Masterarbeit

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Andrea Nagyová
Masterarbeit
Matr: 0673107
Universität für Musik und darstellende Kunst, Graz
Hauptfach: Gesang
Masterarbeit
Die Geschichte der ungarischen Operette
Graz, Oktober 2012
Unter Betreuung von: Ao.Univ.Prof. Mag.phil. Dr.phil. Harald Haslmayr
Andrea Nagyová
I
Andrea Nagyová
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Matr: 0673107
Inhaltsverzeichnis
1. Vorwort ............................................................................................................ 1
2. Die Anfänge ..................................................................................................... 3
3. Jacques Offenbach......................................................................................... 4
4. Die Operette in Ungarn .................................................................................. 6
5. Die Entstehung der ungarischen Operette .................................................. 7
5. 1. József Konti .................................................................................................. 8
5. 1. 1Lujza Blaha ................................................................................................. 9
5. 2. György Verő ................................................................................................ 12
5. 3. Izsók Barna ................................................................................................... 13
6. Die Meister der ungarischen Operette .......................................................... 14
6. 1. Jenő Huszka ................................................................................................. 14
6. 1.1. Sári Fedák ................................................................................................. 15
6. 1. 2. Die Handlung von „Prinz Bob“ .................................................................. 16
6. 1. 3. Die Handlung von „Gül Baba“ ................................................................... 18
6. 1. 4. Die Handlung von „Baronesse Lili“ ........................................................... 20
6. 2. Pongrácz Kacsóh.......................................................................................... 20
6. 2. 1. Zum Inhalt vom „János Vitéz“ ................................................................... 22
6. 2. 2. Die Handlung von „Rákoczi“ ..................................................................... 23
6. 3. Ákos Buttykay ............................................................................................... 25
7. Die ungarische Operette auf dem Weg zum Welterfolg .............................. 27
7. 1. Imre Kálmán ................................................................................................. 27
7. 1. 1. Die Handlung des „Herbstmanövers”........................................................ 31
7. 1. 2. Die Handlung der Operette „Der Zigeunerprimás“ .................................... 34
7. 1. 3. Zur Handlung der „Csárdásfürstin” ........................................................... 38
7. 1. 4. Zum Inhalt von “Gräfin Mariza“ ................................................................. 42
7. 2. Viktor Jacobi ................................................................................................. 49
7. 2. 1. Die Handlung der Operette „Heiratsmarkt” ............................................... 50
7. 2. 2. Die Handlung von „Sybill“ ......................................................................... 52
7. 3. Albert Szirmai ............................................................................................... 53
7. 3. 1. Die Handlung von „Magnat Mischka” ....................................................... 54
7. 4. Paul Abrahám .............................................................................................. 56
II
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7. 5. Franz Lehár ................................................................................................. 64
7. 1. 1. „Die Lustige Witwe”................................................................................... 70
7. 1. 2. Die Handlung der „Lustigen Witwe” .......................................................... 72
7. 1. 3. Die Handlung der Operette „Der Graf von Luxemburg” ............................ 75
7. 1. 4. „Zigeunerliebe”.......................................................................................... 76
7. 1. 5. Handlung der Operette „Das Land des Lächelns”..................................... 80
8. Die Theater ................................................................................................... 87
9. Zusammenfassung ......................................................................................... 91
10. Literaturverzeichnis...................................................................................... 93
11. Abbildungsverzeichnis ................................................................................ 93
12. Internetseiten ............................................................................................... 94
III
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1. Vorwort
Ich wählte dieses Thema, weil mir die ungarische Operette immer schon sehr nahe
stand. Die melodische Musik, der Glanz der Bühne, die wunderbaren Kostüme und
die fröhlich-romantischen Geschichten übten einen ganz besonderen Zauber auf
mich aus. Dies veranlasste mich dazu, über jene Komponisten zu schreiben, die sich
als erste mit dem Genre Operette in Ungarn beschäftigten. Es war ihr Verdienst,
dass diese unterhaltsame Gattung in Ungarn beliebt wurde und bis zum heutigen
Tage viele Menschen dazu bewegte, ins Theater zu gehen.
Die Operette als moderne Gattung und als Symbol einer aufstrebenden und
erfolgreichen bürgerlichen Mittelschicht entstand in den 1850er Jahren in Paris. Ihr
Begründer war Jacques Offenbach. Der eruptive Erfolg der Operette war drei
Besonderheiten zu verdanken: Erstens der frischen, geistvoll-melodischen Musik, die
sowohl schöne Solostellen, Duette, Quartette und Chöre enthielt, jedoch das
Dramatische mied. Das Einfügen von Tanzmusik und folkloristischen Elementen
steigerte die Beliebtheit der Operette. Zweitens ist die ereignis- und wendungsreiche
Handlung zu erwähnen, die sowohl Wunschträume wie auch das einfache
Gerechtigkeitsempfinden der kleinen Leute – ähnlich wie in Märchen – befriedigte.
Die Wirkung der Operette wurde dazu noch von ihrer dritten wichtigen Eigenschaft
gesteigert: das Spektakuläre, die prachtvollen Requisiten, die glänzenden Kostüme
und die kunstvollen Tänze.
Abgesehen von ihren Werten und Stärken gab es noch eine weitere, lokale
Voraussetzung für die Entstehung und den bemerkenswerten Aufstieg der Operette:
Die Großstadt. Diese neue musikalische Gattung wurde im Wien in der Mitte des 19.
Jahrhunderts gut aufgenommen, da sie das Singspiel mit dem Tanz verband. Die
Wiener Operette unterschied sich in vielen Dingen von ihrer Pariser Vorgängerin: Sie
war nicht so erbarmungslos ironisch wie diese und in ihrer Musik fehlten die
säuerlich-sarkastischen Motive. Stattdessen waren ihre Melodien eher süßlich und
verträumt; im Tanz dominierte nicht der Cancan, sondern der Walzer.
Das 20. Jahrhundert brachte auf der ganzen Welt weit reichende
Veränderungen mit sich. In der Österreichisch-Ungarischen Doppelmonarchie
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wuchsen stetig die sozialen und ethnischen Spannungen. Auch in der Kultur brodelte
es: Neue Kräfte und Stilrichtungen überwucherten den veralteten Historismus und die
altertümlich-emotionale Formenwelt der Romantik.
Dieses Fieber riss auch die Musik- und Kulturlandschaft von Wien und
Budapest mit sich. In den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts erblühte auch die
Budapester Operette, die bis dahin eher als „Nachtschattengewächs“ existiert hatte.
Ihre Urheber Jenő Huszka, Viktor Jakobi, Pongrác Kacsóh und Albert Szirmai waren
nicht
etwa
begabte
Laien,
sondern
an
der
Musikakademie
ausgebildete
Berufsmusiker. Das Komponieren und Orchestrieren hatten sie auf allerhöchstem
Niveau gelernt. Während die Popularität der Operette auf bemerkenswerte Weise
zunahm, wurde auch Luzja Blaha, die so genannte „Nachtigall der Nation“, berühmt.
Sie war der erste Star der ungarischen Operette. Die Aufführungen von Operetten
nach Pariser Vorbild, in denen sie die Hauptrolle spielte, wie z. B. „Az eleven ördög“1
und „Suhanc“2, waren im neuen Budapest sehr erfolgreich. Die Operette verwendete
auch Volkstänze, die die bis dahin eintönige Prosa belebten. Bezeichnend und dabei
unerlässlich für das Genre war die Ouvertüre. Wegen ihrer Eigenschaften blieb die
Operette auch später eine unterhaltsame Gattung und wurde nie zum politischen
Sprachrohr,
allerdings
blieb
sie
nie
ganz
frei
von
gesellschaftskritischen
Anspielungen.
Pongrác Kacsóh errang mit dem „János Vitéz“, einem von Volksliedern
inspiriertem Stück, seinen Ruhm. Dieses melancholische Stück wurde sein
berühmtestes Werk, mit dem er sofort direkten Zugang zum Publikum fand. Nach der
Uraufführung im Jahre 1904 folgten weitere 500 Aufführungen. Obwohl die Erfolge
von Huszka und Kacsóh in Ungarn stets ungebrochen blieben, wurden sie im
Ausland nie berühmt; vielleicht, weil ihnen das Erschaffen der charakteristisch
ungarischen Grundstimmung am wichtigsten war. Ihre Arbeit löste in der ungarischen
Hauptstadt eine regelrechte Operetten-Lawine aus. Unter den vielen neuen
Komponisten machte vor allem Franz Lehár, der mit seiner „Lustigen Witwe“, dem
„Graf von Luxemburg“, dem „Land des Lächelns“ u. a. auf der Operettenbühne
erschien, auf sich aufmerksam. Später gelang ihm eine weltweite Karriere und er gilt
bis heute als der größte Erneuerer der klassischen Wiener Operette.
1
2
Der lebendige Teufel.
Der Bengel.
2
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Imre Kálmán3 wurde 1908 mit seinem „Herbstmanöver“ international bekannt
und begann damit eine beispiellose Karriere. Sein Stil, der sowohl die Wiener
Operettentradition wahrte als auch ungarische Elemente und Melodien enthielt,
unterschied
ihn
von
seinen
Zeitgenossen.
Mit
der
unvergleichlichen
und
weltberühmten „Csárdásfürstin“ aus dem Jahr 1915 ging er endgültig in die
Geschichte der Operette ein. Das Stück, das in Wien und in Budapest spielt, wurde –
damals eher ungewöhnlich – von der Wiener Kritik in höchsten Tönen gelobt. Kálmán
gelang damit eine besondere Balance zwischen Parodie und Fantasiewelt, mit der er
die im freien Werteverfall befindliche Gesellschaft vor dem Ersten Weltkrieg
kritisierte. Die Csárdásfürstin wird mit ihrem bekannten Lied „Hajmási Péter, Hajmási
Pál“ bis zum heutigen Tag gespielt und erlebte inzwischen mehr als tausend
Aufführungen.
2. Die Anfänge
Im Juli 1792 warben handgeschriebene Flugblätter auf den Straßen von Paris für
eine Aufführung des Komponisten Des Chaves und des Librettisten Rubier
Dechamps, die den Namen „Der kleine Orpheus“ trug. Als Gattung war „Operette“
angegeben. Laut Chroniken und Lexika war dies das erste musikalische
Bühnenwerk, das zwar noch relativ viel mit der komischen Oper gemein hatte,
hinsichtlich seiner Form jedoch bereits etwas Neues brachte.
Das Wort „Operette“ stammt angeblich von Mozart und bedeutet so viel wie „kleine
Oper“.4 Die Bezeichnung deutete darauf hin, dass diese Gattung sowohl vom
Umfang als auch von der Handlung einfacher war als eine Oper. Das Publikum
wusste, dass es mit einer Operette ein leichtes, unterhaltsames, lustiges und
manchmal sogar etwas frivoles Werk zu sehen bekam. Diese neue Gattung wurde in
Frankreich innerhalb kurzer Zeit sehr populär und brachte nach hundertjähriger
Vorlaufzeit den „Großmeister der Operette“, Jacques Offenbach, hervor.
3
4
Im deutschen Sprachgebrauch auch als „Emmerich Kálmán” bekannt.
Róbert Rátonyi: Operett 1, Budapest 1984, S. 9.
3
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2. Jacques Offenbach
Offenbach wurde am 20. Juni 1819 in Köln geboren. Sein Vater, Jakob Eberst, war
Kantor der jüdischen Gemeinde und hatte außer Jacques noch acht Kinder. Die
Familie Eberst stammte aus einer Stadt am Main namens Offenbach, daher nahmen
sie diesen Familiennamen an. Der Vater unterrichtete neben seiner Kantorentätigkeit
auch Gesang, Violine, Flöte und Gitarre. Jacques war von all seinen Geschwistern
der Begabteste. Er trat schon im Alter von sieben Jahren als Wunderkind vor dem
Kölner Publikum auf und spielte als Zwölfjähriger bereits seine eigenen
Kompositionen.
Offenbachs Vater reiste 1833 mit zwei seiner Söhne nach Paris, um sie dort in
das Conservatoire de Paris einschreiben zu lassen. Der bekannte Komponist und
damalige Direktor des Hauses, Luigi Cherubini, wollte Jacques wegen seiner
ausländischen Herkunft erst gar nicht anhören, aber der Vater ließ nicht nach,
sodass sie schließlich doch einen Termin bekamen. Das Vorspiel wurde nach drei
Minuten unterbrochen und Cherubini nahm Jacques offiziell als Schüler auf.
So kam Offenbach nach Paris, wo er nach Beendigung seines Studiums als WalzerKomponist auf sich aufmerksam machte. 1850 wurde er in das älteste Prosatheater
Frankreichs, die Comédie-Française, als Dirigent eingeladen. 1861 schrieb er sein
erstes Bühnenwerk, das „Chanson de Fortunio“.
Offenbach verliebte sich in die Welt des Theaters und sehnte sich nach einer
eigenen Bühne. Dieser Wunsch ging am 5. Juli 1855 mit der Eröffnung des „Théâtre
Les Bouffes Parisiens“ in Erfüllung. Der Großteil seiner Werke wurde hier
uraufgeführt, wie z. B. „Die weiße Nacht“ oder „Die Zaubergeige“. 1858 tat er erste
Schritte in Richtung Großoperette und führte das Werk „Die Damen auf dem Markt“
auf. Dabei erschienen auf zauberhafte Weise Bilder der Marktplätze und Straßen der
französischen Hauptstadt auf der Bühne. Die Handlung spielt im 18. Jahrhundert und
die Hauptdarstellerin, ein 16-jähriges Mädchen, stellt das Leben des Blumenmarktes
auf den Kopf.
Mit der Zeit entwickelte sich die Operette zu einer Gattung, die das Publikum über
drei Akte glänzend zu unterhalten vermochte. Dies war unter anderem den
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großartigen Sängern, Schauspielern und Tänzern sowie den schönen Kostümen und
den prachtvollen Kulissen zu verdanken. 1857 trat Offenbachs Theatergesellschaft
im Londoner St.-James-Theater auf und im Jahr 1861 war sie zu Gast im
Nationaltheater in Budapest. Außer dem Werk „Die Damen auf dem Markt“ wurde
auch „Die verwandelte Katze“ aufgeführt.
Der erste Welterfolg gelang Offenbach mit
dem Stück „Verlobung bei der Laterne“,
danach schuf er einen Operettenklassiker
nach
dem
anderen.
Die
bekanntesten
Librettisten der Zeit waren Henry Meilhac und
Ludovic
Halévy.
Das
Geheimnis
ihres
Erfolges lag darin, dass sie sowohl den
einfachen Mann als auch die Mächtigen der
Welt auf die Bühne stellten.
Abbildung 1
Offenbachs erste, in ganz Europa bekannte Operette, war „Orpheus in der
Unterwelt”, die bis heue noch weltweit aufgeführt wird. Hinter der Maske des Juno
konnte jeder den eifersüchtigen Kaiser Eugen erkennen und der Schürzenjäger
Jupiter ließ sich leicht als Napoleon III. identifizieren.
Das nächste Werk war „Die schöne Helena”, welches Offenbach für die
Sopranistin Hortense Schneider komponierte. Dieses Werk übertraf den Erfolg des
„Orpheus in der Unterwelt” noch bei weitem: Das Publikum tobte nach der Premiere.
Offenbach wurde von Tag zu Tag populärer. Es gab Jahre, in denen er sogar an drei
oder vier Operetten gleichzeitig arbeitete. Seine Werke, z. B. „Die Großherzogin von
Gerolstein”, „Pariser Leben” und „Die Schwätzer” wurden in vier verschiedenen
Pariser Theatern aufgeführt. Die große Beliebtheit von Offenbachs Werken trug
wesentlich dazu bei, dass die Operette ihren Siegeszug um die Welt antrat.
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3. Die Operette in Ungarn
In den 1860er Jahren befand sich das ungarischsprachige Theater im
ständigen Kampf gegen die Vorstellungen in deutscher Sprache. Die Bewohner der
Hauptstadt sprachen eher Deutsch als Ungarisch, trotzdem wuchs die Zuschauerzahl
bei den Aufführungen des ungarischen Nationaltheaters, in dem hauptsächlich
Volksstücke gespielt wurden. Das deutsche Theater hingegen spielte immer öfter vor
leeren Stuhlreihen. Zu diesem Zeitpunkt begannen sie, nach und nach Operetten von
Offenbach in ihr Programm aufzunehmen. Das Volksstück erhielt mit der Operette
einen unerwarteten und mächtigen Konkurrenten. Die Menschen gingen unabhängig
von ihrer ungarischen oder deutschen Muttersprache in das Theater, wo Operetten
gespielt wurden. Eines Tages erschien Miklós Feleky bei Mihály Nyéki, dem Direktor
des Nationaltheaters. Feleky war nicht nur ein vielseitiger Schauspieler, sondern
auch Übersetzer. Er übergab Nyéki ein Manuskript, aus welchem er gleichzeitig
vorlas und vorspielte. Nyéki fand Gefallen an dem Stück, bei dem es sich um
Offenbachs „Verlobung bei der Laterne” handelte. Das Werk wurde am 22.
November 1860 in der Übersetzung von Miklós Feleky aufgeführt. An jenem Tag
wurde zum ersten Mal eine Operette in ungarischer Sprache aufgeführt, und damit
begann eine Entwicklung, die sowohl von Erfolgen als auch von Misserfolgen
gezeichnet war.
Im April 1860 zog der renommierte Provinztheater-Direktor György Molnár mit einem
ungarischsprachigen Ensemble ins deutsche Theater ein. Er wollte ein eigenes
Theater, das er auch bald bekam: am 14. September 1861 eröffnete das Budaer
Volkstheater mit Offenbachs erfolgreicher Operette „Die Verlobung bei der Laterne”.
Der Erfolg der Aufführung war zwar groß, hielt jedoch nicht lange an. Am 12. Juli
1861 gastierte Offenbach im Nationaltheater mit seiner „Verwandelten Katze”. Bei
der Aufführung waren auch Molnár und sein Ensemble anwesend, um die Kunst der
Franzosen abzuschauen und zu erfahren, was den Erfolg einer Operette eigentlich
ausmacht. Nach zwei Jahren erlangte Molnár die Aufführungsrechte zu Offenbachs
Operette „Die Reisen von Väterchen Dunanan und seinem Sohn” und präsentierte
sie dem Publikum am 17. Januar 1861 mit einer hervorragenden Besetzung und
einer atemberaubenden Kulisse. Die Hauptrolle hatte Károly Simonyi inne, die
weiteren Darsteller waren József Vince, Béla Szilágyi, József Szép, Emma Harmath
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und Ferenc Náday. „Väterchen Dunanan” wurde mehr als 100 Mal aufgeführt und
war das erste Stück in Ungarn, das jeden Tag in Serie gespielt wurde. Trotzdem
hatte György Molnár finanzielle Probleme und musste 1864 schließen. Nach drei
Jahren öffnete er sein Theater wieder, führte aber keine Operetten mehr auf. Die
nächsten fünf Jahre konnte man Operetten nur noch in Provinztheatern (wie z. B. in
Kolozavár,
Arad,
Miskolc,
Debrecen,
Marosvasarhely,
Nagyenyed,
Kassa,
Nagyvárad, Ungvár und Szabadka) sehen.
4. Die Entstehung der ungarischen Operette
Aufgrund der Turbulenzen, die Offenbachs Gastspiel verursachte, entschloss
sich Géza Allaga, der Dirigent des Ensembles um György Molnár, ebenfalls eine
Operette zu schreiben. Bisher waren nur seine Begleitmusiken zu Volksstücken und
seine Lieder landesweit bekannt gewesen. Das bekannteste davon, „Befútta a hó”5,
wird in Ungarn bis heute noch gesungen. Zu einer Operette gehörte natürlich auch
ein Librettist und diese Aufgabe übernahm der vielseitige Schauspieler des Budaer
Volkstheaters, István Bényei. Dieser war bekannt dafür, jede Aufgabe anzunehmen,
die ihm angeboten wurde – sein abenteuerliches Leben bezeugt dies: Er war
Wanderschauspieler, Theaterdirektor, Veranstalter von Ausstellungen, Bibliothekar,
Direktor eines Pensionistenheimes und schrieb außerdem
Theaterstücke und
Zeitungsartikel. Sein Stück „Der verliebte Kantor” wurde am 21. April 1862
uraufgeführt. Dieses Stück fand wenig Zuspruch. Die Charaktere waren zu
volkstümlich und die Musik bestand aus volkstümlichen Weisen und Opernarien und
war daher zu banal. Die Presse und das Publikum betrachteten das Stück lediglich
als Pionierarbeit. Der erste Schritt war getan, es fehlte bloß der Durchbruch. Dessen
ungeachtet gab es sowohl in der ungarischen Hauptstadt als auch in der Provinz
Komponisten, die mehr oder weniger erfolgreich mit der neuen Gattung
experimentierten. Einer der Schauplätze für ein Experiment dieser Art war das
Volkstheater, das am 15. Oktober 1875 auf dem heutigen Blaha-Lujza-Platz in
Budapest eröffnete. Der erste Direktor war Jenő Rákosi, der bereits im Jahr der
Eröffnung den Autor Árpád Berczik bat, eine Operette für das Theater zu schreiben;
für die Musik wurde Károly Huber beauftragt. Das Ergebnis war eine lustige kleine
5
„Der Schnee hat es verweht”.
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Operette, die Namen „Der Kuss des Königs” trug. Ihr einziger Makel war ihre Kürze –
sie dauerte nur 30 Minuten und war als Begleitprogramm im Repertoire des Theaters
vertreten, sodass nach sie einigen wenigen Aufführungen wieder in Vergessenheit
geriet. In dieser Zeit schrieb auch der Dirigent des Theater in Nagyvárad, József
Konti, eine dreiviertelstündige Mini-Operette mit dem Namen „Die Jäger”. Sie handelt
von einem jungen Grafen, der sich in die Tochter des Jägers verliebt. Viel mehr hatte
das Stück nicht zu bieten, weshalb es trotz seiner guten Musik erfolglos blieb.
Obwohl der erste Versuch des hervorragenden Musikers Konti ein Misserfolg war,
wurde er zu einem der Gründerväter der ungarischen Operette.
5.József Konti (1852–1905)
Konti wurde in Warschau geboren. Er kam in jungen Jahren nach Wien und
wurde neben Franz von Suppé Chorleiter am Carltheater. Im Jahre 1878 ging er
nach Ungarn, wo im August desselben Jahres sein Einakter „Die Jäger” aufgeführt
wurde. Nach dem Misserfolg des Stückes vergingen sechs Jahre, bis Konti seine
erste richtige Operette, den „Lebendigen Teufel” komponierte. Die Idee kam von
einem französischen Stück namens „Le Vicomte Letoriéres”, welches Antal Deréki
ins Ungarische adaptierte. Deréki war ein bekannter Schauspieler und schrieb
mehrere Volksstücke wie zum Beispiel „Két dudás egy csárdában”6 und „A
szégyenfolt”7, das Bekannteste aber war „Der lebendige Teufel”, weil dieses
gleichzeitig die erste Operette war. Zunächst hatte Dereki das Stück dem Direktor
Evva Lajos angeboten, der es jedoch aus unbekannten Gründen zurückwies.
Daraufhin bot er es Sándor Csóka, dem Direktor der Theater von Kolozsvár,
Szabadka, Győr und Miskolc an, der es annahm, da er gerade nach einer Rolle für
seine Primadonna Emilia Pajor suchte. Das Stück wurde im Juni 1884 mit großem
Erfolg aufgeführt. Diese Aufführung besuchten auch die berühmte Primadonna des
Nationaltheaters, Lujza Blaha und Miklós Feleky, der zu dem Zeitpunkt schon das
Theater in der Budaer Burg gemietet hatte. Sie fanden Gefallen an dem Stück und
beschlossen, es im Burgtheater aufzuführen. Die musikalische Leitung übernahm
Konti, der nicht nur Komponist, sondern auch ein hervorragender Dirigent war. Am 6.
Dezember 1885 wurde „der lebendige Teufel” mit Konti am Pult und dem
Publikumsliebling Lujza Blaha in der Hauptrolle mit grandiosem Erfolg aufgeführt.
6
7
„Zwei Pfeifer in einer Kneipe”.
„Der Schandfleck”.
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Man kann sagen, dass diese Premiere die Geburtsstunde der ungarischen Operette
war. Der Erfolg beflügelte József Konti und viele andere Komponisten.
Lujza Blaha wurde am 8. September 1850 in
Rimavská Sobota (in der heutigen Slowakei)
geboren.
Feldwebel
Ihr
und
Schauspielerin.
Vater,
Sándor
Reindl,
ihre
Mutter,
Lujza
Sie
bereisten
mit
war
Ponti,
der
Wanderbühne von Boldizsár Land die heutige
Slowakei, wo in Rimavská Sobota ihre erste
Tochter Ludovika Reindl geboren wurde. Diese
wurde, wie ihre Mutter, Lujza genannt, einen
Namen, den sie bis zum Ende ihres Lebens
beibehielt.
Abbildung 2
Schon im Alter von fünf Jahren spielte sie kleinere Rollen und war in fast jedem
Stück Statistin. Mit ihrer hervorragenden Stimme erntete sie sehr viel Beifall. 1858
erhielten ihre Eltern im Theater von Győr einen Vertrag, wo auch Luzja ihre erste
richtige Rolle in einem Theaterstück spielte, das den Namen „Die Bettlerin“ trug. Sie
spielte darin mit gutem Erfolg eine Dienerin. Mit 13 Jahren war sie bereits eine fertig
ausgebildete Schauspielerin. 1863 spielte sie zum ersten Mal in ihrer Heimatstadt
Rimavska Sobota und nach einiger Zeit, die sie an diversen Bühnen zugebracht
hatte, wurde sie vom Direktor des Budaer Volkstheaters, György Molnár, unter
Vertrag genommen. Anfangs sang sie nur im Chor, bald jedoch bekam sie auch
Hauptrollen. Später wechselte sie nach Szabdka, wo ihr Gatte János Blaha als
Dirigent des Regiments Lichtenstein-Dzsidas tätig war. Ihre gemeinsame Arbeit
brachte viele Erfolge mit sich. Gemeinsam wechselten sie ans Stadttheater von
Debrecen, wo sie bald die Lieblinge des Publikums wurden. János Blaha dachte,
seine Frau hätte mehr Möglichkeiten, wenn sie auch deutschsprachige Werke
interpretierte. Er nahm sie daher oft nach Wien mit, wo sich der namhafte Komponist
Franz von Suppé, damals Direktor am Theater an der Wien, mit ihr beschäftigte.
Lujza allerdings wollte zurück nach Debrecen. Nachdem ihr Mann im Januar 1870
verstorben war, suchte die junge Schauspielerin Trost in der Arbeit. Allmählich
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eroberte sie das Publikum von Kolozsvár, Nagyvárad (Oradea) und vom
Nationaltheater in Budapest. Als sie 1875 eine Gastrolle in Eger hatte, hielt der
Großgrundbesitzer Sándor Soldos um ihre Hand an. Diese Ehe dauerte nur vier
Jahre.
Im Jahr 1883 führten sie einige Gastspiele ins Theater an der Wien. Die
österreichischen Zeitungen lobten einstimmig ihren Gesang, ihr Spiel und ihren
Tanz. Mit 30 Jahren war sie die beliebteste Schauspielerin Ungarns. Mit ihrer
Karriere ging es steil aufwärts, allerdings war sie in ihrem Privatleben unglücklich. Da
sie die Einsamkeit nicht aushielt, heiratete sie einen ihrer Verehrer, den Baron Ödön
von Splényi. Ihr Gatte sicherte ihr Ruhe, Wohlstand und Zuneigung, nur Liebe konnte
er ihr nicht geben. Die Primadonna, für die so viele Herzen schlugen, vermochte mit
einem Blick die Männerherzen im Publikum zu entfachen – trotzdem fand sie im
Leben nie die wahre Liebe. Nach dem Tod des Barons von Splényi wurde sie zum
dritten Mal Witwe und suchte von da an ihre Freude nur noch auf der Bühne.
Am 15. Oktober 1900 feierte man das 25jährige Bestehen des Volkstheaters
und die ewig junge Primadonna Ungarns, Lujza Blaha. Einen Monat später wurde ihr
das goldene Ehrenkreuz verliehen und im Jahr 1901 wurde sie zum ständigen
Mitglied des Nationaltheaters ernannt. 1908 feierte sie ihr 50jähriges künstlerisches
Jubiläum, zu dessen Anlass Árpád Pásztor im Auftrag des Direktors des
Volkstheaters, Rezsö Mader, eine Operette nach der Komödie von Gergely Csíky
„Die Großmutter” schrieb. Die Musik zum Stück komponierte Mader selbst. Blaha
spielte die Rolle mit Vergnügen und bescherte der Operette großen Erfolg. Das Stück
wurde mehr als 60 Mal in vollen Theaterhäusern gespielt, unter anderem auch 1912
in Wien, wo es das österreichische Publikum zu Begeisterungsstürmen hinriss. Am 8.
September 1920 wurde der Platz vor dem Volkstheater im Rahmen der
Feierlichkeiten zu ihrem 70. Geburtstag in Blaha-Lujza-Platz umbenannt. Ihr letzter
Auftritt war am 8. Dezember 1922 im Erkel Theater zur Feier des 50 jährigen
Bestehens des Volkstheaters. György Verő komponierte das Stück „Die Pforte der
türkischen Richterin”, in dem alle auftraten, die jemals im Volkstheater gespielt
hatten, darunter auch die 72 jährige Luzja Blaha. Mit diesem Stück verabschiedete
sich vom Publikum und von der Bühne jene Künstlerin, die man in allen ungarischen
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Lexika bis heute unter dem Namen „Die Nachtigall der Nation” kennt. Ab diesem
Zeitpunkt lebte sie zurückgezogen bis zu ihrem Tod am 18. Januar 1926.
Neben der unübertrefflichen Lujza Blaha möchte ich noch einige weitere
Operettendarsteller des Volkstheaters erwähnen: Klára Küry, Ilka Palmay, Czélia
Margó, Zsófi Csatai, Pál Vidor und Elek Solymosi. Nun möchte ich wieder zu den
Gründern der ungarischen Operette zurückkehren. Dies war in erster Linie József
Konti, der nach dem Erfolg seines Werkes „Der lebendige Teufel” eine Operette nach
der anderen schrieb. 1886 führte er eine Operette mit dem Namen „Königsgriff” auf,
deren Text der damals beste Autor, Gergely Csíky, schrieb. Es gab vier
hervorragende Männerrollen darin: einen polnischen, einen russischen, einen
deutschen und einen spanischen Diplomaten, die einer Schwedin, gespielt von Lujza
Blaha, den Hof machten. Zur großen Überraschung Kontis gratulierte ihm einmal
Johannes Brahms nach einer der Aufführungen: „Ihre Primadonna und ihre Musik
haben glänzend zueinander gefunden. Mögen sie ihre Hände nicht mehr loslassen.”8
Konti beherzigte dies und schrieb eine
Operette mit dem Titel „Suhanc”.9 Diese
handelt von einem Taugenichts, der
unverschämt und frech ist, aber trotzdem
die Menschen verzaubert. Dazu schrieb
Konti eine derart lustige Musik, dass das
Publikum die Wiederholung einer jeden
Nummer verlangte.
Abbildung 3
Danach kam „A Kópé”10, dessen Musik der von „Suhanc in keinster Weise nachsteht,
allerdings gab es wegen des Librettos nur wenige Aufführungen. Dieser Misserfolg
nahm Konti für acht Jahre die Lust am Komponieren. Im Dezember 1897 erschien
8
Rátonyi, Operett 1, S. 42.
Bürschchen.
10
„Der Schlawiner”.
9
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Albert Kövessy, ein Schauspieldirektor aus der Provinz, und bat Konti, ihm eine
Operette zu schreiben. Die gemeinsame Arbeit trug bald Früchte, sodass am 4.
Februar 1898 im Volkstheater die gemeinsame Operette von Kövessy und Konti
unter dem Namen „Talmi Hercegnő”11 zur Aufführung gelangte, mit Lujza Blaha und
Aranka Hegyi in den Hauptrollen. Der Erfolg war sowohl von Seiten des Publikums
als auch der Presse eindeutig. Danach vergingen erneut acht Jahre, bis Konti ein
neues Werk schrieb, das gleichzeitig sein letztes war: „A Fecskék”12. Das Stück
wurde von Publikum mit Spannung erwartet, allerdings blieb der Erfolg aus. Obwohl
Konti danach nicht mehr komponierte, „glänzt sein Name in Goldbuchstaben am
Himmel der ungarischen Operette”.13
György Verő (1857–1941) galt ebenfalls als einer der „Hauskomponisten” des
Volkstheaters. In erster Linie war er Schauspieler, später wurde er dann auch
Regisseur,
Dramaturg,
Dirigent,
Schriftsteller
und
Komponist.
Er
leistete
Unvergängliches in der Geschichte der ungarischen Operette. Es gelang ihm als
ersten ungarischen Operettenkomponisten auch ein Durchbruch im Ausland. Seine
erste Operette „Szultán”14 wurde am 19. November 1892 im Volkstheater
uraufgeführt; danach folgten viele weitere: „Virágcsata”15, „Kleopátra”16 und
„Doktorkisasszonyok”17. Den wahren Triumph erlangte er aber mit der Operette
„Leányka”18, welche mit glänzender Inszenierung und großartigen Darstellern am 17.
Januar 1906 im Volkstheater zur Uraufführung kam. In diesem Stück griff er ein
bekanntes historisches Thema auf. Die Hauptdarsteller sind Apaffy Mihály, Fürst von
Siebenbürgen, damals gespielt von Pál Vidor, die Fürstin Anna Bornemissza,
dargestellt von Ilona Harmath und Graf Imre Thököly, gespielt von Géza Raskó. Des
Weiteren spielte Sári Fedák die Rolle der Margit Teleki. Nach der Aufführung regnete
es mehr als 20 Minuten Blumen auf das Publikum. Aus dieser Operette stammt auch
das Lied mit dem Anfangstext: „Ich weine nicht, ich klage nicht, ich werde keine
Nachricht schreiben…es kommt noch ein Frühling, es kommt noch ein Sommer, aber
mich wird es nicht mehr geben!” Dieses Lied verbreitete sich schnell im ganzen Land
11
„Herzogin Talmi“.
„Die Schwalben“.
13
Rátonyi, Operett 1, S. 44.
14
„Sultan”.
15
„Blumenschlacht”.
16
„Kleopatra“.
17
„Die Doktorfräulein“.
18
„Das Mädchen”.
12
12
Andrea Nagyová
Masterarbeit
Matr: 0673107
und wurde später von vielen Menschen für ein Volkslied gehalten. So gelangte es
auch im Jahr 1921 in eine Operette von Robert Stolz („A kis Grizett”19), in der Frigyes
Tanay als Zigeunerprimas das Lied sang. Auch im Ausland interessierte man sich für
die Operetten von Verő. So wurde im Theater von Max Reinhard, dem Deutschen
Theater in Berlin „Kleopátra” mit Gastschauspielern aus Budapest und Sári Fedák in
der Hauptrolle aufgeführt. Sein Singspiel „A Bajusz” und seine Operette „Az
Oroszlánvadász” erlebten wenige Monate nach der Budapester Uraufführung auch
im Theater an der Wien große Erfolge.
Die Erfolge von Konti und Verő verleiteten viele weitere begabte Musiker, sich
mit der Operette zu beschäftigen. Es gab allerdings auch einige, die von alleine zu
dieser neuen Gattung fanden. Zu diesen zählte Izsók Barna (1859-1944), ein
Absolvent der Musikakademie. Seine jungen Jahre verbrachte er als Dirigent an den
Theatern in Szeged und Arad und unternahm schon damals Kompositionsversuche
in Richtung Operette. Sein erster großer Erfolg war das Werk „Casanova”, dessen
Text Jenö Faragó schrieb. In der Hauptrolle war Antal Nyárai, der bis dahin nur als
Provinzschauspieler galt. Von Faragó wurde er ermutigt, sich in der nächsten
Operette von Barna auch am Schreiben des Librettos zu beteiligen. Mit dem Stück
„Senki”20 gelang ihm ein hervorragendes Libretto, dessen Hauptfigur er natürlich für
sich selbst konzipierte. In den folgenden Jahren überraschte Barna das Publikum alle
sechs Monate mit einer neuen Operette. Von vielen, wie „Mintha álom volna” 21,
„Vigyázz a csókra”22 oder „Rézi”23 blieb leider nur noch der Titel in Erinnerung. Zwar
lagen ihre Partituren und Libretti noch einige Zeit in den Bibliotheken der Theater auf,
gerieten dann aber in Vergessenheit. Am 1. Juli 1925 wurde Izsók Barna als Dirigent
pensioniert, schrieb allerdings noch seine letzte Operette „Blaháné”24, mit der er der
Operettenschauspielerin Lujza Blaha ein ewiges Denkmal setzte. Obwohl er den
Erfolgen von Konti und Barna keine Konkurrenz machen konnte, versuchte sich auch
Elek Erkel, der Dirigent des Volkstheaters und Sohn des Komponisten Ferenc Erkel,
mit der Komposition einer Operette. Er schrieb insgesamt drei Operetten, die mit
mäßigem Erfolg im Volkstheater aufgeführt wurden.
19
„Das kleine Gisett“.
„Niemand”.
21
„Wie im Traum”.
22
„Pass auf den Kuss auf”.
23
„Resi”.
24
„Frau Blaha”.
20
13
Andrea Nagyová
Masterarbeit
Matr: 0673107
Von den weiteren Komponisten sind noch die Namen Ferenc Puks, Béla Hegyi,
Lajos Serly und Jenö Sztojanovics zu erwähnen. Dies war die Situation der
ungarischen Operette gegen Ende des 19. Jahrhunderts.
6. Die Meister der ungarischen Operette
Jenö Huszka wurde am 24. April 1874 als erstes Kind seiner Eltern in Szeged
geboren. Später bekam er noch eine Schwester und einen Bruder. Sein Vater Ödön
Huszka war Richter, seine Mutter hieß Etelka Burgel. Die Musik war allgegenwärtig in
der Familie. Der Vater spielte gut Geige und die Mutter liebte es, Klavier zu spielen.
Es überrascht daher nicht, dass Huszka schon im Alter von fünf Jahren als
Wunderkind mit der Geige auftrat. Mit 11 Jahren hatte er bei einem öffentlichen
Prüfungskonzert der Musikschule Szeged großen Erfolg. Nach dem Abitur ging er an
die Musikakademie nach Budapest. Seine Eltern waren über seine Aufnahme dort
nicht sehr erfreut, weil sie eine künstlerische Laufbahn nicht als anständigen Beruf
betrachteten. Sie beharrten darauf, dass er auch ein Jurastudium beginnen sollte. So
kam es, dass er gleichzeitig Jura und Musik studierte. Violine lernte er bei Jenő
Hubay und Komposition bei János Koessler. Wegen seines Jurastudiums hieß sein
erstes, im Druck erschienenes Werk, „Juristen-Csárdás”. Er beendete zwar sein
Jurastudium, die Musik wurde aber immer wichtiger für ihn. Nach Beendigung seiner
Studien an der Musikakademie bewarb er sich beim Pariser Orchester Lamoureux,
wo er ein Jahr als zweiter Violinist zubrachte.
Im Jahr 1897 kam er wieder nach Hause, wo seine Eltern ihn dazu drängten,
eine
Beamtenstelle
anzunehmen.
Er
begann
ein
neues
Leben
im
Bildungsministerium, die Theaterwelt reizte ihn aber weiterhin sehr, wozu auch sein
Schreibtischnachbar Ferenc Martos, ein hervorragender Librettist, beitrug. Martos
war ein temperament- und phantasievoller Schriftsteller mit vielen hervorragenden
Qualitäten und voller Ambitionen. Aus diesem Grund wurde in ihrem Büro viel über
das Theater gesprochen und neben den Akten lagen immer auch einige Libretti.
Neben Martos befand sich noch Károly Bakony, ein Mitarbeiter des Ministeriums für
Landwirtschaft und desgleichen ein begabter Schriftsteller, im Bekanntenkreis von
Huszka. Alle drei hatten neben ihrer Beamtentätigkeit einen starken Hang zur Kunst.
14
Andrea Nagyová
Masterarbeit
Matr: 0673107
Im September 1902 erschienen sie bei Kálmán Porzsol, dem damaligen Direktor des
Volkstheaters und legten diesem ein umfangreiches Libretto vor. Obwohl Porzsol
nicht auf Anhieb von dem Stück begeistert war, nahm er es ins Programm auf. Die
Premiere fand am 20. Dezember 1902 unter dem Titel „Prinz Bob” statt. Dies war der
erste Erfolg von Jenö Huszka. Das Publikum begrüßte den Meister und seine
Primadonna, Sári Fedák, mit großem Applaus.
Der Name von Sári Fedák wurde bisher
nur beiläufig in meiner Arbeit erwähnt,
sodass
ich
jetzt
von
ihr berichten
möchte. Sie wurde am 26. Oktober 1879
in Berekszászó geboren und starb am
25. Mai 1955 in Budapest. Sie war eine
der bekanntesten und erfolgreichsten
ungarischen
Schauspielerinnen
und
Primadonnen.
Abbildung 4
Nach Absolvierung der Schauspielschule von Szidi Rákosi, begann sie 1900 ihr
Engagement am Ungarischen Theater. Während ihrer Laufbahn trat sie in vielen
ungarischen und ausländischen Theatern auf. Unter anderem spielte sie im
Volkstheater Budapest, im Király Theater, und im Vígszínház 25. Gastspiele führten
sie nach Wien, Berlin, Paris, London und auch in die Vereinigten Staaten. Sie war
eine humorvolle und suggestive Operetten-Primadonna. Aufgrund ihrer Begabung
wurde ihr Name zu einem Begriff im ungarischen Schauspiel.
Nun aber zurück zu Jenö Huszka, der durch seinen Erfolg des „Prinz Bob” eine
besondere Figur in der Geschichte der ungarischen Operette wurde. Das Werk des
bis dahin unbekannten Komponisten wurde mehr als 100 Mal gespielt. Es war der bis
zu diesem Zeitpunkt größte Erfolg der ungarischen Operette in seiner Heimat
Ungarn.
25
Komisches Theater Budapest.
15
Andrea Nagyová
Masterarbeit
Matr: 0673107
Die Handlung von Prinz Bob:
1. Akt: Hauptfigur des Stückes ist Prinz Georg, der gerne nachts unter dem
Decknamen Bob in London spazieren geht, in treuer Begleitung von Meister
Pomponius. Bei einem seiner Ausflüge verliebt er sich in die Bürgerstochter
Annie. An seinem 20. Geburtstag soll ihm von der Königin das alte SanktGeorgs-Schwert übergeben werden und dabei soll er erfahren, dass er nun
die für ihn bestimmte Prinzessin heiraten müsse. Kurz davor ist eine
Zeremonie, während der Georg ausländische Gesandte und Bürger empfängt,
die Beschwerden vorzubringen haben. Einer von ihnen ist Plumpudding, der
Barbier, zusammen mit seiner Braut, die keine andere ist als Annie, Bobs
Liebste. Der Barbier beschwert sich über einen Strolch namens Bob, der seine
Hochzeit mit Annie verhindern möchte. Annie glaubt in ihrer Überraschung
Bob zu erkennen, er kann sie aber überzeugen, dass er diesem nur sehr
ähnlich sehe. Prinz Georg entscheidet, der Bräutigam solle Annie heiraten, hat
jedoch insgeheim vor, die Hochzeit um jeden Preis zu verhindern.
2. Akt: Schauplatz dieses Aktes ist die Bowie Street in London. Bob kommt
heran und möchte die Menschen auf der Straße davon überzeugen, dass er
Annie liebt. Das Volk versperrt daraufhin dem Barbier Plumpudding den Weg,
sodass Bob mit der Braut fliehen kann. Den beiden steht aber die Königin im
Weg, die sich zuerst von der Verkleidung täuschen lässt und in die Hochzeit
einwilligt. In diesem Moment aber übergibt ihr Bob das Schwert des Heiligen
Georg, woran die Königin ihren Sohn erkennt. Der Prinz bittet Annie erneut um
ihre Hand, diese lehnt jedoch ab, weil sie sich für nicht würdig hält, einen
Prinzen zu heiraten. Bob verabschiedet sich mit gebrochenem Herzen von ihr,
um die für ihn bestimmte Prinzessin zu heiraten.
3. Akt: Die Königin verzeiht ihrem Sohn, der sich anschickt, die Prinzessin zu
heiraten. Allerdings findet er ein fremdes Haar an ihr, ein Beweis dafür, dass
auch sie einen anderen liebt. Pomponius gelingt es, die Königin zu
besänftigen, die daraufhin Annie selbst ihrem Sohn in die Arme führt.
Was für Wien das Theater an der Wien war, wurde für Budapest das Király Theater.
Nach langem Tauziehen wurde es am 6. November 1903 eröffnet. Das erste Stück,
16
Andrea Nagyová
Masterarbeit
Matr: 0673107
das dort zur Aufführung kam, war „Goldblume” von Jenö Huszka; der Text stammte
von Ferenc Marton.
Die Geschichte beginnt am Strand von Neapel. Eine schöne Frau namens
Goldblume macht die Bekanntschaft eines reichen, verlobten Pärchens, das am Ufer
flaniert. Ellen, die Verlobte, bittet Goldblume, aus Spaß für einen Tag die Rollen zu
tauschen. Die reiche Ellen zieht das volkstümliche Kleid von Goldblume an und diese
das extravagante Kleid von Ellen. Dadurch ergeben sich einige Komplikationen, aber
letztendlich bekommt Ellen ihren Verlobten wieder. „Goldblume” brachte den
erhofften Erfolg und wurde in Ungarn mehr als 50 Mal aufgeführt.
Damit war des Erfolges aber noch nicht genug, denn Marton und Huszka arbeiteten
bereits an einer neuen Operette, deren Name „Gül Baba – der Vater der Rosen”
lautete und die am 9. Dezember 1905 uraufgeführt wurde.
Nach der Premiere war das Publikum entzückt
von
dem
prachtvollen
Springbrunnen
im
zweiten Akt, welcher von mehr als hundert
Lampen angestrahlt wurde und von den über
3000 Rosen, die die Bühne und die Stuhlreihen
in eine Duftwolke hüllten. Es gab Spekulationen
darüber, dass die Maskenbildnerin des Stückes
sich türkische Stoffe und Kostümskizzen aus
Istanbul habe bringen lassen. Man kann sich
vorstellen, mit welch großem Interesse die
Abbildung 5
Menschen die Aufführungen besuchten.
Die Operette Gül Baba ruft die Zeit der Türken in Ungarn in Erinnerung: die Bassas,
die Damen des Harems und die heldenhaften jungen Männer. Diese Märchenwelt ist
aber auch von einem ungarischen Ton geprägt und enthält Elemente des
traditionellen ungarischen Liederkultes des 19. Jahrhunderts. Als Huszka und Martos
eines Tages auf dem Rózsadomb26 spazierten, sahen sie das Grab von Gül Baba,
26
„Rosenhügel, Teil von Budapest”.
17
Andrea Nagyová
Masterarbeit
Matr: 0673107
dem legendären Heiligen der Rosen. Nach diesem Erlebnis kam ihnen gleichzeitig
der Gedanke, dass ihre nächste Operette von Gül Baba handeln solle. Gül Baba
lebte im 17. Jahrhundert und verbrachte sein Leben mit dem Pflegen von
Rosenbäumen und frommen Taten.
Die Partitur von Gül Baba ist differenziert und nuanciert. In der Melodieführung
bemühte sich Huszka um die von ihm bekannte Einfachheit. Die musikalische
Illustration zeigt seine technische Gewandtheit. Eine Besonderheit darin sind die
orientalischen Melodien, die mit den ungarischen vermischt werden – eine Neuerung
der Klangsprache der ungarischen Operette. Das Stück verdankte seine mehr als
hundertfache Aufführung jedoch nicht nur seinem Reichtum an Melodien, sondern
auch der sorgfältig aufgebauten Handlung.
Die Handlung von „Gül Baba“:
1. Akt:
Ein
Student
namens
Gabor
und
sein
Begleiter
Mujkó,
ein
Zigeunermusiker, schleichen sich an den Hof von Gül Baba. Gábor möchte
Leila, die Tochter Gül Babas sehen, um ihr seine Liebe zu gestehen. Sie
pflücken eine heilige Rose, um sie dem Mädchen zu geben. Daraufhin werde
sie festgenommen und vor Bassa Ali geführt, der auch um die Hand von Leila
buhlt und die beiden Diebe zum Tode verurteilt. Als letzten Wunsch erbittet
Gábor, den Abend vor seiner Hinrichtung im Garten in Leilas Nähe verbringen
zu dürfen.
2. Akt: Im Laufe des Abends finden Gül Baba und seine Anhänger so viel
Gefallen an Gabor, dass sie Bassa Ali um dessen Begnadigung bitten. Dieser
ist nur unter der Bedingung bereit dazu, wenn er Leila heiraten darf. Leila
gesteht dem Bassa, dass sie Gábor liebt. Gül Baba vernichtet indessen
eigenhändig seine Rosen und macht dem Bassa dadurch glaubhaft, dass
Allah die Rosen verderben ließ, da er wegen der unangemessen hohen
Todesstrafe erzürnt sei.
3. Akt: Gül Babas Plan geht auf: Gábor wird vom Bassa begnadigt. Gül Baba
segnet das junge Paar, ist aber gleichzeitig betrübt wegen seiner Rosen. Sie
trösten ihn mit einer Weissagung: Liebende würden noch über mehrere
Jahrhunderte mit Rosen an sein Grab pilgern.
18
Andrea Nagyová
Masterarbeit
Matr: 0673107
Am 30. September 1906 heiratete Jenö Huszka Leona Koronghy Lippich, die ihm
zwei Töchter schenkte: Eva und Lilly. Leider dauerte diese Ehe nicht lange. Später
lernte er seine zweite Frau Mária Arányi kennen, mit der er 36 Jahre verbrachte. Aus
dieser Ehe ging ein Sohn hervor.
Nach dem Abklingen des Erfolges von Gül Baba zog sich Huszka für einige Zeit vom
Komponieren zurück. Der erste Weltkrieg und die daraus resultierende schlechte
Lage brachten es mit sich, dass viele Theater vorübergehend schließen mussten.
Huszkas nächstes Stück entstand auf sehr seltsame Weise, denn Martos und
Huszka, die seit ihren Jugendjahren eng befreundet waren, hatten sich voneinander
entfernt. Martos zog zunächst für einige Monate in die Schweiz, insgesamt waren es
dann 17 Jahre. Huszka glaubte, seinen Kollegen, Freund und zweiten Bruder für
immer verloren zu haben. Martos jedoch sandte trotz des Krieges ein Libretto mit
dem Titel „Baronesse Lili”.
Es war vermutlich eines der besten, die
er bis dahin geschrieben hatte. Es ist
eine
unterhaltsame
vornehme
Geschichte
und
im
zugleich
Stil
einer
Komödie. Aus das lyrische Element
kommt darin nicht zu kurz: Es strahlt eine
Wärme aus, wie sie nur von einem
echten Dichter kommen kann. Dieser
Text
inspirierte
Huszka
sehr
stark.
„Baronesse Lili” wurde am 7. März 1919
im
Budapester
Städtischen
Theater
uraufgeführt und zählt bis heute zu den
beliebtesten Operetten.
Abbildung 6
19
Andrea Nagyová
Masterarbeit
Matr: 0673107
Die Handlung von „Baronesse Lili”:
1. Akt: Baron Malomszegi erwirbt auf einer Auktion die Ländereien des
bankrotten Grafen von Illésházy. Als der Baron mit seiner Tochter und ihrem
Bräutigam Fredi das Grundstück betritt, begegnet ihnen ein Mann, den sie als
Diener engagieren. Dieser ist kein anderer als Graf von Illésházy selbst. Der
Graf findet Gefallen an Baronesse Lili und willigt in das Spiel ein.
2. Akt: Graf von Illésházy reitet oft mit Lili in den Wald hinaus. Lili betrachtet den
Diener bereits als ihren Freund, als plötzlich Clarisse, eine ehemalige Geliebte
des Grafen, erscheint, die diesen enttarnt. Anfangs hatte der Graf nur mit Lili
gespielt, aber mittlerweile hatte er sich in sie verliebt – leider zu spät, denn er
muss das Schloss verlassen.
3. Akt: Einige Monate später treffen sie sich bei einem Pferderennen wieder. Der
Graf springt für einen Reiter Lilis ein, der am Rennen nicht teilnehmen kann.
Er gewinnt und gesteht Lili seine Liebe. Sie schließt mit dem Grafen Frieden
und ihrer beider Liebe steht nichts mehr im Wege.
Außer den bereits besprochenen Werken komponierte er noch weitere, mit
unterschiedlichem Erfolg:
Hajtóvadászat (Treibjagd)
1926
Erzsébet (Elisabeth)
1939
Maria föhadnagy (Leutnant Maria)
1942
Szepjuhászné (Die schöne Hirtin)
1955
Szabadság, szerelem (Freiheit, Liebe)
1955
Huszka Jenő war einer der größten Meister der ungarischen Operettengeneration. Er
verstarb am 2. Februar 1960.
Pongrác Kacsóh
Pongrác Kacsóh wurde am 15. Dezember 1873 in Budapest geboren und starb am
16. Dezember 1923. Sein Vater war Eisenbahnbeamter, der einige Jahre nach der
Geburt seines Sohnes nach Klausenburg (Kolozsvár/Cluj-Napoca) versetzt wurde.
Hier besuchte der kleine Pongrác das reformierte Lyzeum und lernte nebenbei
20
Andrea Nagyová
Masterarbeit
Matr: 0673107
Klavier und Querflöte am Konservatorium von Klausenburg. Nach der Matura
studierte er an der geisteswissenschaftlichen Fakultät der dortigen Universität und
erhielt im Jahr 1896 einen Doktortitel für Naturwissenschaften. Im Anschluss daran
setze er seine Studien im pädagogischen Bereich in Pest fort. Daneben
vernachlässigte er aber auch die Musik nicht: Er studierte Komposition bei Viktor
Herzfeld an der Musikakademie. Außerdem übernahm er eine Stelle als Musiklehrer
in dem Mädchenpensionat von Malna. Für die Schülerinnen des Internats schrieb er
ein Singspiel mit dem Namen „Dornröschen”. Mit diesem Werk machte er den
Schriftsteller Károly Bakonyi und den Direktor des Király Theaters, László Beöthy, auf
sich
aufmerksam.
Die
unverblümt
ungarische
Stimmung
der
Musik
von
„Dornröschen”, die an frische Wiesenblumen erinnert, wurde von den Fachleuten so
gut aufgenommen, dass man Kacsóh bat, eine Musik zum Text von „János Vitéz” zu
schreiben. Die Grundlage dieser Komposition bildete die gleichnamige Dichtung von
Sándor Petőfi. Kacsóh begann unverzüglich mit der Arbeit an der Partitur, die seine
besondere Begabung in der bestmöglichen Weise zur Geltung bringt. Bezeichnend
für das Werk ist die einfache, aufrichtige, „süßlich-traurige” ungarische Stimmung.
Dabei sind die Lieder von János Vitéz an vielen Stellen mit folkloristischen
Elementen durchtränkt. Jeder Ton kommt von Herzen und spricht direkt das Herz an.
Das Beste ist, dass der junge Komponist dabei nicht der dem Fehler der
Übertreibung verfallen ist, was für viele junge Komponisten bezeichnend ist. Selbst
bei dramatischen Szenen hält er das richtige Maß vor Augen, sein wunderbarer
Instinkt lässt ihn nicht vom Pfad der Märchenwelt abschweifen.
Am 1. November 1904 wurde „János Vitéz im
Király Theater unter der Leitung von József Konti
uraufgeführt und hiermit begann einer der
größten musikalischen Bühnenerfolge Ungarns.
Dieses Stück wurde beinahe 600 Mal aufgeführt,
was alle bisherigen Operettenerfolge übertraf.
Für viele Kinder ist dieses Stück noch heute das
erste Operetten-Erlebnis.
Abbildung 7
21
Andrea Nagyová
Masterarbeit
Matr: 0673107
Zum Inhalt von „János Vitéz”:
1. Akt: Das Stück spielt in einem unbekannten Dorf. Am Dorfrand verabschieden
sich die Mädchen von den Husaren, die in den Krieg ziehen. Iluska, die
Schönste des Dorfes, befestigt das rote Bändchen an der ungarischen Fahne.
Kukorica Jancsi, einer der Husaren, ist unsterblich verliebt in Iluska. Jancsi
musste sich von seiner Liebe verabschieden, weil die Stiefmutter Iluskas den
Wächter des Dorfes beauftragt hatte, die Herde von Jancsi in verbotenes
Gebiet zu treiben, weshalb Jancsi von den Dorfbewohnern verbannt wird.
Jancsi verspricht seiner Liebe, dass er sie nicht vergessen und selbst aus
hundert Toden zu ihr zurückkehren werde.
2. Akt: Am Hofe des französischen Königs ist die Trauer groß. Die Türken haben
die Schlacht gewonnen und nun sind die Krone und das Land des Königs in
Gefahr. Doch dann kommt Jancsi mit seinen heldenhaften Husaren und erklärt
sich bereit, das Land zu retten. Er zieht in den Kampf und verjagt die Türken.
Der König von Frankreich bietet ihm als Lohn sein halbes Königreich und die
Hand seiner Tochter, aber Jancsi lehnt ab, denn er denkt sehnsüchtig an
Iluska. Beim Klang einer Flöte kommt eine Eule angeflogen und bringt die
schreckliche Nachricht von Iluskas Tod. In ihrem Schnabel hält sie eine Rose,
die vom Strauch auf Iluskas Grab ist. Die böse Stiefmutter hat Iluska mit ihrem
schlechten Umgang in den Tod getrieben. Jancsi verlässt mit gebrochenem
Herzen und brennendem Schmerzen den französischen Hof und bricht mit der
Eule auf, um Iluska im Tod ausfindig zu machen.
3. Akt: Während ihrer Reise kommen sie an den See des Lebens. Die böse
Stiefmutter, als Hexe verkleidet, versucht Jancsi vom See wegzulocken, aber
dieser weiß vom Gesang der Feen, dass er hier seine verlorene Iluska
wiederfinden kann. Er wirft die Rose von Iluskas Grab in den See des Lebens,
aus welchem Rosen und andere Blumen herauswachsen und ein Feenreich
erscheint, in dem Iluska die Königin ist. Die Verliebten treffen einander und
Iluska überzeugt Jancsi im Feenreich zu bleiben, um dort König zu sein. Als
die traurige Flötenmelodie der fortfliegenden Eule erklingt, hält es Jancsi nicht
aus und rennt der Eule hinterher, denn er möchte in seiner schönen Heimat
Ungarn leben. Iluska ihrerseits kann nicht ohne Ihren Liebsten leben, sodass
22
Andrea Nagyová
Masterarbeit
Matr: 0673107
sie von den Feen ein neues Leben erhält und Jancsi folgt. So kommen sie
Arm in Arm in ewiger Liebe in ihrem Heimatdorf an, wo sie glücklich
weiterleben.
Mit „János Vitéz” gingen seine Macher, vor allem aber Pongrác Kacsóh, für
immer in die ungarische Operettengeschichte ein. Darauf folgte „Rákoczi”, eine
große Überraschung für das Publikum, da seine Musik sich grundlegend von jener
von „János Vitéz” unterschied. Es war eine neue Form, in der Musik und Text im
Einklang miteinander das Geschehen vorantreiben, ohne dass sich das eine zu
Ungunsten des anderen in den Vordergrund drängt – ein musikalisches Drama.
Diese Musik ist kunstvoller, selbstbewusster und vornehmer. Darin tönen sowohl der
tausendjährige ungarische Schmerz als auch die niemals sterbende ungarische
Hoffnung. Károly Bakonyi erzählt in vier Akten die gesamte tragische Geschichte der
gegeneinander kämpfenden Kaisertreuen und Unabhängigkeitskrieger (Kuruzen).
Vaterlandliebe und Freiheit ziehen sich als roter Faden durch die gesamte Handlung.
Aus diesem Werk leuchten der Geist Rákóczis und die Epoche seines
Unabhängigkeitskrieges gegen Österreich, was die Wirkung eines einheitlichen
Dramas hervorruft. Die Aufführung erfolgte am 21. November 1906 im Király Theater.
Die Handlung von Rákoczi:
1. Akt: Eine ungarische Delegation kommt unter der Führung von Graf Mikós
Bercsényi in die Wiener Hofburg, damit sie Franz II. Rákóczi, der hier
aufgewachsen ist, mit sich nach Ungarn nehmen. Dabei erwartet sie aber
eine unangenehme Überraschung: Den Sohn von Ilona Zrínyi hat man am
Wiener Hof zu einem jungen Mann erzogen, dem das Schicksal seiner
Heimat gleichgültig ist. Als er aber den Brief seiner Mutter liest, wird er sich
seiner Berufung bewusst und wechselt seine Gesinnung, um sich ganz für
die ungarische Freiheit einzusetzen.
2. Akt: Rákoczi hält sich mit seiner Armee neben Nagyszombat auf. Der
Kaiser schickt Boten zu ihm: Magdolna Rentheim und Oberst Heister. Sie
machen ihm ein Friedensangebot, das Rákóczi jedoch ablehnt und gegen
den Kaiser in den Krieg zieht.
23
Andrea Nagyová
Masterarbeit
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3. Akt: Neben Trencsin bereiten sich die Kuruzen auf den Kampf vor.
Magdolna findet heraus, dass man Rákóczi verraten hat und will ihm einen
Brief überreichen. Aus Versehen bekommt Rákóczi aber ein wohlgehütetes
Erinnerungsstück zur Hand, aus dem klar hervorgeht, dass Magda ihn seit
Jahren heimlich liebt. Die Schlacht geht zu Ungunsten der Kuruzen aus:
Rákóczi fällt von seinem Pferd und Magda wird erschossen.
4. Akt: Rákóczi flieht über den Pass von Vereczke nach Polen. Zuerst aber
begräbt er das Lieblingsinstrument der Kurzen, eine Harmonika. Nachdem
er sie begraben hat, ertönt aus der Erde der klagende Ton des Instruments
und ein melancholischer Akkord begleitet Rákóczi auf seiner ewigen Flucht
ins Exil.
Pongrác Kacsóh schrieb noch zwei weitere Operetten, die aber weniger
erfolgreich waren. Eine trug den Titel „Mary – Ann” und wurde 1908 uraufgeführt; die
andere, die „Dorottya” heißt, wurde erst nach seinem Tod aufgeführt. Seit 1904 war
er Mitglied des ungarischen Vereins der Bühnenkomponisten. Zwischen 1909 und
1912 hatte er als Leiter der Realschule von Kecskemét eine wichtige Rolle bei der
Organisation des dortigen Laien-Musiklebens. Auch leistete er einen bedeutenden
Beitrag zur Gründung des Neuen Ungarischen Musikvereins im Jahr 1911. Zwischen
1912 und 1922 war er Oberdirektor der musikalischen Lehrgänge auf Oberschulbzw.
Hochschulniveau
in
Ungarn
und
koordinierte
den
fachgerechten
Musikunterricht. Im Jahr 1909 schrieb er ein Buch über die Entwicklungsgeschichte
der Musik unter dem Titel „Prolegomenon zu der positiven Ästhetik der Musik”. 27
Lange Zeit war er der Leiter des Hauptstadtchores, außerdem war er Direktor des
Nationalen Liederbundes sowie Präsident der Nationalen Musikervereinigung. Er
wurde beauftragt, zu zahlreichen zeitgenössischen Bühnenwerken die Begleitmusik
zu komponieren. So schrieb er Lieder zur Dramenlegende von Árpád Pásztor mit
dem Titel "Die Glocke" (1907) und die Begleitmusik zu drei Bühnenwerken von
Ferenc Molnár: „Lilie” (1909), „Die weiße Wolke” (1909) sowie „Goldgräber” (1918),
aber auch bei den Aufführungen von „Der blaue Vogel” von Maeterlinck hörte man
seine Melodien. Im Jahr 1918 beendete er „Dorottya”, ein Singspiel nach dem
27
Sándor Gál György, Vilmos Somogyi: Operettek könyve, Budapest 1976, S. 267.
24
Andrea Nagyová
Masterarbeit
Matr: 0673107
gleichnamigen Werk von Csokonai, von vielen als komische Oper bezeichnet.
Kenner seines Lebenswerks behaupteten, dass er sehr lange an diesem Werk
gearbeitet habe. Die Entwicklung des Krieges, sowie die Zeit der ungarischen
Räterepublik
waren
allerdings
sehr
widrige
Umstände
für
eine
mögliche
Uraufführung. Das Werk blieb also in der Schublade und wurde erst nach seinem
Tod (im Jahr 1929) uraufgeführt.
Am 13. Dezember 1923 verstarb Pongrác Kacsóh unerwartet. Seine Kollegen
verloren mit ihm einen Zeitgenossen von breitem künstlerischem Horizont und von
europäischem Maßstab, der in einer seiner Kritiken schon früh das Talent des jungen
Béla Bartók erkannt hatte und dessen Welterfolg voraussagte.
Ákos Buttykay
Von den Meistern der ungarischen Operette möchte ich noch den Namen von Ákos
Buttykay erwähnen – er war einer derjenigen, der von der Operette „verführt“ wurde.
Buttykay wurde am 22. Juli im Jahr 1871 in Halmi geboren und starb am 26. Oktober
im Jahr 1935 in Debrecen. Seine Familie war nicht sehr angetan von den musischen
Interessen ihres Sohnes, da sie die Meinung vertrat, man könne vom Komponieren
nicht leben. Buttykai gab dem Wusch seiner Eltern nach und fing an, Jura zu
studieren, ließ die Musik jedoch keineswegs in den Hintergrund geraten. Er lernte
das Klavierspiel bei Imre Székely und Musiktheorie bei Professor Benkő. Nach einem
zweijährigen Aufenthalt in Weimar, wo er Schüler von Berhard Stavenhagen war,
kehrte er nach Budapest zurück. Bei einem Klavierabend, den er in Berlin
organisierte, wurde sein erstes Werk, eine Fantasie in a-Moll erfolgreich aufgeführt.
Danach ging es mit seiner musikalischen Karriere steil aufwärts; ein Erfolg folgte auf
den nächsten.
Im Leben dieses sehr erfolgreichen Komponisten, der mit seinen Symphonien
riesige Konzertsäle zu füllen vermochte, kam es aber zu einem Wendepunkt, an dem
er sich von der klassischen Musik abwandte um sich fortan dem Singspiel und der
Operette zu widmen. Dieser überraschende Lebensabschnitt von Buttykai begann im
Oktober des Jahres 1905. Damals hatte „Bob Herceg” von Jenő Huszka seinen
Durchbruch auf der Operettenbühne bereits hinter sich und dem Libretto Respekt
verschafft. Neben Jenő Huszka und Pongrác Kacsóh wurde nun Ákos Buttykay der
dritte Meister der ungarischen Operette. Er war ein Befürworter der ungarischen
25
Andrea Nagyová
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Operette und leistete überdies einen wesentlichen Beitrag im jahrzehntelangen
Widerstand gegen Operetten aus dem Ausland. Dieser wurde nicht durch Protest
oder Aufführungsverboten von ausländischen Operetten betrieben, sondern mit
Kompositionen von niveauvollen, auf meisterhafte Art geschriebenen ungarischen
Operetten.
Im Oktober des Jahres 1905 wurde im Király Theater Buttykays erste Operette
„Der fliegende Grieche” uraufgeführt; das Libretto dazu stammte von Árpád Pásztor.
Nach der Erstaufführung des Stückes war für alle klar, dass Buttykay ein
anspruchsvoller Komponist mit viel Gespür für die musikalische Parodie war. An
seinen großen Erfolg konnte er nicht mehr anknüpfen, zumal er hinsichtlich des Stils
anders schreiben wollte als bisher – das Operettengeschäft lehnte dies allerdings ab
und wollte Werke, bei denen hauptsächlich einprägsame Melodien im Mittelpunkt
stehen.
In seinen weiteren Operetten gelang es ihm hin und wieder, das Publikum mit
einem Lied für sich zu gewinnen, für einen nachhaltigen Erfolg war dies allerdings zu
wenig. Im Lebensweg von Buttykay – ebenso wie bei in dem von Pongräc Kacsóh –
gab es einen tragischen Bruch: Kacsóh konnte niemals den ungebrochenen Erfolg
von „János Vitéz” wiedererleben und auch Buttykay konnte den Weg, den er mit
„dem fliegenden Griechen” eingeschlagen hatte, nicht fortsetzen.
Weitere Operetten von Buttykay:
Der Gaunerkönig
1907
Die Silbermöwe
1920
Herzogin Olivia
1922
Hier ist die Katze
1922
Der Page der Kaiserin
1925
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7. Die ungarische Operette auf dem Weg zum Welterfolg
Imre Kálmán
Kalman wurde als Imre Koppstein in Siófok am Plattensee am 24. Oktober 1882 in
eine kinderreiche Familie geboren. Der Vater, Károly Koppstein war Getreidehändler
und Unternehmer; ein gutmütiger und wohlhabender Mann. Seine Mutter, Paula
Singer, war eine musikliebende Frau, die den Weltruhm ihres Sohnes noch erlebte.
Die Familie führte kein luxuriöses, aber ein angenehmes Leben; sie unterhielten
einen Diener und eine Köchin. Während der Gymnasialzeit änderte Imre Koppstein
seinen Nachnamen in Kálmán. Schon in seiner Kindheit zeigte der kleine Imre die
unverwechselbaren Merkmale einer außergewöhnlichen musikalischen Begabung.
Seine Mutter und seine Schwester Vilma hörten seinem Klavierspiel mit großer
Begeisterung zu. Das musikalische Talent lag in der Familie – unter den Vorfahren
der Mutter gab es einige erstklassige Musiker. Im Sommer 1888 kam der Violinist
Ferenc Liedl (1856–1900) nach Siófok, der sich bei der Familie Kálmán einquartierte,
um in Ruhe üben zu können. Imre Kálmán bekam bei ihm seinen ersten
Musikunterricht. Fortan verschrieb er sich mit ganzer Seele der Kunst. Die meiste
Zeit verbrachte er im Musikzimmer, auch das Theater besuchte er häufig. Oft hielt er
sich in der Nähe der von Lipót Karpelesz gegründeten Theatergruppe „Nyári Színkör”
auf, die sich in der unmittelbaren Nachbarschaft befand. Die Welt des Theaters
begeisterte und verzauberte ihn. Allerdings träumte der kleine Imre noch nicht von
einer Musikerkarriere, sondern wollte Schneider werden. Im Alter von sechs Jahren
änderte er allerdings seine Pläne und entschloss sich, Rechtsanwalt zu werden.
Seine Grundschuljahre verbrachte er an der jüdischen Volksschule. Die jüdische
Schule in Siófok hatte einen so guten Ruf, dass auch christliche Eltern ihre Kinder
gern dorthin schickten; nicht nur wegen dem anerkannten Pädagogen Adolf Rónai,
sondern auch, weil dort Deutsch unterrichtet wurde. An dieser Schule war unter
anderem Géza Révész, der später ein weltberühmter Psychologe wurde, einer der
Mitschüler von Kálmán.
Den ersten Klavierunterricht erhielt Imre Kálmán noch im Grundschulalter an
der Musikschule von Siófok. In Budapest besuchte er das Evangelische
Hauptgymnasium am Deák Platz. Neben dem Gymnasium und der Musikschule
27
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verbrachte er jede freie Minute am Klavier, um die Werke von Schumann und Chopin
zu studieren. Die Musik bezauberte ihn. Während der Sommerferien musste man ihn
geradezu mit Gewalt vom Klavier wegzerren, damit er das Mittagessen einnehmen
konnte. Imre war fünfzehn Jahre, alt als er 1898 zum ersten Mal – mit einer Fantasie
von Mozart – vor das Publikum trat. Die Journalisten und Kritiker beobachteten mit
Staunen die Fähigkeiten des jungen Musikers. Imre schien so klein und zerbrechlich,
dass die Zeitungen begeistert über das Talent des „zwölfjährigen Musikers”
berichteten. Die Schule beendete er mit hervorragenden Noten. Damit begann auch
sein Doppelleben, da er sich auf Wunsch der Eltern an der juristischen Fakultät der
Universität Budapest einschrieb, wo er acht Semester studierte und erfolgreich alle
nötigen Prüfungen absolvierte. Dies kann man als bedeutende Leistung ansehen,
wenn man bedenkt, dass er daneben mit vollem Einsatz auch an der Musikakademie
studierte. Wegen einem Leiden seiner Hände konnte er nicht mehr Klavier spielen; er
begann, für die Tageszeitung Musikkritiken zu schreiben. 1902 schrieb er seine erste
Komposition auf Grundlage eines Gedichts von Victor Jacobi. Auf dieses erste Werk
folgten noch weitere, von denen er „Saturnalia” als das Wichtigste betrachtete und in
das er alle seine Hoffnungen setzte.
Am 24. Februar 1904 fand in der Königlichen Oper Budapest das
Abschlusskonzert der Kompositionsstudenten der Musikakademie statt, wo die erste
Symphonie Kálmáns zum ersten und zu letzten Mal aufgeführt wurde. Für Kálmán
war dieser Tag der Beginn seiner Karriere. Seine Anwaltskarriere verlief keineswegs
erfolgreich. Er lebte erneut ein Doppelleben, mit dem Unterschied, dass er morgens
nicht in die Anwaltskanzlei ging, wie man zu Hause vermutete, sondern in die
Redaktion. Man muss allerdings erwähnen, dass er dort mit offenen Armen und
einem Angebot als Musikkritiker erwartet wurde, mit einer zusätzlichen einmaligen
Vergütung von 70 Kronen.
Als Komponist gewann er mehrere Preise, unter anderem den 1905 RobertVolkmann-Preis sowie 1907 den Franz-Josef-Preis der Hauptstadt Budapest für
seine zwölf Lieder. Dank dieser Ehrungen konnte er sechs Monate in Berlin
verbringen. Imre nützte die Gelegenheit, um sein Werk „Saturnalia” und seine
symphonische Dichtung „Endre und Johanna” verschiedenen deutschen Verlegern
anzubieten. Trotz seiner Bemühungen fand er aber weder in Berlin noch in Leipzig
28
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oder München, wo er auf dem Heimweg durchreiste, einen Herausgeber für seine
Werke. „Scheinbar möchte die Welt meine Symphonien nicht haben? Nun muss ich
mich zu dem traurigen Schritt durchringen, eine Operette zu schreiben”28 – spottete
Imre mit Schadenfreude und lachte dabei am lautesten über sich selbst. Er sollte sich
also zum Operettenkomponisten erniedrigen!
Jenő Heltai, einer der besten Verfasser von Couplet-Texten, bat Kalman,
seinen Text mit dem Titel „Ich bin das Dienstmädchen von Sári Fedák” zu vertonen.
Das Lied wurde ein großer Erfolg, doch Kálmán ließ es nicht zu, dass sein Name auf
dem Konzertplakat erschien. Auf eine neuerliche Anfrage von Heltai entstand das so
genannte Kino-Lied („Weil die Berta eine große Gans ist”), das ebenfalls sehr
bekannt wurde. Später wurde es als Einlage in dem Stück „Bernát” von Jenő Heltai,
aufgeführt im Vígszínház, verwendet.
Aufgrund der vielen Möglichkeiten, die sich ihm eröffneten, wechselte Kálmán
doch zur Operette. Nach dem Tod von Johann Strauß und Carl Millöcker kam es nun
zu
einer
Renaissance
der
Operette.
Kalman
mietete
eine
günstige
Dachbodenwohnung in Kroisbach, in der Nähe von Graz, um ungestört arbeiten zu
können. Dort schrieb er seine erste Operette die „Tatárjárás”, deren Uraufführung ein
unerwarteter Erfolg war. Das Libretto schrieb Károly Bakonyi, der damals aufgrund
seines Singspiels zu János Vitéz bereits ein bekannter Librettist war. Die Handlung
dieser Operette war eine Idee von Imre Kálmán, der eine Militärübung vertonen
wollte. Victor Jacobi, ein ehemaliger Kommilitone von Kálmán, machte diesen mit
Bakonyi bekannt, der nach kurzer Bedenkzeit die Aufgabe des Librettos übernahm.
Danach brachte Kálmán das fertige Werk zu László Beöthy, dem Direktor des Király
Theaters, der aber wegen einer anderen Operette die Aufführung nicht garantieren
konnte. Daraufhin ging Kálmán ins Vígszínház,29 dessen Direktor Gábor Faludi war.
Obwohl diese Bühne bis dahin kaum musikalische Aufführungen brachte, wurde das
Stück auf das Programm gesetzt. Es wurde am 22. Februar 1908 mit Gyula Hegedűs
und Berta Kornai in den Hauptrollen uraufgeführt und war sofort ein großer Erfolg.
Das Publikum applaudierte unermüdlich und ließ die Darsteller immer wieder auf die
Bühne kommen.
28
29
Rátonyi, Operett 1, S. 162.
Komisches Theater Budapest.
29
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Vor der Premiere wollte die Primadonna, die Mogyoróssy verkörperte, mit
folgenden Worten: „Die Premiere steht vor der Tür und mein Auftrittslied ist immer
noch nicht fertig! Ich gebe meine Rolle zurück!”30 kurzfristig aus der Produktion
aussteigen. Kálmán suchte sie in der ganzen Stadt und konnte sie letztendlich doch
besänftigen. Das Publikum belohnte das Spiel der Darsteller, die Geschichte – eine
Parodie des Krieges – und vor allem die frischen Melodien des unbekannten
Komponisten mit viel Applaus. Binnen weniger Tage waren fünfzig Vorstellungen im
Voraus ausverkauft.
Die Operette „Ein Herbstmanöver” wurde am 21. Januar 1909 erstmals am
Theater an der Wien aufgeführt. Für die Wiener Erstaufführung nahm der Direktor
Vilmos Karczag den hervorragenden Komiker Max Pallenberg auf direkte Bitte des
Komponisten unter Vertrag. Die Wiener Premiere kann als Welterfolg betrachtet
werden, da Wien zu der Zeit als Hauptstadt der Operette galt. Noch in derselben
Saison nahmen auch Theater in Hamburg, Berlin und Prag das Werk in ihr
Programm auf. Die Erfolgsnachricht erreichte auch Amerika, wo Henry W. Savage,
ein berühmter Impresario und Theaterdirektor das Stück unter dem Namen „The Gay
Hussars” aufführte.
Um die Aufführungen des „Herbstmanövers” sind zwei Anekdoten überliefert:
Eine Geschichte ereignete sich im Zusammenhang mit der Prager Uraufführung.
Man muss dazu sagen, dass nicht jeder die delikate Ironie verstand, mit der das
kaiserlich-königliche Heer dargestellt wurde. Einige zionistische Juden organisierten
wegen der Rolle des Reserveleutnants Wallenstein Protestaktionen und man
befürchtete, dass es bei der Premiere zu einem Skandal kommen könnte. Aber durch
das Erscheinen von Erzherzog Karl konnte dies vermieden werden:
„Das Stück verlief ruhig bis zu der Szene, als Wallenstein erschien. Dann fing das
Publikum wie auf ein Zeichen an, unruhig zu werden. Die Situation wurde langsam
kritisch, als sich der Erzherzog umdrehte und sagte:
-
Aber Ruhe!
Plötzlich war es ruhig und damit war die Vorstellung gerettet…”31
30
31
Gál György, Somogyi: Operettek könyve, S. 279.
Jenő Faragó: Szinház és Divat, Budapest 1916, S. 34.
30
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Die andere Erinnerung war ein Brief, den Kálmán von in Havanna lebenden Ungarn
erhielt: „Sie weinten vor Freude, als sie die ungarischen Melodien hörten”.32
Die Darsteller der ungarischen Uraufführung waren:
Generalleutnant Lohonyai
Ferenc Vendrey
Treszka, seine Tochter
Ilona Komlóssy
Baronin Riza
Juliska Keleti
Oberleutnant Lörentey
Gyula Hegedüs
Mogyoróssy, Husarenfreiwilliger
Berta Kornai
Die Handlung des „Herbstmanövers”:33
1. Akt: Baronin Riza wird durch eine unfreiwillige Heirat zur Herrin eines
vornehmen Schlosses. Ihr Mann war schon verstorben, als sie erfährt, dass
sich unter den Husaren, die zur Militärübung kommen, auch ihre ehemals
große Liebe, Oberleutnant Lörentey, befindet, zu dem sie sich noch immer
sehr hingezogen fühlt. Sie lädt den Oberleutnant zu sich auf das Schloss ein,
der jedoch die Einladung ablehnt. Lörentey verlor einst sein Schloss und seine
große Liebe Riza. Die Tochter von Generalleutnant Lohonyai, Treszka, liebt
Lohonyai ebenfalls, er jedoch erwidert ihre Liebe nicht.
2. Akt: Im Schloss findet eine große Feier statt. Man trinkt und tanzt und die
Offiziere vergessen vollkommen, dass sich der Feind, wegen dem sie die
Militärübung eigentlich veranstaltet haben, nähert. Die Soldaten laufen ins
Schloss, um es den Offizieren zu melden, diese sind aber so guter Laune,
dass sie gar nichts mehr interessiert. In diesem Moment kommt Lörentey
selbst und fordert sie auf, ins Lager zurückzukehren. Bei dieser Gelegenheit
sieht er Riza, die nichts unversucht lässt, in ihm wieder alte Erinnerungen zu
wecken, er jedoch erwidert stolz, dass sein Herz schon vergeben sei. Er liebe
Treszka und werde sie heiraten. Daraufhin fordert Riza ihn auf, das Schloss
zu verlassen und seinen Offizieren ins Lager zu folgen. Lörentey wird von
einer heftigen Bitterkeit befallen und er erinnert sich wieder an die
32
33
Gál György, Somogyi: Operettek könyve, S. 277.
Amadé Németh: A magyar operett története, Debrecen 2001, S. 66.
31
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Erniedrigung, die er damals erlebte, als er Riza verlor. Er betrinkt sich
hemmungslos und beginnt zu tanzen. Dass er die Militärübung verpasst,
interessiert ihn nicht mehr und er wirft Riza das Schwert vor die Füße. In
diesem Moment erscheint General Lohonyai. Voller Zorn und Aufregung zieht
er Lörentey zur Verantwortung und bestraft ihn. Der eifersüchtige Mogyoróssy
indessen verbreitet das Gerücht, dass der Oberleutnant Treszka heiraten will.
Lohonyai freut sich sehr über diese Nachricht, sodass er über Lörenteys
Fauxpas hinweg sieht. Als aber Treszka von Mogyoróssy erfährt, dass der
Oberleutnant Riza liebt, lässt sie ihren Vater beleidigt wissen, dass sie
Mogyoróssy heiratet und nicht Lörentey.
3. Akt: Lohonyai lässt die anderen gewähren und da jeder weiß, dass hinter
seiner Strenge ein gutes Herz versteckt ist, wundert sich niemand, als er
verkündet, dass die ganze Militärübung nicht mehr war als ein spannendes
Herbstmanöver – sowohl aus militärischer Sicht als auch aus der Sicht der
Liebe. Riza hält Lörentey in den Amen und Treszka umarmt Mogyoróssy und
alle singen voller Glück.
Aufgrund der Darsteller gelang die Aufführung sehr gut, trotzdem war der
Erfolg zum größten Teil Kálmán zuzuschreiben. Mit seiner Musik schuf er eine
überwiegend ungarische Grundstimmung. Allerdings ließ diese ebenso wenig die
Romantik der Wiener Operette als auch die Ironie der französischen Operette
vermissen und war außerdem vom sprudelnden, explosiven Rhythmus der
englischen Operette durchzogen. Mit seiner Musik schaffte es Kálmán, den damals
programmatisch
vorgeschriebenen
Sentimentalismus
mit
der
Triebkraft
der
unaufhaltsamen Lebensfreude zu durchbrechen.
Kálmáns Erfolg führte dazu, dass Wien, die damalige Hauptstadt der Operette,
ein Auge auf den ungarischen Komponisten warf. In einer zeitgenössischen
österreichischen Zeitung hieß es: „Imre Kálmán ist der Aufstieg auf die internationale
Bühne gelungen und er bewegt sich jetzt auf Augenhöhe mit den anderen
angesehenen österreichischen Operettenkomponisten. Die Theater konkurrieren
32
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miteinander, wer sein neues Werk bekommt. Es gibt kein Wien ohne Operette und
es gibt keine Operette ohne Kálmán. Was folgt daraus? Kálmán gehört nach Wien!” 34
Diese Einladung schmeichelte Kálmán; er gab der Versuchung nach und
wechselte nach Wien – gleichzeitig verlor er seine ungarische Staatsangehörigkeit.
Der Umzug hatte zwei Gründe: erstens versprachen die Wiener Erfolge Kálmán
Weltruhm, da die internationalen Theaterintendanten und Verleger die Aufführungen
mitverfolgten. Andererseits musste er so keine Urheberrechtsgebühren für die in
Ungarn komponierten Werke bezahlen, da Ungarn zu dem Zeitpunkt noch kein
Mitglied der Berner Übereinkunft zum Schutz von Werken der Literatur und Kunst
war.
In seinem Privatleben kam es ebenfalls zu einer Wende: Er lernte die junge
Schauspielerin Paula Dworzak kennen, mit der er bis zu ihrem Tod im Jahr 1928
zusammenlebte. Seine nächste Arbeit war „Az Obsitos”, die ebenfalls im Vígszínház
am 11. März 1910 aufgeführt wurde. Der Erfolg dieses Werks konnte den des
„Herbstmanövers” bei Weitem nicht erreichen, es gab lediglich fünfundzwanzig
Vorstellungen. In Österreich wurden zwei Versionen gespielt. Für beide Fassungen
schrieb Victor Leon das Libretto: Die erste wurde unter dem Namen „Der gute
Kamerad” im Burgtheater 1911 aufgeführt; die zweite Fassung trug den Titel „Gold
gab ich für Eisen” und wurde am Theater an der Wien uraufgeführt. Diese letztere
Fassung änderte Kálmán auf Wunsch von Vilmos Karczag, der sein Theater mit
einem guten Stück vom Bankrott retten wollte, was ihm damit auch gelang – die
Neufassung war viel erfolgreicher als die Fassung von 1911, die nur 70
Aufführungen erlebte.
Im September 1913 wurde sein neues musikalisches Bühnenwerk zu einem
Text von Andor Gábor im Modern Színház, dem Cabaret von Medgyaszay Vilma,
unter dem Titel „Kivándorlók”35 aufgeführt. Noch am 11. Januar desselben Jahres
kam es im Vígszínház zur Wiederaufnahme des „Herbstmanövers”, mit neuer
Besetzung, aber mit ähnlich großem Erfolg wie bei der Premiere. Im Monat der
Wiederaufnahme des „Herbstmanövers” wurde am 21. Januar im Király Theater „Der
34
35
Rátonyi, Operett 1, S. 171.
auf Deutsch: „Die Einwanderer”.
33
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Zigeunerprimas”36 uraufgeführt (die Wiener Premiere war am 11. Oktober 1912 im
Johann Strauß-Theater, die deutsche Fassung stammte von Julius Wilhelm und Fritz
Grünbaum). Die Operette handelt von einer aristokratischen Dame und ihrem
Liebhaber, der nicht ihrem gesellschaftlichen Rang entspricht – in dieser männlichen
Hauptfigur sind teilweise die Geschichten von Jancsi Rigó, Laci Rácz und Pali Rácz
verwoben. In Wien spielte der weltberühmte Schauspieler Alexander Girardi die
Hauptrolle, in Budapest wurde das Stück 140 Mal gespielt, mit Sári Fedák, Ilka
Pálmay, Antal Nyáray und Márton Rátkai in den Hauptrollen. In den Vereinigten
Staaten wurde es unter dem Namen „Sári” gespielt.
Die Handlung von „Der Zigeunerprimas”:
1. Akt: Der weltberühmte Zigeunerprimas Pali Rácz lebt in einem Häuschen in
Soroksár. Zwei seiner insgesamt 16 Kinder leben noch bei ihm: sein Sohn
Laczi, der die Musikakademie besucht und eine Tochter im heiratsfähigen
Alter. Pali hat außerdem eine Nichte namens Juliska, die er heiraten möchte.
Es wäre seine vierte Ehe. Sein Sohn Laczi verachtet seinen Vater, denn er
weiß von dessen geheimer Liebschaft mit Juliska. Er beschließt daher, das
Elternhaus zu verlassen und in die Welt hinauszuziehen. Graf Irinoy Gaston,
ein Freund von Pali Rácz, kommt aus Paris zu Besuch und überredet Pali
dazu, mit ihm nach Paris zu kommen, um dort bei einer Feier für ihn zu
musizieren.
2. Akt: In Palast von Gaston findet ein Fest statt, an dem auch Heinrich VII.
inkognito teilnimmt – in dieser Operette trägt er den Namen König Estragon.
Laczi ist der Leiter der Kapelle und sorgt für Unterhaltung. Als Höhepunkt des
Abends ist ein Auftritt von Pali Rácz vorgesehen, aber es reißt ihm eine Saite,
sodass er nicht spielen kann, sondern sein Sohn einspringt und das mit
glänzendem Erfolg. Als der alte Zigeuner wieder zu spielen versucht, endet
dies in einem Fiasko.
36
Im Original: „A Cigányprímás”.
34
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3. Akt: Graf Gaston ist traurig, weil er Sári liebt, deren Mutter aber nicht in die
Heirat einwilligt. Währenddessen grämt sich Laczi darüber, dass seine
Angebetete die Braut seines Vaters ist. Inzwischen kommt heraus, dass die
Frau des Grafen vor 30 Jahren die große Liebe des Zigeunerprimas war. Die
Rückbesinnung auf alte Zeiten am Ende des Aktes bringen eine erlösende
Wendung, in der die Liebe triumphiert: Laczi gewinnt Juliska für sich. Die
letzte Szene beschließt das Stück auf melodramatische Weise: während die
Musik für die entsprechende Stimmung sorgt, wirft der alte Pali Rácz seine
Geige ins Feuer, weil sie ihn im Stich gelassen hatte.
Kálmáns nächstes Werk, „Der kleine König”, wurde noch vor Kriegsbeginn Anfang
1914 in der Budapester Volksoper uraufgeführt. Der Text stammt von Károly Bakonyi
und Ferenc Martos. Die Wiener Premiere war zwar erfolgreich, aber die
Hauptdarstellerin, Mizzi Günther, wurde heiser und ihr Partner, Louis Treumann,
wollte ohne sie nicht auftreten. Vilmos Karczag, der Direktor des Theaters an der
Wien, entließ den eigensinnigen Darsteller, die Primadonna war allerdings noch
wochenlang krank. Die daraus folgende Umbesetzung der Hauptdarsteller konnte
das Stück nicht mehr retten, sodass es nur 80 Aufführungen erlebte. Kálmán meinte
„es wäre zur falschen Zeit auf die Bühne gekommen”.37
Am 27. Februar 1915 wurde im Vígszíház „Fräulein Susi” aufgeführt, den Text
verfassten Ferenc Martos und Miksa Bródy. Vor der Premiere trat jedoch ein Problem
auf, dass die Aufführung ernsthaft gefährdete: Sári Fedák, die die Hauptrolle spielen
sollte, wechselte ans Király Theater. Die Leitung des Vígszínház bestand jedoch auf
den ursprünglich geplanten Aufführungszeitpunkt, sodass man rasch eine gute
Ersatz-Primadonna finden musste. Die Wahl fiel auf Nursia Diósy, die ihre Rolle als
ungarische Postbeamtin, die eine Liebesbeziehung zum italienischen Opernsänger
Falsetti (Gyula Csortos) führt, hervorragend meisterte. Außerhalb von Ungarn wurde
dieses Werk nur in den Vereinigten Staaten gespielt, wo es unter dem Namen „Miss
Springtime” mit Sári Petráss in der Hauptrolle große Karriere machte. Kálmán probte
gerade die „Csárdásfürstin” in Budapest, als ihn ein Telegramm vom sagenhaften
Erfolg seines Stückes in den USA unterrichtete.
37
Faragó, Szinház és Divat, S. 20.
35
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Einige Monate vor Ausbruch des Weltkrieges zog Kálmán mit seinen
Librettisten Leo Stein und Béla Jenbach nach Marienbad. Stein war 24 Jahre älter
als Kálmán und hatte zu dem Zeitpunkt bereits großartige Komödien und Operetten
geschrieben. Jenbach wurde in Ungarn geboren und war, bevor er sich der Operette
zuwandte, Schauspieler am Wiener Burgtheater. Nie zuvor hatte Kálmán unter solch
bedrückenden Bedingungen lustige Tanzmelodien, bühnentaugliche, sentimentale
und unterhaltsame Operettenmusik zu komponieren. Man bedenke, dass in dieser
Zeit die österreichisch-ungarische Monarchie Serbien den Krieg erklärte! Kálmán
komponierte in dieser Zeit seine nächste Operette mit dem Titel „Es lebe die Liebe”,
die bald in „Csárdásfürstin” umbenannt wurde. Es fiel ihm schwer, das Stück zu
beenden, weil ihn das Geschehen an den Kriegsfronten sehr beeinträchtigte. Nach
einer Unterbrechung von einem Jahr mietete er auf Anraten seines Freundes Ferenc
Lehár eine Villa in Bad Ischl, das damals als das Paradies der Operettenkomponisten
galt. Hier beendete er die „Csárdásfürstin“, deren Uraufführung für den 13. November
1915 im Johann Strauß-Theater angekündigt wurde. Letztendlich fand diese
aufgrund der Erkrankung eines Darstellers erst am 17. November statt. An jenem
Tag begann die Karriere der „Csárdásfürstin”, die bis heute als die bekannteste
Operette überhaupt gilt. Nachdem Szilvia Vereczky ihre mit dem berühmten „Haj-hó”
beginnende Eröffnungsszene gesungen hatte, wurden sie, ihre Kollegin Mizzi Günter
und Kálmán vom Wiener Publikum mit einem siebenminütigen Applaus gefeiert. Für
die Wiener Premiere hatte man den Budapester Schauspieler und Sänger Antal
Nyárai, der die Rolle des Onkel Feri verkörperte, „ausgeliehen”; er hatte davor extra
für diese Gelegenheit sein Deutsch perfektioniert. Er war in dieser Rolle so
erfolgreich, dass man ihn selbst nach eineinhalb Jahren nicht gehen lassen wollte.
Ein weiterer Verantwortlicher der Budapester Premiere war Antal Gábor, der
für die ungarische Fassung verantwortlich war. Natürlich war auch die Besetzung von
großer Bedeutung. Die Premiere fand am 3. November 1916 statt. In der Rolle der
Primadonna glänzte Emmi Kosáry, die Frau des Komponisten Ákos Buttykay, die ihre
Karriere als Pianistin begann und erst später Sängerin an der Oper wurde, wo sie
sehr erfolgreich war. Die „Csárdásfürstin“ bescherte ihr allerdings einen so großen
Erfolg, dass sie danach endgültig Operettensängerin blieb. Ihren Gegenpart, Prinz
Edwin, spielte Ernő Király und Comtesse Stasi wurde von Ida Szentgyörgyi
36
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verkörpert. Die Melodien der Operette, wie „Emlékszel meg?“38, „Jaj cica, eszem azt
a csöpp kis szád“39 oder „Túl az óperencián“40 waren so beliebt, dass man sie auf der
Straße sang. Bei dieser Operette führte Beöthy, der Direktor des Theaters, eine
Neuerung ein: vor dem zweiten und dritten Akt wurde der Text der Lieder auf eine
weiße Leinwand projiziert und das gesamte Publikum konnte mitsingen. Die Operette
wurde 15 Monate ohne Pause gespielt. Die Vorstellungen setzten nicht einmal in den
Sommermonaten aus. Der Erfolg lockte auch Kálmán immer wieder in seine Heimat,
sodass er manchmal sogar im Monatsrhythmus nach Ungarn fuhr, um dort seine
Eltern und Geschwister zu besuchen.
Die „Csárdásfürstin“ blieb trotz des Krieges erfolgreich und durchbrach sogar
im wahren Sinne des Wortes die Fronten. Im Sommer 1917 wurde sie in Sankt
Petersburg aufgeführt und wurde ab dem Zeitpunkt unter dem Namen „Sylvia“ das
meistgespielte Stück in den russischen Theatern. In englischen und amerikanischen
Theatern wurde sie unter dem Namen „The Gypsy Princess“ gespielt. 1918 wurde sie
von der Budaer Sommerbühne41 und 1927 vom Király Theater wieder ins Programm
aufgenommen; auch das Operettentheater Budapest42 eröffnete nach dem Krieg mit
diesem Stück.
Die „Csárdásfürstin“ ist das vielleicht beliebteste Werk von Imre Kálmán, das
in zahlreichen Ländern aufgeführt wurde und sich auch heute noch großer Beliebtheit
erfreut. Es wird weltweit in vielen Theatern und im Rahmen von Festivals gespielt.
Das ursprüngliche Libretto wurde von István Békeffy und Dezső Keller revidiert und
seitdem wird in Ungarn hauptsächlich diese Fassung gespielt. Die Beliebtheit der
„Csárdásfürstin” lässt sich daran messen, dass sie zwischen 1915 und 1932 etwa
30000 Mal weltweit aufgeführt wurde. Am Ende des Ersten Weltkrieges wurde sie
zusammen mit anderen Kálmán-Operetten in mehreren Kriegsgefangenen-Theatern
gespielt.
38
„Weißt oh es noch?”
„Schätzchen, ich liebe Deinen kleinen Mund”.
40
„Weit über dem Ozean”.
41
Budai Nyári Színház.
42
Fővárosi Operettszínház.
39
37
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Abbildung 8
Zur Handlung der „Csárdásfürstin”:
1. Akt: Sylva Varescu, die Primadonna des Budapester Orpheum, bereitet sich
auf ihren Abschiedsauftritt vor. Nachdem das feiernde Publikum abzieht, findet
ein Galadiner statt. Ihr Verehrer, der junge Herzog Edwin Lippert-Weilersheim,
möchte ihre Abreise verhindern. Seine Bemühungen sind jedoch umsonst; die
junge Frau weiß genau, dass ihre Beziehung wegen der großen sozialen
Unterschiede keine Zukunft hat. Unter der Leitung der Stammgäste des
Orpheum, zu denen der lustige Graf Boni und der alte Kellner Miksa zählen,
bereitet man sich auf den feierlichen Abschied von Sylvia vor. Miksa und Herr
Feri (ein Gast) denken voller Nostalgie an Cilike, die einstige Primadonna
zurück, die in ihrer Rolle als Csárdásfürstin viele Männerherzen brach. In
diesem Augenblick erscheint Herzogin Cecilia, die Mutter von Edwin, die ihren
Sohn mit sich nach Hause nehmen möchte, denn dort wartet bereits die für ihn
ausgewählte Braut, Herzogin Stasi. Als Miska und Feri Herzogin Cecilia
sehen, erkennen sie in ihr frühere Primadonna Cilike. Nachdem man einen
kurzen Moment in Erinnerung an die schönen alten Zeiten geschwelgt hatte,
lässt Cilike ihre Freunde schwören, ihre Vergangenheit auf keinen Fall
preiszugeben. Das Treffen von Edwin und seiner Mutter nimmt ein trauriges
38
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Ende: Der junge Mann wird mit einer Einberufung zum Militär gezwungen,
nach Wien zurückzukehren. Die halbe Stunde, die den beiden Liebenden für
den Abschied bleibt, genügt jedoch, dass sie vor einem Notar eine
Heiratsurkunde unterschreiben. Nach der Abreise des jungen Herzogs verrät
Graf Boni Sylva, dass auf Edwin in Wien eine Braut wartet. Als Sylva das hört,
entscheidet sie sich, doch ihr Engagement in Paris anzutreten.
2. Akt: Wir befinden uns im herzoglichen Palast in Wien. Die Gäste versammeln
sich zur Verlobung von Edwin und Stasi. Miksa treffen wir nun als Diener des
Herzogs wieder. Unter den Gästen befinden sich auch Graf Boni und seine
„Gattin” Sylva, sowie Herr Feri, der sich als Vater von Boni ausgibt. Wie sich
später herausstellt, überredete Sylva ihre Freunde zu dieser Aktion, um ihre
große Liebe noch einmal sehen zu können. Alle sind von „Gräfin” Sylva
begeistert. Der Erzherzog, ein alter Schürzenjäger, ist sehr an ihr interessiert
und macht ihr ein eindeutiges Angebot. Aus der Unterhaltung von Edwin und
Stasi geht hervor, dass auch Stasi nicht in ihren Bräutigam, dessen
Budapester Romanze ihr nicht verborgen blieb, verliebt ist. Edwin ist
verzweifelt, als er Sylva als Gattin von Boni sieht, woraufhin er sich
entscheidet, sich doch mit seiner Cousine Stasi zu verloben. Miksa, der viel
Erfahrung in Herzensangelegenheiten hat, verkuppelt Stasi und Boni, die sich
sofort in einander verlieben. Edwin und Sylva klären das Missverständnis,
allerdings kommt in diesem Augenblick Herzogin Cecilia, die erfahren hat, wer
Sylva in Wirklichkeit ist. Sie demütigt sie, indem sie ihr Geld anbietet, damit sie
das Schloss verlässt. Sylva lehnt dieses Angebot ab. Als der alte Herzog den
Gästen die Verlobung von Edwin und Stasi verkündet, gesteht Edwin, dass
sein Herz nicht mehr frei ist. Die Herzogin enttarnt Sylva, die jedoch einige
Abenteuer des Erzherzogs ausplaudert, um zu beweisen, dass sie
ehrenwerter ist als manch vornehme Dame. Sie zeigt die Heiratsurkunde, über
die sich Stasi und Boni am meisten freuen.
3. Akt: Schauplatz ist Marienbad, ein beliebter Kurort. Der vergessliche und
etwas dümmliche Gatte von Herzogin Cecilia und ihr heimlicher Liebhaber, der
Erzherzog, bereiten ihren Geburtstag vor. Cecilia ist traurig, weil Stasi mit Boni
und Edwin mit Sylva geflohen ist. Auch ihr Diener Miksa hat sie verlassen, weil
39
Andrea Nagyová
Masterarbeit
Matr: 0673107
er sie für eine unbarmherzige Mutter hält, die dem Glück ihres eigenen
Sohnes im Weg steht. Die beiden Pärchen treffen im Kurort ein, aber die
beleidigte Cecilia ist nicht bereit, sie zu empfangen. Feri heckt einen Plan aus:
er selbst darf zwar wegen seines Versprechens die Vergangenheit der
Primadonna nicht enthüllen, doch ihre drei Ex-Gatten sollen dies tun. Er lädt
sie zur Geburtstagsfeier ein, wo die Herzogin nicht nur vor ihrem Gatten,
sondern auch vor dem Erzherzog bloßgestellt wird. Der Erzherzog verzeiht
Cecilia und ernennt – als Geste der Versöhnung – den Herzog zum
Generalkonsul. Cecilia und der Erzherzog geben den jungen Liebenden ihren
Segen, und auch Stasis Eltern haben inzwischen nichts mehr gegen ihre
Hochzeit mit Boni einzuwenden.
Ein interessantes Phänomen der Operettengeschichte war, dass in Wien und
Budapest ein Rosenkrieg zwischen den Theaterdirektoren darüber entbrannte, wer
Kálmán für sich gewinnen würde. In Budapest nahm man verstimmt Notiz davon,
dass Wien Kálmán immer mehr für sich beanspruchte und mit allen Mitteln
versuchte, diesen außerordentlich erfolgreichen Komponisten für sich einzunehmen.
Denn Wien konnte nicht ohne die Operette und die Operette nicht ohne Kálmán
existieren.
Am 3. Februar 1919, zwei Jahre nach der Wiener Premiere, wurde im Király
Theater „Die Faschingsfee” uraufgeführt. Es war dies eine Bearbeitung von „Fräulein
Susi”, bei der die Musik mit einem neuen Text versehen wurde, den Rudolf
Österreicher und A. M. Willner schrieben. „Fräulein Susi” war in Wien nicht aufgeführt
worden und als im Jahr 1917 „Die Faschingsfee” fertig gestellt wurde, schrieb man,
dass man sie in Budapest nicht haben wolle. Beöthy wollte jedoch – als Antwort auf
die Aktivitäten des Städtischen Theaters – mit einem guten Stück dagegenhalten,
das die Komponisten Kosáry, Buttykay und Ernő Király anlockte – aus diesem Grund
bestellte er von Kálmán eine neue Operette, dieser jedoch schickte ihm „Die
Faschingsfee”. So ging der Plan des Direktors nicht auf, denn obwohl die Musik von
der Theaterszene hochgelobt wurde, war das Stück ein Misserfolg.
Das nächste Stück war „Das Hollandweibchen” (die Uraufführung war am 31.
Januar 1920 im Johann-Strauß-Theater), dem in Wien mehr Erfolg beschieden war
40
Andrea Nagyová
Masterarbeit
Matr: 0673107
als in Budapest. Die Uraufführung der nächsten Operette mit dem Titel „Die
Bajadere” fand im Carl Theater am 23. Dezember 1921 statt. Die Geschichte handelt
von der Liebesbeziehung einer Pariser Tänzerin mit einem indischen Prinzen – ein
Exotikum, für das sich das Publikum begeisterte. Eigentlich sollte das Stück im
Johann-Strauß-Theater aufgeführt werden, aber Kálmán zerstritt sich mit dem
Direktor wegen einer Rollenbesetzung, sodass es letztendlich im Carl Theater
landete, wo es dann 450 Mal aufgeführt wurde. Ins Király Theater kam es am 10.
November 1922, mit Sári Fedák in der Hauptrolle. Neben der gefeierten Primadonna
trat in dieser Operette auch eine Soubrette auf, die sich später zu einer bedeutenden
Künstlerin entwickeln sollte: Hanna Honthy.
Die nächste Operette war „Gräfin Mariza”, deren Libretto bereits 1918 fertig
war, allerdings hatte Kálmán einige kleine Details daran auszusetzen, welche die
Librettisten Brammer und Grünwald nur zögerlich verbesserten, sodass die
endgültige Fassung erst 1924 fertiggestellt wurde. Die Uraufführung fand am 28.
Februar 1924 im Theater an der Wien statt, die männliche Hauptrolle wurde von
Hubert Marischka, dem Direktor des Hauses, gespielt. Der Erfolg war so groß, dass
sogleich auch weitere Wiener Theater die Operette ins Programm aufnahmen, sowie
auch viele ausländische Theater.
In Ungarn wurde sie zum ersten Mal am 18.
Oktober 1924 im Király Theater aufgeführt.
Hier hatten Juci Lábass, die man bis dahin
nur
aus
Soubretten-Rollen
kannte,
und
Márton Rátkai die Hauptrollen inne. Zsolt
Harsányi
übersetzte
das
Libretto
ins
Ungarische und verlegte gleichzeitig die
Handlung des Stückes nach Ungarn.
Abbildung 9
41
Andrea Nagyová
Masterarbeit
Matr: 0673107
Auf die Frage eines Journalisten, der wissen wollte, warum es so lange
gedauert hat, die Operette zu schreiben, antwortete Kálmán: „Obwohl ich in Wien
lebe und meine Werke zuerst dort auf die Bühne kommen, bin und bleibe ich ein
ungarischer Komponist – schließlich ist dies meine fünfte Operette mit einem
ungarischem Thema. eine Zeit lang hatte ich Angst davor, das ich in dieser
Stilrichtung, auf dieser musikalischen Sprache nichts Neues mehr sagen kann…ich
zögerte…ich arbeitete langsam…auch der Krieg bedrückte mich…nun aber glaube
ich, dass ich sowohl den ungarischen Charakter des Stückes gut zur Geltung bringen
konnte als auch meinem eigenen Stil treu bleiben konnte.”43
Zum Inhalt von „Gräfin Mariza“:
1. Akt: Gräfin Mariza ist Eigentümerin eines Grundbesitzes in der Nähe von
Klausenburg. Graf Tassilo sammelt unter einem Decknamen als Offizier Geld
für seine Schwester. Mariza ist an den Männern in ihrer Gesellschaft nicht
interessiert, denn sie weiß, dass es alle nur auf ihr Geld abgesehen haben.
Sie erfindet einen Bräutigam mit Namen Kálmán Zsupán und erklärt, dass sie
heiraten wolle. Zufällig lebt in Klausenburg ein Grundbesitzer dieses Namens,
der sehr überrascht ist, als er von seiner eigenen Verlobung hört. Er begibt
sich unverzüglich zu Mariza, um Aufklärung zu erhalten – bei dieser
Gelegenheit verliebt er sich in sie. Ein Zigeunermädchen prophezeit Mariza,
dass sie sich bald in einen vornehmen Kavalier verlieben würde. Daraufhin
entschließt sie sich, das Schloss nicht mehr zu verlassen.
2. Akt: Tassilo liebt Mariza heimlich und ist sich seiner Rolle langsam
überdrüssig. Er beschließt, das Schloss zu verlassen und schreibt dies in
einem Brief an seinen Freund Liebenberg nieder. Dieser Brief gelingt in die
Hände Marizas, die dadurch auch erfährt, wie arm Tassilo wirklich ist,
woraufhin sie vermutet, dass auch er nur auf ihr Geld aus ist. In ihrer Wut stellt
sie ihn vor einer großen Gesellschaft bloß – obwohl auch sie inzwischen ein
Auge auf ihn geworfen hatte. Als Tassilos selbstlose Liebe offensichtlich wird,
ist bereits alles zu spät.
43
Gál György, Somogyi: Operettek könyve, S. 286.
42
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Masterarbeit
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3. Akt: Tassilos Tante, die von diesem Ereignis erfahren hat, sucht Gräfin Mariza
auf. Es gelingt ihr, die Missverständnisse zu zerstreuen und so steht der Liebe
der Beiden nichts mehr im Wege und auch Zsupán heiratet Lisa, Tassilos
Schwester.
Am 26. März 1926 wurde am Theater an der Wien die „Zirkusprinzessin“
uraufgeführt, deren Text eine Coproduktion von Brammer-Grünwald war – diese
Operette wurde daraufhin in Wien mehr als 300 Mal aufgeführt. Die Geschichte, die
im Zirkus von Sankt Petersburg spielt, ist nicht allzu abwechslungsreich. In Budapest
wurde sie am 24. September 1926 aufgeführt, mit Juci Lábass und Jenő Nádor in
den Hauptrollen. Etwa zwei Jahre später, am 6. April 1928, folgte die „Herzogin von
Chicago“, die im Theater an der Wien und 1928 dann auch am Király Theater
uraufgeführt wurde.
Inmitten der Weltwirtschaftskrise konnte es sich Kálmán als erfolgreicher
Komponist leisten, aus dem 3. Wiener Gemeindebezirk in einem großen Palais am
Ring zu ziehen. Zu jener Zeit lernte er auch die damals 16-jährige russisch-polnische
Tänzerin Vera Makinskaya kennen, allerdings lebte zu diesem Zeitpunkt noch seine
Frau Paula Dworzak, die er 1909 kennengelernt hatte. Es war allgemein bekannt,
dass Kálmán eine Liebesbeziehung zur schönen Schauspielerin Ágnes Esterházy
unterhielt, die ihrerseits mit dem Baron Conrad von Hötzendorf verheiratet war. Nach
dem Tod seiner Frau Paula heiratete Kálmán im Jahr 1929 die Tänzerin Vera
Makinskaya, befürchtete jedoch, dass die Beziehung aufgrund des großen
Altersunterschiedes keine Zukunft haben würde. Dies war allerdings unbegründet.
Aus der Ehe entstammten ein Sohn (Károly) und zwei Töchter (Yvonne und Lily).
Kálmáns Sohn erhielt seinen Namen Károly Imre Fedor nach der männlichen
Hauptfigur der „Zirkusprinzessin“.
Am 21. März 1930 wurde im Johann Strauß-Theater „Das Veilchen vom
Montmartre“ uraufgeführt. Das Theater, das damals schon mit erheblichen
finanziellen Schwierigkeiten zu kämpfen hatte, musste bald schließen und wurde
dann in ein Kino umgewandelt. In Ungarn kam das Werk erst am 1. März 1935 zur
43
Andrea Nagyová
Masterarbeit
Matr: 0673107
Aufführung, im Städtischen Theater Szeged.44 Bei der Aufführung im Király Theater,
ebenfalls 1935, behielt man auf Wunsch Kálmáns die Kostüme und die Kulisse des
Szegediner Ensembles bei. Allerdings ereilte dieses geschichtsträchtige Haus, das
seit dem „Zigeunerprimas“ als Hochburg der Kálmán-Operetten galt, dasselbe
Schicksal wie seinen Wiener Vorgänger: 1936 musste es seine Tore endgültig
schließen. Am 10. März 1932 gab es indessen noch eine Premiere am Theater an
der Wien: „Der Teufelsreiter“. Die Hauptrolle spielte wieder der Direktor des Hauses,
Hubert Marischka. In Ungarn wurde es ebenfalls in Szeged mit großem Erfolg
aufgeführt, am 9. Februar 1934, unter der Regie des Direktors Jenő Szilkai. Da der
Erfolg sicher schien, kam das Werk daraufhin auch im Király Theater zur Aufführung,
das zu diesem Zeitpunkt bereits unter der Leitung der Theaterdirektion von Szeged
stand. 1932 feierte Kálmán seinen 50. Geburtstag und wurde zu diesem Anlass vom
österreichischen Kanzler Dollfuß mit dem Goldenen Ehrenzeichen der Republik
ausgezeichnet. Nach der Machtübernahme der Nazis in Deutschland wurden die
Werke Kálmáns verboten. Wegen der schwierigen Zeiten debütierte „Kaiserin
Josephine“ weder in Wien noch in Budapest, sondern im Zürcher Stadttheater im
Jahr 1936. Das Budapester Publikum bekam das Werk, „eine korsische
Liebesgeschichte zwischen einer verwitweten Márkiné und einem „gestiefelten
Kater“, der sich zum großen Napoleon erhoben hat“,45 erst 1937 zu sehen. Das
Libretto ist das Werk des Österreichers Paul Knepler und des Ungarn Géza Herczeg
und wurde von Viktor Lányi ins Ungarische übersetzt. Zu den Darstellern zählten u.
a. die Opernsängerin Marika Németh, Pál Fehér (der am Zürcher Theater spielte),
Mary Vágó und Marika Feleky.
In der folgenden Zeit wollte Kálmán ein Stück von Lajos Zilahy mit dem Titel
„Die Sonne scheint“ vertonen, jedoch wurde diese Idee unter den Vorwand vom
Autor zurückgewiesen, dass er noch nie ein Libretto geschrieben habe. Daraufhin bat
Kálmán Zsolt Harsányi um ein paar Gedichte, dieser schickte ihm wiederum ein
anderes Libretto, das den Titel „René XIV.“ trug. Doch konnte sich der Komponist
nicht mehr dieser Aufgabe widmen, denn er entschloss sich 1938, Österreich zu
verlassen. Seit dem so genannten Anschluss, der am 13. März 1938 vollzogen
wurde, fühlte sich Kálmán in seinem Wiener Umfeld nicht mehr sicher. Bereits am
44
45
Szegedi Városi Színház.
Gál György, Somogyi: Operettek könyve, S. 299.
44
Andrea Nagyová
Masterarbeit
Matr: 0673107
Tag des Einmarsches wurde er um Mitternacht von der SA, die sein Auto
beschlagnahmen wollte, aufgesucht. Am nächsten Tag musste er ein Dokument
unterzeichnen, nachdem er seinen Renault „freiwillig“ samt Treibstoffkosten und
Chauffeur der NSDAP zur Verfügung gestellt hatte. Am 16. März plante man eine
Hausdurchsuchung, deren Ziel es gewesen wäre, seine Villa zu beschlagnahmen.
Kálmán zahlte der SA noch am selben Tag 1200 Schilling, sodass die
Hausdurchsuchung verschoben wurde. Grund für den erneuten Argwohn war seine
Reise nach England, wo seine „Gräfin Mariza“ erstaufgeführt werden sollte. Man
bemächtigte sich am 24. März eines großen Teils seiner Möbel unter dem Vorwand
eines nicht existierenden Steuerrückstands. Tags darauf konfiszierte man bereits alle
seine Papiere, unter anderem auch seinen Reisepass. Außerdem ging eine bösartige
Anzeige gegen seine Haushälterin ein, die angeblich den Familienschmuck in einem
Koffer versteckt hätte, sodass ein SS-Trupp zu einer weiteren Hausdurchsuchung
eintraf – es handelte sich allerdings um eine Fehlanzeige. Letztendlich erhielt
Kálmán am 28. März dank der Einwirkung der ungarischen Regierung seinen Pass
wieder, der ihm gestattete, nach London zu reisen. Damit nahmen die Repressalien
aber noch kein Ende. Die Einkünfte, die er über Aufführungsrechte im Ausland
bezogen hatte, wurden eingefroren. Ende Juni reiste er nach Budapest und traf sich
mit Miklós Horthy – dies war gleichzeitig sein letzter Besuch in seiner Heimat.
Kálmán wurde höflich in der Budaer Burg empfangen, allerdings konnte man für
seine Sicherheit nicht einmal mehr in Ungarn bürgen: „Sie müssen ins Ausland
gehen. Ich werde alles unternehmen, dass sie und ihre Familie das Land sicher
verlassen können.“46 Wie konnte er auch in einem Land sicher sein, das am 29. Mai
1938 das Parlament das erste judenfeindliche Gesetz und ein Jahr später, am 5. Mai
1939, das zweite verabschiedete. Etwas anderes als die Emigration kam daher nicht
infrage. Auch viele ungarische Schauspieler wurden ihrer Herkunft wegen arbeitslos,
viele waren sogar gezwungen, das Land zu verlassen. Márton Rátkai, einer der
Lieblingsschauspieler und guter Freund von Kálmán wurde in den 40er Jahren aus
dem Vígszínház entlassen und konnte erst nach dem Krieg die Bühne wieder
betreten. Kálmán reiste nach einem kurzen Aufenthalt in der Schweiz nach Paris.
Dort erkundigte er sich bei einem befreundeten Minister bezüglich einer dauerhaften
46
Vera Kálmán: Emlékszel még, Kálmán Imre élete, Budapest 1985, S. 144.
45
Andrea Nagyová
Masterarbeit
Matr: 0673107
Niederlassung. Die Antwort war ernüchternd: Man empfahl ihm, nicht nur das Land,
sondern den Kontinent zu verlassen.
Nach einem kurzen Besuch in Schweden emigrierte er im März 1940 mit
seiner Frau und seinen Kindern in die USA. Die Vereinigten Staaten erschienen ihm
fremd und unfreundlich, weshalb seine Mutter und seine Geschwister in Europa
blieben. So gut der Name „Kálmán“ in den USA auch klang, während der Kriegsjahre
war man dort nicht mehr so sehr an der Operette interessiert, denn es entstand eine
neue Gattung: Das Musical. „In New York habe ich mich nicht wohlgefühlt, deshalb
bin ich weiter nach Hollywood gereist“47 – schrieb der Komponist in seinen
Memoiren. Es stand auch zur Debatte, zwei seiner Operetten zu verfilmen, aber im
Falle der „Gräfin Mariza“ wurde dies wegen der „zu europäischen Handlung“48 auf die
Zeit nach dem Krieg verlegt. Letztendlich kehrte Kálmán nach New York zurück und
begann an einer neuen Operette zu schreiben. Es war dies „Miss Underground“, die
aufgrund des Todes des Librettisten Larry Hart nie fertig wurde, weil Kálmán keinen
anderen Librettisten wollte. 1942 ließen sich Kálmán und seine Frau scheiden, da
Vera sich in einen anderen Mann verliebt hatte. Nach einer Ehe von nur zwei
Monaten starb dieser Mann während eines Flugzeugunglücks. Daraufhin heirateten
Imre Kálmán und Vera erneut. Für die in Ungarn verbliebenen Mitglieder der Familie
Kálmán kam die Machtergreifung der Nationalsozialisten einer Katastrophe gleich:
Milike und Ilona wurden verschleppt und starben in der Nähe von Győr. Kálmán erlitt
daraufhin einen Herzinfarkt und kurz nach seiner Genesung einen Autounfall, bei
dem er sich die Hand brach. Selbst während seiner Krankheit komponierte er weiter,
sodass seine neue Operette, in der die Beziehung von Erzherzog Rudolf und Baronin
Maria von Vetsera und ihrer beider tragischer Tod thematisiert wird, bald fertig
wurde. Sie wurde am 18. Juli 1945 im Windergarden in New York uraufgeführt. In
diesem Jahr starb auch Béla Bartók, ein ehemaliger Kommilitone Kálmáns an der
Musikakademie, sowie Franz Lehár, der ausgerechnet am 24. Oktober 1948, dem
66. Geburtstag Kálmáns verschied. Nach dem Krieg reiste Kálmán im Sommer 1949
für einige Monate nach
Europa. In Paris wurde gerade zu dieser Zeit die
„Csárdásfürstin“ wieder ins Programm aufgenommen, mit Márta Eggert und Jan
Kiepura in den Hauptrollen. Diese Reise führte Kálmán u. a. auch nach BadenBaden, Wien, Bad Ischl und Stockholm. Im Herbst 1949 kehrte er in die USA zurück,
47
48
Kálmán, Emlékszel még, Kálmán Imre élete, S. 145.
Kálmán, Emlékszel még, Kálmán Imre élete, S. 148.
46
Andrea Nagyová
Masterarbeit
Matr: 0673107
obwohl Vera und seine Kinder lieber in Europa geblieben wären. Noch im selben
Jahr erlitt er einen Schlaganfall, der die Lähmung einer Gesichtshälfte zur Folge
hatte. Davon erholte er sich nie mehr ganz und musste bis zu seinem Tod rund um
die Uhr von einer Pflegerin betreut werden. 1951 ließ sich er sich auf Wunsch seiner
Frau in Paris nieder, obwohl er lieber in Zürich, einer seiner Lieblingsstädte, gelebt
hätte.
Am 11. April 1953 wurde ihm in Paris der Orden der französischen
Ehrenlegion von Joseph Paul-Boncour überreicht. An einem Herbstmorgen sagte er
zu seiner Familie: „Irgendwie fühle ich mich nicht wohl … Ich glaube, es ist besser,
wenn ich mich hinlege.“49 Er wachte nie wieder auf. Am 5. November wurde er
seinem Wunsch gemäß am Wiener Zentralfriedhof beigesetzt. Seine letzte Operette,
„Arizona Lady“ – die von ungarischen Emigranten an der mexikanischen Grenze
spielt – wurde posthum am 1. Januar 1954 im Berner Stadttheater uraufgeführt. Ein
Jahr später benannte man in Siófok und 1967 auch im 5. Bezirk von Budapest eine
Straße nach ihm. Zwischen 1970 und 1973 wurde in Siófok ein Gedenkzimmer für
ihn eingerichtet, später errichtete man anlässlich seines 105. Geburtstages an dem
nach ihm benannten Weg ein Museum. An seinem 40. Todestag ernannte ihn seine
Geburtsstadt posthum zum Ehrenbürger. Am 24. Oktober 2004 wurde Kálmáns
Geburtstag offiziell zum Tag der ungarischen Operette ernannt.
Kálmán war eine besondere Persönlichkeit, weil er sich nicht vom Erfolg
verleiten ließ. Seine Bescheidenheit brachte ihm viele Freunde und Verehrer ein. „Er
war während seines gesamten Lebens ein ehrlicher Mensch.“50 – Das schrieb man
während des Weltkrieges über ihn und diese Eigenschaft behielt er bis ans Ende
seines Lebens. Seine Frau erwähnte oft, er habe an einer Art „manischen
Bescheidenheit“ gelitten. Er mochte den Trubel um seine Person nicht, war im
Gegensatz zu Vera außerordentlich sparsam und hielt sich sogar bei Partys in
seinem Hause auf eine Art zurück, die seiner Rolle als Gastgeber nicht gerecht
wurde. Seine Frau beschrieb ihn als melancholischen, zurückgezogenen, aber doch
freundlichen Menschen, der sich in der Gesellschaft von einigen wenigen Freunden
am wohlsten fühlte. An Tagen von Uraufführungen nahmen seine Ängste bezüglich
49
50
Gál György, Somogyi: Operettek könyve, S. 290.
Gál György, Somogyi: Operettek könyve, S. 292.
47
Andrea Nagyová
Masterarbeit
Matr: 0673107
eines möglichen Scheiterns beinahe krankhafte Ausmaße an. Er war Maximalist und
traute seinem Erfolg oft selber nicht. Neben seiner Besorgtheit war er auch sehr
abergläubisch. Als er erfuhr, dass die Aufführung der „Csárdásfürstin“ auf einen 13.
des Monats fiel, geriet er beinahe in Verzweiflung. Auch die nächste Anekdote
bezeugt sein abergläubisches Wesen: „Als nach einer Hauptprobe Kálmán mit den
Schauspielern auf den Hof des Theaters hinausgingen, trafen sie einen
Schornsteinfeger. „Ein Schornsteinfeger nach der Probe ist der beste Glücksbringer“
sagte Ernő Király. „Der beste Glücksbringer“ antwortete Kálmán erfreut. Aber bald
wurde er misstrauisch: „Hat nicht das Theater einen falschen Schornsteinfeger
kostümieren lassen, um meine Laune zu bessern?“ Mit diesen Worten ging er auf
den Schornsteinfeger zu und fing an, an seinem Bart zu zerren. „Das ist bestimmt ein
falscher Bart!“ Es stellte sich nun bald heraus, dass es sich um einen echten
Schornsteinfeger handelte. Dieses Zusammentreffen stellte sich auch für den
Schornsteinfeger als Glücksfall heraus, denn Kálmán war sehr großzügig, was das
Schmerzensgeld betraf.“51
Seine grenzenlose Liebe zu seiner Familie war wohlbekannt. Er reiste oft von
Wien nach Ungarn, um seine Eltern und Geschwister zu besuchen. Es ist daher
nachvollziehbar, wie schmerzhaft es für ihn gewesen sein muss, als zwei seiner
geliebten Schwestern von den Nationalsozialisten verschleppt und getötet wurden.
Wie aber entstanden seine Operetten? Kálmán hatte seine eigene
Arbeitsweise. Oft schrieb er mehrere Tage gar nicht an einem Werk, sondern ging
spazieren. An Arbeitstagen setzte er sich um 9 Uhr morgens an den Flügel, den er
bis 2 Uhr nachts nicht mehr verließ. Er galt als äußerst gewissenhaft und arbeitete oft
noch bis zum letzten Augenblick an seinen Operetten. Oft wurde er erst im
Morgengrauen fertig und beschäftigte dabei drei bis vier Kopisten, die so fleißig die
Stimmen abschrieben, dass man schon am selben Morgen mit den Proben beginnen
konnte. Im Fall des „Herbstmanövers“ wurde das Werk erst drei Tage vor der
Premiere fertig, sodass die Primadonna, Berta Kornai, die Proben verließ, da das
Anfangslied noch nicht fertig war. Kálmán war bis spät in den Abend unterwegs, um
die Primadonna zu versöhnen.52 Nachts drauf komponierte er rasch die fehlenden
Einlagen im Café Upor. Im Falle der Operette „Gold gab ich für Eisen“ wurde die
51
52
Gál György, Somogyi: Operettek könyve, S. 295.
Siehe Seite 30 dieser Arbeit.
48
Andrea Nagyová
Masterarbeit
Matr: 0673107
endgültige Fassung erst am Tag der Premiere, um 5 Uhr morgens, fertig. Selbst
während seiner Flitterwochen komponierte er. An den Proben nahm er nach
Möglichkeit immer teil und legte großen Wert darauf, dass die besten Schauspieler
und Sänger für seine Operetten engagiert wurden. Seine Lieblingsschauspieler
waren seinen eigenen Angaben zufolge Fedák, Massary, Hanna Honthy und Márton
Rátkai. Es ist unbestritten, dass von den modernen Operettenkomponisten neben
Lehár Kálmán derjenige ist, dessen Musik am natürlichsten ist und am meisten Feuer
und ungarische Elemente beinhaltet. Selbst Musikhistoriker sprachen es Kálmán zu,
dass neue Vitalität und ungarische Melodien in die bereits ermüdete und einfarbige
Wiener Operettenlandschaft Einzug hielten. Ort seiner Handlungen war meistens die
Österreichisch-Ungarische Monarchie, die Akteure waren Prinzen, Barone, Soldaten,
Bürger und Zigeuner.
Neben den Klassikern konnte Kálmán sich auch für moderne Komponisten wie
z.B. Gershwin begeistern. Er hielt es für eine große Ehre, als dieser seiner Einladung
folgend in seiner Wohnung persönlich seine „Rhapsody in Blue“ spielte und ihm
seinen nachfüllbaren Bleistift schenkte, mit dem er das Werk geschrieben hatte.
Es war ein langer Weg, den Imre Kálmán von dem kleinen Dorf am Balaton
bis nach Wien, die Hauptstadt der Operette, der ihn auch nach Amerika führte,
zurücklegte. Wohin in der Welt er auch reiste, er hielt sich immer für einen Ungarn.
Nach der 200. Aufführung der Csárdásfürstin dachte er: „…so sehr ich auch in der
Fremde lebe, beziehe ich meine Lebenskraft doch immer aus meiner Heimat. Man
kann die Frucht eines Baumes auch weit wegbringen, der Baum wird mit seinem
Stamm und seinen Wurzeln doch immer dort bleiben, wo er gewachsen ist.“53 Dies
bestätigte später auch seine Frau: Kálmán blieb bis zum Schluss ein Ungar. Er
achtete auch immer darauf, dass man die Akzente seines Namens korrekt schrieb.
Es war sehr schmerzlich für ihn, dass er nach der Emigration seine Heimat nie
wieder sehen konnte.
Viktor Jacobi
Jacobi wurde am 22 Oktober 1883 in Budapest in eine jüdische Familie geboren.
Seine Kompositionen wurden schon im Rahmen von Veranstaltungen des
53
Gál György, Somogyi: Operettek könyve, S. 314.
49
Andrea Nagyová
Masterarbeit
Matr: 0673107
Realgymnasiums in der Markó Straße, das er besuchte, aufgeführt. In den Jahren
von 1903–1905 studierte er an der Musikakademie Komposition, wo er als
Studienkollege von Leó Weiner bei János Koessler studierte. Darüber hinaus war er
mit Béla Bartók, Zoltán Kodály, Imre Kálmán und Albert Szirmai befreundet. Seine
erste Operette, die er noch unter dem Namen Jakabfi schrieb, hieß „A rátartós
királykisasszony“54 und wurde noch während seiner Studienzeit 1904 im Volkshaus
Budapest, mit Klára Küry in der Hauptrolle, uraufgeführt. Im Jahr 1905 führte das
Ungarische Theater Budapest sein nächstes Stück (welches die Geschichte von
Oberst Simonyi erzählt) mit dem Titel „A legvitézebb huszár“55 auf. Das Libretto
dieser Operette schrieb Ferenc Martos und die Hauptrolle spielte Ákos Ráthonyi. Das
im Jahr 1906 im Ungarischen Theater Budapest uraufgeführte Werk mit dem Titel „A
tengerszem tündére“56, das Jacobi zu einem Text von Zoltán Thury frei nach Mór
Jókai und zu Gedichten von Jenõ Heltai schrieb, wurde mit Olga Turchányi und Ákos
Ráthonyi in den Hauptrollen uraufgeführt. Die zeitgenössische Kritik bewertete
Jacobis Musik als „sanft, melodisch und von ungarischem Charakter“. 57 Sein
nächstes Stück, „Tüskerózsa“58 basiert ebenfalls auf einem Text von Jókai; hier
spielte Sári Fedák die Hauptrolle. 1908 wurde sein Stück „Van, de nincs“ 59 und 1909
„Jánoska“60 uraufgeführt.
Seinen ersten bedeutenden Erfolg erlangte er mit dem Werk „Leányvásár“, zu
Deutsch „Heiratsmarkt“, das 1911 im Király Theater Premiere hatte, mit Sári Fedák,
Márton Rátkai Ernõ Király und Sári Petráss in den Hauptrollen. Zu dem
abwechslungsreichen Libretto von Ferenc Martos und Miksa Bródy schrieb Jacobi
eine sehr unterhaltsame Musik. So wurde das Lied mit dem Anfang „No de
méltóságos úr…“61 ein bekannter Gassenhauer. Dieses Stück erlangte vor allem im
englischsprachigen Raum große Beliebtheit, außer in vielen europäischen Städten
wurde es sogar in Neuseeland aufgeführt.
54
Die hochmütige Prinzessin.
Der tapfere Husar.
56
Die Fee des Bergsees.
57
Gál György, Somogyi: Operettek könyve, S. 316.
58
Rose mit Stacheln.
59
Das gibt es oder auch nicht.
60
Hänschen.
61
„Aber mein lieber Herr…“.
55
50
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Matr: 0673107
Die Handlung der Operette „Heiratsmarkt”:
1. Akt: Ort der Handlung ist ein kleines Dorf bei San Francisco, in dem gerade
ein Heiratsmarkt stattfindet. An diesem Tag möchten die Farmer ihre Töchter
vermählen. Dabei gilt die alte Regel, dass diejenige, die allen Freiern einen
Korb gibt, mit dem „letzten“ der Herren vermählt wird. Diese scherzhafte
„Hochzeit“ ist natürlich nicht für immer gültig, sie verpflichtet die Braut nur
dazu, für eine Nacht mit dem Herrn zu tanzen. Diese Tradition ist der
Ausgangspunkt für die Handlung der Operette. Diese beginnt mit der Ankunft
des Repräsentanten des Dorfes, des Millionärs Harrison, und seiner Tochter
Lucy. Das hochmütige Mädchen weist alle Werber zurück, daher entscheiden
die Dorfbewohner, dass sie den Landstreicher Tom Migles heiraten soll.
Migles ist allerdings kein Landstreicher, er wurde von Harrison an der Börse
ruiniert und sieht nun eine Gelegenheit, als Landstreicher verkleidet, Rache an
Harrison nehmen. Tom erpresst den Sheriff, um Lucy wirklich heiraten zu
dürfen – Harrison gibt nach und die Ehe wird gültig. Das Mädchen hat noch
bis Pfingsten Zeit, um sich von seiner Familie zu verabschieden.
2. Akt: Ort der Handlung die eine Yacht mit Namen „Lucy“. Es ist Pfingsten, die
Familie Harrison ist mit dem Schiff auf hoher See und glaubt, entkommen zu
können, als sich herausstellt, dass einer der Heizer an Bord Tom ist. Lucy, die
nicht mit Tom leben möchte, verspricht ihre Hand dem Grafen von Rottenberg.
3. Akt: Alles bereitet die gräfliche Hochzeit vor, aber Rottenberg ist sehr
aufgeregt, denn er hatte bereits zwei Tage vorher Lucys Dienstmädchen
geheiratet. Das Geheimnis wird gelüftet und Lucy ist wieder frei, allerdings
nicht mehr lange, denn Tom beweist der Gräfin, dass er Lucy wirklich von
Herzen liebt. Die Operette endet mit einer feierlichen Verlobung.
Jacobis internationaler Ruhm wurde durch sein neues Stück „Sybill“ nur größer; auch
hier entstand das Libretto in einer Coproduktion von Bródy und Martos. Bei der
Premiere im Király Theater wurden die wichtigen Rollen von Sári Fedák, Ernõ Nádor,
Jenõ Király, Mici Haraszti Árpád Latabár, Juci Lábass und Márton Rátkay gespielt –
hier war auch die bekannteste Melodie von Rátkay zu hören: „Mein kleiner Petrov…“.
Über die Entstehung dieses Liedes ist folgende Anekdote überliefert: Der
Schriftsteller Ferenc Molnár vernahm eines Morgens diese Melodie aus dem Fenster
51
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Jacobis. Er prägte sie sich ein und pfiff sie dem Komponisten beim nächsten Treffen
vor. Jacobi erschrak sehr und fragte Molnár, woher er die Melodie kenne. Dieser
entgegnete, dass er sie vor Jahren in Paris gehört habe, worauf Jacobi fast einen
Nervenzusammenbruch erlitt. Angesichts der starken Wirkung seines Scherzes
gestand ihm Molnár voller Reue die Wahrheit.
Handlung von „Sybill“:
Die Operette spielt in einem Hotelzimmer irgendwo im russischen Zarenreich. Als
Gäste treffen nacheinander die Pariser Sängerin Sybill, Poire und seine Frau
Charlotte ein. Auch die Herzogin wird auf dem ihr zu Ehren stattfindenden Empfang
erwartet. Plötzlich erscheint Petrov, ein Offizier der Moskauer Leibgarde, der seinem
Regiment entflohen ist, um mit Sybill nach Paris zu reisen. Kurz darauf erscheint
auch der Gouverneur, der bereits von der Flucht Petrovs weiß, um diesen zu
verhaften. Sybill, die in letzter Minute dazu stößt, versucht dies mit allen Mitteln zu
verhindern. Aufgrund ihres vehementen Benehmens wird sie vom Gouverneur für die
Herzogin gehalten. Um den Schein zu wahren, spielt sie weiterhin ihre Rolle und
beschließt, erst mit dem Zug am nächsten Morgen abzureisen, um dadurch Zeit zu
gewinnen. Der Herzog erfährt erstaunt, dass seine „Frau“ bereits in den Palast des
Gouverneurs aufgebrochen sei. Er folgt ihr zum Ball, bemerkt den Rollentausch
sofort, enttarnt Sybill aber nicht. Er findet sogar Gefallen an diesem Spiel und geht
darauf ein, bis die Schauspielerin ihn unter vier Augen anfleht, diesen peinlichen
Scherz zu beenden. Der Herzog aber möchte die ganze Sache noch vertiefen, da
Sybill ihm gefällt. Das Erscheinen seiner tatsächlichen Frau, die sich mittlerweile auf
Petrovs Wunsch für Sybill ausgibt, verhindert dies. Zum Schluss löst sich – nach
großem Chaos von Eifersucht und Verwirrung – doch alles in Wohlgefallen auf.
1914 reiste Jacobi nach England, um dort „Sybill“ zu proben. Dieses Vorhaben
kam aber wegen des Ausbruchs des Ersten Weltkrieges nicht zustande; außerdem
wurde er als österreichisch-ungarischer Staatsbürger des Landes verwiesen. Jacobi
zog daher in die USA, wo er sich vor allem mit Neuinszenierungen seiner alten
Werke beschäftigte. In dieser Zeit schrieb er auch kleinere Klavierstücke, die
zwischen 1915 und 1919 in New York erschienen.
52
Andrea Nagyová
Masterarbeit
Matr: 0673107
Mit dem weltberühmten Geiger Fritz Kreisler schrieb er eine gemeinsame Operette
mit dem Namen „Almavilág“62, die im Globe Theater in New York zum ersten Mal
aufgeführt wurde. Am selben Ort wurde 1921 „Szerelmeslevél“63 – ein Musical, das
ebenfalls in Zusammenarbeit mit Kreisler entstanden war – uraufgeführt. Dieses
Werk wurde in Ungarn bis heute noch nicht gespielt.
Leider konnte sich Jacobi trotz allem nicht an das Leben in den Vereinigten
Staaten gewöhnen, auch seine Musik verlor an Charme und Unmittelbarkeit. 1920
besuchte er Europa zum letzten Mal. Das Leben dieses hochtalentierten
Komponisten endete tragisch: Er beging mit 38 Jahren Selbstmord.
Jacobi verfügte über ein hervorragendes Gespür für die Bühne und einen
großen Reichtum an Melodien. Dies bescherte ihm einen gebührenden Platz unter
den besten ungarischen Operettenkomponisten wie Jenõ Huszka, Ferenc Lehár und
Imre Kálmán. Seine frühen Operetten entsprachen mehr der ungarischen Mode,
während seine späteren Werke sich eher an Themen aus dem englischsprachigen
Raum orientierten. Moderne Tanzeinlagen nahmen in seinen Werken einen wichtigen
Platz ein. Als seine beiden Hauptwerke gelten bis heute der „Heiratsmarkt“ und
„Sybill“, die regelmäßig auf den ungarischen und internationalen Bühnen gespielt
werden. 1941 wurde der „Heiratsmarkt“ in Ungarn unter der Regie von Félix
Podmaniczky verfilmt. Die Schauspieler waren Zita Szeleczky, János Sárdy, Kálmán
Latabár und Piri Vaszary in den Hauptrollen. Die Verfilmung von „Sybill“ erfolgte
1981.
Albert Szirmai
Albert
Szirmai,
einer
der
letzten
großen
Vertreter
der
ungarischen
Operettenkomponisten, wurde am 2. Juli 1880 in Budapest geboren. Er studierte
Klavier bei Árpád Szendy und Komposition bei Zoltán Kodály an der Budapester
Musikakademie. Aus der legendären Kompositionsklasse von János Koessler war
Alber Szirmai neben Imre Kálmán und Viktor Jacobi der Dritte dieser OperettenTroika. Seine ersten Werke schuf er im Bereich der ernsten Musik: er schieb eine
Ballett-Suite, eine Ouvertüre, ein Streichquartett und mehrere Klavierstücke.
62
63
Apfelblüten.
Liebesbrief.
53
Andrea Nagyová
Masterarbeit
Matr: 0673107
1906 wurde er Musikkritiker beim Pester Lloyd und beim Polgár,64 ab 1907 arbeitete
er als Korrepetitor am Budapester Volkstheater und an der Komischen Oper. Der
Direktor des Hauses, Rezsõ Máder, entdeckte Szirmais kompositorisches Talent und
führte sein Stück „Sárga Dominó“65 1907 außerhalb der Saison auf; später erreichte
es an die 200 Vorstellungen bei ausverkauftem Haus. Ab diesem Jahr war Szirmai
auch Dirigent am „Modern Színház Cabaret“66 und am Theater am Andrássy
Boulevard. Seinen nächsten großen Erfolg feierte er mit dem Werk „Táncos
Huszárok“,67 das auf einem Text von Ferenc Rajna basierte. 1913 wurde in Budapest
seine nächste Operette mit dem Titel „Mozikirály“ uraufgeführt, in dem Márton Rátkai
die Hauptrolle spielte. Bald war Szirmai als großer Meister der Operette auch
international anerkannt und versuchte – ähnlich wie Jacobi – sein Glück nicht in
Wien, sondern in London. Im Gegensatz zu Jacobi blieb er allerdings nicht dort,
sondern kehrte zurück nach Ungarn, um eine der beliebtesten Operetten Ungarns zu
schreiben. Diese wurde unter dem Titel „Mágnás Miska“68 am 13. Februar 1916 im
Király Theater uraufgeführt. Das Libretto schrieb Károly Bakonyi und die Gedichte
dazu stammen aus der Feder Andor Gábors. Nach der Premiere wurden die
Melodien im ganzen Land gesungen. Auch der internationale Erfolg ließ nicht lange
auf sich warten: Das Stück hatte in Wien, Berlin und Mailand großen Erfolg.
Zur Handlung von Magnat Mischka:
1. Akt: Die Operette spielt im Schloss des Grafen Korlath. Der Graf und seine
Freunde wollen Ivan Baracs der Lächerlichkeit preisgeben. Baracs glaubt,
dass auch seine Liebe Rolla Teil der Verschwörung sei. In seinem Zorn
beschließt er, zurückzuschlagen und die Gesellschaft der Magnaten bloß zu
stellen – er kleidet seinen Reiterknecht Miska in einen Frack und stellt ihn als
Grafen Tasilo vor.
2. Akt: Man feiert den „Grafen Tasilo” – Gräfin Rolla tanzt mit dem als Graf Tasilo
verkleideten Miska, doch daraufhin kommt Baracs und enthüllt das Geheimnis.
Die wütende Gräfin möchte ihn verjagen, doch da kommt die Marcsa, Miskas
64
Es handelt sich hierbei um ein zeitgenössisches bürgerliches Blatt.
Der gelbe Domino.
66
Modernes Theater Cabaret.
67
Tanzende Husaren.
68
Magnat Mischka.
65
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Andrea Nagyová
Masterarbeit
Matr: 0673107
Liebe, und überzeugt die Gräfin, dass man die Liebe um keinen Preis
aufgeben darf. Rolla kleidet Marcsa in ein Ballkleid, um sie als Nichte des
Grafen Tasilo auszugeben. Sie hofft so, Miska aus dem Schloss herausholen
zu können, doch der Plan misslingt und beide fliegen auf.
3. Akt: Marcsa erzählt dem Grafen Korlath, dass seine Tochter mit Baracs
geflohen ist. Die Eltern der Gräfin glauben es und stimmen einer Hochzeit zu,
um einen Eklat zu vermeiden. Marcsa und Miska versöhnen sich und Baracs
befördert seinen treuen Diener zum Rittmeister.
Szirmai lebte ab 1924 in den Vereinigten Staaten und arbeitete als Berater
und später als Direktor des Musikverlages Chappel. Seine Stücke schickte er per
Post nach Ungarn und verhandelte mit den Regisseuren über das Telefon. Sein
Wirken als Komponist in den USA war nicht allzu erfolgreich; es fiel ihm schwer, sich
an den Broadway-Stil zu gewöhnen, sodass er seine Karriere schließlich aufgab. In
der darauffolgenden Zeit beschäftigte er sich eher mit der Musik der Anderen und
war einer der Ersten, der das Talent von Gershwin erkannte, dem er freundschaftlich
verbunden war. Auch Leonard Bernstein schätze er sehr, er hielt ihn sogar für „seine
Entdeckung“.69
Nach dem Zweiten Weltkrieg reiste er mehrere Male nach Ungarn. 1957 wurde in
Budapest, „Tabáni Legendák“70 uraufgeführt und 1964 auch „A Tündérlaki lányok“,71
sein letztes Werk. Obwohl Szirmay den Großteil seines Lebens im Ausland
verbrachte, blieb er doch immer ein Budapester Komponist. Er starb am 15. Januar
1967 in New York und gilt heute neben Imre Kálmán, Ferenc Lehár, Jenõ Huszka
und Viktor Jacobi als einer der wichtigen Vertreter der ungarischen Operette. Von
seinen 14 Bühnenwerken erwies sich „Magnat Mischka“ als das langlebigste; im Jahr
1948 wurde es sogar mit großem Erfolg unter der Regie von Márton Keleti verfilmt.
69
Gál György, Somogyi: Operettek könyve, S. 306.
Legenden aus Tabán.
71
Die Mädchen von Tündérlak.
70
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Andrea Nagyová
Masterarbeit
Matr: 0673107
Paul Ábrahám
Paul Ábrahám wurde am 2. November 1892 in Apatin, einer Kleinstadt an der
Donau, (zur Zeit der Doppelmonarchie als „West-Batschka“ bekannt) geboren. In
seiner wohlhabenden Familie war man sehr um die Bildung des jungen Ábraháms
besorgt, sodass er schon im Alter von vier Jahren das Klavierspiel erlernte.
Bereits in früher Kindheit fühlte er sich stark zur Musik hingezogen, trotzdem
wurde ihm – wie es bei musisch hochbegabten Kindern häufig der Fall ist – von
seinen Eltern, hauptsächlich seinem Vater, eine wirtschaftliche Karriere nahegelegt.
Er inskribierte daraufhin an der Budapester Wirtschaftsakademie, wo er auch einen
Abschluss erlangte. Danach setzte er seine Studien an der Musikhochschule fort, wo
Frigyes Reiner und später Viktor Herzfeld, Albert Siklós und Géza Molnár seine
Lehrer waren. Da sein Studienschwerpunkt in der Kammermusik lag, schrieb er als
Diplomarbeit ein Streichquartett, bei dessen Uraufführung der später weltberühmte
Dirigent des Philadelphia Symphonic Orchestra, Jenő Ormándy, die erste Violine
spielte. Da der scheue Ábrahám – wohl aus Mangel an Ermutigung – seine
Begabung als unzureichend ansah und noch dazu von seinen Eltern zu einem
„ordentlichen Broterwerb“ gedrängt wurde, beendete er damit vorläufig seine
musische Laufbahn.
Lange Jahre arbeitete er als Bankbeamter und Aktienverwalter an der Börse.
In diesen Jahren beschäftigte er sich mit vielen Dingen, nur nicht mit der Musik. Er
gelangte zur Ansicht, dass man von klassischer Musik nicht leben könne und um
Unterhaltungsmusik zu machen, fehlte es ihm an Überwindung. Trotz alledem
begann er im Jahr 1924 zusammen mit den beiden Librettisten Jenő Mohácsi und
Sándor Bródy eine Oper mit dem Namen „Lion Leája“72 zu schreiben. Abends
besuchte er Theater, wo er neue Musikrichtungen wie z. B. den Jazz kennenlernte.
Zu jener Zeit bildeten sich zahlreiche Tanzmusik-Ensembles, die einen melodischen,
lebhaften Jazz spielten. Ábrahám entdeckte diese Musiksparte für sich und wurde
zum Dirigenten eines solchen Ensembles, welches er nach der Arbeit im weißen
Frack und mit weißen Handschuhen leitete. Als Imre Harmath erfuhr, dass der
Dirigent seine eigenen Werke aufführte, beauftragte er den jungen Komponisten,
eine neue Jazzoperette zu schreiben. Er erfuhr erst im März 1928, dass bereits eine
72
Lea von Lion.
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Andrea Nagyová
Masterarbeit
Matr: 0673107
Operette von Ábrahám unter dem Namen „Zenebona“ recht erfolgreich aufgeführt
worden war. Am 13. Oktober 1928 debütierte seine neue Operette „Az utolsó
Verebély lány“,73 welche auf einem von Imre Harmathy umgestalteten Libretto des
Theaterstückes „Kisasszony a
férjem“74
von
Gábor
Drégely
basiert.
Zum
durchschlagenden Erfolg trug auch die Schauspielergarde bei: Neben dem Jungstar
Franciska Gaál spielten Gyula Kabos, Teri Fejes und eine Kinderschauspielerin mit
wunderbarer Stimme, die später zum Weltstar wurde: Márta Eggerth. Ein knappes
Jahr später wurde Pál Ábrahám zum Leiter dieses Operettentheaters.
Sein früheres Stück „Zenebona“ wurde 1928 in Wien, Berlin, Kopenhagen,
Helsinki und New York gespielt. An denselben Orten wurde auch seine erste
Operette „A kisasszony férje“ (später unter dem Titel „Az utolsó Verebély lány“
bekannt) aufgeführt, bei der es sich allerdings nicht um eine Jazz- sondern eine
traditionelle Operette mit klassischen Operettenmelodien handelte.
Später wechselte er an das ungarische Theater. Innerhalb kürzester Zeit
wurde er zu einem der meist gefeierten Komponisten der 1930er Jahre, seine
Popularität war mit der von Lehár, Zerkovitz, Carlo de Fries und Kacsóh vergleichbar.
Die Theater und die sich langsam etablierende Tonfilmindustrie rissen sich um seine
Werke, die inzwischen europaweit aufgeführt wurden. Die deutsche, französische,
österreichische und englische Filmproduktion überboten einander, um seine Stücke
verfilmen zu dürfen. Seine Operetten wie „Az utolsó Verebély-lány“, „Der Gatte des
Fräuleins“ (in Wien komponiert), „Hawaii rózsája“75 (allein in Wien 144-mal
aufgeführt), „Bál a Savoyban“76 (ein Riesenerfolg in Berlin), „Viktória“77 und „Mese a
Grand Hotelban“78 waren richtige Volltreffer, welche die Stimmen, die bereits den
Untergang der Operette beschworen hatten, auf spektakuläre Art zum Verstummen
brachten.
Nun möchte ich die Operetten von Ábrahám etwas näher vorstellen. Ábrahám
schuf seine Werke in einer neuen Bühnengattung, Revueoperette genannt – er
selbst war es auch, der diese Gattung in Ungarn etablierte. Auf diese Art versuchten
die Theater in den 1930er Jahren, das Rennen mit dem Film, dem Radio und dem
73
Die letzte Verebély-Tochter
Mein Mann ist ein Fräulein
75
Die Blume von Hawaii
76
Ball im Savoy
77
Viktoria und ihr Husar
78
Märchen im Grand Hotel
74
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Andrea Nagyová
sich
explosionsartig
Masterarbeit
verbreitenden
Jazz
aufzunehmen.
Matr: 0673107
Die
Handlung
der
Revueoperetten wurde mit humorvollen, manchmal sogar erotischen Szenen,
akrobatischen Einlagen, Stepptanz, Liedern, Massenszenen und theatertechnischen
Attraktionen bereichert und all das neben feinstem Jazz.
Pál Ábrahám führte eine Reihe von Neuerungen in der Operette ein: Die
früheren ausschweifenden Operettenmelodien wurden nun jazzig und die Walzer
wurden durch moderne Tänze wie z. B. den Stepptanz ersetzt.
„Viktória und ihr Husar“
Dies ist eine tragische Liebesgeschichte, eine Operette mit spektakulären
Schauplatzwechseln (ähnlich dem Film „In 80 Tagen um die Welt“), deren
Hauptthema typisch europäisch, sogar mitteleuropäisch ist. Man kann zwischen der
unglaublich-absurden Handlung und dem bewegten Leben von Pál Ábrahám eine
traurige Parallele ziehen, da die Helden der Geschichte in den drei Akten des
Werkes aus einem sibirischen Kriegsgefangenenlager über Japan und Sankt
Petersburg bis ins ungarische Kiskundorozsma fliehen. Das tragische Schicksal des
Komponisten scheint sich gut in diesem Stück widerzuspiegeln: Zwar wurde
Ábrahám in den 1930er Jahren in Berlin mit einem Schlag weltberühmt, musste nach
Hitlers Machtergreifung jedoch nach Budapest zurückkehren, von wo er gezwungen
war, über Paris und Havanna schließlich in die USA zu emigrieren.
Als im Februar 1930 „Viktória“ im Király Theater in Budapest uraufgeführt
wurde, herrschten in Ungarn bereits engstirnige, gefährliche und ausgrenzende
Weltansichten. Bei seiner Uraufführung wurde das Werk als Karikatur der damals
vorherrschenden politischen Verhältnisse aufgefasst. Die gesellschaftskritischen
Elemente nahmen in der ungarischen Version großen Raum ein, während sie in der
deutschen nicht mehr vorzufinden sind. In der deutschsprachigen Fassung wurden
mehr das idealisierte Bild der ungarischen Dörfer und die bereits aus anderen
Operetten bekannte kitschige Puszta-Romantik in den Vordergrund gerückt.
Unabhängig davon ist das Werk noch immer sehr aktuell und zeigt auf anschauliche
Weise, wie die Geschichte in das Schicksal eines Einzelnen einzugreifen vermag und
wie Krieg und Hass unauslöschbare Spuren im Leben eines Menschen hinterlassen
können.
Ábrahám traf mit diesem Werk den Geschmack des damaligen Deutschlands und
wurde damit binnen kürzester Zeit zum gefeierten Komponisten sowohl der
58
Andrea Nagyová
Masterarbeit
Matr: 0673107
deutschen wie auch der österreichischen und ungarischen Bühnen. Seine
Filmmusiken
wurden
zu
großen
Schlagern
der
Grammophonindustrie.
Die
Vertonungen der Filme „Melodie des Herzens“ (1929), „Die Singende Stadt“ (1930),
„Die Privatsekretärin“ (1931) und „Viktoria und ihr Husar“ (1931) wurden zu
Evergreens, die bis heute kaum an Popularität verloren.
„Die Blume von Hawaii“
Als die Vertonung von Alfred Grünwalds und Fritz Löhner Bedas Stück
(dessen Übersetzung von Imre Földes stammte) unter dem Namen „Hawaii
rózsája“79 am 28. Januar 1931 im Király Theater aufgeführt wurde, hatte Ábrahám
längst mehrere europäische Premieren hinter sich. Bis dahin wurde das Werk auf 67
Bühnen gespielt und in fast alle wichtigen europäischen Sprachen übersetzt.
Währenddessen liefen in 108 Theatern Vorbereitungen, das Stück aufzuführen.
Ábrahám war zu dieser Zeit ständig unterwegs, er hatte keinen festen Wohnsitz,
Hotelzimmer waren seine Heimat.
„Ein neuer Welterfolg ist von Leipzig ausgegangen, dieser Welterfolg war in
erster Linie ein Welterfolg der ungarischen Kunst. Wenn wir vom großen Erfolg in
Leipzig sprechen, denken wir zuerst an Pál Ábrahám.“80 Man kann man sagen, dass
Ábrahám in dieser Zeit zu den weltweit meist gefeierten Komponisten zählte. Schon
die „Viktória“ war ein Welterfolg gewesen, aber dies war erst der Auftakt vom
Lebenswerk des jungen, begabten Komponisten, der damals nach vielen neuen
Wegen suchte. Der erste Erfolg war unumstritten und leicht errungen, der zweite
entpuppte sich als noch größere Herausforderung. Zu diesem Erfolg war das
Überwinden von vielen Hindernissen unterschiedlichster Art notwendig.
Als am Premierenabend der „Blume von Hawaii“ deren Ouvertüre erklang,
änderte sich schlagartig alles. Wen kümmerte noch das drückend heiße
Sommerwetter oder die Weltwirtschaftskrise? – Nach besagter Ouvertüre entbrannte
ein orkanartiger Applaus, den nicht einmal die ältesten Theaterbesucher kannten. Es
genügt vielleicht, hier den ekstatischen Aufruf eines Berliner Kritikers zu zitieren:
„Darauf könnte sogar Richard Strauss stolz sein!“ 81 Wenn wir von Triumph der
79
Die Blume von Hawaii
Rátonyi Róbert: Az operett csillagai I., S. 213.
81
Rátonyi Róbert: Az operett csillagai I., S. 213.
80
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Andrea Nagyová
Masterarbeit
Matr: 0673107
Ungarn im Ausland sprechen, ist noch ein gewisser Préger, ein genialer
Schauspieldirektor, zu erwähnen, der das Werk nicht nur aufführte, sondern auch
selbst inszenierte. Die Darsteller der Leipziger Premiere waren Rita Georg, Fritz
Steiner, Harold Paulsen, Lily Welly und Rózsi Bársony als Star des Abends. Die
Kostüme wurden von Tihamér Váradi entworfen. („Színházi Élet“ 1931. Ausgabe Nr.
33)
„Bál a Savoyban“82
Handlung
Nach der Hochzeitsreise kehrt das sich innig liebende Traumpaar Aristide und
Madeleine in ihr Zuhause nach Nizza zurück. Ihre Idylle wird jedoch vom Brief einer
ehemaligen Geliebten Aristides getrübt. Dieser hatte früher einen Kontrakt
unterzeichnet, der der brasilianischen Tänzerin Tangolita das Zusammensein für eine
Nacht mit ihm sichern solle. Dies möchte die temperamentvolle Tänzerin nun beim
großen Ball im Savoy einlösen. Die Ehefrau wird misstrauisch und verfolgt – als
leichte Dame verkleidet – ihren Mann, wobei sie in ein gefährliches Abenteurer mit
einem jungen Rechtsreferendar gerät. Die Komplikationen werden noch durch das
Eintreffen der Jazzdirigentin Daisy Darlington, einer Freundin Madeleines, und dem
polygamen Mustafa Bey gesteigert – am Ende findet aber jeder zu seinem Partner
zurück.
Das Stück wurde am Heiligen Abend 1932 im ungarischen Theater
erstmals aufgeführt. Auch dieser Aufführung ging eine europaweite Premierenwelle
voraus. Auch hier war für den Text das bewährte Wiener Librettisten-Duo Grünwald
und Beda zuständig, die ungarische Fassung stammt von Jenő Heltai. Neben Mária
Lázár, Hilda Harmath sangen Jenő Törzs; die unvergessliche Figur des Mustafa
wurde vom großen Gyula Kabos gespielt, der junge Anwalt von Imre Ráday und die
Jazzdirigentin von Marika Rökk.
Während 1932 in Berlin die Proben für „Die Blume von Hawaii“ und „Ball im
Savoy“ liefen, bezog Pál Ábrahám eine Villa in der Fasanenstraße. Die politischen
Veränderungen des folgenden Jahres und einige andere Vorfälle verunsicherten ihn
jedoch sehr. Nachdem sein Freund Emil Rotter – ein bekannter deutscher
82
Ball im Savoy
60
Andrea Nagyová
Masterarbeit
Matr: 0673107
Theaterunternehmer – aus politischen Gründen ermordet worden war und auch eine
Nervenkrankheit ihn zunehmend plagte, beschloss er, Deutschland zu verlassen.
Von Paris zog er nach Wien, von wo er regelmäßig auch Ungarn besuchte. Er
komponierte in dieser Zeit viele namhafte Operetten, wie "Dschainah, das Mädchen
aus dem Tanzhaus", oder „Roxy und ihr Wunderteam". Er produzierte einige Filme in
Italien, Frankreich und England und kehrte dann für kurze Zeit nach Ungarn zurück.
Trotz seiner permanenten Angstzustände blieb seine Musik heiter: „Történnek még
csodák"83 und „Mese a Grand Hotelben"84 waren weitere Stationen seiner
Erfolgsreihe. In „Es geschehen noch Wunder“ konnte man die Tanzkunst des Duos
Ida Turay/Kálmán Latabár bewundern, das überdies auch noch jodelte. Der
Choreograph war der europaweit angesehene Bobby Gray. Ferenc Delly war elegant
und kühl, wie seine Rolle es erforderte. Statt einem Orchester sorgten zwei virtuose
Pianisten für eine satte, orchesterartige Begleitung.
Die letzten Operetten von Ábrahám:
Das Royal Theatre zeigte um Weihnachten 1937 seine Operette unter dem
Titel „3:1 für die Liebe“, deren Text von László Szilágyi, Imre Harmath und Dezső
Kellér stammte. Harmath war ein bevorzugter Librettist von Pál Ábrahám und auch
privat verband sie ein freundschaftliches Verhältnis. Sein wichtigster Freund war
jedoch Egon Kemény, den er noch aus seiner Hochschulzeit kannte. Kemény
instrumentierte seit jeher Ábraháms Stücke und wurde darüber hinaus auch eine Art
Sekretär für ihn. Die Darsteller waren Rózsi Bársony, Marika Rökk, Oszkár Dénes,
Kamill Feleki, der junge László Kazal und Mária Sulyok, die sich ebenfalls noch am
Beginn ihrer Karriere befand. 1938 spielte Hanna Honthy die Rolle der Julia. Mit der
Besetzung von György Solthy, der den Walzer mit den Anfangsworten „Heute Abend
in der Bug habe ich einen Walzer gelernt“ sang, wurde die Vorstellung mit einem Mal
zum Publikumsschlager. Auch Ferenc Delly (die große Liebe von Hanna Honthy) und
Dezső Kertész spielten ihre Rollen souverän.
83
84
Es geschehen noch Wunder
Märchen im Grand Hotel
61
Andrea Nagyová
Masterarbeit
Matr: 0673107
„3:1 zu Gunsten der Liebe“
Dieses Stück war eine der Sensationen des Jahres 1937. Das Thema ist
aktuell, denn es erinnert an die erste ruhmreiche Epoche des ungarischen
Wasserballsports; in den Hauptrollen waren Rózsi Bársony und Oszkár Dénes zu
sehen.
„Er (Pál Ábrahám) bemüht sich mit all seinem Talent um den Nervenkitzel.
Sein Fach beherrscht er hervorragend, sein Jazzorchester klingt bravourös und
zügellos. Seine Ideen und Tricks in der Instrumentierung sind verantwortlich für die
zahlreichen Effekte. Er nimmt einen musikalischen Gedanken, dreht ihn und mit
einem musikalischen Wundergriff wird er sofort zum Schlager, zur Bombe“ – so
schreibt der zeitgenössische Kritiker Géza Haits. „In all diesen Erfolgen gibt es
allerdings auch etwas Tragisches: es gleicht zeitweise dem Kampf eines HalbBegabten, der alles aus sich herausholt, eine todestanz-artige, wilde Jagd, um sein
Gewissen zu beruhigen und zu vergessen, dass er nichts Großes, Bleibendes
schaffen kann.“85 Diese Worte weisen in eine harte Zukunft, aber vorerst bleibt das
Werk erfolgreich, mit 73 Aufführungen sogar ein richtiger Kassenschlager.
Aus nicht bekannten Gründen verschuldete sich Pál Ábrahám in zunehmenden
Maße. Er lebte von Tag zu Tag und schleppte sich mit seinem Librettisten László
Szilágyi von einem Vorschuss zum nächsten, während die Herausgeber von den
verkauften Rechten einen noch nie gesehenen Profit erbeuteten. Sie mussten
sozusagen den Welterfolg im Voraus liefern, um das notwendige Geld zum Leben zu
erwirtschaften.
1937-38 drehte er in Ungarn und komponierte die Musik der ungarischen
Filme „Hotel Kikelet“ (1937) „Viki“ (1937), „Pesti mese“ (1937), „Mai lányok“ (1937),
„Családi pótlék“ (1937) und schließlich „Úri világ“ (1938). Seine populäre Operette,
„3:1 für die Liebe“ wurde verfilmt. All diese Einnahmen wurden sofort von den
Herausgebern eingezogen, sodass Ábrahám kaum etwas vom Gewinn abbekam.
1938 wanderte er nach Frankreich aus. Er lebte ungefähr eineinhalb Jahre in
Paris und arbeitete für kleine Beträge. Ein Bericht von Lajos Básti vermittelt einen
guten
85
Eindruck:
„…Pali
Ábrahám
komponiert
für
einige
hundert
Franc
Rátonyi Róbert: Az operett csillagai I, S. 217.
62
Andrea Nagyová
Masterarbeit
Matr: 0673107
Wiegenlieder…“ Ábrahám nahm an dem Dreh des Filmes „Sérénade“ (1940) teil, für
den er die Musik komponierte, aus dessen Erlös er – den drohenden Krieg vor
Augen – ein Ticket in die USA kaufen konnte.
Amerika und wieder Europa
Wegen seiner chaotischen Finanzen in Budapest und der ewigen Sorgen um
seine jüdische Familie lebte Ábrahám in permanentem Angstzustand. Außerdem
holten ihn die Schulden seiner Verleger auch in Amerika ein. Seine Angst entwickelte
sich zur Depression und wurde schließlich zu einer panischen Nervenkrankheit, die
ihn vorübergehend zur Behandlung in eine Anstalt brachte. Nachdem sein Zustand
sich gebessert hatte, schrieb er die Musik für einige Filme; der letzte war „Holiday in
Mexico" (1946). Er lebte in New York, musste aber wiederholt in der Psychiatrie
behandelt werden. Immer wieder kehrte er nach Europa zurück und ließ sich
schließlich Anfang der 1950er Jahre mit seiner Familie in Hamburg nieder. Aufgrund
seines anhaltend schlechten Zustandes musste er schließlich dauerhaft in ein
Sanatorium, wo er seinen Lebensabend verbrachte.
Hamburg
In den 1950er Jahren wurden seine Operetten in der Bundesrepublik verfilmt,
während er von der Außenwelt abgeschottet im Sanatorium lebte. Dort starb er auch
mit 68 Jahren am 6. Mai 1960. Pál Ábrahám gelang das, was nur wenige erreichten:
Er schrieb zauberhaft leichte Melodien und inszenierte verzückte Liebesmärchen. Er
verstand auf geniale Art den Ton seiner Zeit zu treffen; in seinen Operetten
vermischte er auf geschickte Weise das Exotische (spanische, fernöstliche, russische
und ungarische Elemente) mit dem modernen Jazz. Ein Geheimnis seines Erfolgs
war, dass seine besten Nummern, eigentlich als Tanzmusik gedacht, erst später
einen Text bekamen – so dachte er schon im Voraus an das Radio, die Schallplatten
und das Tanzparkett – die Garanten des Erfolges jener Zeit. 17 Operetten und 30
Filmmusiken zeugen von seinem Schaffen. Die Kollegen aus Deutschland,
Frankreich, England und den USA erinnern sich so an ihn: „Pál Ábrahám war ein
hervorragender ungarischer Komponist, der viele erfolgreiche Operetten und
63
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Filmmusiken schuf.“86 In Ungarn allerdings wurde er kaum in Zeitungen genannt,
auch im Theaterführer von 1969 und dem Filmlexikon von 1972 blieb er unerwähnt.
Franz Lehár
Kindheit
Franz Lehár wurde am 30. April 1870 in Komárom geboren. Am 4. Mai wurde er auf
den Namen Ferenc Kristóf getauft. Sein Vater war Militärkapellmeister in Sternberg
und spielte außerdem Violine, Cello, Kontrabass, Horn, Klarinette, Trompete und
Schlaginstrumente. Nach seiner Übersiedlung nach Komárom lernte er seine spätere
Frau Krisztina Neubrandt kennen, die er am 4. Mai 1869 heiratete. Dies war eine
seltsame Hochzeit, da das junge Ehepaar anfangs Verständigungsprobleme hatte:
Franz sprach nur wenig Ungarisch, Krisztina hingegen verstand kaum Deutsch. Trotz
dieser Komplikationen kam bald ihr erster Sohn Franz zur Welt.
Über die Nationalität Franz Lehárs wurde und wird heute noch diskutiert: Er
wurde einerseits in Komárom, Ungarn, geboren und sprach bin zu seinem 12.
Lebensjahr keine andere Sprache als Ungarisch. Andererseits verbrachte er den
Großteil seines Lebens in Wien bzw. in Bad Ischl, weshalb viele ihn als Österreicher
betrachten. Auch der Familienname Lehár kommt vermutlich aus dem deutschen
Leonhard, da seine Familie väterlicherseits aus Mähren stammte.
Als Lehár zwei Jahre alt war, kam sein Bruder Eduárd zur Welt, der aber bereits nach
einem Jahr wieder verstarb. Zu diesem Zeitpunkt lebte die Familie im damaligen
Preßburg, sodass Franz Lehár wohl kaum Erinnerungen an seine Geburtsstadt hatte.
Als er fünf Jahre alt war, wurde sein Vater nach Sopron abkommandiert. 1875 wurde
seine Schwester Anna Maria geboren und ein Jahr danach sein Bruder Antal.
1880 zog die Familie nach Budapest, wo ihn sein Vater ins piaristische Gymnasium
einschreiben ließ, nebenbei brachte er ihm zu Hause das Klavierspiel bei. Der Vater
versuchte seinen Sohn auch in einer der Musikschulen der Stadt unterzubringen,
allerdings wurde dieser nirgends aufgenommen, weil er zu jung war. Als Lösung bot
sich der Wechsel in ein Wiener Internat, allerdings stellte sich hier die Schwierigkeit,
dass der junge Lehár noch kein Deutsch sprach. Um dem Abhilfe zu schaffen, wurde
86
Rátonyi Róbert: Az operett csillagai I, S. 219
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Masterarbeit
Matr: 0673107
er nach Sternberg geschickt, wo noch zwei Geschwister seines Vaters lebten: Onkel
Hans, der Tischler war und Onkel Anton, der Dirigent des Städtischen Orchesters. Im
deutschen Umfeld lernte er bald Deutsch und Dank seines Onkels Anton machte er
auch in der Musik gute Fortschritte. Da man jedoch selbst im Wiener Konservatorium
erst ab dem 14. Lebensjahr zugelassen war, entschied sich die Familie, ihren 12jährigen Sohn am Prager Musikkonservatorium anzumelden.
So gelangte der junge Lehár im Jahr 1882 nach Prag, wo er erneut die
Grundschule
absolvieren
musste,
da
er
kein
Tschechisch
sprach.
Im
Musikkonservatorium wählte er die Geige als Hauptinstrument, sein Lehrer war
Professor Bennewitz, der Direktor dieser Einrichtung. Musiktheorie lernte er bei Josef
Bohuslav Förster. Er lebte unter schweren Bedingungen, da das Taschengeld, das er
von seinen Eltern bekam, nur teilweise seine Bedürfnisse abdeckte. Dies änderte
sich 1884, als das Regiment seines Vaters nach Prag verlegt wurde. In diese Zeit
fallen auch die ersten Kompositionsversuche Lehárs: einige Lieder und eine Sonate.
Am Konservatorium lernte er Antonín Dvořák kennen, der dort Komposition
unterrichtete und dem jungen Mann empfahl „die Geige an den Nagel zu hängen und
sich der Komposition zu widmen“. Dies ließen aber die Regeln des Konservatoriums
nicht zu, weswegen er vorerst beim Komponisten Zdeněk Fibich Privatstunden nahm.
Als der Direktor davon erfuhr, stellte er Lehár vor die Wahl, entweder die
Privatstunden aufzugeben oder man werde ihn des Instituts verweisen. Da er nur
noch ein Jahr am Konservatorium zu absolvieren hatte, entschied er sich zu bleiben.
1885 gelang es ihm, einen Herausgeber (den Wiener Hofbauer Verlag) für seine
Sonate á l’Antique zu finden. Sein Vater zeigte diese Johannes Brahms, der sich
anerkennend über den jungen Komponisten und seinen ersten Versuch äußerte.
Sein Bruder Antal sollte ebenfalls Musiker werden und war auch kurzzeitig am
Konservatorium, doch er interessierte sich eher für eine Militärlaufbahn und besuchte
später eine Infanterieschule. Als die Familie 1887 nach Wien übersiedelte, war der
17jährige Franz wieder alleine in Prag. Sein Abschlusskonzert fand am 12. Juli 1888
in der Aula des Rudolfinums statt: Er spielte das 2. Violinkonzert von Max Bruch mit
Orchesterbegleitung. Der große Erfolg des Konzerts und sein Konzertdiplom
bezeugen, dass seine Prager Jahre nicht umsonst gewesen waren.
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Andrea Nagyová
Masterarbeit
Matr: 0673107
Lehár, der Geiger
Als junger Geiger musste er Arbeit finden, was nicht leicht war, denn der Markt
an jungen Orchestermusikern war schon damals übersättigt. Schließlich fand er am
Stadttheater von Elberfeld (heute ein Teil von Wuppertal) eine Stelle als Geiger.
Diese Anstellung hatte er Ernst Gettke zu verdanken, dem ehemaligen Direktor des
Leipziger Theaters, der das Elberfelder Ensemble gegründet hatte und es leitete. Am
Ende des Jahres wurde Lehár zum Konzertmeister befördert. Ende 1888 bat ihn sein
Vater, nach Wien zurückzukommen, da in seinem Orchester eine Solistenstelle frei
wurde. Gettke wollte ihn nur unter der Bedingung gehen lassen, wenn er einen
angemessenen Ersatz finde. Da Lehár dies aus Mangel an Zeit nicht gelang, brach
er die Vereinbarung und floh. Vor den Konsequenzen dieses Vertragsbruchs rettete
ihn nur seine Einberufung zum Militärdienst. Der junge Lehár spielte im Orchester
seines Vaters mit großem Erfolg, aber er hatte im Gegensatz zu seiner Zeit in
Elberfeld nicht die Möglichkeit, bedeutendere Werke kennenzulernen. In dieser Zeit
traf er Leo Fall, einen Schüler seines Vaters, der ebenfalls als Geiger ins Orchester
kam.
Der junge Lehár lebte im Haus seiner Eltern, das sich bald als zu eng erwies –
immer öfter kam es zu Auseinandersetzungen zwischen ihm und seinem Vater. Nach
neun Monaten entschloss er sich auszuziehen und es auf eigene Faust zu
versuchen. Er nahm eine Stellung als Dirigent des Infanterieregiments Nr. 25 an, das
in Lizenz (Komitat Neográd/Ungarn) stationiert war. Die Lizenzer Jahre ermöglichten
es Lehár, sich zu einem richtigen Dirigenten und Komponisten zu entwickeln. Das
Orchester hatte ein kleines Repertoire und es wurde wenig geprobt, sodass er seine
ganze freie Zeit dem Komponieren widmen konnte. Er schrieb Lieder und Märsche
(Marsch des Leutnant Fries, Marsch des Leutnant Pacor) und konnte sogar einige
Stücke beim Leipziger Rüder Verlag und beim Wiener Hofbauer Verlag herausgeben.
1890 wurden einige Außenbezirke und Vororte Wiens in die Stadt einbezogen.
Aus diesem Anlass komponierte Johann Strauß einen Walzer, der 1891 im Wiener
Prater aufgeführt wurde. Lehár und einer seiner Freunde wurden gebeten, dem
Komponisten den riesigen Lorbeerkranz zu überreichen. Dies war das einzige Mal,
dass sich Lehár und der Walzerkönig trafen: Strauß starb acht Jahre später.
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Masterarbeit
Matr: 0673107
Erste Versuche
Die Gelegenheit, sein erstes Bühnenwerk zu schreiben, ergab sich für Lehár im Jahr
1893, als der Herzog von Coburg-Gotha einen Wettbewerb für einen Einakter
ausschrieb. Das Libretto schrieb ein Hauptmann seiner Kompanie. Lehár
instrumentiere die romantische Geschichte mit viel Mühe, trotzdem war dies nicht
genug für den Erfolg. Sein Werk Rodrigo gewann nicht und überdies musste er
wegen eines Konflikts Lizenz verlassen.
Lehár musste nicht lange auf eine neue Anstellung warten: 1894 wurde er
vom Marineorchester in Pula angeworben, dass in der gesamten Doppelmonarchie
einen sehr guten Ruf hatte. Bei seinem ersten Konzert war sogar Kaiser Franz Josef
anwesend, nach der Vorstellung ließ seine Majestät ihn wissen, dass „er mit der
Vorstellung recht zufrieden war.“87 In Pula lernte er Felix Falzari kennen, der ihn zur
gemeinsamen Arbeit an einer Oper (nach einem Buch von George Kennan über
Sibirien) überredete. Lehár war zu der Zeit mit dem Orchester im Mittelmeerraum
unterwegs und konnte erst im Frühjahr 1896 mit den Arbeiten beginnen. So entstand
Kukuška, nach deren Fertigstellung er sich entschloss, seine Arbeit als Dirigent zu
kündigen und einen Verleger bzw. ein Theater zu finden, um sein Stück zur
Aufführung zu bringen. Letztendlich erhielt er eine Zusage vom Stadttheater Leipzig,
die Premiere erfolgte am 27. November 1896. Die Kritiken fielen unterschiedlich aus,
stärkten jedoch den Optimismus des jungen Komponisten. Die Hauptkritik der Presse
bestand darin, dass die Musik zu große Ähnlichkeit mit Mascagnis Cavalleria
Rusticana habe. Das Werk hielt sich nicht lange auf dem Spielplan, schon nach fünf
Vorführungen wurde es wegen Erkrankung einiger Solisten abgesetzt.
Lehár kehrte nach Budapest zurück, wo er von seinem schwerkranken Vater die
Leitung
des
Orchesters
des
Infanterieregiments
von
Bosnien-Herzegowina
übernahm. Lehárs Vater verstarb am 7. Februar 1898.
Während seines Budapester Aufenthaltes versuchte er seine Oper Kukuška
zu verkaufen. Gyula Káldy, der Direktor des Opernhauses, zeigte sich angetan und
nahm das Werk ins Programm auf. Die Uraufführung fand am 2. Mai 1898 statt. Die
Oper lief einige Zeit recht erfolgreich, jedoch erlahmte das Interesse des Publikums
recht bald, sodass sie vom Spielplan genommen werden musste. Lehár entschloss
sich daraufhin, sein Glück in Wien zu versuchen.
87
Otto Schneiderei: Lehár Ferenc, S .10.
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Matr: 0673107
In der Stadt der Walzer und Operetten
Lehár reichte die Kukuška an der Wiener Staatsoper ein, doch deren Leiter
Gustav Mahler ignorierte ihn und seine Oper. Nach diesen ernüchternden
Erfahrungen beschloss er, sich der Operette zuzuwenden, jedoch war niemand
bereit, dem jungen Anfänger ein Libretto anzuvertrauen. Schließlich bekam er vom
Hauskomponisten des Wiener Ronacher Theaters einen Text mit dem Titel Arabella,
die Kunstreiterin. Das Werk wurde jedoch nie aufgeführt, weil man sowohl das
Libretto als auch die Musik für zu schwach hielt.
Im
November
1899
nahm
Lehár
eine
Stelle
als
Dirigent
des
Infanterieregiments Nr. 26 an, die er bis zum Frühjahr 1902 innehatte. Für seine
Entwicklung als Dirigent waren die folgenden Jahre von großer Bedeutung. 1901
wurde der Wiener Konzertverein gegründet, dessen Orchester neben klassischen
Konzerten auch leichtere Operetten spielte, wie z. B. Wiener Blut, ein Werk, das
Adolf Müller aus Melodien von Johann Strauss zusammengesetzt hatte. Als Müller im
Dezember starb, bewarb sich Lehár für die Dirigentenstelle, wurde aber von der Jury
zurückgewiesen, weil diese mit seiner Dirigiertechnik nicht zufrieden war. Während
der Ballsaison errang er mit seiner Militärkapelle große Erfolge und erweckte die
Aufmerksamkeit der Fürstin Pauline von Metternich, eine der Leitfiguren des
gesellschaftlichen Lebens im damaligen Wien, die ihn einlud, bei ihren Empfängen
die musikalische Unterhaltung zu übernehmen. Ihr zu Ehren komponierte er den
Paulinenwalzer. Des Weiteren schrieb er in ihrem Auftrag den Walzer Gold und
Silber, der am 27. Jänner 1902 zum ersten Mal öffentlich zu hören war. Mit diesem
Walzer erweckte er durchaus das Interesse der Musiköffentlichkeit und wurde bald
zu einem der bekanntesten Dirigenten der Wiener Salons. In dieser Zeit lernte er
Vilmos Karczag, den soeben ernannten Direktor des Theaters an der Wien, kennen,
der ihm die musikalische Leitung für die Spielzeit 1902/03 anbot.
In der Zeit zwischen seinem Austritt aus dem Militär (März 1902) und dem Beginn der
Saison
am
Theater
an
der
Wien
arbeitete
Lehár
in
einem
beliebten
Unterhaltungslokal mit Namen Venedig in Wien, wo er Gelegenheit hatte, den
Geschmack des Publikums sorgfältig zu studieren. In dieser Zeit trat er auch in die
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Andrea Nagyová
Masterarbeit
Matr: 0673107
Wiener Künstlervereinigung Schlaraffia ein, in der er sich Kontakte zu Librettisten
erhoffte.
Nachdem Mahler im Sommer 1902 eine Aufführung von Lehárs Oper „Kukuška“
endgültig abgelehnt hatte, versuchte Lehár mit dem Librettisten Victor Léon Kontakt
aufzunehmen, der unter anderem auch an einigen Operetten von Johann Strauss
mitgewirkt hatte. Léon zeigte jedoch kein Interesse, weil er nicht mit Anfängern
arbeiten wollte. Über die Schlaraffia gelang es Lehár schließlich doch, zu seinem
ersten richtigen Libretto zu kommen: es hieß „Wiener Frauen“ und stammte aus der
Feder des Schauspieler Emil Norini und des Journalisten Ottokar Tann-Berger. Lehár
schrieb die Musik dazu und konnte das Werk am Theater unterbringen, was
hauptsächlich Emil Steininger, einem Mitarbeiter Karczags, zu verdanken war.
Inzwischen wandte sich auch Victor Léon, dem ein von Lehár früher
komponierter Soldatenmarsch sehr gefallen hatte, an diesen und bot ihm sein neues
Libretto mit dem Titel „Der Rastelbinder“ an. Lehár nahm das Angebot an, da er sich
von Léons Libretto Erfolg erhoffte. Bis zum Herbst wurden beide Operetten fertig.
Karczag (der Direktor des Theaters an der Wien) sah es nicht gerne, das sein
Dirigent auch für ein anderes Theater (Carl-Theater) komponierte, aber die beiden
konnten sich nach langem Streit schließlich einigen. Zur Uraufführung der „Wiener
Frauen“ kam es am 21. November 1902. Der Erfolg war vor allem dem
Hauptdarsteller, Alexander Girardi bzw. der Musik Lehárs zuzuschreiben; die
Kurzlebigkeit der Operette war hauptsächlich dem Text zu verdanken. „Der
Rastelbinder“ wurde am 20. Dezember im Carl-Theater uraufgeführt. Er war ein
großer Publikumserfolg und wurde noch weitere 225 Mal gespielt.
Da um die Jahrhundertwende die Nachfrage für Operetten kontinuierlich stieg,
öffneten überall (vor allem in Deutschland) neue Theater. Das führte kurzfristig zum
Niveauverfall der Gattung, da die Librettisten und Komponisten aus Wien versuchten,
immer mehr „markttaugliche Ware“ in immer kürzerer Zeit herauszubringen. Die
schärfsten Kritiker der Gattung waren Journalisten wie Julius Bauer, Leopold
Jacobson und Hugo Wittmann, die sich allerdings in ihrer Freizeit (meist unter
Pseudonymen) selbst mit dem Schreiben von Libretti befassten. Auch Lehár wurde in
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Andrea Nagyová
Masterarbeit
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die Debatte um die formellen und inhaltlichen Anforderungen an die Operette
eingebunden. In dieser Zeit lernte er Leo Stein kennen, der Lehár vorschlug,
zusammen mit Léon eine Operette über ein Thema aus der antiken griechischen
Mythologie zu schreiben. So entschied man sich für die von Molière bearbeitete
Version des Amphitryon. Obwohl Lehár zunächst nicht davon angetan war, schrieb er
das Stück für das Carl-Theater, das unter dem Namen „Der Göttergatte“ am 20.
Januar 1904 erfolgreich aufgeführt wurde. Die Kritik zeigte sich anerkennend,
trotzdem wurde es nach wenigen Aufführungen abgesetzt, weil es beim Publikum
nicht so gut ankam.
Zu seinem nächsten Werk „Die Juxheirat“ schrieb der Journalist Julius Bauer das
Libretto, die Premiere fand am 21. Dezember 1904 im Theater an der Wien statt.
Leider war dieses Stück ein Misserfolg, das bereits nach 39 Aufführungen aus dem
Programm entfernt wurde.
Die Entstehungsgeschichte der nächsten Operette Lehárs beginnt beim
Komponisten Richard Heuberger, der den Auftrag erhielt, ein von Leo Stein und
Victor Léon verfasstes Libretto zu vertonen. Dieses basierte auf der Textvorlage
einer früheren französischen Komödie von Henri Meilhac namens „L’attaché
d’ambassade“. Da das Librettistenduo mit der Musik Heubergers nicht zufrieden war,
entschieden sie sich, den Auftrag an Lehár weiterzugeben. Der Vertrag wurde am 2.
Januar 1905 unterzeichnet. Eine Anekdote berichtet davon, wie das Werk schließlich
den Namen „Die lustige Witwe“ erhielt. Da man den Originaltitel nicht noch einmal
verwenden durfte, suchten die Librettisten nach einem anderen. Eines Tages hörte
Lehár, wie Stein einem Kassier folgendes zurief: „Wir haben keine weiteren Karten
für die Witwe des Chefsekretärs! Wenn sie wiederkommt, schmeißt diese lästige
Witwe raus!“.88 Lehár jedoch verstand Lustige Witwe und schlug dies sofort als Titel
vor.
Lehár kannte die Vorgeschichte des Werks nicht, sodass er Léon nach
Beendigung des Werkes fragte, wer denn ursprünglich als Komponist vorgesehen
war. Als er erfuhr, dass es Heuberger war, zeigte er sich sehr erstaunt, da dieser –
als Mitglied der Jury des Konzertvereins – ihn als untalentiert bezeichnet hatte. Als
Lehár das Werk der Leitung des Theaters an der Wien vorstellte, wurde dieses recht
kühl entgegengenommen. Die Direktion war von dem Erfolg der Operette nicht
88
Otto Svhneiderei: Lehár ferenc, S .14.
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Andrea Nagyová
Masterarbeit
Matr: 0673107
überzeugt und entschied sich, dass Lehár und seine Librettisten die Proben selbst
bezahlen sollten. Darin fanden diese Unterstützung bei den Schauspielern, vor allem
Mizzi Günther und Louis Treumann versuchten das Ensemble auch für nächtliche
Proben zu gewinnen. Zur Premiere kam es schließlich am 30. Dezember 1905, einen
Tag vor Silvester – einen schlechteren Premierentag hätte man sich kaum denken
können. Es war daher keine Überraschung, dass sich nicht allzu viele für die
Vorstellung interessierten. Die Kritiker hingegen äußerten sich – mit Ausnahme
einiger weniger – begeistert über die Musik und ihre Leichtigkeit.
Zur ersten ausländischen Aufführung kam es zwei Monate später in Hamburg.
Im April 1906 konnte man bereits die hundertste Aufführung verzeichnen, die
hundertfünfzigste wurde in der Volksoper Wien zelebriert. Am 23. Februar 1907 teilte
Lehár dem Berliner Herausgeber Felix Bloch Erben brieflich mit, das sie europaweit
bereits die 3500. Vorstellung hinter sich hätten. 1907 wurde das Stück in London,
New York und Chicago aufgeführt, 1909 in Paris. „Die lustige Witwe“ brachte Lehár
schließlich die finanzielle Sicherheit, nach der er sich schon seit seiner Kindheit
gesehnt hatte. Mit dieser Operette fand er außerdem seinen eigenen Stil.
„Die lustige Witwe“ besteht aus drei Akten und wurde am 27. November 1906
im ungarischen Theater in Budapest zum ersten Mal in der Landessprache gezeigt.
Bei der ungarischen Premiere spielte die berühmte Koloratursopranistin Ilonka
Szoyer die Hauptrolle, ihr Partner war der beliebte Lebemann Ákos Ráthonyi. Die
Operette, die in 25 Sprachen übersetzt wurde, fand später Einzug in das StandardRepertoire des Király Theaters, wo Sári Fedák die Hauptrolle spielte.
Die
Melodien
erzählen
vom
Verlangen, der Leidenschaft und dem
Verliebtsein, allerdings werden diese Gefühle auf eine ganz neue und noch nie
dagewesene Weise präsentiert. Dur, Moll und moderne Klangimpressionen wurden
frei miteinander kombiniert. Der erste Auftritt Hannas beginnt mit einer Mazurka,
endet aber mit einem langsamen Pariser Walzer. Das Vilja-Lied, eine an sich leichte
und sentimentale Romanze, wird vom Orchester mit einem grotesk wirkenden Auftakt
beendet. Lehár verwendete hier offensichtlich Elemente, die er bei Mahler und
Debussy kennengelernt hatte.
71
Andrea Nagyová
Masterarbeit
Matr: 0673107
Die Handlung:
1. Akt: Mirko Zeta, der Pariser Botschafter von Pontevedro und seine
Mitarbeiter organisieren einen Empfang, zu dem auch Hanna Glawari, eine im
Ausland lebende pontevedrinische, steinreiche Witwe eingeladen wird. Man
hegt die Hoffnung, dass sie sich dort in einen Pontevedriner verlieben und
diesen heiraten möge, damit ihr Vermögen in das Heimatland zurückkehre.
Zeta fasst den Grafen Danilo Danilowitsch, den Sekretär des Botschafters ins
Auge, dessen Herz vor Jahren schon für Hanna schlug. Die Witwe kommt an,
allerdings scheint der Plan des Botschafters zu platzen, denn die Wunden aus
dem früheren Verhältnis sind noch zu frisch, sodass eine Annäherung nicht in
Frage kommt. Die anwesenden Diplomaten werben jedoch mit aller Heftigkeit
um die reiche Dame, womit der Plan des Botschafters, die Witwe an einen
pontevedrinischen Mann zu bringen, in Gefahr gerät. Diese genießt die
Situation und vor allem die Eifersucht Danilos, weswegen sie die ganze Schar
der Freier in den Park ihres Palastes einlädt.
2. Akt: Zwischen Danilo und Hanna beginnt eine Romanze. Parallel dazu
entwickelt sich eine Liebesgeschichte zwischen Valencienne, der Frau des
Botschafters, und einem Pariser Herrn namens Camille de Rosillon.
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Andrea Nagyová
Masterarbeit
Matr: 0673107
Dieser überredet Valencienne, sich mit ihm in einen Pavillon im Garten
zurückzuziehen. Doch der Botschafter, misstrauisch geworden, erscheint
überraschend im Pavillon und findet dort Hanna mit Rosillon. Danilo, der
Hanna wirklich liebt, ist völlig verzweifelt und verlässt die Szenerie im
Glauben, Rosillon sei Hannas Liebhaber.
3. Akt: Cabaret-Abend im Palast von Hanna. Hanna gesteht, dass sie keine
Affäre mit Rosillon hat, woraufhin Danilo ihr seine Liebe gesteht. Die lustige
Witwe erwidert Danilos Liebe und ist glücklich.
Nach dem beispiellosen Erfolg der Lustigen Witwe fiel es Lehár schwer, ein
neues Werk zu komponieren, da die Erwartungshaltung sowohl des Publikums als
auch der Theaterdirektoren sehr hoch waren. Das Libretto einer seiner nächsten
Operetten, „Der Mann mit den drei Frauen“, stammte von Julius Bauer, die Premiere
war am 21. Januar 1908 im Theater an der Wien. Die Kritik reagierte sehr
unterschiedlich auf den Stoff: Der reisende Don Juan, der in drei Städten drei
verschiedene Frauen hat, erschien ihnen zwar revolutionär und neuartig, allerdings
zu erotisch. Lehárs Musik erhielt gute Kritiken, trotzdem gelang es nicht, das
Publikum zu begeistern, sodass es nur zu 80 Vorstellungen kam.
Lehár
stand
unter
Druck,
mit
der
nächsten
Operette
seinen
Ruf
wiederherzustellen. Dazu kam es aber erst nach gut eineinhalb Jahren, da er sich mit
seinen Finanzen auseinandersetzen musste. 1908 wurde der „Inkassoverband der
Theater- und Orchesterunternehmungen Österreichs“ gegründet, dessen Aufgabe es
war, auf alle Theater- und Operneintritte eine Sondergebühr einzuheben, um daraus
die Rente der Dirigenten zu finanzieren. Der Verband hatte seinen Sitz in der Wiener
Theobaldgasse, Nr. 16. Als das Gebäude wegen eines Umzugs geräumt wurde,
kaufte es Lehár und zog zum ersten Mal in seinem Leben in ein Eigenheim. Im
selben Jahr wurde das Wiener Tonkünstlerorchester gegründet, an dessen
Gründung Lehár auch beteiligt war und mit dem er eine kurze Konzerttournee nach
Deutschland unternahm.
Im Sommer 1908 begann er endlich wieder mit dem Komponieren und
schickte sich an, drei Libretti gleichzeitig zu vertonen. Eines trug den Titel Das
Fürstenkind und stammte aus der Feder von Victor Léon – ursprünglich war es für
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Andrea Nagyová
Masterarbeit
Matr: 0673107
Leopold Müller, einen Freund Lehárs vorgesehen, der dieses Stück am 29. Oktober
1908 im neu eröffneten Johann-Strauss-Theater auf die Bühne bringen wollte. Das
Werk wurde schließlich am 7. Oktober 1909 vorgestellt – es wurde mit großer
Begeisterung empfangen, die allerdings rasch wieder abkühlte, was den Druck auf
Lehár erhöhte, ein neues Werk präsentieren zu müssen.
1908 bekam er auf einmal zwei gemeinsam verfasste Libretti von Alfred Maria
Willner und Robert Bodanzky: „Der Graf von Luxemburg“ sollte im Theater an der
Wien aufgeführt werden, während die Zigeunerliebe für das Carl-Theater vorgesehen
war. Lehár gefiel das zweite Stück besser, sodass er dessen Vertonung bereits vor
der vorgegebenen Frist abgab. Das sorgte bei der Leitung des Theaters an der Wien
für Unmut, man befürchtete, dass der Komponist das versprochene Stück, das
bereits vorab als große Sensation der Spielzeit angekündigt worden war, nicht
rechtzeitig einreichen könnte. Man drohte Lehár mit Schadensersatzforderungen, die
allerdings nicht fällig wurden, denn er übergab Emil Steiniger noch vor Fristende die
fertige Partitur. Das Stück sollte – wegen der großen Ähnlichkeit mit dem
Großherzogtum – eigentlich Der Graf von Luxenburg heißen, da jedoch das
Publikum auch nur Luxemburg sagte, stimmte Lehár dem Buchstabentausch zu. Zur
Premiere kam es am 12. November 1909 und das Stück errang einen unverhofft
großen
Erfolg,
obwohl
es
Lehár,
laut
eigenen
Angaben,
ohne
größere
Anstrengungen und während einiger weniger Wochen Aufenthalt in Bad Ischl
niedergeschrieben hatte. Auch die Kritik war dem Werk wohlgesonnen, obwohl Lehár
vorgehalten wurde, dass er „nur von seinen früheren Werken zehre“, 89 also mit
dieser
Operette
keine
revolutionären
Neuerungen
vorweisen
konnte.
Währenddessen kreisten die Diskussionen nicht nur um das neue Werk, sondern
generell um Lehárs Operettenstil. Die Aussage eines Kritikers, die von der
Anziehungskraft und dem Prickeln in Lehárs „Erotik-Operetten“90 handelte, war wohl
nicht aus der Luft gegriffen, denn mit diesem Begriff war jene Gattung umschrieben,
in welche die meisten Lehár Operetten passen. Mit der lustigen Witwe entbrannte auf
der Operettenbühne der erotische Kampf zwischen Mann und Frau: der Mann
begehrt die Frau, die Frau entflieht ihm, sodass erst nach langer Enthaltsamkeit oder
auch Trennung das lang ersehnte Wiedervereinen stattfinden kann.
89
90
Otto Schneiderei: Lehár Ferenc, S. 22.
Otto Schneiderei: Lehár Ferenc, S. 23.
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Andrea Nagyová
Masterarbeit
Matr: 0673107
Kaum zwei Monate nach dem „Graf von Luxemburg“ wurde am 8. Januar die
„Zigeunerliebe“ im Carl-Theater uraufgeführt. Sie war ein riesiger Erfolg und hielt sich
noch sehr lange im Repertoire. Die Kritiker fragten sich danach in erster Linie, wie
Lehár innerhalb so kurzer Zeit drei so erfolgreiche Operetten komponieren konnte,
was dieser als persönlichen Affront wertete. Kurz nach der Wiener Premiere wurde
das Stück auch in Deutschland und in der restlichen Monarchie gespielt.
Die Handlung der Operette Der Graf von Luxemburg:
1. Akt: Fürst Basil Basilowitsch ist verliebt in Angèle Didier, eine gefeierte
Opernsängerin. Er würde sie gerne heiraten, muss aber dabei die
gesellschaftlichen Konventionen beachten, weil er niemanden unterhalb
seines Ranges zur Frau nehmen darf. Aus diesem Grunde sucht er nach
einem Aristokraten, der bereit ist, Angèle kurzfristig zu heiraten, um sie nach
den vereinbarten drei Monaten selbst heiraten zu können. Für dieses
Vorhaben scheint sich René, der verarmte Graf von Luxemburg, bestens zu
eignen, der sich für eine halbe Millionen bereit erklärt, Angèle zu pro forma
heiraten, ohne sie vorher zu sehen – dies ist die Bedingung von Basil. Die
Zeremonie findet in Anwesenheit von Fürst Basil statt, wobei das Brautpaar
streng von einander abgeschirmt wird: René bekommt nur Angèles Hand zu
sehen, an deren Finger er den Ehering befestigt und die er anschließend
feierlich küsst.
2. Akt: Fast drei Monate später, im Schloss von Angèle. Die einander nicht
bekannten Eheleute sind gerade dabei, sich scheiden zu lassen und
begegnen sich aus Zufall bei einem Konzert Angèles, wo Rene sich auf
Anhieb in die schöne Sängerin verliebt. Er stellt sich ihr als „Baron von Reval“
vor. Angèle spricht dabei verächtlich über den Graf von Luxemburg, der für
Geld eine Scheinehe eingegangen war und Rene wirft Angèle vor, ähnlich
gehandelt zu haben, um als Gräfin den Fürsten heiraten zu können. Er will
sich davonstehlen, was Angèle allerdings nicht zulässt, da er noch für einen
Tag ihr Gatte ist.
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Andrea Nagyová
Masterarbeit
Matr: 0673107
3. Akt: Im Foyer des Pariser Grand Hotels lernt René Gräfin Kokozow, eine
alte Liebe und ehemalige Verlobte Basils, kennen. Die Gräfin versteckt sich
hinter einer Trennwand und wird dort Basil von René als seine geliebte Angèle
angekündigt. Als er voller Schrecken den Tausch bemerkt, versucht er zu
fliehen, doch die Gräfin betrachtet ihn bereits als ihre Beute und nimmt ihn mit
sich. Nun können Angèle und René endgültig zusammen bleiben.
Zigeunerliebe:
Die Geschichte spielt irgendwo in einer Region von Siebenbürgen, wo es sowohl
Ungaren, Rumänen und Zigeuner gibt. Dort lebt auch Zorika, die Tochter des
Großgrundbesitzers Peter Dragojan, die sich gerade auf die Hochzeit mit Jonel, dem
reichen Bauerssohn der Nachbarn, vorbereitet. Während der Zeremonie erscheint
jedoch unerwartet Józsi, der ehemalige Geliebte Zorikas, der sich aus schlechten
Verhältnissen hocharbeitete und es bis zum Primas-Geiger einer benachbarten
Provinzstadt schaffte. Die alte Liebe überwältigt Zorika, die gegen jegliche
gesellschaftliche Konvention verstößt und mit Józsi in das nahe gelegene
Zigeunerlager flieht. Diese Flucht
wird
nicht nur von dem gedemütigten
Schwiegervater und dem verlassenen Bräutigam mit Argwohn betrachtet, sondern
auch von Ilona, einer alten Geliebten von Józsi.
Die Zigeunerliebe zeigt im Rahmen dieser romantischen Liebesgeschichte das
Zusammenprallen dreier unvereinbar scheinenden, grundverschiedenen Kulturen.
Wie jedes andere Meisterwerk weist auch diese Operette Lehárs über die Handlung
hinaus: Der Freiheitdrang und die Suche nach Glück sind sowohl Gegenstand des
Stückes wie auch die historische Erkenntnis dessen, wie selbstverständlich,
gleichzeitig aber auch zerbrechlich das friedliche Zusammenleben verschiedener
Ethnien sein kann.
In dieser Operette, die beinahe den Anspruch einer Oper hat, zeigt Lehár sowohl
grandiose, standbildhafte Szenen als auch schmerzvoll-leidenschaftliche Soli und
Duette. Die bekanntesten Lieder daraus sind Es liegt in blauen Fernen und Ich bin
ein Zigeunerkind.
Die nächste Operette Lehárs hieß Eva und wurde am 24. November 1911 zum
ersten Mal dem Publikum des Theaters an der Wien vorgestellt. An diesem Stück
76
Andrea Nagyová
Masterarbeit
Matr: 0673107
lässt sich gut erkennen, wie drei verschiedene stilistische Merkmale miteinander
ringen: Lehár versuchte die von ihm entwickelte sentimental-pathetische Richtung
weiter zu verfolgen, wollte dabei aber auch einerseits dem europäischen Trend
entsprechend lustigere Stücke schreiben, andererseits reizten ihn auch soziale
Probleme, wie die Situation der Arbeiterklasse. Das Stück wurde vom Publikum eher
kühl aufgenommen, vor allem wegen des Themas. Auch die Kritik fiel ziemlich
niederschmetternd aus, wobei aber die Musik Lehárs Beifall fand. Im Zuge der Eva
wurde Lehár zum ersten Mal von der Kritik nahegelengt, bessere Libretti zu
verarbeiten, da die bisherigen Misserfolge ausschließlich den schlechten Texten zu
verdanken waren.
1912 kaufte er die Villa der Herzogin Adelheid Sabran-Poteves in Bad Ischl im
Salzkammergut, die von da an den Namen Villa Lehár trug und in der er sich von nun
an jeden Sommer aufhielt. Bad Ischl war in jener Zeit Treffpunkt der Wiener
Musikerelite. Vilmos Karczag, der Leiter des Theaters an der Wien, Leo Fall,
Emmerich Kálmán und viele andere Theatergrößen hatten dort einen Wohnsitz.
In das Gebäude hinter der Villa zog Sophie Meth, die der Lehár nach der
Jahrhundertwende kennengelernt hatte. Ihre Beziehung begann 1903, als Sophie
noch verheiratet war. Als sie in das Hintergebäude einzog, war sie noch immer nicht
geschieden, sodass die offizielle Hochzeit erst 20 Jahre später stattfinden konnte.
Lehár war hauptsächlich mit Auslandspremieren seiner Operetten beschäftigt, die er
an die Gegebenheiten des jeweiligen Theaters anpasste. Währenddessen schrieb er
ein Singspiel namens Rosenstock und Edelweiß, das am 1. Dezember 1912 im
Wiener Kabarett Hölle uraufgeführt wurde.
Der Kriegsausbruch führte dazu, dass viele deutsche und österreichische Theater
schießen mussten, was sich auch auf die Nachfrage an Operetten auswirkte, was zur
Folge hatte, dass auch Lehár weniger komponierte. Als sein Bruder im Jahr 1914
schwer verletzt, für kriegsuntauglich erklärt und anschließend zur Büroarbeit
eingeteilt wurde, komponierte Lehár am Krankenbett seines Bruders auf dessen
Wunsch ein Lied mit Namen Fieber, nach einem Gedicht von Erwin Weil.
Die vom Krieg ausgelöste landesweite Inflation führte dazu, dass das Interesse an
Theatern weiter abnahm. Unter diesen Bedingungen wurde im Theater an der
Josefstadt am 14. Januar 1916 Lehárs Operette mit Der Sterngucker uraufgeführt.
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Das Stück wurde nach nur 77 Aufführungen wieder vom Spielplan entfernt, woran
laut Kritik das schwache Libretto schuld war, allerdings wurde auch erwähnt, dass die
Musik von Lehár nicht den Anforderungen des Publikums genügte.
Die folgenden zwei Jahre verbrachte Lehár mit Gastspielen in Istanbul, Zürich und
Budapest.
Als er 1917 nach Budapest reiste, traf er dort seinen alten Freund Ferenc Martos, der
ihm einen Operetten-Entwurf zeigte. Das Stück, dessen Handlung in Ungarn
stattfand, gefiel Lehár sofort. Es wurde am 15. Januar 1918 unter dem Namen
Pacsirta in Budapest aufgeführt, am 27. März kam es dann in der Übersetzung von
Alfred Maria Willner und Heinz Reichert mit dem Titel Wo die Lerche singt im Theater
an der Wien auf die Bühne. Diesmal war es ein großer Erfolg, obgleich die Fachleute
wiederum das schwache Libretto kritisierten. Gleichwohl die Theater in den Jahren
1918-1919 an zwei Tagen in der Woche geschlossen bleiben mussten und trotz der
Sonderaufführungen, die für die Arbeiter organisiert wurden, war das Stück sehr
erfolgreich; es kam bis Ende des Jahres zu 380 Aufführungen.
Noch im Jahr 1913 lernte Lehár Giacomo Puccini kennen, als dieser nach
Wien kam, um der Premiere seiner Oper Das Mädchen aus dem goldenen Westen
beizuwohnen. Puccini lernte über Lehár viele Leute kennen, die der Oper eher fern
standen, wie z. B. Sigmund Eisenschütz, den damaligen Leiter des Carl Theaters,
der ihn mit einer Operette für sein Theater beauftragte. Statt dieser entstand jedoch
eine komische Oper (La Rondine) die – wegen des Kriegszustandes zwischen
Österreich und Italien – in Monte Carlo zum ersten Mal aufgeführt wurde. Puccini
äußerte sich anerkennend über Lehárs Musik, in einem Brief an ihn schrieb er: „Ich
habe ihre Operette mit dem Titel Wo die Lerche singt bekommen und kann nur
sagen: Bravo Maestro! Das Stück ist prickelnd, frisch, genial und voller jugendlichem
Feuer!“91
1920 kam es erneut zu einer Begegnung, zuerst kam Lehár nach Italien, dann reiste
Puccini nach Wien, wo am 9. Oktober seine Oper La Rondine und am 20. Oktober
das Triptychon (bestehend aus drei Opern-Einaktern: Der Mantel, Schwester
Angelica und Gianni Schicchi) uraufgeführt wurde. Als die Stücke nicht den erhofften
Erfolg brachten, reiste Puccini zurück nach Torre del Lago. Das war das letzte Mal,
91
Otto Schneiderei: Lehár Ferenc, S. 40.
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Andrea Nagyová
Masterarbeit
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dass sich die Komponisten persönlich trafen, danach tauschten sie sich nur noch in
Briefen aus. Puccini starb am 29. November 1924.
Lehárs erste Premiere nach dem Krieg war Die blaue Mazur, welche am 28. Mai
1920 im Theater an der Wien stattfand. Die Kritik wies dabei wieder auf den großen
Kontrast zwischen Musik und Libretto hin. Dieses stammte von Béla Jenbach, der
unter anderem auch den Text für Emmerich Kálmáns Csardasfürstin schrieb. Das
Stück wurde 313-mal in Wien aufgeführt, danach wurde es auch in Deutschland,
Polen und Kroatien gespielt.
Am 9. September 1921 kam es zu der Uraufführung einer neuen Operette von Lehár,
diesmal im Apollo Theater. Die Tangokönigin, wie das Stück hieß, war jedoch nichts
anderes als die Neuauflage einer Operette aus dem Jahr 1913 mit Namen Die ideale
Gattin, die wiederum auch nur eine umgeschriebene Version des Werkes Der
Göttergatte war. Lehár war damit nicht zufrieden und nahm später oft einige
Korrekturen daran vor, um eine Annäherung an das Stück Die ideale Gattin zu
erreichen. Die Wahl fiel deshalb auf das Apollo-Theater, weil Lehár bereits an einer
Operette mit spanischem Thema für das Theater an der Wien arbeitete: La Frasquita.
Vor der Premiere kam es noch zur Uraufführung eines anderen Werkes, es handelt
sich um den Einakter Frühling, Aufführungsort war das Kabarett Hölle.
Frasquita folgte am 11. Mai 1922 im Theater an der Wien. Die Kritik bewertete das
Libretto schlecht, nannte es einen billigen Abklatsch von Bizets Carmen – das
Publikum jedoch war begeistert.
Als der Trubel um die Frasquita-Premiere abklang, griff Lehár zu einem chinesischen
Thema, zu dem Victor Léon den Text lieferte. Zu jener Zeit war es in gehobenen
Wiener Kreisen en vogue, sich mit Diplomaten aus dem Fernen Osten zu umgeben.
Das Libretto greift ausgerechnet so einen Fall auf: es geht um Liebe und Heirat einer
Wiener Dame mit einem chinesischen Diplomaten. Das Stück wurde schließlich im
Februar 1923 unter dem Namen „Die gelbe Jacke“ im Theater an der Wien mit
mäßigem Publikumserfolg uraufgeführt. Die Kritik allerdings lobte die eigentümliche
Melodik und Rhythmik, welche den Wiener Walzer auf hervorragende Art mit
chinesischen Motiven verwob. Das Werk verschwand jedoch allmählich aus den
Repertoires, später wurde es von Lehár umgeschrieben und unter dem Titel „Das
Land des Lächelns“ erneut vorgestellt.
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Andrea Nagyová
Masterarbeit
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Handlung der Operette „Das Land des Lächelns“
1. Akt: Lisa, die verwöhnte Tochter des Grafen Lichtenfels, hat bei einem
Reitturnier gewonnen. Der Erfolg wird von ihrer Familie mit einem Ball gefeiert.
Auch die Gesandten des Husarenregiments, welches das Turnier veranstaltet
hatte, sind anwesend. Unter den Gästen befindet sich auch Graf Gustav von
Pottenstein, ein Jugendfreund Lisas, der innigere Gefühle für sie hegt und um
ihre Hand anhalten will. Das Mädchen fühlt sich jedoch zu dem Prinzen und
chinesischen Botschafter Sou-Chong hingezogen. Bisher konnte sie ihre
Gefühle für ihn zurückhalten, nun aber kommt eine überraschende Wendung:
Der Prinz wird wieder nach China zurückberufen. Lisa kann sich nicht mehr
beherrschen und gesteht ihm ihre Liebe. Da die Liebe gegenseitig ist,
begeben sie sich gemeinsam nach Peking.
2. Akt: Im Zuge einer feierlichen Zeremonie wird Sou-Chong die Gelbe Jacke
übergeben, die als höchste Auszeichnung für Diplomaten gilt. Kaum sind die
Feierlichkeiten vorüber, kommt es schon zum Konflikt zwischen dem Prinz und
den Konservativen. Sein Onkel Tschang hasst die Europäerin, regt sich über
ihre Angewohnheiten auf und weist Mi, Sou-Chongs Schwester zurecht, weil
sie es gewagt hatte, dem Beispiel Lisas zu folgen und Sport zu treiben.
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Andrea Nagyová
Masterarbeit
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Er fordert Sou-Chong auf, im Sinne des alten Brauches vier adelige
Mandschu-Mädchen zu heiraten, die bereits für ihn ausgewählt wurden,
ebenso bestimmt er den Zeitpunkt der Hochzeit. Sou-Chong aber ist nur
bereit, die Zeremonie zum Schein über sich ergehen zu lassen; die vier
Frauen tatsächlich zu heiraten, geschweige denn auf Lisa zu verzichten,
kommt für ihn nicht in Frage. Der listige Gustl kommt allerdings hinter die
Absichten des Onkels und warnt Lisa. Diese glaubt ihm die Geschichte
zunächst nicht, bis ihr Geliebter es ihr bestätigt. Sie beschließt zu fliehen,
allerdings lässt der Prinz ihr Haus bewachen. Er weiß, dass alles verloren ist
und opfert das Bild Lisas symbolisch auf einem Buddha-Altar.
3. Akt: Gustl gelingt es, unbemerkt zur gefangenen Lisa zu gelangen. Er hofft,
dass Mi bereit ist, bei der Flucht zu helfen. Es stellt sich jedoch heraus, dass
alle Türen und Geheimgänge geschlossen sind. Mi empfiehlt als letzte
Fluchtmöglichkeit den Weg durch die Kapelle. Als sich die Tür öffnet, steht der
fliehenden Gesellschaft unerwartet der Prinz im Weg, der sich unbewegt und
mit verschränkten Armen vor ihnen aufbaut. Der großzügige Sou-Chong ist
jedoch unfähig, Rache zu üben und hilft letztendlich selbst Lisa und Gustl, das
Schloss zu verlassen. Sein eigenes Leid verbirgt er hinter einem kühlen
Lächeln.
Eineinhalb Monate nach dem Land des Lächelns kam in Wien bereits eine neue
Lehár-Operette heraus: Der Libellentanz, auch als Die drei Grazien bekannt. Hierbei
handelte es sich nicht um eine Uraufführung, denn es war nur die deutsche
Adaptation des Werkes, das zuvor bereits in Mailand gezeigt wurde. Das Werk wurde
im Auftrag eines Mailänder Schauspieldirektors von Lehár komponiert und war schon
in vielen europäischen Ländern erfolgreich, bevor es zum ersten Mal auch in Wien zu
sehen war.
Acht Monate nach der Premiere der Gelben Jacke starb Vilmos Karczag, der
Direktor des Theaters an der Wien, den seit 1902 ein enges Arbeitsverhältnis mit
Lehár verband. Sein Nachfolger wurde Hubert Marischka, der sich schon an seinem
ersten Tag als Direktor mit dem um zwölf Jahre jüngeren Lehár zerstritt. Das
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Andrea Nagyová
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Verhältnis zwischen den beiden verschlechterte sich derart, dass erst vier Jahre
später wieder eine Lehár-Operette auf der Bühne des Theaters an der Wien
aufgeführt wurde.
Die nächste Operette Clo-Clo schrieb Lehár auf Wunsch der Soubrette Louise
Kartousch, die zu seinen besten Freunden zählte; der Text stammte von Béla
Jenbach. Die Kritik nahm das Stück gut auf, sowohl das Libretto als auch der lustige
und leichte Stil von Lehárs Musik wirkte erfrischend und neuartig. Das Stück wurde
am 8. März 1924 im Bürgertheater uraufgeführt.
Dass Lehárs Operetten so eine enorme Verbreitung erfuhren, war zum
Großteil dem Tenor Richard Tauber, einem der bedeutendsten Sänger seiner Zeit, zu
verdanken. Tauber übernahm oft Hauptrollen in den Werken Lehárs und sang
regelmäßig auch in Berlin und Wien. Da ihm bisher keine Rolle aus Lehárs Operetten
so richtig zusagte, bat er den Komponisten, ein neues Libretto zu vertonen. Dieses
stammte von einem Buchhändler namens Paul Knepler, der es aus Zeitvertreib
verfasst hatte und das über Victor Wögerer (einem guten Freund von Lehár) auf den
Tisch des Komponisten gelangte. Knepler stimmte einer Vertonung seines Librettos
zu, das dann von Béla Jenbach nach dem Geschmack Lehárs noch ein bisschen
umgestaltet wurde. Auf diese Weise entstand Paganini, eine Operette, die zum
ersten Mal mit Richard Tauber in der Hauptrolle am 30. Oktober 1925 im JohannStrauss-Theater zur Aufführung gelangte.
Das Werk präsentiert die Liebesgeschichte des italienischen Geigenvirtuosen mit
Maria Anna Elisa, der Schwester Napoleons, welche mit dem gegen Paganini
gerichteten Haftbefehl Napoleons ein jähes Ende findet. Franz Lehár komponierte für
diesen Text eine sehr originelle Musik. Man weiß nicht, ob ihn die legendäre
Virtuosität seines Helden dazu inspirierte, aber in diesem Werk kam sein Talent voll
und ganz zur Geltung.
Nach der erfolgreichen Premiere von Paganini reiste Lehár nach Mailand, wo
er den Sterngucker umschrieb und unter dem Namen Gigolette veröffentlichte.
Obwohl das italienische Libretto von Carlo Lombardo und Gioacchino Forzano
stammte (letzterer verfasste auch den Text zu Puccinis Gianni Schicchi und
Schwester Angelica), errang das Stück keinen größeren Erfolg als seinerzeit der
Sterngucker in Wien.
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Das nun folgende Werk entstand auf der Grundlage eines Librettos von Béla
Jenbach und Heinz Reichert, welches auf einem Werk der polnischen Schriftstellerin
Gabielle Zapolska basierte. Bei diesem Stück handelt es sich um den Zarewitsch,
dessen Inhalt die Geschichte des letzten russischen Herrschers Nikolaus II. erzählt.
Es war am 16. Februar 1927 zum ersten Mal auf der Bühne des Deutschen
Künstlertheater in Berlin zu sehen und wurde sofort zu einem großen Erfolg. Die
Titelrolle wurde von Richard Tauber gesungen, der nicht nur mit dem Lied mit den
Anfangsworten Willst du…, sondern auch mit dem Wolga-Lied, das später über
Schallplatten und Radio eine rege Verbreitung fand, große Beliebtheit erlangte. Die
Kritiker zeigten sich zufrieden mit dem Stück; sie betonten, Lehár verstehe es in
diesem Werk hervorragend, den russischen und slawischen Charakter darzustellen.
Was die Auswahl der Libretti betraf, war Lehár nie besonders geschickt. Er ließ sich
nur allzu oft von unwichtigen Kleinigkeiten verleiten. So geschah es, dass er noch
während der Vorbereitungen zum Zarewitsch seine Aufmerksamkeit auf ein neues
Thema lenkte: Den jungen Goethe und seine damalige Liebe, Friederike von
Sesenheim. Das Libretto schrieben Ludwig Herzer und Fritz Löhner. 1927 lernte
Lehár in einem Hotel in Dresden Alfred Rotter kennen, der zusammen mit seinem
Bruder Fritz das Berliner Metropol Theater leitete. Da sie eine Sensation suchten,
fragen sie Lehár, ob er eine Operette für ihr Theater komponieren könne. So kam es,
dass Friederike, Lehárs neues Werk, im Metropol Theater uraufgeführt wurde.
Unterdessen war Lehár mit den europäischen Premieren seiner Stücke beschäftigt.
Im März 1927 wurde Paganini in Paris mit spektakulärem Erfolg gespielt; Mitte des
Jahres kam der Zarewitsch in Wien auf die Bühne. Im Mai wurde in Berlin im Neuen
Theater am Zoo eine dreiaktige Version des 1922 als Einakter entstandenen Frühling
aufgeführt. Den Sommer verbrachte Lehár in Bad Ischl, wo er am Schluss seines
neuesten Stückes arbeitete. Dies wurde, durch die Bemühungen Rotters, mit einer
gigantischen Werbekampagne eingeläutet, jedoch löste das Unterhaltungsstück über
den jungen Goethe auch Proteste aus. Zum 4. Oktober 1928, dem Tag der Premiere,
brachten Nationalsozialisten und andere Deutschnationale in der Stadt Plakate an,
auf denen die kulturbewussten Deutschen zur Massendemonstration gegen den
Kulturskandal aufgerufen
wurden.
Dessen
ungeachtet
verlief
die
Premiere
reibungslos, die Kritik war begeistert. Richard Tauber, der für die Hauptrolle
vorgesehen war, musste wegen Krankheit absagen. Nach wenigen Wochen wurde
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das Stück vom Programm genommen und setzte seine Erfolge am Wiener JohannStrauss-Theater fort.
1930 feierte Lehár seinen 60. Geburtstag. Im Frühjahr wurde Friederike in
Strasbourg gezeigt, was vor dem 30. April, dem tatsächlichen Geburtstag des
Meisters, die einzige Geste der Würdigung war. Die Wiener Theater verhielten sich
sehr zurückhaltend. Als Lehár erfuhr, dass man ihm vonseiten des Theaters an der
Wien lediglich mit einer mehr oder weniger improvisierten Nachmittagsvorstellung die
Ehre erweisen wollte, schrieb er einen Brief an den Direktor des Hauses, Hubert
Marischka, in welchem er diesen darum bat, alle groß angelegten Feierlichkeiten
nach vorne, auf den Premierenabend seines Land des Lächelns, zu verlegen, da
diese Gelegenheit genug Anlass zum Feiern bieten würde. Allerdings stellten
währenddessen die Geschwister Rotter zu Ehren des Komponisten einen Zyklus
seiner Werke auf die Bühne. Im September ergab sich für die Stadt Wien trotzdem
die Möglichkeit, offiziell ihren Dank zu bekunden: Unter der Leitung des Komponisten
spielten die Wiener Philharmoniker ein nur aus seinen Werken bestehendes
Programm, bei dem alle anwesend waren, die in der Stadt Rang und Namen hatten.
Im Oktober war Lehár wieder in Budapest, wo er die Friederike in Király Theater
vorstellte, hier mit Hanna Honthy in der Hauptrolle. Im Dezember folgte dann die
ungarische Premiere vom Land des Lächelns im Budapester Opernhaus.
Das letzte Bühnenwerk: Giuditta
Lehár war sein Leben lang auf der Suche nach einem Opernlibretto. Im Herbst 1931
wurde die Idee geboren, eine opernartige Operette zu schreiben, die auf die
berühmte Sopranistin Maria Jeritza zugeschnitten war. Die Sängerin war gerne
bereit, in einem Lehár-Werk zu singen und erhielt gut drei Dutzend Libretti, von
denen sie eines aussuchte und dem Komponisten übergab. Dieses war nicht
sonderlich gut, sodass Lehár die Idee wieder verwarf. 1932 überreichten ihm Paul
Knepler und Fritz Löhner ein Libretto-Fragment, dass Lehár sofort begeisterte. Das
Stück hätte ursprünglich den Namen Giulietta tragen sollen und war für die Berliner
Bühne vorgesehen, jedoch ergab sich 1934 die Möglichkeit, die Premiere in der
Wiener Oper zu feiern, infolgedessen das Stück am 20. Januar dort unter dem
Namen Giuditta uraufgeführt wurde. Das Publikum empfing die Vorstellung, die vom
Radio übertragen wurde, mit lauten Ovationen.
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Andrea Nagyová
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Die politischen Ereignisse der Zeit wirkten sich auch auf Lehárs Arbeit aus, da die
Besucherzahlen an den Theatern zurückgingen. Als 1935 das Theater an der Wien
schloss, flog eine Finanzaffäre des Verlags von Hubert Marischka auf, bei dem die
Operetten Lehárs verlegt wurden. Die Firma wurde daraufhin aufgelöst und es kam
zu einer Vereinbarung mit Marischka: Lehár erhielt die Rechte all seiner Werke
zurück und darüber hinaus alle Noten, die in irgendeiner Weise mit seinem Schaffen
in Verbindung standen. All dies ließ er in seine Wohnung in der Theobaldgasse
bringen und gründete am 25. Februar 1935 seinen eigenen Verlag, den GlockenVerlag. Das Jahr verbrachte er mit Dirigieren und Arbeiten rund um seinen Verlag. In
dieser Zeit wurden auch verschiedene seiner Werke verfilmt: Frasquita mit Jamila
Nowotna, Hans Heinz Bollmann und Heinz Rühmann in den Hauptrollen. Im selben
Jahr drehte in Hollywood Ernst Lubitsch eine Filmversion von der Lustigen Witwe,
hier standen Jeanette MacDonald und Maurice Chevalier vor der Kamera.
Für Lehár waren die Vorstellungen in Deutschland von ganz besonderer Bedeutung,
da er einen Großteil seiner Einnahmen von dort bezog. Es ist daher verständlich,
dass er alles unternahm, um wieder dort aufgeführt zu werden – leider blieben seine
Bemühungen ohne großen Erfolg.
1937 reiste Lehár nach Berlin, wo eine Neubearbeitung des Grafs von
Luxemburg – unter der Leitung des Komponisten – vorgestellt wurde. Danach fuhr er
nach Brüssel zur dortigen Vorstellung des Zarewitsch und schließlich nach Paris, wo
seine Kinderoperette Peter und Paul reisen ins Schlaraffenland gezeigt wurde.
Darauf begab er sich nach Algier, wo er Das Land des Lächelns dirigierte, danach
kehrte er nach Paris zurück, zur Premiere von Giuditta. Danach musste er nach
London zur Erstaufführung von Paganini. Nach der erschöpfenden Tournee wollte er
sich nach Bad Ischl zum Komponieren zurückziehen, doch leider machte eine
Plagiatsaffäre diese Pläne zunichte. Eine Dame behauptete, Lehár habe die Giuditta
in Wahrheit nach einem von ihr verfassten Libretto vertont. Dies traf den
Komponisten besonders hart, da er gerade dabei war, seinen Ruf in Deutschland, wo
man seine Werke boykottierte, zu verbessern. Um Klarheit zu schaffen, ließ es sich
nicht vermeiden, vor Gericht zu gehen, wo Lehár zwar Recht bekam, die Frau aber
weiterhin auf ihrer Version bestand, sodass der Komponist ein Verfahren wegen
Verleumdung gegen sie einleitete. Letztlich wurde die Frau schuldig gesprochen und
die Affäre war somit beendet.
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1938 wurde Lehár angesichts der zunehmenden Nazi-Diktatur von Freunden dazu
ermutigt, eine Emigration in Erwägung zu ziehen. Jedoch war er sehr stark in
Österreich verwurzelt: Seine Residenz und sein Verlag waren in Wien, außerdem
hatte er noch seine Villa in Bad Ischl, weshalb er sich nicht zum Auswandern
durchringen konnte. Außerdem war er sich dessen bewusst, dass er in den USA
keine sicheren Einnahmequellen haben würde, zumal es dort keine Operettentheater
gab.
Die Zeit des Zweiten Weltkrieges
Nach der Besetzung Österreichs wurde die Familie Lehár von der Gestapo
überwacht. Vor allem sein Bruder Antal wurde immer wieder wegen kritischer
Äußerungen zur Besetzung Belgiens verhört. Lehár zog sich in seine Villa in Bad
Ischl zurück, wo er sich in Sicherheit wähnte, allerdings kamen die Männer von der
Gestapo auch dort zu ihm und nahmen seine Frau wegen ihrer jüdischen Herkunft
fest. Dank einiger wichtiger politischer Kontakte gelang es ihm, seine Frau zu retten.
Ab dem Zeitpunkt lebte er in permanenter Angst in der Lehár-Villa und ließ seine
Frau, um deren Gesundheit es nicht allzu gut bestellt war, nicht mehr aus den Augen.
Im Winter 1942–43 reiste er nach Budapest, um dort im Opernhaus eine leicht
abgewandelte Version der Zigeunerliebe zu inszenieren. Das Libretto wich völlig vom
Original ab, es wurde von Innocent Ernő Vincze verfasst. Nach der erfolgreichen
Premiere verschlechterte sich Lehárs gesundheitlicher Zustand drastisch, seine
Krankheit zog sich über mehrere Monate hin. 1943 wurde er mit dem Corvin-Kranz
ausgezeichnet. Kurz nach der Befreiung Österreichs, im Jahr 1944, wurde seine Frau
ebenfalls krank. Da es in Österreich zu der Zeit sehr schwer war, Medikamente zu
bekommen, entschlossen sie sich, nach Zürich zu ziehen.
Die Familie Lehár kam im Januar 1946 in Zürich an, wo sie im Hotel Baur au
Lac eine Suite bezogen. Allmählich kamen sie wieder zu Kräften und Lehár wandte
sich wieder der Leitung seines Verlages zu. Indessen erhielt er zahlreiche
Einladungen aus dem Ausland – unter anderem aus Rio de Janeiro und aus Paris –
allerdings musste er auf seine Gesundheit und die seiner Frau Rücksicht nehmen
und sagte überall ab. Im März 1947 erhielt er Besuch von Richard Tauber, den er seit
dem Ausbruch des Krieges nicht mehr gesehen und der ein Jahr zuvor in New York
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Masterarbeit
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Das Land des Lächelns mit großem Erfolg gesungen hatte. Obwohl Tauber tadellos
sang, fiel die Operette bei den Musikkritikern durch, da sie das modernisierte Libretto
bemängelten. Das war das letzte Treffen des Komponisten mit Tauber, der am 8.
Januar 1948 in London starb. Kurz davor feierte Lehár bei einer Vorstellung von
„Paganini“ am 28. August 1947 mit seiner Frau Sophie seinen 77. Geburtstag. Einige
Tage später brach Sophie Lehár bei einem Abendempfang tot zusammen. Der Tod
seiner Frau setzte Lehár sehr zu, seine Gesundheit verschlechterte sich
kontinuierlich. Dazu kam noch die Nachricht von der Plünderung seiner Residenz in
Nussdorf.
Noch im Februar 1948 dirigierte er in Zürich ein Gedenkkonzert für Richard
Tauber. Im Sommer kehrte er nach Bad Ischl zurück, wo man seinen schlechten
Gesundheitszustand mit Bluttransfusionen zu verbessern suchte, was aber nicht
mehr viel half, da sein Magenkrebs schon sehr weit fortgeschritten war. Am 14.
Oktober wurde er – kurz vor seinem Tod – noch zum Ehrenbürger von Bad Ischl
ernannt. Schließlich starb Lehár am 27. Oktober im Schlaf. Er wurde über mehrere
Tage in der Kirche von Bad Ischl aufgebahrt, wo mehrere tausend Menschen von
ihm Abschied nahmen. Am 30. Oktober wurde er mit einem Requiem feierlich
verabschiedet und in der Familiengruft in Bad Ischl beigesetzt. Seinem letzten
Wunsch gemäß wurde bei seinem Begräbnis vom Bergarbeiter-Orchester das
Wolga-Lied gespielt.
8. Die Theater
Damit eine Theatergattung sich etablieren kann, ist die erste Voraussetzung
das Vorhandensein eines entsprechenden Theatergebäudes. In den 60er Jahren des
19. Jahrhunderts erwies sich das alte Nationaltheater als zu klein, um darin sowohl
Drama, Oper, Volksstücke und Operette aufzuführen, daher beschloss man, ein
neues Theater – ausschließlich für Volksstücke und Operette – zu bauen. Es sollte
ein groß angelegtes Theater an der Ecke der Großen Ringstraße und der Rákóczi
Straße (am heutigen Blaha-Lujza-Platz) sein, wofür Jenő Rákosi das berühmte
Architektenduo Fellner und Helmer beauftragte. Nach ihren Plänen entstand ein
großes und repräsentatives Theatergebäude im Stil der österreichisch-ungarischen
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Andrea Nagyová
Masterarbeit
Matr: 0673107
Doppelmonarchie, das am 15. Oktober 1875 unter dem Namen „Népszínház”92
eröffnet wurde. Dieses Theater war die erste richtige Heimat der Operette in Ungarn
und der erste Direktor war Jenő Rákosi. Ihm folgten in den Jahren 1881 bis 1897
Lajos Evva und Kálmán Porzsolt (1897–1907) nach. 1908 wurde das Theater in
„Nemzeti Színház”93 umbenannt – diesen Namen trug es bis 1965.
Abbildung 10
Ein weiteres Theater, in dem auch Operetten aufgeführt wurden, war das Theater in
Buda. Es war in einem ehemaligen Stallgebäude aus der Zeit König Matthias
Corvinus I. untergebracht und stand in den Jahren 1861 bis 1861 sowie 1867 bis
1870 unter der Leitung von György Molnár.
Aber auch nach 1870 musste das Publikum von Buda nicht lange ohne Theater sein,
denn am 6. November 1903 eröffnete das Király Theater unter der Leitung von
László Beöthy. Es logierte im ehemaligen Gebäude des Orpheum an der Király
Straße 71, das nach den Plänen von Somossy umgebaut wurde. Dort fanden
zahlreiche Aufführungen von historischer Bedeutung statt, so wurde z. B. im Jahre
1904 „János Vitéz“ von Pongrác Kacsóh uraufgeführt – ein Ereignis, dem 689 weitere
erfolgreiche Aufführungen folgten.
Bis zum Jahr 1925 war das Király Theater – aufgrund des ausgezeichneten
wirtschaftlichen und künstlerischen Instinkts seines Direktors – das beliebteste und
92
93
Volkstheater.
Nationaltheater.
88
Andrea Nagyová
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erfolgreichste Operettentheater in Budapest. Zwischen 1918 und 1925 wurde es als
Teil der Únió GmbH betrieben, dessen Leiter ebenfalls Beöthy war. Nach der Pleite
der Únió GmbH wurde Jenő Faludi der Direktor; dem im September 1929 Ödön
Lázár nachfolgte. Drei Jahre später übernahm Aurél Földi die Leitung, von 1934–
1935 folgten ihm Ignác Zoltán und Sándor Varga nach, schließlich wurde das Király
Theater von 1935 bis zum Schluss von Artúr Spitz geleitet.
Diese außergewöhnliche Erfolgsgeschichte nahm allerdings 1936 ein Ende. Der
Niedergang und das Ende des Király Theaters war bedingt durch den
kontinuierlichen Niveauverfall, der sich über Jahre hingezogen hatte. Die Fassade
des Gebäudes wurde 1941 abgerissen. Die ruhmreichste Phase hatte das Király
Theater unter der Leitung von Beöthy. Mitglieder des Theaterensembles waren u. a.
Sári Fedák, Emmy Kosáry, Elza Szamosi, Juci Lábass, Vilma Medgyaszay, Nusi
Somogyi, Irén Biller, Béla Környei, Márton Rátkai, Ákos Ráthonyi und Árpád Latabár.
Wichtige Uraufführungen von Operetten waren z. B.:
Viktor Jacobi: Heiratsmarkt, Sybill; Jenő Huszka: Gül Baba; Ferenc Lehár: Die
lustige Witwe, Imre Kálmán: Der Graf von Luxemburg, Die Csárdásfürstin, Bajader,
Albert Szirmai: Mágnás Miska, Honigkuchen.
Abbildung 11
Das komische Theater, das städtische Theater und das Volksoperntheater
Das Gebäude wurde im Jahr 1911 auf dem damaligen Tisza-Kálmán-Platz
(heute Köztársasági Tér94) erbaut; heute beherbergt es das Erkel Theater. Die
Architekten waren Géza Márkus, Dezső Jakab und Marcell Komor; der Direktor des
94
Platz der Republik.
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Hauses wurde der Dirigent Dezső Márkus. 1917 übernahm Gábor Faludi das
Theater und benannte es in „Städtisches Theater“ um; 1953 erhielt es den Namen
„Erkel Theater“. Beide Male wurde es umgebaut, sodass es schließlich Ungarns
größtes Theatergebäude wurde – pro Abend konnte es knapp 3000 Zuschauer
aufnehmen.
Abbildung 12
Außerdem gab es noch folgende Schauspielhäuser, in denen ebenfalls Operetten
gespielt wurden:
 Fővárosi Operettszínház95
 Petőfi Színház96
 Royal Orfeum
 Budai Színház97
95
Großes Operettentheater.
Petőfi Theater.
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Budaer Theater.
96
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9. Zusammenfassung
Was war letztendlich das Geheimnis des ungebrochenen Erfolges der Operette?
Ohne Zweifel war es die Mischung aus Romantik, Fröhlichkeit, Eleganz, melodiöser
Musik, eindrucksvollen Kulissen und glänzenden Kostümen, die zu ihrem
Jahrhunderte übergreifenden Erfolg beitrug. Vermutlich war in Zeiten des Krieges die
Sehnsucht nach einem Ausweg ein entscheidender Faktor, dass die Menschen ins
Operettentheater flüchteten. Wie aber konnte die Csárdásfürstin noch 50 bis 70
Jahre nach dem Tod von Hanna Honthy, im Zeitalter der Rockmusik und der
modernsten Musicals, ihren Zauber bewahren? Die Antwort ist wohl in der
Kombination von Musik, Tanz und Text bzw. in der Ambivalenz des ganzen Werkes
zu suchen. Denn in der Operette konnte man Märchen, Wunder, wahrhaftige
Erfolgsgeschichten, Reichtum, Ehe und Glück vorfinden, andererseits konnte sie
auch als Parodie von alldem angesehen werden. Man ging in dem Glauben ins
Theater, dass die gesellschaftliche Ordnung und der triste Alltag für einen Moment
aufgehoben werden könnten. Außerdem war im Theater auch das möglich, was im
realen Leben verboten oder sogar gefährlich war: Kritik zu üben und dabei die
Bürokratie, die Generäle, Adelige und die gesamte bestehende Gesellschaft zu
verhöhnen. In welchem Ausmaß dieses Sehnen und diese falsche Illusion vorhanden
waren, belegt eine der berühmtesten Einlagen der Csárdásfürstin: „Túl az
Óperencián boldogok leszünk, [...] túl az Óperencián béke vár reánk."98
Die aus theaterhistorischer Sicht bedeutendste Schauspielerin, die zur Verbreitung
dieser Gattung beitrug, war ohne Zweifel Lujza Blaha. Der erste Meister der
ungarischen Operette, József Konti, wurde in Warschau geboren und kam aus Wien
nach Budapest. Er schuf die für Hosenrollen konzipierten Operetten, die Lujza Blaha
ihren großen Erfolg ermöglichten. 1884 wurde „Der lebendige Teufel“, das erste,
tatsächlich bedeutende Werk dieses Genres, zum ersten Mal gezeigt; auf derselben
Grundlage entstanden auch „Suhanc“ und „Kópé“.
Der nächste Erfolg war ebenfalls einer Schauspielerin zu verdanken, die
hauptsächlich auf Hosenrollen spezialisiert war: Im Dezember des Jahres 1902
feierte Jenő Huszka die Premiere von „Prinz Bob“, in dessen Hauptrolle Sári Fedák,
98
„Weit über dem Ozean werden wir glücklich sein, […] weit über dem Ozean wartet Frieden auf uns.”
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eine der bedeutendsten Primadonnen der Zeit zu sehen und zu hören war. Obwohl
diese Operette noch nicht die Erfolge ihrer Nachfolger (zum Beispiel derer von Imre
Kálmán) erreichen konnte, war sie doch die erste international anerkannte und
gefragte Vertreterin ihrer Gattung. Zu Jenő Huszkas größten Erfolgen zählen „Gül
Baba“, „Baronesse Lili“, „Die Schöne Müllerin“, „Freiheit, Liebe“ und „Leutnant Maria“.
Die bekannteste ungarische Operette blieb ohne jeden Zweifel die „Csárdásfürstin“
von Imre Kálmán, deren Erfolg bis heute ungebrochen ist. Nach der Premiere, die
während des Ersten Weltkrieges stattfand – mit Árpád Latabár in der Rolle des Ferkó
Kerekes – behaupteten die Zeitungen: „Die ganze Welt schallt aus zwei Gründen:
wegen den Kanonenschlägen und wegen der Csárdásfürstin“.99
Die Operette als Gattung ist aber bis zum heutigen Tage noch vorhanden, auch
wenn sie einiges an Glanz einzubüßen hatte. Sie war die Modegattung der frühen
Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts, ihr Ziel ist bis heute das Gleiche geblieben: Die
ungezwungen-heitere Unterhaltung.
Im 20. Jahrhundert gab es allerdings noch einen weiteren ungarischen Komponisten:
Franz Lehár. Allerdings kann man Lehár nur geografisch als Ungarn betrachten. Er
wurde in Komárom geboren und studierte am Prager Konservatorium (unter anderem
bei Dvořák). Seine jungen Jahre, die er in slowakischen, ungarischen, italienischen
und slowenischen Städten zubrachte, machten ihn zu einem multinationalen
Weltbürger – und das nicht nur im allgemeinen, sondern vor allem im musikalischen
Sinne. Dies beweist sein erster großer Erfolg Der Rastelbinder (1902), der im
slowakischen Milieu seinen Ausgang nimmt und in Wien endet – eine besondere
Mischung aus Volksstück und Operette. Seine Operetten spielen in verschiedenen
Ländern, wobei Lehár die musikalische Atmosphäre des jeweiligen Landes zum
Leben zu erwecken versucht. Die Zigeunerliebe spielt in Ungarn, Das Land des
Lächelns in China. Lehárs Talent wird durch die Charakterisierung Puccinis deutlich
gemacht: „Hätte sich Lehárs Interesse den Opern zugewendet, wäre er mein größter
Widersacher gewesen“.100
99
Gál György, Somogyi: Operettek könyve, S. 217.
100
Otto Schneiderei: Lehár Ferenc, S. 50.
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Andrea Nagyová
Masterarbeit
Matr: 0673107
10. Literaturverzeichnis
Faragó, Jenő: Szinház és Divat, Budapest 1916.
Gál György, Sándor, Somogyi, Vilmos: Operettek könyve, Budapest 1976.
Kálmán, Vera: Emlékszel még, Kálmán Imre élete, Budapest 1985.
Németh, Amadé: A magyar operett története, Debrecen 2001.
Rátonyi, Robert: Operett 1, Budapest 1984.
Gál, Róbert: Délibábos Hortobágyon, Huszka Jenö élete és müvei, Budapest 2010.
Batta, András: Álom, álom, édes álom, Budapest 1992.
Csáky, Móric: Az operett ideologiaja és a bécsi modernség, Budapest 1999.
Rátonyi Róbert: Az operett csillagai I., Budapest, 1964
Rátonyi Róbert: Az operett csillagai II., Budapest, 1964
Otto Schneiderei: Lehár Ferenc, Berlin 1984
Szénássy Zoltán. Lehár Ferenc, Bratislava 1995
11. Verzeichnis der Abbildungen
Abbildung 1: http://www.europeana.eu, 12.05.2012.
Abbildung 2: http://www.pszeudo.hu, 12.05.2012.
Abbildung 3: http://www.europeana.eu, 12.05.2012.
Abbildung 4: http://www.google.at , 03.06.2012.
Abbildung 5: http://users.atw.hu, 03.06.2012.
Abbildung 6: http://www.google.at, 04.06.2012.
Abbildung 7: http://www.google.at, 04.06.2012.
Abbildung 8: http://users.atw.hu, 04.06.2012.
Abbildung 9: http://users.atw.hu, 05.06.2012.
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Andrea Nagyová
Masterarbeit
Matr: 0673107
Abbildung 10: http://www.andreas-praefcke.de, 08.07.2012.
Abbildung 11: http://retronom.hu, 08.07.2012.
Abbildung 12: http://tbeck.beckground.hu, 08.07.2012.
12. Internetseiten
www.wikipedia.de, 22.11.2011.
www.wikipedia.hu, 22.11.2011.
www.operett.lap.hu, 08.12.2011.
www.mek.oszk.hu, 08.12.2011.
www.kalmanimre.lap.hu,10.02.2012.
www.szineszkonyvtar.hu,10.02.2012.
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