Besser lernen

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tite lth e m a
g e däc htn i s
Besser lernen
Mehr als 100 Jahre Lernforschung, tausende
von Experimenten, eine Fülle von Modellen
und Methoden – und was hat es gebracht? Wir
lernen heute zwar nicht unbedingt besser
als früher, allerdings müssen wir viel mehr und
ständig neues Wissen bewältigen. Eine Reihe
nützlicher Faustregeln hilft dabei.
Von Stev e Aya n
Entdecke die
Möglichkeiten!
Es gibt so viele verschiedene Lernformen wie
mögliches Wissen und
Können. Auf welchem
Weg man sie jeweils am
besten erwirbt, erforschen
Gedächtnispsychologen.
30
GuG 10_2013
Meike Teichmann
www.gehirn-und-geist.de
31
tite lth e ma G e däc htn i s
Au f ei n en B lic k
Gut gemerkt
ist halb gewonnen
1
Am Lernen sind je
nach Gegenstand
und Situation verschie­
dene Gedächtnissys­
teme beteiligt, die sich
grob in bewusste und
unbewusste unterteilen
lassen.
»M
erhaba, Steve bey.
Was meine Fortschritte im Türkischen be-
Nasılsiniz?« Äh, Mo-
trifft, so kann ich das verschmerzen, denn ich
ment – gleich hab
lerne die Sprache nur zum Zeitvertreib. Doch in
ich’s. »Merhaba! Çok
meinem wie sicher auch in Ihrem Alltag gibt es
iyiyim. Te ... tes‚e ...
tes‚eküler!«* Die Lehrerin strahlt, als hätte ich
eines der großen Welträtsel gelöst. »Çok iyi!« –
noch weit mehr Gelegenheit, neue Fakten und
»Sehr gut«, lobt sie. Dabei mache ich nur meine
In der modernen Wissensgesellschaft pras-
ersten, holperigen Gehversuche im Türkischen.
2
Selbsttests, portions­weises Lernen
und erklärende Warum-­
Fragen zählen laut
Forschern zu den effek­
tivsten Lerntechniken.
Als weniger hilfreich
erwiesen sich das Markieren von Informa­
tionen und wiederholtes
Lesen ­–­zwei besonders
verbreitete Methoden.
3
Notwendigkeit!
seln laufend Informationen auf uns ein; wir
Okay, jeder hat klein angefangen. Aber ich
müssen uns dem technischen Fortschritt, verän-
werde das Gefühl nicht los, dass mir das Fremd-
derten Arbeitsabläufen und Kommunikations-
sprachenlernen einmal leichter fiel. Damals, als
formen anpassen, uns fortbilden und Kompe-
ich noch jünger war und wendiger im Kopf. Oder
tenzen schulen, um auf dem aktuellen Stand zu
bilde ich mir das nur ein, weil ich ja weiß, dass ich
bleiben. Kam einst nach Ende der Schul- und
keine 20 mehr bin, und das alternde Gehirn be-
Ausbildungszeit kaum grundlegend Neues hin-
kanntlich an Flexibilität einbüßt?
zu, so macht heute das Schlagwort vom lebens-
Solche Überzeugungen hinsichtlich der eige-
langen Lernen die Runde. Und anders als frühere
nen mentalen Ausstattung – Metakogni­tionen
Pennäler, die nach festen Vorgaben büffelten,
genannt (von griechisch: »meta« = über, latei-
bleibt es heute vielfach uns selbst überlassen,
nisch: »cogitare« = denken) – prägen nicht nur,
wie wir all die Anforderungen meistern.
wie wir uns selbst einschätzen und unsere Leis-
Wird der Wissenser­
werb von positiven
Gefühlen begleitet und
übt man den Abruf
in verschiedenen Situa­
tionen, so steigt die
Chance weiter, dass viel
hängen bleibt.
Fertigkeiten zu erwerben. Gelegenheit? Ach was:
tungen bewerten. Sie können auf subtile Weise
auch den tatsächlichen Lernerfolg schmälern.
Das zeigten etwa Untersuchungen des Psychologen Thomas Hess von der University of
Auch Lernen will gelernt sein
Wir müssen das Lernen mehr denn je aktiv gestalten, und dabei sind metakognitive Fähigkeiten gefragt. Richtig lernen will gelernt sein!
North Carolina in Raleigh (USA). Präsentiert man
Vielleicht denken Sie jetzt: Was denn noch al-
älteren Menschen eine Reihe von negativen, auf
les? Genügt es nicht, dass man sich mit andau-
das Alter bezogenen Wörter wie »senil«, schnei-
ernden Software-Updates und den neuesten
den sie im anschließenden Gedächtnistest
­Finessen des Steuerrechts herumschlägt – muss
schlechter ab, als wenn sie zuvor positive Be-
man jetzt auch noch das Lernen lernen? Die
griffe wie »weise« lasen. Kurz: Wo kein Zutrauen
Wahrheit ist: Sie tun es sowieso. Jeder bildet au-
ist, bleibt auch weniger hängen.
tomatisch Vorstellungen davon, wie er welche
­Inhalte am besten behält, verfolgt bestimmte
Lernstrategien und legt sich Methoden zurecht,
die seinen mutmaßlichen Talenten entsprechen.
Das passiert oft, ohne dass wir uns dessen bewusst sind. Und hier lauert eine Gefahr, denn so
mancher sitzt dabei Irrtümern auf, die das Lernen eher behindern als es zu erleichtern.
Psychologen um Robert Bjork von der University of California in Los Angeles sichteten in einer 2013 erschienenen Überblicksarbeit die unter US-Collegestudenten beliebtesten Lerntechniken. Nach Auswertung umfangreicher Befragungen identifizierten die Forscher vier beson-
Meike Teichmann
ders häufige Fallen.
32
• Fehler Nummer eins: Je mehr, desto besser.
Oft versuchen Lernende möglichst viel auf einmal abzuarbeiten und stopfen jede Lektion rand* zu Deutsch: »Guten Tag, wie geht es Ihnen?« »Guten Tag! Es geht mir sehr gut. Danke!«
GuG 10_2013
Bewusst versus unbewusst: Die wichtigsten Gedächtnisformen
nis lässt sich grob in zwei
Basalganglien
Ob Schuhe binden, Auto
Striatum
fahren oder schwimmen:
Systeme aufteilen: ein deklara-
Sobald wir die Abläufe auto-
tives (auch »explizites«) und
matisiert haben, bedürfen sie
ein nichtdeklaratives, implizi-
keiner bewussten Kontrolle
tes. Während ersteres bewusst
mehr. Explizit Gelerntes kann
gelernte und abrufbare Fakten
also ins implizite Gedächtnis
enthält – von der Präambel des
über­gehen. Das gilt vor
Grundgesetzes bis zur Handy-
allem für die Bewegungsko­
PIN –, sind in letzterem unbe-
ordination.
wusste Verknüpfungen und
Umgekehrt wird seman-
Fertigkeiten abgelegt. Beide
tisches Wissen (zum Beispiel:
Gedächtnisformen sind funk­
»Palma ist die Hauptstadt von
tional und anatomisch weit
Mallorca.«) zwar bewusst
gehend getrennt voneinander. gelernt, verändert sich beim
Der Hippocampus im
erneuten Abruf jedoch oft
mittleren Schläfenlappen gilt
unbemerkt und erhält neue
als Zentrum des bewussten
Nuancen (etwa nach dem
Lernens. Nichtdeklarativer
Inselurlaub eine emotional
Wissenserwerb beansprucht
besonders positive Note). Viele
dagegen weiter verteilte
Forschungen zeigten zudem,
Hirnareale, darunter die Amyg-
wie an­fällig das menschliche
dala, die Basalganglien, den
Gedächtnis für Verzerrungen
prämotorischen und den prä-
ist – zum Glück, sonst erschie-
frontalen Kortex im Stirnhirn
ne uns mancher Urlaub rück-
sowie Teile des Parietalkortex.
blickend kaum so ro­mantisch.
Globus pallidus
Amygdala
Hippocampus
prämotorischer Kortex
präfrontaler Kortex
mittlerer Schläfenlappen
voll mit Informationen. Besser verteiltes, gestaf-
• Fehler Nummer drei: Abhaken. Passives Auf-
feltes Lernen bringt den Forschern zufolge dage-
nehmen von Fakten, die man sich nicht selbst er-
gen mehr. Statt also 50 Vokabeln an einem Tag
schlossen oder gedanklich durchdrungen hat, ist
»durchzupauken«, lernt man lieber nur 10 pro
vielfach Zeitverschwendung – Wissen in eigenen
Abend – und erfreut sich am Wochenende des
Worten wiederzugeben, es anzuwenden und auf
Gelernten.
andere Beispiele zu übertragen dagegen die bes-
• Fehler Nummer zwei: Schema F. Ob aus Ge-
sere Strategie. Eine Grammatikregel, deren Sinn
wohnheit oder weil es vermeintlich dem eigenen
man begriffen hat, ist allemal besser als eine stur
Typ entspricht, lernen viele auf stets gleiche Wei-
auswendig gelernte.
se, etwa indem sie ihnen wichtig erscheinende
• Und Fehler Nummer vier: Angst vor Patzern.
Abschnitte im Lehrbuch markieren und immer
Um nicht »dumm dazustehen« meidet so man-
wieder durchgehen. Dabei hilft gerade Abwechs-
cher das selbstständige Reproduzieren – etwa, in
lung, Wissen im Gehirn zu verankern. Den Bei-
einer Fremdsprache zu radebrechen, in der man
spieldialog aus dem Sprachkurs ständig zu wie-
noch nicht sattelfest ist. Die Scheu ist jedoch
derholen, ist folglich weniger angebracht als zu
kontraproduktiv, denn aktive Wiedergabe von
lesen, zu hören, sich selbst vorzusagen sowie die
Gelerntem, egal wie rudimentär, ist eine effek-
betreffenden Wendungen praktisch einzusetzen.
tive Methode (siehe »Die Top-5 der Lerntech-
Möglichst vielfältig eben.
niken«, S. 34). Warum nicht beim Türken mal auf
www.gehirn-und-geist.de
parietaler Kortex
Gehirn und Geist / Meganim
D
as menschliche Gedächt-
Fürs Leben lernen
Intrinsische Motive, die
man »aus sich heraus«
entwickelt (wie etwa
Neugier), förderten den
Lernerfolg mehr als
extrinsische – etwa der
Wunsch nach Lob und
Anerkennung. So lautet
ein alte Lehrmeinung.
Die Studienlage ist hier
jedoch uneindeutig:
Prestige oder Geld
können ebenso zum
Lernen anreizen, auch
wenn es nur »Mittel zum
Zweck« ist.
(Schiefele, U.: Interests and
Learning. In: Encyclopedia of the
Science of Learning, Springer,
Heidelberg 2012, S. 1623 – 1628)
33
tite lth e ma G e däc htn i s
Die Top-5 der Lerntechniken
D
er Psychologe John Dun-
noch gar nichts weiß: In einem
hinter dem Hauptwort? Wa-
den Lerninhalt selbst, sondern
losky von der Kent State
Experiment baten Forscher
rum kann man sich nicht
auf den eigenen Hintergrund:
University in Ohio (USA) hat
Probanden vor einer Lernein-
selbst kitzeln? Derart zum
Was hat das mit dem zu tun,
gemeinsam mit Kollegen rund
heit zu erklären, was sie über
Mit-, Durch- und Querdenken
was ich schon kenne? Erinnert
700 Arbeiten gesichtet, die
das betreffende Thema wuss-
angeregt, bleiben die betref-
mich das an etwas? Wie fügt
­verschiedene Lerntechniken
ten. Von der folgenden Lektion
fenden Antworten meist
es sich in mein Vorwissen ein?
einem Praxistest unterzogen.
blieb mit der Trockenübung
besser haften.
Wo habe ich noch Lücken? Ein
Auf Basis dieser Daten erstell-
deutlich mehr hängen als
ten die Forscher eine Rangfol-
ohne! Offenbar hilft die ge-
dass es wenig bringt, Schüler
aktivierte »metakognitive«
ge von empfehlenswert bis
dankliche Vorbereitung später,
mit vorgefertigten Antworten
Wissen erleichtert es, sich
eher hinderlich. Am schlech-
neue Informationen in das
zu bombardieren. Was ist das
einen Weg durch den Informa-
testen schnitten das Hervorhe-
bereits Bekannte einzubetten.
Problem? Warum lohnt es sich,
tionsdschungel zu schlagen. Zu
ben von Informationen (etwa
Gute Pädagogen wissen,
Vorteil dieser Methode: Das so
es zu lösen? Und wie könnte
wissen, was man (noch) nicht
das gelingen? Von solchen
weiß, hilft oft erstaunlich viel.
holtes Lesen ab. Doch gerade
2. Lerne in handlichen
Portionen!
dies sind laut Umfragen unter
Häppchenweises, über größere
der Regel mehr. Viele Unter-
5. Lerne variabel!
Studierenden sehr verbreitete
Zeiträume verteiltes Lernen ist
richtslektionen und Lehrbü-
Lesen, Kernbegriffe notieren,
Methoden. Fünf andere bewer-
in der Regel effektiver als sich
cher bieten für das eigenstän-
sich selbst Zusammenhänge
teten die Forscher um Dunlos-
geballte Wissensladungen
dige Erschließen allerdings
erklären, anderen davon
ky hingegen als nützlich:
aufzuhalsen. Teilen Sie Ihr
wenig Anreiz. Ein möglicher
erzählen und sich abfragen las-
per Textmarker) sowie wieder-
Fragen profitieren Lernende in
Lernpensum also in möglichst
Grund: Es kann dauern, bis die
sen: Ein bunter Methodenmix
1. Teste dich selbst!
handliche Abschnitte auf und
zündende Einsicht kommt –
liefert die beste Gewähr für ein
Der sicherste Weg, neues
legen Sie zwischen den
Lösungen vorzugeben, funktio-
rundum gestärktes Gedächt-
Wissen zu behalten, besteht
Lerneinheiten regelmäßig
niert da schneller. Aber auch
nis. So verlockend es erschei-
darin, es aktiv wiederzugeben.
Test- und Entspannungspha-
schlechter.
nen mag, die »ultimative«
Erklären Sie anderen, was Sie
sen ein!
Lerntechnik gefunden zu
sich Löcher in den Bauch
3. Stelle Warum-Fragen!
4. Wisse, was du (noch)
nicht weißt!
fragen. Dabei bemerkt man
Wieso liefert die Evolutions­
Nah verwandt mit den Wa-
auch am ehesten, was man
lehre eine Erklärung für die
rum-Fragen ist, was Psycholo-
noch nicht verstanden hat.
natürliche Artenvielfalt?
gen als »Selbstexplikation«
Weshalb stehen Adjektive im
bezeichnen. Hier zielt das
Italienischen mal vor und mal
Nachbohren jedoch nicht auf
gelernt haben, und lassen Sie
Selbsttests schlagen sogar
dann an, wenn man eigentlich
34
nachhaltiger.
(Dunlosky, J. et al.: Improving Students’
Learning with Effective Learning
Techniques: Promising Directions from
Cognitive and Educational Psychology.
In: Psychological Science in the Public
Interest 14, S. 4 – 58, 2013)
Türkisch bestellen? Schlimmstenfalls erntet
unabhängig voneinander funktionierende Ge-
man eben fragende Blicke.
dächtnissysteme gibt (siehe Hirngrafik S. 33).
Doch lassen sich so allgemein gültige Regeln
Muss man jetzt
auch noch das
Lernen lernen?
Die Wahrheit
ist: Sie tun es
sowieso
haben – Vielfalt wirkt meist
Und für jedes gelten teils eigene Maximen.
überhaupt aufstellen? Schließlich gleicht kaum
Wollen Sie etwa Ihre Allgemeinbildung ver-
ein Lernvorgang dem anderen: Sportarten wie
bessern, um mit Faktenwissen und Bonmots
Tennis oder Bogenschießen zu trainieren ist
beim Smalltalk zu glänzen? Dann ist Ihr seman-
grundverschieden vom Büffeln fürs Physikum
tisches Gedächtnis gefragt, welches bewusst ge-
und schlagfertig mit Kritik umzugehen kaum
speicherte und abrufbare Informationen ent-
vergleichbar mit Programmieren lernen.
hält. Zentrale Schaltstelle ist der Hippocampus,
Eine der wichtigsten Lehren aus mehr als 100
eine etwa seepferdchengroße und ebenso ge-
Jahren Lernpsychologie lautet, dass es mehrere,
formte Windung auf der Innenseite des mittleGuG 10_2013
Gehen, sitzen,
liegen
ren Schläfenlappens. Seine Verarbeitungskapazität stellt so etwas wie den Flaschenhals des Faktenlernens dar. Deshalb sollten Sie die fraglichen
Informationen nicht nur gut auswählen (Sie können einfach nicht alles behalten!), sondern vor
allem mit Bedeutung versehen.
Welchen Unterschied das macht, erkennt man
leicht, wenn etwa nackte historische Fakten wie
der Fall der Berliner Mauer in eine anschauliche,
sogar bewegende Geschichte gekleidet werden.
Meike Teichmann
Der Hippocampus ist eng verknüpft mit der
nahe gelegenen Amygdala, die Sinnesreizen
emotionale Bedeutung zuweist. So kommt es,
dass wir uns an Dinge, die Gefühle auslösen, in
aller Regel besser erinnern.
dem Ziel des Lernens ab. Und was ist mit der Per-
Oder wollen Sie endlich einmal Tennisspielen
sönlichkeit? Ist sie nicht ebenso entscheidend?
lernen? Dann führt kein Weg am regelmäßigen
»Individuelle Vorlieben spielen beim Lernen kei-
Üben vorbei, das Ihr so genanntes prozedurales
ne so große Rolle«, erklärt die Psychologin Els-
Gedächtnis aktiviert. Prämotorische und moto-
beth Stern von der ETH Zürich. Natürlich fällt
rische Areale der Großhirnrinde speichern Be­
manchen Menschen das Lernen leichter als an-
wegungsprogramme, die von den tief im Gehirn
deren; doch wie man es, im Rahmen seiner indi-
liegenden Basalganglien feinjustiert werden.
viduellen Möglichkeiten, am besten anstellt, ist
Stellen Sie sich die koordinativen Abläufe in Ge-
weniger Typfrage als viele meinen (siehe »Wel-
danken vor, zerlegen Sie sie in Einzelschritte,
cher Lerntyp bin ich?«, S. 38).
üben und korrigieren Sie sie so lange, bis sie nach
Meistens lernen wir sogar, ohne es recht zu
und nach automatisiert vonstattengehen. Ein-
bemerken. Wir meiden die Treppenstufe, an der
maliges Abspeichern genügt hier leider nicht –
wir zuletzt hängen blieben. Wir legen uns eine
der Körper ist eine Gewohnheitsmaschine.
Replik für die nächste Gardinenpredigt des Chefs
In der Ruhe liegt die Kraft
Oder haben Sie eine weiter gefasste Kompetenz
wuchs rechtzeitig von der Riesenpackung Gummibärchen im Supermarktregal abzulenken.
Man kann folglich gar nicht nicht lernen – al-
heiten zupasskäme – etwa souverän verhandeln
lerdings wollen wir meist ganz bestimmte Dinge
oder charmant flirten? Oft macht einem hier
für bestimmte Zwecke parat haben. Und um uns
nicht mangelndes Wissen einen Strich durch die
das zu erleichtern, lohnt es sich, die folgenden
Rechnung, sondern die Aufregung, das Drum­
Maximen zu beherzigen.
herum. Dann kommt es darauf an, im entschei-
• Faustregel Nummer 1: Wer lernen will, muss
denden Moment locker zu bleiben und »abzuru-
auswählen. Das Wichtige vom Unwichtigen
fen«, was an Esprit in Ihnen steckt.
trennen, sich aufs Wesentliche konzentrieren –
Die dafür nötige Handlungskontrolle besor-
das ist der erste Schritt zum Lernerfolg. Statt im-
gen Teile des Stirnlappens, etwa der präfrontale
mer mehr Details anzusammeln und sich im
Kortex. Um sie zu stärken, muss man sich der je-
wahrsten Sinn zu verzetteln, ist Mut zur Lücke
weiligen Situation immer wieder aussetzen und
gefragt. Wie viel Stoff genug ist, das hängt frei-
zwar systematisch – etwa mit steigendem
lich von vielen Faktoren ab – etwa von der ver-
Schwierigkeitsgrad. Testen Sie den Ernstfall, sei
fügbaren Zeit und der eigenen Begabung. Orien-
es ein fingiertes Verkaufsgespräch oder der
tieren Sie sich am besten an anderen, die das glei-
Plausch an der Kneipentheke.
che Lernziel verfolgen wie Sie (übrigens ein
tens vom Gegenstand, von der Situation und
www.gehirn-und-geist.de
(Special Issue: Modalities of Body
Engagement in Mathematical
Activity and Learning. In: Journal
of the Learning Sciences 21, 2012)
zurecht. Oder wir versuchen den eigenen Nach-
im Sinn, die Ihnen bei bestimmten Gelegen-
Wie man am besten lernt, hängt also mindes­
Bewegung bringt die
grauen Zellen auf Trab.
Doch hilft motorische
Aktivität auch während
des Lernens? Forschung
zur »Embodied Cogni­
tion« (»verkörpertes
Denken«) lieferte Belege
dafür, dass Muskel­
aktivität häufig mentale
Effekte hat: So fördern
ausholende Armschwün­
ge den Ideenreichtum,
Fäuste ballen das Behal­
ten von Wortlisten.
Verantwortlich dafür ist
vermutlich eine Art
Vorglüheffekt: Das
Gehirn wird durch die
motorische Aktivität in
Erregung versetzt, die
auch das Lernen erleich­
tern kann. Allein darauf
sollte man beim Studium
freilich nicht setzen.
nützlicher Nebeneffekt von Studienzirkeln und
Lerngruppen).
Lernen mit
Musik?
Extravertierte Menschen
kommen mit Hinter­
grundmusik im Schnitt
besser zurecht als intro­
vertierte. Insgesamt ist
die Beschallung aber
eher hinderlich: Den
anregenden Effekt
macht die Ablenkung oft
zunichte. Gesang können
wir dabei schlechter
ausblenden als Instru­
mentalmusik.
(Kämpfe, J. et al.: The Impact
of Background Music on Adult
­Listeners: A Meta-Analysis.
In: Psychology of Music 39,
S. 442 – 448, 2011)
35
tite lth e ma G e däc htn i s
Meh r zum Th em a:
Auch im Schlaf bringt sich unser Gedächtnis auf
Schnelles Wissen
»Reiseflughöhe«, indem es Ballast abwirft (siehe
8 wichtige Fragen und
Antworten rund ums
Lernen (S. 38)
»Können wir im Schlaf lernen?«, S. 40).
• Faustregel Nummer 4: Wer lernen will, muss
fühlen. Emotionen sind mit Lernprozessen eng
verwoben. Es kann uns nicht nur ziemlich wurmen, wenn wir wieder eine Telefonnummer vergessen haben oder uns partout nicht einfällt, was
»Briefmarke« auf Spanisch heißt. Mancher entwickelt regelrecht Angst davor, sein Gedächtnis
könnte ihn im Stich lassen – und blockiert dann
umso eher. Um dem Blackout vorzubeugen, gilt
es, möglichst positive Gefühle mit dem Gelernten zu verbinden. Das mag bei binomischen
Meike Teichmann
Formeln, medizinischen Fachbegriffe oder Straf-
Quellen
Bjork, R. A. et al.: Self-Regulated Learning: Beliefs, Techniques, and Illusions. In:
Annual Review of Psychology 64, S. 417 – 444, 2013
Roediger III, H. L. et al.: Ten
Benefits of Testing and Their
Applications to Educational
Practice. In: Psychology of
Learning and Motivation 55,
S. 1– 36, 2011
Weitere Quellen im Internet
unter www.gehirn-undgeist.de/artikel/1204066
Literaturtipps
Gasser, P.: Gehirngerecht
lernen: Eine Lernanleitung
auf neuropsychologischer
Grundlage. hep, Bern 2010
Mit vielen Exkursen in die
Neuropsychologie gespickter
Ratgeber
Krengel, M.: Bestnote.
Lern­erfolg verdoppeln, Prüfungsangst halbieren.
Eazybooks, Berlin, 2. Auflage
2012
Praktisches Arbeitsbuch für
Schüler und Studierende
Metzig, W., Schuster, M.:
Lernen zu lernen: Lernstrategien wirkungsvoll einsetzen.
Springer, Heidelberg, 8. Auf­lage 2010
Metakognitives Lernwissen
zum Selbststudium
36
rechtsparagrafen manchmal schwerfallen, doch
es gibt fast immer einen Weg, sich das Lernen angenehm zu machen: etwa in spielerischer Form
• Faustregel Nummer 2: Wer lernen will, muss
als Quiz, im Austausch mit anderen oder indem
verknüpfen. Nichts, was wir lernen, steht isoliert
man sich den praktischen Nutzen des Ganzen
für sich. Jedes Datum, jede Vokabel, jede wissen-
vor Augen führt. Spaß und Aha-Erlebnisse sind
schaftliche Theorie und jeder Tanzschritt fügt
häufig unterschätzte Zutaten für den bekömm-
sich ein in das, was wir schon kennen oder be-
lichen Lerncocktail.
herrschen. Wie in einem riesigen Netzwerk knüp-
Schnüren wir das Wichtigste zum Schluss
fen wir beim Lernen Beziehungen zwischen Din-
noch einmal handlich zusammen:
gen, die zunächst nichts miteinander zu tun hat-
Reproduzieren bringt mehr als passives Durch-
ten. Und weil dem Ideenreichtum hierbei kaum
nehmen! Auch wenn es häufig Mühe kostet, der
Grenzen gesetzt sind, ist unser Gedächtnis po-
Aufwand lohnt sich: eigene Erklärungen suchen,
tenziell unerschöpflich (siehe »Ist der Speicher-
Zusammenhänge nachvollziehbar machen, mit
platz im Kopf begrenzt?« S. 39).
anderen darüber reden!
Der Fundus an vorhandenem Wissen ent-
Emotional geht’s leichter! Wer mit Freude lernt,
scheidet mit darüber, ob und wie Neues hängen
profitiert davon oft mehr als von ausgeklügelter
bleibt: So können Menschen, die bereits viel
Didaktik. Leider lässt unser Bildungssystem dies
­gelernt haben, weitere Inhalte meist leichter be-
immer noch zu häufig außer Acht.
halten; sie haben schlicht mehr Anknüpfungs-
Gelernt ist noch nicht erinnert! Um an erwor-
punkte. Auch für das Gedächtnis gilt: Wer hat,
benes Wissen heranzukommen, sollte man den
dem wird gegeben!
Ernstfall schon beim Lernen proben. Üben Sie,
• Faustregel Nummer 3: Wer lernen will, muss
auch bei Stress konzentriert zu bleiben.
vergessen. Selbst Gedächtniskünstler vergessen
Und wenn das alles nichts nützt, tragen Sie es
viel. Ausmisten ist für das Gehirn quasi unver-
am besten mit Humor. Wissen ist zwar bekannt-
meidlich, wenn es neue Informationen auf-
lich Macht, aber nichts wissen macht ... na, Sie
nimmt, denn das Gedächtnis ist kein starre
wissen schon. Ÿ
­Datenbank, sondern ein lebendiges Netzwerk.
­Ak­tuelles verdrängt darin Altes, Erinnerungen
verblassen, kehren zurück und werden bei jedem
Abruf etwas anders gespeichert. Um dieses ständige Reorganisieren des Wissens zu unterstützen, sind zwischen lernintensiven Phasen regel-
Steve Ayan ist Psychologe und Redakteur bei »Gehirn und Geist«. Beim
Türkischlernen setzt er voll und ganz
auf die Kraft der Emotionen – seine
Frau stammt aus der Türkei.
mäßige Pausen und Müßiggang angebracht.
GuG 10_2013
© Tom Levold
Damit bleibt was hängen!
236 Seiten, Kt,
2., unveränd. Aufl. 2012
€ (D) 27,95/€ (A) 28,80
ISBN 978-3-89670-574-7
266 Seiten, Kt, 2012
€ (D) 34,–/€ (A) 35,–
ISBN 978-3-89670-828-1
320 Seiten, Kt, 2010
€ (D) 29,95/€ (A) 30,80
ISBN 978-3-89670-729-1
175 Seiten, Kt, 2012
€ (D) 39,95/€ (A) 41,10
ISBN 978-3-89670-860-1
190 Seiten, 49 Abb., Kt,
2., unveränd. Aufl. 2013
€ (D) 17,95/€ (A) 18,50
ISBN 978-3-89670-838-0
250 Seiten, Gb/SU, 2013
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