Werner Röhrig Prof. Dr. Manfred Stöckler

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Verein für interdisziplinäre und interkulturelle Zusammenarbeit
Weilburger Forum, e.V., Tortona-Straße 14, 35781 Weilburg, Tel.: 06471-30280, E-Mail: [email protected]
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Weilburg und Bremen, den 14. Dez. 2015
Anregung zum Nachdenken: Die Weihnachtsgeschichte im Koran (Suren 3,35-49, 19,1-38;)
Anlage: Geschichte Der christliche Negus (König) von Äthiopien und die muslimischen Flüchtlinge
Sehr geehrte Damen und Herren!
Die Weihnachtszeit und der Jahreswechsel sollten Anlass sein, einen Beitrag zum Dialog zwischen den
Buchreligionen zu leisten und in einem ersten Schritt der weitverbreiteten Unkenntnis über die Religion des
Islam entgegenzutreten.
Erinnern wir uns:
Erst nach Bewusstwerden der antisemitischen Holocaust-Ereignisse, die ohne einen Jahrhunderte langen
christlichen Antijudaismus undenkbar gewesen wären, haben Christen das theologische Gespräch mit dem
Judentum gesucht und gelernt, das Judentum wieder neu in den Blick zu nehmen, der die
neutestamentlichen Texte überhaupt ihre Entstehung verdanken.
Es ist an der Zeit, sich einen zweiten Sachzusammenhang bewusst zu machen, der auch bei der
jüdisch-christlichen Betrachtung der neutestamentlichen Geburtsgeschichte meistens außerhalb des
Blickfeldes liegt: die Nachgeschichte biblischer Ereignisse und Personen im Koran.
Gerade die Geschichten um Jesu Geburt haben nicht nur eine jüdische Vor-Geschichte, sondern auch eine
muslimische Nach-Geschichte. Im Koran finden sich in zwei Suren relativ ausführliche Beschreibungen (mit
Vorereignissen, Empfängnis, Nachereignissen), die Parallelen zu den neutestamentlichen Überlieferungen
enthalten.
Daraus folgt: Auch Muslime werden von ihrer Heiligen Schrift aufgefordert, theologisch über das
Geheimnis der Geburt Jesu nachzudenken, ähnlich wie Christen, wenn sie mit den entsprechenden
Texten des Neuen Testamentes konfrontiert werden.
Christen sind nicht nur auf Mithilfe von Juden angewiesen, wenn es um das Verständnis ihrer
eigenen heiligen Texte geht, sie sollten auch darauf hören, wie Muslime die sich nicht weniger als
Christen und Juden auf den Gott Abrahams berufen diese Überlieferungen deuten.
Gerade die Geschichten um Jesu Geburt könnten allein durch ihre Existenz im Koran einen
trialogische Kommunikation zwischen Juden, Christen und Muslimen eröffnen.
Die in der Anlage beigefügte Geschichte Der christliche Negus von Äthiopien und die muslimischen
Flüchtlinge aus der Biographie des Propheten Mohammeds ist zwar in ihrer Historizität ungesichert
und doch von tiefer symbolischer Bedeutung: die Begegnung eines christlichen Herrschers, des
Negus von Äthiopien, mit geflüchteten Muslimen aus der Urgemeinde von Mekka.
Wenn Sie diese Geschichte im Rahmen Ihrer Möglichkeiten verbreiten bzw. in Ihren Medien veröffentlichen
würden, würden wir uns in unserem Engagement für den Dialog zwischen den Religionen unterstützt sehen.
Mit freundlichen Grüßen und guten Wünschen für
ein besinnliches Weihnachtsfest und ein friedvolles Neues Jahr
Werner Röhrig
Prof. Dr. Manfred Stöckler
(1. Vorsitzender)
(Vorsitzender des Kuratoriums)
P.S.: Eine Einführung zu den Weltreligionen finden Sie auf dem Web-Portal
www.schulforum-limburg-weilburg.de im Kapitel Lernwerkstatt unter der Rubrik Weltethos Dialog
zwischen den Weltreligionen
Literaturhinweis: Karl-Josef Kuschel: Die Weihnachtsgeschichte im Koran als Modell eines Dialogs, in:
Zeitschrift Junge Kirche , Ausgabe 06/2002, hrsg. v. Erev - Rav, Verein für biblische und politische Bildung,
Lüneburg und Uelzen 2002.
Die Weihnachtsgeschichte im Koran (Suren 19,1-38; 3,35-49)
Vorbemerkungen:
Parallelen zur Geburtsgeschichte des Lukas mit der Gottesbotschaft an Maria durch
den Engel Gabriel gibt es auch im Koran. Dort ist es Gottes Geist, der die Geburt
Jesu als gottgewirkte Zeugung verkündet.
Wie Johannes der Täufer ist Jesus Gottes Geschöpf (ohne Beteiligung eines
irdischen Vaters). Wie Johannes ist Jesus gekennzeichnet durch Lauterkeit,
Frömmigkeit, Gewaltlosigkeit. Wie Johannes hat er von Gott die Schrift
überantwortet bekommen. Aber im Unterschied zu Johannes kann Jesus direkt
sagen, er sei ein Diener Gottes , er sei ein Prophet Gottes, ihm sei die Gabe des
Segens verliehen, ja er sei ein Zeichen Gottes für die Menschen, ein Zeichen von
Gottes Barmherzigkeit .
Gerade die Geschichten um Jesu Geburt haben nicht nur eine jüdische Vor-Geschichte,
sondern auch eine muslimische Nach-Geschichte. Im Koran finden sich in zwei Suren
relativ ausführliche Beschreibungen (mit Vorereignissen, Empfängnis, Nachereignissen),
die Parallelen zu den neutestamentlichen Überlieferungen enthalten.
Wie entscheidend dieser Sachverhalt für den Dialog zwischen Christen und Muslimen
genutzt werden könnte, kann in einer Geschichte Der christliche Negus von Äthiopien
und die muslimischen Flüchtlinge verdeutlicht werden.
Diese Geschichte findet sich bei Ibn Ishaq* von dem eine erste Biographie des Propheten
Mohammed geschrieben wurde (um 750 n. Chr.).
Diese Geschichte aus der Biographie des Propheten Mohammeds ist zwar in ihrer
Historizität ungesichert und doch von symbolischer Bedeutung: die Begegnung
eines christlichen Herrschers, des Negus (Königs) von Äthiopien, mit geflüchteten
Muslimen aus der Urgemeinde von Mekka.
Nicht um ihrer angeblichen Geschichtlichkeit, sondern um ihrer theologischsymbolischen Weisheit willen (was den Umgang von Christen mit Muslimen betrifft)
sei sie hier in Erinnerung gerufen und für die Praxis des Dialogs fruchtbar gemacht.
*
Der christliche Negus (König) von Äthiopien und die muslimischen Flüchtlinge
Der Biograph des Propheten Mohammed - Ibn Ishaq - berichtet von der erzwungenen
Expedition von Angehörigen der kleinen, muslimischen Urgemeinde aus Mekka an den
Hof des Negus von Äthiopien, als die religiöse Unterdrückung durch die polytheistische
Oberschicht in Mekka unerträglich zu werden begann.
Als die Mekkaer freilich ihrerseits eine Delegation die Gesandten Amr und Abdallah zum Negus schicken, um ihn aufzufordern, die Flüchtlinge zurückzuschicken, lässt sich
der Negus auf einen Disput mit ihnen ein.
Er möchte wissen, welcher Vergehen die muslimischen Flüchtlinge beschuldigt werden. Er
lässt Bischöfe holen, die die Heiligen Schriften vor ihm ausbreiten.
Dann befragt er die Muslime nach ihrer neuen Religion. Als diese sich auf nichts als die
Offenbarung ihres Propheten berufen, fragt der Negus sie nach einer Kostprobe daraus.
Darauf rezitiert einer der Muslime einen Abschnitt aus der Sure 3,45-49:
(Damals) als die Engel sagten: Maria! Gott verkündet dir ein Wort von sich, dessen
Name Jesus Christus, der Sohn der Maria, ist! Er wird im Diesseits und im Jenseits
angesehen sein, einer von denen, die (Gott) nahestehen. Und er wird (schon als Kind) in
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der Wiege zu den Leuten sprechen, und (auch später) als Erwachsener, und (wird) einer
von den Rechtschaffenen (sein).
Sie sagte: Herr! Wie sollte ich ein Kind bekommen, wo mich (noch) kein Mann (w.
Mensch) berührt hat? Er (d.h. der Engel der Verkündigung) sagte: Das ist Gottes Art (zu
handeln). Er schafft, was er will, Wenn er eine Sache beschlossen hat, sagt er zu ihr nur:
sei! Dann ist sie.
Und er wird ihn die Schrift, die Weisheit, die Thora und das Evangelium lehren. (Sure
3,45-49)
Die Reaktion: Der Negus weint, bis sein Bart feucht wurde. Und auch seine Bischöfe
weinen, bis Tränen ihre Heiligen Schriften benetzen. Dann wendet sich der Negus an die
Abgesandten aus Mekka:
Diese Offenbarung und die Offenbarung Jesu kommen aus derselben Nische.
Geht! Bei Gott, ich werde sie euch nicht ausliefern und sie nicht hintergehen!
Als die beiden Gesandten aus Mekka den Negus verlassen, sagt Amr zu Abdallah:
Morgen werde ich ihm etwas erzählen, womit ich sie (die Muslime) an der Wurzel
vernichte!
Abdallah, der gottesfürchtigere der beiden, warnt: Tu es nicht! Auch wenn sie sich uns
widersetzt haben, bleiben sie doch unsere Stammesgenossen.
Amr aber beharrt darauf: Ich werde ihm von ihrer Behauptung berichten, Jesus, der Sohn
Mariens, sei nur ein Mensch gewesen.
Am nächsten Morgen ging Amr zum Negus und sagte: O König, sie behaupten
Ungeheuerliches von Jesus. Lass sie holen und frage sie danach!
Der Negus folgte seinen Worten.
Die muslimischen Flüchtlinge versammelten sich wieder und berieten, was sie über Jesus
antworten sollten, wenn man sie danach fragte.
Dann beschlossen sie: Wir werden sagen, was Gott sagte und was uns unser Prophet
geoffenbart hat, mag kommen, was will .
Als sie zum Negus kommen und er sie nach ihrer Meinung zu Jesus fragt, antwortet ihm
Djafar: Wir sagen über ihn, was unser Prophet uns geoffenbart hat, er sei ein
Diener Gottes , er sei ein Prophet Gottes, ihm sei die Gabe des Segens
verliehen, ja er sei ein Zeichen Gottes für die Menschen, ein Zeichen von Gottes
Barmherzigkeit !
Der Negus nimmt einen Stock vom Boden auf und sagt: Wahrlich, Jesus ist nicht um die
Länge dieses Stockes mehr als das, was du sagst. Ein Raunen geht durch die ihn
umgebenden Feldherrn, doch er fährt fort: Wenn ihr auch raunt
und an die Muslime
gewandt
geht, ihr seid sicher in meinem Land.
Wer euch beschimpft, wird Strafe zahlen! Nicht für einen Berg aus Gold würde ich
einem von euch Unrecht tun.
Gebt den Mekkaern ihre Geschenke zurück. Ich brauche sie nicht. Gott hat kein
Bestechungsgeld angenommen, als Er mir meine Herrschaft zurückgab; warum
sollte ich nun gegen Ihn Bestechungsgeld annehmen!
*
*Quellen: Ibn Ishaq: Muhammad, Das Leben Mohammeds, 2. Auflg., Hamburg 2012
(Nachdruck der Originalausgabe von 1916).
Ibn Ishaq: Das Leben des Propheten. Aus dem Arabischen übertragen und bearb. v. G.
Rotter, Kandern 1999.
Der Koran, Übersetzung R. Paret, Bd. I, 2.Auflg., Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz 1977.
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In dieser Geschichte steckt viel Weisheit im Umgang von Christen mit Muslimen.
Die Figur des christlichen Negus nimmt in dieser Geschichte eine Mittelstellung ein:
zwischen verbissener christlicher Orthodoxie (die raunenden Feldherrn) und dem
Unglauben (die Abordnung aus Mekka).
Die Haltung des Negus in der Mitte drückt Entschiedenheit und Toleranz zugleich aus. Er
verkörpert die Art von Christsein, die weiß, dass man Menschen anderer religiöser
Überzeugungen nicht mit der Elle eigener Orthodoxie messen oder gar unterdrücken
sollte.
Wenn etwa Muslime ein Grundbekenntnis zu Jesus abgeben wie dies, er sei der Diener
Gottes, sein Prophet, sein Geist und sein Wort, das Er der Jungfrau Maria eingegeben
habe, dann genügte das, um Muslime als Gäste in seinem Lande (Äthiopien) zu
beherbergen. Mehr verlangt er von ihnen nicht. Er presst sie nicht, aburteilt sie nicht,
verlangt nicht das Äußerste.
Christen mögen weiter gehen in Sachen Christologie, an Jesus als dem Sohn Gottes
glauben.
Für Muslime ist es bereits viel, wenn sie sagen können: In diesem besonderen Menschen
hat Gott auf eine besondere Weise gehandelt. Er ist deshalb zum Zeichen Gottes für die
Menschen geworden, zum Zeichen von Gottes Barmherzigkeit .
Grundlagen für einen vertieften Dialog über die Deutung der Zeichen Gottes in der
Geschichte der Menschheit zwischen Christen und Muslimen sind damit gelegt. Es kommt
darauf an, dass und wie man diesen Dialog nutzt.
Gerade die Geschichten um Jesu Geburt könnten schon durch ihre Existenz im
Koran einen trialogische Kommunikation zwischen Juden, Christen und Muslimen
eröffnen und fördern.
Weiterführende Literatur:
Karl-Josef Kuschel: Streit um Abraham. Was Juden, Christen und Muslime trennt
was sie eint, Düsseldorf 2001.
Hans Küng: Der Islam. Geschichte, Gegenwart, Zukunft, München 2004.
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