Psychopharmaka und Depression Peter Fischer Psychiatrische Abteilung Donauspital Wien 18. Sommerakademie für ApothekerInnen, 27.6.2014 Contribution (%) by different diseases* to disability adjusted life-years worldwide 2005 2 Prince M et al, Lancet 2007;370:859-877 Major Depressive Disorder Belmaker RH, Agam G NEJM 2008; 358: 55-68 Diagnose: Syndrom über mind. 2 Wochen Störung von Arbeit u/o Familie 17% Lebenszeit-Inzidenz (♀ 20%; ♂ 12%) Unterschiedliche Verläufe (uni-, bipolar; ..) Hohe Wahrscheinlichkeit von Rezidiven Sehr heterogenes Therapieansprechen Depressive Episode im ICD-10 • • • • • • • • • • Gedrückte Stimmung Interessensverlust (Freudlosigkeit) Antriebsminderung bzw. Ermüdbarkeit Konzentrationsminderung, vermindertes Selbstwertgefühl, Schuldgefühle, pessimistische Zukunftsperspektiven, Suizidalität, Schlafstörungen, Appetitstörung Depressive Episode (DSM-IV) major depression 5-9 Symptome, minor depression 2-4 subsyndromale depression 2 - 7 Symptome • • • • • • Depressive Verstimmung Freudlosigkeit/ Interesselosigkeit Gewichtsab(zu)nahme Schlaflosigkeit, .. Apathie oder Agitiertheit Antriebsmangel 1. oder 2. für major depression und minor depression obligat „subsyndromale depression“ ohne 1. oder 2. • Schuldgefühle oder Gefühle der Wertlosigkeit • Konzentrationsstörung od. Entscheidungsschwäche • Todesgedanken, Suizidvorstellungen, SMV Anxiety and depression in the VITA population (1925; n=606) % 80 70 60 50 40 Angst 30 20 10 0 nicht subsyndr. minor dep major dep depressiv Somatische Symptome bei Depression « Larvierte (maskierte) Depression » In Summe bestehen bei 70 % der Patienten mit Depression körperliche Symptome, welche die Diagnose erschweren Kollaps, Orthostase Kreuzschmerzen Schwäche, Schwindel Gelenksschmerzen Verstopfung, Durchfall Bauchschmerzen Übelkeit, Brechreiz Kopfschmerzen Simon GE et al. An international study of the relation between somatic symptoms and depression. N Engl J Med 1999;341(18):1329-35. Anxiety and depression in the VITA population (n=606) % 80 70 60 50 40 Angst 30 20 10 0 nicht subsyndr. minor dep major dep depressiv Suizidalität • • • • 60 % depressiver Patienten mit Suizidgedanken 15 % depressiver Patienten mit SMVs 60 % aller SMVs durch depressive Patienten Risikofaktoren: Anamnese, Alkohol, Drogen, FA, Einsamkeit, innere Unruhe, Lebensalter • Das präsuizidale Syndrom nach Ringel: – Konkrete Suizidgedanken, Suizidvorbereitungen – Wendung der Aggression gegen sich selbst – Einengungen: situativ, sozial, dynamisch, Wertewelt Suizidraten in Österreich Etzersdorfer & Fischer, Int J Geriatr Psychiat 1993 140 120 100 Suizidrate / 80 100 000 60 Männer Frauen 40 20 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0 Lebensalter in Jahren 2004 verübten in Österreich 1418 Menschen (345 Frauen, 1073 Männer) Suizid Symptome der Depression • Es gibt viele typische, aber keine obligaten Symptome des Depression: auch die Traurigkeit ist kein obligates Symptom ! Schulte (1965) „Nicht traurig sein können“ • DSM-IV: Symptom 1 oder 2 + 3,4,5,6,7,8,9; in Summe mindestens 5 Symptome erlaubt die Diagnose einer „Major Depression“ 227 mögliche verschiedene Syndrome bei wenigstens 4 Symptomen (minor depression) gäbe es 318 mögliche verschiedene Syndrome !!! Continuum of severity of depression Psychotic depression Psychiatric in-patients Severe depression Moderate depression Psychiatrists Neurologists Mild depression Other specialists General practitioner Minor depression Psychotherapy Subsyndromal depression Psychology ..... Normal sadness Individuelle Syndrome • Individuelle PatientInnen haben bei ähnlich schwerer Depression in der Regel ähnliche Symptome (z.B. Schlaf-, Appetitstörung, …) • Dies scheint beim individuellen Patienten auch unabhängig vom aktuellen Auslöser der Depression zu sein • Spezifische Auslöser führen hingegen interindividuell nicht zu ähnlichen Syndromen • Es gibt psychopathologisch zahlreiche unterschiedlich depressive Menschen, aber gibt es unterschiedliche Depressionen ? Denkfehler ! • Psychogenese der Depression: also wirkt Psychotherapie; also wirken biologische Therapien (Psychopharmaka, EKT) nicht • Somatogenese der Depression: also wirkt Psychotherapie nicht; also wirken biologische Therapien • Depression ohne Auslöser: „endogen“ • Depression mit Auslösern: nicht „endogen“ Lösungen des Klassifikationsdilemmas bei Depressionen • Die Klassifikationsdebatte verebbt seit Einführung der Antidepressiva und seit dem Aufkommen zahlreicher Belege der „Stresshypothese“ • CRF, Cortisol, DST, Genetik, Tiermodelle, • „final common pathway“ Akiskal, 1975 • „endogene“ = „reaktive (psychogene)“ Depression • Dimensionale statt kategoriale Diagnostik • Dimensionen: 1) Schwere der Depression 2) Dauer der Depression • Therapieresistente Depression: TRD Ursachengefüge der Depression ENDOGENITÄT Genetik EXOGENITÄT funktionell strukturell SOMA SOMA - - - - - - - - - - - - - - - - Depressive Symptome - - - - - - - - - - - - - - - - - - PSYCHE PSYCHE Psychische Altlasten Psychosoziales Milieu REAKTIVITÄT Life Events „Verluste“ Therapie der Depressionen Psychotherapie und Psychopharmaka Therapie der Depression • Psychotherapie wirkt gut, aber es gibt Non-responder (schwere, wahnhafte Depr) • Pharmakotherapie wirkt, aber es gibt Nonresponder (leichte D., bipolare D., Dauer?) • Kombination Pharmako- & Psychotherapie • Phasenprophylaxe mittels Pharmaka wirkt • Phasenprophylaxe mittels Psychotherapie wirkt und sollte immer angestrebt werden ! Behandlung der Depressionen im Zeitverlauf Theoretische Stadien antidepressiver Pharmakotherapie Stimmung Euthym Depressiv « Remission » « Recovery » Ansprechen Rückfall Akuttherapie 1-2-3 Monate Neue Phase Erhaltungstherapie Phasenprophylaxe 6 – 9 Monate jahrelang Adaptiert nach Kupfer Was ist ein Antidepressivum AD • Chemisch definierte Substanz, die bei Patienten mit schwerer Depression nach mindestens 2wöchiger Therapie (Wirklatenz) die Depression im Vergleich zu Placebo signifikant bessert. • Daher sind Benzodiazepine keine Antidepressiva • Erstes AD: 50 % gute Response nach 4 Wochen • 80 % gute Response nach 2 – 3 Monaten der Therapie mit AD nach korrekter Therapie mit ADa (Wechsel, Kombination, Augmentation) • Es gibt „therapieresistente Depression“ Das ideale Antidepressivum • • • • • • • • • Hohe Effektivität Schnell eintretende Wirkung Gute Verträglichkeit Geringe Toxizität (Überdosierung) Anwendbarkeit bei Komorbidität Einfache Einnahme Keine Medikamenteninteraktionen Möglichkeit der Langzeiteinnahme Niedere Kosten Antidepressiva Die Qual der Wahl • • • • • • • Nebenwirkungsprofil Komorbiditäten Erfahrungen beim individuellen Patienten Erfahrungen bei dessen Verwandten Erfahrungen des behandelnden Arztes Pharmakologische Wechselwirkungen Evidence Based Medicine Transmitterbezogene Nebenwirkungen der Antidepressiva • ACh: Mundtrockenheit, Sehstörungen, Harnverh., Glaukomanfall, Obstipation, Tachykardie, Arrhythmien, Gedächtnisstörungen, Verwirrtheit • NA: Hypertonie, Orthostatische Hypotension (Stürze), Sedierung, Obstipation, Harnverhalten • 5-HT: Übelkeit, Erbrechen, Durchfall, Völlegefühl, Nervosität, Schwindel, Libidoverlust • Histamin: Sedierung, Appetitsteigerung Evolution of antidepressant drugs 1 H1 ACh TCA 5-HT SSRI NA 5-HT 1. Bessere Verträglichkeit moderner Antidepressiva 2. Fast gleichwertige Effektivität moderner Antidepressiva 3. Auch moderne Antidepressiva haben Nebenwirkungen!! Antidepressiva wirken an serotonergen und/oder noradrenergen Neuronen 5HT1A aR 5HT Neuron 2 1 R aR T 5HT NA aR 2 Rezeptor Autorezeptor Transporter Serotonin Noradrenalin 5HT 5HT1D aR R1 R2 R3 T5HT NA aR 2 2 aR NA Neuron NA Neuron TNA Hirnstamm 5HT1A 5HT1D 5HT2A 5HT2C 5HT3 ...... Hirnrinde R1 1 R2 2 R3 b Metaanalysen zur Wirkstärke verschiedener Antidepressiva • Insgesamt wenig Unterschiede (Ausnahmen: Moclobemid, Trazodon, Johanniskraut, Reboxetin, Bupropion, Agomelatin) • Maprotilin war das relativ stärkste p.zyklische AD • SSRIs sind wahrscheinlich TCAs und dualen AD (SNRI) bezüglich der Wirkstärke leicht unterlegen • „Primum est nil nocere“ • Es gibt keine bewiesenen psychopathologischen Prädiktoren, welche Substanzklasse bei welchem individuellen Patienten besser wirkt • Zukunftsmusik: Genetik vor Wahl des AD ? SNRIs Venlafaxin, Duloxetin, Milnacipran • • • • • • • • • • • Hohe Effektivität (Remission !) Individuelle Effektivität Schnell eintretende Wirkung Dosis-Wirkungs-Effekt Gute Verträglichkeit Geringe Toxizität (Überdosierung) Anwendbarkeit bei Komorbidität Einfache Einnahme Keine Medikamenteninteraktionen Möglichkeit der Langzeiteinnahme Niedere Kosten JA NEIN NEIN JA ?? JA ?? ?? ?? JA NEIN Verkaufte Packungen Antidepressiva in Österreich 2010: 6.065.400 Substance Brand % Units Escitalopram Cipralex 16,9 Citalopram Total 15,9 Trazodon Trittico 12,6 Sertralin Total 12,1 Venlafaxin Total 8,4 Mirtazapin Generic 6,7 Paroxetin Total 6,6 Duloxetin Cymbalta 5,7 Fluoxetin Total 5,0 Amitryptilin Saroten 3,7 Bupropion Wellbutrin 1,7 Milnacipran Ixel 1,0 Mianserin Tolvon 0,8 Maprotilin Ludiomil 0,4 Clomipramin Anafranil 0,4 Reboxetin Edronax 0,2 Tianeptin Stablon 0,1 Fluvoxamin Floxyfral 0,1 Moclobemid Aurorix 0,1 Agomelatin Valdoxan 0,1 Therapieresistente Depression Therapiestrategien 1. 2. 3. 4. 4. 5. 6. Optimierung der laufenden Behandlung Umstellungsstrategien Kombinationsstrategien Augmentationsstrategien (Li, T3, SGA, ..) Schlafentzugstherapie (SET) Lichttherapie (BLT) Heilkrampftherapie (EKT) Pseudotherapieresistenz bei antidepressiver Therapie • • • • Zu nieder dosiert Zu kurz verabreicht Nur ähnliche Substanzen verabreicht Non-Adherence (Plasmaspiegel) wegen – Nebenwirkungen 40 % – Arzt-Patientenbeziehung 30 % – Vorurteile gegen Medikamente 20 % Benzodiazepine und Depression • Benzodiazepine bessern unmittelbar viele Symptome der Depression • Benzodiazepine helfen bei Suizidalität ! • Benzodiazepine bessern mittel- und langfristig Depressionen sicherlich nicht • Chronische Benzodiazepingaben fördern bei manchen Menschen Depression • Benzodiazepine sollten nur zeitlich befristet eingesetzt werden Antipsychotika und Depression • First Generation Antipsychotics FGAs (Haldol, ..) fördern Depressionen • Second Generation Antipsychotics SGAs bessern Depressionen (Olanzapin, Quetiapin, Risperidon, Ziprasidon, …) • SGAs wirken phasenprophylaktisch bei bipolaren (manisch-depressiven) Patienten • SGAs bessern einzelne Symptome der Depression (Schlafstörungen, Wahn, Gedankenkreisen, innere Unruhe, …) Phasenprophylaktika und Depression • Monotherapie mit Lithium oder Lamotrigin bessert Depressionen nicht ausreichend • Lithium-Augmentation bessert bipolare und unipolare Depressionen • Lamotrigin-Augmentation bessert bipolare Depressionen • Valproat, Carbamazepin ohne Wirkung • Pregabalin ??? (off-label use) Antidepressivum und/oder Psychotherapie in der Rückfallprophylaxe der Depressionen > 60 Reynolds et al, JAMA 1999;281:39-45 • • • • 187 über 60jährige mit rez.depressiver Störung ohne Wahn Akuttherapie mit Antidepressivum + Psychotherapie (1/7d) Erhaltungstherapie (4 Monate) mit AD + PT (1/14d) Rückfallprophylaxe 4 Gruppen (randomisiert, doppelblind) • • • • n=22 Antidepressivum + Psychotherapie (1/28d) AD + PT n=24 Antidepressivum + Gespräch AD n=21 Placebo + Psychotherapie (1/28d) PT n=29 Placebo + Gespräch Placebo Antidepressivum und/oder Psychotherapie in der Rückfallsprophylaxe der Depressionen >60 Reynolds et al, JAMA 1999;281:39-45 90 80 70 60 50 40 30 % Patienten nach 3 Jahren phasenfrei 20 10 0 AD + PT AD PT Placebo Symptome bei Depressionen Gestörtes Wohlbefinden • Larvierte (maskierte) Depression (Leidesdorf, 1865; Kraepelin 1883; Pilcz 1904; Walcher, 1969; Kielholz, 1973; Pöldinger, 1984; ..) • Häufigste Ursache der fehlenden Diagnose: – – – – – – Schwäche, Müdigkeit, „chronic fatigue“ Kopfschmerzen, besonders Spannungskopfschmerz Übelkeit, besonders morgendliche Übelkeit Verstopfung, Durchfall Rückenschmerzen, Gliederschmerzen Kreislaufbeschwerden, morgendlicher Kollaps Somatische Symptome bei Depression « Larvierte (maskierte) Depression » In Summe bestehen bei 70 % der Patienten mit Depression körperliche Symptome, welche die Diagnose erschweren Kollaps, Orthostase Kreuzschmerzen Schwäche, Schwindel Gelenksschmerzen Verstopfung, Durchfall Bauchschmerzen Übelkeit, Brechreiz Kopfschmerzen Simon GE et al. An international study of the relation between somatic symptoms and depression. N Engl J Med 1999;341(18):1329-35. Affektive Symptome bei Depression • • • • • • • • Gestörtes Wohlbefinden Depressive Verstimmung Freudlosigkeit Interesselosigkeit Verminderte affektive Resonanz Lustlosigkeit Verlust der Liebesfähigkeit Herabsetzung des Selbstgefühls Psychomotorische Symptome bei Depression • • • • • Antriebsmangel, Handlungsschwäche Herabgesetzter Elan vital Entscheidungsschwäche Psychomotorik gehemmt bis zum Stupor Psychomotorik gesteigert (agitierte Depr) Körperliche (vegetative) Symptome bei Depression • • • • • • • • Schlafstörungen Appetitstörungen Konzentrationsstörungen Innere Unruhe Angst (ungerichtet, gerichtet) Tagesschwankungen Regelanomalien Schmerzen „Bewusste“ Symptome bei Depression • • • • • • • Negative Zukunftserwartungen Grübeln Hoffnungslosigkeit Hilflosigkeit Negatives Selbstwertgefühl, Selbstvorwürfe Selbstbeschimpfungen, Schuldgefühle Wahn (Schuldwahn, hypochondrischer Wahn, nihilistischer Wahn, Verarmungs-, Verfolgungs-) • Todessehnsucht, Suizidgedanken, Suizidhandlungen Häufigkeit der Depressionen • Starke Unterschiede zwischen verschiedenen Ländern und Kulturen • Stichtagsprävalenz in der westlichen Welt: 10 % • Die Lebenszeitprävalenz in der westlichen Welt steigt seit 1945 stetig und beträgt zur Zeit 18 % • Nur jeder 4. erstmals depressive Patient erleidet keine weitere Depression mehr • Depressionen treten meist wiederholt auf Risikofaktoren der Depressionen • Verlusterlebnisse • Chronischer Stress (Konflikte, Beruf, Familie, Armut ..) • Positive Familienanamnese • Einsamkeit • Psychiatrische Komorbiditäten: – – – – – Angststörungen Suchterkrankungen Posttraumatische Belastungsstörung Persönlichkeitsstörungen …….. • Behindernde, schmerzende, chronische, .. Krankheiten Behandlung der Depressionen im Zeitverlauf Theoretische Stadien antidepressiver Pharmakotherapie Stimmung Euthym Depressiv « Remission » « Recovery » Ansprechen Rückfall Akuttherapie 1-2-3 Monate Neue Phase Erhaltungstherapie Phasenprophylaxe 6 – 9 Monate jahrelang Adaptiert nach Kupfer Psychotherapie bei Depressionen • Kognitive Psychotherapie • Interpersonale Psychotherapie • Tiefenpsychologische Verfahren • • • • Systemische Familientherapie Personenzentrierte Psychotherapie Katathym Imaginative Psychotherapie .......................... DISKUSSIONSFOLIEN Der (Die) narzisstisch Depressive Solche Menschen sind liebessüchtig; obwohl sie selbst nicht gut imstande sind, aktiv zu lieben, haben sie das starke Bedürfnis, selbst (passiv) geliebt zu werden. Patienten, die auf Liebesenttäuschungen mit schwerer Depression reagieren, sind häufig Patienten, denen ein Liebesverhältnis vor allem auch eine große narzisstische Befriedigung gebracht hat (Narzistische Persönlichkeit, Borderline-Persönlichkeit). Mit dem Anderen verlieren sie ihre gesamte Existenz. Nach jedem Verlust versuchen sie sofort einen Ersatz für den verlorenen Partner zu finden, indem sie sich sofort nach jemand anders umsehen oder unmäßig essen, Alkohol trinken etc. Wie dem hilflosen Säugling ist es ihnen nicht möglich, ihre enorme Wut auszuleben, weil sie von jeglicher Zuwendung abhängig sind. Sie richten daher die Wut eher nach innen und gegen sich selbst. Risiko 1. Depression nach „Life Event“ bei alten Menschen Murphy et al, Br J Psychiat 1982 • Gesund + soziale Kontakte + + keine finanziellen Probleme 25 % • Gesund + Einsamkeit + + keine finanziellen Probleme 50 % • Schwerwiegende körperliche KH + + finanzielle Probleme 80 % Neurobiologie der Depressionen Stressmodell (Cortison, Neurogenese, BDNF, ...) Mangel an Serotonin, Noradrenalin, Dopamin Glutamat, GABA, ACh, Immunologie, Schilddrüse, Biorhythmen, ... Psychologische Modelle der Depressionen • „Erlernte Hilflosigkeit“ nach Seligmann • „Psychisches Gleichgewicht“ nach Lewinsohn • „Kognitives Modell“ nach Beck – Kognitive Triade: • Negatives Selbstbild • Erfahrungen negativ interpretieren • Negative Zukunftserwartungen – Depressive Schemata – 6 Kognitive Fehler Recurrent Brief Depression RBD Angst 1990 Psychological Medicine 1982;12:279-289 • Are we entering an age of melancholy? Depressive illnesses in a prospective epidemiological study over 25 years: the Lundby Study, Sweden. • Hagnell O, Lanke J, Rorsman B, Ojesjö L. • Zwischen 1947 und 1972 stetiger Anstieg der Depressionsinzidenzen in Lundby, S Achsensyndrom der Depression • • • • • • • Phasenhaft auftretende Störung von 1. 2. oder 3. 1. Befinden 2. Antrieb 3. Affizierbarkeit Biorhythmusstörung: A und B A. Schlafstörungen B. Tagesschwankungen Prämorbide Persönlichkeit endogenomorph Depressiver • Tellenbach (1976) Typus melancholicus: Perfektions- und Ordentlichkeitsideal mit Aggressionshemmung, übergroßem Harmoniebedürfnis, Rückzugsverhalten und Selbstwertproblemen („bei hoher sozialer Akzeptanz meist unerkannter neurotischer Leidensdruck“ • Über-Ich Depression (Abraham 1911, Freud, 1917 Rado, 1928; Bibring, 1952; Jacobson, 1971; Klerman, 1979; Benedetti 1981; Mentzos, 1995; ..) Verwirrendes • Ist depressives Erleben Folge eines primär körperlichen Geschehens? Oder führen Konflikte zu psychischen (bewußten, unbewußten) Spannungen und in Folge zu Reaktionen, die depressionsfördernd sind bzw. immer depressiver machen, ..? Sinn? • Biologische Psychiater treten oft für die CBT der Depression ein, deren Grundannahme ist, Depression nicht als primär körperliches Geschehen zu sehen. Spezielle psychogene Depressionen • Erschöpfungsdepression (~ burn-out ?) Kraepelin, Bonhoeffer, Kielholz, .. • Entlastungsdepression (Schulte 1951) • Entwurzelungsdepression • Existentielle Depression (Wertverlustdepression) • Postpartale Depression • Klimakterische Depression • Involutionsdepression • Narzisstische -, • Neurotische - , ... • Über-Ich Depression Was muss eine Theorie der Depression erklären A ? • • • • • • • • Symptome, Syndrome Dauer der Syndrome Häufige Wiederkehr Spontanbesserung der meisten Syndrome Auslöser Warum trotz Auslöser keine Depression Risikogruppen, „risk factors“ Warum es keine verschiedenen D. gibt Was muss eine Theorie der Depression erklären B ? • • • • • • Wirkung verschiedener Psychotherapien Wirkung von Lithium Wirkung der EKT Wirkung der Benzodiazepine BZ Wirkung der Antidepressiva AD Wirkung der atypischen Antipsychotika – Quetiapin, Olanzapin, Aripiprazol • Rückfall bei zu frühem Absetzen der ADa Der Begriff „Depression“ in der Psychiatrie • • • • • • Depressionen als Oberbegriff Depression als Symptom Depression als Syndrom Depression als Störung Depression als Krankheit Depressionen als Krankheitsgruppe VITA: Depression zwischen dem 75. und 80. Lebensjahr Mossaheb N et al, J Clin Psychiatry, 2009 80 Jahre 48 77,5 Jahre 20,9 56,6 75 Jahre 15 77,9 0% 20% 40% keine Depression Klinisch bedeutsame Depression 31 28,5 5,6 60% 16,5 80% Vorstadien zur Depression 100% Major Depressive Disorder Belmaker RH, Agam G NEJM 2008; 358: 55-68 ? „Depression is related to the normal emotions of sadness and bereavement, but it does not remit when the external causes of these emotions dissipates, ? and it is disproportionate to their cause.“ Depression und Kontext: A • Depression liegt vor, wenn es entweder keinen Auslöser gibt oder dieser unverhältnismäßig scheint in Bezug auf Schwere, Dauer und Behinderung • Patienten erzählen die „life-events“; sie suchen nach einer Erklärung (Sinn) ihres Zustands (reversed causality) • Die Kausalität „life-event → depression“ ist eine subjektive Entscheidung des Klinikers der eine Erklärung des Zustands sucht Depression und Kontext: B • > 95% der Depressiven berichten life-event • Warum werden so viele Menschen trotz massiver life-events gar nicht depressiv ? • Depression selbst verursacht life events (Scheidung, Jobverlust, Krebsverdacht, ..) • Ansprechen einer Depression auf Psychooder Pharmakotherapie hängt nicht davon ab, ob es life-events bzw. einen nachvollziehbaren Grund der Depression gab ! Qualität der Depression • „Es gibt qualitative Unterschiede zwischen verschiedenen Depressionen“ konnte mittels Taxometrie widerlegt werden • Es gibt ein Kontinuum bezüglich der Schwere einer Depression (Schwellen !!) • Diagnostizieren wir die Störung/ Krankheit Depression zu leicht oder zu schwer • Diagnoseunterschiede im DSM-IV, ICD-10 Die kognitive Theorie der Depression • Depression ist eine kognitive Störung, bei der das bewusste Denken einseitig, willkürlich, selektiv und negativ ist • Diese Schemata werden durch belastende Situationen aktiviert • Veränderungen der automatisierten Gedanken, Einstellungen und Überzeugungssysteme ist möglich „Kognitives Modell“ nach Beck • Kognitive Triade: negatives Selbstbild des Patienten Erfahrungen werden negativ interpretiert negative Zukunftserwartungen • Depressive Schemata: • Die 6 Kognitiven Fehler: „Kognitives Modell“ nach Beck • Kognitive Triade • Depressive Schemata: • • • • • • • Man (ich) muss immer Erfolg haben Man (ich) muss von allen Menschen akzeptiert werden Wer einen Fehler macht, ist unfähig Wer anderer Meinung ist, lehnt mich ab Ich kann ohne eine bestimmte Person nicht leben Mein Wert hängt davon ab, was andere von mir denken Es ist egal was ich mache, es wird nichts helfen • 6 Kognitive Fehler • • • • • • Willkürliche Schlussfolgerungen ohne Beweise Wahrnehmungsdetail beweist gesamte Erfahrung Übergeneralisierung Maximierung oder Minimierung Personalisierung Dichotomes Denken Einteilungen der Depressionen • Alle nosologischen und ätiologischen Einteilungen der Depressionen widerlegbar • Versuche, die Überlappungen zu benennen: endoreaktive Dysthymie (Weitbrecht, 1952) endoneurotische Depression (Hole, 1984) • Versuche, die Situation zu benennen, wie: Wochenbettdepression, Schwangerschafts-, klimakterische D., Erschöpfungs-, Burn-Out, Entwurzelungs-, Entlastungs-, existentielle D., melancholische D., Involutions-D. post-stroke depression, vascular depression Nosologische Einteilung der Depressionen (historisch) • Einteilung nach Zustandsbild nach Genese (Ätiologie) nach Verlauf • Ätiologisch unterschieden fast alle Schulen 1. somatogene Depressionen primäre=organische, sekundäre=symptomatische Depress. 2. endogene Depressionen monopolare, bipolare = zyklische Depressionen 3. psychogene Depressionen • Weitbrecht (1957): fehlende Spezifität psychopathologischer Syndrome der Depression Wirkungen der alten Antidepressiva NA ACh 5-HT H Alte (anticholinerge) Antidepressiva trizyklische AD z.B. Saroten, Sinequan, Tofranil, Nortrilen, ...... trizyklische eher serotonerge (SRI) AD Anafranil trizyklische AD mit DA Reuptake Hemmung Xerenal, Harmomed (+Diazepam) tetrazyklisches noradrenerges (NRI) AD Ludiomil alte wenig anticholinerge AD: Tolvon Trittico +++ +++ ++ ++(+) +(+) +++ +++ + +++ +++ ++ + +++ +++ - ++ ++ + + + ++ ++ - Wirkungen der modernen Antidepressiva NA ACh 5-HT H - +++ - - ++ - + + +++ - (+) - - ++ - - +++ +++ - - Moderne Antidepressiva Selektive Serotonin Wiederaufnahme Hemmer SSRIs: Floxyfral, Fluctine, Fluoxetine, Fluxil, Mutan, Seroxat, Ennos, Seropram, Tresleen, Gladem reversible MAO-A Hemmer ++ Aurorix Noradrenerges, Serotoninrezeptoren blockierendes AD ++ Remeron Serotonin Wiederaufnahme Verstärker (netto 5-HT ) Stablon Serotonin Wiederaufnahme Hemmer und Serotoninrezeptoren blockierendes AD Dutonin Noradrenerger und serotonerger Wiederaufnahmehemmer („Duale Antidepressiva“) Efectin +(+) Ixel +++ Selektiver noradrenerger Wiederaufnahmehemmer +++ Edronax Gibt es in therapeutischer Sicht unterschiedliche Depressionen ? • • • • • • • • Schulddepression Fordernde Depression Anaklitische Depression Selbstzerstörerische Depression Leere Depression – innerlich unruhige D. Stuporöse Depression, agitierte Depression Depression mit psychotischen Symptomen Bipolare Depression S. Freud: Trauer und Melancholie • Cave: einzelne psychogene Depressionen • bei einzelnen Personen mit Disposition, kann aus Trauer Depression werden • Trauer nicht krankhaft; ab wann wird Trauer zu Depression und damit krankhaft • Trauer nur deshalb nicht als krank zu bezeichnen, weil wir sie erklären können • Melancholie ist Trauer + Störung des Selbstgefühls S. Freud: Trauer und Melancholie • Trauerarbeit: Libido wird in innerer Arbeit aus dem Ich abgezogen; das Ich befreit • Bei der Trauer ist der Verlust bewußt • Bei der Melancholie ist Verlust unbewußt • Bei der Trauer ist die Welt arm geworden, bei der Melancholie ist es das Ich selbst • Ein Teil des Ichs werten einen anderen Teil des Ichs kritisch: Gewissen • Oder gibt es toxische Verarmung am Ich ? Depressiogenic medication as an aetiological factor in major depression Dhondt T et al, IJGP 1999;14:875-881 • 195 gerontopsychiatrisch stationäre Patienten mit „major depression“ • Pat. mit erster depressiver Episode nahmen depressiogene Medikation (etwa 120 Med.) 2,44 mal häufiger als Patienten, die schon früher an Depressionen gelitten hatten • Pat. mit depressiogener Medikation nahmen insgesamt mehr als doppelt so viele Medikamente ! Repräsentative QuerschnittUntersuchungen zur medikamentös „verursachten“ Depression • Patten SB, 2001; n = 2542. Keinerlei statistische Assoziationen zwischen Beta-Blockern, ACE-hemmern, .. und Depression deutlicher Zusammenhang: Cortison • Patten SB, 2000; n=73402. Deutliche statistische Assoziation zwischen Cortison-therapie und Depression (MD): Risiko x 3 Gliederung des Vortrags • Was ist Depression ? – Schwere einer Depression – Multifaktorielle Entstehung • Therapie der Depression – Psychotherapie – Antidepressiva • Benzodiazepine und Depression • Antipsychotika und Depression • Phasenprophylaktika und Depression Depressiogenic medication as an aetiological factor in major depression Dhondt T et al, IJGP 1999;14:875-881 • 195 gerontopsychiatrisch stationäre Patienten mit „major depression“ • Pat. mit erster depressiver Episode nahmen depressiogene Medikation (etwa 120 Med.) 2,44 mal häufiger als Patienten, die schon früher an Depressionen gelitten hatten • Pat. mit depressiogener Medikation nahmen insgesamt mehr als doppelt so viele Medikamente ! Repräsentative QuerschnittUntersuchungen zur medikamentös „verursachten“ Depression • Patten SB, 2001; n = 2542. Keinerlei statistische Assoziationen zwischen Beta-Blockern, ACE-hemmern, .. und Depression deutlicher Zusammenhang: Cortison • Patten SB, 2000; n=73402. Deutliche statistische Assoziation zwischen Cortison-therapie und Depression (MD): Risiko x 3