Die Analyse elektronischer Textkorpora als Methode linguistischer Untersuchungen Stefan Engelberg Seminar, Marmara-Universität Istanbul, FS 2009 http://www.ids-mannheim.de/ll/lehre/engelberg/ Webseite_Korpusanalyse/Korpusanalyse.html [email protected] Stefan Engelberg, Analyse elektronischer Textkorpora, März 2009, Marmara-Universität Istanbul [Folie 1] Daten – Methoden – Theorien Theorien Am ENDE wissenschaftlicher Untersuchungen Theorie Eine Theorie ist eine Menge zusammenhängender Aussagen über einen Ausschnitt der Wirklichkeit. Diese Menge an Aussagen beinhaltet Beschreibungen, Erklärungen und Gesetze. Die Aussagen sind falsifizierbar. Eine Theorie erlaubt es immer, Aussagen über noch nicht beobachtete Sachverhalte des Wirklichkeitsausschnitts zu machen. Stefan Engelberg, Analyse elektronischer Textkorpora, März 2009, Marmara-Universität Istanbul [Folie 2] 1 Daten – Methoden – Theorien Beispiele für Aussagen in Theorien Der wissenschaftliche Prozess „Trotz […] Schwankungen gibt es verlässliche sprachwissenschaftliche Schätzungen zur Größe des deutschen Wortschatzes. Ihnen zufolge gibt es im Deutschen zwischen 300 000 und 500 000 Wörter.“ Newsletter-Archiv des Duden, Newsletter vom 4. 7. 2000. http://www.duden.de/deutsche_sprache/newsletter/ archiv.php?id=11. Frage: Wie kommt man zu der Aussage „Im Deutschen gibt es zwischen 300000 und 500000 Wörter“? Thema 1: Wortschatz Duden Sinn- und sachverwandte Wörter. Neudruck der 2. Aufl. Mannheim: Bibliographisches Institut und Brockhaus 1997. PC-Bibliothek 3.0 Frage: Wie kommt man zu der Aussage „Das Wort sensibel bedeutet (ungefähr) das Gleiche wie das Wort verletztlich“? Thema 2: Semantische Relationen Stefan Engelberg, Analyse elektronischer Textkorpora, März 2009, Marmara-Universität Istanbul [Folie 3] Daten – Methoden – Theorien Beispiele für Aussagen in Theorien Der wissenschaftliche Prozess „Als schwach produktiv oder unproduktiv gelten beispielsweise deverbale Derivate auf -ling oder -bold zur Benennung von Personen (Impfling, Saufbold).“ „Hochproduktiv ist z. B. die deverbale Derivation mit -ung zur Bildung von Geschehens-bezeichnungen […].“ Duden Die Grammatik. 7. völlig neu erarbeitete und erweiterte Auflage – Hg. von der Dudenredaktion. Mannheim et al.: Dudenverlag, 2006, S. 685. Frage: Wie kommt man zu der Aussage „Die Suffixe –ling und –bold sind im Gegenwartsdeutschen schwach produktiv“? Thema 3: Wortbildung akzeptieren <akzeptierst, akzeptierte, hat akzeptiert> mit OBJ ■ jmd. akzeptiert jmdn. / etwas eine Person oder Sache in ihrer Eigenart annehmen einen Vorschlag / einen Vorgesetzten akzeptieren Pons Großwörterbuch Deutsch als Fremdsprache. Stuttgart: Klett 2004. Frage: Wie kommt man zu der Aussage „Das Verb akzeptieren verlangt obligatorisch ein Akkusativobjekt“? Thema 4: Valenz Stefan Engelberg, Analyse elektronischer Textkorpora, März 2009, Marmara-Universität Istanbul [Folie 4] 2 Daten – Methoden – Theorien Beispiele für Aussagen in Theorien Der wissenschaftliche Prozess anmailen Neologismentyp: Neulexem […] Aufkommen: seit Mitte der 90er Jahre des 20. Jahrhunderts in Gebrauch […] Bedeutungsangabe einem Adressaten eine E-Mail schicken Neologismen der 90er Jahre. – In: OWID. Institut für deutsche Sprache 2007-2008. http://www.owid.de/. Frage: Wie kommt man zu der Aussage „Das Verb anmailen ist ein Lexem, das seit Mitte der 90er Jahre zum deutschen Wortschatz gehört“? Thema 5: Neologismen Das digitale Wörterbuch der deutschen Sprache des 20. Jahrhunderts, BBAW, http://www.dwds.de/. Frage: Wie kommt man zu der Aussage „Das Substantiv Läufer hat im Gegenwartsdeutschen 6 Bedeutungen“? Thema 6: Polysemie Stefan Engelberg, Analyse elektronischer Textkorpora, März 2009, Marmara-Universität Istanbul [Folie 5] Daten – Methoden – Theorien Beispiele für Aussagen in Theorien Der wissenschaftliche Prozess Duden Das große Wörterbuch der deutschen Sprache. Mannheim: Bibliographisches Institut und Brockhaus 1997. PCBibliothek 3.0 Frage: Wie kommt man zu der Aussage „Die das Substantiv Tag enthaltenden festen Wendungen im Deutschen sind jemandem guten Tag sagen, bei Tage besehen, unter Tage, …“? Thema 7: Wortverbindungen Stefan Engelberg, Analyse elektronischer Textkorpora, März 2009, Marmara-Universität Istanbul [Folie 6] 3 Daten – Methoden – Theorien Der wissenschaftliche Prozess Am ANFANG wissenschaftlicher Unteruchungen Das Staunen (thaumázein) „Denn gar sehr ist dies der Zustand eines Freundes der Weisheit, die Verwunderung; ja es gibt keinen andern Anfang der Philosophie als diesen.“ (Sokrates zu Theodoros in Theaitetos, 155d) „Denn Verwunderung war den Menschen jetzt wie vormals der Anfang des Philosophierens, indem sie sich anfangs über das nächstliegende Unerklärte verwunderten, dann allmählich fortschritten und auch über Größeres Fragen aufwarfen, z. B. über die Erscheinungen an dem Mond und der Sonne und den Gestirnen und über die Entstehung des Alls.“ (Aristoteles, Metaphysik, I, 2, 982b12) Stefan Engelberg, Analyse elektronischer Textkorpora, März 2009, Marmara-Universität Istanbul [Folie 7] Daten – Methoden – Theorien Der WEG empirischer wissenschaftlicher Untersuchungen Der wissenschaftliche Prozess Falsifizierung Interpretation der Daten, Formulierung theoretischer Aussagen Das „Staunen“ Das Verwundern über einen bestimmten Sachverhalt; eine „Warum“-Frage Recherche Auseinandersetzung mit bestehenden Theorien über das Phänomen Hypothese Explizite Formulierung einer als wahr vermuteten, begründbaren Aussage über das Phänomen Forschungsdesign Entwurf einer empirischen Untersuchung Theorie Datenanalyse Nacherhebung von Daten Klassifikation, Typologie, qualitative Analyse, … Datenaufbereitung Transkription, Datenerfassung in Datenbanken, Bereinigung von Korpusdaten, … Datenerhebung Fragebogen, psycholinguistisches Experiment, Korpusrecherche, … Stefan Engelberg, Analyse elektronischer Textkorpora, März 2009, Marmara-Universität Istanbul [Folie 8] 4 Daten – Methoden – Theorien Der wissenschaftliche Prozess Zwei Typen empirischer Untersuchungen Hypothesenprüfende Untersuchung (s. vorangehende Folie): Ausgangspunkt: eine aus einer Theorie, Voruntersuchung oder persönlichen Grundannahme abgeleitete Hypothese. Resultat: die Bestätigung oder die Falsifikation der Hypothese. Hypothesenerkundende Untersuchung: Ausgangspunkt: die Untersuchung und Systematisierung von Daten, aus denen sich Hypothesen über generelle Zusammenhänge und Erklärungen der Zusammenhänge generieren lassen. Resultat: wissenschaftliche Hypothesen. Stefan Engelberg, Analyse elektronischer Textkorpora, März 2009, Marmara-Universität Istanbul [Folie 9] 5