Quo vadis, Valenz? - Germanica Wratislaviensia

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GERMANICA WRATISLAVIENSIA 137 Acta Universitatis Wratislaviensis No 3471 Wroc³aw 2013
Ružena Kozmová
Trnava
Quo vadis, Valenz?
1. Einleitung
Eine solche Überschrift ist in diesem Fall nichts Ungewöhnliches, wenn man die
Valenz als eine Metapher bezeichnet. So wird die Valenz bei ihrem Begründer
L. Tesniére aufgefasst, als Dramenspiel, als Metapher und so wird sie auch bei
vielen anderen Autoren1 genannt. Es zeigt sich und das insbesondere in der Gegenüberstellung mit anderen syntaktischen Theorien, dass die Valenz etwas mehr
als eine Metapher ist. Es ist ein sprachliches Prinzip, ein Prinzip, das in den verschiedensten syntaktischen Theorien funktioniert. Solches bestätigt u. a. auch die
Diskussion über Valenz und Konstruktionsgrammatik oder die Diskussion über
Valenz und Kollokationen.
2. Die Valenz der verbalen Prädikate
Im folgenden Beitrag versuchen wir Fragen zu beantworten, ob die Valenz durch
andere Theorien überholt wurde, daher nicht mehr „gefragt“ ist, oder ob die Valenztheorie nicht eher einer definitorischen Ergänzung bedarf. In Bezug darauf
werden hier Ansätze diskutiert, die die Valenztheorie in neues Licht stellen. Die
Diskussion in Coenn (2006), Wotjak (2007), Jacobs (2008, 2009), Welke (2009),
Eroms (2010) zeigt, dass die Gegenüberstellung der Valenztheorie (= VT) und der
Konstruktionsgrammatik (= KG) sehr nützlich sein kann, weil sie hilft, manche
ungelöste Fragen in der Valenztheorie zu beantworten. Es geht primär um die Valenzerweiterung bzw. Valenzreduktion, und das ist der springende Punkt: Es geht
wieder – wie auch Jahre zuvor – um Ergänzungen (= E) und Angaben (= A) bzw.
obligatorische/fakultative E, diesmal jedoch mit einem günstigeren Resultat für
1 Es
seien nur einige Linguisten erwähnt wie Askedal (1995), Eroms (2000), Nikula (1995),
Welke (2005).
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die Valenz. Zum einen deswegen, weil die Prototypentheorie eine scharfe Grenze
zwischen E und A nicht mehr favorisiert, zum anderen aus dem Grund, weil die
genannte Gegenüberstellung der Valenz- und Konstruktionsgrammatik eine präzisere Valenzdefinition (Jacobs, 2009) ermöglicht. Die Grundidee der Prototypentheorie (Welke 2005) beruht auf den Prototypen, ergo Prototypeigenschaften der
Valenz (Jacobs 2009) oder Prototypergänzungen, die in Abhängigkeit von Satzelementen, mit denen sie feste oder weniger feste Syntagmen bilden, auf der Prototypenskala unterschiedliche Werte erhalten können. Dadurch unterscheidet man
kein ENTWEDER - ODER (E oder A), sondern mehr oder weniger prototypische
E. Die Idee, die Prototypentheorie auf die Valenz zu übertragen, entwickelt u. a.
Welke (2005, 2009) im Zusammenhang mit der Konstruktionsgrammatik weiter. Zum Gegenstand der Diskussion in der Konstruktionsgrammatik stehen u. a.
Geräuschverben, die als Direktiva funktionieren können, die sog. freien Dative
und die freien Prädikative, die in Goldberg (1995) als Argumente für die Lebensfähigkeit der Konstruktionsgrammatik dienen sollten. Wir möchten der Überlegung einen breiteren Diskussionsrahmen verleihen, indem die genannten sprachlichen Phänomene aus der Sicht des Slowakischen betrachtet werden. Es wird sich
zeigen, dass diese Phänomene, zwar in der Sprache an der Peripherie stehend2, ein
übereinzelsprachliches Phänomen darstellen, mindestens die Geräuschverben in
der Funktion der direktionalen Verben, die sog. freien Dative und die redeeinleitenden Verben, die durch ihre Funktion eine Valenzerweiterung implizieren. Nicht
zu vergessen sind dann auch verblose Konstruktionen (vgl. Eroms 2012) die diese
besonderen Fälle der Valenzerweiterung darstellen. Die genannten sprachlichen
Phänomene signalisieren, dass die Valenz immer noch ihren berechtigten Platz in
der syntaktischen Theorie hat und eher in ihrer Definition umzuformulieren ist.
Mindestens in dem Sinne, dass die Valenz nicht nur die Verben selbst, sondern
auch die kompositionellen Aktionsarten (= AA) betrifft. Ergänzungsbedürftig sind
also nicht nur die Verben, sondern auch AA als resultative Konstruktionen. Die
Forderung, nicht nur die Valenz des Verbs, sondern auch die Valenz der komplexen Strukturen zu akzeptieren, finden wir bei Lobin (1995). Er geht von der
These aus, dass auch komplexe Phrasen wie z. B. FVG als regierende Elemente
funktionieren sollten. Lobin baut auf den syntaktischen Strukturen auf, so dass
die Dependenz in seiner Auffassung eine Art der syntaktischen Dependenz ist,
weil sie insbesondere die komplexen Phrasen (VP oder Nominalphrase, auch die
stufenweise entwickelnde NP, FVG) betrifft. Dabei stellt er die bisher gültigen
Dependenzprinzipien als vier dependenzsyntaktische Aporien in Frage. Wir wollen uns nur auf die Verbalphrasen konzentrieren, daher werden hier nur die ersten
zwei „Aporien“ diskutiert.
2 Wir haben die in Goldberg (1995) genannten Konstruktionsbeispiele und Konstruktionen mit
anderen Verblexemen in Mannheimer Corpus überprüft. Es steht fest, dass solche Konstruktionen
zum einen eine kleine Gruppe bilden und zum anderen selten vorkommen.
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1. Auf die Frage, welches Element eines mehrgliedrigen Verbalkomplexes das
Subjekt regiert, erhält man die Antwort, dass die komplexe Phrase vom Subjekt
regiert wird, indem Kopf der Verbalphrase das Finitum ist.
Lobin (1995) behauptet, dass das Subjekt weder allein vom finiten Hilfsverb
noch vom untergeordneten Hauptverb abhängig ist, sondern wie das Akkusativobjekt vom Verbalkomplex als ganzem regiert wird. Als Satzglied erscheint ein
komplexes Verb mit einer eindeutigen Valenz. Das Problem der Valenz bei mehrgliedrigen Verbalkonstruktionen wurde ausführlich in Eroms (2000, 2012), Engel
/Meliss (2004: 20 ff.), Engel (2004) problematisiert. Eroms fasst die Valenz der
Auxiliare als zweiwertig auf und bezeichnet die auxiliartypische Valenz als Strukturvalenz. Dies wird an den folgenden Beispielsätzen exemplifiziert.
(1) Die Frage ist zureichend beantwortet worden.
(2) Die Frage wurde zureichend beantwortet.
(3) Er hat die Frage zureichend beantwortet.
(4) Er beantwortete die Frage zureichend.
Eroms argumentiert damit, dass die Valenz in Aktivsätzen nicht immer reduzierbar ist.
(5) Er antwortete.
(6) *Er beantwortete.
(7) Er antwortete zureichend.
(8) *Er beantwortete zureichend.
Die Reduktion ist aber bei Passiv möglich, was auch Sadziński (1987) behauptet. Und des Weiteren: Auch wenn das Agens zurücktransformiert wird, lässt
sich der Satz in (9) nicht mehr mit dem ursprünglichen Ausgangssatz (3) identifizieren.
(9) Die Frage ist von ihm zureichend beantwortet worden.
Der Unterschied zwischen dem Aktiv und Passiv ist struktureller Natur, aber
die Transformation des Aktivs ins Passiv bringt zusätzlich auch einen anderen
Unterschied mit sich. Während die Möglichkeit einer Reduktion im Aktiv keinen
Einfluss auf die Qualität der Ergänzung hat, ist es im Passiv anders. Die Transformation ist syntaktisch-semantischer Art, und dadurch wird auch die Agensangabe
geprägt, weil sie fakultativ empfunden oder sogar ihr Ergänzungsstatus bezweifelt wird. Dies jedoch ändert nichts daran, dass die Agensangabe in den passivischen Sätzen in der Regel fakultativ, ergo weglassbar ist. Die Auxiliare können als
zweiwertig angesehen werden, das bedeutet aber nicht, dass sie auch Kasusrollen
zuweisen. Man muss allerdings akzeptieren, so fährt Eroms (2000) fort, dass die
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erste Leerstelle von Auxiliaren das Subjekt bindet. Die zweite Leerstelle wird von
einer infiniten Verbform besetzt. Dies ist nach Eroms eine virtuelle Leerstelle,
„denn die Partizipien und Infinitiv müssen als um eine Leerstelle reduziert aufgefasst werden. Beides sind historisch gesehen nominale Formen.“ (Eroms 2001:
21)3 Das Subjekt kann tatsächlich von dem Finitum regiert werden, was man mit
Beispielen in den slawischen Sprachen belegen kann. Das Subjekt kann im Slowakischen (sog. subjektlose Sprache) getilgt werden, weil es durch das Vorhandensein des Auxiliars signalisiert wird. Wird im Russischen das Auxiliar weggelassen,
ist das Vorhandensein des Subjekts notwendig.
(10) Deutsch: Ich bin nach Bonn gefahren.
(11) Slowakisch: 0 Cestoval som do Bonnu.
(12) Russisch: Ja jechal 0 v Bonn.
Die zweite Aporie betrifft die Stellung bzw. Funktion des nominalen Bestandteiles innerhalb des Funktionsverbgefüges. Die Frage, ob dieser nominale Bestandteil mit dem Finitum einen Verbalkomplex bildet, wird bejahend beantwortet.
So gehört dann im Falle zur Aufführung bringen PP zum komplexen Verbalprädikat, das die restlichen Argumente, wenn der Fall eintritt, regiert. Lobin gibt zu,
dass damit die folgenden Probleme entstehen können:
a) zur Aufführung müsste als Ergänzung des Verbs funktionieren, was aber
nicht stimmt.
(13) Die Semper-Oper brachte eine Neuinszenierung von Faust zur Aufführung.
V <Esubj, Eakk>
b) Die Annahme einer Nomenergänzung scheint nicht begründbar zu sein,
was der Beispielsatz in (14) eindeutig belegt.
*Die Semper Oper brachte eine Neuinszenierung von Faust zur Aufführung
des Opernstückes.
c) Die Substantivgruppe kann um keine spezifischen Angaben (15) erweitert
werden.
*Die Semper Oper brachte eine Neuinszenierung von Faust zu der alten Aufführung.
3 Vgl.
auch Havránek (1928), Ružička (1966).
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Wie die Beispielsätze in (14, 15) belegen, ist die Präpositionalphrase als nominaler Bestandteil des Fuktionsverbgefüges weder durch ein nachgestelltes noch
durch ein vorangestelltes Attribut erweiterbar.
3. Konstruktionsgrammatik vs. Valenzgrammatik
Die Konstruktionsgrammatik, auf der generativen Semantik aufbauend, machte
Konstruktionen zu ihren Grundeinheiten (vgl. Goldberg 1995, Boas 2003 u. a.),
anfangs auch solche auf der Wortbildungsebene (vgl. Goldberg 1995), was Welke zu recht einer Kritik unterzogen hatte (2009). Goldberg hält Wörter und Morpheme ebenfalls für Konstruktionen, und resultiert daraus, dass es zwischen
Grammatik und Lexikon kein grundsätzlicher Unterschied besteht. Dieser These
stimmt Welke nicht zu, weil nach seiner Meinung die Wörter nicht syntaktische
Konstruktionen, sondern phonologische oder morphologische Konstruktionen
sind. Der Unterschied zwischen Grammatik und Lexikon wird insofern relativiert, als Wörter und Konstruktionen, die aus Form und Bedeutung bestehen,
relativ selbständige Einheiten darstellen. In Konstruktionsgrammatiken geht es
nicht nur um die Kombination von Konstruktionen, sondern um die Füllung
von Konstruktionen mit dem lexikalischen Material. Ein großer Teil der Regularitäten, die Goldberg formuliert, handelt von der Fusionierung, insbesondere von den Relationen zwischen Konstruktionen und Verben. Die konzeptuelle
Anpassung laut Goldberg setzt also die im Verb enthaltene Lexikoninformation voraus, aufgrund deren ein Verb in die „Konstruktion fusioniert wird“. Die
Brücke zur Konstruktion ist nach Welke (2009) die beschriebene konzeptuelle
Anpassung. Die prototypische Theorie im Sinne eines Prozesses (vgl. Welke
2009) hat im Bereich der Valenztheorie einen neuen Weg eingeschlagen, denn
diachronisch gesehen sind die meisten Verben Handlungsverben, also Prototypen unter den Verben, die zu Vorgangsverben werden können. Auf diese Weise
kommt die Valenzerweiterung oder Valenzreduktion zum Ausdruck. Dies kann
man jedoch positiv betrachten, weil die Grundvalenz durch diese Freiheit eine
breitere Manövrierung ermöglicht. Die konzeptuelle Anpassung wird bei uns
nicht rein konstruktivistisch aufgefasst, sondern in Anlehnung an Welke (2009),
was voraussetzt, dass das Verb betreffende, notwendige Seme sensitiviert und
die Konstruktion ein syntaktisches Muster anbietet. So können die einwertigen
Verben zweiwertig werden, genau wie die zweiwertigen zu dreiwertigen. Die
Zwei-Ebenen-Semantik nach Bierwisch / Lang (1987) arbeitet mit ausschließlich inneren Gesetzmäßigkeiten der Semantik, was wohl kein Optimum für die
Konstruktionen darstellen kann, denn es sind auch Textregularitäten zu berücksichtigen. Welke lehnt die Zwei-Ebenen-Semantik bei Bierwisch ab, und setzt
sich für „eine semantisch-pragmatische (mit Implikaturen), diachronisch orientierte Vorgehensweise“ ein:
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Eine Lösungsmöglichkeit bietet Prototypik in einem erweiterten, prozessualen Sinne. Hier ist
der Prototyp nicht im statischen Sinne bestes Exemplar einer Klasse, sondern er ist in der
wörtlichen Bedeutung von Prototyp Ausgangspunkt von Abwandlungen, und zwar von Abwandlungen, die mit dem Prototyp nicht unter das gemeinsame Dach einer Invariante passen.
An die Stelle abstrakter Prinzipien kommt ein diachrones Moment. (Welke 2009: 119)
Die Valenz als Valenz komplexer Prädikate postulieren Willems / Coene
(2006) in Anschluss an Vuillaume (2003). Sie stellen in Bezug auf Direktivkonstruktionen und Objektsprädikativ-Konstruktionen die These auf, dass das Akkusativobjekt nicht vom Verb direkt abhängt, sondern von einem komplexen Prädikat
aus Verb + Direktivum bzw. Verb + Prädikativ. Dieser Vorschlag setzt nach Welke
(2009) die Konstituentenstruktur an die Stelle der Dependenz- bzw. Valenzstruktur. Und außerdem wird damit gesagt, so fährt Welke fort, dass in solchen Fällen
„das Verb selbst über keinerlei Valenz verfügt“. Es ist nicht klar, woher das Direktivum und Prädikativ und der sog. freie Dativ kommen. Wenn es sich um reguläre
Valenzbeziehungen handeln würde, müssten die Verben in den Sätzen zweiwertig
(16) bzw. dreiwertig (17, 18) sein:
(16) Feuerwerkskörper zischten in den Himmel.
(17) Vor lauter Aufregung trank sie das Wasserglas leer.
(18) Unterstützend standen ihr zwei junge Frauen zur Seite.
Welke (2009: 97) geht davon aus, dass „aus konstruktionsbasierter Sicht das
Verb mit der Konstruktion zu fusionieren ist“. Stimmen die Partizipantenrollen
des Verbs und die Argumentenrollen der Konstruktion nicht überein, dann erfolgt
Goldberg (1995) zufolge eine konzeptuelle Anpassung.4 Das bedeutet, dass das
Verb in seiner Bedeutung gegenüber seiner Lexikonbedeutung geändert werden
muss. Welke argumentiert mit dem Verb bauen, das in Helbig / Schenkel (1983:
130) in der Bedeutungsvariante „errichten“ (19) zweiwertig ist. Den freien Dativ
in (21) sehen diese Autoren nicht als eine dritte E vor:
(19) Er baut ein Haus.
(20) Stavia dom.
(21) Wittgenstein baut seiner Schwester ein Haus.
(22) Wittgestein stavia svojej sestre dom.
Welke betrachtet resultative Objektsprädikativ-Konstruktionen als nicht lizenzierte Argumenterweiterungen. Ausgangspunkt ist wie bei Direktivkonstruktionen ein intransitiv imperfektives oder intransitiv imperfektiv verwendbares
4 Die konzeptuelle Anpassung im Sinne von Goldberg (1995) ist auf die Coercion bei Pustejovsky zurückzuführen. Koerzion paraphrasiert Pustejovsky als „semantic shifting“ oder „lexical governed type shifting“. In seinem generativen Lexikonmodell unterscheidet Pustejovsky 4 Ebenen:
1. Argumentstruktur, 2. Ereignisstruktur, 3. Qualiastruktur, 4. Vererbungsstruktur.
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Verb. Das lexembasierte Muster ist die Handlungsverbkonstruktion und die innere
semantische Struktur von Handlungsverben. Das syntaktische Muster ist die Kombination einer Vollverbkonstruktion mit dem Akkusativobjekt und einem Adjektiv.
Solche Konstruktionen gibt es in der slowakischen Sprache, einer ausschließlich
verbalen Sprache nicht. Die Entsprechung wird entweder mit einer präfigierten
Aktionsart (Präfix vy-) in 24, 25, 27, 29, 31 oder aber mit einem erklärenden Nachsatz als Nebensatz wiedergegeben. In der Regel ist es ein Konsekutivsatz (25)
als Folge bzw. Resultat. Daraus wollen wir schlussfolgern, dass die resultativen
Konstruktionen im Deutschen eine resultative Aktionsart darstellen, in diesem Fall
also eine kompositionelle Aktionsart. Dadurch wird die Valenz des Matrixverbs
(des Simplexverbs) nicht verletzt, denn es geht entweder um die Valenz der synthetischen oder um die Valenz der kompositionellen Aktionsart.5
(23) Er trinkt den Becher leer.
(24) Vyprázdni pohár./ Vypije všetko.
(25) Vypije pohár tak, že ostane prázdny.
(26) Mit mehr als 800 Kräften pumpten die Retter Hunderte Keller leer.
(27) Viac ako 800 záchrancov vypumpovalo stovky zatopených pivníc.
(28) Nacktschnecken fraßen die Gärten leer.
(29) Slimáky (úplne) vyžrali záhrady.
(30) Das Haus wird komplett leer geräumt.
(31) Dom sa kompletne vyprázdni.
Einer der Vorteile von Goldberg Analyse besteht darin, dass Verben nur eine
prototypische Bedeutung haben, weil abstrakte Konstruktionen den Verben durch
Fusionierung zusätzliche Argumentstellen zuweisen. Innerhalb der Argumenthierarchie ist nach Welke Folgendes anzunehmen: Aus dem Konstruktionsmuster folgt,
dass der Entwicklungspfad auch sog. freie Dative (z. B. 21, 22) als Argumente
einschließe. Im Lexikon findet man nur die Grundvalenz, aber weder Argumenterweiterungen noch Argumentreduktionen. Wir stimmen also Welke (2009: 120) zu,
wenn er sagt, dass: „Fakultativität von ARG durch Weglassung von Argumenten
sich wie Fakultativität durch Hinzufügung von ARG auf der Grundlage der konzeptuellen Anpassungen und der entsprechenden Implikaturen auf der Grundlage
vorhandener Konstruktionsmuster ergibt“. Laut der konzeptuellen Anpassung sind
dann Konstruktionen einwertiger bzw. zweiwertiger Verben das Muster für die Valenzreduktionen von zweiwertigen bzw. dreiwertigen Verben. Eroms (2012) weist
darauf hin, dass nicht nur einige Geräuschverben eine Valenzänderung haben. Zur
erhöhten Valenz kann es bei Verben kommen, die als „redeeinleitende Verben fungieren: sprechen, erzählen, mahnen, aber auch einwenden / nachhaken / anschnau5 Die Aktionsarten
im Deutschen werden durch ein einfaches Verb laufen (Simplexverb), eine
imperfektive Aktionsart oder kompositionell ein Haus bauen, eine perfektive (resultative) Aktionsart
ausgedrückt. Man vgl. u. a. Vater (1994: 89ff.).
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zen / anherrschen / anfahren“ (Eroms 2012: 9). Das heißt, so fährt Eroms fort,
(2012: 11) „es werden längst nicht nur geräuschwiedergebende lautmalerische
Verben verwendet, sondern auch kommunikationskommentierende Verben und
solche, die aus unterschiedlichen anderen Bereichen kommen“. Auch hier ist laut
Eroms der metaphorische Charakter der Ausdrucksweisen sichtbar, wenn diese
Art von Metaphern auch im Verblassen enthalten ist – „ein häufiger Fall der Ausdruckserweiterung“. Eroms stellt sich die Frage, ob die „klassischen“ Objektsprädikative sich analog verhalten wie die mit der Struktur (Esubj, Akkusativobjekt,
Objektsprädikativ). Eines seiner Argumente ist ihre Paraphrasierungsmöglichkeit
(ähnlich Jacobs 2009), wobei die nachgetragene (Adverbial-)Phrase gesetzt wird.
Wir wollen dieser Behauptung zustimmen, denn sowohl die Objektsprädikative
(33, 41) als auch be-Verben (39) werden im Slowakischen durch resultative Prädikate wiedergegeben. Der verbale Charakter des Slowakischen wird besonders
bei der Entsprechung für das resultative Prädikativ mit dem Verblexem quatschen/
quasseln (41) oder des resultativen be-Verbs (39) deutlich. In beiden Fällen wird
das Resultativum ukecať verwendet, wobei das Präfix u- nicht nur Dauer, sondern
auch Menge impliziert, die zum Resultat führen.
(32) Er hobelt das Brett glatt.
(33) Hobľuje dosku do hladka.
(34) Er hobelt an dem Brett, bis es glatt ist.
(35) Hobľuje dosku dovtedy, kým nie je hladká.
(36) Er quasselt./ Er quatscht.6
(37) Kecá./Tára.
(38) Er bequatscht sie.
(39) Ukecá ju.
(40) Er quasselt sie besoffen.
(41) Ukecá ju.
Elemente wie raus, her, nieder haben in (42–45) obligatorische Valenz in beiden Sprachen, was man an den folgenden mit-Phrasen bzw. s-Phrasen belegen kann.
(42) Raus mit der Sprache!
(43) Von s tým! (Hovor!)
(44) Her mit dem Kaffee!
(45) Sem s tou kávou!/ Poďme s tou kávou!
6 Die Varianten der Beispiele mit quatschen sind auch in Jacobs (2009) zu finden. DUDEN
Universalwörterbuch (2003, CD-Room) charakterisiert das Verb quasseln wie folgt: quas|seln <sw.
V.; hat> [aus dem Niederd., zu niederd. quassen = schwatzen, zu: dwas, mniederd. dwas = töricht]
(ugs., oft abwertend): unaufhörlich u. schnell reden; schwatzen: hör auf zu q.!; <mit Akk.-Obj.:>
dummes Zeug q. Der Beispielsatz in (40) ist Eroms (2012: 15) entnommen.
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Solche Einheiten „besetzen die Leerstellen, die die ersteren eröffnen“ (Eroms
2012: 17). Den Beweis liefert auch die slowakische Entsprechung, indem das verbale Äquivalent mit dem Verb sprechen / hovoriť (43), kommen / prísť (45) wiedergegeben wird. Valenzen haben ihre Grenzen, darauf weisen deutlich auch die
Konstruktionen hin, die hier exemplifiziert worden sind. Es zeigt sich, dass die Valenz aufs Neue bewertet werden muss, indem sie einer definitorischen Ergänzung
bedarf, denn, wie hier an Beispielen gezeigt worden ist, betrifft die Valenz nicht
nur Verben bzw. deren Partikeln (als Partikelverben), sondern auch kompositionelle Aktionsarten als resultative Konstruktionen, die redeeinleitenden Verben,
aber auch verblose Präpositionalausdrücke.
4. Valenz und Kollokationen
Für jedes Argument eines jeden Valenzmusters gibt es eine ganze Menge von
Kollokationen, denn sie repräsentieren einzelne semantische Satzbaumodelle.
Die Kollokationen können ihren semantischen Typen entsprechend bestimmten
lexikalischen Paradigmen zugeordnet werden. In Bezug darauf, dass wir die Valenz als Interaktion des Verblexems, eines Lemmas und der Ergänzungen vor dem
Hintergrund der Kollokation betrachten wollen, ist der Begriff Kollokationswissen zu erklären. In Anlehnung an Viehweger (1987: 234) ist „Kollokationswissen“
kein spezifischer Wissensbereich, der in einem Lexikon vorliegt, sondern das
Wissen um die Kombination unterschiedlicher lexikalischer Informationen, die
im Prozess der „Mittelbarmachung von Bewußtseinsinhalten“ (ebd.) interagieren.
Es ist ein spezifisches Wissen über die „kombinatorische Komplexbildungsmöglichkeiten der Satzstruktur“. Die Termini Kollokation und Kookurrenz werden in
der Literatur unterschiedlich aufgefasst und definiert, worauf Ďurčo (2010: 6 f.)
zu recht hinweist. Von der slowakischen Linguistik ausgehend plädiert Ďurčo
(2010) für die breitere und engere Auffassung der festen Wortverbindungen. Während sich „das breite Konzept auf das sog. Kollokationskontinuum des Schlüsselwortes stützt“, handelt es sich im Falle der engeren Auffassung „um das so genannte kombinatorische Kontinuum, wo neben dem Häufigkeitskriterium auch
noch qualitative Kriterien wichtige Rolle spielen“ (Ďurčo 2010: 7f). In Anlehnung
an Jarošová (2007) sind dann die festen Wortverbindungen entweder notionale
feste Wortverbindungen oder typische Wortverbindungen zu unterscheiden. Diese
Definition vereint in sich, fährt Ďurčo fort, Systemeinheiten (nominale, verbonominale und adverbiale lexikalisierte Wortverbindungen und feste Wortverbindungen von Synsemantika) und Phänomene auf der Grenze zwischen Text und
System (typische Wortverbindungen). Es steht fest, dass die Interaktion des Valenzträgers und dessen Argument-Ergänzung als ein semantisch-syntaktischer
Prozess anzusehen ist. Dieser Prozess schwebt jedoch weder in der Luft noch innerhalb eines künstlich gebildeten Satzes, sondern er kommt innerhalb einer
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schriftlichen oder mündlichen Kommunikation zum Vorschein. Es ist klar, dass
auch hier die theoretisch begründete Konstituierung der E als Kollokationselement den zusätzlichen Gesetzmäßigkeiten unterliegt. In Jacobs (2009) wird Konstruktionsbindung der Valenzbindung gegenübergestellt mit dem Ziel einen Prototyp der Eigenschaften zu definieren, die die Valenzbindung prägen. Dadurch
macht Jacobs einen Schritt weiter, indem er Kookurrenzgesetzmäßigkeiten für
Konstruktionen (K-Kookurrenzen) und Valenzen (V-Kookurrenzen) zu formulieren versucht. V-Kookurrenzen sind die Gesetzmäßigkeiten, die in den gängigen
Wörterbüchern behandelt werden, etwa Objekt-Verb-Kookurrenzen und K-Kookurrenzen werden durch phraseologische Einheiten als semantisch nicht transparente Phrasen vertreten. Jacobs prüft dabei die Eigenschaften wie Lokalität, asymmetrische Konkretheit, Ausnahmslosigkeit, Umgebungsunabhängigkeit und
Prädikat-Argument-Bezieh-ung. Während die genannten Eigenschaften für die
Valenzbindung relevant sind, ist das bei der Konstruktionsbindung nicht der Fall.
Durch diese Gegenüberstellung glaubt Jacobs bei V-Kookurrenzen einen klaren
Prototyp erstellt zu haben. Die gewählten Eigenschaften sind nach diesem Autor
nicht „zufällig zusammengewürfelt“, weil sie ein gemeinsames, sprachtheoretisch
signifikantes Fundament haben. Jacobs meint damit seine Valenzdefinition, die als
morphosyntaktisches Merkmal definiert wird (2009: 504): „Valenz ist ein relationales morphosyntaktisches Merkmal von Wortformen, das kodiert, wie semantische Argumente des Lexems, zu dem die jeweilige Wortform gehört, zu realisieren sind.“ Die Valenz operiert tatsächlich auf der Oberfläche des Satzes, die E
werden eher abstrakt festgelegt, während das Verblexem ganz konkret ist, sodass
eine asymmetrische Konkretheit bei der Valenzbindung feststeht. Auch dann,
wenn die E ihre Position ändern, behalten sie ihre morphologisch-syntaktische
Eigenschaften bei, daher sind sie ausnahmslos umgebungsunabhängig. Und letzten Endes ist auch der Eigenschaft, die als „Prädikat-Argument-Beziehung“ in
Jacobs (2009: 502) genannt wird, zuzustimmen, indem „X als valenzgebunden
explizierendes Zeichen ein semantisches Argument des valenzgebundenen Prädikats spezifiziert“. Diese Ausführungen stimmen mit der Jacobschen Definition der
Valenz überein, sein Prototyp der Valenzeigenschaften kann zweifellos nützlich
sein. Es fehlt nur noch, Fragen zu beantworten wie: Wie kommt man von dem
Prototyp zu den anderen usuellen Fällen innerhalb des Textes, insbesondere für
den Bedarf des DaF-Unterrichts, was die Priorität eines jeden ausländischen Germanisten ist? Was ist die Brücke zwischen der syntaktischen Theorie und der
Lexik, den Kollokationen, die die Lexikologen anhand von unterschiedlichen
Korpora von allen möglichen Seiten prüfen? Ist diese Brücke nicht die Semantik,
die die Valenz und lexikalische Einheiten als Kollokationen verbindet? Wird ein
„ja“ gesagt, dann heißt es auch im Falle der Valenzdefinition, dass die Valenz semantisch-syntaktische Beziehungen regiert und dementsprechend eher ein sprachliches Prinzip darstellt. Die Kookurrenzgesetzmäßigkeiten für Akkusativverben
oder Handlungsverben, wie sie bei Jacobs (2009) prototypisch formuliert sind,
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funktionieren innerhalb des Textes. Für den Text gelten spezifische Textregularitäten, die auf der Bedeutung der einzelnen Wörter beruhen. Wir wollen in Anlehnung an Hanks (2010) von der Prämisse ausgehen, dass die Konstituierung der
Wortbedeutung aufgrund ihres Bedeutungspotenzials erfolgt.7 Daher sollte man
nicht von der Wortbedeutung, sondern eher von dem Bedeutungspotenzial sprechen. Wenn diese Prämisse gilt, dann heißt es, dass die Wort- oder Syntagmenbedeutung von den einzelnen Kollokaten abhängt, also auch im Falle der Verbvalenz, wie es Vilmos Ágel postuliert8, der in Bezug auf die Valenz die Fügungspotenz
der Verben und das Aktantenpotenzial annimmt. Wird dies akzeptiert, dann besetzen Argumente aufgrund ihrer semantischen Merkmale die Leerstellen des Prädikats und als Kollokationen bestimmen sie die Bedeutung der Konstruktionen mit.
Die Idee, die Valenz vor dem Hintergrund der Kollokationen zu betrachten ist
schon in Askedal (1995)9 zu finden, aber ein konkretes Verfahren bietet erst Wotjak (2007) an, indem er einen valenztheoretischen mit dem kollokationell verbundenen Ansatz postuliert „eine valenzbasierte Beschreibung des intrinsischen kombinatorischen Potenzials der Verben, die alle mit dem betreffenden Verb
kompatiblen, kollokationell verbindbaren Substantivaktanten-LE-Filler auflistet“
(Wotjak 2007: 173). Für Wotjak (2007: 167) spielt die Bedeutung und insbesondere deren Konfiguration ein besondere Rolle: auf der einen Seite als „Garant der
referenziell-designativen Funktion“ und auf der anderen Seite als eine „die Argumentstruktur bzw. Argumentpotenzial“ nach seiner Überzeugung „eindeutig prädeterminierende Entität“. Verben mit Substantiven als deren Ergänzungen bilden
ein extrinsisches syntagmatisch-kombinatorisches Potenzial. Wotjak schlägt vier
(0–III) Phasenreferenzpunkte vor, die für das Entstehen der bestimmten verbnominalen Syntagmen relevant sind.10 Einer der Vorteile der Konstruktionsgrammatik ist zweifellos der definitive semantische Zugang bei der Bestimmung der
Wortbedeutung und des Weiteren die These, dass sich die Bedeutung erst in
der unmittelbaren und konkreten Umgebung konstituiert. Dies lässt sich in Boas
7 P. Hanks in Anlehnung an seine frühere Arbeit aus dem Jahre 1994 behauptet, dass Wörter
strenggenommen keine Bedeutung, sondern Bedeutungspotenzial haben. „Verschiedene Aspekte
dieses Potenzials werden in verschiedenen Kontexten realisiert, entweder durch regelgeleitete Verwendung oder durch Regelverletzung. Die Regelverletzung ist selbst auch regelgeleitet. Daran kann
man erkennen, dass eine Sprache ein System von regelgeleiteten Verhalten ist“ (Hanks 2010: 493).
8 Ágel (2000:105): „Relationale Sprachzeichen, die der Kategorie Verb angehören, haben qua
ihres Aktantenpotenzials die Fähigkeit/Potenz, die semantische und syntaktische Organisation des
Satzes zu prädeterminieren“.
9 Askedal (1995: 12): Verblexeme lassen sich im Rahmen seiner Konzeption „als Lexikalisierungen perspektivierter Szenen- oder situationskonstituierender semantischer Prädikate auffassen;
als solche stehen sie in spezifischen und nicht spezifischen Kookurrenzbeziehungen zu Argumentgliedern. Bei den Argumentgliedern kommen dann die Begriffe Aktantifizierung und Grammatikalisierung bzw. Lexikalisierung zum Tragen“.
10 Wotjak (2007: 173) unterscheidet a) Ebene des NOCH-NICHT-SEINS, b) die Ebene des
SEINS, c) die Phase(n) des SO-/ANDERS-SEINS, und c) die Phase des NICHT-MEHR-(SO)SEINS.
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(2010: 60) beobachten, der sog. Ereignis-basierte-Frame-Semantik entwickelt
hat, die im Prinzip mit derselben in Goldberg (1995) kompatibel ist, aber „mit viel
größerer Genauigkeit die unterschiedlichen semantischen, pragmatischen und
syntaktischen Anforderungen von einzelnen so genannten, Minikonstruktionen
beschreibt“ (Boas 2010: 60). Der zentrale Gedanke ist, dass jede einzelne Bedeutung eine so genannte Minikonstruktion bildet, d. h. eine Paarung von Form mit
Bedeutung / Funktion. Der semantische Teil einer Minikonstruktion (der sog. Ereignis-Frame) erfasst in größtmöglicher Genauigkeit den semantischen Frame,
der von einer Verbbedeutung evoziert wird. In Anlehnung an Talmy (2000) werden nach Boas Frame-semantische Beschreibungen einzelner Verbbedeutungen
um detailliertere Informationen a) über die einzelnen Frame Elements, b) ihre
Beziehungen zueinander, und c) den zeitlichen Ablauf des von der Verbbedeutung
beschriebenen Geschehens erweitert. Der Vorteil in Boas (2010) detaillierten Ereignis-Frames liegt darin, dass man genau spezifizieren kann, welche Arten von
Beziehungen es zwischen den einzelnen Frame Elements eines Ereignis-Frames
gibt, sondern es ist auch möglich, dass Kollokations- und Frequenzinformationen
genau spezifiziert werden können. Die Ereignis-basierte-Frame-Semantik von
Goldberg (1995), ergänzt von Boas (2003a: 159–213) trägt eine deutliche generative Handschrift, indem sie eine gute Ausgangsbasis für Hanks darstellt. Im Sinne
der generativen Semantik11, einem theoretischen Rahmen zur Signalisierung von
Wissen über selektionale Präferenzen12 von Wörtern und ihren Bedeutungen verfährt auch Hanks (2010) und setzt vier Arten von ressourcen (= Mittel) für jedes
Wort voraus:
1. Ereignisstruktur / Event structure: definiert den „Event Type“ (Ereignistyp)
des Satzes oder des Ausdrucks, z. B Action, Process, State;
2. Argumentstruktur / Argumentstructure: spezifiziert die Anzahl und die Art
der Argumente eines Prädikats;
3. Struktur lexikalischer Typen / Lexical-Type Structure: definiert den semantischen Typ eines Wortes in einer hierarchischen Ontologie von Konzepten, z. B.
[Human], [Artefact], [Vehicle], [Concept];
4. Qualia-Struktur / Qualia Structure – liefert eine Basis zur strukturellen
Differenzierung der prädikativen Kraft eines lexikalischen Elements.
11 Pustejovsky behauptet, „dass Qualiastruktur nicht nur das Lexikon strukturiert, sondern
auch Interpretationen von nominalen Lexemen im Kontext“. Mit „koerzierten“ Strukturen sind demnach diejenigen Komplemente einer Argumentstruktur gemeint, die „aufgrund einer vom Verb „erzwungenen“ semantischen Transformation eine spezifische „Satzbedeutung“ generieren, die einerseits mit der lexikalischen Bedeutung des Verbs, andererseits aber auch „mit der lexikalischen
Bedeutung des Komplements kompatibel ist“ (1995: 404 ff.).
12 Hanks lehnt zurecht den Terminus selektionale Restriktionen ab, weil es sich offensichtlich
um einen Pleonasmus handelt.
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Die Qualiastruktur enthält Informationen über spezifische Eigenschaften
und Aktivitäten, die mit einem Lexem assoziiert werden können. Während die in
Boas (2003, 2010) angeführten „Frame-Semantik-Informationen“ über die Bedeutungsstruktur des Verbs einzelne Frame Elements, ihre gegenseitige Beziehung und den zeitlichen Ablauf aussagen, ist die Beschreibung der Wortbedeutung in Hanks (2010) allgemeiner. Die vier genannten „ressourcen“ beziehen
sich zum einen nicht auf das Verb, sondern auf die Ereignisse innerhalb des
ganzen Satzes, zum anderen auf die Argumentstruktur, deren semantischer Typ
im Sinne der Hierarchie von Konzepten beschrieben wird und die Qualiastruktur, die als Ausgangsbasis für die Satzgenerierung dient. Die konstruktivistische Sichtweise der Wort- und der Satzbedeutung ermöglicht den Aufbau der
Konstruktionen, die innerhalb des Textes akzeptierbar sein können. Es bleibt
jedoch immer noch die Frage übrig, welche Gesetzmäßigkeiten die Bildung der
Kollokationen regieren. Wenn nämlich die These über das Wortpotenzial und
nicht die Wortbedeutung akzeptiert wird, dann müsste gelten, dass die Kollokationen beliebige Kollokationsreihen bilden können. Aber wenn wir feststellen wollen, wie die Kookurrenzen von Wörtern die Bedeutungen mitgestalten,
müssen wir die Kollokationen analysieren. Das größte Problem besteht nach
Ďurčo (2010) darin, dass die kombinatorischen Wechselbeziehungen zwischen
den Wörtern und Texteinheiten „arbiträr, normbedingt und konventionell, also
idiosynkratisch sind“ (Ďurčo 2010: 7). Daraus lässt sich resultieren, dass die
Restriktionen in der Kombinierbarkeit der Wörter „lexikalischer und nicht semantischer Natur sind“. Die Kollokationen neigen zur Variabilität, und wenn
man versucht die Muster festzulegen, erkennt man immer mehr Ausnahmen.
Hanks hat recht, wenn er behauptet, dass die Grenzen zwischen Mustern und
Ausnahmen verwischt sind. Die meisten Verwendungen eines Wortes können
nach Hanks einem Muster zugewiesen werden, aber „es gibt fast immer einige,
die ungewöhnlich sind“ (Hanks 2010: 412). In diesem Zusammenhang taucht die
Lösung in der Festlegung der Kookurrenzgesetzmäßigkeiten auf, indem nicht
die Regel, sondern die Regelverletzung definiert werden sollte.
5. Zusammenfassung
In unserem Beitrag haben wir versucht zu zeigen, dass die Valenz immer noch
„aktuell“ ist. Sie ist nicht auf der Kreuzung geblieben, denn sie als sprachliches
Prinzip geht mit den neueren syntaktischen Theorien einher, wodurch sie komplexere Konturen gewinnt. Es geht im Weiteren nicht nur um die Valenz des
Verbs, um seine Fügungspotenz, die innerhalb der Valenzreduktion bzw. Valenzerweiterung realisiert wird, sondern auch um die Valenz der kompositionellen
Aktionsarten. Auf diese Weise überschreitet die Valenz die Wortklassenebene,
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weil es sich um die Valenz der Ereignisse13 handelt. Es muss eingeräumt werden, dass der hier behandelte Typ der resultativen Konstruktionen, genau wie die
Fügungspotenz der Geräuschverben oder der verblosen Konstruktionen auf der
Valenzperipherie stehen. Sie ermöglichen jedoch einen komplexeren Blick auf
die Valenz, indem der Prozess der Valenzrealisierung mithilfe der Prototypeigenschaften präzisiert wird. Dadurch bietet sich eine neue Perspektive für die
Valenz, indem die Kookurrenzgesetzmäßigkeiten des Valenzträgers festgelegt
werden müssen.
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13 Unter
diesen Begriff fallen Handlungen, Vorgänge und Zustände.
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Abstracts
In dem Beitrag wird der Existenzfrage der Valenztheorie nachgegangen, indem sie den neueren
syntaktischen Ansätzen gegenübergestellt wird. In der Diskussion mit der Konstruktionsgrammatik ergibt sich nicht nur ihre Lebensfähigkeit, sondern auch die Notwendigkeit ihres weiteren
Bestehens. Die Valenz lässt sich als ein sprachliches Prinzip definieren, das die semantisch-syntaktischen Beziehungen regiert, wodurch auch Randerscheinungen der Valenz abgedeckt werden
können. In diesem Sinn lässt sich nicht nur über die Valenz des Verbs, sondern auch über die der
kompositionellen Aktionsarten sprechen. Die prototypischen Eigenschaften der Valenzbestimmung signalisieren eine neue Perspektive bezüglich der Valenz – sie in Zusammenhang mit den
Kollokationen einzusehen.
Schlüsselwörter: Valenz, sprachliches Prinzip, Konstruktionen, Kookurrenz, Kollokationen
Quo vadis, Valenz?
The present paper discusses the existential issue of the valency theory in the context of newer syntactic theories. In the discussion with constructional grammar it shows its vitality, even the necessity of its further existence. Valency can be defined as a linguistic principle which controls semanticsyntactic relations. In this way valency can cover even peripheral phenomena. In this sense it is
possible to speak not only about verb valency, but also about valency of compositional action. The
prototypical qualities of valency determination signalize a new valency perspective in the context of
collocations.
Keywords: Vallency, language principle, construction, cooccurrence, collocations
Ružena Kozmová
Universität der Hl. Cyril und Method
Philosophische Fakultät, Institut für Germanistik
Nám. J. Herdu 2
917 01 Trnava
Slowakei
E-Mail: [email protected]
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