Der Raum in Philosophie, Physik und Psychologie Olaf Engler Moritz-Schlick-Forschungsstelle des Instituts für Philosophie der Universität Rostock Zentrum für Logik, Wissenschaftstheorie und Wissenschaftsgeschichte (ZLWWG) Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte Berlin Rostock, 10. Januar 2008 Was bedeutet wissenschaftliche Philosophie? Wissenschaftliche Philosophie bedeutet … • eine Epoche, die vom Beginn der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bis zu den Anfängen der philosophischen Moderne in den 30er Jahre des 20. Jahrhunderts reicht • ein philosophisches Konzept, das auf derselben Erfahrungsbasis wie die empirischen Wissenschaften stehend, diese systematisierend im Hinblick auf ihre vorauszusetzenden, gleichwohl aber wandelbaren und dynamischen Prinzipien untersucht Wodurch wurde die wissenschaftliche Philosophie bestimmt? Wissenschaftliche Philosophie wurde bestimmt … • durch eine ganzen Reihe von Grundlagenkrisen und radikale Revolutionen in den Wissenschaften (Relativitäts- und Quantentheorie, Mathematik, Wahrnehmungspsychologie …) • durch eine große Anzahl von Philosophen, die in engem Austausch mit den empirischen Wissenschaften standen (Hermann von Helmholtz, Friedrich Albert Lange, Oswald Külpe, Ernst Mach, Joseph Petzoldt, Richard Avenarius, Alois Riehl, Carl Stumpf, Wilhelm Wundt, Bertrand Russell, Henri Poincaré, Pierre Duhem, Ernst Cassirer, Moritz Schlick, Hans Reichenbach, Rudolf Carnap, Ludwig Wittgenstein und viele andere) Martin Heidegger zur Psychologie und wissenschaftlichen Philosophie • enthusiastische Auseinandersetzung mit den teils revolutionären Resultaten der empirischen Wissenschaften innerhalb der Philosophie • interdisziplinäre Forschung und Wissenstransfers Martin Heidegger (1889–1976) „Der Aufschwung der psychologischen Forschung, die Reichhaltigkeit ihrer Ergebnisse ist heute unumstritten. Die Erfolge beschränken sich aber nicht auf den engen Bezirk der Psychologie. Ethische und ästhetische Untersuchungen, Pädagogik und Rechtspraxis suchen Vertiefung und Klärung durch die Psychologie. Und faßt man deren Begriff weiter, dann zeigt auch die moderne Literatur und Kunst Einflüsse psychologischen Denkens. So erklärt sich das Wort vom „Zeitalter der Psychologie“. Es wäre nun kaum verwunderlich, wenn dieser allgemeine Einfluß der Psychologie nicht auch auf die Philosophie, speziell die Logik als die „Lehre von Denken“, sich erstreckt hätte. Das Verhältnis liegt aber gerade umgekehrt. Der Antagonismus zwischen psychologischer und transzendentaler Methode innerhalb des kritischen Idealismus, näherhin die lange vorherrschende, durch Schopenhauer, Herbart, Fries begründete und begünstigte psychologische Interpretation Kants hat zugleich mit der aufstrebenden und zu Weltanschauungskonstruktionen hinstrebenden Naturwissenschaft die Psychologie zu der umfassenden und bestrickenden Bedeutung hinaufgehoben und eine „Naturalisierung des Bewußtseins“ bewirkt.“ Martin Heidegger, Die Lehre vom Urteil im Psychologismus. Ein kritisch-positiver Beitrag zur Logik,1913, S. 5. Moritz Schlick zur Physik und wissenschaftlichen Philosophie Moritz Schlick (1882–1936) „In unsern Tagen ist die physikalische Erkenntnis zu einer solchen Allgemeinheit ihrer letzten Prinzipien und zu einer solchen wahrhaft philosophischen Höhe ihres Standpunktes hinaufgestiegen, daß sie an Kühnheit alle bisherigen Leistungen wissenschaftlichen Denkens weit hinter sich läßt. Die Physik hat Gipfel erreicht, zu denen sonst nur der Erkenntnistheoretiker emporschaute, ohne sie jedoch immer ganz frei von metaphysischer Bewölkung zu erblicken. Der Führer, der einen gangbaren Weg zu diesen Gipfeln zeigte, ist Albert Einstein. Er reinigte durch eine erstaunlich scharfsinnige Analyse die fundamentalsten Begriffe der Naturwissenschaft von Vorurteilen, die durch all die Jahrhunderte unbemerkt geblieben waren, begründete so ganz neue Anschauungen und schuf auf ihrem Boden eine physikalische Theorie, die der Prüfung durch die Beobachtung zugänglich ist. Die Verbindung der erkenntniskritischen Klärung der Begriffe mit der physikalischen Anwendung, durch die er seine Ideen sofort in empirisch prüfbarer Weise nutzbar machte, ist wohl das Bedeutsamste an seiner Leistung, und bliebe es selbst dann, wenn das Problem, das Einstein mit diesen Waffen angreifen konnte, auch nicht gerade das Gravitationsproblem gewesen wäre, jenes hartnäckige Rätsel der Physik, dessen Lösung uns notwendig tiefe Einblicke in den Zusammenhang des Universums gewähren mußte.“ Moritz Schlick, Raum und Zeit in der gegenwärtigen Physik, 1917, S. 1 Richard Avenarius und Friedrich Paulsen zur wissenschaftlichen Philosophie „[…] dass das Wesen der Wissenschaft, im Gegensatz zur Kunst, im Material liegt und dieses durch die Erfahrung gegeben sein muss. Das und nichts weiter bedeutet auch der Ausdruck „wissenschaftliche Philosophie“ – nämlich eine Philosophie, die nicht nur formal, sondern ihrem Wesen nach, d.h. durch den empirischen Charakter ihrer Objecte, Wissenschaft ist; da es wiederum das Wesen der Wissenschaft ist, empirisch fundamentirt zu sein.“ Richard Avenarius, „Einführung“, in: Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie, Jg. 1, 1877, S. 6 f. Richard Avenarius (1843–1896) „Philosophie ist von den Wissenschaften nicht zu trennen, sie kann begrifflich nur bestimmt werden als der Inbegriff wissenschaftlicher Erkenntnis. Alle Wissenschaften sind Glieder eines einheitlichen Systems, […] , deren Gegenstand die gesamte Wirklichkeit ist. Dieses nie vollendete System, an dem die Jahrtausende bauen, das ist die Philosophie.“ Friedrich Paulsen, Einleitung in die Philosophie, 1904, S. 18 f. Friedrich Paulsen (1864–1908) Wer war der erste wissenschaftliche Philosoph? „Sieht sich die moderne Naturwissenschaft durch die logische Allgemeinheit ihrer Prinzipien genötigt, wieder innigste Fühlung mit der Philosophie zu nehmen, so ist ihr Helmholtz in einer unphilosophischen Zeit darin vorausgegangen: sein Name ist das Sinnbild einer fruchtbaren Vereinigung der Wissenschaft mit einer erkenntnistheoretisch orientierten Philosophie […].“ Hermann von Helmholtz, Schriften zur Erkenntnistheorie, hrsg. von P. Hertz und M. Schlick (1921), S. VI f. Hermann von Helmholtz (1821–1894) Hermann von Helmholtz (1821–1894) • Geboren am 31. August 1821 in Potsdam • naturwissenschaftliches Interesse bereits in der Schulzeit • 1838–1842 Studium der Medizin in Berlin (einflußreichster Lehrer: Johannes Müller) • Anstellung an der Charité, 1842 Doktor der Medizin • 1845 Mitglied der „Physikalischen Gesellschaft“ • 1849 Professor für Physiologie in Königsberg • 1850 Erfindung des Augenspiegels • 1855 Professor für Anatomie und Physiologie in Bonn, ab 1858 in Heidelberg (Forschungen zur Geometrie) • 1871 Professor für Physik in Berlin • 1888 Präsident der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt • zahlreiche wissenschaftsphilosophische Vorträge und Aufsätze • Gestorben am 8. September 1894 Hermann von Helmholtz über die Philosophie „Ich glaube, dass der Philosophie nur wieder aufzuhelfen ist, wenn sie sich mit Ernst und Eifer der Untersuchung der Erkenntnisprocesse und der wissenschaftlichen Methoden zuwendet. Da hat sie eine wirkliche und berechtigte Aufgabe. Metaphysische Hypothesen auszubauen ist eitel Spiegelfechterei. Zu jener kritischen Untersuchung gehört aber vor Allem genaue Kenntniss der Vorgänge bei den Sinneswahrnehmungen […]. Die Philosophie ist unverkennbar deshalb in‘s Stocken gerathen, weil sie ausschliesslich in der Hand philologisch und theologisch gebildeter Männer geblieben ist und von der kräftigen Entwickelung der Naturwissenschaften noch kein neues Leben in sich aufgenommen hat […].“ zitiert nach Leo Königsberger, Hermann von Helmholtz, Bd. 1, S. 243 Hermann von Helmholtz über Immanuel Kant „Die Kantianer strictester Observanz betonen vor Allem die Punkte, wo Kant meines Erachtens unter der unvollkommenen Entwickelung der Specialwissenschaften seiner Zeit gelitten und sich in Irrthümer verwickelt hat. Der Kernpunkt dieser Irrthümer sind die Axiome der Geometrie, die er für a priori gegebene Formen der Anschauung ansieht, die aber in der That Sätze sind, die durch Beobachtung geprüft und, wenn sie unrichtig wären, eventuell auch widerlegt werden könnten. Dies letztere habe ich zu erweisen gesucht. […] Meines Erachtens darf man, was Kant Grosses geleistet hat, nur halten, wenn man seinen Irrthum über die rein transcendentale Bedeutung der geometrischen und mechanischen Axiome fallen läßt.“ zitiert nach Leo Königsberger, Hermann von Helmholtz, Bd. 2, S. 139 f. Immanuel Kant über den Raum • Kritik der reinen Vernunft 1781 (A), 2. Aufl. 1787(B) klärt Bedingungen der Möglichkeit von Erfahrungserkenntnis • Wie ist begriffliches Urteilen über sinnlich gegebene Dinge möglich? • „Kopernikanische Wende“ (Erkenntnisgegenstand existiert nicht unabhängig von unseren Urteilen) • transzendentaler Schematismus des Verstandes (Kritik der reinen Vernunft, A 137 ff./B 176 ff.) reine Begriffe müssen raum-zeitlich schematisiert, d.h. durch die reinen Anschauungsformen von Raum und Zeit vermittelt werden, um anwendbar zu sein auf sinnlich gegebene Inhalte Immanuel Kant (1724–1804) • Raum als reine Form der Anschauung in bezug auf die äußere Sinnlichkeit; als apriorische Struktur unseres Urteilsvermögens „In der Tat liegen unsern reinen sinnlichen Begriffen nicht Bilder der Gegenstände, sondern Schemata zum Grunde. Dem Begriffe von einem Triangel überhaupt würde gar kein Bild desselben jemals adäquat sein. Denn es würde die Allgemeinheit des Begriffs nicht erreichen, welche macht, daß dieser für alle, recht- und schiefwinklichte etc. gilt, sondern immer nur auf einen Teil dieser Sphäre eingeschränkt sein. Das Schema des Triangels kann niemals anderswo als in Gedanken existieren, und bedeutet eine Regel der Synthesis der Einbildungskraft, in Ansehung reiner Gestalten im Raume. Noch viel weniger erreicht ein Gegenstand der Erfahrung oder Bild desselben jemals den empirischen Begriff, sondern dieser bezieht sich jederzeit unmittelbar auf das Schema der Einbildungskraft, als einer Regel der Bestimmung unserer Anschauung, gemäß einem gewissen allgemeinen Begriffe. […] Dieser Schematismus unseres Verstandes, in Ansehung der Erscheinungen und ihrer bloßen Form, ist eine verborgene Kunst in den Tiefen der menschlichen Seele, deren wahre Handgriffe wir der Natur schwerlich jemals abraten, und sie verdeckt vor Augen legen werden.“ Kant, Kritik der reinen Vernunft, A 140 f./B 180 f. Auseinandersetzung mit Kants Lehre über den Raum Raum als reine Form der Anschauung ausgezeichnet Mathematische Alternativen zum mit Allgemeingültigkeit und Kantischen Raum Notwendigkeit (Apriorismus) Kantische Raum ist keine besondere subjektive Anschauung Sensualistische Zeichentheorie a priori Raumanschauung stammt aus der Raumanschauung ist angeboren (messenden) Erfahrung (Nativismus) (Empirismus) Immanuel Kant (1724–1804) Hermann von Helmholtz (1821–1894) Implizite Definition von geometrischen Begriffen (Punkt, Gerade, Ebene) Strikte Trennung zwischen Anschauung und Begriff (Formalismus) David Hilbert (1862–1943) Transformation des Raumkonzepts Eindeutigkeit der Zuordnung von Meßgrößen zu Punktereignissen über raum-zeitliche Koinzidenzen Raum als abstrakte (unanschauliche) Ordnungsstruktur, die gemeinsam mit den wissenschaftlichen Hypothesen gewählt und überprüft wird Moritz Schlick (1882–1936) Albert Einstein (1879–1955) Carl Stumpf (1848–1936) Raum als Festsetzung unter der Maßgabe der Einfachheit (Konventionalismus) Henri Poincaré (1854–1912) Kants erstes Argument für die subjektive Besonderheit der Raumvorstellung und seine Kritik durch Stumpf • kritische Diskussion der psychologischen Seite der Kantischen Raumauffassung • Vorstellung des Raumes in der besonderen Weise einer subjektiven Anschauung a priori im Unterschied zu den sinnlichen Qualitäten ist problematisch Erste Argument für die subjektive Besonderheit der Raumvorstellung „Der Raum ist kein empirischer Begriff, der von äußeren Erfahrungen abgezogen worden. Denn damit gewisse Empfindungen auf etwas außer mir bezogen werden (d.i. auf etwas in einem andern Orte des Raumes, als darinnen ich mich befinde,) imgleichen damit ich sie als außer und neben einander, mithin nicht bloß verschieden, sondern als in verschiedenen Orten vorstellen könne, dazu muß die Vorstellung des Raumes schon zum Grunde liegen.“ Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft, A 23/B 38 Kant meint , „dass wir bei der Vorstellung zweier Orte die Zwischenorte mitvorstellen. […] Dass wir nun aber, wenn wir zwei Orte vorstellen, die Zwischenorte (den Zwischenraum) mitvorstellen, scheint dies nicht in der That einen Unterschied von den Qualitäten zu begründen? Niemand denkt, um Roth und Blau vorzustellen, etwa an die dazwischen liegenden Regenbogenfarben.“ Carl Stumpf, Über den psychologischen Ursprung der Raumvorstellung, S. 16 f. Nein, denn: 1) verschiedene Orte kann man erkennen, ohne den Zwischenraum zu bemerken („blinder Fleck“) 2) Messung der Entfernung zwischen zwei Orten setzt nicht nur bei räumlichen Abständen gesetzmäßige Zwischenglieder voraus (z.B. Töne, auch diese haben eine gesetzmäßige Reihe) Kants zweites Argument für die subjektive Besonderheit der Raumvorstellung und seine Kritik durch Stumpf Zweite Argument Kants für die subjektive Besonderheit der Raumvorstellung „Der Raum ist eine notwendige Vorstellung, a priori, die allen äußeren Anschauungen zum Grunde liegt. Man kann sich niemals eine Vorstellung davon machen, daß kein Raum sei, ob man sich gleich ganz wohl denken kann, daß keine Gegenstände darin angetroffen werden. Es wird also als die Bedingung der Möglichkeit der Erscheinungen, und nicht als eine von ihnen abhängende Bestimmung angesehen, und ist eine Vorstellung a priori, die notwendiger Weise äußeren Erscheinungen zum Grunde liegt.“ Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft, A 24/B 38 f. Kant meint , „die Qualitäten können wir hinwegdenken, den Raum nicht.“ Carl Stumpf, Über den psychologischen Ursprung der Raumvorstellung, S. 16 f. Nein, denn: „Der angegebene Unterschied besteht factisch nicht; man kann durchaus nicht Raum ohne Qualität vorstellen, z.B. mit dem Gesichtssinn nicht ohne Farbe, mit dem Tastsinn nicht ohne Berührungsgefühle, abgetrennt aber von allen Sinne überhaupt nicht. Wer wirklich das Kant‘sche genau auszuführen versucht, indem er alle Qualitäten, insbesondere alle Farben, auch schwarz und grau, hinwegdenkt, dem bleibt nicht der Raum sondern Nichts übrig.“ Carl Stumpf, Über den psychologischen Ursprung der Raumvorstellung, S. 19 f. • Raumvorstellung besitzt keine besondere subjektive Quelle unabhängig von den räumlich vorgestellten Qualitäten • Nativistische Position nach der die Raumvorstellung zusammen mit der Sinnesqualität, die räumlich vorgestellt wird, einen einzigen, seiner Natur nach untrennbaren Inhalt bildet Nativismus und Empirismus „Der Kern unserer Ansichten ist in den Sätzen ausgesprochen, dass der Raum in derselben Weise empfunden werde, wie die sinnlichen Qualitäten, aber mehr als sie der Ausbildung bedarf; einer Ausbildung, die jedoch gleichfalls ganz auf dem gewöhnlichen Wegen, dem der Association und der Verarbeitung durch die Phantasie und die Reflexion, vor sich geht. [...] Eine solche Ansicht nun würde man früher gegenüber der Lehre von den angeborenen Ideen oder auch von den apriorischen Formen die empiristische genannt haben. Man nennt sie jetzt die nativistische gegenüber den Ansichten, welche keine ursprüngliche Empfindung und nur eine Ausbildung des Raumes zulassen.“ Carl Stumpf, Über den psychologischen Ursprung der Raumvorstellung, S. 307 f. „Der Hauptsatz der empiristischen Ansicht ist: Die Sinnesempfindungen sind für unser Bewußtsein Zeichen, deren Bedeutung verstehen zu lernen unserem Verstande überlassen ist. Was die für den Gesichtsinn erhaltenen Zeichen betrifft, so sind sie verschieden nach Intensität und Qualität, das heißt nach Helligkeit und Farbe, und außerdem muß noch eine Verschiedenheit derselben bestehen, welche abhängig ist von der Stelle der gereizten Netzhaut, ein sogenanntes Localzeichen.“ Hermann von Helmholtz, Handbuch der Physiologischen Optik, S. 947. Hermann von Helmholtz‘s sensualistische Zeichentheorie • Empfindungen als Zeichen, nicht als Abbilder der von außen einwirkenden Reize auf die Sinnesnerven (besonderes Zeichen: Lokalzeichen, Hermann Lotze (1817–1881)) „Finden wir irgendwo Veranstaltungen getroffen, um eine Vielheit äußerer Reize in geordneten geometrischen Verhältnissen auf das Nervensystem wirken zu lassen, so sind uns solche Einrichtungen allerdings als Andeutungen wichtig, dass die Natur aus jenen räumlichen Beziehungen etwas für das Bewusstsein zu machen beabsichtigt. An sich jedoch erklären sie nichts, und es ist nothwendig, überall in den Sinnesorganen zugleich jene anderen Mittel aufzusuchen, durch welche die Lage der erregten Punkte noch neben ihrer qualitativen Erregung auf die Seele zu wirken vermag. Da nun die spätere Localisation eines Empfindungselementes in der räumlichen Anschauung unabhängig ist von seinem qualitativen Inhalt, so dass in verschiedenen Augenblicken sehr verschiedene Empfindungen die gleichen Stellen unsers Raumbildes füllen können, so muss jede Erregung vermöge des Punktes im Nervensystem, an welchem sie stattfindet, eine eigenthümliche Färbung erhalten, die wir mir dem Namen ihres Localzeichens belegen wollen.“ Hermann Lotze, Medicinische Psychologie oder Physiologie der Seele, S. 330 f. • Verarbeitung der Empfindungen durch den Wahrnehmungsapparat des Subjekts (Gesetz von den spezifischen Energien der Sinnesnerven, Johannes Müller (1801–1851)) • Erlernen der Bedeutungen der Zeichen durch Erfahrung „Unsere Empfindungen sind eben Wirkungen, welche durch äussere Ursachen in unseren Organen hervorgebracht werden, und wie eine solche Wirkung sich äussert, hängt natürlich ganz wesentlich von der Art des Apparates ab, auf den gewirkt wird. Insofern die Qualität unserer Empfindung uns von der Eigenthümlichkeit der äusseren Einwirkung, durch welche sie erregt ist, eine Nachricht giebt, kann sie als ein Zeichen derselben gelten, aber nicht als ein Abbild.“ Hermann von Helmholtz, Handbuch der Physiologischen Optik, S. 586 Kants Eintreten für die Gewissheit der Axiome der Euklidischen Geometrie und die Kritik durch Helmholtz „Auf die Notwendigkeit a priori gründet sich die apodiktische Gewißheit aller geometrischen Grundsätze, und die Möglichkeit ihrer Konstruktion a priori. Wäre nämlich diese Vorstellung des Raums ein a posteriori erworbener Begriff, der aus der allgemeinen äußeren Erfahrung geschöpft wäre, so würden die ersten Grundsätze der mathematischen Bestimmung nichts als Wahrnehmungen sein. Sie hätten also alle Zufälligkeit der Wahrnehmung, und es wäre eben nicht notwendig, daß zwischen zween Punkten nur eine gerade Linie sei, sondern die Erfahrung würde es so jederzeit lehren. Was von der Erfahrung entlehnt ist, hat auch nur komparative Allgemeinheit, nämlich durch Induktion. Man würde also nur sagen können, so viel zur Zeit noch bemerkt worden, ist kein Raum gefunden worden, der mehr als drei Abmessungen hat.“ Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft, A 24 „Wenn aber Räume anderer Art vorstellbar sind, so wäre damit auch widerlegt, daß die Axiome der Geometrie notwendige Folgen einer a priori gegebenen transzendentalen Form unserer Anschauungen im Kantschen Sinne seien.“ Hermann von Helmholtz, „Über den Ursprung und die Bedeutung der geometrischen Axiome“, S. 22 „Kant‘s Lehre von den apriori gegebenen Formen der Anschauung ist ein sehr glücklicher und klarer Ausdruck des Sachverhältnisses; aber diese Formen müssen inhaltsleer und frei genug sein, um jeden Inhalt, der überhaupt in die betreffende Form der Wahrnehmung eintreten kann, aufzunehmen.“ Hermann von Helmholtz, „Die Anwendbarkeit der Axiome auf die physische Welt“, S. 405 Hermann von Helmholtz über die Axiome des mathematischen Raum Axiome der euklidischen Geometrie • die kürzeste, zwischen zwei Punkten gezogene Linie, ist eine gerade Linie, von der es nur eine und nicht zwei verschiedene solche geraden Linien gibt • durch einen außerhalb einer geraden Linie liegenden Punkt kann nur eine einzige zu der ersten parallele Linie gelegt werden; parallel heißen zwei Linien, die in ein und derselben Ebene liegen und sich niemals schneiden („Parallelenaxiom“) Axiome der Geometrie von flachen intelligenten Wesen auf einer Kugeloberfläche • kürzeste Linie zwischen zwei Punkten ist ein Bogen des größten Kreises, der durch die beiden Punkte zu legen ist; a) kürzeste Linie ist nicht identisch mit der „geradesten“ Linie („Geodäte“); b) für den Fall das die beiden Punkte Endpunkte desselben Durchmessers der Kugel sind, gibt es unendlich viele untereinander gleiche kürzeste Linien • es gibt keine parallelen Linien Woher stammen die geometrischen Axiome? • aus der (messenden) Erfahrung Hermann von Helmholtz über Messungen „Wann immer einen die Dinge erschreckten, sei es eine gute Idee, sie zu messen.“ Alexander von Humboldt • alle uns bekannten Raumverhältnisse sind meßbar („gerade Linie als kürzeste zwischen zwei Punkten“ etc.) • das Einzelne (z.B. Punkt) ist durch n-Abmessungen bestimmbar; n-fach ausgedehnte Mannigfaltigkeit oder Mannigfaltigkeit von n-Dimensionen (Bernhard Riemann (1826– 1866)) „Alle unsere geometrischen Messungen beruhen also auf der Voraussetzung, daß unsere von uns für fest gehaltenen Meßwerkzeuge wirklich Körper von unveränderlicher Form sind oder daß sie wenigstens keine anderen Arten von Formveränderung erleiden als diejenigen, die wir an ihnen kennen, wie z.B. die von geänderter Temperatur […]. Wenn wir messen, so führen wir nur mit den besten und zuverlässigsten uns bekannten Hilfsmitteln dasselbe aus, was wir sonst durch Beobachtung nach dem Augenmaß und dem Tastsinn oder durch Abschreiten zu ermitteln pflegen. In den letzten Fällen ist unser eigener Körper mit seinen Organen das Meßwerkzeug, welches wir im Raume herumtragen. […] Hermann von Helmholtz, Über den Ursprung und die Bedeutung der geometrischen Axiome, S. 23 • Axiome der Euklidischen Geometrie besitzen keine Allgemeingültigkeit und Notwendigkeit • Empiristische Position nach der die Eigenschaftend des Raumes (Axiome der Geometrie) aus der messenden Erfahrung stammen Psychologie und Erkenntnistheorie „Aus dieser Erörterung der Bedeutung der Apriorität in der Erkenntnisstheorie geht hervor, dass Angeborensein der Vorstellungen oder Vorstellungsformen und Apriorität derselben nicht gleichbedeutend sind. Das erste bezeichnet einen Umstand ihrer Entstehung, die zweite eine Eigenschaft ihrer Bedeutung. Daher sind Nativismus und Empirismus psychologische, nicht erkenntnisstheoretische Gegensätze. Alois Riehl, Der Philosophische Kriticismus und seine Bedeutung für die positive Wissenschaft, Zweiter Band, Erster Teil, S.12 „Nativisten und Empiristen der Gegenwart, so sehr sie in der Theorie der Raumvorstellung auseinandergehen, sind doch darüber vollkommen einig, dass es unmöglich ist, Raum, Ausdehnung, Gestalt ohne irgendwelche Sinnesqualität vorzustellen.“ Carl Stumpf, „Psychologie und Erkenntnistheorie“, S. 483 Psychologie: Entstehung der Raumvorstellung nicht an eine bestimmte Sinnesqualität (z.B. Sehsinn, Tastsinn, Bewegungsinn) gebunden, sondern Ergebnis des Zusammenfallens (Koinzidenz) unterschiedlicher Sinnesqualitäten; empirische Bedingungen für die Ausbildung der Raumanschauung Erkenntnistheorie: Kants Apriorismus des Raumes als reine Form der Anschauung wird benötigt, um eine Brücke von den Begriffen zu den sinnlichen Gegenständen zu schlagen Lösung des Kantischen Überbrückungsproblem aus dem Schematismuskapitel: Übernahme der Koinzidenzmethode aus der Psychologie in die Erkenntnistheorie (und ihre erfolgreiche Anwendung auf die Physik) Neue Axiomatisierung der Geometrie Kant bedurfte für die Auszeichnung der geometrischen Axiome den transzendentalen Raum als reine Form der Anschauung (Schematismus oder Regeln zur Konstruktion räumlicher Gebilde)) „Das Schema des Triangels kann niemals anderswo als in Gedanken existieren, und bedeutet eine Regel der Synthesis der Einbildungskraft, in Ansehung reiner Gestalten im Raume.“ (Kant, KrV, A 141/B180) Wie kommen wir zu exakten geometrischen Begriffen (Punkt, Gerade, Ebene) ohne den Schematismus zu benutzen? • implizite Definition der grundlegenden geometrischen Begriffe; dabei haben die unanschaulichen Begriffe als Zeichen einem widerspruchfreien System von Axiomen zu genügen David Hilbert (1862–1943) z.B. „Der Punkt C liegt zwischen A und B auf der Geraden a“ die Worte „zwischen“ und „liegt“ haben nur den Sinn in eindeutiger und widerspruchsfreier zu verbinden; sie sollen irgendwelche Beziehungen gewisser Gegenstände A, B, C zueinander bedeuten, brauchen aber nicht gerade die Gegenstände zu bezeichnen, die wir gewöhnlich mit jenen Worten verbinden „Diese Entdeckung ist m. E. eine der allergrössten Errungenschaften des modernen Denkens, von höchster Bedeutung für die Erkenntnistheorie.“ Moritz Schlick in der Vorlesung „Grundzüge der Erkenntnistheorie und Logik“ im Ws 1911/12 an der Universität Rostock Poincarés Konventionalismus „Die geometrischen Axiome sind weder synthetische Urteile a priori [Kant] noch experimentelle Tatsache [Helmholtz]; es sind auf Übereinkommen beruhende Festsetzungen bez. verkleidete Definitionen. Die Geometrie ist keine Erfahrungswissenschaft; aber die Erfahrung leitet uns bei der Aufstellung der Axiome; sie läßt uns nicht erkennen, welche Geometrie die richtige ist, wohl aber, welche die bequemste ist.“ Henri Poincaré, Wissenschaft und Hypothese, S. IV Wissenschaftliche Theorien sind Systeme aus Hypothesen (empirischen Verallgemeinerungen) und Konventionen Henri Poincaré (1854–1912) Friedrich Albert Moritz Schlick (1882–1936) geboren am 14. April 1882 in Berlin; wohlhabendes, großbürgerliches Elternhaus; Studium der Philosophie, Naturwissenschaften und Mathematik in Berlin, Heidelberg und Lausanne; 1904 Dissertation bei Max Planck; 1907 Heirat mit der Amerikanerin Guy Blanche Hardy; 1907–1909 psychologische Studien in Zürich; 1908 Lebensweisheit. Versuch einer Glückseligkeitslehre; 1911 Habilitation an der Universität Rostock; ab 1915 Briefkontakt mit Albert Einstein, Auseinandersetzung mit der Relativitätstheorie; 1917 Raum und Zeit in der gegenwärtigen Physik; 1918 Allgemeine Erkenntnislehre; 1921 erhält Schlick eine Professur in Kiel; 1922 wird Schlick auf den Lehrstuhl für Naturphilosophie an die Universität Wien berufen; ab 1924 unter seiner Leitung Sitzungen des Wiener Kreises; 1930 Fragen der Ethik; gestorben am 22. Juni 1936 nach einem Attentat Moritz Schlick mit Tochter Barbara Franziska Blanche (1914–1988) und Sohn Friedrich Albert Moritz (1909–1999). Schlicks Erkenntnislehre und seine Methode der Koinzidenzen • strikte Unterscheidung zwischen Räumlichkeit (Raumanschauung) und Raum (Raumbegriff) • semiotischer Erkenntnisbegriff (Zeichennatur des Erkennens) • wissenschaftlichen/geometrischen Begriffe werden implizit definiert und gehen gemeinsam in ein Urteilssystem ein • Eindeutigkeit der Zuordnung von Begriffen zu Wirklichem über die Methode der raumzeitlichen Koinzidenzen „Es gilt nun, sich darüber klar zu werden, wie man von der anschaulichen räumlich-zeitlichen Ordnung zur Konstruktion der transzendenten gelangt. Es geschieht immer nach derselben Methode, die wir als die Methode der Koinzidenzen bezeichnen können. Sie ist erkenntnistheoretisch von der allerhöchsten Wichtigkeit.“ Moritz Schlick, Allgemeine Erkenntnislehre, A 234/B 249 „Die gesamte Einordnung der Dinge geschieht nun einzig dadurch, daß man derartige Koinzidenzen herstellt. Man bringt (meist optisch) zwei Punkte zur Deckung miteinander und schafft dadurch Singularitäten, indem man die Orte zweier sonst getrennter Elemente zusammenfallen läßt. Auf diese Weise wird ein System von ausgezeichneten Stellen, diskreten Orten in dem transzendenten Raum-Zeit-Schema definiert, die beliebig vermehrt und in Gedanken zu einer kontinuierlichen Mannigfaltigkeit [messbaren] ergänzt werden können, welche dann eine restlos vollständige Einordnung aller räumlichen Gegenstände gestattet.“ Moritz Schlick, Allgemeine Erkenntnislehre, A 235/B 251 Schlick systematisierende Erkenntnislehre Allgemeine Erkenntnislehre oder wissenschaftliche Philosophie Methode der raum-zeitlichen Koinzidenzen Philosophie des Geistes Naturphilosophie Theorie des geisteswissenschaftlichen Erkennens (Psychologie) subjektive Erlebnisse räumlich-zeitliche Wahrnehmungskoinzidenzen Theorie des naturwissenschaftlichen Erkennens (Physik) objektive Ereignisse raum-zeitliche Ereigniskoinzidenzen Moritz Schlick und Albert Einstein Anwendbarkeit der physikalischen Begriffe auf sinnliche Gegenstände nicht vermittelt über einen apriorischen Schematismus, sondern über die Methode der raum-zeitlichen Koinzidenzen „ … die Begriffe von Raum und Zeit in der Form, in der sie bisher in der Physik auftraten [gehören zu den überflüssigen Momenten ]. Auch sie finden keine Anwendung für sich allein, sondern nur insofern, als sie in den Begriff der raumzeitlichen Koinzidenz von Ereignissen eingehen. Wir dürfen also wiederholen, daß sie nur in dieser Vereinigung, nicht schon allein für sich etwas Wirkliches bezeichnen.“ Moritz Schlick, Raum und Zeit in der gegenwärtigen Physik, S. 63 „Real ist physikalisch nichts als die Gesamtheit der raum-zeitlichen Punktkoinzidenzen. Wäre z.B. das physikalische Geschehen aufzubauen aus Bewegungen materieller Punkte allein, so wären die Bewegungen der Punkte, d.h. die Schnittpunkte ihrer Weltlinien das einzig Reale, d.h. prinzipiell beobachtbare. Diese Schnittpunkte bleiben natürlich bei allen Transformationen erhalten (und es kommen keine neuen hinzu), wenn nur gewisse Eindeutigkeitsbedingungen gewahrt bleiben. Es ist also das natürlichste, von den Gesetzen zu verlangen, dass sie nicht mehr bestimmen als die Gesamtheit der zeiträumlichen Koinzidenzen. Dies wird nach dem Gesagten bereits durch allgemein kovariante Gleichungen erreicht.“ Albert Einstein an Michele Besso, 3. Januar 1916 „Divide et impera“ Revolutionierung des Raumkonzept als Resultat eines transdisziplinären Dialogs „Die wissenschaftliche Methodik gebietet uns, die Fragen so weit als möglich zu isoliren. Divide et impera! Man löst das Bündel von Stäben auf, um es zu brechen. Aber ein anderes ist es mit der Trennung der Wissenschaften. Hat oder hätte Kant gemeint […], dass der Schatz von Kenntnissen, den eine Wissenschaft erringt, unfruchtbar bleiben soll für die übrigen, oder auch nur, dass es keine Grenzfragen gebe, zu deren Bearbeitung mehrere Wissenschaften sich die Hände reichen müssen, so müsste man in einer Zeit, wo Psychologen und Physiologen, Logiker und Mathematiker, Pädagogen und Mediciner, Nationalökonomen und Politiker, Sprachforscher und Naturforscher, und so viele andere bis dahin getrennt marschirende Corps zu vereintem Schlagen zusammenstossen, ihm ganz entschieden widersprechen. Eine Wissenschaft ist allerdings nur ein Fragencomplex, und wir werden die Fragen nicht im Kleinen zerteilen, um sie dann im Grossen zusammenzuwerfen; jeder Wissenschaft bleibt ein eigener Kern von Aufgaben, der nicht mit anderen zusammenwächst, im Gegenteil sich spaltet und neue Einzelwissenschaften erzeugt. Aber was für die Formulirung der Fragen, gilt nicht ebenso für ihre Behandlung und Durchführung. Zur fruchtbaren Behandlung muss alles herangezogen werden, was irgend ohne Verletzung der allgemeinen logischen Vorschriften, ohne Cirkel insbesondere, sich verwehren lässt. […] Dies gilt auch bezüglich Raum und Zeit. Die Frage nach der Natur der geometrischen Axiome (ob sie analytisch, synthetisch a priori oder blosse Erfahrungssätze seien) ist durchaus verschieden von der Frage nach der psychologischen Entstehung der Raumvorstellung (ob sie bereits ursprünglich im Inhalt der Gesichtsempfindung gegeben oder ein Product der individuellen psychischen Entwickelung ist). Aber die beiden Fragen sind hier wie anderwärts lange Zeit hindurch mit einander vermengt worden, zum Schaden sowol der Psychologie als der Erkenntnistheorie. Man hat die Wissenschaften gesondert und die Fragen vermengt, statt umgekehrt zu verfahren.“ Carl Stumpf, „Psychologie und Erkenntnistheorie“, S. 500 ff. Methodologischer Individualismus in bezug auf den Raum vs. Raumfatalismus Ein methodologischer Individualismus des freien und schöpferischen menschlichen Verstandes, der stetig neue Räume aktiv erobert, ist verträglicher mit der Revolutionierung des Kantischen Raumkonzepts während der Epoche der wissenschaftlichen Philosophie als ein … Raumfatalismus, der die passive schicksalhafte Ergebenheit in das räumliche Geschehen einer geschichtlichen und letztlich zufälligen Situation betont Im Ergebnis dieser Revolution wird der Raum zu einer wandelbaren und dynamischen Ordnungsstruktur, die sich in Verbindung mit den wissenschaftlichen Hypothesen über die Methode der raum-zeitlichen Koinzidenzen empirisch überprüfen lässt Goethes Faust über den Raum Faust. Der Tragödie zweiter Teil. Fünfter Akt. „Ein Sumpf zieht am Gebirge hin, Verpestet alles schon Errungene Den faulen Pfuhl auch abzuziehn, Das letzte wäre das Höchsterrungene. Eröffne ich Räume vielen Millionen. Nicht sicher zwar, doch tätig-frei zu wohnen. Grün das Gefilde, fruchtbar; Mensch und Herde Sogleich behaglich auf der neusten Erde Gleich angesiedelt an des Hügels Kraft, Den aufgewälzt kühn-emsige Völkerschaft. Im Innern hier ein paradiesisch Land: Da rase draußen Flut bis auf zum Rand! Und wie sie nascht, gewaltsam einzuschließen, Gemeindrang eilt, die Lücke zu verschließen. Ja! Diesem Sinne bin ich ganz ergeben, Das ist der Weisheit letzter Schluß: Nur der verdient sich Freiheit wie das Leben, Der täglich sie erobern muß!“ Und so verbringt, umrungen von Gefahr. Hier Kindheit, Mann und Greis sein tüchtig Jahr. Solch ein Gewimmel möchte ich sehn, Auf freiem Grund mit freiem Volke stehn! Zum Augenblicke dürft ich sagen: Verweile doch, du bist so schön! Es kann die Spur von meinen Erdentagen Nicht in Äonen untergehn. – Im Vorgefühl von solchem hohen Glück Genieß ich jetzt den höchsten Augenblick.“ Literatur Albert Einstein, Geometrie und Erfahrung, Berlin 1921. Fynn Ole Engler, Moritz Schlick und Albert Einstein, Berlin 2006. Hermann von Helmholtz, „Über das Sehen des Menschen“ (1855), in: ders., Vorträge und Reden, 4. Aufl., Erster Band, Braunschweig 1896, S. 85–117. Hermann von Helmholtz, „Über den Ursprung und die Bedeutung der geometrischen Axiome“ (1868/69), in: ders., Vorträge und Reden, 4. Aufl., Zweiter Band, Braunschweig 1896, S. 1–31. Hermann von Helmholtz, „Die Tatsachen in der Wahrnehmung“ (1878), in: ders., Vorträge und Reden, 4. Aufl., Zweiter Band, Braunschweig 1896, S. 213–247. Hermann von Helmholtz, „Die Anwendbarkeit der Axiome auf die physische Welt“ (1878), in: ders., Vorträge und Reden, 4. Aufl., Zweiter Band, Braunschweig 1896, S. 394–406. Hermann von Helmholtz, Handbuch der Physiologischen Optik. 2. Aufl., Hamburg/Leipzig 1896. David Hilbert, Grundlagen der Geometrie. 2. Auf., Leipzig 1903. Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft. Riga 1781, 2. Aufl. 1787. Hermann Lotze, Medicinische Psychologie oder Physiologie der Seele. Leipzig 1852. Henri Poincaré, Wissenschaft und Hypothese, 2. Aufl., Leipzig/Berlin 1906. Bernhard Riemann, Über die Hypothesen, welche der Geometrie zu Grunde liegen. Aus dem dreizehnten Bande der Abhandlungen der Königlichen Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen. Göttingen 1867. Alois Riehl, Der Philosophische Kriticismus und seine Bedeutung für die positive Wissenschaft. Zweiter Band. Erster Theil: Die sinnlichen und logische Grundlagen der Erkenntniss. Leipzig 1879. Moritz Schlick, Raum und Zeit in der gegenwärtigen Physik. Berlin 1917, 4. Aufl. 1922. Moritz Schlick, Allgemeine Erkenntnislehre. Berlin 1918, 2. Aufl. 1925. Carl Stumpf, Über den psychologischen Ursprung der Raumvorstellung. Leipzig 1873. Carl Stumpf, „Psychologie und Erkenntnistheorie“, in: Abhandlungen der Philosophisch-Philologischen Classe der Königlich Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Bd.19, 1892, S. 467–516.