden; der physikalische Raum
ist ein reeller, dreidimensionaler Vektorraum; die momentane Lage
eines Massenpunkts wird durch einen Ortsvektor ~x angegeben;
seine Bahnkurve ~x(t) beschreibt, wie sich sein Ort zeitlich ändert
Bahnkurve in einem kartesischen
Koordinatensystem
• im Allgemeinen kann der Ursprung des Bezugssystems beliebig
gewählt werden (Homogenität), seine Achsen können beliebig
orientiert werden (Isotropie); als Bezugssysteme werden üblicher
Weise kartesische Koordinatensysteme gewählt
• Zeit: spielt in der klassischen Mechanik die Rolle eines unabhängigen Ordnungsparameters; der Nullpunkt der Zeit ist im Allgemeinen frei wählbar (Homogenität der Zeit)
• in der klassischen Mechanik sind Raum und Zeit unabhängig von
der Existenz von Körpern und ihrer Bewegung relativ zueinander,
sie sind in diesem Sinne absolut
1.2
Vektoren
• um die Lage eines Körpers im dreidimensionalen Raum anzugeben, sind drei reelle Parameter nötig, diese bilden reelle Zahlentripel; diese Zahlentripel können addiert und mit reellen Zahlen multipliziert werden, damit hat der physikalische Raum die Struktur
eines dreidimensionalen euklidischen Vektorraums; dieser euklidische Vektorraum ist affin (d.h. man kommt auf eindeutige Weise
von einem Punkt zu einem anderen)
• durch Angabe eines Koordinatenursprungs und eines Bezugssystems werden die Zahlentripel eindeutig; in der Regel werden
kartesische Bezugssysteme gewählt, die aus drei orthogonalen
Achsen bestehen; diese Achsen werden „rechtsdrehend“ orientiert
• Addition und Subtraktion: Vektoren werden komponentenweise
addiert und subtrahiert:
~a + ~b = (ai )+(bi ) = (ai +bi ) ,
~a − ~b = (ai )−(bi ) = (ai −bi ) (1.1)
1.2. VEKTOREN
3
• Inneres Produkt zweier Vektoren: Das innere Produkt (Skalarprodukt) zweier Vektoren wird definiert als
~a · ~b =
3
X
ai bi
(1.2)
i=1
Das innere Produkt eines Vektors mit sich selbst ist offenbar positiv
semidefinit,
3
X
~a · ~a = ~a2 =
a2i ≥ 0
(1.3)
i=1
der Betrag eines Vektors ist
|~a| =
√
~a2
(1.4)
das innere Produkt zweier Vektoren ist proportional zum Cosinus
des Winkels φ zwischen den beiden Vektoren,
~a · ~b = |~a||~b| cos φ
(1.5)
es verschwindet also, wenn die Vektoren senkrecht aufeinander
stehen,
~a ⊥ ~b ⇒ ~a · ~b = 0
(1.6)
• Äußeres Produkt zweier Vektoren: Das äußere Produkt (Kreuzprodukt, Vektorprodukt) zweier Vektoren wird definiert als der
Vektor
~a × ~b = (a2 b3 − a3 b2 , a3 b1 − a1 b3 , a1 b2 − a2 b1 )
(1.7)
das äußere Produkt zweier Vektoren steht senkrecht auf beiden
Vektoren,
~a · (~a × ~b) = 0 = ~b · (~a × ~b)
(1.8)
sein Betrag ist proportional zum Sinus des Zwischenwinkels φ,
|~a × ~b| = |~a||~b| sin φ
(1.9)
es verschwindet also, wenn die Vektoren parallel oder antiparallel
zueinander sind,
~a k ±~b ⇒ ~a × ~b = 0
(1.10)
das äußere Produkt zweier Vektoren ~a und ~b ist gleich dem Flächeninhalt des Parallelogramms, das durch ~a und ~b aufgespannt
wird
• Einsteinsche Summenkonvention: Zur Vereinfachung der Schreibweise wird verabredet, dass über doppelt auftretende Indices summiert wird,
3
X
ai bi :=
ai bi
(1.11)
i=1
Kreuzprodukt zweier Vektoren und
Flächeninhalt des aufgespannten
Parallelogramms
4
KAPITEL 1. NEWTONSCHE AXIOME
• Kronecker-Symbol: es erweist sich als sehr nützlich, folgendes
Symbol einzuführen:
(
1 i= j
δi j =
(1.12)
0 i, j
wegen der Summenkonvention gilt dann z.B.
ai = δi j b j
(1.13)
• Levi-Civita-Symbol: viele Rechnungen werden erheblich vereinfacht durch das vollkommen antisymmetrische Levi-Civita-Symbol i jk , das definiert wird durch
123 = 231 = 312 = 1
132 = 213 = 321 = −1
i jk = 0 sonst
(1.14)
d.h. i jk = 1 für alle geraden Permutationen von {1, 2, 3}, i jk = −1
für alle ungeraden Permutationen von {1, 2, 3}, und i jk = 0 wenn
mindestens zwei der Indices gleich sind
• damit lässt sich das äußere Produkt zweier Vektoren schreiben als
~a × ~b = (i jk a j bk )
(1.15)
folgende Identität erweist sich als sehr nützlich:
i jk klm = δil δ jm − δim δ jl
(1.16)
die Determinante einer 3 × 3-Matrix mit den Zeilenvektoren ~a, ~b
und ~c lässt sich schreiben als
a1 a2 a3 b1 b2 b3 = ~a · (~b × ~c) = i jk ai b j ck
(1.17)
c1 c2 c3
• vektorwertige Funktionen f~(~x) werden komponentenweise differenziert,
!
∂ f~(~x)
∂ f1 (~x) ∂ f2 (~x) ∂ f3 (~x)
=
,
,
(1.18)
∂xi
∂xi
∂xi
∂xi
1.3
Bahnkurven, Geschwindigkeit und Beschleunigung
• Der Ortsvektor ~x eines Massenpunkts ändert sich im Allgemeinen mit der Zeit t, ~x = ~x(t). Die zwischen zwei Zeiten t1 und
t2 > t1 durchlaufenen Punkte ~x(t) bilden die Bahnkurve des Massenpunkts.
Beispiele:
1.4. NEWTONSCHE AXIOME
5
– Kreisbahn in der x1 -x2 -Ebene, Radius r:
~x(t) = [r cos φ(t), r sin φ(t), 0]
(1.19)
– Spiralbahn längs der x3 -Achse, Radius r:
~x(t) = [r cos φ(t), r sin φ(t), x3 (t)]
(1.20)
• Die Geschwindigkeit ist die Ableitung des Ortes nach der Zeit,
d~x(t)
~v(t) = ~x˙(t) =
dt
(1.21)
Bewegung auf einer Kreisbahn
Beispiele:
– Kreisbahn wie oben: ~v(t) = [−rφ̇ sin φ(t), rφ̇ cos φ(t), 0]
– Spiralbahn wie oben: ~v(t) = [−rφ̇ sin φ(t), rφ̇ cos φ(t), ẋ3 (t)]
• Die Beschleunigung ist die Ableitung der Geschwindigkeit nach
der Zeit,
d2 ~x(t)
d~v(t) ¨
~a(t) = ~v˙(t) =
= ~x(t) =
(1.22)
dt
dt2
Beispiele:
– Kreisbahn wie oben: ~a(t) = [−rφ̈ sin φ(t)−rφ̇2 cos φ(t), rφ̈ cos φ(t)−
rφ̇2 sin φ(t), 0]
– Spiralbahn wie oben: ~a(t) = [−rφ̈ sin φ(t)−rφ̇2 cos φ(t), rφ̈ cos φ(t)−
rφ̇2 sin φ(t), ẍ3 (t)]
1.4
Newtonsche Axiome
1. Trägheitsgesetz, Lex Prima: Jeder Körper beharrt in seinem Zustand der Ruhe oder gleichförmigen geradlinigen Bewegung, wenn
er nicht durch einwirkende Kräfte gezwungen wird, seinen Zustand zu ändern.
„Corpus omne perseverare in statu suo quiescendi vel movendi
uniformiter in directum nisi quatenus a viribus cogiter statum illum
mutare.“
Postuliert wird die Trägheit eines Körpers, sein Beharrungsvermögen. Als „Bewegungsgröße“ wird das Produkt aus Masse m und
Geschwindigkeit ~v definiert, d.h. der Impuls ~p = m~v. Die Begriffe
„Masse“ und „Kraft“ bleiben zu definieren.
Damit besagt das Trägheitsgesetz:
~p = konst.
(1.23)
in Abwesenheit von Kräften, d.h. in diesem Fall ist der Impuls
erhalten.
6
KAPITEL 1. NEWTONSCHE AXIOME
2. Bewegungsgesetz, Lex Secunda: Die Änderung der Bewegung ist
der Einwirkung der bewegenden Kraft proportional und geschieht
nach der Richtung derjenigen geraden Linie, nach welcher jene
Kraft wirkt.
„Mutationem motus proportionalem esse vi motrici impressae et
fieri secundum lineam rectam, qua vis illa imprimitur.“
Die Änderung der Bewegungsgröße ist die Zeitableitung des Impulses. Sei F~ die Kraft, besagt das Bewegungsgesetz
~p˙ = F~
bzw.
m~x¨ = F~
(1.24)
bei konstanter Masse m.
Die Masse m ist hier die träge Masse, im Gegensatz zur schweren
Masse, zu der die Gravitationskraft proportional ist. Experimente
zeigen, dass beide unabhängig von der Zusammensetzung der
betrachteten Körper gleich groß sind.
Kräfte werden definiert, indem man Messvorschriften angibt, die
z.B. eine unbekannte Kraft mit der Gravitationskraft vergleichen.
Kräfte addieren sich wie Vektoren.
3. Reaktionsgesetz, Lex Tertia: Die Wirkung ist stets der Gegenwirkung gleich, oder die Wirkungen zweier Körper aufeinander sind
stets gleich und von entgegengesetzter Richtung.
„Actio = reactio.“
• die träge Masse erweist sich aufgrund der Relativitätstheorie als
geschwindigkeitsabhängig
• Kräfte hängen im Allgemeinen vom Ort und von der Zeit ab,
können aber auch von der Geschwindigkeit abhängen wie etwa
die Lorentzkraft auf ein geladenes Teilchen im Magnetfeld
• Beispiele für Kräfte sind etwa die Gravitations- und die Coulombkraft, die beide indirekt proportional zum Abstandsquadrat sind
(das ist eine notwendige Folge der Masselosigkeit der Austauschteilchen).
• Offenbar setzt die Gültigkeit der Newtonschen Axiome eine geeignete Wahl der Einheiten voraus. Die Proportionalität von Impulsänderung und Kraft wird erst durch die geeignete Wahl der Einheit
der Masse zu einer Gleichheit. Die Proportionalität von schwerer
und träger Masse wird zu einer Gleichheit durch die Definition der
Gravitationskonstante G.
1.5. EINDIMENSIONALE BEWEGUNG
1.5
1.5.1
7
Eindimensionale Bewegung
Freier Fall aus geringer Höhe
• r RErde ; Schwerkraft FG = −mg ist dann gegeben durch konstante Erdbeschleunigung g = 9.81 m s−2 ; Bewegungsgleichung:
mr̈ = −mg
(1.25)
• da r̈ konstant ist, muss v = ṙ linear mit der Zeit t anwachsen:
v = ṙ = −gt + C1
(1.26)
Integrationskonstante C1 ist offenbar die Geschwindigkeit zur Zeit
t = 0, C1 = v(t0 ) = v0
freier Fall aus geringer Höhe
• eine weitere Integration nach der Zeit liefert
g
r = − t2 + C 1 t + C 2
2
(1.27)
die weitere Integrationskonstante C2 ist offenbar die Anfangshöhe,
C2 = r(t = 0) = r0
• wenn der Massenpunkt bei t = 0 in der Höhe h losgelassen wird,
sind C1 = 0 und C2 = h, und die Lösung lautet
g
r = h − t2
2
(1.28)
• die Fallzeit bis r = 0 beträgt
s
t=
2h
,
g
(1.29)
die Endgeschwindigkeit ist
s
v = −gt = −g
p
2h
= − 2gh
g
(1.30)
Beispiel: ein Sprung vom Zehnmeterturm dauert t = 1.4 s und endet mit einer Geschwindigkeit von v = −14 m s−1 (etwa −50 km h−1 )
• Da die Bewegungsgleichung 2. Ordnung in der Zeit ist, werden
zu ihrer vollständigen Lösung zwei Integrationskonstanten benötigt; diese müssen als „Anfangsbedingungen“ gewählt werden, in
diesem Fall in der Form von Anfangshöhe und Anfangsgeschwindigkeit.
8
KAPITEL 1. NEWTONSCHE AXIOME
• In der Theorie der gewöhnlichen Differentialgleichungen wird
gezeigt, dass eine Differentialgleichung n-ter Ordnung,
y(n) (x) = f [x, y(x), y0 (x), y00 (x), . . . , y(n−1) (x)] ,
(1.31)
genau dann eine eindeutige Lösung in einer genügend kleinen
Umgebung eines Punktes x0 hat, wenn n Anfangsbedingungen für
y(x0 ) und die n − 1 Ableitungen von y(x) an der Stelle x0 gegeben
sind, die Funktion f stetig ist, f und y(i) für i = 0, 1, . . . , n − 1 beschränkt sind und der so genannten Lipschitz-Bedingung genügen,
die die Abweichung der Funktion f (x) von f (x0 ) innerhalb der
Umgebung von x0 kontrolliert.
Für physikalische Vorgänge bedeutet das praktisch, dass eine eindeutige Lösung der Bewegungsgleichung in der Nähe einer Zeit t0
immer angegeben werden kann, wenn die Bewegung im Endlichen
und mit endlicher Geschwindigkeit erfolgt und die auftretenden
Kräfte stetig sind und sich nicht beliebig schnell ändern. Die Lösung wird durch zwei Anfangsbedingungen an den Ort und die
Geschwindigkeit eindeutig bestimmt.
1.5.2
gebremster Fall aus geringer Höhe
Fall aus geringer Höhe mit Stokes’scher Reibung
• Stokes’sche Reibung: Reibungskraft proportional zur Geschwindigkeit, FR = −Kv (wirkt der Geschwindigkeit entgegen)
• Bewegungsgleichung:
mr̈ = mv̇ = −mg − Kv
Lösung durch „Separation der Variablen“:
Z
Z
v̇
dv
= −g ⇒
= −g dt
Kv
Kv
1 + mg
1 + mg
(1.32)
(1.33)
beide unbestimmte Integrale lassen sich elementar integrieren:
!
mg
Kv
ln 1 +
= −gt + C1 ,
(1.34)
K
mg
wobei die beiden Integrationskonstanten in eine zusammengefasst
wurden; damit lautet die Geschwindigkeit
"
!
#
mg
K(C1 − gt)
v=
exp
−1
(1.35)
K
mg
• für t → ∞ nähert sich v der Endgeschwindigkeit
− vE = −
mg
,
K
(1.36)
1.5. EINDIMENSIONALE BEWEGUNG
9
sodass die Lösung in der Form
"
!
#
C1 − gt
v = vE exp
−1
vE
(1.37)
geschrieben werden kann
• setzt man zunächst v(t = 0) = v0 ein, folgt
eC1 /vE = 1 +
v0
vE
(1.38)
und damit
v = (v0 + vE )e−gt/vE − vE
(1.39)
• eine weitere Integration von
ṙ = (v0 + vE )e−gt/vE − vE
führt auf
r = C2 − vE t − (v0 + vE )
vE −gt/vE
e
g
(1.40)
(1.41)
• setzt man hier r(t = 0) = r0 ein, ergibt sich die Integrationskonstante C2 zu
vE
(1.42)
C2 = r0 + (v0 + vE )
g
und damit erhält man die Lösung
i
vE h
r = r0 − vE t + (v0 + vE )
1 − e−gt/vE
(1.43)
g
• für t → ∞ verschwindet der Exponentialterm, und r nimmt linear
mit der Zeit ab:
vE
r → r0 − vE t + (v0 + vE )
(1.44)
g
1.5.3
Fall aus geringer Höhe mit Luftwiderstand
• Luftwiderstand: Reibungskraft, deren Betrag dem Quadrat der
Geschwindigkeit proportional ist
• Bewegungsgleichung:
mr̈ = −mg − Kv|v|
(1.45)
Kraft muss der Bewegung entgegen gerichtet sein
• Annahme hier: v < 0, damit:
r̈ = v̇ = −g +
K 2
v
m
(1.46)
10
KAPITEL 1. NEWTONSCHE AXIOME
gebremster Fall, Reibung proportional zu v
1.4
1.2
1
Hoehe r(t)
0.8
0.6
0.4
0.2
0
-0.2
v0=0
v0=vE/2
v0=vE
v0=-vE/2
-0.4
-0.6
0
0.5
1
1.5
2
Zeit t
Abbildung 1.1: Gebremster Fall mit Stokes’scher Reibung aus jeweils
derselben Höhe, aber mit vier verschiedenen Anfangsgeschwindigkeiten.
• mit der Definition v2E = mg/K folgt:
1−
v̇
2 = −g
(1.47)
v
vE
• mit der Partialbruchzerlegung
1
1
1
1
+
=
2
1−x
2 1−x 1+x
!
können wir nach Trennung der Variablen schreiben


Z
Z
dv  1
1 
+

 = −g dt
2 1 − vvE 1 + vvE
also
vE vE + v
ln
= −gt + C1
2 vE − v
(1.48)
(1.49)
(1.50)
• die Integrationskonstante C1 wird so bestimmt, dass v = v0 bei
t = t0 ist:
vE vE + v0
C1 = ln
(1.51)
2 vE − v0
• damit lässt sich die Gleichung für die Geschwindigkeit umformen
zu
"
#
vE − v0 − (vE + v0 )e−2gt/vE
v = −vE
(1.52)
vE − v0 + (vE + v0 )e−2gt/vE
für t → ∞ fallen die Exponentialterme weg, und v → −vE , d.h. es
wird die asymptotische Endgeschwindigkeit erreicht, wenn t vE /g ist
1.5. EINDIMENSIONALE BEWEGUNG
11
• eine weitere Integration führt auf die durchfallene Höhe r:
r − r0 =
t
Z
v(t0 )dt0
(1.53)
t0
zur Vereinfachung definieren wir
a :=
und erhalten
vE + v0
vE − v0
v2E
r − r0 = −
2g
;
Z
x :=
2gt
vE
1 − ae−x
dx
1 + ae−x
(1.54)
(1.55)
• Integration führt auf
r − r0 = −
v2E x + 2 ln 1 + ae−x
2g
(1.56)
setzt man hier die Definitionen von a und x wieder ein, erhält man
( "
!
#)
v2E
1
v0
v0 −2gt/vE
r = r0 − vE t − ln
1− + 1+
e
(1.57)
g
2
vE
vE
• bei v0 = 0 erhält man nach genügend langer Zeit, t vE /g, den
asymptotischen Verlauf
r → r0 − vE t +
v2E
ln 2 ,
g
(1.58)
während im selben Fall für Stokes’sche Reibung gilt:
v2E
r → r0 − vE t +
g
(1.59)
wegen ln 2 < 1 ist die mit Luftwiderstand durchfallene Höhe
kleiner als die mit Stokes’scher Reibung, d.h. Stokes’sche Reibung
ist effektiver (bremst stärker ab)
1.5.4
Freier Fall aus großer Höhe
• für freien Fall aus großer Höhe, h & RErde , muss berücksichtigt
werden, dass sich die Erdbeschleunigung mit der Höhe ändert; die
Gravitationskraft im Abstand r vom Erdmittelpunkt ist
FG = −
GMm
α
=: − 2
2
r
r
(1.60)
12
KAPITEL 1. NEWTONSCHE AXIOME
gebremster Fall, Reibung proportional zu v bzw. v2
1
0.8
Hoehe r(t)
0.6
0.4
0.2
0
-0.2
-0.4
prop. zu v, v0=0
prop. zu v2, v0=0
0
0.5
1
1.5
2
Zeit t
Abbildung 1.2: Vergleich der durchfallenen Höhen für gebremsten Fall
mit Stokes’scher Reibung (rot) und Luftwiderstand (grün).
• Bewegungsgleichung:
mr̈ = −
α
r2
(1.61)
mṙr̈ = −
αṙ
r2
(1.62)
nach Multiplikation mit ṙ
folgt
d 1
1 d(ṙ2 )
=α
2 dt
dt r
!
(1.63)
• offenbar gilt also:
!
1 2 α
m ṙ −
= konst. =: E
2
r
(1.64)
d.h. die „Energie“ E bleibt zeitlich konstant; der erste Ausdruck
in Klammern heißt „kinetische“, der zweite „potentielle“ Energie
• erste Verwendung des Energiesatzes zur Lösung des Problems:
E = E0 = konst., wobei E0 durch die Anfangsbedingungen gegeben ist:
1
α
E0 = mv20 −
(1.65)
2
r0
• wenn der Massenpunkt im Unendlichen ruht, r0 = ∞ und v0 = 0,
ist E0 = 0 und
1 2 α GMm gR2Erde m
mv = =
=
2
r
r
r
(1.66)
1.5. EINDIMENSIONALE BEWEGUNG
13
die Endgeschwindigkeit des freien Falls auf die Erdoberfläche ist
p
v∞ = 2gRErde = 11.2 m s−1
(1.67)
das ist auch die Fluchtgeschwindigkeit von der Erde
• setzt man v∞ = c (Lichtgeschwindigkeit), erhält man den Schwarzschildradius
2GM
r =: RS = 2
(1.68)
c
einer Masse M; er spielt in der relativistischen Astrophysik als
„Radius eines schwarzen Lochs“ eine große Rolle
14
KAPITEL 1. NEWTONSCHE AXIOME
Kapitel 2
Schwingungen
2.1
Freie Schwingungen
• auf einen Körper im Gleichgewicht wirkt insgesamt keine Kraft,
F = 0, er wird also nicht beschleunigt, ẍ = 0
• bei kleiner Auslenkung aus der Gleichgewichtslage x0 kann die
Kraft in eine Taylorreihe entwickelt werden:
dF(x) 1 d2 F(x) 2
(x − x0 ) +
F = F(x0 ) +
(x − x0 ) + . . . (2.1)
dx x0
2 dx2 x0
nach Voraussetzung verschwindet F(x0 ), weil x0 die Gleichgewichtslage ist
• Verschiebung des Koordinatensystems so, dass x0 = 0 wird; wir
nehmen an, dass
dF(x) ,0
(2.2)
dx x0
und vernachlässigen Terme höherer Ordnung
• wenn
dF(x) >0
(2.3)
dx x0
ist, entfernt sich das System aus der Gleichgewichtsage (labiles
Gleichgewicht); das Gleichgewicht ist stabil (das System kehrt in
die Ausgangslage zurück), wenn
dF(x) <0
(2.4)
dx x
0
ist
• entsprechend schreiben wir
dF(x) := −k ,
dx x
0
15
k>0,
(2.5)
Entwicklung der Kraft um die
Gleichgewichtslage
16
KAPITEL 2. SCHWINGUNGEN
und damit lautet die Kraft
F(x) = −kx
(2.6)
• die Bewegungsgleichung ist
m ẍ = −kx
(2.7)
ẍ + ω20 x = 0 ,
(2.8)
oder
wobei wir die Abkürzung
r
ω0 =
k
m
(2.9)
eingeführt haben
• Diese Bewegungsgleichung ist eine gewöhnliche, lineare Differentialgleichung 2. Ordnung mit konstanten Koeffizienten. Zu ihrer
Lösung werden zwei linear unabhängige Lösungen x1 (t), x2 (t)
benötigt, d.h. die Gleichung
Federpendel als Beispiel für harmonischen Oszillator
λ1 x1 (t) + λ2 x2 (t) = 0
(2.10)
kann nur erfüllt werden, wenn λ1 = 0 = λ2 ist. Die allgemeine
Lösung der Gleichung ist dann eine Linearkombination beider
Lösungen,
x(t) = C1 x1 (t) + C2 x2 (t) .
(2.11)
• unsere Bewegungsgleichung hat die zwei linear unabhängigen
Lösungen
x1 (t) = sin ω0 t , x2 (t) = cos ω0 t
(2.12)
sodass die allgemeine Lösung lautet
x(t) = C1 sin ω0 t + C2 cos ω0 t
(2.13)
• die Konstanten C1 , C2 müssen durch die beiden Anfangsbedingungen bestimmt werden:
x(t = 0) = x0 ⇒ C2 = x0
v0
ẋ(t = 0) = v0 ⇒ C1 =
ω0
also
x(t) =
v0
sin ω0 t + x0 cos ω0 t
ω0
(2.14)
2.2. GEDÄMPFTE SCHWINGUNGEN
17
• wegen cos(x−y) = cos x cos y+sin x sin y lässt sich die allgemeine
Lösung in die Form
x(t) = A0 cos(ω0 t − δ0 )
(2.15)
bringen; das erfordert
s
A0 =
x02 +
v20
ω20
(2.16)
und
v0
(2.17)
x0 ω0
A0 ≥ 0 heißt Amplitude, ω0 t − δ0 Phase der Schwingung; 0 ≤ δ0 <
2π
tan δ0 =
• die beschriebene Bewegung heißt harmonische Schwingung; sie
hat die Kreisfrequenz ω0 , die Frequenz
ω0
2π
(2.18)
1 2π
=
ν ω0
(2.19)
ν0 =
und die Schwingungsperiode
T=
2.2
Gedämpfte Schwingungen
• Einführung einer zur Geschwindigkeit proportionalen Reibungskraft FR = −b ẋ (b > 0) in die Bewegungsgleichung des harmonischen Oszillators:
m ẍ + b ẋ + kx = 0
(2.20)
• das ist wieder eine gewöhnliche, lineare Differentialgleichung mit
konstanten Koeffizienten, d.h. wir brauchen wieder zwei linear
unabhängige Lösungen
• die Lösung vereinfacht sich im Komplexen, d.h. wir suchen Lösungen z(t) ∈ C der Gleichung
mz̈ + bż + kz = 0 ,
(2.21)
sodass x(t) = <[z(t)] und y(t) = =[z(t)] Lösungen der Ausgangsgleichung sind
• für z(t) versuchen wir den Ansatz
z(t) = eiωt ,
(2.22)
Beispiel für eine gedämpfte Schwingung
18
KAPITEL 2. SCHWINGUNGEN
also
ż(t) = iωz(t) ,
z̈(t) = −ω2 z(t) ;
(2.23)
damit lautet die komplexe Bewegungsgleichung
(−mω2 + iωb + k)eiωt = 0
(2.24)
diese Gleichung muss für beliebige Zeiten t erfüllt sein, d.h. der
Ausdruck in Klammern muss separat verschwinden:
− mω2 + iωb + mω20 = 0 ,
(2.25)
wobei wir wieder k = mω20 gesetzt haben
• offenbar ist unser Ansatz erfolgreich, wenn ω die Bedingung
ω1,2 = iλ ± ω̄
(2.26)
erfüllt, mit
q
b
λ :=
, ω̄ := ω20 − λ2
2m
damit wird eine Fallunterscheidung in λ nötig
2.2.1
(2.27)
Schwache Dämpfung
• λ < ω0 : in diesem Fall ist ω̄ ∈ R, und wir können ohne Beschränkung der Allgemeinheit ω̄ > 0 annehmen
• die zwei linear unabhängigen speziellen Lösungen der Bewegungsgleichung lauten dann
z1,2 (t) = e−λt e±iω̄t
(2.28)
• aus Real- und Imaginärteil ergeben sich zwei linear unabhängige,
reelle Lösungen der Ausgangsgleichung,
(
cos ω̄t
−λt
x1,2 (t) = e ·
(2.29)
sin ω̄t
• die allgemeine Lösung lautet
x(t) = e−λt (C1 sin ω̄t + C2 cos ω̄t)
(2.30)
oder, wie im ungedämpften Fall,
x(t) = Āe−λt cos(ω̄t − δ̄0 )
(2.31)
mit exponentiell abklingender Amplitude, veränderter Frequenz
ω̄ ≤ ω0 und veränderter Phase δ̄0
2.2. GEDÄMPFTE SCHWINGUNGEN
19
freie und gedaempfte Schwingungen
1
λ=0
λ=ω0/20
λ=ω0/10
λ=ω0/5
0.8
0.6
0.4
x(t)
0.2
0
-0.2
-0.4
-0.6
-0.8
-1
0
1
2
3
4
5
Zeit t
Abbildung 2.1: Freie Schwingung und schwach gedämpfte Schwingungen mit verschieden starker Dämpfung
2.2.2
Starke Dämpfung
q
• λ > ω0 : in diesem Fall ist ω̄ = i λ2 − ω20 imaginär; die allgemeine
Lösung lautet
√2 2
√2 2
x(t) = C1 e−(λ+ λ −ω0 )t + C2 e−(λ− λ −ω0 )t
(2.32)
sie hat den Schwingungscharakter verloren
2.2.3
Kritische Dämpfung
• λ = ω0 : ω̄ = 0, daher liefert x1 (t) = e−λt nur noch eine Lösung;
eine zweite notwendige, davon linear unabhängige Lösung erhält
man durch folgende Konstruktion: im Fall schwacher Dämpfung
lautet die allgemeine Lösung für x(t = 0) = 0
x(t) = e−λt
v0
sin ω̄t
ω̄
(2.33)
der Grenzübergang für ω̄ → 0 liefert
lim x(t) = e−λt v0 t lim
ω̄→0
ω̄→0
sin ω̄t
= e−λt v0 t
ω̄t
(2.34)
damit erhalten wir als zweite, von x1 (t) linear unabhängige Lösung
x2 (t) = te−λt
(2.35)
20
KAPITEL 2. SCHWINGUNGEN
• die allgemeine Lösung lautet damit
x(t) = (C1 + C2 t)e−λt
(2.36)
dies ist der so genannte aperiodische Grenzfall
stark gedaempfte Schwingungen
1
aperiodischer Grenzfall
λ=1.5ω0
λ=2ω0
0.9
0.8
0.7
x(t)
0.6
0.5
0.4
0.3
0.2
0.1
0
0
1
2
3
4
5
Zeit t
Abbildung 2.2: Stark gedämpfte Schwingungen und aperiodischer Grenzfall
2.3
2.3.1
Erzwungene Schwingungen, Resonanz
Allgemeine Lösung
• auf den Massenpunkt wirke von außen eine periodische Kraft
erzwungene Schwingung: Federpendel mit periodischem Antrieb
Fe = c cos ωt
(2.37)
die Bewegungsgleichung lautet dann
m ẍ + b ẋ + kx = c cos ωt
(2.38)
• wir beschreiten wieder den Lösungsweg in der komplexen Ebene,
d.h. wir suchen die Lösung der Gleichung
mz̈ + bż + kz = c eiωt
(2.39)
mit z(t) ∈ C, aus der wir später die reelle Lösung x(t) = <[z(t)]
erhalten
2.3. ERZWUNGENE SCHWINGUNGEN, RESONANZ
21
• zur allgemeinen Lösung dieser inhomogenen, gewöhnlichen, linearen Differentialgleichung 2. Ordnung benötigen wir eine partikuläre Lösung der inhomogenen Gleichung plus die allgemeine
Lösung der homogenen Gleichung; letztere ist uns schon bekannt:
zh (t) = e−λt e±iω̄t
mit
λ=
b
,
2m
ω̄ =
q
ω20 − λ2
(2.40)
(2.41)
falls λ < ω0
• die partikuläre Lösung gewinnen wir über den Ansatz
zp (t) = z0 eiωt
(2.42)
(−mω2 + ibω + k)z0 = c ,
(2.43)
er führt auf
also
z0 =
(ω20
c/m
=
− ω2 ) + 2iωλ
h
i
c/m (ω20 − ω2 ) − 2iωλ
(ω20 − ω2 )2 + 4ω2 λ2
(2.44)
• die Zerlegung
z0 = Ae−iδ
(2.45)
unter der Annahme c ∈ R, c ≥ 0 führt auf die Amplitude
c/m
A= q
(ω20 − ω2 )2 + 4ω2 λ2
(2.46)
und die Phase δ durch
tan δ =
2ωλ
− ω2
ω20
(2.47)
A ≥ 0 und 0 ≤ δ < π wegen λ ≥ 0
• eine partikuläre Lösung ist also
xp (t) = A cos(ωt − δ) ;
(2.48)
damit erhält man die allgemeine Lösung
x(t) = A cos(ωt − δ) + Āe−λt cos(ω̄t − δ̄)
(2.49)
A und δ sind bereits festgelegt; Ā und δ̄ stehen noch zur Erfüllung
der Anfangsbedingungen zur Verfügung
• Einschwingung: für t 1/λ entfällt der zweite Term; der Oszillator schwingt dann wie die äußere Kraft, aber um die Phase δ
verschoben; für ω = ω0 ist δ = π/2
22
KAPITEL 2. SCHWINGUNGEN
erzwungene Schwingungen
1
ω=1.1ω0, λ=0.1
ω=1.2ω0, λ=0.1
0.8
0.6
0.4
x(t)
0.2
0
-0.2
-0.4
-0.6
-0.8
-1
0
5
10
15
20
25
30
35
40
45
50
Zeit t
Abbildung 2.3: Erzwungene Schwingungen mit schwacher Dämpfung;
deutlich sichtbar sind der Einschwingvorgang und Schwebungen
2.3.2
Resonanz und Halbwertsbreite
• Amplitude A zeigt Resonanzverhalten; Maximum wird erreicht
bei der Frequenz
q
ωmax =
ω20 − 2λ2
(2.50)
c/m
q
2λ ω20 − λ2
(2.51)
und beträgt
Amax =
• die Halbwertsbreite der Resonanz ist bestimmt durch die Bedingung
! 1
A2 (ω) = A2max
(2.52)
2
sie ist erfüllt für
q
2
(2.53)
ω1,2 = ωmax ± 2λ ω20 − λ2
für schwache Dämpfung, λ ω0 , ist
ωmax
!
λ2
≈ ω0 1 − 2 ≈ ω0
ω0
(2.54)
ω1,2 ≈ ω0 ± λ ,
(2.55)
und
d.h. die Halbwertsbreite ist
Γ = 2λ
im Grenzfall schwacher Dämpfung
(2.56)
2.3. ERZWUNGENE SCHWINGUNGEN, RESONANZ
23
erzwungene Schwingungen
3.5
3
Phase δ
2.5
2
1.5
1
0.5
0
λ=ω0/20
λ=ω0/10
λ=ω0/5
0.2
0.4
0.6
0.8
1
1.2
Frequenz ω/ω0
1.4
1.6
1.8
2
Abbildung 2.4: Phase δ der erzwungenen Schwingung nach dem Einschwingen für verschiedene Werte der Dämpfung λ
2.3.3
Grenzfall schwacher Dämpfung
• allgemeine Lösung kann in der Form
x(t) = A cos(ωt − δ) + eλt (C1 cos ω̄t + C2 sin ω̄t)
(2.57)
geschrieben werden
• Anfangsbedingungen:
x(t = 0) = A cos δ + C1 = x0
⇒ C1 = x0 − A cos δ
ẋ(t = 0) = Aω sin δ − λC1 + C2 ω̄ = v0
1
⇒ C2 = (v0 + λx0 − Aλ cos δ − Aω sin δ)
ω̄
• im Grenzfall λ → 0 gilt δ → 0, und
C1 → x0 − A ,
C2 →
v0
,
ω0
A→
c/m
− ω2
ω20
(2.58)
die allgemeine Lösung nimmt dann die Gestalt
x(t) =
an
c/m
v0
(cos ωt − cos ω0 t) + x0 cos ω̄t +
sin ω0 t (2.59)
2
ω0
−ω
ω20
24
KAPITEL 2. SCHWINGUNGEN
erzwungene Schwingungen
0.45
λ=ω0/20
λ=ω0/10
λ=ω0/5
0.4
0.35
Amplitude A
0.3
0.25
0.2
0.15
0.1
0.05
0
0.6
0.7
0.8
0.9
1
1.1
Frequenz ω/ω0
1.2
1.3
1.4
Abbildung 2.5: Resonanzverhalten der Amplitude erzwungener Schwingungen
• für ω → ω0 geht der erste Term gegen den Grenzwert
lim
ω→ω0
t sin ω0 t
cos ωt − cos ω0 t
t sin ωt
=
= lim
2
2
ω→ω0
2ω
2 ω0
ω0 − ω
(2.60)
(Regel von l’Hospital)
• im Beispiel x0 = 0 erhält man dann die Lösung
!
v0
ct
x(t) =
+
sin ω0 t
ω0 2mω0
(2.61)
der zweite Term in Klammern wächst linear mit der Zeit; man
nennt dies „säkulares Anwachsen“ der Amplitude
2.3.4
Beispiel: Die natürliche Breite von Spektrallinien
• ein Beispiel für eine erzwungene Schwingung ist ein Elektron in
einer Atomhülle, das durch einfallende elektromagnetische Strahlung angeregt wird
• näherungsweise beschreiben wir das Atom als Dipol, d.h. das
Elektron bewegt sich längs der x-Achse um den Atomkern; das
elektrische Feld der einfallenden Strahlung kann dann in der Form
E(t) = E0 cos ωt
geschrieben werden
(2.62)
2.3. ERZWUNGENE SCHWINGUNGEN, RESONANZ
25
• der Atomkern übt eine Rückstellkraft auf das Elektron aus, die
näherungsweise linear ist; das Elektron schwingt also harmonisch
um den Atomkern; die Kreisfrequenz der Schwingung sei ω0
• das elektrische Feld übt eine Kraft auf das Elektron aus, die Lorentzkraft
Fe (t) = qE(t) = qE0 cos ωt
(2.63)
wobei die Elementarladung q in den so genannten cgs-Einheiten
angegeben wird,
q = 4.8 × 10−10 g1/2 cm3/2 s−1
(2.64)
• die Lorentzkraft beschleunigt das Elektron; da beschleunigte Ladungen strahlen, verliert das bestrahlte Atom Energie; dies führt
zu einer Dämpfung der Schwingung, die sich in der klassischen
Elektrodynamik zu
2q2
(2.65)
b = 3 ω20
3c
ergibt (Einheiten beachten!), wobei c = 3.0 × 1010 cm s−1 die
Lichtgeschwindigkeit im Vakuum ist; die Dämpfungskonstante ist
also
q2
b
=
ω2
(2.66)
λ=
2me 3me c3 0
mit der Elektronenmasse me = 9.11 × 10−28 g
• wenn das Atom durch ein kontinuierliches Spektrum elektromagnetischer Strahlung beleuchtet wird, erzeugt es eine Absorptionslinie, deren Profil durch das Quadrat der Resonanzkurve (2.46)
gegeben ist,
q2 E02 /m2
A2 = 2
(2.67)
(ω0 − ω2 )2 + 4ω2 λ2
dies wird auch als Lorentzprofil bezeichnet
• die Breite dieser Linie ist also Γ = 2λ, oder
Γ=
2q2 2
ω
3me c3 0
(2.68)
sie heißt natürliche Linienbreite
• der Kreisfrequenz ω entspricht eine Lichtwellenlänge von ` =
2πc/ω, d.h. die natürlich Linienbreite ist
!2
8π2 q2 −2
−1 cm
Γ=
` = 0.22 s
(2.69)
3me c 0
`0
für Wellenlängen im Bereich des sichtbaren Lichts ist `0 ≈ 5 ×
10−5 cm, also Γ ≈ 108 s−1
26
KAPITEL 2. SCHWINGUNGEN
• umgerechnet in Wellenlängen entspricht dem eine Breite von
d`
2πc
Γ
δ` = Γ = 2 = `0
(2.70)
dω `0
ω0
ω0
mit ω0 = 2πc/`0 ≈ 3.8 × 1015 s−1 für `0 ≈ 5 × 10−5 cm folgt
δ` ≈ 1.3 × 10−12 cm ≈ 1.3 × 10−4 Å
Kapitel 3
Drehimpuls und Energie
3.1
3.1.1
Kinematik in drei Dimensionen
Bahnkurve, Tangential- und Normalvektoren
• der Ort ~x eines Massenpunkts ändert sich in der Regel mit der
Zeit; die durchlaufenen Punkte ~x(t) bilden seine Bahnkurve; in
drei Dimensionen wird sie dargestellt durch die drei Komponenten


 x1 (t) 


~x(t) =  x2 (t) 
(3.1)


x3 (t)
• das infinitesimale Element der Bogenlänge längs der Bahnkurve
ist gegeben durch
d~x ds = d~x(t) = dt = ~v(t) dt ,
(3.2)
dt die Bogenlänge also durch
Z t
~v(t0 ) dt0 ;
s=
(3.3)
0
das ist die zwischen den Zeiten 0 und t zurückgelegte Strecke
• für viele Zwecke ist eine Umparametrisierung günstig, die statt
der Zeit t die Bogenlänge s verwendet; das ist möglich, weil s mit
der Zeit monoton wächst; ~x(t) → ~x(s)
• der Tangentialvektor an die Bahnkurve ist
~τ =
d~x
ds
(3.4)
er ist per Definition der Bogenlänge s ein Einheitsvektor, ~τ = 1
27
28
KAPITEL 3. DREHIMPULS UND ENERGIE
• der Vektor
−1
d~τ d~τ ~nH =
ds ds heißt Hauptnormalenvektor; er steht senkrecht auf ~τ:
d(~τ2 )
d~τ
= 2~τ ·
=0,
ds
ds
~τ2 = 1 ⇒
(3.5)
(3.6)
also ist ~nH ⊥ ~τ
• es gibt einen weiteren, von ~nH linear unabhängigen Normalenvektor zu ~τ, den Binormalenvektor
~nB = ~τ × ~nH
3.1.2
Tangential- und Hauptnormalenvektor bei der Kreisbewegung
(3.7)
Beispiel
• Kreisbewegung,

 cos ωt

~x(t) = R  sin ωt

0



 ,

 − sin ωt

~v(t) = Rω  cos ωt

0



 ,
|~v(t)| = Rω
(3.8)
Bogenlänge
s=
Z
t
Rωdt0 = Rωt
(3.9)
0
Umparametrisierung der Bahnkurve:

 cos s/R

~x(s) = R  sin s/R

0




(3.10)
• Tangentialvektor

 − sin s/R
d~x(s) 
~τ =
=  cos s/R

ds
0
 
  − sin ωt
 
 =  cos ωt
0




(3.11)
mit


 − sin s/R 
d~τ 1
1 
d~τ

= −  cos s/R  , =
ds R


ds
R
0
ergibt sich der Hauptnormalenvektor zu


 cos s/R 


~nH = −  sin s/R  ,


0
und der Binormalenvektor zu

 
 − sin s/R   − cos s/R
 

~nB =  cos s/R  ×  − sin s/R

 
0
0
er steht also senkrecht zur Kreisebene
  
  0 
  
 =  0  ,
1
(3.12)
(3.13)
(3.14)
3.2. DREHIMPULS
3.1.3
29
Tangential- und Normalkomponenten
• allgemein definiert man den lokalen Krümmungsradius in Analogie zum Kreis als
−1
d~τ (3.15)
ρ := ds • Zerlegung der Geschwindigkeit und der Beschleunigung in tangentiale und normale Komponenten:
d~x(t) d~x ds
~v(t) =
=
= |~v(t)| · ~τ
(3.16)
dt
ds dt
die Geschwindigkeit ist also tangential zur Bahnkurve; für die
Beschleunigung ergibt sich
d~τ
d~τ ds
v2
d~v(t) d(v~τ)
=
= v̇~τ+v = v̇~τ+v
= v̇~τ+ ~nH (3.17)
dt
dt
dt
ds dt
ρ
die Beschleunigung hat also eine tangentiale Komponente und
eine Komponente in Richtung der Hauptnormalen, die mit zunehmendem Krümmungsradius abnimmt
~a(t) =
3.2
3.2.1
Drehimpuls
Drehmoment und Drehimpuls
• das Moment einer Kraft F~ bezüglich des Koordinatenursprungs
wird definiert als
~ := ~r × F~ , | M|
~ = rF sin θ ,
M
(3.18)
~ ist also der Flächenwenn θ der Winkel zwischen ~r und F~ ist; | M|
inhalt des durch ~r und F~ aufgespannten Parallelogramms
• das Moment um eine Achse, die durch den Einheitsvektor ~e gegeben ist, wird definiert als
~ = ~e · (~r × F)
~
Me = ~e · M
(3.19)
• der Drehimpuls um den Koordinatenursprung ist definiert als
~L = ~r × ~p = ~r × m~v
(3.20)
seine Zeitableitung ist offenbar gegeben durch
d~L(t) ˙
~ ,
= ~r × ~p + ~r × ~p˙ = ~r × F~ = M
(3.21)
dt
da ~r˙ = ~v k ~p ist; es gilt demnach der Drehimpulssatz
~L˙ = M
~
(3.22)
~ = 0, bleibt der Drehimpuls
in Abwesenheit von Drehmomenten, M
˙~
erhalten, L = 0
30
KAPITEL 3. DREHIMPULS UND ENERGIE
3.2.2
Wechsel des Bezugssystems
• Wie ändern sich die Bewegungsgleichungen beim Übergang zu
neuen Koordinaten? Ausgangssystem K am Ursprung O mit Achsen ~ei , neues System K 0 am Ursprung O0 mit Achsen ~e0i
• Verschiebung des Ursprungs um konstanten Vektor ~a; sei ~x der
Ortsvektor im alten System, dann gilt offenbar
~x0 = ~x − ~a ,
~˙x0 = ~x˙ ,
~¨x0 = ~x¨
(3.23)
damit ändert sich die Bewegungsgleichung zu
~ x, ~x˙, t) → m~¨x0 = F~ 0 (~x0 , ~˙x,0 t) ;
m~x¨ = F(~
~ x0 + ~a, ~˙x,0 t)
F~ 0 (~x0 , ~˙x,0 t) = F(~
(3.24)
Übergang zu neuem Bezugssystem
• wenn K und K 0 denselben Ursprung haben (~a = 0), aber beliebig
gegeneinander verdreht sind, gilt:
xi0 = Ri j x j
(3.25)
mit der orthogonalen Drehmatrix R,
Ri j Rk j = δ i j
bzw.
RRT = 1 ⇒ | det R| = 1
(3.26)
die Drehung heißt eigentlich, wenn det R = 1 ist, anderenfalls
uneigentlich
• da R zeitlich konstant ist, folgt
d
(Ri j x j ) = Ri j ẋ j ,
dt
ẍi0 = Ri j ẍ j
(3.27)
m ẍi0 = Ri j F j (R−1 ~x0 , R−1 ~˙x,0 t) = Fi0 (~x0 , ~˙x,0 t)
(3.28)
ẋi0 =
und die Bewegungsgleichung lautet
• auf diese Weise ist der Übergang zu neuem kartesischen Koordinatensystem möglich; die allgemeine Form der Bewegungsgleichungen bleibt erhalten
• die Komponenten des Drehimpulses ~L sind Li = i jk x j pk , im neuen
Koordinatensystem also
Li0 = i jk x0j p0k = i jk (R jl xl )(Rkm pm ) = i jk R jl Rkm xk pm
(3.29)
• da R orthogonal ist,
R pq Riq = δ pi ,
(3.30)
lässt sich der Ausdruck i jk R jl Rkm zu folgender Form umschreiben
i jk R jl Rkm = p jk δ pi R jl Rkm = p jk Riq R pq R jl Rkm
(3.31)
3.3. ENERGIESATZ FÜR EINEN MASSENPUNKT
31
nun ist außerdem
p jk R pq R jl Rkm = (det R)qlm
(3.32)
und damit folgt
p jk Riq R pq R jl Rkm = ( p jk R pq R jl Rkm )Riq = (det R)qlm Riq
(3.33)
• damit ergibt sich für den transformierten Drehimpuls
Li0 = (det R)Riq (qlm xl pm ) = (det R)Riq Lq
(3.34)
• eine physikalische Größe hat Vektorcharakter, wenn sie sich bei
Koordinatentransformationen wie eine Geschwindigkeit transformiert, also nach
v0i = Ri j v j
det R = 1
für
(3.35)
man unterscheidet
– polare Vektoren:
v0i = Ri j v j
für
det R = ±1
(3.36)
– axiale Vektoren:
a0i = (det R)Ri j a j
(3.37)
der Drehimpuls ist also ein axialer Vektor
• passiv heißt die Drehung, wenn das physikalische System unverändert bleibt, aber das Koordinatensystem gedreht wird; aktiv heißt
sie, wenn das Koordinatensystem bleibt, aber das physikalische
System gedreht wird; mathematisch sind beide äquivalent, physikalisch aber streng verschieden
3.3
3.3.1
Energiesatz für einen Massenpunkt
Energiesatz in einer Dimension
• wie vorher beim freien Fall aus großer Höhe:
m ẍ = F(x) ⇒ m ẋ ẍ = ẋF(x) ⇒
mit
Z
m d( ẋ2 )
d
= − V(x)
2 dt
dt
(3.38)
x
F(x0 )dx0 ,
V(x) := −
x0
(3.39)
32
KAPITEL 3. DREHIMPULS UND ENERGIE
wobei x0 frei gewählt werden kann; damit ist
F(x) = −
dV(x)
;
dx
d
dV
− V(x) = − ẋ = −F(x) ẋ
dt
dx
(3.40)
und es gilt
d m 2
ẋ + V(x) = 0
dt 2
(3.41)
• die Energie
m 2
ẋ + V(x)
(3.42)
2
ist also konstant; V(x) ist die potentielle Energie (das Potential)
E :=
• in einer Dimension kann zu einer Kraft F(x), die nicht von ẋ
abhängt, immer ein Potential angegeben werden; wegen der freien
Wahl von x0 ist V(x) nur bis auf eine Konstante bestimmt
• die Potentialänderung hängt mit der verrichteten („geleisteten“)
Arbeit zusammen; Arbeit = Kraft · Weg, also
Z x
dA = Fdx ⇒ A =
F(x0 )dx0 = −V(x)
(3.43)
x0
Einschränkung der Bewegung und
Umkehrpunkte
• aus dem Energiesatz in einer Dimension folgt
m
+ V(x) = E ⇒ ẋ = ±
2
r
2
(E − V)
m
damit lässt sich x(t) implizit angeben:
Z x
dx0
±
= t − t0
q
2
x0
(E
−
V)
m
(3.44)
(3.45)
• offenbar ist Bewegung nur dort möglich, wo E − V ≥ 0 ist, denn
die kinetische Energie T = (m/2) ẋ2 ist positiv-semidefinit, T ≥ 0
• dadurch werden Umkehrpunkte x1,2 definiert, die die Bewegung
begrenzen; bei x = x1 und x = x2 ist V = E und T = 0; das ist die
Bedeutung des ±-Zeichens oben: zwischen den Umkehrpunkten
ist Bewegung in beiden Richtungen möglich; es tritt dann eine
(möglicher Weise nicht harmonische) Schwingung zwischen x1
und x2 auf; sie hat die Schwingungsperiode
Z x2
√ Z x2
dx
dx
= 2m
∆t = 2(t1 − t0 ) = 2
q
√
2
E−V
x1
x1
(E − V)
m
(3.46)
3.3. ENERGIESATZ FÜR EINEN MASSENPUNKT
33
• Beispiel: harmonischer Oszillator,
F = −kx ⇒ V(x) =
k 2
x ,
2
(3.47)
wenn man x0 so wählt, dass bei x = 0 auch V = 0 gilt
• also ist
E=
denn ω0 =
√
m 2 k 2 m 2
ẋ + x =
ẋ + ω20 x2 ,
2
2
2
(3.48)
k/m; Umkehrpunkte werden erreicht, wenn
E=
m 2 2
ω x
2 0
(3.49)
ist, also bei
s
x1,2 = ±
2E
mω20
(3.50)
• aus der allgemeinen Lösung des harmonischen Oszillators folgt,
dass die Energie
m
E = A20 ω20 = konst.
(3.51)
2
ist; die Umkehrpunkte sind (natürlich) bei x1,2 = ±A0
• damit und aus der allgemeinen Formel ergibt sich die Schwingungsperiode zu
2π
∆t =
(3.52)
ω0
• aus der Bewegungsgleichung für den gedämpften harmonischen
Oszillator folgt
d m 2
ẋ + V(x) = −b ẋ2
(3.53)
dt 2
mit V(x) = (k/2)x2 ; die Energie nimmt also ab, denn −b ẋ2 ≤ 0; es
handelt sich um ein dissipatives System
3.3.2
Energiesatz in drei Dimensionen
• aus der Bewegungsgleichung folgt nach Multiplikation mit ~x˙
d m ˙2 ~ d~x
~x = F ·
m~x¨ = F~ ⇒
dt 2
dt
(3.54)
• analog zum eindimensionalen Fall ist
T=
~p2
m ˙2
~x =
2
2m
(3.55)
34
KAPITEL 3. DREHIMPULS UND ENERGIE
die kinetische Energie; die infinitesimale Änderung der kinetischen Energie ist die von der Kraft F~ längs des Wegelements d~x
verrichtete Arbeit δA,
m d ~x˙2 = F~ · d~x = δA
(3.56)
2
die Leistung ist die pro Zeiteinheit verrichtete Arbeit,
Leistung =
d~x
Arbeit
= F~ ·
Zeiteinheit
dt
(3.57)
• um aus der Bewegungsgleichung auf eine Erhaltungsgröße zu
schließen, müsste
d~x
F~ ·
(3.58)
dt
sich als Zeitableitung einer anderen Funktion schreiben lassen, es
müsste also gelten
d~x dA
=
(3.59)
F~ ·
dt
dt
d.h. F~ · d~x = δA müsste ein vollständiges Differential sein; das ist
im Allgemeinen nicht der Fall, gilt aber für die wichtige Klasse
der Potentialkräfte, die gegeben sind durch
~ x)
F~ = −grad V(~x) = −∇V(~
(3.60)
~ ist der Nabla-Operator,
• ∇
~ =
∇
∂
∂
∂
~e1 +
~e2 +
~e3
∂x1
∂x2
∂x3
!
(3.61)
d.h. die Kraftkomponenten sind
Fi = −
∂V
, 1≤i≤3
∂xi
(3.62)
• für solche Kräfte gilt offenbar
d~x
~ · d~x = − d V(~x)
F~ ·
= −∇V
dt
dt
dt
(3.63)
bzw. in Differentialform
!
∂V
∂V
∂V
F~ · d~x = −
dx1 +
dx2 +
dx3 = −dV(~x)
∂x1
∂x2
∂x3
damit ist dann wieder
m 2
~v + V(~x) = T + V = E = konst.
2
(3.64)
(3.65)
~ heißen konservativ, anderenfalls dissipa• Potentialkräfte F~ = −∇V
tiv
3.3. ENERGIESATZ FÜR EINEN MASSENPUNKT
35
Beispiele für Potentialkräfte
• harmonischer Oszillator in drei Dimensionen:
k
~ = −k~x
V = ~x2 , F~ = −∇V
2
(3.66)
• Zentralkräfte zeigen zu einem festen Zentrum hin oder davon weg;
der Betrag der Kraft hängt nur vom Abstand von diesem Zentrum
ab; wenn das Zentrum im Ursprung liegt, gilt:
~x
F~ = F(r)~er = F(r)
r
solche Kräfte haben immer ein Potential, nämlich
Z r
V(r) = −
F(r0 )dr0 ,
(3.67)
(3.68)
r0
denn dann ist für 1 ≤ i ≤ 3
Z r
Z r
∂
d
∂r
xi
0
0
Fi =
F(r )dr =
F(r0 )dr0 ·
= F(r)
∂xi r0
dr r0
∂xi
r
3.3.3
(3.69)
Wann sind Kräfte Potentialkräfte?
• wenn eine Kraft eine Potentialkraft ist, dann ist die zwischen zwei
Punkten verrichtete Arbeit vom Weg unabhängig,
Z ~x1
Z ~x1
Z ~x1
~ x)·d~x = −
~ x)·d~x = −
F(~
∇V(~
dV = − V(~x1 ) − V(~x0 ) ,
~x0
~x0
~x0
(3.70)
sie hängt nur von den Endpunkten ab
• offenbar muss dann auch gelten
I
~ x) · d~x = 0 ,
F(~
(3.71)
d.h. das Integral über die Kraft längs eines geschlossenen Weges
muss verschwinden
• wenn F~ eine Potentialkraft ist, gilt wegen
∂2 V
∂2 V
=
∂xi ∂x j ∂x j ∂xi
(3.72)
offenbar auch
∂Fi ∂F j
−
=0
∂x j ∂xi
dies gilt für alle 1 ≤ i ≤ 3 und j , i, also
∂F1 ∂F2
−
∂x2 ∂x1
und alle zyklischen Vertauschungen davon
(3.73)
(3.74)
36
KAPITEL 3. DREHIMPULS UND ENERGIE
• die Rotation eines Vektorfeldes F~ ist definiert durch
∂F3 ∂F2 ∂F1 ∂F3 ∂F2 ∂F1
rot F~ =
−
,
−
,
−
∂x2 ∂x3 ∂x3 ∂x1 ∂x1 ∂x2
bzw.
oder
!
(3.75)
~ i = i jk ∂Fk
(rot F)
∂x j
(3.76)
~ × F~
rot F~ = ∇
(3.77)
• damit folgt die hinreichende Bedingung
~ ⇒ ∇
~ × F~ = 0
F~ = −∇V
(3.78)
d.h. die Rotation einer Potentialkraft verschwindet
• die Notwendigkeit dieser Bedingung zeigt der Satz von Stokes:
Sei G ein einfach zusammenhängendes Gebiet mit Randkurve ∂G,
dann ist
I
ZZ
~ × F)
~
~ · dA
~,
F · d~x =
(∇
(3.79)
∂G
G
~ das gerichtete Flächenelement auf G ist
wobei dA
~ × F~ = 0, dass
• also folgt aus ∇
I
F~ · d~x = 0
(3.80)
∂G
ist, und damit muss F~ eine konservative Kraft sein
• eine Kraft F~ ist also dann und nur dann eine Potentialkraft, wenn
~ × F~ = 0 ist
∇
Beispiele
• Zentralkraft, F~ = F(r)~x/r
∂ x3 ∂ x2 F(r)
−
F(r)
∂x2
r
∂x3
r
dF(r) x3 x2 dF(r) x2 x3
=
−
=0
dr
r
dr
r
~ × F)
~1 =
(∇
(3.81)
~ × F(~
~ x) = 0 und
analog für die anderen Komponenten, also ist ∇
~
F(~x) ist eine Potentialkraft
• gegeben sei die Kraft

 −x2 /r2
~ x) =  x1 /r2
F(~

0




(3.82)
3.4. BEISPIEL: BEWEGUNG IN KONSTANTEM SCHWEREFELD37
~ × F(~
~ x) = 0, aber das Integral über F~ längs
offenbar ist auch hier ∇
der geschlossenen Kurve


 cos φ 


~x(φ) = R  sin φ  , 0 ≤ φ < 2π
(3.83)


0
beträgt
I
Z
~
F · d~x =
0
2π
d~x
F~ · dφ =
dφ
Z
2π
(sin2 φ + cos2 φ)dφ = 2π , 0
0
(3.84)
die Kraft ist also nicht konservativ! Grund: wegen der Singularität
bei x1 = 0 = x2 ist das von der Kurve eingeschlossene Gebiet nicht
einfach zusammenhängend!
3.4
Beispiel: Bewegung in konstantem Schwerefeld
• Bewegungsgleichung in drei Dimensionen
g
m~x¨ = −mg~e3 ⇒ ~x(t) = ~x0 + ~v0 t − t2~e3
2
(3.85)
• mit den Anfangsbedingungen

 v1,0

~v0 =  0

v3,0




(3.86)
(Bewegung in der x1 -x3 -Ebene) folgt


v1,0 t

0
~x(t) = 

v3,0 t − (g/2)t2




(3.87)
~x0 = 0 ,
wir können die Zeit t durch t = x1 /v1,0 eliminieren und erhalten
!2
v3,0
g x1
x1 −
(3.88)
x3 (x1 ) =
v1,0
2 v1,0
das ist die Wurfparabel
• der Scheitel wird erreicht, wenn ẋ3 = 0 ist, also v3,0 − gt = 0 oder
t = v3,0 /g, dann ist
v23,0
1 v3,0 1 v3,0
x3 =: h =
−
=
,
g
2 g
2 g
2
2
x1 = v1,0
und die Wurfweite ist genau doppelt so groß,
v1,0 v3,0
l=2
g
v3,0
g
(3.89)
(3.90)
38
KAPITEL 3. DREHIMPULS UND ENERGIE
Kapitel 4
Bewegung unter dem Einfluss
einer Zentralkraft
4.1
Allgemeine Lösung
• das Kraftzentrum sei im Koordinatenursprung; wir haben in Kapitel 3 gesehen, dass Zentralkräfte immer ein Potential haben,
das wir explizit konstruieren konnten (3.68); wir bezeichnen im
Folgenden |~x| = r und ~er = ~x/r
• unter dem Einfluss einer Zentralkraft bleibt der Drehimpuls erhalten, denn
d~L
~ = ~x × F~ = 0
=M
(4.1)
dt
wegen F~ k ~x; außerdem ist
~x · ~L = ~x · (~x × ~p) = ~p · (~x × ~x) = 0
(4.2)
d.h. die Bewegung verläuft vollständig in einer Ebene senkrecht
zu ~L, der Bahnebene; wir wählen als Bahnebene die x1 -x2 -Ebene,
dann sind L3 = |~L| und ~L = L3~e3
• im infinitesimalen Zeitintervall dt überstreicht der Ortsvektor ~x
das Flächenelement
h
i
~ = 1 ~x × (~x˙dt)
dA
(4.3)
2
also ist
~
~L
dA
=
= konst.
(4.4)
dt
2m
im Zentralfeld besagt der Drehimpulssatz also, dass die Flächengeschwindigkeit konstant ist, d.h. dass der Fahrstrahl in gleichen
Zeiten gleiche Flächen überstreicht; das ist bereits das 2. Keplersche Gesetz
39
zum Flächensatz
40KAPITEL 4. BEWEGUNG UNTER DEM EINFLUSS EINER ZENTRALKRAF
• wir führen nun Polarkoordinaten in der Bahnebene ein:






 cos ϕ(t) 
 cos ϕ 
 − sin ϕ 






~x(t) = r(t)  sin ϕ(t)  , ~x˙(t) = ṙ(t)  sin ϕ  + rϕ̇  cos ϕ 






0
0
0
(4.5)
• der Betrag des Drehimpulses ist dann gegeben durch
Polarkoordinaten in der Bahnebene
L3
= r cos ϕ(ṙ sin ϕ + rϕ̇ cos ϕ) − r sin ϕ(ṙ cos ϕ − rϕ̇ sin ϕ) = r2 ϕ̇
m
(4.6)
also


 0 
~L =  0 
(4.7)


mr2 ϕ̇
• wegen
~x˙2 = ṙ2 + r2 ϕ̇2
lautet der Energiesatz
m 2
ṙ + r2 ϕ̇2 + V(r) = konst.
E=
2
mithilfe des Drehimpulssatzes können wir ϕ̇ eliminieren,
ϕ̇ =
L3
mr2
(4.8)
(4.9)
(4.10)
mit L3 = konst., und damit
20
" 2
#
L3
m 2
E = ṙ +
+ V(r)
2
2mr2
Zentrifugalpotential
• der Ausdruck in eckigen Klammern hängt nur von r ab; er heißt
effektives Potential
15
L32
(4.12)
2mr2
der Beitrag des Drehimpulses heißt Zentrifugalpotential; es ist
offenbar abstoßend, denn
UL (r) = V(r) +
10
5
0
(4.11)
0.2 0.4 0.6 0.8 1 1.2 1.4 1.6 1.8
Radius r
Zentrifugalpotential
2
L32
d L32
=
−
≤0
dr 2mr2
mr3
(4.13)
• die Bewegung im effektiven Potential sieht aus wie eine eindimensionale Bewegung; sie hat also die implizite Lösung (3.45)
Z r
dr0
t − t0 =
(4.14)
q
2
r0
0
[E − UL (r )]
m
daraus erhält man r(t), und schließlich ϕ(t) aus dem Drehimpulssatz, ϕ̇ = L3 /(2mr2 ):
Z t
L3 dt0
ϕ − ϕ0 =
(4.15)
2 0
t0 mr (t )
4.2. DAS KEPLERPROBLEM
41
• die Bahnkurve, also r(ϕ), folgt leicht aus
ṙ
dr dr dt
=
=
dϕ dt dϕ ϕ̇
also
dr
=
dϕ
√
2/m[E − UL (r)]
L3 /(mr2 )
(4.16)
(4.17)
woraus folgt
ϕ − ϕ0 = L3
Z
r
r0
dr0
√
r02 2m[E − UL (r0 )]
(4.18)
• wir brauchen zur Lösung sechs Integrationskonstanten (je drei
Anfangsbedingungen für Ort und Geschwindigkeit): ~L, E, ϕ0 und
r0
• finite Bahnen sind geschlossen, wenn sich ϕ−ϕ0 bei jedem Umlauf
um einen rationalen Bruchteil von 2π ändert, denn dann kehrt der
Massenpunkt nach einer ganzen Zahl von Umläufen wieder in den
Ausgangspunkt zurück; im Allgemeinen sind finite Bahnen nicht
geschlossen, außer in Potentialen V(r) ∝ r−1 oder V(r) ∝ r2
• die Bahnen sind symmetrisch zwischen den Umkehrpunkten rmin
und rmax , an denen ṙ = 0 wird
4.2
4.2.1
Das Keplerproblem
Arten der Bewegung
• Annahme: die Sonne sei ortsfest, d.h. die Planeten laufen um
eine unbewegte Zentralmasse (Bemerkungen dazu; geschichtliche
Anmerkungen zu Brahe, Kepler, Newton, Leverrier, Adams)
Tycho Brahe
• wir schreiben die Gravitationskraft als
α ~x
F~G = − 2 , α = GMm
(4.19)
r r
wobei M die Masse der Sonne und m die Masse eines umlaufenden
Körpers sei; m M
• das Gravitationspotential ist
Z
α
α
V(r) =
dr = − + konst.
2
r
r
(4.20)
die Konstante wird so gewählt, dass V(r) → 0 für r → ∞; das
effektive Potential (mit Zentrifugalpotential) ist also
UL (r) =
L32
α
−
2
2mr
r
(4.21)
Johannes Kepler
42KAPITEL 4. BEWEGUNG UNTER DEM EINFLUSS EINER ZENTRALKRAF
• Bemerkungen über finite und infinite Bewegungen, siehe Abbildung
10
Potential
Zentrifugalpotential
effektives Potential
E>0, infinite Bewegung
E<0, finite Bewegung
5
Potentiale
• die Umkehrpunkte rmin und rmax einer finiten Bewegung sind durch
den Energiesatz bestimmt:
m 2
ṙ = 0 ⇒ UL (rmin,max ) = E
(4.22)
2
daraus erhält man
s



2 
L3 
1 
rmin,max =
(4.23)
−α ± α2 + 4E 
2E
2m
(E < 0 für gebundene Bahnen!)
• das Minimum der potentiellen Energie wird erreicht bei der Perihelentfernung (d.h. im sonnennächsten Punkt)
s



2 
L 
1 
−α + α2 + 4E 3 
rmin =
(4.24)
2E 
2m 
0
-5
-10
0
0.5
1
Radius r
1.5
dort muss der umlaufende Körper sich am schnellsten bewegen
2
Potentiale im Gravitationsfeld; finite
und infinite Bewegungen
4.2.2
Form der Bahnen
• aus der allgemeinen Formel (4.18) folgt
Z r
dr0
ϕ − ϕ0 = L3
r r0
02
r
2m E +
(4.25)
α
r0
−
L32
2mr02
• die Variablentransformation u = 1/r, du = −dr/r2 = −u2 dr führt
auf
Z u
du0
ϕ − ϕ0 = −
(4.26)
r
u0
2mE
L32
+
2mα 0
u
L32
− u02
der Ausdruck unter der Wurzel lässt sich umformen in einen konstanten und einen u-abhängigen Term

!2  
!2 
 2mE
αm   0 αm 
 2 + 2  −  u − 2 
(4.27)
L3
L3
L3
und damit kann das Integral ausgeführt werden,
ϕ−
ϕ00
= − arcsin r
u−
αm
L32
2
αm
L32
+
(4.28)
2mE
L32
ϕ00 enthält ϕ0 und die Konstante der letzten Integration
4.2. DAS KEPLERPROBLEM
43
• mit den Definitionen der Konstanten Exzentrizität ε und Bahnparameter p
#1/2
"
2L32 E
L32
ε := 1 + 2
, p :=
(4.29)
αm
αm
ergibt sich
ϕ−
ϕ00
pu − 1
= − arcsin
ε
!
(4.30)
und, aufgelöst nach r, die Bahnkurve
r(ϕ) =
p
1 − ε sin(ϕ − ϕ0 )
(4.31)
wegen sin(ϕ − ϕ00 ) = sin ϕ cos ϕ00 − cos ϕ sin ϕ00 ist sin(ϕ − ϕ00 ) =
− cos ϕ für ϕ00 = π/2, und dann ist
r(ϕ) =
p
1 + ε cos ϕ
(4.32)
das ist die allgemeine Form der Bahnkurve im Keplerproblem; das
Perihel liegt bei ϕ = 0, denn dann ist r(ϕ) minimal
4.2.3
Kreisbahnen
• für ε = 0 ist
E=−
α
α2 m
=−
2
2p
2L3
(4.33)
• da p per Definition konstant ist, ist nach (4.32) r = p = konst.,
d.h. der Körper bewegt sich auf einer Kreisbahn
4.2.4
Ellipsenbahnen
• für ε < 1 muss E < 0 sein; damit verläuft die Bahn vollständig im
Endlichen (1 + ε cos ϕ > 0 für alle ϕ)
• die Bahn ist dann eine Ellipse: nach Definition der Ellipse gilt
r + r0 = 2a,
p wobei a die große Halbachse ist; die kleine Halbachse
ist b = a2 − f 2 , wenn f der Abstand zwischen Brenn- und
Mittelpunkt der Ellipse ist; die numerische Exzentrizität der Ellipse
ist definiert als
√
f
a2 − b2
ε := =
(4.34)
a
a
• für den Vektor ~r0 gilt
~r0 = −~r − 2 f~e1
(4.35)
zur Definition der Ellipse: eine Ellipse ist die Menge aller Punkte einer Ebene, deren Abstandssumme
zu zwei vorgegebenen Punkten, den
Brennpunkten, konstant = 2a ist.
44KAPITEL 4. BEWEGUNG UNTER DEM EINFLUSS EINER ZENTRALKRAF
sein Betragsquadrat ist also
r02 = r2 + 4 f 2 + 4 f r cos ϕ
(4.36)
nach Definition der Ellipse ist außerdem
r02 = (2a − r)2 = 4a2 + r2 − 4ar
⇒ 4r( f cos ϕ + a) = 4(a2 − f 2 )
a(1 − ε2 )
⇒ r =
1 + ε cos ϕ
mit f = εa; das ist identisch mit der Gleichung für die Bahnkurve,
falls p = a(1 − ε2 ) gesetzt wird; damit folgt das 1. Keplersche
Gesetz: Die Planeten bewegen sich auf Ellipsen, in deren einem
Brennpunkt die Sonne steht.
• die Energie ist
E=−
α2 m
(1 − ε2 )
2L32
(4.37)
wegen der Definition von p folgt
L32
α
p
⇒ E=−
(1 − ε ) = =
a αma
2a
2
(4.38)
die Energie hängt offenbar nur von der großen Bahnhalbachse a
ab, während ε durch den Drehimpuls bestimmt wird
• aus dem Flächensatz
dA
L3
=
= konst.
dt
2m
(4.39)
folgt
A = Fläche der Ellipse =
L3
τ
2m
(4.40)
wobei τ die Umlaufzeit ist
• andererseits ist die Fläche einer Ellipse A = πab; wegen
s
√
L32 a
√
2
b = a 1 − ε = ap =
αm
(4.41)
folgt insgesamt
r
A = πL3
a3
L3
4π2 ma3
=
τ ⇒ τ2 =
αm 2m
α
(4.42)
das ist das 3. Keplersche Gesetz: die Quadrate der Umlaufzeiten
der Planeten verhalten sich wie die Kuben ihrer großen Bahnhalbachsen
4.2. DAS KEPLERPROBLEM
4.2.5
45
Parabel- und Hyperbelbahnen
• für ε = 1 ist E = 0, d.h.
p
→ ∞ für ϕ → ±π
(4.43)
r=
1 + cos ϕ
die Bahn ist eine Parabel, denn nach Definition der Parabel ist
2f
r = 2 f − r cos ϕ , also r =
(4.44)
1 + cos ϕ
der umlaufende Körper entweicht damit ins Unendliche
• für ε > 1 ist E > 0, d.h. r → ∞ für 1 + ε cos ϕ → 0; das ist der
Fall für
!
1
π
ϕ̄ = arccos − >
(4.45)
ε
2
wegen r ≥ 0 muss 1 + ε cos ϕ ≥ 0 sein, wodurch |ϕ| ≤ ϕ̄ eingeschränkt wird; die Bahnkurve ist ein Hyperbelast
4.2.6
Der Laplace-Lenz-Runge-Vektor
• folgender Vektor heißt Laplace-Lenz-Runge-Vektor:
~ = 1 (~x˙ × ~L) − ~x
Q
(4.46)
α
r
seine Zeitableitung verschwindet,
~
~x˙ ~x
dQ
1 ¨ ~ ˙ ~˙
=
(~x × L + ~x × L) − + 2 ṙ
dt
α
r r
! ˙
2
1 1
~L − ~x + ~x dr
~
x
×
= −
m r3
r 2r3 dt
~x˙
~x d(~x)2
1 ~
~
=
+
(~
x
×
p
)
×
x
−
mr3
r 2r3 dt
h
i ~x˙ ~x(~x · ~x˙)
= ~x˙ · ~x2 − ~x(~x · ~x˙) − +
=0
r
r3
˙
wobei im ersten Schritt ~L = 0 und ~x¨ = −α~x/r2 (Gravitationsgesetz)
verwendet wurden
~ eine Invariante der Bewegung; außerdem ist offen• also ist auch Q
~ = 0, d.h. Q
~ liegt in der Bahnebene; nun ist
bar ~L · Q
2
h
i
~ = 1 ~x · (~x˙ × ~L) − r = L − r = rQ cos ϕ
~x · Q
(4.47)
α
αm
und daraus ergibt sich
r=
L32 /(αm)
p
=
1 + Q cos ϕ 1 + Q cos ϕ
(4.48)
~ ist die numerische Exzentrizität, und Q
~ zeigt
d.h. der Betrag von Q
in Richtung zum Perihel
zur Definition der Parabel: Eine Parabel ist die Menge aller Punkte einer Ebene, deren Abstand von einer Linie (der Leitlinie) und einem
Punkt (dem Brennpunkt) gleich ist.
46KAPITEL 4. BEWEGUNG UNTER DEM EINFLUSS EINER ZENTRALKRAF
4.3
4.3.1
Mechanische Ähnlichkeit und der Virialsatz
Mechanische Ähnlichkeit
• sei das Potential V(~x) homogen vom Grad k in ~x, d.h.
V(a~x) = ak V(~x)
(4.49)
• transformieren wir ~x und t durch ~x → a~x und t → bt, dann gilt
a
a
~x˙ → ~x˙ , ~x¨ → 2 ~x¨
(4.50)
b
b
• die Bewegungsgleichungen transformieren sich dann nach
a ¨
1 k~
~
x
=
−
a ∇V(~x)
b2
a
sie bleiben offenbar unverändert, wenn
~ x) → m
m~x¨ = −∇V(~
(4.51)
a2
= ak ,
2
b
(4.52)
also b = a1−k/2
gewählt wird
• das bedeutet: wenn V(~x) homogen vom Grad k in ~x ist, dann
lassen die Bewegungsgleichungen Ähnlichkeitstransformationen
zu, wobei sich die Zeitdifferenzen (z.B. zwischen entsprechenden
Bahnpunkten) verhalten wie
!1−k/2
t0
l0
=
(4.53)
t
l
wenn l0 /l das Verhältnis der Bahnabmessungen ist
4.3.2
Beispiele
• harmonischer Oszillator: V ∝ x2 , k = 2; Schwingungsdauer ist
unabhängig von der Amplitude!
• freier Fall im konstanten Schwerefeld: V ∝ x, k = 1:
!1/2
t0
l0
=
t
l
(4.54)
die Quadrate der Fallzeiten verhalten sich wie die Anfangshöhen
• Bewegung im Gravitationsfeld: V ∝ r−1 , k = −1:
!3/2
t0
l0
=
t
l
3. Keplersches Gesetz
(4.55)
4.3. MECHANISCHE ÄHNLICHKEIT UND DER VIRIALSATZ 47
4.3.3
Der Virialsatz
• sei f (~x) homogen vom Grad k in ~x, f (a~x) = ak f (~x), dann ist
d f (a~x)
∂ f (a~x) =
· ~x = k ak−1 f (~x)
∂a
d(a~x)
(4.56)
insbesondere muss dies auch für a = 1 gelten, woraus das EulerTheorem über homogene Funktionen folgt,
~ f (~x) = k f (~x)
~x · ∇
(4.57)
• die kinetische Energie T ist homogen vom Grad 2 in ~v, also gilt
~v ·
∂T
= 2T
∂~v
(4.58)
und weiter
∂T
= ~p ,
∂~v
2T = ~v · ~p =
⇒
d
(~p · ~x) − ~p˙ · ~x
dt
(4.59)
(. . .)dt
(4.60)
• Mittelung über die Zeit
1
h. . .it =
∆t
Z
∆t
0
für ∆t → ∞ führt auf
Z ∆t
d
(~p · ~x)(∆t) − (~p · ~x)(0)
1
(~p · ~x)dt = lim
=0
hT it = lim
∆t→∞
∆t→∞ ∆t 0
dt
∆t
(4.61)
falls die Bewegung vollständig im Endlichen verläuft (z.B. auf
einer gebundenen Bahn)
~ x) folgt daraus der Virialsatz:
• wegen ~p˙ = −∇V(~
~ x)it = k hV(~x)it
2hT it = −h ~p˙ · ~xit = h~x · ∇V(~
(4.62)
die mittlere kinetische Energie ist gleich dem k/2-fachen der mittleren potentiellen Energie
• für das Newtonsche Gravitationsgesetz, V ∝ r−1 , ist k = −1 und
hT it = −hVit
(4.63)
• der Virialsatz hat in der Astronomie sehr große Bedeutung, z.B. für
die Thermodynamik selbstgravitierender Systeme (negative Wärmekapazität)
48KAPITEL 4. BEWEGUNG UNTER DEM EINFLUSS EINER ZENTRALKRAF
Kapitel 5
Mechanik eines Systems von
Massenpunkten
5.1
Bewegung des Schwerpunkts
• gegeben seien N Massenpunkte mit den Massen mi an den Ortsvektoren ~xi , 1 ≤ i ≤ N; die Kraft des i-ten Massenpunkts auf
den j-ten sei F~i j ; zusätzlich wirke auf den i-ten Massenpunkt die
äußere Kraft F~i(e)
Kräfte zwischen zwei Teilchen heben sich paarweise auf.
• das 3. Newtonsche Axiom verlangt
F~ ji = −F~i j ,
F~i j + F~ ji = 0
(5.1)
d.h. die inneren Kräfte müssen sich paarweise aufheben
• die Bewegungsgleichungen lauten
X
mi ~x¨i =
F~ ji + F~i(e)
(5.2)
j,i
• als Schwerpunkt definieren wir
N
X
~ := 1
X
mi ~xi ,
M i=1
wobei
M :=
N
X
mi
(5.3)
i=1
die Gesamtmasse ist
• summiert man die Bewegungsgleichungen, erhält man
N
X
i=1
mi ~x¨i =
X
i, j,i
F~i j +
N
X
i=1
N
N
X
X
1 X~
F~i(e) =
Fi j + F~ ji +
F~i(e) =
F~i(e)
2 i, j,i
i=1
i=1
(5.4)
49
50KAPITEL 5. MECHANIK EINES SYSTEMS VON MASSENPUNKTEN
die inneren Kräfte können zur Dynamik des gesamten Systems
nichts beitragen, da sie sich paarweise aufheben; das Gesamtsystem bewegt sich also so, als wäre seine gesamte Masse in seinem
Schwerpunkt vereinigt und bewege sich aufgrund der Resultierenden aller äußeren Kräfte,
~¨ =
MX
N
X
F~i(e)
(5.5)
i=1
Beispiel für ein System von Massenpunkten: der Kugelsternhaufen M15
• wenn keine äußeren Kräfte wirken, ist offenbar
~¨ = 0 ⇒ M X
~˙ = konst. =
MX
N
X
mi ~xi =
N
X
i=1
~
~pi =: P
(5.6)
i=1
d.h. der Gesamtimpuls bleibt erhalten; der Schwerpunkt bewegt
sich dann nach
~
~ =X
~ 0 + P (t − t0 )
(5.7)
X(t)
M
5.2
Drehimpuls und Energie
• wir nehmen nun an, dass die inneren Kräfte zwischen zwei Massenpunkten längs der Verbindungslinie zwischen diesen Punkten
wirken,
F~i j k (~xi − ~x j ) ,
F~i j × (~xi − ~x j ) = 0
(5.8)
Beispiel: Gravitationskräfte zwischen den Sternen eines Kugelsternhaufens
• der Drehimpuls des i-ten Massenpunkts bezüglich des Koordinatenursprungs ist
~Li = ~xi × ~pi = mi (~xi × ~˙x)i
(5.9)
der Gesamtdrehimpuls des Systems von Massenpunkten ist
~L =
N
X
i=1
~Li =
N
X
i=1
mi (~xi × ~x˙i )
(5.10)
5.2. DREHIMPULS UND ENERGIE
51
• seine Zeitableitung ist


N 
N
N
X
X
X  X

d~L



¨
~
~xi ×
~xi × F~i(e)
mi (~xi × ~xi ) =
=
F ji  +
dt
j,i
i=1
i=1
i=1
N
X
1 X
~xi × F~ ji + ~x j × F~i j +
~xi × F~i(e)
=
2 i, j,i
i=1
N
=
=
i X
1 Xh
~xi × F~i(e)
(~xi − ~x j ) × F~ ji +
2 i, j,i
i=1
N
X
~xi × F~i(e)
(5.11)
i=1
da die inneren Kräfte sich paarweise aufheben müssen; innere
Kräfte tragen zum Gesamtdrehimpuls eines Systems von Massenpunkten nicht bei
• das Gesamtmoment der äußeren Kräfte bezüglich des Koordinatenursprungs ist definiert als
~ :=
M
N
X
~xi × F~ (e)
j
(5.12)
i=1
der Drehimpulssatz für ein System von Massenpunkten lautet
demnach
d~L
~
=M
(5.13)
dt
• durch Transformation ins Schwerpunktsystem lässt sich der Gesamtdrehimpuls aufteilen; sei
~
~xi = ~xi∗ + X
(5.14)
dann ist aufgrund der Definition des Schwerpunkts
N
X
mi ~xi∗ =
i=1
N
X
~ =0
mi ~xi − M X
(5.15)
i=1
also ist auch
~˙ + ~˙x∗i ,
~x˙i = X
und
N
X
mi ~˙x∗i = 0
(5.16)
i=1
d.h. der Gesamtimpuls im Schwerpunktsystem verschwindet
52KAPITEL 5. MECHANIK EINES SYSTEMS VON MASSENPUNKTEN
• der Gesamtdrehimpuls lässt sich schreiben als
~L =
N X
N
˙
X
∗
∗
˙
˙
~
~
~xi × mi ~xi =
mi X + ~xi × X + ~xi
i=1
i=1

  N

N
X

 X

˙
˙
∗
∗
˙
~ × MX
~ + X
~×
~ 
= X
mi ~xi  +  mi ~xi × X
i=1
+
N X
i=1
~xi∗ × mi ~˙x∗i
(5.17)
i=1
der zweite und dritte Term verschwindet; der erste ist der Drehimpuls der Bewegung des Schwerpunkts um den Ursprung, der letzte
ist der gesamte innere Drehimpuls,
~L = X
~ × MX
~˙ +
N X
~xi∗ × mi ~˙x∗i
(5.18)
i=1
• wir nehmen nun zusätzlich an, dass die Kräfte zwischen den Massenpunkten Potentialkräfte seien, d.h. es sollen Potentiale V ji zwischen den Massenpunkten i und j existieren, so dass
~ i V ji (|~xi − ~x j |)
F~ ji = −∇
(5.19)
offenbar erfüllen die Potentiale Vi j = V ji und Vii = 0; dabei ist
~ i := ∂
∇
∂~xi
(5.20)
• ebenso sollen die äußeren Kräfte Potentialkräfte sein,
~ i V (e) (~xi )
F~i(e) = −∇
i
(5.21)
• solche Kräfte erfüllen das 3. Newtonsche Axiom, und sie wirken
längs der Verbindungslinie der Massenpunkte
• die Bewegungsgleichungen lauten
X
~ i V ji (|~xi − ~x j |) − ∇
~ i V (e) (~xi )
mi ~x¨i = −
∇
i
(5.22)
j,i
nach Multiplikation mit ~x˙i ergibt eine Summation über alle i
N
X
i=1
mi ~x˙i ~x¨i +
X
i, j,i
~ i V ji (|~xi − ~x j |) +
~x˙i ∇
N
X
~ i V (e) (~xi ) = 0 (5.23)
~x˙i ∇
i
i=1
dies kann als Zeitableitung geschrieben werden,
 N

N
X

d X mi ˙2 1 X

~xi +
V ji (|~xi − ~x j |) +
Vi(e) (~xi ) = 0
dt i=1 2
2 i, j,i
i=1
(5.24)
wobei der Faktor 1/2 vor dem zweiten Term in eckigen Klammern
daher kommt, dass Vi j = V ji ist; das ist der Energiesatz eines
Systems von N Massenpunkten
5.2. DREHIMPULS UND ENERGIE
53
• die gesamte kinetische Energie ist
T=
N X
mi
2
i=1
~x˙i2
(5.25)
die gesamte potentielle Energie ist
N
X
1X
Vi(e) (~xi )
Vi j (|~xi − ~x j |) +
V=
2 i, j
i=1
(5.26)
und die gesamte Energie bleibt erhalten,
E = T + V = konst.
5.2.1
(5.27)
Beipiel: Das Zweikörperproblem
• N = 2 Massenpunkte mit den Massen m1 und m2 ; die Potentiale
lauten
V12 (|~x1 − ~x2 |) = V21 (|~x1 − ~x2 |) =: V(|~x1 − ~x2 |)
(5.28)
und damit die Bewegungsgleichungen
~ 1 V(|~x1 − ~x2 |) ,
m1 ~x¨1 = −∇
~ 2 V(|~x1 − ~x2 |)
m2 ~x¨2 = −∇
(5.29)
der Ortsvektor des Schwerpunkts ist
~ = m1 ~x1 + m2 ~x2
X
m1 + m2
(5.30)
wegen der Abwesenheit äußerer Kräfte bewegt sich der Schwer~¨ = 0
punkt geradlinig-gleichförmig, M X
• zur Abkürzung führen wir den Verbindungsvektor ~z = ~x1 − ~x2 ein;
für ihn lautet die Bewegungsgleichung
~ 1 V(|~z|) + m1 ∇
~ 2 V(|~z|) = −(m1 + m2 )∇V(|~
~ z|) (5.31)
m1 m2~z¨ = −m2 ∇
denn, mit r := |~z|,
~ 1 V = dV ∂r = dV ~z ,
∇
dr ∂~x1
dr r
~ 2 V = dV ∂r = − dV ~z = −∇V(|~z|)
∇
dr ∂~x2
dr r
(5.32)
• das ist die Bewegungsgleichung eines Massenpunkts mit der reduzierten Masse µ in einem äußeren Potential V
µ=
m1 m2
,
m1 + m2
~ z|)
µ~z¨ = −∇V(|~
(5.33)
Schwerpunkt zweier Massenpunkte
gleicher Masse
54KAPITEL 5. MECHANIK EINES SYSTEMS VON MASSENPUNKTEN
• bei m1 = m2 =: m ist die reduzierte Masse µ = m/2, der Schwerpunkt liegt in der Mitte zwischen den beiden Massen;
bei m1 m2 ist die reduzierte Masse µ ≈ m2 ; das entspricht
der Bewegung von m2 um den „festen“ Massenpunkt m1 ; der
~ ≈ ~x1 ; das ist die
Schwerpunkt liegt annähernd am Ort von m1 , X
nachträgliche Rechtfertigung dafür, die Bewegung eines Planeten
um die Sonne durch die Bewegung eines Massenpunktes um die
ortsfeste Sonne anzunähern
5.3
5.3.1
Elastischer Stoß zwischen zwei Teilchen
Erhaltungssätze
• gegeben seien zwei Teilchen mit den Massen m1 und m2 ; ihre
Geschwindigkeiten vor dem Stoß seien ~v1,2 , nach dem Stoß ~v01,2
• Impulserhaltung fordert
m1~v1 + m2~v2 = m1~v01 + m2~v02
(5.34)
Energieerhaltung verlangt
m1 2 m2 2 m1 02 m2 02
~v + ~v2 = ~v1 + ~v2
(5.35)
2 1
2
2
2
Welche Aussagen sind allein aufgrund der Erhaltungssätze möglich?
Transformation auf Schwerpunktkoordinaten
• nach Transformation ins Schwerpunktsystem werden die Massenpunkte durch die Schwerpunktkoordinaten beschrieben,
~ = 1 (m1 ~x1 + m2 ~x2 )
X
(5.36)
M
der Abstand der Teilchen bleibt natürlich erhalten; Geschwindigkeiten und Beschleunigungen transformieren sich wie
~ ∗i V(|~x∗ − ~x∗ |)
~˙ , ~x¨i = ~¨x∗i = −∇
~x˙i = ~x˙i∗ + X
(5.37)
1
2
~,
~xi∗ = ~xi − X
Streuung im Schwerpunktsystem
• im Schwerpunktsystem lauten die Erhaltungssätze
m1 ∗2 m2 ∗2
m1 0∗2 m2 0∗2
~v1 + ~v2 =
~v + ~v2
2
2
2 1
2
~v0∗
+
m
m1~v∗1 + m2~v∗2 = m1~v0∗
2
1
2 = 0
(5.38)
(der Gesamtimpuls im Schwerpunktsystem verschwindet nach
Definition, vgl. 5.16); damit ist offenbar
m1~v∗1 = −m2~v∗2 ,
m1~v0∗
v0∗
1 = −m2~
2
(5.39)
der Winkel zwischen der Einfalls- und der Ausfallsrichtung heißt
Streuwinkel ϑ∗ ; er ist (im Schwerpunktsystem!) für beide Teilchen
gleich
5.3. ELASTISCHER STOSS ZWISCHEN ZWEI TEILCHEN
55
• setzt man (5.39) in den Energiesatz (5.35) ein, um ~v∗2 bzw. ~v0∗
2 zu
eliminieren, folgt
!2
!2
m1 0∗
m1 ∗
0∗2
∗2
~v
~v
= m1~v1 + m2
m1~v1 + m2
m2 1
m2 1
⇒ |~v∗1 | = |~v0∗
|~v∗2 | = |~v0∗
1| ,
2 | (5.40)
die Beträge der Geschwindigkeiten vor und nach dem Stoß sind
also für beide Massenpunkte gleich!
• damit sind die Erhaltungssätze erschöpft, sie machen also über den
Streuwinkel keine Aussage; 0 ≤ ϑ∗ ≤ π, er hängt vom wirksamen
Kraftgesetz ab (z.B. bei der Coulombstreuung)
5.3.2
Transformation der Streuwinkel
• wenn der Massenpunkt 2 im Laborsystem ruht, ~v2 = 0, dann ist
~˙ = m1 ~v1
X
M
(5.41)
also ist
~˙ = ~v∗1 + m1 ~v1 ⇒ ~v∗1 = m2 ~v1
~x˙1 = ~v1 = ~v∗1 + X
M
M
(5.42)
entsprechend gilt für die Rücktransformation nach dem Stoß
~v01 = ~v0∗
1 +
m2
~v1
M
(5.43)
• nun ist offenbar
∗
0
v0∗
1 sin ϑ = v1 sin ϑ1 ,
∗
v01 cos ϑ1 = v0∗
1 cos ϑ +
m1
v1
M
(5.44)
und daraus folgt für den Tangens des Streuwinkels ϑ1 im Laborsystem
v∗1 sin ϑ∗
sin ϑ∗
m2
=
=
tan ϑ∗
∗
∗
∗
v1 cos ϑ + (m1 /M)v1 cos ϑ + (m1 /m2 )
M
(5.45)
• wegen ~v2 = 0 ist
~v∗2 = −
m1
M
(5.46)
~˙ ~v0∗ und ~v0 gebildet wird
deswegen ist das Dreieck, das aus X,
2
2
(Dreieck ABC in nebenstehender Skizze), gleichschenklig; die
Winkel BAC und ACB sind daher gleich ϑ2 , und weil der Winkel
ABC gleich ϑ∗ ist, folgt
π − ϑ∗
ϑ2 =
2
zur Transformation des Streuwinkels
3.5
m1/m2=0.01
m1/m2=0.5
m1/m2=0.9
m1/m2=1
m1/m2=1.1
m1/m2=2
m1/m2=10
3
2.5
2
θ1
tan ϑ1 =
1.5
1
(5.47)
0.5
0
0
0.5
1
1.5
2
2.5
3
θ*
Streuwinkel ϑ1 im Laborsystem als
Funktion des Streuwinkels ϑ∗ im
Schwerpunktsystem für verschiedene Massenverhältnisse
56KAPITEL 5. MECHANIK EINES SYSTEMS VON MASSENPUNKTEN
• für m1 m2 ist ϑ1 ≈ ϑ∗
• für m1 < m2 sind alle Streuwinkel 0 ≤ ϑ1 ≤ π
• für m1 ≥ m2 gibt es einen maximalen Streuwinkel mit
m2
sin ϑmax
=
1
m1
∗
für m1 = m2 ist ϑ1 = ϑ /2 und ϑ2 = π/2 − ϑ1
5.3.3
(5.48)
Beispiel: Energieübertrag bei elastischer Streuung
• Beispiel: Neutron der Masse m streut an einem Kern der Masse
Am, der im Laborsystem im Ursprung ruhend angenommen wird
(~v2 = 0); seine kinetische Energie vor und nach dem Stoß sind
T = m~v21 /2 bzw. T 0 = m~v02
1 /2
• nach (5.37) und (5.41) ist
!2
~v1
˙ 2
02
0∗
0∗
~
~v1 = ~v1 + X = ~v1 +
1+A
~v21
2
0∗
∗
= ~v0∗2
+
|~
v
||~
v
|
cos
ϑ
+
1
1
1+A 1
(1 + A)2
wegen der Energieerhaltung (5.40) und (5.41) gilt ferner
!2
A 2
~v1
0∗2
∗2
2
~v1 = ~v1 = ~v1 −
= ~v1
1+A
1+A
eingesetzt in (5.49) bedeutet dies
"
#
2A
02
2
∗
~v1 = ~v1 1 +
(cos ϑ − 1)
(1 + A)2
(5.49)
(5.50)
(5.51)
• für die relative Änderung der kinetischen Energie ergibt sich damit
~v02
2A
T − T0
= 1 − 12 =
(1 − cos ϑ∗ )
2
T
(1
+
A)
~v1
(5.52)
• Mittelung über ϑ∗ ergibt unter der Annahme, dass die Streuwinkel
im Schwerpunktsystem gleichverteilt sind
*
+
Z 2π Z π
T − T0
1
2A
=
dϕ
(1 − cos ϑ∗ ) sin ϑ∗ dϑ∗
2
T
4π 0
0 (1 + A)
Z 1
A
2A
(1 − µ)dµ =
(5.53)
=
2
(1 + A) −1
(1 + A)2
das ist der mittlere, relative Energieverlust des Neutrons
• er wird maximal, wenn A = 1 gilt, d.h. die Streuung von Neutronen
an Atomkernen bremst die Neutronen dann am effektivsten ab,
wenn die Atomkerne möglichst leicht sind; Neutronenmoderation
z.B. mit Wasser
5.4. STREUUNG
5.4
5.4.1
57
Streuung
Streuwinkel
• ein Teilchenstrahl falle auf ein Target, die Teilchen (der Masse
m) werden abgelenkt (gestreut); wie sind die gestreuten Teilchen
verteilt, wenn die Wechselwirkung durch die Kraft F~ = −α/r2
beschrieben werden kann?
• Energie und Drehimpuls sind beide konstant,
E=
m 2
v ,
2 ∞
L3 = bmv∞
(5.54)
die Energie ist positiv, die Bahn also eine Hyperbel; wir nehmen
an, dass das Target in Ruhe bleibt
• aus der Behandlung des Keplerproblems (4.45) wissen wir, dass
die Asymptote an einen Hyperbelast mit der Symmetrieachse den
Winkel
!
1
ϕ̄ = arccos −
.
(5.55)
ε
einschließt; damit ist der Streuwinkel ϑ = 2ϕ̄ − π, also
ϑ
π
1
(5.56)
sin = sin ϕ̄ −
= − cos ϕ̄ =
2
2
ε
• die numerische Exzentrizität war (4.29, Seite 43)
"
#1/2
2L32 E
ε= 1+ 2
αm
(5.57)
für eine Zentralkraft der Form F(r) = −α/r2 ; mit (5.54) folgt
daraus
"
#1/2
(bmv2∞ )2
ε= 1+
(5.58)
α2
und mit (5.56) ergibt sich der Zusammenhang zwischen dem Stoßparameter und dem Streuwinkel
! 2
1
α
2
b =
−1 2 4
(5.59)
2
m v∞
sin ϑ/2
5.4.2
Streuquerschnitt
• der differentielle Wirkungsquerschnitt für die Streuung ist definiert
als
!
dσ
Anzahl der pro Sek. nach [ϑ + dϑ] ausfallenden Teilchen
dΩ =
dΩ
Anzahl der pro Sek. einfallenden Teilchen
(5.60)
58KAPITEL 5. MECHANIK EINES SYSTEMS VON MASSENPUNKTEN
• Anzahl der pro Sekunde gestreuten Teilchen, die innerhalb von
[b, b + db] einfallen:
∂b
(5.61)
nvdt bdb dψ = nvdt b(ϑ, v∞ ) (ϑ, v∞ ) dϑdψ
∂ϑ
die Anzahl der pro Sekunde einfallenden Teilchen ist nvdt; daraus
ergibt sich der differentielle Streuquerschnitt als
∂b
1
dσ
= b(ϑ, v∞ ) (ϑ, v∞ )
(5.62)
dΩ
∂ϑ
sin ϑ
(das Raumwinkelelement ist dΩ = sin ϑdϑdψ); mit (5.59) erhält
man
α2
cos ϑ/2
α2
1
dσ
=
=
,
3
4
2
4
2
dΩ 2m v∞ sin ϑ/2 sin ϑ 4(2E) sin ϑ/2
(5.63)
wobei sin ϑ = 2 cos ϑ/2 sin ϑ/2 und 2E = mv2∞ verwendet wurden
• für Streuung von Elektronen an Kernen der Ladungszahl Z ist
α = Ze2 , woraus man die Rutherfordsche Streuformel erhält,
(Ze2 )2
ϑ
dσ
=
sin−4
2
dΩ 4(2E)
2
5.4.3
(5.64)
Streuung unter kleinen Winkeln
• wenn die Ablenkung durch die Streuung klein ist (etwa weil der
Stoßparameter groß ist), vereinfacht sich die Berechnung des Streuquerschnitts wesentlich; man kann dann direkt im Laborsystem
rechnen, weil die Rückwirkung von m1 auf m2 vernachlässigt und
daher m2 → ∞ angenommen werden kann
• demnach liege m2 fest im Ursprung und m1 falle längs der x-Achse
ein; für die y-Komponente seiner Geschwindigkeit nach dem Stoß
gilt
v0y = v2 sin ϑ1 = v∞ sin ϑ1 ≈ v∞ ϑ1
(5.65)
• außerdem ist die y-Komponente der Geschwindigkeit
Z ∞
0
m1 vy =
Fy dt
(5.66)
−∞
wobei
∂V
dV ∂r
dV y
=−
=−
(5.67)
∂y
dr ∂y
dr r
die y-Komponente der Kraft ist; das Integral über die Kraft kann
nun längs der ungestörten Bahn ausgeführt werden, weil Fy bereits
eine kleine Größe ist, also
Z
2b ∞ dV dx
0
m1 vy = −
(5.68)
v∞ 0 dr r
Fy = −
denn dt = dx/v∞
5.4. STREUUNG
59
• die Integration über dx kann durch eine Integration über dr ersetzt
werden; aus r2 = b2 + x2 folgt rdr = xdx und
dx = √
rdr
(5.69)
r 2 − b2
daraus ergibt sich mit (5.65)
2b
ϑ1 = −
m1 v2∞
∞
Z
b
dV
dr
√
dr r2 − b2
(5.70)
• auch in der Gleichung (5.62) kann statt sin ϑ ≈ ϑ eingesetzt werden,
dσ db b
= (5.71)
dΩ dϑ ϑ
Beispiel: Ablenkung von Licht im Gravitationsfeld
• wenn man Licht als einen Strom von Teilchen auffasst, auf die
die Gravitationskraft wirkt, folgt, dass Lichtstrahlen von Massen
abgelenkt werden, an denen sie vorübergehen
• mit V = (Gm1 m2 )/r ergibt (5.70)
2Gm2 b
ϑ1 =
c2
Z
b
∞
dr
2Gm2 b
=
√
c2
r2 r2 − b2
∞
√
2Gm
r2 − b2 = 2 2
2
br cb
b
(5.72)
• mit dem in (1.68) eingeführten Schwarzschild-Radius
RS =
2Gm2
c2
(5.73)
RS
b
(5.74)
folgt
ϑ1 =
• das ist eine heuristische Betrachtung, die erst in der Allgemeinen
Relativitätstheorie korrekt durchgeführt werden kann; dort ergibt
sich als Ablenkwinkel das Doppelte des aufgrund der Newtonschen Gravitation erwarteten Winkels,
ϑ=
2RS
b
(5.75)
• die Masse der Sonne ist M = 2 · 1033 g, ihr Schwarzschild-Radius
der Sonne ist also RS, = 3 km; ein Lichtstrahl, der genau den
Sonnenrand bei b = 696000 km passiert, wird demnach um den
Winkel ϑ = 1.700 abgelenkt; dieser Wert wurde 1919 während einer
Sonnenfinsternis nachgewiesen
60KAPITEL 5. MECHANIK EINES SYSTEMS VON MASSENPUNKTEN
Kapitel 6
Systeme mit Nebenbedingungen
6.1
Das d’Alembertsche Prinzip
6.1.1
Nebenbedingungen und verallgemeinerte Koordinaten
• Beispiele für Nebenbedingungen: Kinder auf einer Rutschbahn,
zwei Massenpunkte an einer Stange, Kugelbahnen usw.
• Freiheitsgrade: unabhängige Parameter, die zur vollständigen Charakterisierung der Lage des Systems notwendig sind; Beispiele:
ein System von N Massenpunkten ohne Nebenbedingungen hat
f = 3N Freiheitsgrade (N Ortsvektoren ~xi mit je drei Komponenten); zwei Massenpunkte an einer Stange haben f = 3 · 2 − 1 = 5
Freiheitsgrade, weil die Stange eine Nebenbedingung stellt; ein
starrer Körper hat f = 6 Freiheitsgrade, nämlich die Lage seines
Schwerpunkts und drei Winkel, die seine Orientierung im Raum
angeben
• Arten von Zwangsbedingungen: oft können Zwangsbedingungen
durch Gleichungen der Art
fi (~x1 , . . . , ~xN , t) = 0 ,
1≤i≤r
(6.1)
ausgedrückt werden, die r Bedingungen an die N Ortsvektoren der
Massenpunkte stellen; wir nehmen an, dass die fi genügend oft
differenzierbar sind und die Matrix
 ∂ f1 ∂ f1

 ∂x11 ∂x12 . . . ∂x∂ f3N1 
 .
..
.. 
(6.2)
 ..
.
. 
 ∂ fr ∂ fr

∂ fr 
. . . ∂x3N
∂x11
∂x12
vom Rang r ist, wo fi (~x j , t) = 0 erfüllt ist; Beispiele:
61
62
KAPITEL 6. SYSTEME MIT NEBENBEDINGUNGEN
1. Bewegung auf einer Ebene erfüllt die Bedingung ~x · ~n = 0,
wenn ~n der Normalenvektor der Ebene ist
2. Bewegung auf einer Kugel entspricht der Bedingung |~x| =
R = konst., also |~x| − R = 0
Zwangsbedingungen dieses Typs heißen holonom, anderen Typs
nichtholonom; ein Beispiel für eine nichtholonome Zwangsbedingung ist die für die Bewegung innerhalb einer Kugel, |~x| ≤ R
• Bedingungen, die die Zeit explizit enthalten, heißen rheonom,
anderenfalls skleronom (rheos, fließend; skleros, starr)
• bei r Zwangsbedingungen ist die Anzahl der Freiheitsgrade f =
3N − r
• der Konfigurationsraum eines Systems ist der Teil des 3N-dimensionalen
Raums, der von den Koordinaten der N Massenpunkte erreicht
werden kann; die r Bedingungsgleichungen fi definieren einen
(3N − r)-dimensionale Untermannigfaltigkeit im Konfigurationsraum
• Beispiel: der Konfigurationsraum eines freien Massenpunkts ist der
dreidimensionale reelle Raum R3 ; die Zwangsbedingung |~x| = R
definiert eine zweidimensionale Untermannigfaltigkeit, nämlich
eine Kugelschale
• auf dieser (3N − r)-dimensionalen Untermannigfaltigkeit kann die
Lage des Systems durch f = 3N − r unabhängige Parameter qi
angegeben werden, die als neue Koordinaten verwendet werden
können; damit erscheinen die r Zwangsbedingungen als Bedingungen an die Koordinatendarstellung
~xi = ~xi (q1 , . . . , q f ; t) ,
1≤i≤ f
(6.3)
• Beispiel: die Zwangsbedingung für die Bewegung auf der Kugelschale ist |~x| − R = 0; ein Punkt auf einer Kugel mit Radius R kann
durch


 sin ϑ cos ϕ 


~x = R ·  sin ϑ sin ϕ 
(6.4)


cos ϑ
mit 0 ≤ ϑ ≤ π, 0 ≤ ϕ ≤ 2π angegeben werden, d.h. (q1 , q2 ) können
(ϑ, ϕ) repräsentieren
• allgemein heißen die qi verallgemeinerte Koordinaten; sie müssen
nicht die Dimension einer Länge haben (wie das Beispiel der
Winkel auf der Kugel zeigt)
6.1. DAS D’ALEMBERTSCHE PRINZIP
6.1.2
63
Zwangskräfte und Prinzip der virtuellen Arbeit
• diejenigen Kräfte, die die Zwangsbedingungen erzwingen, heißen
Zwangskräfte; Beispiel: eine Kugel gleite unter dem Einfluss der
Schwerkraft F~ reibungsfrei in einer Röhre in der y-z-Ebene, die
durch z = z(y) bzw. f (y, z) = 0 beschrieben wird; nur die Tangentialkomponente von F~ relativ zur Röhre kann eine Bewegung
verursachen, die Normalkomponente muss durch eine Zwangskraft
Z~ kompensiert werden,
Z~ = −F~n = −(F~ · ~n)~n
(6.5)
• die Gleichgewichtslage zeichnet sich dadurch aus, dass die Summe
aus äußeren und Zwangskräften verschwinden muss,
F~ + Z~ = 0 ;
(6.6)
da Z~ normal zur Röhre wirkt, ist dies nur möglich, wenn auch F~
in der Gleichgewichtslage normal zur Röhre gerichtet ist; das ist
im Minimum der Röhre der Fall
• wie kann die Gleichgewichtsbedingung in allgemeinen Fällen
gefunden werden? wir denken uns eine virtuelle (nicht wirkliche,
nur gedachte) Verrückung δ~x des Massenpunkts längs der Röhre,
!
∂ f (x, y)
∂ f (x, y)
δy
δ~x =
,
δy +
δz = 0
(6.7)
δz
∂y
∂z
denn der Massenpunkt muss in der Röhre bleiben; vektoriell
schreibt sich letztere Bedingung
~ f · δ~x = 0
∇
(6.8)
• die virtuelle Verrückung erfordert die virtuelle Arbeit
~ · δ~x
δA = (F~ + Z)
(6.9)
da in der Gleichgewichtslage F~ + Z~ = 0 gilt, ist dort auch δA = 0;
die Gleichgewichtslage ist also dadurch charakterisiert, dass virtuelle Verrückungen aus ihr heraus keine virtuelle Arbeit verrichten
• da δ~x tangential, Z~ normal zur Röhre ist, gilt Z~ · δ~x = 0, d.h. die
Zwangskraft leistet in keiner Lage eine virtuelle Arbeit; in der
Gleichgewichtslage leisten also auch die äußeren Kräfte für sich
genommen keine virtuelle Arbeit; im Gleichgewicht gilt also
F~ · δ~x = 0 ,
~ f · δ~x = 0
∇
(6.10)
das ist das Prinzip der virtuellen Arbeit; umgekehrt legen die
Zwangsbedingungen das Gleichgewicht fest
64
KAPITEL 6. SYSTEME MIT NEBENBEDINGUNGEN
• mithilfe eines Lagrange-Multiplikators λ lassen sich beide Bedingungen aus (6.10) erfüllen,
!
!
∂
f
∂
f
~ f )·δ~x = 0 ⇒ Fy + λ
~ ∇
δy+ Fz + λ
δz = 0 (6.11)
(F+λ
∂y
∂z
~ f · δ~x = 0 stellt einen Zusammenhang zwischen
• die Bedingung ∇
~ f , 0 ist (sollte ∇
~ f = 0 sein, ist die
δy und δz her, wenn ∇
Zwangsbedingung uninteressant, weil jedes δ~x sie erfüllt); sei
etwa ∂ f /∂z , 0, dann lässt sich δz als Funktion von δy angeben,
δz = −
∂ f /∂y
δy
∂ f /∂z
(6.12)
λ muss dann so gewählt werden, dass die Bedingungsgleichung
(6.10) erfüllt ist
• wären die Komponenten δy und δz der virtuellen Verrückung unabhängig, müssten ihre Beiträge zu (6.11) separat verschwinden,
!
!
∂f
∂f
Fy + λ
δy = 0 ,
Fz + λ
δz = 0
(6.13)
∂y
∂z
zusätzlich gilt aber die Zwangsbedingung f (y, z) = 0, die δy und
δz miteinander verknüpft; wir haben also drei Gleichungen für die
drei Unbekannten λ, y und z
~ f , also
• im Gleichgewicht muss F~ normal zur Kurve sein wie ∇
~f ,
F~ = −λ∇
~f
Z~ = λ∇
(6.14)
wobei letztere Gleichung aus der Gleichgewichtsbedingung (6.6)
folgt
• Beispiel: für einen Massenpunkt, der längs einer Parabel gleitet,
ist f (y, z) = z − y2 ; die Schwerkraft ist F~ = −mg~ez ; das Prinzip der
virtuellen Arbeit liefert zunächst für die Gleichgewichtslage
F~ · δ~x = −mgδz = 0
(6.15)
aus der Zwangsbedingung folgt
~ f · δ~x = −2yδy + δz = 0
∇
(6.16)
mit (6.11) ergeben sich damit die drei Gleichungen
− 2λy = 0 ,
−mg + λ = 0 ,
z − y2 = 0
(6.17)
deren Lösung offensichtlich λ = mg und y = 0 = z ist; die
~ f = mg~ez
Zwangskraft ergibt sich daraus zu Z~ = λ∇
6.1. DAS D’ALEMBERTSCHE PRINZIP
6.1.3
65
Allgemeine Formulierung des d’Alembertschen
Prinzips
• gegeben seien N Massenpunkte mit den Ortsvektoren ~xi , 1 ≤ i ≤
N, die sich unter dem Einfluss der äußeren Kräfte F~i bewegen; weiterhin sollen Zwangsbedingungen gelten, die durch Zwangskräfte
Z~ dargestellt werden
• virtuell heißt eine Verrückung δxi , die unendlich klein, mit den
Zwangsbedingungen verträglich und sonst willkürlich ist; wenn
die Zwangskräfte keine virtuelle Arbeit verrichten, d.h.
N
X
Z~i · δ~xi = 0
(6.18)
i=1
erfüllen, dann folgt im Gleichgewicht sofort
N
X
F~i · δ~xi = 0
(6.19)
i=1
im Gleichgewicht verschwindet die virtuelle Arbeit der äußeren
Kräfte
• Beispiel: ein Hebel hat einen Freiheitsgrad, der durch den Drehwinkel ϕ ausgedrückt werden kann; die virtuelle Arbeit bei einer
virtuellen Verrückung δϕ ist
δA = Fa (aδϕ) − Fb (bδϕ) = 0
(6.20)
woraus unmittelbar das Hebelgesetz aFa = bFb folgt
6.1.4
d’Alemberts Prinzip im dynamischen Fall
• die Bewegungsgleichung im dynamischen Fall (d.h. abseits vom
Gleichgewicht) ist
F~i + Z~i = ~p˙ i
(6.21)
seien die Zwangskräfte wieder von der Art, dass (6.18) erfüllt ist,
dann gilt offenbar
N
X
(F~i − ~p˙ i ) · δ~xi = 0
(6.22)
i=1
d.h. man betrachtet − ~p˙ i als Kräfte, die so genannten Trägheitskräfte; die Bewegung verläuft also so, dass die virtuelle Arbeit der
Summe von äußeren und Trägheitskräften verschwindet
66
KAPITEL 6. SYSTEME MIT NEBENBEDINGUNGEN
• Beispiel: ein Massenpunkt der Masse m bewege sich an einem
Ende einer masselosen Stange der Länge l, die in ihrem anderen
Ende drehbar aufgehängt ist; für den Massenpunkt gilt
!
!
!
y
sin ϕ
cos
ϕ
~x =
=l
, ~x˙ = lϕ̇
,
z
− cos ϕ
sin ϕ
!
!
cos
ϕ
−
sin
ϕ
2
~x¨ = lϕ̈
+ lϕ̇
(6.23)
sin ϕ
cos ϕ
Drehung mit konstanter Winkelgeschwindigkeit ϕ̇ erzeugt die
Trägheitskraft
!
˙~p = −m~x¨ = mlϕ̇2 sin ϕ
(6.24)
− cos ϕ
wegen v = |~x˙| = lϕ̇ ist
mv2
− ~p˙ =
,
l
− ~p˙ =
mv2 ~x
l l
(6.25)
das ist die Zentrifugalkraft in diesem speziellen Fall
• Anwendung des d’Alembertschen Prinzips auf das mathematische
Pendel: die Zwangskraft Z~ muss senkrecht zur Bewegung von m
sein; die äußere Kraft ist die Schwerkraft F~ = −mg~ez , die virtuelle
Verrückung, die mit der Zwangsbedingung (Bewegung auf einem
Kreisbogen) verträglich ist, lautet
!
cos ϕ
δ~x = lδϕ
(6.26)
sin ϕ
aus dem d’Alembertschen Prinzip mit der Trägheitskraft (6.23)
folgt dann
(F~ − m~x¨) · δ~x = 0 ⇒ (−mgl sin ϕ − ml2 ϕ̈)δϕ = 0
(6.27)
da δϕ beliebig war, folgt daraus
g
g
ϕ̈ = − sin ϕ = − ϕ[1 + O(ϕ2 )]
l
l
(6.28)
für kleine Auslenkungen ϕ 1 ist dies die Gleichung
eines
p
harmonischen Oszillators mit der Kreisfrequenz ω = g/l
6.2
6.2.1
Lagrange-Gleichungen
Lagrange-Gleichungen erster Art
• gegeben sei wieder ein mechanisches System aus N Massenpunkten; zur Vereinfachung der Notation betrachten wir die 3N Koordinaten xi , 1 ≤ i ≤ 3N, der Massenpunkte statt ihrer N Ortsvektoren;
6.2. LAGRANGE-GLEICHUNGEN
67
das System erfahre die äußeren Kräfte Fi , 1 ≤ i ≤ 3N und unterliege r holonomen Zwangsbedingungen f j (x1 , . . . , x3N ) = 0,
1≤ j≤r
• das d’Alembertsche Prinzip besagt
3N
X
(Fi − mi ẍi )δxi = 0
(6.29)
i=1
wobei die δxi wegen der Zwangsbedingungen die Gleichungen
3N
X
∂ fj
∂xi
i=1
δxi = 0
(6.30)
für 1 ≤ j ≤ r erfüllen müssen
• durch die r Lagrange-Multiplikatoren λ j lassen sich (6.29) und
(6.30) kombinieren:


3N 
r
X
X

∂ f j 
Fi − mi ẍi +
 δxi = 0
λj
(6.31)
∂x
i
i=1
j=1
wegen der r Zwangsbedingungen sind nur 3N −r der Verrückungen
δxi beliebig
• die λ j können nun so gewählt werden, dass die Koeffizienten der r
abhängigen Verrückungen verschwinden; nehmen wir o.B.d.A. an,
das seien die ersten r Verrückungen, dann folgt
Fi − mi ẍi +
r
X
j=1
λj
∂ fj
=0,
∂xi
1≤i≤r
(6.32)
dies ist ein lineares Gleichungssystem für die r Multiplikatoren λ j ,
das eindeutig lösbar ist, wenn
!
∂ fj
det
, 0 , 1 ≤ i, j ≤ r
(6.33)
∂xi
gilt
• die derart bestimmten λ j , 1 ≤ j ≤ r, werden dann in die verbleibenden 3N − r Gleichungen eingesetzt,


3N 
r
X
X

∂ f j 
Fi − mi ẍi +
 δxi = 0
λj
(6.34)
∂x
i
i=r+1
j=1
die δxi , r + 1 ≤ i ≤ 3N, sind nun aber beliebig, also muss gelten
Fi − mi ẍi +
r
X
j=1
λj
∂ fj
=0,
∂xi
r + 1 ≤ i ≤ 3N
dies sind die Lagrange-Gleichungen erster Art
(6.35)
68
KAPITEL 6. SYSTEME MIT NEBENBEDINGUNGEN
• daraus ergeben sich die Komponenten der Zwangskräfte
r
X
∂ fj
λj
Zi =
∂xi
j=1
(6.36)
• Beispiel: eine Perle gleite reibungslos auf einem masselosen Draht,
der sich um eines seiner Enden dreht; die eine Zwangsbedingung
ist, dass die Perle den Draht nicht verlassen kann, also gilt
y
= tan ϕ ⇒ y cos ϕ + x sin ϕ = 0
(6.37)
x
da keine äußeren Kräfte wirken, folgt aus dem d’Alembert-Prinzip
mit dem einen Lagrange-Multiplikator λ
−m ẍ − λ sin ϕ = 0
−mÿ + λ cos ϕ = 0
−x sin ϕ + y cos ϕ = 0
(6.38)
der (wegen der Rotation nahe liegende) Ansatz x = r cos ϕ, y =
r sin ϕ führt auf
!
!
!
ẋ
cos ϕ
− sin ϕ
= ṙ
+ rϕ̇
ẏ
sin ϕ
cos ϕ
!
!
!
ẍ
cos ϕ
− sin ϕ
2
= (r̈ − rϕ̇ )
+ (2ṙϕ̇ + rϕ̈)
(6.39)
ÿ
sin ϕ
cos ϕ
woraus wegen der linearen Unabhängigkeit von sin ϕ und cos ϕ
folgt
m(r̈ − rϕ̇2 ) = 0 , m(2ṙϕ̇ + rϕ̇2 ) = λ
(6.40)
aus der ersten Gleichung sieht man, dass die Zentrifugalkraft mrϕ̇2
als Trägheitskraft auftritt, die die Perle radial nach außen treibt
6.2.2
Lagrange-Gleichungen zweiter Art
• wir führen nun die f = 3N − r verallgemeinerten Koordinaten
qi , 1 ≤ i ≤ f , ein; die kartesischen Koordinaten lassen sich dann
schreiben als
xi = xi (q1 , . . . , q f ; t)
(6.41)
• ausgedrückt durch die qi kann d’Alemberts Prinzip umformuliert
werden; zunächst ist die virtuelle Arbeit der äußeren Kräfte

f X
f
3N
X
X
X
 3N ∂xi 


δAe =
Fi δxi =
Fi
Q j δq j , (6.42)

 δq j =:
∂q j 
i=1
j=1 i=1
j=1
dabei wurden die verallgemeinerten Kraftkomponenten
Q j :=
3N
X
i=1
eingeführt
Fi
∂xi
∂q j
(6.43)
6.2. LAGRANGE-GLEICHUNGEN
69
• die virtuelle Arbeit der Trägheitskräfte ist
δAt = −
3N
X
mi ẍi δxi
(6.44)
i=1
weiter benötigen wir
ẋi =
f
X
∂xi
∂xi
∂ ẋi
∂xi
q̇ j +
⇒
=
∂q j
∂t
∂q̇ j ∂q j
j=1
(6.45)
• damit können wir die virtuelle Arbeit der Trägheitskräfte wie folgt
umformen:
f X
3N
X
∂xi
δq j
δAt = −
mi ẍi
∂q j
j=1 i=1
  3N

 3N
f 
X


∂xi  X
d ∂xi 
 d X

= −
δq(6.46)
mi ẋi
 mi ẋi
 −



 dt
 j
∂q j
dt ∂q j 
j=1
i=1
i=1
die Zeitableitung im zweiten Term können wir vereinfachen:
f
X
∂2 xi
∂2 xi
d ∂xi
=
q̇k +
dt ∂q j
∂q j ∂qk
∂t∂q j
j=1
 f

∂ X ∂xi
∂xi  ∂ ẋi

 =
=
q̇k +
∂q j  j=1 ∂qk
∂t  ∂q j
(6.47)
• setzen wir dies in (6.46) ein, folgt
  3N

 3N
f 
X


∂ ẋi 
∂ ẋi  X
 d X

δAt = −
mi ẋi
δq
 mi ẋi
 −



 dt
 j
∂q̇ j
∂q j 
j=1
i=1
i=1
!
f
X
d ∂T
∂T
= −
−
δq j
(6.48)
dt ∂q̇ j ∂q j
j=1
mit der kinetischen Energie
3N
1X
T=
mi ẋi2
2 i=1
(6.49)
• nun muss die gesamte virtuelle Arbeit der äußeren und der Trägheitskräfte verschwinden, also
!
f
X
d ∂T
∂T
+
δq j
(6.50)
δAe + δAt = 0 =
Qj −
dt ∂q̇ j ∂q j
j=1
da die q j alle beliebig waren, folgt
d ∂T
∂T
−
= Qj ,
dt ∂q̇ j ∂q j
1≤ j≤ f
das sind die Lagrange-Gleichungen zweiter Art
(6.51)
70
KAPITEL 6. SYSTEME MIT NEBENBEDINGUNGEN
• für Potentialkräfte gilt
Fi = −
∂V(xk , t)
∂xi
(6.52)
sodass die verallgemeinerten Kräfte in der Form
3N
X
∂xi ∂V(xk , t)
∂V(xk (ql , t), t)
=−
Qj = −
∂q j ∂xi
∂q j
i=1
(6.53)
geschrieben werden können
• mit der Lagrange-Funktion
L = T − V = T (q, q̇, t) − V(q, t)
(6.54)
lauten die Lagrange-Gleichungen zweiter Art dann einfach
d ∂L ∂L
−
=0;
dt ∂q̇i ∂qi
(6.55)
in dieser Form werden sie gewöhnlich kurz als Lagrange-Gleichungen bezeichnet
6.2.3
Beispiele
• Massenpunkt der Masse m im Feld einer vorgegebenen Potentialkraft:
3
m ˙2
mX 2
T = ~x , L = T − V =
ẋ − V(xi ) ;
(6.56)
2
2 i=1 i
aus den Lagrange-Gleichungen folgen die Bewegungsgleichungen
d
∂V
m ẋi +
=0
dt
∂xi
(6.57)
wie erwartet
• Massenpunkt der Masse m im Feld einer vorgegebenen Zentralkraft; Wahl ebener Polarkoordinaten (r, ϕ) als verallgemeinerte
Koordinaten; das Potential ist V = V(r), und wegen ~x˙2 = ṙ2 +r2 +ϕ̇2
ist die kinetische Energie T = m/2(ṙ2 + r2 ϕ̇2 ); damit lautet die
Lagrange-Funktion
m
L = (ṙ2 + r2 ϕ̇2 ) − V(r)
(6.58)
2
für die beiden verallgemeinerten Koordinaten r und ϕ erhalten wir
die Lagrange-Gleichungen
d(mr2 ϕ̇)
∂V
= 0 , mr̈ − mrϕ̇2 +
=0
(6.59)
dt
∂r
die erste Gleichung formuliert die Drehimpuls-Erhaltung, die zweite die Bewegungsgleichung
Kapitel 7
Extremalprinzipien
7.1
7.1.1
Hamiltons Prinzip der stationären Wirkung
Beispiel: Das Fermatsche Prinzip
• bisher: differentielle Beschreibung, d.h. aus dem Zustand eines
Systems zur Zeit t wird seine Änderung innerhalb der Zeit dt vorhergesagt; jetzt: Übergang zu einer Beschreibung, die die gesamte
Bahn eines Systems zur Grundlage nimmt
• zum Begriff der Bahn: gegeben sei ein System mit f Freiheitsgraden und verallgemeinerten Koordinaten (q1 , . . . , q f ); diese mögen
variieren in einem Bereich B ∈ R f , dem so genannten Konfigurationsraum; durch die Bewegung des Systems zwischen den
Zeitpunkten t0 und t1 > t0 wird eine Kurve im Konfigurationsraum
durchlaufen, die Bahn des Systems
• wir nehmen an, dass die Bewegungsgleichungen des Systems
aus einer Lagrange-Funktion L(q, q̇, t) ableitbar seien; wodurch
unterscheidet sich dann die wirkliche Bahn q(t), t0 ≤ t ≤ t1 ,
zwischen den Punkten P0 und P1 von allen denkbaren anderen
Bahnen q0 (t) mit q0 (t0 ) = q(t0 ) und q0 (t1 ) = q(t1 )?
• ein Beispiel für diese Vorgehensweise liefert das Fermatsche Prinzip der geometrischen Optik, das besagt, dass längs eines tatsächlich realisierten Lichtstrahls die Lichtlaufzeit extremal wird
• betrachten wir als Beispiel den Übergang eines Lichtstrahls aus
dem linken Halbraum mit dem Brechungsindex n1 in den rechten Halbraum mit dem Brechungsindex n2 ; der Lichtstrahl soll
zwischen zwei festen Punkten ~x1 und ~x2 verlaufen
• die Bahnebene des Lichtstrahls sei die x-y-Ebene; die Lichtstrahlen sind in beiden Halbräumen Geraden; der Übergang vom linken
71
72
KAPITEL 7. EXTREMALPRINZIPIEN
in den rechten Halbraum finde im Punkt (0, y) statt; die gesamte
Lichtlaufzeit ist
q
q
n1
n2
2
2
τ=
x1 + (y − y1 ) +
x22 + (y2 − y)2
(7.1)
c
c
weil die Lichtgeschwindigkeit durch die Brechungsindices auf
c/n1,2 reduziert ist; Fermats Prinzip besagt
δτ = 0
(7.2)
• eine kleine Störung δτ bedeutet, dass y leicht verschoben wird
dτ
δy
dy
δτ =
(7.3)
denn die Endpunkte des Lichtstrahls bleiben unverändert; das
ergibt
n2
n1
y − y1
y2 − y
=
(7.4)
p
p
c x2 + (y − y1 )2
c x2 + (y2 − y)2
oder, mit den Winkeln α1,2 der Lichtstrahlen bezüglich der Normalen zur Trennfläche zwischen den beiden Halbräumen
n1 sin α1 = n2 sin α2
(7.5)
das ist das Brechungsgesetz
7.1.2
Hamiltons Prinzip
• diese Vorgehensweise wird nun auf die Mechanik übertragen durch
das Postulat: entlang der wirklichen Bahn wird die Wirkung
t1
Z
S [q(t)] :=
L(q, q̇, t)dt
(7.6)
t0
extremal
• die Wirkung hat die Dimension Energie × Zeit, sie ist ein Funktional der Kurve q(t), d.h. eine Funktion einer Funktion
• das Hamiltonsche Prinzip der stationären Wirkung lautet demnach
δS [q(t)] = δ
"Z
t1
#
L(q, q̇, t)dt = 0
(7.7)
t0
wie man das Extremum eines Funktionals findet, ist Gegenstand
der Variationsrechnung (entwickelt von Leonhard Euler)
7.1. HAMILTONS PRINZIP DER STATIONÄREN WIRKUNG
73
• sei q(t) die wahre Bahn, q0 (t) = q(t) + δq(t) eine leicht gestörte
Bahn, dann muss δS in erster Ordnung in der Störung δq verschwinden, also
Z t1
Z t1
δS =
L(q + δq, q̇ + δq̇, t)dt −
L(q, q̇, t)dt = 0
(7.8)
t0
t0
wir entwickeln bis zur ersten Ordnung in δq:
!
f
X
∂L
∂L
δqi +
δq̇i
L(q + δq, q̇ + δq̇, t) = L(q, q̇, t) +
∂qi
∂q̇i
i=1
(7.9)
woraus folgt
δS =
Z
t0
t1
!
f
X
∂L
∂L
δqi +
δq̇i dt = 0
∂qi
∂q̇i
i=1
(7.10)
• partielle Integration des zweiten Terms nach der Zeit ergibt
!
!
Z t1
Z t1
∂L t1
d ∂L
∂L
−
δq̇i dt =
δqi
(7.11)
∂q̇i
∂q̇i t0
dt ∂q̇i
t0
t0
der erste Term auf der rechten Seite verschwindet, denn die Endpunkte der Bahn werden festgehalten; damit folgt
!
Z t1 X
f
d ∂L ∂L
δS =
dt
−
δqi = 0
(7.12)
dt ∂q̇i ∂qi
t0
i=1
da die δqi beliebig sind, folgen daraus die (bereits bekannten)
Lagrange-Gleichungen (zweiter Art),
d ∂L ∂L
−
=0
dt ∂q̇i ∂qi
(7.13)
• jeder der vorangegangenen Rechenschritte war reversibel, also
ist das Hamiltonsche Prinzip der stationären Wirkung äquivalent
zu den Lagrange-Gleichungen; Analogie: Fermats Prinzip; Extremalprinzipien waren und sind außerordentlich fruchtbar für die
moderne Physik
• das Wirkungsprinzip zeigt, dass die Lagrange-Funktion nicht eindeutig ist: wenn man L durch einen Term ergänzt, der die totale
Zeitableitung einer beliebigen Funktion f (q, t) der Koordinaten
und der Zeit ist,
d f (q, t)
L→ L+
(7.14)
dt
dann ändert sich dadurch die Wirkung um eine Konstante,
S → S + f (q1 , t1 ) − f (q0 , t0 )
(7.15)
die bei der Variation verschwindet; die Bewegungsgleichungen
bleiben dadurch unverändert
74
KAPITEL 7. EXTREMALPRINZIPIEN
7.2
7.2.1
Hamilton-Funktion und kanonische Gleichungen
Die kanonischen Gleichungen
• die Lagrange-Gleichungen sind f Differentialgleichungen zweiter
Ordnung, ihre Lösungen sind charakterisiert durch die 2 f Anfangs(0)
bedingungen (qi , q̇i ) = (q(0)
i , q̇i ); die folgende Transformation auf
kanonische Form liefert nichts physikalisch Neues, ist aber sehr
nützlich in der statistischen Physik und der Quantenmechanik
• die Lagrange-Funktion des freien Teilchens ist Lfrei = m/2( ẋ12 +
ẋ22 + ẋ32 ), also ist
∂Lfrei
= m ẋi = pi
(7.16)
∂ ẋi
der zu xi gehörige Impuls
• analog wird anhand der verallgemeinerten Koordinaten ein verallgemeinerter Impuls definiert,
pi :=
∂L
∂q̇i
(7.17)
er heißt der zu qi kanonisch konjugierte Impuls; er hat im Allgemeinen nicht die Dimension eines Impulses, aber qi pi behält die
Dimension einer Wirkung, also Energie × Zeit
• wenn die Transformation von q̇i auf pi umkehrbar ist, können die
q̇i durch pi ersetzt werden,
q̇i = q̇i (qi , pi , t)
(7.18)
dann können die 2 f Werte (q1 , . . . , q f , p1 , . . . , p f ) als Zustandsparameter verwendet werden
• indem sich das gesamte System zeitlich verändert, werden diese
2 f Werte einen Bereich P ∈ R2 f durchlaufen, den so genannten
Phasenraum; einer Kurve im Phasenraum entspricht eine Bahn im
Konfigurationsraum B ∈ R f
• Beispiel: die Lagrange-Funktion des harmonischen Oszillators in
einer Dimension lautet
L(x, ẋ, t) =
m 2 k 2 m 2
ẋ − x =
ẋ − ω20 x2
2
2
2
(7.19)
der kanonisch zu x konjugierte Impuls ist
p=
∂L
= m ẋ
∂ ẋ
(7.20)
7.2. HAMILTON-FUNKTION UND KANONISCHE GLEICHUNGEN75
der Oszillator beschreibt die Kurve
!
!
x
cos(ω0 t − δ0 )
= A0
p
−mω0 sin(ω0 t − δ0 )
(7.21)
also eine Ellipse im Phasenraum
• wie lauten die Bewegungsgleichungen in (q, p) statt in (q, q̇)?
Definition der Hamilton-Funktion
H(q, p, t) :=
f
X
q̇i pi − L(q, q̇, t) ,
q̇ = q̇(q, p, t)
(7.22)
i=1
ihr vollständiges Differential lautet
dH =
=
f
X
∂H
i=1
f
X
i=1
∂qi
dqi +
f
X
∂H
i=1
∂pi
dpi +
∂H
∂t
!
∂L
∂L
∂L
dqi −
dq̇i −
(7.23)
pi dq̇i + q̇i dpi −
∂qi
∂q̇i
∂t
wegen (7.17) heben sich die ersten und letzten Terme in Klammern
in der zweiten Zeile heraus, also
!
f
X
∂L
∂L
dH =
q̇i dpi −
dt
(7.24)
dqi −
∂q
∂t
i
i=1
• damit folgt
∂H
= q̇i ,
∂pi
∂H
∂L
=−
,
∂qi
∂qi
∂H
∂L
=−
∂t
∂t
(7.25)
aus (7.13) und (7.17) entnehmen wir
ṗi =
d ∂L
∂L
=
dt ∂q̇i ∂qi
(7.26)
und damit ergeben sich aus (7.25) die hochsymmetrischen Hamiltonschen kanonischen Gleichungen
∂H
= q̇i ,
∂pi
∂H
= − ṗi
∂qi
(7.27)
• damit folgt auch: wenn L nicht explizit von qi abhängt, ist der dazu
konjugierte Impuls pi erhalten,
dpi
∂L
=0 ⇒
=0
∂qi
dt
(7.28)
solche Koordinaten heißen zyklisch: wenn qi nicht explizit in
L vorkommt, kann ihr Nullpunkt beliebig verschoben werden,
qi → qi + c, ohne dass sich die Bewegungsgleichungen ändern:
Invarianzeigenschaft!
76
KAPITEL 7. EXTREMALPRINZIPIEN
• Beispiel: für den harmonischen Oszillator ergibt sich die HamiltonFunktion
H(x, p) = ẋp − L(x, ẋ) =
p2 m 2 2
+ ω x
2m 2 0
(7.29)
und die Hamiltonschen Gleichungen lauten
ẋ =
p
,
m
ṗ = −mω20 x
(7.30)
die erste Gleichung ist identisch mit der Definition des Impulses,
die zweite ist die Bewegungsgleichung
7.2.2
Hamilton-Funktion und Energie
• die totale zeitliche Änderung der Hamiltonfunktion ist
!
f
∂H
∂H ∂H
dH X ∂H
=
q̇i +
ṗi +
=
dt
∂q
∂p
∂t
∂t
i
i
i=1
(7.31)
denn der Ausdruck in Klammern verschwindet wegen der Hamiltonschen Gleichungen; wenn also H nicht explizit von der Zeit
abhängt, ist H eine Erhaltungsgröße
• Beispiel: Massenpunkt der Masse m im Feld einer Potentialkraft,
potentielle Energie V(x1 , x2 , x3 ); die Lagrange-Funktion lautet
L=
m 2
( ẋ + ẋ22 + ẋ32 ) − V(x1 , x2 , x3 ) ,
2 1
pi =
∂L
= m ẋi (7.32)
∂ ẋi
daraus ergibt sich die Hamiltonfunktion
H=
3
X
pi ẋi − L =
i=1
3
X
p2i
+V = E
2m
i=1
(7.33)
d.h. die Hamiltonfunktion ist gleich der Gesamtenergie
• gegeben sei ein konservatives System von N Massenpunkten,
d.h. die Kräfte sind Gradienten einer Potentialfunktion V(~x1 , . . . , ~xN );
es unterliege r holonom-skleronomen Zwangsbedingungen f j (~xi ) =
0, 1 ≤ i ≤ r; diese werden durch Einführung von f = 3N − r
verallgemeinerten Koordinaten qi , 1 ≤ i ≤ f erfüllt, d.h. ~xi =
~xi (q1 , . . . , q f ) (wegen der skleronomen Zwangsbedingungen kommt
die Zeit nicht explizit vor); für die Geschwindigkeiten gilt
~x˙i =
f
X
∂~xi
q̇ j ,
∂q
j
j=1
1≤i≤N
(7.34)
7.2. HAMILTON-FUNKTION UND KANONISCHE GLEICHUNGEN77
• die kinetische Energie
T=

f X
3N
X


∂x
∂x
m

i
i
i

 q̇ j q̇k
~x˙i2 =

2
2
∂q
∂q
j
k
j,k=1 i=1
N
X
mi
i=1
(7.35)
ist eine homogene Funktion zweiten Grades in q̇i ; V hängt nicht
explizit von q̇i ab
• aus der Lagrange-Funktion L = T − V = T (q, q̇) − V(q) ergeben
sich die kanonischen Impulse
pi =
∂L ∂T
=
∂q̇i ∂q̇i
(7.36)
damit lautet die Hamiltonfunktion
H=
f
X
pi q̇i − L =
i=1
f
X
q̇i
i=1
∂T
−T +V
∂q̇i
(7.37)
da T homogen vom Grad k = 2 in q̇ ist, folgt (vgl. 4.58)
f
X
i=1
q̇i
∂T
= 2T ,
∂q̇i
(7.38)
also H = T + V = E, d.h. die Hamiltonfunktion ist die Gesamtenergie; da H nicht explizit von der Zeit abhängt, folgt die Erhaltung
der Gesamtenergie,
dH ∂H
=
=0
(7.39)
dt
∂t
• es gibt zahlreiche weitere Extremalprinzipien; als Beispiel verallgemeinern wir das Hamiltonsche Prinzip auf nichtkonservative
Systeme
• seien N Massenpunkte gegeben, die r < 3N holonomen Zwangsbedingungen unterliegen; für solche Systeme verschwindet die
Variation
Z t1
Z t1
δ
T (q, q̇, t)dt +
δAe dt = 0
(7.40)
t0
t0
wobei wie vorher angenommen wird, dass die Bahnen im Konfigurationsraum dieselben Anfangs- und Endpunkte durchlaufen,
δq(t0 ) = 0 = δq(t1 )
• unter Verwendung von (6.42) lautet die Variation (7.40)
#
Z t1 X
f "
∂T
∂T
dt
δq j +
δq̇ j + Q j δq j = 0
∂q j
∂q̇ j
t0
j=1
woraus nach partieller Integration folgt
t1
#
Z t1 X
f "
∂T
d ∂T
∂T
dt
+ Qj −
δq j +
δq j ∂q j
dt ∂q̇ j
∂q̇ j t0
t0
j=1
(7.41)
(7.42)
(7.43)
78
KAPITEL 7. EXTREMALPRINZIPIEN
• die Randterme in (7.43) verschwinden wegen (7.41), und da die
δq j beliebig sind, folgt
∂T
d ∂T
−
− Qj = 0
dt ∂q̇ j ∂q j
(7.44)
das sind die Lagrange-Gleichungen 2. Art für den Fall nichtkonservativer Kräfte; die Umkehrung erfolgt analog
7.2.3
Kanonische Gleichungen aus dem Wirkungsprinzip
• entsprechend der Definitiond der Hamiltonfunktion lässt sich die
Wirkung auch in der Form
S =
t1
Z
L(qi , q̇i , t)dt =
t0
Z
t0
t1
 f

X

 q̇i pi − H(qi , pi , t) dt


(7.45)
i=1
schreiben
• die Variation der Wirkung führt dann auf
δS =
f Z
X
t1
"
t0
i=1
#
∂H
∂H
δqi −
δpi dt
pi δq̇i + q̇i δpi −
∂qi
∂pi
(7.46)
• der erste Term in eckigen Klammern kann partiell integriert werden,
f Z
X
i=1
t1
pi δq̇i dt =
t0
f
X
i=1
t1
f Z t1
X
pi δqi −
ṗi δqi
t
t
0
i=1
(7.47)
0
wobei die Randterme verschwinden; damit erhält man
δS =
f Z
X
i=1
t0
t1
"
!
! #
∂H
∂H
q̇i −
δpi − ṗi +
δqi dt
∂pi
∂qi
(7.48)
aus δS = 0 folgen die Hamiltonschen Gleichungen, weil die δqi
und δpi beliebig waren
7.2.4
Die Routhsche Funktion
• es ist manchmal zweckmäßig, die Lagrange-Funktion nicht bezüglich aller verallgemeinerter Geschwindigkeiten q̇i auf die Hamilton-Funktion zu transformieren, sondern nur bezüglich einiger
7.2. HAMILTON-FUNKTION UND KANONISCHE GLEICHUNGEN79
• sei L(q1 , q2 , q̇1 , q̇2 ) die Lagrange-Funktion eines Systems mit zwei
Freiheitsgraden, von denen nur q̇1 nach p1 transformiert werden
soll; wir führen entsprechend die Routhsche Funktion
R(q1 , p1 , q2 , q̇2 ) := q̇1 p1 − L(q1 , q2 , q̇1 , q̇2 )
(7.49)
ein, deren vollständiges Differential lautet
!
∂L
∂L
∂L
∂L
dR = −
dq1 + p1 −
dq̇1 + q̇1 dp1 −
dq2 −
dq̇2
∂q1
∂q̇1
∂q2
∂q̇2
(7.50)
• der zweite Term verschwindet aufgrund der Definition des kanonisch konjugierten Impulses p1 ; im ersten Term kann aufgrund der
Lagrange-Gleichungen
∂L
d ∂L
=
= ṗ1
∂q1 dt ∂q̇1
(7.51)
ersetzt werden; damit folgt
dR = − ṗ1 dq1 + q̇1 dp1 −
∂L
∂L
dq2 −
dq̇2
∂q2
∂q̇2
(7.52)
• daraus folgt für die Routhsche Funktion
∂R
∂R
= q̇1 ,
= −p1
∂p1
∂q1
∂R
∂L
∂R
∂L
= −
,
=−
∂q2
∂q2
∂q̇2
∂q̇2
(7.53)
bezüglich (q1 , p1 ) verhält sich die Routhsche Funktion also wie
eine Hamilton-Funktion, und die Lagrange-Gleichungen zeigen,
dass R sich bezüglich (q2 , q̇2 ) wie eine Lagrange-Funktion verhält,
denn
∂R
d ∂R
=
(7.54)
dt ∂q̇2 ∂q2
• sei q1 eine zyklische Koordinate, dann hängt L nicht explizit von
ihr ab und damit auch R nicht; der zugehörige kanonisch konjugierte Impuls p1 ist also erhalten und kann konstant gesetzt werden; die
Routhsche Funktion hängt dann nur noch von (p1 , q2 , q̇2 ) ab, wobei p1 konstant ist; damit ergeben sich die Bewegungsgleichungen
für q2 aus
d ∂R(p1 , q2 , q̇2 ) ∂R(p1 , q2 , q̇2 )
−
=0
dt
∂q̇2
∂q2
(7.55)
• Beispiel: die Lagrange-Funktion eines Massenpunktes im Zentralfeld V(r) ist
m 2
L(ϕ, r, ϕ̇, ṙ) =
ṙ + r2 ϕ̇2 − V(r)
(7.56)
2
80
KAPITEL 7. EXTREMALPRINZIPIEN
wobei ϕ zyklisch und deshalb
pϕ =
∂L
= mr2 ϕ̇
∂ϕ̇
(7.57)
erhalten ist; wir setzen pϕ := L3 konstant und transformieren auf
die Routhsche Funktion
R = ϕ̇pϕ −L =
L2
m
m 2 2 m 2
r ϕ̇ − ṙ +V(r) = − ṙ2 + 3 2 +V(r) (7.58)
2
2
2
2mr
• die Bewegungsgleichung für r folgt nun, indem man R als Lagrange-Funktion auffasst,
"
#
d L32
mr̈ +
+ V(r) = 0
(7.59)
dr 2mr2
Kapitel 8
Kräfte in bewegten
Bezugssystemen
8.1
Koordinatentransformationen
8.1.1
Zusammenhang zwischen kartesischen Koordinatensystemen
• Zusammenhang zwischen zwei relativ zueinander bewegten kartesischen Bezugssystemen; gegeben seien ein gestrichenes System
mit den Einheitsvektoren ~e0i ,
 
 
 
 0 
 1 
 0 
 
 
 
~e01 =  0  , ~e02 =  1  , ~e03 =  0  ,
(8.1)
 
 
 
0
0
1
und ein ungestrichenes System, dessen Einheitsvektoren im gestrichenen System lauten


 R1 j 


~e j =  R2 j  , ~e j = Ri j~e0i
(8.2)


R3 j
• damit ergeben sich die Richtungscosinus
~e0i · ~e j = cos(~e0i , ~e j ) = Ri j ~e0i
2
= Ri j
(8.3)
• nach Voraussetzung bilden die ~e0i und die ~e j orthonormale Dreibeine,
~e0i · ~e0j = δi j , ~ei · ~e j = δi j
(8.4)
• daraus folgt
δ jk = ~e j · ~ek = ~e0i Ri j ~e0l Rlk = (~e0i · ~e0l )Ri j Rlk = Ri j Rik
81
(8.5)
82
KAPITEL 8. KRÄFTE IN BEWEGTEN BEZUGSSYSTEMEN
also ist Ri j Rik die Einheitsmatrix, d.h. in Matrixschreibweise
RT R = I
(8.6)
die Matrix R ist also orthogonal; ebenso folgt
RRT = I
(8.7)
• aus Ri j Rik = δ jk folgen sechs unabhängige Bedingungen an die
neun Matrixelemente Ri j , d.h. drei der Matrixelemente sind unabhängig
8.1.2
Eigenschaften orthogonaler Matrizen
• eine Matrix R ist orthogonal, wenn RT R = I ist; dann folgt auch
RRT = I ,
(det R)2 = 1
(8.8)
R heißt
eigentlich
uneigentlich
)
(
, wenn gilt
det R =
+1
−1
(8.9)
R mit det R = −1 transformiert ein Rechts- in ein Linkssystem; ein
Beispiel ist die Inversion am Ursprung, R = diag(−1, −1, −1)
• orthogonale Matrizen bilden eine Gruppe, d.h. es existiert eine
assoziative Verknüpfung zwischen ihnen, die wieder eine orthogonale Matrix ist und bezüglich derer es ein Einheitselement I
und ein inverses Element R−1 zu R gibt, so dass RR−1 = I ist:
die Verknüpfung ist die Multiplikation, das Einheitselement ist
die Einheitsmatrix und das inverse Element ist die transponierte
Matrix RT
• eigentliche orthogonale Matrizen bilden eine Untergruppe; Drehungen sind i.A. nicht kommutativ!
8.1.3
Transformation des Ortsvektors
• sei ~a0 der Ursprung des ungestrichenen Systems im gestrichenen,
dann hängt der Ortsvektor im gestrichenen System mit dem im
ungestrichenen zusammen nach
~x0 = ~a0 + x j~e j ,
xi0 = a0i + x j Ri j
(8.10)
für einen weiteren Punkt mit Ortsvektor ~y ist y0i = a0i + y j Ri j ,
d.h. der Verbindungsvektor der beiden Punkte transformiert sich
wie
xi0 − y0i = Ri j (xi − yi )
(8.11)
8.2. ZEITABHÄNGIGE TRANSFORMATIONEN
83
als Vektoren werden in der Physik allgemein solche Größen definiert, die sich wie Koordinatendifferenzen transformieren (der
Ortsvektor ist demnach streng genommen kein Vektor und wird
als gebundener Vektor bezeichnet)
8.2
8.2.1
Zeitabhängige Transformationen
Winkelgeschwindigkeit
• bewegen sich die beiden Koordinatensysteme beliebig relativ zueinander,
~x0 = ~a0 (t) + R(t) · ~x(t)
(8.12)
wobei ~a0 (t) und R(t) vorgegebene Funktionen der Zeit sind, dann
gilt
h
i
~˙x0 = ~˙a0 + R · ~x˙ + Ṙ · ~x = ~˙a0 + R ~x˙ + RT Ṙ · ~x
(8.13)
• wegen RT R = I folgt
ṘT R + RT Ṙ = 0 ⇒ RT Ṙ + (RT Ṙ)T = 0
(8.14)
d.h. die Matrix RT Ṙ muss schiefsymmetrisch sein, also muss man
sie in der Form


 0 −ω3 +ω2 


0 −ω1 
RT Ṙ =  ω3
(8.15)


−ω2 +ω1 0
schreiben können, wobei die ωi zunächst beliebig numeriert sind
• mithilfe des Levi-Civita-Symbols kann (8.15) in der Form
(RT Ṙ)i j = −i jk ωk
(8.16)
geschrieben werden
• die ωi bilden einen axialen Vektor, den Vektor der momentanen
Winkelgeschwindigkeit; zum Beweis betrachten wir das ungestrichene System ~ei von einem System ~e∗i aus, das durch
~x = ~c + S ~x∗
(8.17)
mit ~ei verknüpft ist; dabei seien ~c und S konstant; für gestrichene
Vektoren ~x0 gilt
~x0 = ~a0 + R(~c + S ~x∗ ) = (~a0 + R~c) + (RS )~x∗ = ~a0∗ + R∗ ~x∗ (8.18)
84
KAPITEL 8. KRÄFTE IN BEWEGTEN BEZUGSSYSTEMEN
also ist R∗ = RS , und damit
(R∗T Ṙ∗ )i j = (S T RT ṘS )i j = −i jk ω∗k
(8.19)
außerdem gilt
(S T RT ṘS )i j = S ai Rba Ṙbc S c j = −S ai acl ωl S c j
(8.20)
also muss gelten
S ai acl ωl S c j = i jk ω∗k
(8.21)
wegen S S T = I folgt S lk S nk ωn = ωl , also
acl S ai S c j S lk S nk ωn = det S i jk S nk ωn = i jk ω∗k
(8.22)
und damit
~ = (det S )S ω
~∗
ω
(8.23)
~ ist in der Tat ein axialer Vektor, wie behauptet
d.h. ω
• setzt man (8.16) in (8.13) ein, folgt
~˙x0 = ~˙a0 + R(~x˙ + ω
~ × ~x)
(8.24)
analog gilt für einen beliebigen Vektor ~a mit ~a0 = R~a:
~˙a0 = R(~a˙ + ω
~ × ~a)
(8.25)
• Beispiel: Drehung um die z-Achse:


 cos ωt 


~e1 =  sin ωt  ,


0

 − sin ωt

~e2 =  cos ωt

0



 ,
 
 0 
 
~e3 =  0 
 
1
(8.26)
die Drehmatrix R ergibt sich aus (8.3),


 cos ωt − sin ωt 0 


R =  sin ωt cos ωt 0 


0
0
1
(8.27)




 0 −ω 0 
 0 




~ =  0 
RT Ṙ =  ω 0 0  ⇒ ω




0 0 0
ω
(8.28)
damit ist
wie zu erwarten war
8.2. ZEITABHÄNGIGE TRANSFORMATIONEN
8.2.2
85
~
Bedeutung von ω
• betrachten wir eine Drehung zwischen einem Zeitpunkt t und
einem infinitesimal späteren Zeitpunkt t + dt,
h
i
R(t + dt) = R(t) + Ṙ(t)dt = R(t) 1 + RT (t)Ṙ(t)dt
(8.29)
also
h
i
R(t + dt) = R(t) 1 − i jk ωk (t)
(8.30)
~ zur Zeit t in
• seien die Koordinatenachsen so orientiert, dass ω
~e3 -Richtung zeigt; weiterhin sollen die gestrichenen Achsen bei t
mit den ungestrichenen übereinstimmen, dann gilt


 0 −|ω| 0 


R(t) = 1 , (RT Ṙ)(t) =  |ω| 0 0 
(8.31)


0
0 0
und


 1
−|ω|dt 0 


1
0 
R(t + dt) =  |ω|dt


0
0
1
(8.32)
dies entspricht einer Drehung um die ~e3 -Achse um den Winkel
dϕ = |ω|dt
~ gibt also die Lage der momentanen Drehachse an; im Zeitinter• ω
vall dt findet eine Drehung um den Winkel dϕ = |ω|dt im positiven
~ statt
Drehsinn um ω
8.2.3
Infinitesimale Transformationen
• der Begriff der infinitesimalen Transformationen ist z.B. in der
Quantenmechanik sehr wichtig; seien bei der Transformation
~x0 = ~a0 + R~x
(8.33)
~a0 und R beide infinitesimal, d.h. ~a0 = δ~a0 und R = I + δR
• wegen der Orthogonalität ist RT R = I, also
(I + δR)T (I + δR) = I ⇒ δRT + δR = 0
(8.34)
d.h. δR ist schiefsymmetrisch und kann analog zu (8.16) in der
Form
δRi j = −i jk δϕk
(8.35)
dargestellt werden, wobei die δϕk infinitesimale Drehwinkel sind
• für infinitesimale Koordinatentransformationen gilt allgemein
~x0 = ~x + δ~a0 + δ~
ϕ × ~x
(8.36)
86
KAPITEL 8. KRÄFTE IN BEWEGTEN BEZUGSSYSTEMEN
• aktiv heißt eine Transformation, bei der das physikalische System
sich in einem festen Koordinatensystem bewegt; passiv heißt sie,
wenn das physikalische System fest bleibt, das Koordinatensystem
aber bewegt wird; mathematisch sind diese Arten der Transformation äquivalent, aber sie müssen physikalisch streng unterschieden
werden
8.3
8.3.1
Bewegung auf der rotierenden Erde
Scheinkräfte
• gegeben sei ein (gestrichenes) Inertialsystem mit dem Ursprung
im Erdmittelpunkt und ein (ungestrichenes) System, das mit der
Erdoberfläche verbunden ist und seinen Ursprung in ~a0 auf der
Erdoberfläche hat; die ~e3 -Achse zeige in ~a0 senkrecht von der
Erdoberfläche weg
• zwischen dem ungestrichenen und dem gestrichenen System vermittelt die Transformation
~x0 = ~a0 + R~x = R(~a + ~x)
(8.37)
wobei ~a der (zeitlich konstante) Ortsvektor des Ursprungs des
gestrichenen im ungestrichenen System ist (Erdmittelpunkt im
ungestrichenen System)
• im gestrichenen System (Inertialsystem) erhalten wir die Bewegungsgleichungen aus der Lagrange-Funktion L = T − V mit
iT h
i
m ˙0T ˙0 m h ˙
~x · ~x =
~x + ω
~ × (~a + ~x) · ~x˙ + ω
~ × (~a + ~x)
2
2
(8.38)
~ ist der Vektor der
wobei (8.37) und (8.25) verwendet wurden; ω
momentanen Winkelgeschwindigkeit der Erdrotation im erdfesten
(ungestrichenen) System
T=
• die Lagrange-Funktion lautet also
L=
o
m n ˙2
~x + 2~x˙ · ω
~ × (~a + ~x) + ω
~ × (~a + ~x) 2 − V(~x) (8.39)
2
daraus folgen die Bewegungsgleichungen
o
d n ˙
~ × (~a + ~x)
m~x + m ω
ndt
o
~ x) = 0 (8.40)
~ ) + m ω × (~a + ~x) × ω
~ − ∇V(~
− m(~x˙ × ω
8.3. BEWEGUNG AUF DER ROTIERENDEN ERDE
87
bzw.
i
h
~˙ × (~a + ~x) + 2m~
ω × ~x˙
m~x¨ + m ω
~ × (~
~ × (~
ω × ~a) +
ω × ~x) + m ω
+ m ω
~ x) = 0
+ ∇V(~
(8.41)
~ x) tritt also eine effektive Kraft F~eff (~x, ~x˙) auf,
statt der Kraft −∇V(~
die vier zusätzliche Terme enthält, die als Scheinkräfte bezeichnet
werden
• im einzelnen haben die Scheinkräfte folgende Bedeutung:
h
i
~˙ × (~a + ~x) : tritt nur auf, wenn die Drehachse sich än1. −m ω
~ ≈ konst., ω
~˙ ≈ 0 (abgesehen von
dert; für die Erde ist ω
Präzession und Polschwankungen)
~ ) =: F~C : Ablenkung von Massenpunk2. −2m(~
ω × ~x˙) = 2m(~x˙ × ω
ten, die sich im erdfesten System bewegen (Corioliskraft);
~ und zu ~x˙ und verschwindet für Bewesie ist senkrecht zu ω
~
gungen längs ω
~ =: F~Z : Zentrifugalkraft; sie kann umgeformt
3. m (~
ω × ~x) × ω
werden zu:
"
#
h
i
~
~
ω
(~
x
·
ω
)
2
2
~ ~x − ω
~ (~
F~Z = m ω
ω · ~x) = mω ~x −
= mω2~y
2
ω
(8.42)
wobei ~y der senkrechte Abstand des Massenpunkts von der
Drehachse ist
~ : unabhängig von ~x, proportional zu m; Zen4. m (~
ω × ~a) × ω
trifugalkraft des Ursprungs, Beitrag zur Erdbeschleunigung
~g → ~g + (~
~
ω × ~a) × ω
• Scheinkräfte sind proportional zu m und haben ihren Ursprung in
der Trägheitskraft −m~x¨; sie haben die Proportionalität zu m mit
der Schwerkraft gemein, was die Allgemeine Relativitätstheorie
ausnutzt; Scheinkräfte zeigen an, dass das Bezugssystem kein
Inertialsystem ist
8.3.2
Zur Corioliskraft
• seien ~e1 und ~e2 nun nach Süden bzw. nach Osten orientiert; ~e3
zeige weiterhin senkrecht nach oben; der Ursprung des erdfesten
Systems befinde sich bei der geografischen Breite ϑ
• der Vektor der Winkelgeschwindigkeit ist dann


 − cos ϑ 


0
~ = ω 
ω


sin ϑ
(8.43)
88
KAPITEL 8. KRÄFTE IN BEWEGTEN BEZUGSSYSTEMEN
die Drehung findet „in östlicher Richtung“ statt
~ kann in Komponenten senkrecht bzw. tangential zur Erdoberflä• ω
che zerlegt werden,




 −ω cos ϑ 


0




0
0
~ k = 
~
ω
,
ω
=
(8.44)



⊥

ω sin ϑ
0
entsprechend hat die Corioliskraft zwei Komponenten
~ ⊥ ) + 2m(~x˙ × ω
~ k)
F~C = 2m(~x˙ × ω
(8.45)
• Bewegung tangential zur Erdoberfläche hat ~x˙ ⊥ ~e3 , dann ist der
~ ⊥ zeigt auf der Nordzweite Term normal zur Erdoberfläche; ~x˙ × ω
halbkugel nach rechts, auf der Südhalbkugel nach links relativ
zur Rchtung von ~x˙; Bedeutung für Stürme, Meeresströmungen,
Flussläufe, Ballistik
8.4
Das reduzierte Dreikörperproblem
• wir betrachten eine Testmasse m3 , die sich in der Nähe von zwei
Massen m1 , m2 m3 bewegt; m1 und m2 mögen sich auf Kreisbahnen um ihren Schwerpunkt bewegen; m3 laufe in der Bahnebene
von m1 und m2 um; dieses Problem ist in der Astrophysik sehr
wichtig und beschreibt z.B. die Bewegung eines Asteroiden unter
dem Einfluss von Sonne und Jupiter
• wir führen ein Koordinatensystem ~e ein, dessen Ursprung der
Schwerpunkt von m1 und m2 ist und das mit dem Umlauf der
beiden Massen corotiert; die x-Achse zeige entlang der Verbindungslinie der beiden Massen; weiterhin definieren wir
m1
m2
=: µ ,
=: 1 − µ
(8.46)
m1 + m2
m1 + m2
damit sind die Koordinaten der beiden Massen m1 und m2




 (µ − 1)d 
 µd 

 , ~x2 =  0 
0
~x1 = 
(8.47)




0
0
• die Umlaufzeit von m1 und m2 um einander ist gegeben durch
(4.42),
4π2 d3
2
τ =
(8.48)
G(m1 + m2 )
der Betrag der Winkelgeschwindigkeit ist also
r
2π
G(m1 + m2 )
ω=
=
(8.49)
τ
d3
8.4. DAS REDUZIERTE DREIKÖRPERPROBLEM
89
und ω zeigt senkrecht zur Bahnebene; wir wählen den Umlaufsinn
~ in ~ez -Richtung zeigt,
so, dass ω


 0 


~ =  0 
ω
(8.50)


ω
~ konstant ist, fallen die
• die Koordinaten von m3 seien (x, y, 0); da ω
˙
~ enthalten; da auch ~a = 0 ist, lautet die
Terme in (8.41) weg, die ω
Bewegungsgleichung für m3
~ x3 ) = 0 (8.51)
~ × ~˙x3 + m3 ω
~ × (~
m3 ~¨x3 + 2m3 ω
ω × ~x3 ) + m3 ∇V(~
mit dem Potential
V(~x3 ) = −
Gm1 Gm2
−
r1
r2
und den Abständen
h
i1/2
r1 = (x − (µ − 1)d)2 + y2
,
• die Kreuzprodukte sind


 −ωẏ 


~ × ~˙x3 =  ω ẋ  ,
ω


0
(8.52)
h
i1/2
r2 = (x − µd)2 + y2
(8.53)


 −ω2 x 


~ × (~
ω
ω × ~x3 ) =  −ω2 y 


0
(8.54)
sodass die Bewegungsgleichungen lauten
ẍ − 2ωẏ − ω2 x +
∂V
=0,
∂x
ÿ + 2ω ẋ − ω2 y +
∂V
= 0 (8.55)
∂y
• mit dem effektiven Potential
ω2 2
(x + y2 )
2
lassen sich die Bewegungsgleichungen in der Form
U := V −
ẍ − 2ωẏ = −
∂U
,
∂x
ÿ + 2ω ẋ = −
∂U
∂y
(8.56)
(8.57)
schreiben
• Multiplikation der ersten Gleichung mit ẋ, der zweiten Gleichung
mit ẏ und Addition der beiden führt auf
"
#
d 1 2
2
ẋ + ẏ + U = 0
(8.58)
dt 2
d.h.
C := −2U − ẋ2 + ẏ2 = ω2 x2 + y2 − 2V + ẋ2 + ẏ2 = konst.
(8.59)
dies ist die Jacobi-Konstante, das einzige bekannte Integral des
reduzierten Dreikörperproblems
90
KAPITEL 8. KRÄFTE IN BEWEGTEN BEZUGSSYSTEMEN
• wegen ẋ2 + ẏ2 > 0 muss die Bewegung auf solche Bereiche eingeschränkt sein, in denen C + 2U < 0 ist, die also durch die HillKurve
C
U=−
(8.60)
2
begrenzt werden
~ = 0 gilt; um solche
• wenn m3 ruht, bleibt er in Ruhe, wenn ∇U
Punkte zu suchen, nehmen wir zunächst r1 = r2 =: r an, dann ist
r
2µ − 1
d2
x=
d, r=
+ y2
(8.61)
2
4
und
∂U
∂x
GM µ (x − (µ − 1)d) + (1 − µ)(x − µd) − ω2 x
3
r
GM
GM GM 2
=
−ω x=
− 3 x
(8.62)
r3
r3
d
=
wegen (8.49); dies verschwindet dann und nur dann, wenn
√
3d
r=d ⇒ y=±
(8.63)
2
• an diesen Orten ist auch
∂U GM
2
=
−ω y=0
∂y
r3
daher ist m3 kräftefrei an den beiden Punkten


− 1 
 2µ √

~`4,5 = d  ± 3 


2
0
(8.64)
(8.65)
die mit m1 und m2 gleichseitige Dreiecke bilden; weitere drei
Lösungen liegen auf der x-Achse; diese insgesamt fünf Punkte
heißen Lagrange-Punkte
• diejenige Hill-Kurve, die die x-Achse zwischen m1 und m2 berührt,
heißt Roche-Grenze; sie definiert die Grenze der beiden Einzelsterne in einem Doppelsternsystem und ist für die Entwicklung
von Doppelsternsystemen sehr wichtig
Kapitel 9
Bewegung starrer Körper
9.1
Die Euler-Winkel
• gegeben sei ein Intertialsystem ~e0i und ein körperfestes System ~ei ,
deren Ursprünge zusammen fallen; ein starrer Körper hat sechs
Freiheitsgrade; davon bleiben drei, wenn der Ursprung festgehalten wird
• zwischen Koordinaten ~x0 im Inertialsystem und Koordinaten ~x im
körperfesten System besteht die Verbindung
~x0 = R · ~x
(9.1)
die sechs unabhängigen Matrixelemente von R werden durch die
drei Euler-Winkel (ϑ, ϕ, ψ) parametrisiert, wobei
0≤ϑ≤π,
0 ≤ ϕ ≤ 2π ,
0 ≤ ψ ≤ 2π
(9.2)
• nach der Drehung schneidet die ~e1 -~e2 -Ebene die ~e01 -~e02 -Ebene in
der Knotenlinie, deren Richtung durch ~e03 × ~e3 gegeben ist
• die Drehmatrix R, ausgedrückt durch die Eulerwinkel, wird wie
folgt konstruiert:
1. Drehung um ~e03 um den Winkel ϕ; dadurch entsteht ein Koordinatensystem ~e∗i , und


 cos ϕ − sin ϕ 0 


~x0 = D3 (φ) · ~x∗ , D3 (φ) =  sin ϕ cos ϕ 0  (9.3)


0
0
1
2. Drehung um ~e∗1 um den Winkel ϑ; dadurch entsteht ein Koordinatensystem ~e∗∗
i , und


 1

0
0


∗
∗∗
~x = D1 (ϑ) · ~x , D1 (ϑ) =  0 cos ϑ − sin ϑ  (9.4)


0 sin ϑ cos ϑ
91
92
KAPITEL 9. BEWEGUNG STARRER KÖRPER
3. Drehung um ~e∗∗
3 um den Winkel ψ; dadurch gelangt man in
das körperfeste Koordinatensystem ~ei , und


 cos ψ − sin ψ 0 


~x∗∗ = D3 (ψ) · ~x , D3 (ψ) =  sin ψ cos ψ 0  (9.5)


0
0
1
insgesamt ergibt sich
~x0 = D3 (ϕ) D1 (ϑ) D3 (ψ) · ~x =: R(ϕ, ϑ, ψ) · ~x
(9.6)
mit der gesamten Drehmatrix
R(ϕ, ϑ, ψ) = D3 (ϕ)D1 (ϑ)D3 (ψ)
(9.7)
• die Drehmatrix D1 (ϑ)D3 (ψ) lautet

 cos ψ
− sin ψ
0

D1 (ϑ)D3 (ψ) =  cos ϑ sin ψ cos ϑ cos ψ − sin ϑ

sin ϑ sin ψ sin ϑ cos ψ cos ϑ




(9.8)
und die volle Drehmatrix R(ϕ, ϑ, ψ) ist

 cos ϕ cos ψ − sin ϕ cos ϑ sin ψ

R(ϕ, ϑ, ψ) =  sin ϕ cos ψ + cos ϕ cos ϑ sin ψ

sin ϑ sin ψ
− cos ϕ sin ψ − sin ϕ cos ϑ cos ψ sin ϕ sin ϑ
− sin ϕ sin ψ + cos ϕ cos ϑ cos ψ − cos ϕ sin ϑ
sin ϑ cos ψ
cos ϑ




(9.9)
manchmal werden andere Konventionen für die Eulerwinkel benutzt, etwa indem man im zweiten Schritt nicht um die ~e∗1 -, sondern
um die ~e∗2 -Achse dreht; die Drehmatrix R(ϕ, ϑ, ψ) lautet dann natürlich anders
• der Konstruktion der Drehmatrix entsprechend kann der Vektor
der momentanen Winkelgeschwindigkeit wie folgt durch die drei
Eulerwinkel ausgedrückt werden:
~ = ϕ̇~e∗3 + ϑ̇~e∗∗
ω
e3
1 + ψ̇~
(9.10)
dabei sind die Einheitsvektoren längs der Koordinatenachsen bestimmt durch ~e0i · ~e j = Ri j , also


 cos ψ 


~e∗∗
e j = D3 (ψ) 1 j =  − sin ψ 
(9.11)
1 ·~


0
und

 sin ϑ sin ψ

∗
~e3 · ~e j = D1 (ϑ)D3 (ψ) 3 j =  sin ϑ cos ψ

cos ϑ




(9.12)
9.2. TRÄGHEITSTENSOR UND DREHIMPULS
93
• damit lautet die vektorielle Winkelgeschwindigkeit im körperfesten System




 
 cos ψ 
 sin ϑ sin ψ 
 0 




 
~ = ϑ̇  − sin ψ  + ϕ̇  sin ϑ cos ψ  + ψ̇  0 
ω
(9.13)




 
0
cos ϑ
1
• damit sind die verallgemeinerten Koordinaten gefunden, in denen
sich die Bewegung eines starren Körpers ausdrücken lässt
~ ist nicht eine zeitliche Ableitung eines Vektors ~c,
• ω
~ ,
ω
d~c
dt
(9.14)
denn wenn das so wäre, folgte aus
∂~c
∂~c
∂~c
~c˙ =
ϕ̇ +
ψ̇
ϑ̇ +
∂ϕ
∂ϑ
∂ψ
(9.15)
und (9.10)
∂c1
∂c1
= cos ψ ,
=0
∂ϑ
∂ψ
⇒
∂2 c1
∂2 c1
,
∂ψ∂ϑ ∂ϑ∂ψ
(9.16)
~ ein nichtholonomer
was auf einen Widerspruch führt; damit ist ω
Geschwindigkeitsvektor
9.2
9.2.1
Trägheitstensor und Drehimpuls
Der Trägheitstensor
• die kinetische Energie des starren Körpers ist
N
1 X ˙0T ˙0
T=
mi ~xi ~xi
2 i=1
(9.17)
denn der starre Körper wird zerlegt in Massenpunkte der Massen
mi an den körperfesten Orten ~xi gedacht, die im Inertialsystem an
den Orten ~xi0 liegen
• mit ~˙x0i = R(t)(~
ω × ~xi ) folgt daraus
T
=
=
=:
N
N
2 1 X h 2 2
i
1X
~ × ~xi =
~ ~xi − ω
~ · ~xi 2
mi ω
mi ω
2 i=1
2 i=1
 N

i


1 
X h 2

~
ωj 
m
x
δ
−
x
x
ω

i
jk
i,
j
i,k
i



 k
2
i=1
1
ω j Θ jk ωk
2
(9.18)
94
KAPITEL 9. BEWEGUNG STARRER KÖRPER
• um festzustellen, welche Art mathematischen Objekts Θ ist, untersuchen wir sein Transformationsverhalten; ausgedrückt durch
ein neues Koordinatensystem ~e∗i mit gleichem Ursprung lauten die
x j = S jk xk∗ ; wegen der Orthogonalität von S ist
S jl S km δlm = δ jk
(9.19)
das Skalarprodukt ist natürlich invariant,
~x2 = S jl xl∗ S jm xm∗ = δlm xl∗ xm∗ = ~x∗2
(9.20)
sodass
Θ jk =
N
X
h
i
∗ ∗
~xi,m
mi ~xi∗2 S jl S km δlm − S jl S km xi,l
i=1
= S jl S km Θ∗lm
(9.21)
damit erweist sich Θ als ein Tensor zweiter Stufe:
• eine Größe T i1 ...in , 1 ≤ ik ≤ d, heißt d-dimensionaler Tensor n-ter
Stufe, wenn sie sich bei einem Wechsel des Koordinatensystems
nach xi = S i j x∗j mit zeitlich konstantem, eigentlich-orthogonalem
S transformiert wie
T i1 ...in = S i1 j1 · . . . · S in jn T ∗j1 ... jn
(9.22)
d.h. sie transformiert sich bezüglich jedes ihrer Indizes wie ein
Vektor; demnach ist ein Skalar ein Tensor nullter Stufe und ein
Vektor ein Tensor erster Stufe
• Θ ist offenbar symmetrisch, Θ jk = Θk j , und lässt sich in Form
einer reellen, symmetrischen Matrix Θ = (Θ jk ) schreiben; diese
Matrix transformiert sich bei Koordinatenwechseln wie
Θ = S Θ∗ S T
(9.23)
• aufgrund seiner Eigenschaften kann Θ durch eine orthogonale
Transformation diagonalisiert werden, d.h. es gibt eine orthogonale
Koordinatentransformation so, dass


 Θ1 0 0 


Θ∗ = S T ΘS =  0 Θ2 0  = diag(Θ1 , Θ2 , Θ3 )
(9.24)


0 0 Θ3
ist
• zur Erinnerung: sei A = AT eine reelle, symmetrische Matrix; dann
gilt allgemein:
1. λ heißt Eigenwert dieser Matrix, wenn es einen Vektor ~y , 0
gibt, für den A~y = λ~y gilt; ~y heißt Eigenvektor
9.2. TRÄGHEITSTENSOR UND DREHIMPULS
95
2. die Eigenwerte λ sind reell und bestimmt durch das charakteristische Polynom det(A − λI) = 0
3. Eigenvektoren zu verschiedenen Eigenwerten sind orthogonal
4. die Eigenvektoren können so gewählt werden, dass sie ein
vollständiges Orthonormalsystem bilden
• der Trägheitstensor für einen aus N Massenpunkten zusammengesetzten starren Körper,
Θ jk =
N
X
h
i
mi ~xi2 δ jk − xi, j xi,k
(9.25)
i=1
kann für kontinuierliche Körper mit der Dichte ρ(~x) durch
Z
Θ jk =
ρ(~x) x2 δ jk − x j xk
(9.26)
verallgemeinert werden
• sei ~n ein beliebiger Einheitsvektor, ~nT ~n = 1, dann ist das Trägheitsmoment um die Achse ~n definiert als
N
N
X
h
i X
T
2
2
~n Θ~n = n j nk Θ jk =
mi ~xi − (~xi · ~n) =
mi li2
(9.27)
i=1
i=1
wobei li der senkrechte Abstand des Massenpunktes i von der
Drehachse ist
• demnach sind die Diagonalelemente Θii von Θ die Trägheitsmomente um die Koordinatenachsen; die Θ jk mit j , k heißen Deviationsmomente; die Eigenwerte von Θ heißen Hauptträgheitsmomente, ihre Eigenvektoren sind die Hauptträgheitsachsen
• durch ~yT Θ~y = y j yk Θ jk = 1 wird das Trägheitsellipsoid definiert;
im System der Hauptträgheitsachsen ist offensichtlich, dass es sich
um ein Ellipsoid handelt:
Θ1 y21 + Θ2 y22 + Θ3 y23 = 1
(9.28)
Beispiele für den Trägheitstensor
• zwei Massenpunkte m1 und m2 seien durch eine masselose Stange
miteinander verbunden; m2 befindet sich im Ursprung, m1 läuft in
der x1 -x2 -Ebene um; dann ist
 2
 

l2 cos ϕ sin ϕ 0 
 l 0 0   l2 cos2 ϕ

 

l2 sin2 ϕ
0 
Θ = m1  0 l2 0  −  l2 cos ϕ sin ϕ




0 0 l2
0
0
0



sin2 ϕ
− cos ϕ sin ϕ 0 


cos2 ϕ
0 
= m1 l2  − cos ϕ sin ϕ
(9.29)


0
0
1
96
KAPITEL 9. BEWEGUNG STARRER KÖRPER
seine Eigenwerte sind bestimmt durch das charakteristische Polynom
det(Θ − λ) = (m1 l2 − λ)
(9.30)
h
i
2
2
2
2
2
2 4
2
× (m2 l cos ϕ − λ)(m2 l sin ϕ − λ) − m2 l sin ϕ cos ϕ
= (m1 l2 − λ) [λ2 − λ m1 l2 ]
(9.31)
die erste Lösung λ1 = m1 l2 ist offensichtlich, die anderen beiden
ergeben sich, wenn man den Ausdruck in eckigen Klammern
gleich Null setzt,
λ2 − λ m1 l2 = 0
(9.32)
also λ2 = m1 l2 = λ1 , λ3 = 0; die Eigenvektoren zu diesen Eigenwerten sind
 




 0 
 − sin ϕ 
 cos ϕ 
 




~y1 =  0  , ~y2 =  cos ϕ  , ~y3 =  sin ϕ 
(9.33)
 




1
0
0
• für eine homogene Kugel mit Dichte ρ und Radius R verschwinden
die Deviationsmomente des Trägheitstensors, z.B.
Θ12 = ρ
R
Z
π
Z
sin ϑdϑ
2
r dr
0
0
2π
Z
dϕ(r2 sin2 ϑ cos ϕ sin ϕ) = 0
0
(9.34)
die Hauptträgheitsmomente müssen alle gleich sein (Symmetrie!),
und ihre Summe ist
3Θ11 = Θ11 + Θ22 + Θ33
Z R
Z π
Z 2π
2
= ρ
r dr
sin ϑdϑ
dϕ(3r2 − x12 − x22 − x32 )
0
0
0
Z R
8πρ 5
= 8πρ
r4 =
R
(9.35)
5
0
mit ρ = 3M/4πR3 folgt daraus
Θ11 = Θ22 = Θ33 =
9.2.2
2
MR2
5
(9.36)
Drehimpuls
• im körperfesten System ist die Geschwindigkeit der Massenpunkte
~˙xi = ω
~ × ~xi ; deshalb gilt für den Drehimpuls im raumfesten System
~L0 =
N
X
i=1
mi ~xi0
N
X
0
˙
~ × ~xi
× ~xi = R(t)
mi ~xi × ω
i=1
(9.37)
9.2. TRÄGHEITSTENSOR UND DREHIMPULS
97
sodass der Drehimpuls im körperfesten System
~L = RT (t)~L0 =
N
X
~ × ~xi
mi ~xi × ω
i=1
=
N
X
i
h
~ − ~xi (~xi · ω
~ ) = Θ~
ω
mi ~xi2 ω
(9.38)
i=1
beträgt
√
~ T Θ~
~ / 2T ein Punkt auf dem Trägheitsel• wegen 2T = ω
ω ist ω
lipsoid; die Tangentialebene an das Trägheitsellipsoid in diesem
Punkt ist
(
)
T
~
ω
~y ~y Θ √
=1
(9.39)
2T
√
~ / 2T
(d.h. die Menge aller Vektoren ~y, deren Projektion auf ω
ω steht also senkrecht
konstant ist); der Drehimpuls ~L = Θ~
√ auf der
~ / 2T
Tangentialebene an das Trägheitsellipsoid im Punkt ω
Der Satz von Steiner
• das Trägheitsmoment eines starren Körpers der Masse M um eine
Achse durch einen beliebigen Punkt im Abstand l von seinem
Schwerpunkt ist gleich seinem Trägheitsmoment im Schwerpunktsystem, vermehrt um Ml2 (Satz von Steiner); das sieht man wie
folgt:
Θ jk =
N
X
mi ~xi2 δ jk − xi, j xi,k
i=1
=
N
X
h
i
∗
~ 2 δ jk − (xi,∗ j + X j )(xi,k
mi (~xi∗ + X)
+ Xk ) (9.40)
i=1
~ der Ortsvektor des
wobei ~xi∗ die Schwerpunktkoordinaten und X
Schwerpunkts sind; daraus folgt
Θ jk =
N
X
h i
~ 2 δ jk − X j Xk
mi ~xi∗ 2 δ jk − xi,∗ j xi,k + M X
i=1
~·
+ 2δ jk X
N
X
mi ~xi∗
− Xj
i=1
N
X
∗
mi xi,k
i=1
− Xk
N
X
mi xi,∗ j
i=1
(9.41)
wobei die Gesamtmasse M = mi verwendet wurde; die drei
Terme in der zweiten Zeile verschwinden aufgrund der Definition
des Schwerpunkts; sei nun ~n die Drechachse im Abstand l vom
Schwerpunkt, dann gilt
P
~ 2 − (X
~ · ~n)2
l2 = X
(9.42)
98
KAPITEL 9. BEWEGUNG STARRER KÖRPER
und damit folgt
~nT Θ~n = ~nT Θ∗~n + Ml2
(9.43)
wie behauptet
9.3
9.3.1
Eulersche Gleichungen und der kräftefreie
Kreisel
Eulersche Gleichungen
• auf den i-ten Massenpunkt wirke im raumfesten Koordinatensystem die äußere Kraft F~i0 , dann ist das Drehmoment
~0 =
M
N X
~xi0 × F~i0 ,
i=1
d~L0
~0
=M
dt
(9.44)
~ im körperfesten System bestehen die
• mit den Größen ~L und M
Zusammenhänge
~L0 = R~L ,
~ 0 = RM
~ ,
M
~L = Θ~
ω
(9.45)
und daher
d ~
˙
~
~
~
~
~ × L = RM
RL = R M ⇒ R L + ω
dt
(9.46)
wobei (8.25) verwendet wurde; nach Multiplikation mit RT von
links folgen die Eulerschen Gleichungen
~L˙ + ω
~
~ × ~L = Θω
~˙ + ω
~ × Θ~
ω=M
(9.47)
die im Hauptachsensystem die Form
M1 = Θ1 ω̇1 + ω2 ω3 (Θ3 − Θ2 )
M2 = Θ2 ω̇2 + ω1 ω3 (Θ1 − Θ3 )
M3 = Θ3 ω̇3 + ω1 ω2 (Θ2 − Θ1 )
(9.48)
annehmen
9.3.2
Der kräftefreie Kreisel
Die Poinsot-Konstruktion
~ 0 = 0, also ~˙L0 = 0, also sind T und ~L0
• kräftefrei bedeutet M
konstant; wir betrachten den Kreisel im Schwerpunktsystem; die
Ebene
n √ o
E := ~y0 ~y0 T · ~L0 = 2T
(9.49)
9.3. EULERSCHE GLEICHUNGEN UND DER KRÄFTEFREIE KREISEL99
ist also invariabel; sie ist eine Tangentialebene an das Trägheitsellipsoid, denn bezogen auf das körperfeste System gilt
(
)
n T
√ o
~
ω
T ~
T
E = ~y ~y · L = ~y Θ~
ω = 2T = ~y ~y Θ √
=1
(9.50)
2T
E ist also identisch mit der Ebene, die in (9.39) definiert wurde
• für den Vektor der Winkelgeschwindigkeit gilt
˙ 0 = R(ω
~ω
~˙ + ω
~ ×ω
~ ) = Rω
~˙
(9.51)
also
d~
ω0
d~
ω
=R√
(9.52)
√
2T
2T
d.h. der Berührungspunkt zwischen invariabler Ebene und Trägheitsellipsoid bewegt sich im raum- und im körperfesten System
um denselben infinitesimalen Vektor weiter; das Trägheitsellipsoid
„rollt“ auf der invariablen Ebene ab, ohne zu gleiten
d~
ω0 = Rd~
ω,
• die Bahnkurve des Berührungspunktes auf der Ebene E heißt Herpolhodie, seine Bahn auf dem Trägheitsellipsoid heißt Polhodie;
die Polhodie ist stets geschlossen, die Herpolhodie im Allgemeinen nicht
~ ein
• bei einer Drehung um eine der Hauptträgheitsachsen ist ω
˙
~
~ ; dann ist ω
~ = 0 und der BeEigenvektor von Θ und daher L k ω
rührungspunkt zwischen invariabler Ebene und Trägheitsellipsoid
liegt fest
• sei nun das Trägheitsellipsoid ein Rotationsellipsoid, dann stimmen zwei der Hauptträgheitsmomente überein; sei o.B.d.A. Θ1 =
Θ2 , Θ3 ; die Symmetrieachse heißt Figurenachse
~ 0 offenbar einen Kegel (den
• im raumfesten System beschreibt ω
raumfesten Rastpolkegel) um den (festen) Drehimpuls ~L0 , wobei
~ 0 und ~L0 konstant bleibt
der Winkel zwischen ω
~ 0 beschreibt auch die Figurenachse einen
• infolge der Drehung um ω
0
Kegel um ~L , den Präzessionskegel
~ einen Kegel um die Figuren• im körperfesten System beschreibt ω
achse, den Gangpolkegel
Verwendung der Euler-Gleichungen
• für die quantitative Betrachtung setzen wir Θ1 = Θ2 =: Θ und
Θ3 − Θ =: ∆Θ; wieder sei der Kreisel kräfte frei und damit das
100
KAPITEL 9. BEWEGUNG STARRER KÖRPER
~ 0 = 0; die Eulerschen Gleichungen lauten
äußere Drehmoment M
in diesem Fall
Θω̇1 + ω2 ω3 ∆Θ = 0
Θω̇2 − ω1 ω3 ∆Θ = 0
Θω̇3 = 0
(9.53)
ω3 ist also konstant, und
ω3 ∆Θ
= 0
Θ
ω3 ∆Θ
ω̇2 − ω1
= 0
Θ
ω̇1 + ω2
(9.54)
• die beiden Gleichungen (9.54) können komplex zusammen gefasst
werden,
ω3 ∆Θ
d
(ω1 + iω2 ) − i(ω1 + iω2 )
=0
(9.55)
dt
Θ
Trennung der Variablen ergibt
"
#
ω3 ∆Θ
ω1 + iω2 = A exp i
t
(9.56)
Θ
~ mit der Frequenz ω3 ∆Θ/Θ
d.h. im körperfesten System läuft ω
um die Figurenachse
• wegen ~L = Θ~
ω folgt für den Drehimpuls
#
"
ω3 ∆Θ
t
L1 + iL2 = AΘ exp i
Θ
L3 = Θ3 ω3 = konst.
(9.57)
• wählen wir das raumfeste System so, dass ~e03 k ~L ist, dann ist der
Winkel zwischen der Figurenachse und ~e03 konstant, ϑ = konst.,
ϑ̇ = 0, und
|A|Θ
tan ϑ =
(9.58)
Θ3 ω3
• aus (9.10), (9.11) und (9.12) folgt mit ϑ̇ = 0

 sin ϑ sin ψ

~ = ϕ̇  sin ϑ cos ψ
ω

cos ϑ
 

 0 


 
+
ψ̇

 0 
1
(9.59)
also
ω1 + iω2 = ϕ̇ sin ϑ(sin ψ + i cos ψ) = iϕ̇ sin ϑe−iψ
ω3 = ϕ̇ cos ϑ + ψ̇ = konst.
(9.60)
9.3. EULERSCHE GLEICHUNGEN UND DER KRÄFTEFREIE KREISEL101
• vergleichen wir (9.56) und (9.60) und setzen
A = |A|eiδ
(9.61)
erhalten wir
!#
"
ω3 ∆Θ
t+δ+ψ
ϕ̇ sin ϑ = −i|A| exp i
Θ
"
!#
ω3 ∆Θ
π
= |A| exp i
t+δ+ψ−
Θ
2
(9.62)
das ist nur möglich, wenn das Argument der Exponentialfunktion
verschwindet, also
ψ=
π ω3 ∆Θ
−
t−δ
2
Θ
(9.63)
und damit ist dann auch ϕ̇ sin ϑ = |A|, also
ϕ=
|A|
Θ3 ω3
t + ϕ0 =
t + ϕ0
sin ϑ
Θ
(9.64)
d.h. die Figurenachse läuft mit der Kreisfrequenz Θ3 ω3 /Θ um den
Drehimpulsvektor
9.3.3
Kreisel im Schwerefeld
• ein Kreisel der Masse m mit Θ1 = Θ2 , Θ3 im Schwerefeld der
Erde werde außerhalb seines Schwerpunkts, aber auf der Figurenachse unterstützt, der Vektor vom Unterstützungspunkt zum
Schwerpunkt sei ~s; die Schwerkraft übt dann das Drehmoment
~ = m~s × ~g
M
(9.65)
auf den Kreisel aus
• die Bewegungsgleichungen leiten wir aus dem Lagrange-Formalismus her, wobei die Euler-Winkel als verallgemeinerte Koordinaten
verwendet werden; die Lagrange-Funktion lautet
1 T
~ Θ~
L=T −V = ω
ω + m~g · ~s
2
(9.66)
• mit (9.13) folgt daraus
2 1 L = Θ1 ϑ̇2 + ϕ̇2 sin2 ϑ + Θ3 ϕ̇ cos ϑ + ψ̇ − Mg|~s| cos ϑ
2
(9.67)
die Integration der Bewegungsgleichung führt auf elliptische Integrale
102
KAPITEL 9. BEWEGUNG STARRER KÖRPER
• wenn der Körper schnell um eine Drehachse nahe der Figurenachse
rotiert, ist auch der Drehimpulsvektor nahe der Figurenachse;
wegen des Drehimpulssatzes
d~L0
~ 0 = m(~s0 × ~g0 )
=M
dt
(9.68)
weicht der Drehimpulsvektor senkrecht zur Schwerkraft aus
• die Figurenachse folgt im wesentlichen dem Drehimpulsvektor;
die Zeitskala, auf der sich der Drehimpuls ändert, ist
τ1 ∼
L0 L0
∼
V
L̇0
(9.69)
während die typische Zeitskala für die Rotation durch
τ2 ∼
1
L0
∼
ω T
(9.70)
gegeben ist; unter der Annahme schneller Rotation ist T V und
daher τ2 τ1 , d.h. die Figurenachse präzediert im Vergleich zur
Rotation langsam um die Vertikale
• unter unseren Annahmen ist ~s0 etwa parallel zu ~L0 , also
~s0 =
s0 ~ 0
L
L0
(9.71)
damit folgt aus dem Drehimpulssatz
also
s0
d~L0
= −m 0 (~g0 × ~L0 )
dt
L
(9.72)
!
0
~L0 (t + dt) = ~L0 (t) + − ms ~g0 × ~L0 dt
L0
(9.73)
das hat die Gestalt einer infinitesimalen Drehung (8.36) mit dem
Vektor der Winkelgeschwindigkeit
0
~ 0 = − ms ~g0
Ω
L0
je rascher der Kreisel rotiert, desto langsamer präzediert er
(9.74)
Kapitel 10
Kleine Schwingungen um eine
Ruhelage
10.1
Lagrange-Funktion und Bewegungsgleichungen
10.1.1
Kinetische und potentielle Energie
• gegeben sei ein System aus N Massenpunkten mit f Freiheitsgraden, das durch die verallgemeinerten Koordinaten qi , 1 ≤ i ≤ f ,
beschrieben wird
• seine potentielle Energie sei V(q), seine kinetische Energie lautet,
ausdgedrückt durch die qi

f X
f X
X
 N mi ∂~xi ∂~xi 

 q̇ j q̇k
T=
2 ∂q ∂q 
j=1 k=1
i=1
j
(10.1)
k
• seine Lagrange-Funktion ist L = T (q, q̇) − V(q), die Bewegungsgleichungen folgen aus den Lagrange-Gleichungen
∂L
d ∂L
−
=0,
dt ∂q̇ j ∂q j
1≤ j≤ f
(10.2)
• in der Gleichgewichtslage des Systems müssen die verallgemeinerten Geschwindigkeiten verschwinden, q̇i = 0 (1 ≤ i ≤ f ); da T
eine quadratische Form in den q̇i ist, ist dort auch ∂T/∂q̇i = 0, und
damit ist auch ∂L/∂q̇i = 0; ferner verschwindet wegen q̇i = 0 auch
∂T/∂qi , und damit gilt
−
∂V
∂L
=
=0
∂qi ∂qi
103
(10.3)
104KAPITEL 10. KLEINE SCHWINGUNGEN UM EINE RUHELAGE
d.h. die verallgemeinerten Kraftkomponenten
Qi = −
∂V
∂qi
(10.4)
verschwinden im Gleichgewicht
• ohne Beschränkung der Allgemeinheit setzen wir qi = 0 in der
Gleichgewichtslage und entwickeln die Lagrange-Funktion bis zur
2. Ordnung in den kleinen Auslenkungen qi :
f
f
X
∂V 1 X ∂2 V qi +
V(qi ) = V|q=0 +
qi q j (10.5)
∂q
2 i, j=1 ∂qi ∂q j q=0
i
q=0
i=1
wegen (10.3) verschwindet der zweite Term, und der konstante
erste Term kann o.B.d.A. gleich Null gesetzt werden, damit ist
dann
f
f
1X
1 X ∂2 V V(qi ) =
Vi j qi q j
(10.6)
qi q j =:
2 i, j=1 ∂qi ∂q j q=0
2 i, j=1
• analog kann die kinetische Energie in der Form
f
1X
T=
T i j q̇i q̇ j ,
2 i, j=1
T i j :=
N
X
i=1
∂~xi ∂~xi
mi
∂qi ∂q j
!
q=0
(10.7)
geschrieben werden
• die quadratischen Formen T und V können nun durch Matrizen
ausgedrückt werden; seien




 q1 
 T 11 · · · T 1 f 



.. 
~q :=  ...  , T :=  ...
. 




qf
T f1 · · · T f f


 V11 · · · V1 f 

.. 
(10.8)
V :=  ...
. 


Vf1 · · · Vf f
T und V sind offenbar aufgrund ihrer Definition symmetrisch,
T = T T , V = VT
T
~q˙ ≥ 0, denn
• für beliebige ~q˙ ist ~˙qT
 f
2
N
X
X ∂~xi 
T
˙
~qT ~q˙ =
mi 
q̇ j  ≥ 0
∂q j 
i=1
(10.9)
j=1
(natürlich kann die kinetische Energie nicht negativ werden!); also
ist T eine positiv-semidefinite Matrix; wir nehmen im folgenden
an, dass T positiv definit ist
10.2. NORMALKOORDINATEN
10.1.2
105
Bewegungsgleichungen
• die Lagrange-Funktion lautet dann unter Vernachlässigung von
Termen höherer als zweiter Ordnung in den qi und der unwesentlichen Konstante V(~q = 0)
L=
1 ˙T ˙
~qT ~q − ~qT V~q
2
(10.10)
wäre T positiv semi-definit, müssten hier Terme höherer Ordnung
berücksichtigt werden
• aus den Euler-Lagrange-Gleichungen folgt
d ˙
T ~q + V~q = 0 ⇒ T ~q¨ + V~q = 0
dt
(10.11)
das ist offensichtlich eine Verallgemeinerung der Schwingungsgleichung aus dem zweiten Kapitel,
ẍ + ω20 x = 0
10.2
Normalkoordinaten
10.2.1
Transformation auf Normalkoordinaten
(10.12)
• da T positiv definit ist, gibt es eine Matrix B so, dass
T = BT B
(10.13)
gilt
• zum Beweis benutzen wir, dass sich T diagonalisieren lässt; seien
t1 , . . . , t f die Diagonalelemente nach der Diagonalisierung, dann
gibt es eine orthogonale Koordinatentransformation R so, dass
T = RT diag(t1 , . . . , t f )R
(10.14)
gilt; da T positiv definit ist, sind die ti ≥ 0 (1 ≤ i ≤ f )
√
√
• sei nun B0 = diag( t1 , . . . , t f )R, dann gilt offenbar
T = B0
T
B0
(10.15)
und
f
Y
√
det B =
ti
0
i=1
(10.16)
106KAPITEL 10. KLEINE SCHWINGUNGEN UM EINE RUHELAGE
• die Matrix B0 ist nur bis auf eine orthogonale Transformation S
festgelegt, denn
B0 → SB0 =: B
(10.17)
liefert ebenso
BT B = B0
T T 0
S S B = B0 T B0 = T
• wir transformieren jetzt die Koordinaten qi → ξi mit


 ξ1 
~ξ = B~q , ~ξ :=  ... 


ξf
(10.18)
(10.19)
da det B > 0 ist, lässt B sich invertieren und
~q = B−1~ξ =: A~ξ
(10.20)
• damit nimmt die Lagrange-Funktion die folgende Form an:
1
1 ˙T ˙
T T ˙
~qT ~q − ~qT V~q = ~˙qB
L =
B~q − ~qT V~q
2
2
T
1 ~˙ ~˙ ~T T
ξξ − ξ A VA~ξ
(10.21)
=
2
• wir können nun noch von der Freiheit Gebrauch machen, B von
links mit einer orthogonalen Matrix S zu multiplizieren,
B = SB0 ; A = B−1 = B0 −1 S−1 =: A0 ST
(10.22)
damit wird
h i
AT VA = S A0 T VA0 ST
(10.23)
• die Transformation S kann nun so gewählt werden, dass der Ausdruck in eckigen Klammern in (10.23) diagonalisiert wird, dann
ist
h i
AT VA = S A0 T VA0 ST = diag(λ1 , . . . , λ f )
(10.24)
• in den Koordinaten ξi lässt sich also die Lagrange-Funktion in der
einfachen Form
f
X
1 2
(10.25)
L=
ξ̇i − λi ξi2
2
i=1
schreiben, und die Bewegungsgleichungen lauten dann
d ∂L ∂L
d
−
= ξ̇i + λi ξi = ξ̈i + λi ξi = 0
dt ∂ξ̇i ∂ξi dt
(10.26)
für alle 1 ≤ i ≤ f
• durch die Einführung der Koordinaten ξi entkoppeln die Bewegungsgleichungen und beschreiben f unabhängige harmonische
Oszillatoren; ξi heißen Normalkoordinaten
10.2. NORMALKOORDINATEN
10.2.2
107
Bestimmung der Normalkoordinaten
• zunächst lassen sich die Eigenwerte der Matrix A wie folgt bestimmen: die charakteristische Gleichung lautet
det AT VA − λ = 0 ⇔
h i
det BT AT VA − λ B = 0 ⇔
det (V − λT ) = 0
(10.27)
d.h. die λi sind auch die Eigenwerte von V bezüglich T
• außerdem gilt
AT VA = diag(λ1 , · · · , λ f ) ⇒
VA = BT diag(λ1 , · · · , λ f )
= T Adiag(λ1 , · · · , λ f )
(10.28)
wegen BT = BT BB−1 = T A
• wir zerlegen A in Spaltenvektoren ~a j ,
A = ~a1 , . . . , ~a f ,



~a j = 

A1 j
..
.
Af j





(10.29)
damit erhalten wir aus (10.28) die Eigenwertgleichung
V~a j = T ~a j λ j
(10.30)
mit T anstelle der Einheitsmatrix
• die ~a j sind orthonormal bezüglich T , denn
AT T A = AT BT BA = 1 ⇒ ~aTj T ~ak = δ jk
(10.31)
• daraus ergibt sich folgende Vorschrift für die Konstruktion der
Matrix A und für die Transformation auf Normalkoordinaten ξi :
1. Eigenwertproblem (V − λT )~a = 0 lösen; vollständiges, bezüglich T orthonormales System von Eigenvektoren ~ai bestimmen
2. mittels
~q =
f
X
~a j ξ j = A~ξ
(10.32)
j=1
auf Normalkoordinaten transformieren
• die Sätze über das gewöhnliche Eigenwertproblem sind vollständig auf das Eigenwertproblem übertragbar, in dem T die Rolle
der Einheitsmatrix übernimmt (T ist der metrische Tensor des
Eigenwertproblems)
108KAPITEL 10. KLEINE SCHWINGUNGEN UM EINE RUHELAGE
10.2.3
Stabilität
• die Lösungen der Bewegungsgleichungen nehmen folgende Form
an:
√
ξ j ∝ e±i λ j t (λ j , 0)
ξ j ∝ t (λ j = 0)
(10.33)
• zwei wesentliche Fälle können für das Verhalten der Lösungen
unterschieden werden:
1. mindestens ein λ j ≤ 0, dann kann ξ j unbegrenzt wachsen (im
Rahmen der betrachteten Näherung!)
2. alle λ j > 0, λ j =: ω2j ; dann sind die Lösungen harmonische
Schwingungen,
ξ j (t) = C j cos(ω j t − δ j )
(10.34)
mit konstanten C j und δ j
• Stabilität ist sicher, wenn alle λ j > 0 sind; das ist genau dann der
Fall, wenn V strikt positiv ist, d.h. wenn die Potentialfunktion in
der Ruhelage ein striktes Minimum hat
• das System ist instabil, wenn mindestens ein λ j < 0 ist
• wenn mindestens ein Eigenwert λ j = 0 und die anderen λk ≥ 0
sind, müssen für die Stabilitätsanalyse Terme höherer Ordnung
herangezogen werden
• wenn alle λ j > 0 sind, liegt ein stabiles Gleichgewicht vor, und
die allgemeine Lösung der Bewegungsgleichung für das Gesamtsystem lautet
~q(t) =
f
X
~a j ξ j (t) =
j=1
f
X
~a jC j cos(ω j t − δ j )
(10.35)
j=1
die ω j sind die Eigenfrequenzen, auch Normalfrequenzen genannt
• bei Normalschwingungen ist nur eine Normalkoordinate angeregt,
z.B. ξ j , die anderen sind in Ruhe; dann ist
~q(t) = ~a jC j cos(ω j t − δ j )
(10.36)
(ohne Summation über j!)
• die Konstanten C j und δ j werden durch die Anfangsbedingungen
bestimmt, ~q(t = 0) = ~q0 , ~q˙ (t = 0) = ~˙q;
0 damit folgt
~q0 =
f
X
j=1
~a jC j cos δ j ,
~˙q0 =
f
X
j=1
~a jC j ω j sin δ j
(10.37)
10.2. NORMALKOORDINATEN
109
wegen der Orthonormalität der ~a j bezüglich T ist
~aTj T ~q0 = C j cos δ j ,
~aTj T ~˙q0 = C j ω j sin δ j
(10.38)
woraus C j und δ j bestimmt werden können
• Bemerkung: das System kehrt nie in seine Anfangslage zurück,
wenn die ω j nicht in rationalen Verhältnissen zueinander stehen
10.2.4
Beispiel: Gekoppelte Pendel
• gegeben seien zwei gleiche ebene Pendel der Länge l, an denen
Massenpunkte der Masse m hängen; der Abstand der Aufhängungspunkte sei x0 ; die Pendel seien durch eine Feder mit der
Federkonstanten k und der Ruhelänge x0 aneinander gekoppelt
• geeignete verallgemeinerte Koordinaten für das System sind die
beiden Auslenkwinkel ϕ1 und ϕ2 ; damit lautet die kinetische Energie
m 2 2 2 2
l ϕ̇1 + l ϕ̇2
(10.39)
T=
2
• die potentielle Energie setzt sich aus der Beiträgen des Schwerefelds und der Feder zusammen
i2
k hp
V = −mgl(cos ϕ1 + cos ϕ2 ) +
(x1 − x2 )2 + (y1 − y2 )2 − x0
2
(10.40)
für kleine Auslenkungen können die y1,2 gegenüber den x1,2 vernachlässigt werden; außerdem können x1 = l sin ϕi ≈ lϕi , x2 =
x0 + lϕ2 und cos ϕ ≈ 1 − ϕ2 /2 genähert werden; damit lautet die
potentielle Energie
!
ϕ21 ϕ22
k
+
(10.41)
V = mgl
+ l2 (ϕ1 − ϕ2 )2
2
2
2
wobei die Konstante −2mgl weggelassen wurde
• die Matrizen T und V lauten demnach
!
!
m2 1 0
mgl 1 0
k
T = l
, V=
+ l2
0 1
0 1
2
2
2
!
1 −1
−1 1
(10.42)
• aus der Gleichung det(V − λT ) = 0 erhält man das charakteristische Polynom
i
l2 h
(10.43)
(mg + kl − mlλ)2 − k2 l2 = 0
4
woraus man die Lösungen
λ1 =
erhält
g
,
l
λ2 =
g
k
+2
l
m
(10.44)
110KAPITEL 10. KLEINE SCHWINGUNGEN UM EINE RUHELAGE
• die beiden Eigenvektoren sind
!
1
~a1 =
,
1
~a2 =
1
−1
!
(10.45)
d.h. die Normalschwingungen entsprechen solchen Schwingungen,
bei denen die beiden Pendel entweder gleichphasig oder gegenphasig schwingen
10.3
Schwingungen eines linearen, dreiatomigen Moleküls
10.3.1
Lagrange-Funktion
• wir betrachten ein lineares, dreiatomiges, symmetrisches Molekül
mit Atomen der Masse m rechts und links im Abstand l von einem
zentralen Atom der Masse M; die Wechselwirkung zwischen den
Atomen werde beschrieben durch „Federn“ mit der Federkonstante
k > 0 (Beispiel: CO2 ); wir beschränken uns auf Bewegungen längs
der Molekülachse
• die kinetische Energie ist
T=
M
m 2
ẋ1 + ẋ32 + ẋ22
2
2
(10.46)
und die potentielle Energie ist
V=
i
kh
(x2 − x1 − l)2 + (x3 − x2 − l)2
2
(10.47)
die Ruhelage stellt sich im Minimum von V ein, also bei
x2 − x1 = l = x3 − x2
(10.48)
• diese Beschreibung ist eindeutig bis auf eine Verschiebung längs
der x-Achse (Translation des Moleküls ohne innere Bewegung);
wir wählen den Ursprung so, dass in der Ruhelage x2 = 0 ist
und bezeichnen mit qi die Auslenkungen der Atome aus ihren
Ruhelagen:
q1 := x1 + l ,
q3 = x3 − l ,
x2 = q2
(10.49)
• damit lautet die Lagrange-Funktion des Moleküls
L=
kh
i
m 2 M 2
q̇1 + q̇2 + q̇23 − (q2 − q1 )2 + (q3 − q2 )2
2
m
2
(10.50)
10.3. SCHWINGUNGEN EINES LINEAREN, DREIATOMIGEN MOLEKÜLS111
10.3.2
Normalkoordinaten
• aus (10.50) lassen sich die Matrizen T und V ablesen:




 m 0 0 
 k −k 0 




T =  0 M 0  , V =  −k 2k −k 




0 0 m
0 −k k
(10.51)
• das charakteristische Polynom lautet
det (V − λT ) = 0 ⇒


 k − λm

−k
0


2k − λM
−k  = 0 ⇒
det  −k


0
−k
k − λm
h
i
(k − λm) (2k − λM)(k − λm) − k2 − k2 (k − λm) = 0(10.52)
eine Lösung ist offenbar λ1 = k/m; die anderen beiden ergeben
sich aus
Mmλ2 − k(M + 2m)λ = 0
(10.53)
zu λ2 = 0 und λ3 = k(M + 2m)/(Mm)
√
• die Eigenfrequenzen sind ωi = λi , also
r
r
M + 2m
k
ω1 =
, ω2 = 0 , ω3 = k
m
Mm
(10.54)
• das orthonormale Eigensystem ~ai muss nun aus (10.30) bestimmt
werden
1. für i = 1:


−k 0   a11
 0

 
−k
 −k k 2 − M
  a21
m

 a
0
−k
0
31



 = 0
(10.55)
woraus unmittelbar a21 = 0 und a11 + a31 = 0 folgen; die
Orthonormalitätsbedingung ~aT1 T ~a1 = 1 verlangt


 m 0 0   a11


(a11 , a21 , a31 )  0 M 0   a21


0 0 m
a31



 = 1
(10.56)
√
woraus insgesamt a11 = 1/ 2m folgt, also


 1 
1 

~a1 = √  0 

2m −1 
(10.57)
112KAPITEL 10. KLEINE SCHWINGUNGEN UM EINE RUHELAGE
2. für i = 2:


 k −k 0   a12


 −k 2k −k   a22
0 −k k
a32



 = 0
(10.58)
also a12 = a22 = a32 ; und die Orthonormalitätsbedingung
fordert (2m + M)a212 = 1, also folgt
 
 1 
1
 
~a2 = √
 1 
2m + M  1 
3. für i = 3:

 −k 2m
−k
0
M

M
−k
 −k −k m
0
−k −k 2m
M

  a13
 
  a23
a33
(10.59)



 = 0
(10.60)
woraus man a13 = a33 und a13 = −a23 M/(2m) erhält; die
Orthonormalitätsbedingung ergibt dann
1
a12 = q 2m 1 +
(10.61)
2m
M
sodass der dritte Eigenvektor lautet

r

1
M

~a3 =
 −2m/M
2m(M + 2m) 
1




(10.62)
die allgemeine Lösung bekommt man dann aus (10.35)
• den drei Eigenschwingungen entsprechen folgende Bewegungen:
1. i = 1: M ruht, die beiden äußeren Atome schwingen gegeneinander
2. i = 2: entspricht einer Translation des gesamten Moleküls
längs der x-Achse
3. i = 3: M schwingt gegenphasig gegen die beiden gleichphasig schwingenden äußeren Atome
Kapitel 11
Mechanik kontinuierlicher
Medien
11.1
Lineare Kette
11.1.1
Grenzübergang zum Kontinuierlichen
• Approximation kontinuierlicher Medien durch N Teilchen mit
N → ∞ und Beschreibung der Kräfte zwischen ihnen stößt an
Grenzen wegen der Unschärferelation der Quantenmechanik
• als Beispiel für den Übergang zu unendlich vielen Freiheitsgraden
behandeln wir eine lineare Kette aus N Massenpunkten der Masse
m in den Ruhelagen xi,0 = ia, wobei a der Abstand zweier benachbarter Massenpunkte ist; die Auslenkungen aus der Ruhelage seien
qi ; auf den N-ten Massenpunkt wirke die Kraft F; die Bewegung
der Massenpunkte soll auf die x-Achse beschränkt sein
• kinetische und potentielle Energie sind
N
T=
1X 2
mq̇i ,
2 i=1
N
V=
1X
k(qi − qi−1 )2 − FqN ;
2 i=1
(11.1)
der Anfangspunkt bleibe fest, x0 = 0 = q0
• damit lautet die Lagrange-Funktion
N
i
1 Xh 2
L=
mq̇i − k(qi − qi−1 )2 + FqN
2 i=1
(11.2)
und die Bewegungsgleichungen sind
d ∂L ∂L
−
= mq̈i + k(qi − qi−1 ) − k(qi+1 − qi ) = 0
dt ∂q̇i ∂qi
113
(11.3)
114
KAPITEL 11. MECHANIK KONTINUIERLICHER MEDIEN
für 1 ≤ i ≤ N − 1 und
mq̈N + k(qN − qN−1 ) − F = 0
(11.4)
für i = N
• im Gleichgewicht muss mq̈i = 0 sein, woraus folgt
k(qi − qi−1 ) = k(qi+1 − qi ) , k(qN − qN−1 ) = F
F
(1 ≤ i ≤ N)
(11.5)
⇒ qi − qi−1 =
k
d.h. alle Federn werden um denselben Betrag verlängert oder
verkürzt; sei l := Na die Gesamtlänge in Ruhe, dann ist ihre
relative Änderung
∆l
NF
F
F
=
=
=:
l
kNa ka
Y
(11.6)
• wir müssen nun den Übergang a → 0 durchführen, dabei aber l =
Na und M = Nm konstant lassen; sei µ := M/l = m/a die lineare
Massendichte und Y := ka der Youngsche Elastizitätsmodul; die
Auslenkungen werden zu einer kontinuierlichen Feldfunktion des
Ortes und der Zeit, qi → q(x, t), die benachbarten Auslenkungen
werden
a2 ∂2 q ∂q qi±1 (t) → q(x ± a, t) = q(x, t) ± a +
+ . . . (11.7)
∂x (x,t) 2 ∂x2 (x,t)
• die Lagrange-Funktion geht über in
N
N
1X 2 1X
L =
mq̇i −
k(qi − qi−1 )2 + F(t)qN
2 i=1
2 i=1
N "
q − q 2 #
aX
i
i−1
2
+ F(t)qN
=
µq̇i − Y
2 i=1
a

!2
!2 
Z
1 l  ∂q
∂q 
 + q(l, t)F(t)
→
−Y
dx µ
2 0
∂t
∂x
=: L(q, q̇, t)
(11.8)
sie ist nun ein Funktional der Feldfunktion q und ihrer Zeitableitung q̇; F ist vorgegeben
• ebenso können wir den Grenzübergang für die Bewegungsgleichungen (11.3) durchführen:
qi+1 + qi−1 − 2qi
= 0
a2
∂2 q
∂2 q
µ 2 −Y 2 = 0
(11.9)
∂t
∂x
das ist eine partielle Differentialgleichung zweiter Ordnung für
q(x, t), definiert auf 0 ≤ x ≤ l
µq̈ − Y
11.1. LINEARE KETTE
115
• die Randbedingungen ergeben sich wie folgt: das Ende bei x = 0
bleibt fest, q(x = 0, t) = 0 für alle t; bei x = l folgt aus (11.4)
"
#
F
∂2 q Y ∂q
µ 2 + 2 a (l, t) =
∂t
a
∂x
a
!
2
∂ q Y ∂q −F = 0
(11.10)
µ 2 +
∂t
a ∂x (l,t)
• für a → 0 würde der zweite Term in (11.10) divergieren, wenn
nicht
∂q (11.11)
F=
∂x (l,t)
wäre, d.h. die Randbedingung bei x = l muss sein
∂q F
=
(11.12)
∂x (l,t) Y
für alle t
11.1.2
Ableitung der Bewegungsgleichungen aus dem
Lagrange-Funktional
• mit dem Lagrange-Funktional (11.8) lautet die Wirkung
!
!2  Z t 1
Z
Z l 
 ∂q 2
1 t1
∂q 
 +
W=
−Y
dt
dx µ
dtF(t)q(l, t)
2 t0
∂t
∂x
0
t0
(11.13)
gemäß dem Hamiltonschen Prinzip muss die Wirkung für die tatsächlich realisierte Auslenkung q(x, t) ein Extremum einnehmen;
sei q0 (x, t) = q(x, t) + δq(x, t) eine leicht gestörte Bahn, wobei
δq(x, t0 ) = 0 = δq(x, t1 ) für alle 0 ≤ x ≤ l sei; außerdem ist
δq(x = 0, t) = 0 für alle t, denn das lineare Band bleibt bei x = 0
festgehalten
• die Variation der Wirkung lautet dann:
δW = W[q0 , t] − W[q, t]
! Z t1
Z t1 Z l
∂q ∂δq
∂q ∂δq
=
dt
dx µ
−Y
+
dtδqF(t)
∂t ∂t
∂x ∂x
t0
0
t0
!
Z l Z t1
Z l
∂2 q
∂2 q
∂q t1
=
dx
dt −µ 2 + Y 2 δq +
dxµ δq
∂t
∂x
∂t t0
0
t0
0
Z t1
l Z t1
∂q δq +
−
dtY
dtF(t)δq(l, t)
∂x 0
t0
t0
!
Z t1 Z l
∂2 q
∂2 q
=
dt
dx −µ 2 + Y 2 δq(x, t)
∂t
∂x
t0
0
!
Z t1
l
∂q − F δq(l, t)
−
dt Y
(11.14)
∂x 0
t0
116
KAPITEL 11. MECHANIK KONTINUIERLICHER MEDIEN
• die δq sind beliebig, δW = 0 nach dem Hamiltonschen Prinzip,
also folgt
∂2 q
∂q l
∂2 q
−F =0
µ 2 −Y 2 =0, Y
(11.15)
∂t
∂x
∂x 0
entsprechend (11.9) und (11.12)
• Beispiel: sei F konstant, dann ist die Lösung q(x, t) = q(x) statisch
und die Bewegungsgleichungen reduzieren sich auf
d2 q
dq F
=
Y 2 =0,
(11.16)
dx
dx x=l Y
die erste Gleichung bedeutet, dass q linear in x sein muss,
q(x) = C1 x + C2
(11.17)
wegen q(x = 0) = 0 folgt C2 = 0, und aus der zweiten Gleichung
folgt C1 = F/Y, also
F
δl q(x = l) F
x,
=
=
Y
l
l
Y
das ist das Hookesche Gesetz für das lineare Band
q(x) =
11.1.3
(11.18)
Die d’Alembertsche Gleichung
• die Gleichung
2
∂2 q
2∂ q
−
v
=0
∂t2
∂x2
p
mit v := Y/µ ist in der Physik sehr weit verbreitet
(11.19)
• seien
ξ := x + vt ,
1
x = (ξ + η) ,
2
η := x − vt ;
t=
1
(ξ − η)
2v
(11.20)
dann ist
!
∂f
∂ξ ∂
∂η ∂
=
+
f
∂x
∂x ∂ξ ∂x ∂η
und analog für ∂ f /∂t; in unserem Fall folgt
∂
∂
∂
=
+
,
∂x ∂ξ ∂η
∂
∂
∂
=v
−
∂t
∂ξ ∂η
(11.21)
!
(11.22)
• in diesen neuen Koordinaten lautet der Differentialoperator in
(11.19)
2
2
∂2
2 ∂
2 ∂
−
v
=
−4v
(11.23)
∂t2
∂x2
∂ξ∂η
also wird (11.19) transformiert auf die d’Alembert-Gleichung
∂2 q
− 4v
=0
∂ξ∂η
2
(11.24)
11.1. LINEARE KETTE
117
• seien g(ξ) und h(η) beliebige Funktionen von ξ und η, dann ist offenbar q(ξ, η) = g(ξ)+h(η) eine Lösung der d’Alembert-Gleichung;
es ist zugleich die allgemeinste Form der Lösung; ausgedrückt
durch x und t lautet sie
q(x, t) = g(x + vt) + h(x − vt)
(11.25)
d.h. es handelt sich um eine Superposition zweier Wellen, von
denen g rück- und h vorläufig ist
• als Beispiel betrachten wir ein unendlich ausgedehntes Band, das
für x → ±∞ zu allen Zeiten in Ruhe ist,

q(x, t) → 0 



für x → ±∞
(11.26)
∂q


(x, t) → 0 

∂t
die Anfangsbedingungen sind
q(x, 0) = q0 (x) ,
∂q
(x, 0) = q̇0 (x)
∂t
(11.27)
für die Funktionen g und h folgt daraus
g(x) + h(x) = q0 (x) ,
v g0 (x) − h0 (x) = q̇0 (x)
(11.28)
wobei die Striche Ableitungen der Funktionen nach ihren Argumenten bedeuten
• aus der zweiten Gleichung erhält man
"Z x
#
1
0
0
q̇0 (x )dx + C
(g − h)(x) =
v x0
und damit, zusammen mit der ersten Gleichung
"Z x
#
1
1
0
0
(g, h)(x) = q0 (x) ±
q̇0 (x )dx + C
2
2v x0
(11.29)
(11.30)
die Lösung q(x, t) ist die Summe aus g und h,
q(x, t) = g(x + vt) + h(x − vt)
(11.31)
1
=
q0 (x + vt) + q0 (x − vt)
2 ("Z
# "Z x−vt
#)
x+vt
1
0
0
0
0
+
q̇0 (x )dx + C −
q̇0 (x )dx + C
2v
x0
x0
Z x+vt
1
1
q̇0 (x0 )dx0
=
q0 (x + vt) + q0 (x − vt) +
2
2v x−vt
eine Störung des Bandes breitet sich also mit der Geschwindigkeit
v nach beiden Seiten aus
118
KAPITEL 11. MECHANIK KONTINUIERLICHER MEDIEN
11.2
Schwingende Saite
• seien wieder N Massenpunkte der Masse m gegeben, die sich nun
aber in drei Dimensionen bewegen können; ihre Ruhelagen seien


 ai 


~xi =  0  = ai~e x
(11.32)


0
die Auslenkungen aus den Ruhelagen seien ~qi (t), die Enden werden
festgehalten, ~q0 (t) = 0 = ~qN (t) für alle t
• die potentielle Energie setzen wir in der Form
N
V=
k X
(~xi + ~qi ) − (~xi−1 + ~qi−1 ) − a0 2
2 i=1
(11.33)
an, wobei die Konstante a0 < a eine Vorspannung der Saite beschreibt (das Minimum von V wird erreicht, wenn die Abstände
zwischen den Massenpunkten kleiner als a sind)
• sei nun |~qi − ~qi−1 | a − a0 a, d.h. die Vorspannung sei schwach,
dann ist
|~xi − ~xi−1 + ~qi − ~qi−1 | = |a~e x + ~qi − ~qi−1 |
(11.34)
h
i1/2
= a2 + 2a(~qi − ~qi−1 )~e x + (~qi − ~qi−1 )2
1
≈ a + (q x,i − q x,i−1 ) + (~q⊥,i − ~q⊥,i−1 )2
2a
mit der senkrechten Auslenkung


 0 


~q⊥ =  qy 


qz
(11.35)
• wir können also nähern
|~xi − ~xi−1 + ~qi − ~qi−1 | − a0 2 ≈ (a − a0 )2 + 2(a − a0 )(q x,i − q x,i−1 )
a − a0
(~q⊥,i − ~q⊥,i−1 )2
(11.36)
+ (q x,i − q x,i−1 )2 +
a
und die potentielle Energie lässt sich in der Form
N
k Xh
V =
(a − a0 )2 + 2(a − a0 )(q x,i − q x,i−1 )
2 i=1
a − a0
+ (q x,i − q x,i−1 )2 +
(~q⊥,i − ~q⊥,i−1 )2
(11.37)
a
wobei Terme höherer als zweiter Ordnung in den Differenzen der
qi vernachlässigt wurden
11.2. SCHWINGENDE SAITE
119
• in der potentiellen Energie ist (a − a0 ) ist eine unerhebliche Konstante; außerdem ist
N
X
(q x,i − q x,i−1 ) = 0
(11.38)
i=1
ferner setzen wir wieder
k=
Y
Y
≈
,
a a0
∆l a − a0
F
F
=
=
≈
l
a0
ka0 ka
(11.39)
wobei F die vorspannende Kraft ist
• die Lagrange-Funktion lautet also
N−1
1X 2
m q̇ x,i + ~q˙ 2⊥,i
2 i=1
#
N "
(~q⊥,i − ~q⊥,i−1 )2
a X (q x,i − q x,i−1 )2
−
Y
+F
(11.40)
2 i=1
a2
a2
L =
offenbar wird der Potentialterm in L für q x,i = q x,i−1 und ~q⊥,i =
~q⊥,i−1 minimiert, d.h. aus den Randbedingungen ~q0 = 0 = ~qN folgt,
dass in der Ruhelage ~qi = 0 (1 ≤ i ≤ N) gilt
• beim Übergang zum Kontinuum halten wir wieder l = Na, µ =
m/a und Y = ka fest, während a gegen Null geht; analog zur
Behandlung des elastischen Bandes ergibt sich
!
!2
!2
!2 
Z l 
 ∂q x 2
∂q⊥
∂q x
∂q⊥ 

+µ
−Y
−F
L=
dx µ
∂t
∂x
∂t
∂x
0
(11.41)
• wie vorhin erhalten wir aus dem Hamiltonschen Prinzip die Bewegungsgleichungen
2
∂2
2 ∂
q
(x,
t)
−
v
q x (x, t) = 0
x
l
∂t2
∂x2
2
∂2
2 ∂
~
~q⊥ (x, t) = 0
q
(x,
t)
−
v
⊥
t
∂t2
∂x2
wobei
s
vl :=
Y
,
µ
s
vt :=
F
µ
(11.42)
(11.43)
die longitudinale und transversale Ausbreitungsgeschwindigkeit
der Wellen sind
• die Enden der Saite werden festgehalten, d.h. die Randbedingungen sind
q x (0, t) = q x (l, t) = 0 ,
~q⊥ (0, t) = ~q⊥ (l, t) = 0
(11.44)
120
KAPITEL 11. MECHANIK KONTINUIERLICHER MEDIEN
• zur Lösung greifen wir willkürlich die Auslenkung in y-Richtung
heraus, die die Gleichung
2
∂2 qy
2 ∂ qy
− vt 2 = 0
∂t2
∂x
(11.45)
mit den Randbedingungen qy (0, t) = 0 = qy (l, t) erfüllen muss
• der Separationsansatz qy (x, t) = f (x)g(t) führt zu
f
2
d2 g
1 d2 g v2t d2 f
2 d f
−
v
g
=
0
⇒
=
t
dt2
dx2
g dt2
f dx2
(11.46)
da die rechte Seite nur von t, die linke nur von x abhängt, müssen
beide konstant sein,
v2t d2 f
1 d2 g
=
konst.
=
=: −c
g dt2
f dx2
(11.47)
d.h. f und g müssen die beiden harmonischen Oszillatorgleichungen
d2 g
d2 f
c
(11.48)
+
cg
=
0
,
+ 2f =0
2
2
dt
dx
vt
erfüllen
• für c < 0 ergeben sich unphysikalische, exponentiell anwachsende
√
Lösungen, also müssen wir c ≥ 0 annehmen; sei ω := c, dann
lauten die Lösungen der Gleichungen (11.48)
!
ω
g(t) = C1 cos(ωt − δ) , f (x) = C2 sin x − η
(11.49)
vt
mit konstanten Amplituden C1,2 und Phasen δ, η
• wegen der Randbedingungen qy (0, t) = 0 = qy (l, t) ist entweder
C2 = 0 oder η = 0 und ωl = nπvt mit n ∈ N; C2 = 0 ergibt
eine (langweilige) ruhende Saite; Lösungen für f haben also die
diskreten Kreisfrequenzen ωn und Wellenlängen λn ,
ωn = nπ
vt
,
l
λn =
2π
2l
vt =
ωn
n
die Lösungsfunktionen f können also in der Form
x
fn (x) = Nn sin nπ
l
(11.50)
(11.51)
mit Nn , 0 geschrieben werden; die Eigenfrequenzen der schwingenden Saite sind
ωn n vt
νn =
=
(11.52)
2π 2 l
n = 1 ergibt den Grundton, n ≥ 2 die Obertöne
11.3. SCHWINGENDE MEMBRAN
121
• die Saite trägt stehende Wellen der Länge λn ; wegen der Randbedingungen müssen x = 0 und x = l Knoten dieser stehenden
Wellen sein; die gesamte Lösung für die Auslenkung der schwingenden Saite in y-Richtung ist
x
(11.53)
qy,n (x, t) = Nn cos(ωn t − δn ) sin nπ
l
• die fn (x) heißen Eigenfunktionen der Differentialgleichung (11.45)
zu vorgegebenen Randbedingungen; es ist nützlich, die Amplituden Nn so zu wählen, dass
Z l
fn∗ (x) fn (x)dx = 1
(11.54)
0
√
wird, was für Nn = 2/l der Fall ist; wegen der Orthonormalität
des Sinus folgt bei dieser Normierung
Z l
fn∗ (x) fm (x)dx = δnm
(11.55)
0
• wegen der Linearität der Differentialgleichung (11.45) ist jede
lineare Superposition von Lösungen (11.53) wieder eine Lösung,
r
∞
x
X
2
cos(ωn t − δn ) sin nπ
(11.56)
qy (x, t) =
cn
l
l
n=1
das ist offensichtlich eine Fourier-Reihe bezüglich x
• die Existenz von Eigenfunktionen einer Differentialgleichung zu
diskreten Eigenwerten legt einen Zusammenhang zwischen Differentialgleichungen und unendlich-dimensionalen Matrizen nahe
11.3
Schwingende Membran
• sei µ2 die als konstant angenommene zwei-dimensionale Massendichte und T 0 := Kraft/Länge die Spannung auf dem Rand C der
Membran
• mit analogen Methoden wie für die Saite leitet man die Bewegungsgleichung
" 2
!#
2
∂
∂2
2 ∂
−v
+
q(x, y, t) = 0
(11.57)
∂t2
∂x2 ∂y2
her, worin
s
v :=
T0
µ2
(11.58)
ist; das ist die d’Alembert-Gleichung in 1 + 2 Dimensionen
122
KAPITEL 11. MECHANIK KONTINUIERLICHER MEDIEN
• die Membran sei am Rand eingespannt, d.h. die Randbedingung
ist q(x, y, t) = 0 für (x, y) ∈ C und für alle Zeiten t; der Separationsansatz q(x, y, t) = f (x, y)g(t) führt auf
g(t) = C1 cos(ωt − δ)
(11.59)
und auf die Helmholtzsche Differentialgleichung für f (x, y)
" 2
#
∂2 ω 2
∂
+
+
f (x, y) = 0
(11.60)
∂x2 ∂y2
v
mit der Dirichlet-Randbedingung f (x, y)|C = 0
• Lösungen existieren nur für diskrete Eigenwerte ω2 /v2 , aus denen
sich die Eigenfrequenzen ergeben; für eine rechteckige Membran
lösen die Eigenfunktionen
!
!
y
x
(11.61)
fmn (x, y) = Nn Nm sin mπ sin nπ
lx
ly
(m, n ∈ N) die Helmholtzsche Differentialgleichung mit DirichletRandbedingung für die Eigenfrequenzen
ω 2
mn
v
= m2
2
π2
2π
+
n
l2x
ly2
(11.62)
Kapitel 12
Symmetrien und
Erhaltungssätze
12.1
Galilei-Invarianz
• Inertialsysteme waren im ersten Abschnitt als Idealisierungen
eingeführt worden, die in der Realität in mehr oder weniger guter
Näherung identifiziert werden können; ein System, das anhand der
Positionen der Fixsterne definiert wird, kann als Inertialsystem
betrachtet werden
• gegeben sei nun ein Beobachter in einem abgeschlossenen Kasten,
der sich im Fixsternsystem kräftefrei bewegt; wie kann der Beobachter feststellen, ob der Kasten ein Inertialsystem ist? offenbar
wird er überprüfen, welche Form die Bewegungsgleichungen in
seinem Kasten annehmen
• er führe also ein Experiment durch, in dem N Massenpunkte der
Massen mi an den Orten ~xi auftreten, zwischen denen Potentialkräfte wirken, d.h. die potentielle Energie des Massenpunkts i
relativ zum Massenpunkt j sei V ji (|~xi − ~x j |), die Kraft des j-ten auf
~ i V ji (|~xi − ~x j |)
den i-ten Massenpunkt sei F~ ji (~xi ) = −∇
• das System der N Massenpunkte lässt sich also durch die Lagrangefunktion L = T − V beschreiben, aus der die Bewegungsgleichungen nach
d ∂L(~x, ~x˙, t) ∂L(~x, ~x˙, t)
−
=0
dt
∂~xi
∂~x˙i
(1 ≤ i ≤ N)
(12.1)
folgen
• die Lagrangefunktion ist nicht eindeutig, denn man kann zu ihr die
totale zeitliche Ableitung einer Funktion Q(x, t) addieren, ohne
123
124
KAPITEL 12. SYMMETRIEN UND ERHALTUNGSSÄTZE
die Bewegungsgleichungen zu ändern:
L → L0 = L +
dQ(~x, t)
dt
(12.2)
ändert die Variation der Wirkung nicht, denn
Z t1
Z t1
h
t1 i
0
˙
δ
dtL (~x, ~x, t) = δ
dtL(~x, ~x˙, t) + δ Q(~x, t)t = 0 ; (12.3)
t0
0
t0
da die Endpunkte der Bahn festgehalten werden, verschwindet
die Variation von Q(~x, t) an den Endpunkten der Bahn; aus der
Variation von L0 folgen also dieselben Bewegungsgleichungen
wie aus der Variation von L; dies ist die einzige Willkür in der
Lagrangefunktion
• das System im Kasten sei ungestrichen, (t, ~x); das Fixsternsystem
sei gestrichen, (t0 , ~x0 ); allgemein gilt dann
~x0 = ~a(t) + R(t) · ~x(t)
t0 = t + τ ,
(12.4)
die erste Gleichung beschreibt eine Nullpunktsverschiebung der
Zeit, der zweite eine Translation und Rotation des Koordinatensystems
• Wie kann sich der Kasten bewegen, ohne dass es der Beobachter
feststellen kann? zunächst muss R(t) konstant sein, denn sonst
träten Scheinkräfte auf, die er (z.B. mit einem Pendelversuch)
nachweisen könnte; damit lautet die Lagrangefunktion im Fixsternsystem


N 
X
X


1

mi ~x˙2 −

~
L(~x0 , ~˙x,0 t0 ) =
V
(|~
x
−
x
|)
ji
i
j 

2 i=1  i
j,i
+ ~a˙ (t)
N
X
i=1
N
~a˙ 2 X
mi R~x˙i +
mi
2 i=1
(12.5)
• die Bewegungsgleichungen im Kasten sind mit denen im Fixsternsystem identisch, falls (12.2) gilt, d.h. falls es eine Funktion Q(x, t)
gibt, deren totale zeitliche Ableitung
N
dQ(~x, t)
∂Q(~x, t) X ˙ ∂Q(~x, t)
~xi
=
+
dt
∂t
∂~xi
i=1
=
N X
i=1
N
˙2 X
˙~xT RT ~a˙ mi + ~a
mi
i
2 i=1
(12.6)
ist; dies ist offenbar dann der Fall, wenn
N
∂Q(~x, t) ~a˙ 2 X
=
mi ,
∂t
2 i=1
∂Q(~x, t)
= mi RT ~a˙
∂~xi
(12.7)
12.2. NOETHER-THEOREME
125
gelten; offenbar ist dann auch
∂ ∂Q(~x, t)
∂ ∂Q(~x, t)
=
=0
∂t ∂~xi
∂~xi ∂t
(12.8)
und aus der zweiten Gleichung (12.7) folgt
~a¨ = 0 ⇒ ~a = ~a0 + ~vt ,
~a0 ,~v = konst.
(12.9)
• zu solchen Translationen gehört die Funktion
Q(~x, t) = ~v
T
N
X
i=1
N
~v2 t X
mi ,
mi R~xi +
2 i=1
(12.10)
deren totale Zeitableitung ist
N
N
X
~v2 X
dQ
T
˙
mi R~xi +
mi
= ~v
dt
2 i=1
i=1
(12.11)
• damit haben wir die allgemeine Gestalt derjenigen Transformationen bestimmt, die im Kasten nicht nachweisbar sind, die also die
Bewegungsgleichungen invariant lassen:
t0 = t + τ ,
~x0 = ~a0 +~vt + R · ~x ,
~a0 = ~v = R = konst. (12.12)
solche Transformationen gehören zur zehnparametrigen GalileiGruppe; ein Parameter ist τ, je drei gehören zu ~a0 , ~v und R
• physikalischer Gehalt der Galilei-Invarianz:
1. sei t0 = t + τ, ~x0 = ~x: willkürliche Nullpunktsverschiebung
der Zeit, Homogenität der Zeit
2. sei t0 = t, ~x0 = ~a0 + ~x: willkürliche Wahl des Koordinatenursprungs, Homogenität des Raums
3. sei t0 = t, ~x0 = ~x +~vt: Bewegungsgleichungen sind gegenüber
geradlinig-gleichförmiger Bewegung invariant; beschleunigte Bewegung wäre feststellbar
4. sei t0 = t, ~x0 = R · ~x: willkürliche Drehung der Koordinatenachsen, Isotropie des Raums; keine Richtung ist ausgezeichnet, Paritäts-Invarianz
12.2
Noether-Theoreme
• wir betrachten nun infinitesimale Koordinaten-Transformationen,
die die Lagrangefunktion nur um eine totale zeitliche Ableitung
ändern:
t → t0 = t + δt ,
~xi (t) → ~xi0 = ~xi (t) + δ~xi (t)
(12.13)
126
KAPITEL 12. SYMMETRIEN UND ERHALTUNGSSÄTZE
so, dass
L(x0 , ẋ0 , t0 ) = L(x, ẋ, t) +
dQ(x, t)
dt
(12.14)
geschrieben werden kann; δt = konst.
• die Änderung des Wirkungsintegrals ist
#
Z t10
Z t1 "
dQ(~x, t)
0
0 ˙0 0
˙
dt L(~x , ~x, t ) =
dt L(~x, ~x, t) +
dt
t00
t0
die linke Seite ist
Z
Z t10
0
0 ˙0 0
dt L(~x , ~x, t ) =
t00
t1
(12.15)
"
dt L(~x, ~x˙, t)
(12.16)
t0
#
N
N
X
X
∂L 0
∂L ˙0 ˙
+
(~x − ~xi ) +
(~x − ~x)i
˙ i
∂~xi i
i=1
i=1 ∂~xi
n
o
+ δt L[~x(t1 ), ~x˙(t1 ), t1 ] − L[~x(t0 ), ~x˙(t0 ), t0 ]
partielle Integration und Verwendung der Euler-Lagrange-Gleichungen
führen auf
#
Z t1 "
∂L ˙0 ˙
dt
(~xi − ~x)i
∂~˙xi
t0


t1 Z t
N 

X
1


∂L
∂L
d


0
0
~
~
=
(~
x
(~
x
−
x
)
−
x
)dt
−


i i
i
i


 ∂~˙xi

˙
dt
∂~xi
t0
t0
i=1


t1 Z t
N 

X
1


∂L 0

 ∂L 0
~
~
(~
x
(~
x
−
x
)
−
x
)dt
(12.17)
=
−


i i
i
i



 ∂~˙xi
∂~
x
i
t
0
t0
i=1
• mit (12.17) folgt aus (12.16):
Z t10
Z
0
0 ˙0 0
dt L(~x , ~x, t ) =
t00
t1
dtL(~x, ~x˙, t)
(12.18)
t0
t1
 N

X ∂L 0
(~xi − ~xi ) + δtL(~x, ~x˙, t)
+ 
˙
t
i=1 ∂~xi
0
• wegen
~xi0 (t + δt) = ~xi (t) + δ~xi
(12.19)
folgt
~xi0 (t) = ~xi (t − δt) + δ~xi = ~xi (t) − ~˙x(t)δt
+ δ~xi
i
(12.20)
damit lässt sich der Ausdruck in eckigen Klammern in (12.18)
schreiben als
 N

N
N
X
X
X ∂L

∂L 0
∂L
~˙xi − L δt
(~xi − ~xi ) + δtL(~x, ~x˙, t) =
δ~xi − 
˙
˙
˙
i=1 ∂~xi
i=1 ∂~xi
i=1 ∂~xi
(12.21)
12.2. NOETHER-THEOREME
127
mit
N
X
∂L
= pi ,
∂~˙xi
pi ~˙xi − L = H
(12.22)
i=1
folgt schließlich aus (12.18) und der Bedingung, dass die Änderung der Lagrangefunktion die totale Zeitableitung einer beliebigen Funktion Q(x, t) sein muss:
 N
t1
X

pi δ~xi − Hδt − δQ = 0
(12.23)

i=1
t
0
das bedeutet, dass
N
X
pi δ~xi − Hδt − δQ
(12.24)
i=1
eine Erhaltungsgröße sein muss, denn t0 und t1 waren beliebig;
dabei ist wegen (12.10)
δQ = ~vT
N
X
N
mi Rδ~xi +
i=1
~v2 X
mi
δt
2 i=1
(12.25)
• Zu welchen Erhaltungsgrößen führt die Symmetrie unter Transformationen der Galilei-Gruppe?
1. sei t0 = t + δt, ~x0 = ~x: dann folgt wegen δ~xi = 0 und ~v = 0
aus (12.24) Hδt = konst.; Homogenität der Zeit führt zur
Energieerhaltung
2. sei t0 = t, ~x0 = ~x + δ~a: aus (12.24) folgt dann wegen δt = 0
und ~v = 0
N
N
X
X
~pi δ~a = konst. ⇒
~pi = konst.
(12.26)
i=1
i=1
weil δ~a beliebig ist; Homogenität des Raums führt zur Impulserhaltung
3. sei t = t0 , ~x0 = δ~vt + ~x: dann ist wegen (12.10)
δQ = δ~v
T
N
X
mi ~xi + O(δ~v2 )
(12.27)
i=1
und daher
 N

N
X
X



~pi −
δ~vT t
mi ~xi  = konst.
i=1
(12.28)
i=1
da δ~v beliebig war, folgt daraus die geradlinig-gleichförmige
Bewegung des Schwerpunkts,
N
N
1 X
t X
~
~
~pi
X=
mi ~xi = X0 +
M i=1
M i=1
(12.29)
Emmy Noether (1882-1935)
128
KAPITEL 12. SYMMETRIEN UND ERHALTUNGSSÄTZE
4. sei t0 = t, ~x0 = δ~
ϕ × ~x, vgl. die Darstellung infinitesimaler Rotationen durch Drehwinkel δ~
ϕ (8.36): dann folgt aus (12.24)
wegen δt = 0 und ~v = 0
N
X
i=1
~pi · (δ~
ϕ × ~xi ) = δ~
ϕ·
N
X
(~xi × ~pi ) = konst.
(12.30)
i=1
und da δ~
ϕ beliebig war, folgt daraus ~L = konst.; Isotropie
des Raums führt zur Drehimpulserhaltung
• die zehn Parameter der Galilei-Gruppe führen also zu zehn Erhaltungsgrößen: Energie, und jeweils drei für die Bewegung des
Schwerpunkts, den Impuls und den Drehimpuls
12.3
Elemente relativistischer Mechanik
12.3.1
Die spezielle Lorentztransformation
• die Galilei-Invarianz führt zu Widersprüchen mit der Erfahrung;
Beispiele dafür liefert etwa der Zerfall von Myonen; Myonen sind
Leptonen wie etwa das Elektron; sie zerfallen in Elektronen und
(Anti-)Neutrinos nach
µ → e− + ν̄e + νµ
(12.31)
mit einer Lebensdauer von τµ = 2×10−6 s; experimentell zeigt sich
aber, dass die Lebensdauer zunimmt, wenn das Myon sich im Laborsystem mit Geschwindigkeiten nahe der Lichtgeschwindigkeit
bewegt
• das beim Zerfall emittierte Elektron hat beinahe Lichtgeschwindigkeit, aber selbst dann nie eine höhere Geschwindigkeit, wenn
bereits das Myon sich fast mit Lichtgeschwindigkeit bewegte
• die Lichtgeschwindigkeit im Vakuum beträgt c = 2.99792458 ×
1010 cm s−1 ; dass sie endlich ist, wurde bereits von dem dänischen
Astronomen Ole Rømer (1644-1710) vermutet, der sie mithilfe
der Jupitermonde zu c = 2.14 × 1010 cm s−1 bestimmte
• seien zwei Bezugssysteme gegeben, gestrichen und ungestrichen
(K und K 0 abgekürzt), die zum Zeitpunkt t = 0 = t0 zusammenfallen und sich mit der Geschwindigkeit v . c längs ihrer
gemeinsamen ~e3 -Achse bewegen
• die Transformation zwischen den beiden Systemen folgt aus der
Bedingung, dass sich Lichtsignale mit Lichtgeschwindigkeit ausbreiten, unabhängig von der Geschwindigkeit des Bezugssystems,
von dem aus die Ausbreitung beobachtet wird
12.3. ELEMENTE RELATIVISTISCHER MECHANIK
129
• zur Zeit t = 0 werde ein Lichtsignal ausgesandt, das sich längs der
x3 -Achse ausbreite; in beiden Systemen muss gelten
x3 − ct = 0 ,
x30 − ct0 = 0
(12.32)
wenn diese Bedingung in K erfüllt ist, muss sie auch in K 0 erfüllt
sein; das bedeutet
x30 − ct0 = λ(x3 − ct)
(12.33)
mit λ ∈ R
• dasselbe muss gelten, wenn das Lichtsignal in die (−x3 )-Richtung
läuft, also
x30 + ct0 = µ(x3 + ct)
(12.34)
aus Summe und Differenz der Gleichungen (12.33) und (12.34)
folgt
x30 = ax3 − bct , ct0 = act − bx3
(12.35)
mit a := (λ + µ)/2 und b := (λ − µ)/2
• der Ursprung von K 0 bewegt sich von K aus betrachtet wie
b
x3 = ct
a
0
d.h. die Geschwindigkeit von K relativ zu K ist
x30 = 0
⇒
x3 b
= c=v
t
a
⇒
b v
=
a c
(12.36)
(12.37)
• betrachten wir zum Zeitpunkt t = 0 einen Einheitsmaßstab in K 0
von K aus, dann gilt
x30 = ax3
⇒
x3 =
x30
1
=
a
a
(12.38)
• dasselbe muss sich ergeben, wenn wir zum Zeitpunkt t0 = 0 einen
Einheitsmaßstab in K von K 0 aus betrachten,
v
t0 = 0 ⇒ ct = x3
(12.39)
c
woraus mit x3 = 1 folgt
!
v2
b2
0
(12.40)
x3 = ax3 − x3 = a 1 − 2
a
c
• x3 aus (12.38) muss gleich x30 aus (12.40) sein, woraus folgt
!−1
v2
2
a = 1− 2
(12.41)
c
damit lautet die Transformation (12.35)
x30 =
x3 − (v/c)ct
,
q
v2
1 − c2
ct0 =
ct − (v/c)x3
q
2
1 − cv2
(12.42)
130
KAPITEL 12. SYMMETRIEN UND ERHALTUNGSSÄTZE
• diese spezielle Lorentz-Transformation lässt sich in der Form

 0   γ
 t  
 x0  
 1  =  0
 x0   0
 20   βc
 √
x3
1−β2
0 0
√β/c
1 0
0 1
0 0
0
0
γ
1−β2

 
 
 
 · 
 
 
t
x1
x2
x3






(12.43)
darstellen, wobei β := v/c ist; für β 1 ist (1 − β2 )−1/2 →
1 + β2 /2 ≈ 1; der häufig vorkommende Ausdruck (1 − β2 )−1/2 wird
als Lorentzfaktor γ abgekürzt, γ := (1 − β2 )−1/2
• sei x0 := ct, dann ist
 0  
 x0  
 x0  
 10  = 
 x2  
 0  
x3
12.3.2
γ
0
0
γβ
0
1
0
0
 

0 γβ   x0 
0 0   x1 
·

1 0   x2 
 

0 γ
x3
(12.44)
Eigenschaften des Minkowski-Raums
• Minkowski-Welt (x0 , x1 , x2 , x3 ); Lage der ungestrichenen Achsen
im gestrichenen System: x0 - und x3 -Achsen werden abgebildet auf




 0 
 βx3 
 0 


 → γ  0 

 0 
 0 




x3
x3




 x0 
 x0 
 0 



 → γ  0  ,
 0 
 0 




0
βx0
(12.45)
Einheitsstrecke auf der x3 -Achse, x0 = x1 = x2 = 0, x3 = 1 wird
abgebildet auf
x00 = βγ , x30 = γ
(12.46)
• zwei Punktereignisse (0, 0, 0, 0) und (0, 0, 0, 1), die sich zur selben
Zeit x0 = 0 im ungestrichenen System ereignen, ereignen sich zu
verschiedenen Zeiten x00 im gestrichenen System:
Lage der Achsen x0 und x3 in der x00 x30 -Ebene des gestrichenen Systems,
wenn sich das ungestrichene System
mit β = 0.25 (oben), β = 0.5 (Mitte)
und β = 0.75 (unten) relativ zum
gestrichenen bewegt
 

 0 

 0 

  → 
 0 

 

0
0
0
0
0



 ,


 

 0 

 0 

  → γ 
 0 

 

1
β
0
0
1






(12.47)
d.h. im gestrichenen System sind x00 = 0 und x00 = βγ für die
beiden Ereignisse; die Gleichzeitigkeit von Ereignissen hängt also
vom Bewegungszustand ab!
• betrachten wir einen Einheitsmaßstab im ungestrichenen System,
dessen Endpunkte durch (0, 0, 0, 0) und (0, 0, 0, 1) beschrieben
12.3. ELEMENTE RELATIVISTISCHER MECHANIK
131
werden; das nicht im Ursprung liegende Ende des Maßstabs hat
im gestrichenen System zur Zeit x00 = 0 die Koordinaten:
x00 = γ(βx3 + x0 ) = 0 ⇒ x0 = −βx3 ;
p
x30 = γ(βx0 + x3 ) = 1 − β2 < 1
(12.48)
d.h. der bewegte Maßstab erscheint verkürzt; Lorentz-Kontraktion
• für den Achsenabschnitt auf der x0 -Achse gilt im gestrichenen
System:
 
 
 1 
 1 
 
 0 
  → γ  0 
(12.49)
 0 
 0 
 
 
0
β
d.h. wenn die Uhr des ungestrichenen Beobachters x0 = 1 anzeigt,
zeigt die des gestrichenen Beobachters x00 = γ > 1 an, d.h. die
bewegte Uhr geht langsamer; Zeitdilatation
• für verschiedene Geschwindigkeiten β laufen die Einheitspunkte
der ungestrichenen Achsen auf Hyperbelästen im gestrichenen
System; aus (12.49) folgt z.B. für den Einheitspunkt auf der x0 Achse
1
x00 = γ = p
, x30 = βγ
(12.50)
2
1−β
also ist
s
β=
1
1 − 02
x0
s
⇒
x30
=
x00
1
1 − 02 =
x0
q
x002 − 1
(12.51)
• aus der speziellen Lorentztransformation folgt:
x002 − x102 − x202 − x302 = x02 − x12 − x22 − x32
(12.52)
d.h. x02 − x12 − x22 − x32 ist Lorentz-invariant; wir benutzen dies, um
die Metrik zu definieren,
x2 := x02 − x12 − x22 − x32 = gµν xµ xν
(12.53)
mit gµν = diag(1, −1, −1, −1) und 0 ≤ µ, ν ≤ 3; diese Metrik ist
indefinit, denn x2 kann positiv, negativ und Null sein; der konstante
metrische Tensor gµν ersetzt die Metrik δi j im Euklidischen Raum;
man spricht von einem pseudo-euklidischen Raum
• wir fassen die Koordinatenquadrupel zu Vierervektoren zusammen,
x = (xµ ) = (x0 , x1 , x2 , x3 ); damit lässt sich die spezielle LorentzTransformation schreiben als
(xµ )0 = Λµν xν
(12.54)
Lage der Einheitspunkte x0 =
1, 2, 3, 4 und x3 = 1, 2, 3, 4 in der x00 x30 -Ebene des gestrichenen Systems,
wenn es sich relativ zum ungestrichenen System mit Geschwindigkeiten
0 ≤ β ≤ 0.9 bewegt
132
KAPITEL 12. SYMMETRIEN UND ERHALTUNGSSÄTZE
mit

 γ
 0
Λµν = 
 0
γβ
offenbar gilt
0
1
0
0

0 γβ 
0 0 

1 0 

0 γ
Λµν Λµν0 gµµ0 = gνν0
0
(12.55)
(12.56)
dies entspricht der Orthogonalitätsrelation für Koordinatentransformationen im Euklidischen Raum
• allgemein ist das Quadrat eines Vierervektors invariant unter Transformationen der Lorentzgruppe, die sich aus speziellen Lorentztransformationen, orthogonalen dreidimensionalen Transformationen und Zeitumkehrtransformationen zusammen setzen
• ein Lichtblitz werde im ungestrichenen System in x3 -Richtung
ausgesandt, (xµ ) = (ct, 0, 0, ct); im gestrichenen System wird er
beschrieben durch

 

 (1 + β)ct   x00 

  0 
0
 = 

(12.57)
(xµ )0 = γ 





0
0

  0 
(1 + β)ct
x0
d.h. der Lichtblitz hat in beiden Systemen die Geschwindigkeit c;
die Lichtgeschwindigkeit ist eine universelle Konstante
• sei w < c die Geschwindigkeit eines Teilchens im ungestrichenen
System in x3 -Richtung, (xµ ) = (ct, 0, 0, wt), dann ist


 ct + βwt 


0


µ 0

(x ) = γ 
(12.58)

0


βct + wt
mit x30 = w0 t0 folgt für die Geschwindigkeit im gestrichenen System
βct + wt
w+v
w0 =
c=
(12.59)
ct + βwt
1 + vw
2
c
dies ist das Geschwindkeits-Additionstheorem
12.3.3
Vierergeschwindigkeit und Viererimpuls
• Bahnen ~x(t) gehen über in Weltlinien x(t) = [x0 , ~x(t)]; da die
Zeitmessung vom Bewegungszustand abhängt, muss die Bahn
umparametrisiert werden; sie wird durch die Eigenzeit τ ersetzt,
die definiert ist als Zeit im Ruhesystem des Massenpunkts: dx =
(cdτ, 0, 0, 0),
(dx)2 = gµν dxµ dxν = c2 dτ2
(12.60)
12.3. ELEMENTE RELATIVISTISCHER MECHANIK
133
da dx ein Vierervektor ist, ist (dx)2 eine Lorentz-Invariante, d.h. es
gilt für das Differential der Eigenzeit

!2 

1 d~x 

c dτ = dx = c dt − (d~x) = c dt 1 − 2
c dt
1/2


~x˙2 
dt
(12.61)
⇒ dτ = dt 1 − 2  =
c
γ
2
2
2
2
2
2
2
2
dies ist die invariante Bogenlänge im Minkowski-Sinn
• wir ersetzen also t durch
τ=
Z
t
p
dt0 1 − β2
(12.62)
und parametrisieren xµ (τ) statt xµ (t)
• die Vierergeschwindigkeit ist definiert als dxµ /dτ mit Komponenten
d~x
d~x
dx0 cdt
=
= γc ,
=γ
(12.63)
dτ
dτ
dτ
dt
und dem Quadrat
dxµ dxν
v2
gµν
= 1− 2
dτ dτ
c
!−1
(c2 − v2 ) = c2
(12.64)
wegen der Invarianz von dτ transformiert sich dxµ /dτ wie ein
Vierervektor, ist also selbst einer
• analog ist der Viererimpuls pµ = m(dxµ /dτ) mit den Komponenten
p0 = γmc ,
pi = γm
d~x
dt
entwickelt bis zu zweiter Ordnung in β ist
"
#
1 2
1 2 m ˙2 i
0
p = mc + ~x , p = ~p 1 + β
c
2
2
(12.65)
(12.66)
d.h. p0 ergibt die relativistische Verallgemeinerung der Energie,
p0 c = mc2 +
m ˙2
~x
2
(12.67)
im Ruhesystem also p0 c = mc2
• die Noethertheoreme gelten entsprechend, d.h. aus der Invarianz
unter Transformationen der Lorentzgruppe folgen die Erhaltung
der Energie, des Vierer-Impulses usw.
134
KAPITEL 12. SYMMETRIEN UND ERHALTUNGSSÄTZE
12.3.4
Zur Äquivalenz von Masse und Energie
• die Äquivalenz von Masse und Energie, ausgedrückt durch (12.67)
folgt auf einfache Weise direkt aus dem Relativitätsprinzip; gegeben sei ein Körper der Masse m, auf den zur selben Zeit von rechts
und links zwei Lichtblitze mit den gleichen Energien E/2 treffen
und absorbiert werden; im Ruhesystem von m bleibt m auch nach
der Absorption in Ruhe
• von einem System aus betrachtet, das sich mit der Geschwindigkeit
v relativ zu m senkrecht zur Bewegungsrichtung der Lichtblitze bewegt, ist der Impuls von m vor der Absorption gleich mv; auch nach
der Absorption muss sich m mit der Geschwindigkeit v bewegen,
weil sich seine Geschwindigkeit im Ruhesystem nicht ändert
• vom bewegten Bezugssystem aus betrachtet treffen die beiden
Lichtblitze schräg auf m und teilen m daher einen Impuls in seiner
Bewegungsrichtung mit; dieser Impuls beträgt
∆p = 2 ×
E v Ev
= 2
2c c
c
(12.68)
da die Lichtblitze den Impuls E/(2c) haben und in Bewegungsrichtung von m um v/c reduzierte Impulskomponenten haben
• da die Geschwindigkeit von m vor wie nach dem Stoß gleich v ist,
kann die Impulserhaltung nur gelten, wenn die Masse m nach dem
Stoß auf
E
m0 = m + 2
(12.69)
c
angewachsen ist; der absorbierten Energie entspricht also ein Massenzuwachs um E/c2
Kapitel 13
Analytische Mechanik
13.1
Kanonische Transformationen
13.1.1
Bahnen im erweiterten Phasenraum
• gegeben sei ein mechanisches System mit f Freiheitsgraden und
den verallgemeinerten Koordinaten qi , 1 ≤ i ≤ f ; die Lagrangefunktion sei L(q, q̇, t), die Bewegungsgleichungen entsprechend
d ∂L ∂L
−
=0,
dt ∂q̇ ∂q
1≤i≤ f
(13.1)
• die zu den qi kanonisch konjugierten Impulse sind
pi =
∂L
(q, q̇, t) ,
∂q̇i
1≤i≤ f
(13.2)
wenn sich diese Gleichungen nach q̇i auflösen lassen, können die
q̇i durch die pi dargestellt werden
• die verallgemeinerten Koordinaten allein spannen den Konfigurationsraum (q) auf, der Phasenraum wird durch die verallgemeinerten
Koordinaten und Impulse (q, p) aufgespannt, der erweiterte Phasenraum (q, p, t) schließt die Zeit mit ein
• die Hamiltonfunktion ist
H(q, p, t) =
f
X
pi q̇i − L(q, q̇, t)
(13.3)
i=1
mit q̇i = q̇i (q, p, t); die Bewegungsgleichungen sind die Hamiltonschen kanonischen Gleichungen
q̇i =
∂H
,
∂pi
135
ṗi = −
∂H
∂qi
(13.4)
136
KAPITEL 13. ANALYTISCHE MECHANIK
• wir betrachten nun das Differential
f
X
dS :=
pi dqi − Hdt
(13.5)
i=1
auf dem erweiterten Phasenraum; das System werde zu zwei Zeiten t1 , t2 > t1 bei den Lagekoordinaten q1,2 mit den Impulsen
p1,2 untersucht, d.h. an zwei Punkten P1,2 im erweiterten Phasenraum; wir behaupten, dass die wirkliche Bewegung des Systems
so verläuft, dass
Z
δ
P2
dS = 0
(13.6)
P1
ist
• die wirkliche Bahn des Systems im erweiterten Phasenraum sei
gegeben durch qi = qi (t), pi = pi (t), 1 ≤ i ≤ f , mit Anfangs- und
Endpunkten q(t j ) = q( j) , p(t j ) = p( j) , j = 1, 2
• Vergleichsbahnen seien relativ dazu leicht gestört, qi = qi (t)+δqi (t),
pi = pi (t) + δpi (t), 1 ≤ i ≤ f , mit δqi (t1 ) = 0 = δqi (t2 ) und
δpi (t1 ) = 0 = δpi (t2 )
• die Variation (13.6) des Differentials (13.5) ist damit

Z t2 X
f


0
0
0
0

δ
pi q̇i − H(q , p , t) dt = 0
t1
(13.7)
i=1
durch Einsetzen der wahren Bahn und der leicht gestörten Vergleichsbahnen folgt daraus

Z t2 X
f


 (pi + δpi )(q̇i + δq̇i ) − H(q + δq, p + δp, t)
t1
Z
−
t1
i=1
 N

t2 X


pi q̇i − H(q, p, t) = 0

(13.8)
i=1
und daraus ergibt sich
! X
!
Z t2 X
f
f


dδqi
∂H
∂H
pi
+ q̇i δpi −
δqi +
δpi  dt = 0

dt
∂qi
∂pi
t1
i=1
i=1
(13.9)
nach partieller Integration im ersten Term folgt schließlich
!
! #
Z t2 X
f "
∂H
∂H
− ṗi −
δqi + q̇i −
δpi dt = 0
(13.10)
∂qi
∂pi
t1 i=1
• da die Störungen δqi und δpi beliebig waren, folgen aus der Variation (13.6) also die Hamiltonschen kanonischen Gleichungen; die
Umkehrung ist in jedem Schritt möglich, also ist die Behauptung
bewiesen, dass (13.6) die wahre Bahn des Systems im erweiterten
Phasenraum beschreibt
13.1. KANONISCHE TRANSFORMATIONEN
13.1.2
137
Transformationen der Koordinaten
• welche Transformationen lassen die Hamiltonschen Gleichungen
invariant? führen wir neue verallgemeinerte Koordinaten q0i =
q0i (q1 , . . . , q f , t) ein und verlangen, dass die Funktionaldeterminante nicht verschwinde,
0
0 ∂(q1 , . . . , q f ) (13.11)
,0
∂(q1 , . . . , q f ) sodass wir nach q j = q j (q01 , . . . , q0f , t) auflösen können
• die Lagrange-Gleichungen bleiben unverändert,
d ∂L ∂L
−
=0
dt ∂q̇0i ∂q0i
(13.12)
denn der Lagrange-Formalismus ist von der Wahl der verallgemeinerten Koordinaten völlig unabhängig
• die Zeitableitung der alten Koordinaten, ausgedrückt durch die
neuen, lautet
f
X
∂q j 0 ∂q j
q̇ j =
(13.13)
0 q̇k +
∂q
∂t
k
k=1
da die qi und die q̇i unabhängige Koordinaten sind, ist
∂qi
=0
∂q̇ j
(13.14)
∂q̇ j ∂q j
=
=: a jk (q, t)
∂q̇0k ∂q0k
(13.15)
• aus (13.13) folgt
und für die verallgemeinerten Impulse ergibt sich
f
p0j
f
∂L X ∂L ∂q̇k X
= 0 =
=
a jk pk
∂q̇ j k=1 ∂q̇k ∂q̇0j k=1
(13.16)
d.h. der Übergang zu neuen verallgemeinerten Koordinaten q0i
induziert eine Transformation auf dem Phasenraum
q0i
=
q0i (q, t)
,
p0i
=
f
X
ai j p j
j=1
die linear in den verallgemeinerten Impulsen p j ist
(13.17)
138
KAPITEL 13. ANALYTISCHE MECHANIK
• (q0 , p0 ) genügen den Hamiltonschen Gleichungen
∂H 0
,
∂p0i
q̇0i =
mit
0
H :=
f
X
p0i q̇0i
−L=
i=1
ṗ0i = −
f
X
∂H 0
∂q0i
q̇0i ai j p j − L
(13.18)
(13.19)
i, j=1
wegen (13.13) gilt außerdem
f
X
ai j q̇0j = q̇i −
j=1
∂qi
∂t
(13.20)
sodass H 0 sich als
H =
0
f
X
p j q̇ j − L −
j=1
f
X
j=1
f
X ∂q j
∂q j
pj
=H−
pj
∂t
∂t
j=1
(13.21)
schreiben lässt
13.1.3
Kanonische Transformationen
• seien jetzt Transformationen der verallgemeinerten Koordinaten
und Impulse gegeben, q0i = q0i (q, p, t), p0i = p0i (p, q, t); wir verlangen, dass es auf dem erweiterten Phasenraum eine Funktion Φ
geben möge so, dass sich die Differentiale dS aus (13.5) vor und
nach der Transformation nur um das vollständige Differential von
Φ unterscheiden,
dS =
f
X
pi dqi −Hdt =
i=1
f
X
p0i dq0i −H 0 dt+dΦ = dS 0 +dΦ (13.22)
i=1
• wenn das so ist, bleiben die Hamiltonschen Gleichungen erhalten,
d.h. es gilt
∂H 0
∂H 0
0
q̇0i =
,
ṗ
=
−
(13.23)
i
∂p0i
∂q0i
dies ist leicht einzusehen, denn
Z
Z
Z
Z
0
dS =
dS + dΦ =
dS 0 + (Φ2 − Φ1 )
(13.24)
da die Endpunkte der Bahn im erweiterten Phasenraum nicht variiert werden, folgt
Z
Z
δ
dS = δ
dS 0
(13.25)
d.h. die Variationen der beiden Wirkungen sind äquivalent; solche
Transformationen des erweiterten Phasenraums heißen kanonisch
13.2. HAMILTON-JACOBI-THEORIE
139
• Beispiel: q0i = −pi , p0i = qi ist eine kanonische Transformation,
denn
dS =
f
X
pi dqi − Hdt = −
i=1
=
f
X
i=1
f
X
q0i dp0i − Hdt
i=1

 f
X

p0i dq0i − Hdt − d 
p0i q0i 
(13.26)
i=1
d.h. die Differentiale dS und dS 0 unterscheiden sich tatsächlich
nur durch das vollständige Differential von
Φ=
f
X
p0i q0i
(13.27)
i=1
das verdeutlicht, dass q und p nach kanonischen Transformationen
keineswegs die physikalische Bedeutung von Orten und Impulsen
haben müssen!
13.2
Hamilton-Jacobi-Theorie
13.2.1
Die Hamilton-Jacobi-Gleichung
• kanonische Transformationen können verwendet werden, um Bewegungsgleichungen möglichst einfach zu machen, z.B. H 0 ≡ 0,
sodass q̇0i = 0 = ṗ0i werden; man nennt dies eine „Transformation
auf Ruhe“
• wir nehmen eine zunächst beliebige Funktion Φ, die neben den f
verallgemeinerten Koordinaten qi auch von weiteren f Parametern
q0i und von der Zeit t abhängen soll; wir verlangen nur, dass
 2 
 ∂ Φ 
 , 0
det 
∂qi ∂q0j
(13.28)
sei, d.h. die Determinante der Krümmungsmatrix von Φ möge
nicht verschwinden
• mittels Φ definieren wir die Transformation
pj =
∂Φ
,
∂q j
p0j = −
∂Φ
∂q0j
(13.29)
140
KAPITEL 13. ANALYTISCHE MECHANIK
und behaupten, dass sie kanonisch sei:
f
f
X ∂Φ
X ∂Φ
∂Φ
0
dΦ =
dt +
dqi +
0 dqi
∂t
∂q
∂q
i
i
i=1
i=1
f
f
X
X
∂Φ
=
dt +
pi dqi −
p0i dq0i
∂t
i=1
i=1
f
X
∂Φ
=
dt + dS + Hdt −
p0i dq0i
∂t
i=1
!
f
X
∂Φ
p0i dq0i − H +
⇒ dS =
dt + dΦ
∂t
i=1
(13.30)
• die Transformation (13.29) ist also in der Tat kanonisch, die Funktion Φ heißt Erzeugende Funktion der Transformation; nach der
Transformation lautet die Hamiltonfunktion
H0 = H +
∂Φ
∂t
(13.31)
• sie verschwindet, wenn Φ die Hamilton-Jacobi-Gleichung
!
∂Φ
∂Φ
H(q, p, t) = H q,
,t +
=0
(13.32)
∂q
∂t
erfüllt; eine kanonische Transformation, deren Erzeugende diese
Gleichung erfüllt, transformiert also das System tatsächlich „auf
Ruhe“
13.2.2
Harmonischer Oszillator
• als ein erstes Beispiel für eine kanonische Transformation betrachten wir den harmonischen Oszillator; seine Lagrange-Funktion
lautet
m
k
L = q̇2 + q2
(13.33)
2
2
wenn k die Konstante der Rückstellkraft ist
• der kanonisch konjugierte Impuls ist p = mq̇, und damit lautet die
Hamilton-Funktion
H(q, p) =
p2 k 2
+ q
2m 2
(13.34)
• wir betrachten nun die kanonische Transformation, die durch die
Funktion
m
Φ(q, q0 ) = ω2 q2 cot q0
(13.35)
2
13.2. HAMILTON-JACOBI-THEORIE
141
erzeugt wird; die Impulse ergeben sich aus (13.29) zu
p=
∂Φ
= mωq cot q0 ,
∂q
p0 = −
∂Φ m 2 1
= ωq
∂q0
2
sin2 q0
(13.36)
wobei (cot x)0 = − sin−2 x verwendet wurde
• daraus erhält man, indem man nach q und p auflöst
r
p
2p0
q=
sin q0 , p = 2mωp0 cos q0
mω
(13.37)
• da Φ nicht explizit von der Zeit abhängt, ist H 0 = H; wenn man q
und p durch (13.38) ersetzt, folgt außerdem H 0 = ωp0 ; da H 0 nicht
von q0 abhängt, ist q0 offenbar zyklisch, und es gilt
ṗ0 = −
∂H 0
=0
∂q0
⇒
p0 = konst. =: p00
(13.38)
q0 = ωt + q00
(13.39)
außerdem folgt für q0
∂H 0
q̇ =
=ω
∂p0
0
⇒
• setzt man dies wieder in q aus (13.37) ein, folgt
r
2p0
sin(ωt + q00 )
(13.40)
q=
mω
mit den beiden Integrationskonstanten q00 und p00 , die Amplitude
und Phase der Schwingung festlegen
13.2.3
Bewegung des freien Massenpunkts
• als Beispiel betrachten wir die kräftefreie Bewegung eines Massenpunkts m mit kartesischen Koordinaten qi → xi ; Lagrange- und
Hamilton-Funktion lauten
m
1 2
~p
L = ~x˙2 , H =
(13.41)
2
2m
• in diesem Fall lautet die Hamilton-Jacobi-Gleichung

!2
!2
!2 
1  ∂Φ
∂Φ
∂Φ  ∂Φ

 +
+
+
=0
2m ∂x1
∂x2
∂x3
∂t
(13.42)
• zu ihrer Lösung verwenden wir den Ansatz
Φ = q01 x1 + q02 x2 + q03 x3 − Et
(13.43)
mit Konstanten q0i und E; offenbar ist damit die Voraussetzung
(13.28) erfüllt, denn die Krümmungsmatrix von Φ ist die Einheitsmatrix,
∂q0i
∂2 Φ
=
= δi j
(13.44)
∂qi ∂q0j ∂q0j
142
KAPITEL 13. ANALYTISCHE MECHANIK
• die Hamilton-Jacobi-Gleichung verlangt dann
i
1 h 0 2
1 02
(~q )
(q1 ) + (q02 )2 + (q03 )2 − E = 0 ⇒ E =
2m
2m
(13.45)
also
Φ = ~q0 · ~x −
1 02
(~q ) t
2m
(13.46)
• für die kanonisch-konjugierten Impulse erhalten wir aus (13.29)
pi =
∂Φ
= q0i ,
∂qi
p0i = −
∂Φ
pi
t
0 = −xi +
∂qi
m
(13.47)
aus den Bedingungen (q0i , p0i ) = konst. folgen damit pi = konst.
und xi = pi t/m + konst.; E ist offenbar die Energie
• zu gegebener, fester Zeit t beschreibt
Φ = ~q0 · ~x − Et = ~q0 · ~x −
(~q0 )2
t = konst.
2m
(13.48)
~ qΦ
eine Ebenenschar mit dem Normalenvektor ~q0 ; wegen ~p = ∇
stehen die Impulse senkrecht auf dieser Ebenenschar
• Ebenen mit festem Φ wandern mit der Geschwindigkeit v = E/|~q0 |
in Richtung ~q0 weiter, also nicht mit der Geschwindigkeit eines
Teilchens mit dem Impuls ~q0 !
• diese Wanderung der Ebenen stellt eine Wellenbewegung dar, die
eine Analogie zwischen geometrischer Optik und theoretischer
Mechanik herstellt; in der geometrischen Optik heißt Φ Eikonalfunktion und stellt die Phase der Lichtwelle dar
• angeregt durch de Broglie und Einstein fasste Schrödinger die
Punktmechanik als Grenzfall der Wellenmechanik auf und setzte
für die Wellenfunktion eines freien Teilchens
#
"
i
0
(13.49)
ψ(~x, t) = exp Φ(~x, t, ~q )
~
an; Φ/~ ist die dimensionslose Phase, ~ := h/(2π); für diese
Wellenfunktion verlangt die Hamilton-Jacobi-Gleichung
!
~2 ∂2
∂2
∂2
∂
−
+ 2 + 2 ψ = i~ ψ
2
2m ∂x1 ∂x2 ∂x3
∂t
(13.50)
das ist bereits die Schrödinger-Gleichung für ein freies Teilchen
13.2. HAMILTON-JACOBI-THEORIE
13.2.4
143
Lösung der Hamilton-Jacobi-Gleichung
• im Raum (q, t) seien q0 die Koordinaten des Systems zu einem
festen Zeitpunkt t0 ; weiterhin sei Φ0 eine beliebige Funktion der f
Koordinaten qi0 , die noch von f weiteren Parametern q0i abhänge
und für die die Unabhängigkeitsrelation
 2

 ∂ Φ 
det 
(13.51)
 , 0
∂qi0 ∂q0j
gelte; Orte und Impulse zur Zeit t0 sind
∂Φ pi (t0 ) =
∂qi qi =qi0
qi (t0 ) = qi0 ,
(13.52)
• wir suchen diejenige Bewegung des mechanischen Systems, die
zur Zeit t0 an den Orten q0 mit den Impulsen p0 beginnt; sie ist gegeben durch Integration der Hamiltonschen kanonischen Gleichungen (13.4); eine Lösung existiert nach dem Cauchyschen Existenzund Eindeutigkeitssatz für gewöhnliche Differentialgleichungen;
damit wird jedem Punkt q0 eine Bahn des Systems zugeordnet
• zu einem anderen Zeitpunkt t wird durch jeden Punkt q genau eine
der so konstruierten Bahnen gehen, wenn t nahe bei t0 liegt und H
sich genügend gut verhält
• wir setzen nun
Φ(q, q , t) = Φ0 (q0 , q ) +
0
t1
Z
0
L q(t0 ), q̇(t0 ), t0 dt0
(13.53)
t0
d.h. Φ sei gleich einer beliebigen Funktion Φ0 am Ort q0 plus das
Wirkungsintegral längs der Bahn von q0 nach q
• diese Funktion löst die Hamilton-Jacobi-Gleichung; zum Beweis
variieren wir Φ:
f
f
f
X
X
X
∂Φ0
δΦ =
δqi0 +
pi δqi − H(q, p, t)δt −
pi0 δqi0
∂qi0
i=1
i=1
i=1
=
f
X
i=1
pi δqi − Hδt =
f
X
∂Φ
i=1
∂qi
δqi +
∂Φ
δt
∂t
(13.54)
wobei im zweiten Schritt ∂Φ/∂qi0 = pi0 verwendet wurde; daraus
folgt
∂Φ
∂Φ
pi =
,
+H =0
(13.55)
∂qi
∂t
d.h. Φ genügt tatsächlich der Hamilton-Jacobi-Gleichung
• damit haben wir eine allgemeine Lösung für die Hamilton-JacobiGleichung konstruiert und gezeigt, dass sich jedes mechanische
System „auf Ruhe“ transformieren lässt; dieses Verfahren hat sich
als grundlegend für die Pfadintegral-Methode in der Quantenmechanik erwiesen
144
KAPITEL 13. ANALYTISCHE MECHANIK
13.3
Liouvillescher Satz, Poisson-Klammern
13.3.1
Der Liouvillesche Satz
• gegeben sei ein Ensemble von Systemen, deren Bahnen bei t =
t0 einen Bereich σ0 des Phasenraums überdecken; der Satz von
Liouville besagt, dass das Volumen des überdeckten Phasenraums
konstant bleibt,
Volumen[σ(t)] = Volumen[σ0 ]
(13.56)
oder
Z Y
f
σ0 i=1
dqi dpi =
Z
f
Y
σ(t) i=1
dqi dpi
(13.57)
• der Beweis erfolgt in zwei Schritten; zunächst ist bei kanonischen
Transformationen (q, p, t) → (q0 , p0 , t) die Funktionaldeterminante
∂(q1 , . . . , q f , p1 , . . . , p f ) 0
=1
(13.58)
∂(q1 , . . . , q0f , p01 , . . . , p0f ) was hier nicht gezeigt wird; das bedeutet, dass kanonische Transformationen das Volumenelement im Phasenraum konstant lassen;
es lässt sich aber eine kanonische Transformation finden, die das
Ensemble von Systemen auf Ruhe transformiert, und dann ist
trivialer Weise σ(t) = σ0
13.3.2
Poisson-Klammern
• sei ρ(q, p, t) die Dichteverteilung des Ensembles im Phasenraum,
d.h. ρ(q, p, t)dqdp ist die Anzahl der Ensemblemitglieder zur Zeit
t im Phasenraumelement zwischen [q, q + dq] und [p, p + dp]
• die Systeme können im erweiterten Phasenraum nicht verloren
gehen,
ρ(q, p, t)dqdp = ρ(q0 , p0 , t0 )dq0 dp0
(13.59)
woraus mithilfe des Liouvilleschen Satzes folgt
ρ(q, p, t) = ρ(q0 , p0 , t0 )
(13.60)
also
!
!
f
f
∂ρ X ∂ρ
∂ρ
∂ρ X ∂H ∂ρ ∂H ∂ρ
+
q̇i
+ ṗi
=
+
−
(13.61)
∂t i=1
∂qi
∂pi
∂t i=1 ∂pi ∂qi ∂qi ∂pi
13.3. LIOUVILLESCHER SATZ, POISSON-KLAMMERN
145
• der Ausdruck in Klammern heißt Poisson-Klammer, allgemein
definiert als
!
f
X
∂ f ∂g ∂ f ∂g
−
{ f, g} :=
∂pi ∂qi ∂qi ∂pi
i=1
(13.62)
sie erfüllt folgende Eigenschaften:
{ f, g}
{ f, g1 + g2 }
{ f, g1 g2 }
0
=
=
=
=
−{g, f }
(13.63)
{ f, g1 } + { f, g2 }
g1 { f, g2 } + g2 { f, g1 }
{{ f, g1 }, g2 } + {{g1 , g2 }, f } + {{g2 , f }, g1 }
die letzte Gleichung ist Jacobis Identität
• mithilfe der Poisson-Klammern lautet (13.61)
∂ρ
+ {H, ρ} = 0
∂t
(13.64)
die Hamiltonschen kanonischen Gleichungen lauten
q̇i = {H, qi } ,
ṗi = {H, pi }
(13.65)
in dieser Form wurden sie grundlegend für die Heisenbergsche
Formulierung der Quantenmechanik
146
KAPITEL 13. ANALYTISCHE MECHANIK
Kapitel 14
Stabilität und Chaos
14.1
Stabilität
14.1.1
Bewegung in der Nähe des Gleichgewichts
• nicht-konservative Systeme heißen dissipativ; sie verlieren Energie
und können daher als Systeme betrachtet werden, die auf irgend
eine Weise an ihre Umgebung oder an andere Systeme ankoppeln
• wichtig für das Verhalten dissipativer Systeme ist die Stärke dieser
Kopplung an andere Systeme; diese Kopplungsstärke wird durch
Parameter bestimmt, etwa durch die Reibungskonstante λ beim
gedämpften harmonischen Oszillator
• für die Kenntnis eines dissipativen Systems ist es wichtig zu wissen, bei welchen kritischen Werten dieser Kopplungsparameter
wesentliche Änderungen im Verhalten des Systems auftreten
• die Gesamtheit des Systems wird durch den Phasenfluss dargestellt, d.h. durch die Gesamtheit der Trajektorien des Systems,
die durch alle möglichen Anfangsbedingungen und die Wahl der
Kopplungsparameter erlaubt werden
• damit tritt die Frage auf, ob es kritische Werte der Kopplungsparameter gibt, bei denen sich die Eigenschaften des Phasenflusses
wesentlich ändern; statt einzelner Trajektorien wird dann die gesamte Lösungsmannigfaltigkeit des Systems betrachtet
• studiert wird dann das Langzeitverhalten des Systems unter allen möglichen Anfangsbedingungen; damit wird die qualitative
Dynamik vorgegebener Bewegungsgleichungen zum Gegenstand
der Untersuchung; ein Beispiel wäre die Untersuchung der Frage, wie sich der Phasenfluss für periodische, schwach gestörte
Bewegungen langfristig entwickelt
147
148
KAPITEL 14. STABILITÄT UND CHAOS
• bei dieser Vorgehensweise gehen wir von Bewegungsgleichungen
der Form
~ x, t)
~x˙ = F(~
(14.1)
aus; auf eine solche Form lassen sich die dynamischen Gleichun˙N zu
gen immer bringen, indem man etwa (~x1 , . . . , ~xN ; ~˙x,
1 . . . , ~ x)
einem Vektor ~x zusammen fasst
• Beispiel: für den gedämpften harmonischen Oszillator ist ẍ + 2λ ẋ +
ω2 x = 0; wir führen ~z := (x, ẋ) ein, erhalten ż2 = −2λz2 − ω2 z1
und ż1 = z2 , womit folgt
!
!
ż1
z2
=
(14.2)
ż2
−2λz2 − ω2 z1
• die „Kraft“ F~ kann Störterme oder nicht genau bekannte Anteile
enthalten; in beiden Fällen würde die Größe der Störungen oder
der zusätzlichen Anteile durch Parameter angegeben
~ x0 ) = 0
• die Gleichgewichtslage ~x0 ist dadurch bestimmt, dass F(~
ist; autonom ist das System, wenn F~ nicht explizit von der Zeit
~ x, t) = F(~
~ x(t)); Punkte ~x0 , für die F(~
~ x0 ) = 0 gilt, heißen
abhängt, F(~
singuläre oder kritische Punkte von F~
• wir versetzen das System in einen solchen kritischen Punkt und
linearisieren in dessen Umgebung; sei ~y := ~x − ~x0 , dann ist
f
X
∂F~ ~y(t) =
· yi (t)
∂xi ~x
i=1
(14.3)
0
• im allgemeineren, dynamischen Fall seien ~ξ(t) eine Lösungskurve
~ x, t) und ~y(t) := ~x(t) − ~ξ(t), dann ist offenbar
von ~x˙ = F(~
und daher
~ y + ~ξ, t) − ~ξ˙ = F(~
~ y + ~ξ, t) − F(
~ ~ξ, t)
~y˙ = F(~
(14.4)
f
X
~ ∂
F
· yi
~y˙ =
∂xi ~x=~ξ
(14.5)
i=1
• in der Umgebung einer Lösungskurve ~ξ lassen sich die dynamischen Gleichungen also in die Form
˙~y = A · ~y , Ai j = ∂Fi (14.6)
∂x j ~x=~ξ
bringen; die Lösung dieser Gleichung ist
~y(t) = exp [A(t − t0 )] · ~y0
(14.7)
14.1. STABILITÄT
149
• die Exponentialfunktion der Matrix A(t − t0 ) hat die nahe liegende
Bedeutung
∞
X
(t − t0 )i i
A
(14.8)
exp[A(t − t0 )] :=
i!
i=0
wenn A in Diagonalform gebracht wurde mit den Eigenwerten αi ,
1 ≤ i ≤ f , dann ist auch exp[A(t − t0 )] in Diagonalform und hat
die Eigenwerte exp[αi (t − t0 )]
• die Eigenwerte αi heißen kritische Exponenten des Vektorfeldes F~
in ~x0 bzw. entlang der Lösungskurve ~ξ
Beispiele
• gegeben sei ein ebenes Pendel der Länge l und der Masse m; seine
Lagrange-Funktion ist
L=
m2 2
l ϕ̇ + mgl cos ϕ
2
(14.9)
woraus die Bewegungsgleichung
r
ϕ̈ + ω ϕ = 0 ,
2
ω :=
g
l
(14.10)
folgt
• wir nennen y1 := ϕ und y2 = ϕ̇; damit ist ẏ1 = y2 und ẏ2 = −ω2 y1 ,
und
!
1
˙~y = 0
(14.11)
−ω2 0
aus dem charakteristischen Polynom α2 + ω2 = 0 erhalten wir
die Eigenwerte α1,2 = ±iω, und damit lautet die Matrix A in
Diagonalform
!
iω 0
A=
(14.12)
0 −iω
beide kritischen Exponenten sind imaginär und beschreiben daher
Schwingungen des Pendels
• betrachten wir statt dessen ein ebenes Pendel mit Reibung, dann
lautet die Bewegungsgleichung
ϕ̈ + 2λϕ̇ + ωϕ = 0
mit derselben Definition von y1,2 wie oben folgt
!
!
ẏ1
0
1
=
ẏ2
−ω2 −2λ
(14.13)
(14.14)
150
KAPITEL 14. STABILITÄT UND CHAOS
• das charakteristische Polynom α(α + 2λ) + ω2 = 0 ergibt die
Eigenwerte
√
(14.15)
α1,2 = −λ ± i ω2 − λ2
die Gleichgewichtslage y = 0 wird für λ = 0 nur im zeitlichen
Mittel erreicht; für λ < 0 läuft das System exponentiell vom
Gleichgewicht weg, während die Bewegung für λ > 0 und t → ∞
nach y = 0 läuft
14.1.2
Definitionen und Sätze zur Stabilität
• diese Überlegung motiviert die folgenden Definitionen:
1. ein Punkt ~x0 auf der Lösungskurve eines Systems heißt Liapunov-stabil, wenn zu jeder Umgebung U von ~x0 eine Umgebung V von ~x0 existiert so, dass die Lösungskurve, die
zur Zeit t = 0 durch ~x ∈ V geht, für alle t ≥ 0 in U liegt;
mathematisch: ~x ∈ V : ξ~x (t) ∈ U (t ≥ 0)
2. der Punkt ~x0 heißt asymptotisch stabil, wenn es zu ~x0 eine Umgebung U gibt so, dass die Lösungskurve durch ein
beliebiges ~x ∈ U für t → ∞ definiert ist und im Limes
t → ∞ nach ~x0 läuft; ein asymptotisch stabiler Punkt ist auch
Liapunov-stabil
• folgende Sätze beschreiben die Stabilität:
~ ferner sei <(αi ) <
1. Sei ~x0 ein Gleichgewichtspunkt von F,
−c < 0 für alle αi , dann existieren eine Umgebung U von
~x0 so, dass der Fluss von F~ auf U für alle positiven Zeiten
definiert ist, und ein d ∈ R so, dass für alle ~x ∈ U und alle
t ≥ 0 gilt
~ξ~x ≤ de−ct ~x − ~x0 (14.16)
(exponentielle, gleichmäßige Konvergenz nach ~x0 )
2. Wenn ~x0 stabil ist, hat keiner der Eigenwerte von A einen
positiven Realteil
Beispiel für einen Freiheitsgrad
• für ein System mit einem Freiheitsgrad gilt in der Nähe des Gleichgewichts ~y = 0
!
!
ẏ1
y1
=A
(14.17)
ẏ2
y2
die Eigenwerte erfüllen die Gleichung
α2 − trAα + det A = 0
(14.18)
14.1. STABILITÄT
151
mit trA = α1 + α2 und det A = α1 α2 ; der Ausdruck
D := (trA)2 − 4 det A
(14.19)
ist die Diskriminante
• wenn D ≥ 0 ist, sind α1,2 ∈ R; dann werden drei Fälle unterschieden:
1. α1 < α2 < 0: (det A > 0); dann gilt
y1 = eα1 t y1,0 ,
y2 = eα2 t y2,0
(14.20)
die y(t) bilden dann einen Knoten
2. α1 = α2 < 0: der Knoten ist axialsymmetrisch
3. α2 < 0 < α1 : (det A < 0); der Nullpunkt ist instabil, die y(t)
bilden einen Sattelpunkt
• wenn D < 0 ist, sind α1,2 konjugiert-komplexe Zahlen; die dynamische Gleichung beschreibt dann einen (gedämpften, angefachten)
harmonischen Oszillator, der anhand des Vorzeichens von <(α)
unterschieden wird
14.1.3
Hamiltonsche Systeme
• mit der Matrix
J :=
0 1
−1 0
!
(14.21)
und der Identifikation q = x1 , p = x2 lauten die Hamiltonschen
Gleichungen
~
~x˙ = J · ∇H
(14.22)
• offenbar ist det J = 1 und J T = J −1 = −J, außerdem ist J 2 = −I
(d.h. die negative Einheitsmatrix); J induziert eine symplektische
Struktur auf dem Phasenraum
~
• wenn ~x0 ein
Gleichgewichtspunkt ist, gilt dort J · ∇H = 0, also
~ = 0; die Linearisierung um ~x0 mit ~y := ~x − ~x0 ergibt
auch ∇H
~x0
∂2 H
~y˙ = J ·
∂xi ∂x j
• die Matrix
!
· ~y
~x
∂2 H
B :=
∂xi ∂x j
(14.23)
0
!
~x
0
ist offenbar symmetrisch; per Definition ist JB = A
(14.24)
152
KAPITEL 14. STABILITÄT UND CHAOS
• die Matrix A ist infinitesimal symplektisch; für sie gilt
AT J + JA = (JB)T J + JA = BT (J T J) + JA = B + JA
= B + J2 B = B − B = 0
(14.25)
• wenn α Eigenwert von A ist, dann ist auch −α Eigenwert von A;
Beweis: die Eigenwerte von A sind durch das charakteristische
Polynom det(A − αI) = 0 bestimmt; wir müssen also zeigen, dass
det(A − αI) = det(A + αI) ist:
det(A − αI) =
=
=
=
det(JB + αJ 2 ) = det J det(B + αJ)
h
i
det (B + αJ)T = det(BT + αJ T )
det(B − αJ) = det [J(B − αJ)]
det(JB − αJ 2 ) = det(A + αI)
(14.26)
das bedeutet, dass für Hamiltonsche Systeme die Voraussetzungen
des Satzes 1 nicht erfüllbar sind, denn zu jedem Eigenwert αi von
A = JB mit negativem Realteil muss es einen Eigenwert α j mit
<(α j ) = −<(αi ) > 0 geben! ~x0 kann höchstens dann stabil sein,
wenn alle Eigenwerte rein imaginär sind
Stabilität des asymmetrischen Kreisels
• als Beispiel betrachten wir einen kräftefreien, asymmetrischen
Kreisel mit den Hauptträgheitsmomenten 0 < Θ1 < Θ2 < Θ3 ; mit
der Definition xi := ωi können die Eulerschen Gleichungen (9.48)
in die Form
Θ3 − Θ2
x2 x3
Θ1
Θ3 − Θ1
x1 x3
= +
Θ2
Θ2 − Θ1
= −
x1 x2
Θ3
ẋ1 = −
ẋ2
ẋ3
(14.27)
gebracht werden
• offensichtlich sind die drei Gleichgewichtslagen des Systems gegeben durch
~x0,1


 ω 


=  0  ,


0
~x0,2


 0 


=  ω  ,


0
~x0,3


 0 


=  0  ,


ω
(14.28)
mit einer beliebigen Konstante ω, denn damit verschwinden jeweils ẋ1 , ẋ2 und ẋ3
14.1. STABILITÄT
153
• zur Untersuchung der Stabilität dieser Gleichgewichtslagen setzen
wir ~yi := ~xi − ~x0,i und linearisieren in ~y; so ergibt sich in der
Umgebung von ~x0,1 das lineare Gleichungssystem

 
0
0
 ẏ1   0
Θ3 −Θ1
˙~y =  ẏ2  =  0
0
ω
Θ2

 
1
ẏ3
0
0 −ω Θ2Θ−Θ
3







 y1 


 y2  =: A~y
y3
(14.29)
• die charakteristischen Exponenten zur Gleichgewichtslage ~x0,1
ergeben sich aus det(A − α1,i I) = 0, also
!
2 Θ3 − Θ1 Θ2 − Θ1
α1,1 α1,2 α1,3 + ω
=0
(14.30)
Θ2
Θ3
zu
(Θ2 − Θ1 )(Θ3 − Θ1 )
= iω
Θ2 Θ3
"
α1,1 = 0 ,
α1,2 = −α1,3
#1/2
(14.31)
• auf völlig analoge Weise findet man
#1/2
(Θ3 − Θ2 )(Θ2 − Θ1 )
=ω
Θ1 Θ3
"
#1/2
(Θ3 − Θ2 )(Θ3 − Θ1 )
= iω
(14.32)
Θ1 Θ2
"
α2,1 = 0 , α2,2 = −α2,3
α3,1 = 0 , α3,2 = −α3,3
für die Eigenwerte der Entwicklung um die anderen beiden Gleichgewichtslagen
• der Eigenwert α2,2 hat also einen positiven Realteil, d.h. die Gleichgewichtslage ~x0,2 erfüllt nicht die Voraussetzung für Stabilität;
tatsächlich sind Drehungen des kräftefreien, asymmetrischen Kreisels um die Achse mit dem mittleren Hauptträgheitsmoment instabil
14.1.4
Attraktoren; die van-der-Polsche Gleichung
• Attraktoren sind Bereiche des Phasenraums, zu denen die Lösungskurven laufen; als Beispiel dafür besprechen wir die van-derPolsche Gleichung
• der harmonische Oszillator mit geschwindigkeitsabhängiger Dämpfung wird dadurch verändert, dass die Dämpfungskonstante von
der Amplitude abhängig gemacht wird,
ẍ(t) + 2γ(x) ẋ(t) + ω2 x(t) = 0
(14.33)
154
KAPITEL 14. STABILITÄT UND CHAOS
• die van-der-Polsche Gleichung erhält man für
!
x2
γ(x) = −γ0 1 − 2 , γ0 > 0
x0
(14.34)
für x x0 wird der Oszillator angefacht, Energie wird in das System gepumpt; für x x0 dagegen wird der Oszillator gedämpft;
dies kann als Korrektur des Modells des harmonischen Oszillators
mit Reibung aufgefasst werden, indem das System abhängig vom
Ausschlag an äußere Systeme angekoppelt wird
Auslenkung und Geschwindigkeit eines Oszillators, der durch die vander-Polsche Gleichung beschrieben
wird
• als dimensionslose Variable führen wir τ := ωt und
r
√ x
2γ0 x
=: q(τ) :=
ω x0
x0
(14.35)
ein; damit kann die van-der-Polsche Gleichung in die Form
ṗ + q − ( − q2 )p = 0
(14.36)
gebracht werden, wobei
p := q̇(τ) =
dq
dτ
(14.37)
definiert wurde
• das Phasenportrait der van-der-Polschen Gleichung zeigt ihr Attraktorverhalten: abhängig von den Anfangsbedingungen (p, q)
entwickeln sich die Lösungskurven zum Attraktor hin
Bewegung des van-der-Polschen Oszillators im Phasenraum aus verschiedenen Anfangszuständen hin
zum Attraktor
14.2
Chaos in der Himmelsmechanik
14.2.1
Beispiel: Saturnmond Hyperion
• wir betrachten die Bewegung des asymmetrischen Mondes Hyperion um den Planeten Saturn auf einer Ellipse mit der Exzentrizität
ε; die Asymmetrie des Mondes werde dadurch modelliert, dass er
aus zwei verschieden langen Hanteln zusammen gesetzt gedacht
wird, an deren Enden jeweils Massenpunkte m sitzen
• die Längen der Hanteln seien d und e < d; die Hauptträgheitsmomente ergeben sich zu
Θ1 =
m 2
e ,
2
Θ2 =
m 2
d ,
2
Θ3 =
m 2
(d + e2 )
2
(14.38)
die 1-Achse ist entlang der kürzeren, die 2-Achse entlang der
längeren Hantel gerichtet, die 3-Achse steht auf beiden senkrecht
14.2. CHAOS IN DER HIMMELSMECHANIK
155
• aufgrund der Asymmetrie Hyperions übt der Saturn auf die 2Achse das Drehmoment
~
~ 12 = d × (F~1 − F~2 )
M
(14.39)
2
aus; dabei sind die F~i gegeben durch
GMm~ri
,
F~i = −
ri3
~r1,2 = ~r ±
d~
2
• offenbar gilt dann wegen d |~r|

 3/2
#
"

~ 2 
3d
d

3
3
r1,2 = ~r ±   ≈ r 1 ±
cos α
2
2r
(14.40)
(14.41)
wobei α der Winkel zwischen ~r und d~ ist
• die Kräfte F~1,2 lauten also
F~1,2
GMm
3d
=− 3 1∓
cos α
r
2r
!

~r +

d~ 

2
und die Beträge der Kreuzprodukte sind
!
d~
GMm
3d
× F~1,2 = −
1∓
cos α dr sin α
2r3
2r
2
(14.42)
(14.43)
• daraus ergibt sich das Drehmoment
~ 12 = 3GM Θ2 sin 2α ~e3
(14.44)
M
2r3
entsprechend erhält man für die darauf senkrecht stehende Hantel
~ 34 = − 3GM Θ1 sin 2α ~e3
M
2r3
(14.45)
• die Drehimpulsänderung ist gleich dem gesamten Drehmoment,
also folgt
!2
a 3
3 2π
Θ3 φ̈ =
(Θ2 − Θ1 )
sin 2(ϕ − φ)
(14.46)
2 τ
r
wobei das 3. Keplersche Gesetz (4.42) benutzt wurde; φ ist der
Drehwinkel der längeren Hantel bezüglich der Polarachse, sodass
α = ϕ − φ gilt; sowohl r, φ und ϕ sind Funktionen der Zeit t
• wir kürzen noch ab, indem wir den relevanten Parameter
r
3(Θ2 − Θ1 )
β :=
(14.47)
Θ3
einführen; damit lautet (14.46)
!2
β2 2π a 3
φ̈ =
sin 2(ϕ − φ)
(14.48)
2 τ
r
156
KAPITEL 14. STABILITÄT UND CHAOS
Kreisbahn als Spezialfall
• für den Spezialfall der Kreisbahn ist r = konst. und außerdem
2π
=ω,
τ
ϕ = ωt
(14.49)
damit vereinfacht sich (14.48) zu
φ̈ = −
β2 2
ω sin 2(φ − ωt)
2
(14.50)
woraus mit der Definition φ0 := φ − ωt folgt
φ̈0 = −
β2 2
ω sin 2φ0
2
(14.51)
• nach Multiplikation mit φ̇0 lässt sich (14.51) ein Mal integrieren,
(φ̇0 )2 =
β2 2
ω cos 2φ0 + C
2
(14.52)
mit der Integrationskonstante C
14.2.2
Chaotisches Taumeln auf der Ellipsenbahn
• der asymmetrische Mond auf der elliptischen Bahn zeigt chaotisches Verhalten; um dieses sichtbar zu machen, benutzt man die
so genannte Poincaré-Abbildung: in festen Zeitabständen wird die
Lage des Systems im Phasenraum dargestellt
Poincaré-Abbildungen für die Marsmonde Deimos (oben, ε = 0.0005,
β = 0.81), Phobos (Mitte, ε = 0.015,
β = 0.83) und den Saturnmond Hyperion (unten, ε = 0.1, β = 0.89)
• im Fall des Mondes auf seiner Umlaufbahn wählt man als festen Zeitabstand die Umlaufperiode um den Saturn und gibt etwa
bei jedem Durchgang des Mondes durch sein Perisaturnion seine
Orientierung θ sowie dessen Änderung θ̇ an
• führt man dies für einige zufällig gewählte Anfangswerte θ0 und
θ̇0 durch und betrachtet die Poincaré-Abbildung nach sehr vielen
Umläufen, zeigt sich ein charakteristisches Bild: Bereichen, in
denen geordnetes Verhalten auftritt, stehen Bereiche gegenüber, in
denen sich die Position des Systems im Phasenraum von Umlauf
zu Umlauf unkontrollierbar ändert: Der asymmetrische Mond
taumelt; die Abbildungen zeigen die Poincaré-Abbildungen für
die Marsmonde Phobos und Deimos und für den Saturnmond
Hyperion
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