Dissertation - AKiP Köln

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Aus der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie
des Kindes- und Jugendalters der Universität zu Köln
Direktor: Universitätsprofessor Dr. med. St. Bender
Konzeption und Evaluation eines
kognitiv-behavioralen Therapiemanuals
zur Behandlung von
Selbstwert-, Aktivitäts- und Affektproblemen im Jugendalter
Inaugural-Dissertation zur Erlangung der Würde
eines doctor rerum medicinalium
der Hohen Medizinischen Fakultät
der Universität zu Köln
vorgelegt von
Tanja Schreiter
aus Köln
promoviert am
21. September 2016
1
Dekan: Universitätsprofessor Dr. med. Dr. h. c. Th. Krieg
1. Berichterstatter: Universitätsprofessor Dr. sc. hum. M. Döpfner
2. Berichterstatter: Universitätsprofessor Dr. med. Dr. phil. K. Vogeley
Erklärung
Ich erkläre hiermit, dass ich die vorliegende Dissertationsschrift ohne zulässige Hilfe
Dritter und ohne Benutzung anderer als der angegebenen Hilfsmittel angefertigt habe;
die aus fremden Quellen direkt oder indirekt übernommenen Gedanken sind als solche
kenntlich gemacht.
Bei der Auswahl und Auswertung des Materials sowie bei der Herstellung des
Manuskriptes habe ich Unterstützungsleistungen von folgenden Personen erhalten:
Herrn Universitätsprofessor Dr. sc. hum. Manfred Döpfner
Herrn Privatdozent Dr. Daniel Walter
Herrn Dr. Dieter Breuer
Weitere Personen waren an der geistigen Herstellung der Arbeit nicht beteiligt.
Insbesondere habe ich nicht die Hilfe
einer Promotionsberaterin / eines
Promotionsberaters in Anspruch genommen. Dritte haben von mir weder unmittelbar
noch mittelbar geldwerte Leistungen für Arbeiten erhalten, die im Zusammenhang mit
dem Inhalt der vorgelegten Dissertationsschrift stehen.
Die Dissertationsschrift wurde von mir bisher weder im Inland noch im Ausland in
gleicher oder ähnlicher Form einer anderen Prüfungsbehörde vorgelegt.
Köln, den 6.1.2016
_______________________________
Dipl.-Psych. Tanja Schreiter
2
Die Konzeption des Therapiemanuals sowie die Entwicklung der therapeutischen
Materialien dieser Dissertation erfolgte unter Beratung von Herrn Universitätsprofessor
Dr. sc. hum. Manfred Döpfner, Herrn Privatdozent Dr. Walter und Frau Dr.
Rademacher, Klinik und Poliklinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie
des Kindes- und Jugendalters der Universität zu Köln. Die dieser Arbeit
zugrundeliegenden Daten wurden von mir erhoben und mit Unterstützung von Herrn
Dr. Breuer ausgewertet.
Sechs der insgesamt 12 Probanden der Studie wurden von mir selbst behandelt,
davon einer in der Psychotherapieambulanz des Ausbildungsinstituts für Kinder- und
Jugendlichenpsychotherapie an der Uniklinik Köln (AKIP) resp. fünf in meiner kinderund jugendpsychotherapeutischen Praxis in Siegburg. Vier Probanden wurden von
Frau Janina Otte und zwei Probanden von Frau Jennifer Griewel behandelt
(Psychotherapeutinnen in Ausbildung am AKIP-Ausbildungsinstitut für Kinder- und
Jugendlichenpsychotherapie der Uniklinik Köln). Alle Therapien, die von Frau Otte und
Frau Griewel durchgeführt wurden, fanden unter meiner engmaschigen Betreuung und
Anleitung statt. Die Psychotherapeutinnen in Ausbildung erhielten zusätzlich über den
gesamten
Therapieverlauf
Supervision
Ausbildungsinstituts.
3
durch
Supervisoren
des
AKIP-
Danksagung
An erster Stelle möchte ich mich bei Herrn Universitätsprofessor Dr. sc. hum. Manfred
Döpfner bedanken für die Möglichkeit, an der Konzeption des Therapiemanuals
SELBST mitzuwirken und für die eingeräumten Freiheiten in Bezug auf die
Realisierung der therapeutischen Materialien des Therapiemoduls „SELBST
Selbstwert-, Aktivitäts- und Affektprobleme.“ Mein Dank gilt zudem der gesamten
Arbeitsgruppe SELBST, und hierbei insbesondere Herrn Privatdozent Dr. Daniel
Walter und Frau Dr. Christiane Rademacher, für die fundierten konzeptionellen
Anregungen, die ich in Hinblick auf die Entwicklung des Therapiemoduls während der
gesamten Konzeptionsphase erhalten habe. Mein herzlicher Dank gilt auch Frau
Jennifer Griewel und Frau Janina Otte, die im Rahmen der Pilotstudie sechs Patienten
hoch motiviert behandelt und das Forschungsprojekt sehr engagiert unterstützt haben.
Des Weiteren möchte ich mich bei Herrn Dr. Dieter Breuer für die Unterstützung bei
den statistischen Analysen bedanken.
Mein größter Dank gilt meiner Familie, die mich während der gesamten Dissertation
mental unterstützt hat und mir die nötigen Freiräume ermöglichte, um diese
Dissertationsschrift zu realisieren.
Danke auch Dir Tara-Anaisa für Deine unendliche Geduld!
4
Für meine Familie.
5
Inhaltsverzeichnis
1 Theoretischer Hintergrund…………………………………………………………..10
1.1 Definition und Operationalisierung von Selbstwert……………………………...10
1.2 Die Entwicklung des Selbstkonzeptes im Kindes- und Jugendalter………….12
1.3 Selbstwert und psychische Gesundheit……………………………………….....15
1.4 Definition von Selbstwert-, Aktivitäts- und Affektstörungen…………………….19
1.5 Verlauf von Selbstwert-, Aktivitäts- und Affektstörungen….............................20
1.6 Klassifikation von Selbstwert-, Aktivitäts- und Affektstörungen nach
ICD-10 und DSM-5…………………………………………………………………22
1.7 Multifaktorielles ätiologisches Modell der Entstehung von Selbstwert-,
Aktivitäts- und Affektstörungen…………………………………………………….28
2
Ansätze zur Prävention und Behandlung von Selbstwert-, Aktivitäts- und
Affektstörungen im Jugendalter…………………………………………………...35
2.1 Ansätze zur Prävention und Behandlung von Selbstwertstörungen………….35
2.2 Ansätze zur Prävention und Behandlung von Aktivitäts- und Affektstörungen…………………………………………………………………………….39
3 Grundlagen des Therapieprogramms SELBST………………………………….54
3.1 Der transdiagnostische, ressourcenorientierte, multimodale
Behandlungsansatz des Therapieprogramms SELBST……………………......56
3.2 Die sieben Behandlungsphasen des Therapieprogramms SELBST………...57
3.2.1 Phase 1: Screening der Eingangsbeschwerden, Beziehungsaufbau,
Informationsvermittlung über den Ablauf der Behandlung…………….58
3.2.2 Phase 2: Multimodale Diagnostik: Erfassung individueller Probleme
und Kompetenzen sowie Belastungen und Ressourcen
des Umfeldes……………………………………………………………….58
3.2.3 Phase 3: Problemanalyse und Erarbeitung eines gemeinsamen
Störungskonzeptes…………………………………………………………59
3.2.4 Phase 4: Zielanalyse und Definition von Behandlungszielen,
Stärkung der Änderungsmotivation, Interventionsplanung…………….60
3.2.5 Phase 5: Durchführung der Interventionen……………………………...60
6
3.2.6 Phase 6: Zwischenevaluation in Bezug auf das Erreichen der
Therapieziele………………………………………………………………..61
3.2.7 Phase 7: Stabilisierung der Behandlungseffekte und
Rückfallprävention……………………………………………………….....61
3.3 Die Behandlungsmodule SELBST Selbstwert-, Aktivitäts- und Affektprobleme, SELBST Leistungsprobleme, SELBST Familienprobleme und
SELBST Gleichaltrigenprobleme………………………………………………....62
4 Kognitiv-behaviorales Therapiemanual zur Behandlung von Selbstwert-,
Leistungs- und Beziehungsproblemen im Jugendalter: Modul SELBST
Selbstwert-, Aktivitäts- und Affektprobleme……………………………………..65
4.1 Die sechs Therapiebausteine des Moduls SELBST Selbstwert-,
Aktivitäts- und Affektprobleme (Interventionsphase)…………………………..66
4.1.1 Baustein 1: Aufbau von positivem Selbstbild…………………………….66
4.1.2 Baustein 2: Steigerung von Genussfähigkeit, Aktivität und
Selbstbelohnung…………………………………………………………….75
4.1.3 Baustein 3: Veränderung dysfunktionaler Kognitionen und
verzerrter situativer Bewertungen sowie Verarbeitung belastender
Erfahrungen………………………………………………………………….82
4.1.4 Baustein 4: Verbesserung der Impulskontrolle und Affektregulation….91
4.1.5 Baustein 5: Steigerung der Problemlösefähigkeiten…………………….97
4.1.6 Baustein 6: Erweiterung der sozialen Kompetenzen…………………..102
5 Methodik……………………………………………………………………………….110
5.1 Studiendesign……………………………………………………………………..110
5.2 Ein- und Ausschlusskriterien der Studie………………………………………..112
5.3 Forschungsziel und spezifische Forschungshypothesen…………………….113
5.4 Ablauf der Stichprobenrekrutierung…………………………………………….114
5.5 Instrumente der Eingangs-, Verlaufs- und Abschlussdiagnostik sowie der
Follow-up Untersuchung…………………………………………………………117
5.5.1 Erfassung der depressiven Symptomatik im Verlauf………………….117
5.5.2 Erhebung des Selbstwertes im Verlauf…………………………………118
5.5.3 Screening komorbider internaler und externaler Symptomatik………120
5.5.4 SELBST Checkliste zur Indikationsbestimmung………………………122
7
5.5.5 Intelligenzdiagnostik………………………………………………………122
5.5.6 Basisdokumentation……………………………………………………...124
5.5.7 Individuelle Problemliste…………………………………………………124
5.5.8 Behandlungs-Compliance…………………………………………...…..124
5.5.9 Behandlungs-Integrität…………………………………………………...125
5.5.10 Behandlungszufriedenheit……………………………………………….125
5.5.11 Übersicht über die Messinstrumente der Messzeitpunkte 1 bis 7…..126
5.6 Statistische Auswertungsmethoden……………………………………………127
6 Kasuistiken…………………………………………………………………………...130
6.1 Behandlungsfall 1………………………………………………………………...130
6.2 Behandlungsfall 2………………………………………………………………...140
6.3 Behandlungsfall 3………………………………………………………………...148
6.4 Behandlungsfall 4………………………………………………………………...157
6.5 Behandlungsfall 5………………………………………………………………...166
6.6 Behandlungsfall 6………………………………………………………………...176
6.7 Behandlungsfall 7………………………………………………………………...186
6.8 Behandlungsfall 8………………………………………………………………...194
6.9 Behandlungsfall 9………………………………………………………………...201
6.10 Behandlungsfall 10……………………………………………………………….210
6.11 Behandlungsfall 11……………………………………………………………….219
6.12 Behandlungsfall 12……………………………………………………………….228
7 Ergebnisse……………………………………………………………………………239
7.1
Stichprobenbeschreibung……………………………………………………..239
7.1.1 Soziodemographische Merkmale der Stichprobe……………………….239
7.1.1.1
Schulische / berufliche Platzierung und kognitiver
Leistungsstand………………………………………………...240
7.1.1.2
Familienkonstellation und sozio-ökonomische Merkmale
der Familien…………………………………………………....242
7.1.2 Primäre ICD-10-Diagnosen und komorbide Symptomatik zu
Behandlungsbeginn……………………………………………………...242
7.1.3 Vor- und Begleitbehandlungen….…………………………….………..243
8
7.2 Primäre Analysen………………………………………………………………….244
7.2.1 Reduktion der depressiven Symptomatik und Steigerung der
Kompetenzen im Selbst- und Fremdurteil (SBB-DES, FBB-DES,
DIKJ)………………………………………………………………………….245
7.2.2 Steigerung des globalen Selbstwertes (RSES)………………………….254
7.2.3 Verbesserung der spezifischen Selbstwertdimensionen (Subskalen
FSKN: FSKU, FSST, FSSW, FSAP)……………………………………...257
7.3 Sekundäre Analysen…………………………………………………………...261
7.3.1 Reduktion internaler und externaler Symptomatik im Selbst- und
Fremdurteil (YSR, CBCL)………………………………………………..261
7.3.2 Reduktion der Problemhäufigkeit und Problembelastung
(Individuelle Problemliste)……………………………………………….265
7.3.3 Beurteilung des Behandlungserfolges und der Behandlungszufriedenheit (FBB-T, FBB-P, FBB-E)………………………………....270
8
Diskussion…………………………………………………………………………..273
8.1
Interpretation der Ergebnisse…………………………………………………275
8.2
Bewertung des Effektivität des Therapiemoduls SELBST Selbstwert-,
Aktivitäts- und Affektprobleme………………………………………………..282
8.3 Einordnung der Ergebnisse in den Forschungsstand………………………286
8.4 Limitationen der Studie und Ausblick………………………………………...290
9
Zusammenfassung………………………………………………………………..296
10
Literaturverzeichnis……………………………………………………………….279
11
Anhang………………………………………………………………………………317
11.1 Studienflyer…………………………………...………………………………317
11.2 Diagnostische Instrumente……………...…………………………………..318
11.3 Therapeutische Materialien…………..….………………………………….342
12
Lebenslauf…………………………………………………………………………..416
9
1
Theoretischer Hintergrund
1.1
Definition und Operationalisierung von Selbstwert
Die Erforschung des Selbstwertes und der Implikationen eines hohen vs. niedrigen
Selbstwertes für die psychische Gesundheit hat eine lange Tradition (Silverstone &
Salsali 2003; Schimmack & Diener 2003; Biro, Striegel-Moore, Franko, Padgett & Bean
2006; van den Berg, Wertheim, Thompson & Paxton 2010). Seit vielen Jahrzehnten,
spätestens seit den Publikationen von Rosenberg in der 1960-er Jahren, gehört der
„Selbstwert“ zu den intensiv untersuchten Konstrukten der Selbstkonzeptforschung
und benachbarter Forschungsdomänen (Bachman, O’Malley, Freedman-Doan,
Trzesniewski & Donnellan 2011; Mummendey 2006). Vielfach werden Begriffe wie
„Selbstkonzept“,
„Selbstrespekt“,
„Selbstachtung“
oder
„Selbstakzeptanz“
als
Synonyme benutzt, obwohl sich diese Begriffe vom eigentlichen Konstrukt „Selbstwert“
unterscheiden. Auch im anglo-amerikanischen Sprachraum werden diverse Begriffe
zur Beschreibung des Selbstwertes benutzt, wie self-esteem, self-concept, self-worth,
self-evaluation, self-acceptance, self-liking, self-compassion…etc. Melanie Fennell
definiert Selbstwert als umfassende Haltung resp. Meinung, die man sich selbst
gegenüber hat, in Verbindung mit der Wertigkeit, die man sich zuschreibt. Ihre
Definition von Selbstwert lautet: „Self-esteem, then, refers to the overall opinion we
have of ourselves, how we judge or evaluate ourselves, and the value we attach to
ourselves as people“ (Fennell 2009, S. 7). Lohaus & Vierhaus (2013, S. 169) schlagen
eine ähnliche Definition vor und konzeptualisiert den Begriff Selbstwert wie folgt:
„Der Selbstwert resultiert als affektive Komponente des Selbst aus den Bewertungen
der eigenen Person oder von Aspekten, die die eigene Person ausmachen. Somit
können sich die Bewertungen auf Persönlichkeitseigenschaften, Fähigkeiten oder aber
auch auf das eigene emotionale Erleben beziehen.“
Unter dem Begriff „Selbstwert“ wird in der vorliegenden Arbeit, entsprechend der oben
genannten Definitionen, das Ausmaß der selbstbezogenen Bewertungen, d.h. der
Grad der persönlichen positiven oder negativen Selbsteinschätzung verstanden. Der
Selbstwert wird im Allgemeinen als die affektiv-evaluative Komponente des Selbst
verstanden, wohingegen unter „Selbstkonzept“ in der Regel eine allumfassende
kognitive
Repräsentation
des
Selbst
verstanden
wird,
d.h.
die
aus
den
Lebenserfahrungen resultierende Gesamtheit selbstbezogener Informationen (DavisKean & Sandler 2001).
10
Der
Begriff
„Selbstwert“
wird,
je
nach
Forschungskontext,
unterschiedlich
operationalisiert und vielfach synonym mit dem Begriff „Selbstkonzept“ verwendet. In
vielen älteren Studien wurde der Selbstwert als „globaler Selbstwert“ („global selfesteem“, „trait self-esteem“) konzeptualisiert und untersucht. Der globale Selbstwert
entspricht einem kontextunabhängigen, zeitlich relativ stabilen Konstrukt – im Sinne
eines „Traits“ (Brown & Marshall 2006). Das Forschungsinteresse in neueren Studien
gilt
hingegen
zunehmend
Selbstwertdimensionen“
der
(„domain-specific
Erforschung
„bereichsspezifischer
self-esteem“).
Darunter
wird
die
Selbstbewertung spezifischer Fähigkeitsbereiche (z.B. academic self-esteem, athletic
self-esteem, social self-esteem) verstanden, die, je nach subjektiver Einschätzung,
unterschiedliche
Ausprägungen,
in
den
verschiedenen
Fähigkeitsdomänen,
annehmen kann. So kann ein Jugendlicher in Bezug auf seine sportliche
Leistungsfähigkeit einen hohen Selbstwert haben und gleichzeitig einen geringen
schulleistungsbezogenen
Selbstwert.
Die
spezifischen
Selbstwertdimensionen
scheinen jedoch nur in geringem Ausmaß mit dem globalen Selbstwert zu korrelieren,
was in der Literatur häufig als Beleg für zwei distinkte Konstrukte gewertet wird (Marsh
& Craven 2006). Brown & Marshall (2006) schlagen zur besseren Abgrenzung der
verschiedenen Begrifflichkeiten folgende Einteilung vor:

Global self-esteem (trait self-esteem)

Feelings of self-worth (state self-esteem)

Self-evaluations (domain-specific self-esteem)
Die Erfassung des Selbstwertes erfolgt üblicherweise über Fragebogenverfahren.
Eines der bekanntesten und in internationalen Studien mit am häufigsten eingesetzten
Verfahren ist die „Rosenberg Self-Esteem Scale“ (Rosenberg 1965), die den globalen
Selbstwert misst. Zur Erfassung bereichsspezifischer Selbstwertdimensionen stehen
nur sehr wenige Verfahren im deutschsprachigen Raum zur Verfügung, wie die
„Multidimensionale Selbstwertskala“ (Schütz & Sellin 2006), die zwar für das
Erwachsenenalter konzipiert wurde, aber bereits ab der späten Adoleszenz gut
einsetzbar ist. Im Kindes- und Jugendalter kann beispielsweise die „Aussagen-Liste
zum Selbstwertgefühl für Kinder und Jugendliche“ (ALS, Schauder 2011) eingesetzt
werden.
11
Da die ALS jedoch primär für den Altersbereich der 8- bis 15-Jährigen konzipiert
wurde, eignet sich das diagnostische Verfahren nicht für ältere Jugendliche und junge
Erwachsene. Bekannte Verfahren zur Erfassung spezifischer Selbstwert- bzw.
Selbstkonzeptdimensionen im deutschsprachigen Raum sind die „Skalen zur
Erfassung von schulischen Fähigkeitsselbstkonzepten“ (Schöne, Dickhäuser, Spinath,
Stiensmeier-Pelster 2002), die „Frankfurter Selbstkonzeptskalen“ (Deusinger 1986),
die „Frankfurter Körperkonzeptskalen“ (Deusinger 1998) oder das „SelbstkonzeptInventar“ (v. Georgi & Beckmann 2004). Im englischsprachigen Raum gelten das „SelfPerception Profile for Adolescents“ (Harter 2012), der „Self Description Questionnaire
I, II und III“ (Marsh 1989, 1990, 1992) bzw. die Kurzform des SDQ II – S (Marsh, Ellis,
Parada, Richards & Heubeck 2005), als gut evaluierte diagnostische Verfahren zur
Erfassung des Selbstwertes im Kindesalter (SDQ I) bzw. in der Adoleszenz (SDQ II,
SDQ III).
1.2
Die Entwicklung des Selbstkonzeptes im Kindes- und Jugendalter
Die Unterscheidung zwischen sich selbst und anderen Personen gelingt Kindern
bereits mit ca. 14 Monaten. Ungefähr ab der zweiten Hälfte des 2. Lebensjahres sind
Kinder zur visuellen Selbsterkenntnis und zur verbalen Benennung der eigenen
Person in der Lage, was einen Meilenstein in der Entwicklung des Selbst darstellt. Mit
ca. vier Jahren entwickelt sich ein zeitlich überdauerndes Konzept des Selbst, im Sinne
eines autobiografischen Gedächtnisses (Lohaus & Vierhaus 2013). Ab dem
Vorschulalter gelingt es Kindern zunehmend besser, sich aus der Fremdperspektive
zu betrachten und bei Bewertungsprozessen die Beurteilungen anderer in Relation zu
den subjektiven Einschätzungen zu setzen. Das Selbstkonzept ist in dieser
Entwicklungsphase noch wenig kohärent und konstituiert sich primär aus physischen
resp. sozialen Eigenschaften, persönlichen Interessen und favorisierten Aktivitäten.
Charakteristischerweise neigen Kinder im Vorschulalter zu übermäßig positiven und
unrealistischen Selbstzuschreibungen.
Im Schulalter treten, u.a. im Kontext der Beurteilung schulischer Leistungen, vermehrt
soziale
Vergleichsprozesse
mit
Mitschülern
auf,
die
zur
Erweiterung
des
selbstbezogenen Wissens und daraus resultierend zu einem realistischeren
Selbstkonzept beitragen. Schulkinder können, neben positiven Selbstaspekten, auch
negative Selbstanteile in ihr subjektives Selbstkonzept integrieren, was zu einer
differenzierteren Selbstbetrachtung und Selbstbeurteilung beiträgt.
12
Das Selbstkonzept nimmt im Schulalter nach und nach eine mehrdimensionale,
hierarchisch organisierte Struktur an (Marsh et al. 2005). Die Forschungsgruppe von
Marsh und Kollegen postuliert ein multidimensionales hierarchisches SelbstkonzeptModell, das neben dem globalen Selbstwert auch spezifische Selbstwertdimensionen
integriert, mit einem übergeordneten globalen Selbstwert (von den Autoren
gleichgesetzt mit dem Begriff Selbstkonzept) und zunehmend spezifischeren
Selbstwertdimensionen auf den darunterliegenden Hierarchie-Ebenen (vgl. Marsh &
Craven 2006; Marsh & O’Mara 2008). Marsh und Kollegen gehen demzufolge davon
aus, dass der globale Selbstwert und die spezifischen Selbstwertdimensionen
Komponenten eines mehrdimensionalen Selbstkonzeptes darstellen. Marsh et al.
(2005) konnten zudem zeigen, dass bereits Kinder unter acht Jahren über eine
multidimensionale Struktur des Selbstkonzeptes verfügen. Kinder im Schulalter sind
außerdem aufgrund kognitiver Reifungsprozesse auch zunehmend besser in der Lage,
bereichsspezifische Leistungsbewertungen (z.B. mathematische Leistungen vs.
sportliche Leistungen) zu vollziehen und diese miteinander zu vergleichen. Die
nachfolgende Phase der Adoleszenz ist, bedingt durch die einsetzende Pubertät und
psycho-soziale Reifungsprozesse, unter anderem gekennzeichnet durch körperliche,
emotionale und psycho-soziale Veränderungen (Herpertz-Dahlmann, Bühren &
Remschmidt 2013). Im Zuge der sozialen Reifung erweitert der Jugendliche in der
Regel auch seine sozialen Kontakte zu Gleichaltrigen und geht erste Partnerschaften
ein. Die Adoleszenz ist zudem geprägt durch die intensive Auseinandersetzung mit der
eigenen Identität und der sozialen Herkunft. Im Rahmen der fortschreitenden
Identitätsentwicklung integrieren Jugendliche neben aktuellen Erfahrungen nach und
nach auch biografische Informationen und differenzieren ihr Selbstkonzept immer
weiter aus. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass sich in der Adoleszenz das
Selbstkonzept allmählich zu einem konkreten, stabilen und kohärenten Selbstbild
zusammensetzt.
Eine wesentliche Rolle in der Adoleszenz nimmt die Auseinandersetzung mit den
körperlichen Veränderungen während der Pubertät ein und damit einhergehend, die
Integration körperlicher Veränderungen in das subjektive Körperselbstkonzept. Neben
der Akzeptanz der reifungsbedingten Veränderungen, stellt die Integration der
geschlechtsspezifischen Identität in das Selbstkonzept eine weitere wesentliche
Entwicklungsaufgabe in der Adoleszenz dar. Die Studienlage weist in diesem Kontext
13
darauf hin, dass Jungen in der Adoleszenz eine positivere Selbstwahrnehmung des
eigenen Körpers haben als Mädchen und insgesamt einen höheren Selbstwert im
Jugendalter aufweisen als Mädchen – obgleich die Unterschiede in Bezug auf die
Ausprägung des Selbstwerts diskret sind (McMullin & Cairney 2004; Robins,
Trzesniewski, Tracy, Gosling & Potter 2002; Robins & Trzesniewski 2005). Während
Jungen die körperlichen Veränderungen während der Pubertät eher positiv werten,
nehmen Mädchen die pubertätsbedingten Veränderungen in der Adoleszenz, wie
beispielsweise die Zunahme des Körperfettanteils oder die Vergrößerung des
Hüftumfangs, oft als belastend wahr, was zu einer Selbstwertminderung beitragen
kann. Eine Reihe von Studien legt nahe, dass die Unzufriedenheit mit dem eigenen
Körper einen Prädiktor für niedrigen Selbstwert und depressive Symptomatik
darstellten (Paxton, Neumark-Sztainer, Hannan & Eisenberg 2006; van den Berg et al.
2002; Siegel 2002). Auch in der Genese von Essstörungen scheint die Unzufriedenheit
mit dem eigenen Körper, einhergehend mit Selbstwertproblemen, neben weiteren
Faktoren, eine zentrale Rolle einzunehmen (Mäkinen, Puukko-Viertomies, Lindberg,
Siimes & Aalberg 2012; Ferreiro, Seoane & Senra 2014).
Längsschnittstudien haben gezeigt, dass der Selbstwert – korrespondierend mit dem
sich wandelnden Selbstkonzept – im Verlauf vom Kindes- bis ins hohe
Erwachsenenalter entwicklungsphasentypischen Schwankungen unterliegt, mit einem
charakteristischerweise erhöhten Selbstwert im Kindesalter und einem, in Relation
dazu, vergleichsweise gering ausgeprägten Selbstwert in der Adoleszenz. Während
Kinder im Grundschulalter, aufgrund ihrer unrealistisch positiven Selbstwahrnehmung
und Selbstüberschätzung, einen vergleichsweise hohen Selbstwert aufweisen,
zeichnet sich in der Adoleszenz, d.h. in der Altersphase von ca. 13 bis 17 Jahren, ein
stetiger Abfall des Selbstwertes ab (Robins & Trzesniewski 2005; Robins et al. 2002).
Als Gründe werden – neben den körperlichen Veränderungen während der Pubertät,
die zu einem negativen Selbstbild beitragen können – unter anderem die zunehmend
realistische Selbstwahrnehmung und die auf sozialen Vergleichsprozessen beruhende
Differenzierung des Selbstbildes in Betracht gezogen (Wagner, Lüdke, Jonkmann &
Trautwein 2013). Ab dem frühen Erwachsenenalter stabilisiert sich der Selbstwert
wieder und steigt bis ins späte Erwachsenenalter kontinuierlich an, mit einem Peak im
Altern von ungefähr 50 bis 60 Jahren (Erol & Orth 2011; Robins & Trzesniewski 2005;
Orth & Robins 2014). Im hohen Alter hingegen verringert sich der Selbstwert rapide
(Orth & Robins 2014). Als potentielle Ursachen für diesen drastischen Abfall des
14
Selbstwertes in der späten Altersphase werden Faktoren wie der Ruhestand, der Tod
des Partners oder anderer Bezugspersonen, gesundheitliche Probleme und eine
Verschlechterung des sozio-ökonomischen Status diskutiert (Robins & Trzesniewski
2005).
Trotz der entwicklungsphasentypischen Variationen des Selbstwerts wird der globale
Selbstwert eines Individuums, im Sinne eines Traits, als relativ stabile Entität
betrachtet. Ist der globale Selbstwert einer Person beispielsweise in einer Phase des
Lebens hoch ausgeprägt, wird er potentiell auch in anderen Lebensphasen relativ hoch
ausgeprägt sein. Die spezifischen Selbstwertdimensionen variieren hingegen, in
Abhängigkeit vom situativem Kontext und zugrundeliegender Vergleichsprozesse. So
können beispielsweise zwei gleich leistungsstarke Schüler zu unterschiedlichen
Beurteilungen ihrer schulischen Leistungsfähigkeit gelangen, je nachdem, ob sie sich
mit den leistungsstarken oder eher leistungsschwachen Schülern der Klasse
vergleichen. Vergleicht sich der leistungsstarke Schüler mit einer leistungsschwachen
Bezugsgruppe, beurteilt er seine Leistungsfähigkeit in der Regel höher, als wenn er
sich mit leistungsstarken Schülern vergleicht (Dickhäuser 2006). Dieser Effekt ist in
der Forschungsliteratur als „Big fish little pond effect“ eingegangen (Marsh 2005).
Betrachtet man den Verlauf des Selbstwertes über die Lebensspanne getrennt für
beide Geschlechter, fällt auf, dass die oben beschriebenen Verläufe bei Mädchen und
Jungen bzw. Frauen und Männern ähnlich verlaufen. Für beide Geschlechter zeichnet
sich ein Abfall des Selbstwertes im Jugendalter, gefolgt von einer Stabilisierung im
Erwachsenenalter und einem erneuten Abfall im hohen Alter ab. In der Adoleszenz
zeigt sich jedoch, wie bereits beschrieben, bei männlichen Jugendlichen, dass sie
ihren Selbstwert höher einschätzen als weibliche Jugendliche (Robins et al. 2005).
Dieser geschlechtsspezifische Effekt ist auch im Erwachsenenalter zu beobachten
(Twenge & Campbell 2001).
1.3
Selbstwert und psychische Gesundheit
Eine Vielzahl von Studien befasst sich mit der Untersuchung der Fragestellung, ob die
Ausprägung des Selbstwertes in Zusammenhang steht mit Faktoren, wie
beispielsweise psychischer Gesundheit resp. der Entwicklung psychischer Störungen.
Auch gilt das Forschungsinteresse der Fragestellung, ob ein geringer Selbstwert
assoziiert ist mit maladaptiven Verhaltensweisen, wie aggressivem Verhalten,
Delinquenz, sexuellem Risikoverhalten, Rauchen, übermäßigem Alkohol- oder
15
Drogenkonsum etc.. Des Weiteren wurde in verschiedenen Studien der potentielle
Zusammenhang zwischen Selbstwert und schulischen Leistungen, der beruflichen
Karriereentwicklung oder der Zufriedenheit mit der Paarbeziehung untersucht. Die
Befunde in diesem Forschungskontext divergieren zum Teil beträchtlich. Während
weitgehend Einigkeit darüber besteht, dass ein hoher Selbstwert u.a. assoziiert ist mit
Lebenszufriedenheit, physischer Gesundheit, sozio-ökonomischem Status und
Zufriedenheit mit der Paarbeziehung (Zeigler-Hill 2013; Furnham & Cheng 2000;
Shackelford 2001; Orth, Robins & Widaman 2012; DeHart, Pena & Tennen 2013),
werden
mögliche
negative
Auswirkungen
eines
geringen
Selbstwerts
auf
verschiedene Lebensbereiche kontrovers diskutiert. Eine zentrale Forschungsfrage ist
nach wie vor, ob ein geringer Selbstwert als Ursache oder eher als Auswirkung
psychischer Störungen zu werten ist bzw. als Mediator fungiert (Baumeister, Campbell,
Krueger & Vohs 2003; Mann, Hosman, Schaalma & de Vries 2004).
Analysiert man die Studienlage in Bezug auf mögliche Assoziationen zwischen
depressiven Störungen und Selbstwertproblemen, belegen zahlreiche Studien, dass
ein geringer Selbstwert sowohl ein früher Indikator depressiver Symptome
Jugendlicher ist, als auch einen Risikofaktor für die Entwicklung von Depressionen
darstellt (Orth, Robins & Roberts 2008; Orth, Robins, Trzesniewski, Maes & Schmitt
2009; Whitney, Sullivan & Herman 2010; Kuster, Orth & Meier 2012; Steiger, Allemand,
Robins & Fend 2014). Dieser prädiktive Effekt eines geringen Selbstwertes auf
depressive Störungen zeigt sich vom Jugendalter bis ins hohe Alter, sowohl bei
weiblichen Jugendlichen und Frauen als auch bei männlichen Jugendlichen und
Männern (Orth et al. 2009). Der prädiktive Einfluss von Selbstwertstörungen auf die
Entwicklung von Depressionen zeigt sich zudem robust für verschiedene
diagnostische Verfahren zur Erfassung des Selbstwerts und depressiver Symptomatik,
wie eine Meta-Analyse von Sowislo & Orth (2013) zeigt. Steiger und Mitarbeiter (2014)
konnten in einer prospektiven Längsschnittstudie mit mehr als 1500 Probanden über
einen Zeitraum von 23 Jahre zeigen, dass sowohl die Ausprägung, als auch
Veränderungen des Selbstwerts im Alter zwischen 12 und 16 Jahren, Depressionen
im Erwachsenenalter (d.h. 20 Jahre später) vorhersagten. Kuster und Mitarbeiter
(2012) finden in einer prospektiven Studie des Weiteren Anhaltspunkte dafür, dass ein
geringer
Selbstwert
„kognitive
Rumination“
vorhersagt,
d.h.
das
intensive,
wiederkehrende Grübeln über die eigene Person, persönliche Unzulänglichkeiten und
zugrundeliegende Probleme, was wiederum depressive Symptomatik vorhersagt. Der
16
Faktor kognitive Rumination scheint den Einfluss von Selbstwertstörungen auf die
Entwicklung depressiver Störungen partiell zu mediieren (Kuster et al. 2012). Dieser
Mediationseffekt konnte in der o. g. Studie für beide Geschlechter, sowohl für affektivkognitive, als auch für somatische Symptome der Depression festgestellt werden.
Während in Orientierung an die vorliegenden Befunde – im Sinne des
Vulnerabilitätsmodells – davon ausgegangen wird, dass ein geringer Selbstwert ein
Prädiktor von Depressionen ist (Orth et al. 2012, Sowislo & Orth 2013, Steiger et al.
2014), weisen die Befunde bei Angststörungen eher auf eine reziproke Beziehung
zwischen geringem Selbstwert und Angststörungen hin. Sowislo und Orth (2013)
fanden moderate, aber signifikante Effekte in beide Richtungen, d.h. der Selbstwert
hat eine ähnlich hohe Vorhersagekraft für Angststörung wie umgekehrt. In der Studie
von Sowislo & Orth (2013) wurden Längsschnittstudien analysiert, die den
Zusammenhang zwischen Selbstwert und Depressionen bzw. Selbstwert und
Angststörungen untersuchten. Zusammenfassend lassen die Befunde den Schluss zu,
dass die Relation zwischen Selbstwertstörungen und Depressionen am besten durch
das Vulnerabilitätsmodell erklärt werden kann. Die Moderator-Analysen der Autoren
verdeutlichen, dass der Effekt von niedrigem Selbstwert auf Depressionen weder
signifikant durch das Geschlecht oder das Alter, noch durch die eingesetzten
diagnostischen Verfahren oder die Zeiträume zwischen den jeweiligen Erhebungen
erklärt werden kann.
Betrachtet man die Forschungslage in Bezug auf potentielle Zusammenhänge
zwischen Essstörungen und Selbstwertstörungen, zeigt sich in konsistenter Weise,
dass sowohl der Selbstwert, als auch Faktoren, wie weibliches Geschlecht,
Perfektionismus oder negatives Körperbild, relevante Risikofaktoren in der Genese
von Essstörungen darstellen (French, Leffert, Story, Neumark-Sztainer, Hannan &
Benson 2001; Hartmann, Thomas, Greenberg, Matheny & Wilhelm 2014; Brechan &
Kvalem 2015). Brechan und Kvalem (2015) konnten kürzlich in einer Studie zum
Zusammenhang zwischen körperlicher Unzufriedenheit und gestörtem Essverhalten
zeigen, dass der Einfluss von Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper auf
pathologisches Essverhalten signifikant mediiert wird durch geringen Selbstwert und
depressive Symptomatik. Die Autoren fanden zudem Hinweise darauf, dass die
Ausprägung des Selbstwertes einen direkten Effekt auf restriktives Essverhalten und
kompensatorisches Verhalten hat.
17
In Bezug auf externalisierendes Verhalten scheint es einem Großteil der Studien
zufolge einen Zusammenhang zwischen aggressiv-antisozialem Verhalten resp.
Delinquenz und geringem Selbstwert zu geben. Donnellan, Trzesniewski, Robins,
Moffitt & Caspi (2005) konnten beispielsweise in drei zusammenhängenden Studien
zeigt, dass der Selbstwert von Jugendlichen konsistent negativ korreliert mit
Delinquenz und externalisierendem Verhalten im Eltern- und Lehrerurteil – unabhängig
von der Altersgruppe, der Nationalität der Jugendlichen und der eingesetzten
diagnostischen Verfahren zur Erfassung des Selbstwerts und externalisierender
Verhaltensweisen. Trzesniewski, Donnellan, Moffitt, Robins, Poulton & Caspi (2006)
konnten in einer prospektiven Längsschnittstudie, die sich über einen Zeitraum von
mehr als 20 Jahren erstreckte, belegen, dass Jugendliche mit geringem Selbstwert ein
deutlich höheres Risiko haben, im Erwachsenenalter psychische Störungen (im Sinne
von expansiven Verhaltensstörungen) und physische Gesundheitsprobleme zu
entwickeln, im Vergleich zu Jugendlichen mit einem hohen Selbstwert. Die Autoren
berichten, dass Jugendliche mit geringem Selbstwert prospektiv schlechtere
ökonomische Verhältnisse und eine höhere Ausprägung kriminellen Verhaltens im
Erwachsenenalter aufweisen, als Jugendliche mit hohem Selbstwert. Die Varianz des
expansiven Verhaltens, die sich in Abhängigkeit von der Ausprägung des Selbstwertes
zeigte, konnte nicht erklärt werden durch Faktoren wie Geschlecht, sozioökonomischer Status oder depressive Symptomatik im Jugendalter.
In einem systematischen Review zu Langzeiteffekten behandelter vs. unbehandelter
ADHS-Symptomatik auf den Selbstwert und das soziale Funktionsniveau konnten
Harpin, Mazzone, Raynaud, Kahle & Hodgkins (2013) zeigen, dass in der Gruppe
unbehandelter ADHS-Patienten der Langzeitverlauf der Symptomatik stärker
assoziiert war mit geringerem Selbstwert und niedrigerem sozialen Funktionsniveau,
als in der Kontrollgruppe der Probanden ohne ADHS. Die Gruppe behandelter ADHSPatienten zeigte im Langzeitverlauf eine deutliche Verbesserung des Selbstwertes und
des sozialen Funktionsniveaus, was darauf hinweist, dass Selbstwertstörungen und
Einbußen im Funktionsniveau eher eine Folge und weniger eine Ursache von ADHS
sind. Dieser Befund deckt sich mit den Befunden anderer Studien, die den Einfluss
von ADHS auf den Selbstwert bzw. die Auswirkungen von ADHS auf die
Lebensqualität und das psychosoziale Funktionsniveau untersucht haben (Edbom,
Lichtenstein, Granlund & Larsson 2006; Escobar, Soutullo, Hervas, Gastaminza,
Polavieja & Gilaberte 2005; Sawyer 2002; Barkley 2002; Schreyer & Hampel 2009).
18
Unter Berücksichtigung der Befunde zum Zusammenhang zwischen Selbstwert-,
Aktivitäts- und Affektstörungen und psychischer Gesundheit kann als Fazit gezogen
werden, dass ein hoher Selbstwert, in Verbindung mit einer ausgeglichene Affektlage
und einem adäquaten Aktivitätsniveau, positiven Einfluss auf das psycho-soziale
Funktionsniveau, psychisches Wohlbefinden und psychische Gesundheit nehmen.
Diverse Studien zeigen im Umkehrschluss einen Zusammenhang zwischen
Selbstwertstörungen und psychischen Erkrankungen, wie beispielsweise affektiven
Erkrankungen oder Aktivitätsstörungen, wobei der Selbstwert – je nach Störungsbild –
entweder einen Risikofaktor für psychische Erkrankungen, wie bei Depressionen oder
Essstörungen, darstellen kann oder als Folge psychischer Erkrankungen resultieren
kann, wie beispielsweise bei ADHS. Auch wechselseitige Wirkungen erscheinen
plausibel und konnten beispielsweise bei Angststörungen belegt werden.
1.4
Definition von Selbstwert-, Aktivitäts- und Affektstörungen
Als Selbstwertstörung bezeichnet man eine zeitlich überdauernde, in verschiedenen
Kontexten auftretende Tendenz sich selbst, d.h. die eigenen Fähigkeiten,
Eigenschaften, Handlungen etc., als besonders negativ zu bewerten. Häufig überwiegt
bei Selbstwertstörungen eine negativ gefärbte Selbstbewertungstendenz, die
einhergeht mit einer generalisierten, negativen Einstellung zur eigenen Person.
Denkbar ist aber auch eine übermäßig positive Selbstbewertung, im Sinne eines
pathologisch gesteigerten Selbstwertes, wie sie häufig bei einer narzisstischen
Persönlichkeitsstruktur oder bei manischen Erkrankungen beobachtbar ist.
Unter Affektstörungen, auch affektive Störungen genannt, fasst man psychische
Störungen zusammen, die mit einer Veränderung der Stimmung, d.h. des Affektes,
einhergehen. Der Affekt kann dabei beispielsweise dysphorisch resp. depressivverstimmt sein, wie bei einer Depression oder einer Dysthymie. Alternativ kann auch
ein deutlich gesteigerter, euphorischer Affekt vorliegen, wie er typischerweise im
Rahmen einer Manie auftritt. Unter Umständen besteht die Symptomatik eines
pathologisch wechselnden Affekts, wie bei einer Bipolaren Störung oder einer
Zyklothymie, die ebenfalls beide den affektiven Störungen zuzuordnen sind.
19
Als Aktivitätsstörung bezeichnet man Störungen, die mit einer Veränderung des
psychomotorischen Aktivitätsniveaus
einhergehen, entweder im Sinne einer
Hyperaktivität oder einer sehr geringen motorischen Aktivierung (Hypoaktivität). Eine
affektive Störung, die mit reduziertem Aktivitätsniveau und einer Antriebsminderung
einhergeht, stellt beispielsweise die depressive Störung dar. Zu affektiven Störungen,
die mit Hyperaktivität assoziiert sind, zählen beispielsweise Manien.
1.5
Verlauf von Selbstwert-, Aktivitäts- und Affektstörungen
Da die Darstellung der Verläufe sämtlicher Erkrankungen, die mit Störungen des
Affekts, der Aktivität und des Selbstwerts einhergehen, zu weitreichend und daraus
resultierend zu komplex ist, werden im Folgenden nur die für diese Forschungsarbeit
relevanten Verläufe beschrieben.
Depressionen, einhergehend mit Selbstwertstörungen, können in allen Altersphasen
auftreten. Der Ersterkrankungsgipfel liegt zwischen dem 18. und 25. Lebensjahr (WHO
2004). Die Prävalenzraten depressiver Störungen im Kindesalter unterscheiden sich
deutlich von denen im Jugend- und Erwachsenenalter. Costello, Erkanli und Angold
(2006) ermittelten in einer Meta-Analyse für Kinder unter 13 Jahren Prävalenzraten für
depressive Störungen zwischen 0,6 % und 5,9 % und für Jugendliche zwischen 13 und
18 Jahren Prävalenzen zwischen 1,3 % bis 18,2 %. Die Autoren schätzen die
Prävalenzrate für die Altersklasse der unter 13-Jährigen im Mittel auf 2,8 % und für die
13- bis 18-Jährigen auf ungefähr 5,7 %. Ungefähr ab dem 12. Lebensjahr ist bei
Mädchen eine steigende Auftretenshäufigkeit depressiver Störungen zu verzeichnen,
während die Auftretenshäufigkeit bei Jungen im Jugendalter (ab dem 13. Lebensjahr)
stabil bleibt (Twenge & Nolen-Hoeksema 2002). Die Geschlechtsverteilung ist im
Kindesalter weitgehend ausgeglichen, ab dem Jugendalter überwiegt das weibliche
Geschlecht im Verhältnis 2:1 (Angold, Erkanli, Silberg, Eaves & Costello 2002).
Die depressive Symptomatik verändert sich im Entwicklungsverlauf, wobei sich,
abhängig vom Geschlecht, Unterschiede im Verlauf der Symptomatik zeigen (Dekker,
Ferdinand, van Lang, Bongers, van der Ende & Verhulst 2007). Im Kleinkindalter
zeigen sich charakteristischerweise eine erhöhte Irritierbarkeit, eine ausdrucksarme
Mimik, Spielunlust bzw. mangelnde Kreativität beim Spielen sowie ein gestörtes
Essverhalten. Im Vorschul- und Schulalter werden emotionale Labilität, Anhedonie,
20
erste verbale Berichte über Traurigkeit und häufig auch Schulleistungsstörungen
deutlich. In der vorpubertären Phase finden sich zudem häufig Symptome wie
Reizbarkeit, somatische Beschwerden und sozialer Rückzug, während in der
Adoleszenz häufig noch ein vermindertes Selbstvertrauen, apathische Zustände,
Ängste und Konzentrationsschwierigkeiten hinzukommen (DGKJP 2007). Insgesamt
nähert sich die Symptomatik im Jugendalter immer mehr der typischen Symptomatik
im
Erwachsenenalter
an.
Eine
situationsübergreifende
Selbstwert-
und
Aktivitätsstörung (im Sinne einer Antriebsschwäche) mit Anhedonie - und unter
Umständen mit einer begleitenden suizidalen Symptomatik - bilden wesentliche
Symptome einer Depression in der Adoleszenz bzw. im Erwachsenenalter. Je
ausgeprägter die Selbstwertstörung ist, desto höher ist das Chronifizierungsrisiko –
insbesondere dann, wenn die Selbstwertstörung schon seit längerer Zeit besteht. In
Bezug auf den Verlauf depressiver Störungen lässt sich eine starke interindividuelle
Variabilität konstatieren. Es wird geschätzt, dass etwa die Hälfte bis zwei Drittel der
depressiven Patienten eine deutliche Symptomreduktion und ihre prämorbide
Leistungsfähigkeit zurückerlangen, wohingegen 10 bis 20 % der unipolaren
Depressionen chronifizieren (Hautzinger 2010). Das Suizidrisiko depressiver
Patienten beträgt ungefähr 15 % und ist damit deutlich höher als in der nichtdepressiven Bevölkerung (Hautzinger 2010).
Die Auftretenshäufigkeit bipolarer affektiver Störungen ist deutlich geringer als die der
unipolaren depressiven Störungen, insbesondere vor dem 10. Lebensjahr. Für die
Altersgruppe der 14- bis 16-Jährigen beträgt die Prävalenzrate bipolarer affektiver
Störungen 0,6 %. Für die 18- bis 24-Jährigen werden Prävalenzraten zwischen 0,6
und 1,0 % angenommen (Herpertz-Dahlmann, Resch, Schulte-Markwort, Warnke
2008). Das Erstmanifestationsalter bipolarer Störungen liegt ca. zwischen dem 15. und
30. Lebensjahr (Aichhorn, Stuppäck, Kralovec, Yazdi, Aichhorn, Hausmann 2007).
Manische Episoden im Kindesalter sind oft gekennzeichnet durch eine emotionale
Labilität, Hyperaktivität und erhöhtes Risikoverhalten, während im Jugendalter
zusätzlich Symptome, wie eine euphorische oder dysphorisch-gereizte Stimmung,
antisoziales Verhalten und Drogenabusus hinzukommen können (Aichhorn et al.
2007). Weitere typische Symptome sind ein erhöhter Rededrang, ein verringertes
Schlafbedürfnis, Konzentrationsprobleme und wahnhafte Phänomene, wie z.B.
Größenwahn. Im Vergleich zur Symptomatik im Erwachsenenalter treten kaum
21
symptomfreie Phasen auf. Die Hoch- und Tief-Phasen gehen häufig mit einem raschen
Wechsel („rapid cycling“) einher. Die Wahrscheinlichkeit, dass nach drei depressiven
Episoden (unipolar) eine manische Phase auftritt, beträgt grob geschätzt 10 bis 30 %
(Hautzinger 2010).
1.6
Klassifikation von Selbstwert-, Aktivitäts- und Affektstörungen nach
ICD-10 und DSM-5
Klassifikation von Selbstwertstörungen
Die Störung des Selbstwertgefühls, einhergehend mit vermindertem Selbstvertrauen,
stellt in keinem Klassifikationssystem psychischer Störungen, d.h. weder in der ICD10 (Dilling, Mombour, Schmidt 2004), noch im DSM-5 (Falkai & Wittchen 2015), eine
eigenständige Diagnose dar. Dennoch gehen viele psychische Störungen im Kindesund Jugendalter, wie Depressionen, soziale Phobien, ADHS oder Störungen des
Sozialverhaltens, oft mit einem verringerten Selbstwert einher (de Jong, Sportel, de
Hullu & Nauta 2014; Dan & Raz 2015; Harpin 2005; Harpin, Mazzone, Raynaud, Kahle
& Hodgkins 2013; Alesi, Rappo & Pepi 2014). Verschiedene psychische Störungen
können, wie bereits beschrieben, auch mit einem überhöhten Selbstwert einhergehen,
wie die Manie oder eine narzisstische Persönlichkeitsstörung.
Klassifikation von Aktivitäts- und Affektstörungen
Im folgenden Abschnitt wird eine Übersicht über die ICD-10-Klassifikation affektiver
Störungen, die mit Störungen der Aktivität einhergehen, gegeben, sowie ein Vergleich
zu den DSM-5 Kriterien vorgenommen. Auf andere Störungen der Aktivität, wie
beispielsweise ADHS, wird nicht näher eingegangen, da diese Störungen im Kontext
der vorliegenden Forschungsarbeit nicht relevant sind.
22
Tabelle 1: Symptome und Schweregradeinteilung der depressiven Episode nach ICD-10
Mindestens zwei Kernsymptome müssen mindestens zwei Wochen lang bestehen:


Anhaltende depressive Stimmung
Verlust von Interesse und Freude an normalerweise angenehmen Aktivitäten

Verminderter Antrieb oder erhöhte Ermüdbarkeit
Zusatzsymptome (bei Vorhandensein von zwei Kernsymptomen müssen mindestens
zwei weitere Symptome bestehen):






Vermindertes Selbstvertrauen und geringes Selbstwertgefühl
Selbstvorwürfe / Schuldgefühle
Suizidgedanken / suizidale Handlungen
Konzentrationsprobleme
Schlafstörungen
Psychomotorische Unruhe oder Agitiertheit

Appetitverlust oder gesteigerter Appetit
Kennzeichen des Somatischen Syndroms (mindestens vier Symptome):








Interessenverlust, Verlust an Freude
Mangelnde emotionale Reagibilität
Morgentief
Frühmorgendliches Erwachen
Psychomotorische Hemmung oder Agitiertheit
Deutlicher Appetitverlust
Gewichtsverlust (5% des Körpergewichts im letzten Monat)
Deutlicher Libidoverlust
Schweregradeinteilung der depressiven Episode nach ICD-10:




Leichte depressive Episode (F32.0)
Mittelgradige depressive Episode (F32.1)
Schwere depressive Episode ohne psychotische Symptome (F32.2)
Schwere depressive Episode mit psychotischen Symptomen (F32.3)
Im Kindes- und Jugendalter treten typischerweise auch Symptome auf, die nicht in der
ICD-10 aufgeführt sind. So sind depressive Kinder und Jugendliche häufig reizbar oder
schlecht gelaunt, berichten oft von somatischen Beschwerden (z.B. Kopf- oder
Bauchschmerzen, Übelkeit…), haben nur wenige Kontakte zu Gleichaltrigen und
neigen insgesamt zu sozialem Rückzug und Apathie. Auch Schulleistungsstörungen,
Schulabsentismus,
Irritierbarkeit,
dysruptive
Affektregulationsstörungen,
in
Verbindung mit verbalen Impulsausbrüchen, können typische Begleitsymptome einer
Depression im Kindes- und Jugendalter darstellen (DGKJP, 2007; Whitney, Sullivan &
Herman 2010).
23
Die Schweregradeinteilung der depressiven Episode nach ICD-10 (F32) richtet sich
nach der Anzahl der Symptome, die über einen Zeitraum von mindestens zwei Wochen
bestehen müssen. Um eine „leichte depressive Episode“ (F32.0) diagnostizieren zu
können, müssen zwei Kernkriterien und zwei Zusatzkriterien bestehen. Eine
„mittelgradige depressive Episode“ (F32.1) ist erfüllt, wenn mindestens zwei
Kernkriterien und mindestens drei Zusatzkriterien erfüllt sind. Ein zusätzliches
somatisches Syndrom wird kodiert, wenn mindestens vier Symptome erfüllt sind. Eine
„schwere depressive Episode“ (F32.2) wird diagnostiziert, wenn alle Kernkriterien und
mindestens vier Zusatzkriterien erfüllt sind. Die „schwere depressive Episode“ kann
ohne oder mit psychotischen Symptomen, wie Halluzinationen oder Wahnideen,
auftreten. Um eine rezidivierende depressive Störung (F33), entsprechend der ICD10-Kriterien, kodieren zu können, muss neben der aktuellen depressiven Episode
mindestens eine weitere depressive Episode in der Vorgeschichte bestanden haben,
von mindestens zwei Wochen Dauer. Die gegenwärtige depressive Episode muss von
der vorhergehenden Episode durch ein mindestens zweimonatiges, weitgehend
symptomfreies Intervall abgrenzbar sein. In der Vorgeschichte darf keine manische
oder hypomane Episode vorgelegen haben.
Die Dysthymia (F34.1) und die Zyklothymia (F34.0) werden in der ICD-10 den
anhaltenden affektiven Störungen zugeordnet. Unter einer Dysthymia wird nach ICD10 eine anhaltende depressive Verstimmung verstanden, die jedoch nicht das Ausmaß
einer depressiven Episode erreicht. Die depressiv-verstimmte Stimmungslage sollte
bei Kindern und Jugendlichen mindestens ein Jahr lang andauern. Die dazwischen
liegenden symptomfreien Perioden dürfen nur wenige Wochen umfassen.
Die Zyklothymia ist gekennzeichnet durch eine andauernde Instabilität der Stimmung,
mit mehreren Episoden einer leichten depressiven Symptomatik, gefolgt von Phasen
leicht gehobener Stimmung, wobei keine Episode den Schweregrad einer depressiven
oder manischen Episode erreichen darf. Treten neben depressiven Episoden auch
manische Phasen auf, liegt eine bipolare Störung (F31) vor.
Depressive Symptome können auch als emotionale Reaktion auf kritische
Lebensereignisse (z.B. Scheidung der Eltern, Tod eines nahestehenden Angehörigen,
Umzug, schwere Erkrankung), in Kontext einer Anpassungsstörung (F43.2) auftreten.
Die depressive Symptomatik erreicht dabei definitionsgemäß allerdings nicht die
Ausprägung einer depressiven Episode.
24
In der ICD-10 wird die folgende Einteilung von Anpassungsstörungen vorgenommen:
Anpassungsstörung mit kurzer depressiver Reaktion
(F43.20)
Anpassungsstörung mit längerer depressiver Reaktion
(F43.21)
Anpassungsstörung mit Angst und depressiver Reaktion gemischt
(F43.22)
Anpassungsstörung mit gemischter Störung von Gefühlen u. Sozialverhalten (F43.25)
Weitere psychische Störungen, die mit einer depressiven Symptomatik einhergehen,
sind die „Störung des Sozialverhaltens mit depressiver Störung“ (F92.0), „Angst und
depressive Störung, gemischt“ (F41.2), „sonstige emotionale Störung“ (F93.8) sowie
die „schizoaffektive Störung“ (F25). Ist die affektive Störung verursacht durch eine
pharmakologische Wirkung oder durch eine körperliche resp. zerebrale Erkrankung,
wird eine „organische affektive Störung“ (F06.3) kodiert.
Vergleicht man die Kodierung depressiver Störungen der ICD-10 mit dem DSM-5, fällt
auf, dass sich die Symptomkriterien nur wenig unterscheiden. Im Zuge der Publikation
des DSM-5 wurden jedoch zwei neue Diagnosen eingeführt, welche in der ICD-10 nicht
vorhanden sind, die dysruptive Affektregulationsstörung sowie die prämenstruelle
dysphorische Störung. Mit der Einführung der dysruptiven Affektregulationsstörung im
DSM-5 wird den Kindern und Jugendlichen Rechnung getragen, die primär durch
Schwierigkeiten in Bezug auf eine angemessene Regulation von Affekten und eine
erhöhte emotionale Impulsivität, im Rahmen einer affektiven Störung, auffallen. Diese
Symptome wurden bislang häufig als Verhaltensauffälligkeiten im Kontext von
expansiven Störungen, wie beispielsweise einer Störung des Sozialverhaltens oder
einer ADHS gesehen und nicht als Symptome einer Depression (Shugart & Lopez
2002).
25
Tabelle 2: Klassifikation depressiver Störungen nach DSM-5 und ICD-10
DSM-5
296.x
Major Depression,
einzelne Episode
ICD-10
F32.x
.0 leicht
.1 mittelgradig
.2 schwer ohne psychotische Symptome
.3 schwer mit psychotischen Symptomen
.8 sonstige depressive Episode (atypische Depression)
.21 leichtgradig
.22 mittelgradig
.23 schwergradig ohne
psychotische Merkmale
.24 schwergradig mit
psychotischen Merkmalen
.25 teilremittiert
.26 vollremittiert
.20 nnb
296.x
Major Depression,
rezidivierend
F33.x
Persistierende depressive
Störung (Dysthymie)
296.99
Dysruptive Affektregulationsstörung
Rezidivierende depressive Störung
.0 leicht
.1 mittelgradig
.2 schwer ohne psychotische Symptome
.3 schwer mit psychotischen Symptomen
.4 rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig
remittiert
.8 sonstige rezidivierende depressive Störungen
.31 leichtgradig
.32 mittelgradig
.33 schwergradig ohne
psychotische Merkmale
.34 schwergradig mit
psychotischen Merkmalen
.35 teilremittiert
.36 vollremittiert
.30 nnb
300.4
Depressive Episode
F34.1
Anhaltende affektive Störungen: Dysthymia
kein Äquivalent
625.4
Prämenstruelle dysphorische
Störung
311
nnb depressive Störung
kein Äquivalent
F32.9
nnb depressive Episode
F33.9
nnb rezidivierende depressive Störung
F38.1
Rezidivierende kurze depressive Episoden
nnb = nicht näher bezeichnet
Die folgende Tabelle beschreibt im Sinne einer Übersicht, ergänzend zu den
depressiven Syndromen, die Klassifikation weiterer affektiver Störungen nach DSM-5
und ICD-10.
26
Tabelle 3: Klassifikation weiterer affektiver Störungen nach DSM-5 und ICD-10
DSM-5
ICD-10
F30.x Manische Episode
Kein Äquivalent (s.u.)
296.x Bipolar-I-Störung
aktuelle Episode:
.40 hypoman
manisch
.41 leicht
.42 mittelschwer
.43 schwer ohne psychot. Symptome
.44 mit psychotischen Symptomen
.45 in Teilremission
.46 vollremittiert
.0 Hypomanie
.1 Manie ohne psychotische Symptome
.2 Manie mit psychotischen Symptomen
.8 Sonstige manische Episode
.9 Manische Episode nnb
F31.x Bipolare affektive Störung gegenwärtig:
.0 hypomane Episode
.1 manische Episode ohne psychotische Symptome
.2 manische Episode mit psychotischen Symptomen
.3 leichte oder mittelgradige depressive Episode
.4 schwere depressive Episode ohne psychot. Symptome
.5 schwere depressive Episode mit psychot. Symptomen
.6 gemischte Episode
depressiv
.51 leicht
.52 mittelschwer
.53 schwer ohne psychot. Symptome
.54 mit psychotischen Symptomen
.55 in Teilremission
.56 vollremittiert
.7 remittiert
.8 sonstige bipolare affektive Störung
.9 Bipolare affektive Störung nnb
296.7 Bipolar-I-Störung
letzte Episode nnb
296.89 Bipolar-II-Störung
301.13 Zyklothyme Störung
F34.0 Zyklothymia
Substanz-/Medikamenteninduzierte
depressive Störung:
F1x.8 Psychische und Verhaltensstörungen
durch psychotrope Substanzen
291.89 Alkohol
292.84 Amphetamine, Kokain,
Opiate
293.83 DepressiveStörung aufgrund
eines anderen medizinischen
Krankheitsfaktors
F06.3 Organische affektive Störungen
nnb = nicht näher bezeichnet
27
1.7
Multifaktorielles ätiologisches Modell der Entstehung von Selbstwert-,
Aktivitäts- und Affektstörungen
In der Genese von Selbstwert-, Aktivitäts- und Affektstörungen spielen zweifelsohne
diverse, komplex zusammenwirkende biologische und psycho-soziale Faktoren eine
Rolle. Einige ätiologische Modelle versuchen diese verschiedenen Einflussfaktoren in
einem multifaktoriellen Erklärungsmodell zu integrieren. Die folgende Abbildung stellt
die wichtigsten Faktoren, die potentiell in der Genese von Selbstwert-, Aktivitäts- und
Affektstörungen eine Rolle spielen, in vereinfachter Form dar. Im weiteren Verlauf
werden die einzelnen Einflussfaktoren näher erläutert.
Kritische
Lebensereignisse
und negative Erfahrungen
Biologische
und genetische
Einflüsse
Dysfunktionale
Kognitionen
Gestörte
Emotionsregulation
Ungünstige
Lernprozesse
Gestörte sozial-kognitive
Informationsverarbeitung
Ungünstige
psychosoziale
Faktoren
Selbstwert-,
Aktivitätsund Affektstörungen
Dysfunktionale
Bewältigungsmuster
Abbildung 1: Multifaktorielles Entstehungsmodell von Selbstwert-, Aktivitäts- und
Affektstörungen
Abbildung 1 stellt ein vereinfachtes multifaktorielles Erklärungsmodell für Selbstwert-,
Aktivitäts- und Affektstörungen dar. Grundsätzlich wird davon ausgegangen, dass
biologische und genetische Einflüsse als prädiponierende Faktoren - im Sinne einer
Vulnerabilität - anzusehen sind, während kritische Lebensereignisse, das gehäufte
28
Auftreten negativer Erfahrungen und ungünstiger psychosozialer Faktoren die
Entwicklung von Selbstwert-, Aktivitäts- und Affektstörungen begünstigen. Die
Häufung negativer Erfahrungen trägt u. a. zur Ausbildung dysfunktionaler Kognitionen
und negativer Selbstbewertungen bei und wirkt sich, bei entsprechender Diathese,
negativ auf die Emotionsregulation und die sozial-kognitive Informationsverarbeitung
aus.
Verfügt
der
Jugendliche
nicht
über
adäquate
Problem-
und
Konfliktlösekompetenzen, greift er auf dysfunktionale Copingstrategien zurück.
Ungünstige Lernprozesse führen schließlich – in einem komplexen wechselseitigen
Zusammenspiel biologischer und psychosozialer Faktoren – zur Manifestation und im
weiteren Entwicklungsverlauf zur Aufrechterhaltung der Selbstwert-, Aktivitäts- und
Affektstörungen.
Biologische und genetische Einflüsse
Während im Rahmen der Entwicklung von Selbstwertstörungen genetische Einflüsse
bis dato kaum erforscht sind, werden sowohl in der Genese von Aktivitäts- als auch
von Affektstörungen bedeutsame biologische und genetische Einflüsse angenommen.
So wird beispielsweise bei depressiven Störungen vermutet, dass genetische Faktoren
eine große Rolle in der Entstehung der Erkrankung spielen (Lehmkuhl, Walter,
Lehmkuhl
2008).
In
Zwillings-
und
Familienstudien
konnte
ein
erhöhtes
Erkrankungsrisiko für Personen aus Familien, in denen ein Familienmitglied depressiv
ist, nachgewiesen werden. Die Konkordanzraten für monozygotische Zwillinge
betragen dabei im Mittel 60 %, während sie bei dizygotischen Zwillingen im Mittel
lediglich 14 % betragen (Hautzinger 2010), was u.a. für eine hereditäre Ursache in der
Genese depressiver Störungen spricht. Lieb, Isensee, Höfler, Pfister & Wittchen (2002)
fanden in einer großen epidemiologischen Stichprobe von annähernd 2500
Adoleszenten und jungen Erwachsenen, dass Kinder depressiver Eltern ein ungefähr
dreifach erhöhtes Risiko für die Entwicklung einer Depression haben, im Vergleich zu
Kindern gesunder Eltern. Die familiäre Häufung depressiver Störungen kann jedoch
nicht ausschließlich durch genetische Faktoren erklärt werden. In der Genese
depressiver
Erkrankungen
spielen
auch
ungünstige
Lernprozesse,
das
Erziehungsverhalten und individuelle Belastungsfaktoren eine zentrale Rolle
(Lehmkuhl et al. 2008). Insgesamt wird der Einfluss genetischer Faktoren in der
Entstehung depressiver Störungen auf ca. 41 % geschätzt und der Einfluss von
Umweltbedingungen auf ca. 46 % (Hautzinger 2010).
29
Zu den biologischen Faktoren, die in der Entwicklung depressiver Störungen
vermutlich eine zentrale Rolle spielen, zählt laut Hautzinger (2010) zum einen die
Hypothese der gestörten Neurotransmittersysteme (z.B. gestörtes serotonerges und
dopaminerges System, Ungleichgewicht zwischen dem adrenergen und cholinergen
Neurotransmittersystem). Zum anderen werden neuroendokrinologische Störungen
(z.B. Überaktivität der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse) sowie
strukturelle und funktionelle neuroanatomische Veränderungen (z.B. hyperaktive
Areale des Hippocampus, hypoaktive Areale des präfrontalen Cortex) angenommen.
Psychosoziale Einflussfaktoren
In der Genese von Selbstwert-, Aktivitäts- und Affektstörungen werden häufig auch
prädisponierende psychische Faktoren, wie Persönlichkeitsmerkmale oder das
Temperament diskutiert. Es scheint beispielsweise einen Zusammenhang zwischen
einer prämorbiden ängstlich-labilen bzw. emotional-impulsiven Persönlichkeitsstruktur
und Depressionen zu geben. Außerdem weisen viele Studien darauf hin, dass ein
geringer Selbstwert einen frühen Indikator für Depressionen darstellt (Whitney et al.
2010; Sowislo & Orth 2012). Auch introversive Temperamentsmerkmale, wie
Schüchternheit, soziale Zurückhaltung und eine pessimistische Grundhaltung,
scheinen prädisponierende Faktoren in der Entwicklung sowohl depressiver als auch
ängstlicher Störungen zu sein (Hautzinger 2010).
Auch soziale und schulbezogene Faktoren, wie Mobbing, schlechte Schulleistungen
und anhaltende schulische Misserfolge spielen eine zentrale Rolle in der Entwicklung
von Selbstwert- und Affektstörungen. Soziale Faktoren, die sowohl internalisierende
als auch externalisierende Störungen begünstigen, sind beispielsweise ein niedriger
Sozialstatus,
begrenzte
finanzielle
Verhältnisse,
unvollständige
Familien
(alleinerziehendes Elternteil) oder ausgeprägte familiäre Belastungen (Steinhausen,
Döpfner & Steinhausen 2010; Hautzinger 2010). Diverse ungünstige psycho-soziale
Lebensumstände bzw. familiäre Bedingungen, wie ein geringer sozio-ökonomischer
Status, ein alleinerziehendes Elternteil, beengte Wohnverhältnisse oder psychische
Erkrankungen der Eltern, stellen Vulnerabilitätsfaktoren dar, die Depressionen von
Kindern und Jugendlichen begünstigen (Purper-Ouakil, Michel, Mouren-Siméoni
2002). In diesem Kontext spielen außerdem auch familiäre Faktoren, wie mangelnde
30
emotionale
Zuwendung,
Fürsorge
und
Unterstützung
seitens
der
Eltern,
unzureichende oder feindselige intrafamiliäre Kommunikation, Ablehnung oder
Vernachlässigung eine wesentliche Rolle (Ihle et al. 2012). Dabei ist bis dato
weitgehend unklar, ob diese familiären Faktoren primär Auslöser affektiver Störungen
sind
oder
eher
aufrechterhaltend
wirken.
Vermutlich
stellen
sie
sowohl
prädisponierend ungünstige Faktoren in der emotionalen Entwicklung von Kindern und
Jugendlichen dar und wirken sich gleichzeitig auch störungsaufrechterhaltend aus.
Eingeschränkte
Erziehungskompetenzen
und
pathologische
intrafamiliäre
Interaktionsmuster, wie geringe elterliche Kontrolle, fehlende bzw. inkonsistente
Grenzsetzung oder mangelnde Responsivität und Wärme in der Eltern-KindBeziehung scheinen die Aufrechterhaltung expansiver Störungen zu begünstigen
(Döpfner & Steinhausen 2010). Eine typische Folge sowohl affektiver als auch
expansiver Symptomatik von Kindern und Jugendlichen stellt die soziale Ablehnung
durch Gleichaltrige dar. Soziale Zurückweisung und Isolation tragen außerdem zur
Chronifizierung internalisierender und expansiver Störungen bei. Zusammenfassend
lässt sich festhalten, dass psychosoziale Faktoren, in der Mehrzahl der Fälle, das
Ausmaß und den Verlauf der internalisierenden und externalisierenden Symptomatik
beeinflussen und die Entwicklung komorbider Störungen, bei Personen mit
entsprechender neurobiologischer Diathese, begünstigen.
Kritische Lebensereignisse und dysfunktionale Bewältigungsmuster
Psychosoziale Stressfaktoren und „kritische Lebensereignisse“, wie beispielsweise die
Trennung der Eltern oder der Verlust nahestehender Bezugspersonen, chronische
Krankheiten innerhalb der Familie, Arbeitslosigkeit etc., können das Familiensystem
nachhaltig destabilisieren und psychische Erkrankungen der Eltern sowie der Kinder
begünstigen. Chronische intrafamiliäre Belastungen tragen auch häufig zur
Schwächung der Erziehungskompetenzen der Eltern bei. Zweifelsohne spielen
kritische Lebensereignisse und andere familiäre bzw. soziale Belastungsfaktoren in
der Genese von Depressionen eine Rolle (Seiffge-Krenke 2007). Allerdings scheinen
die Auswirkungen kritischer Lebensereignisse und psychosozialer Stressoren nicht nur
spezifisch im Rahmen der Depressionsgenese nachweisbar zu sein, sondern lassen
sich auch bei anderen psychischen Störungen beobachten. Zimmermann, Brückl,
Lieb, Nocon, Ising, Beesdo & Wittchen (2008) konnten in einer Studie außerdem
Hinweise darauf finden, dass kritische Lebensereignisse nur bei einer gleichzeitig
31
bestehenden Vulnerabilität, z.B. in Form eines erkrankten Elternteils, mit einem
erhöhten Risiko für Depressionen einhergehen.
In
Ergänzung
zu
Lebensereignissen
den
oben
scheinen
beschriebenen
auch
Stressoren
dysfunktionale
und
Copingstrategien,
kritischen
wie
die
Problemleugnung oder die Vermeidung einer aktiven Problembewältigung, assoziiert
zu sein mit Depressionen (Seiffge-Krenke 2007). Dysfunktionale Copingstrategien
lassen sich jedoch auch im Zusammenhang mit anderen Störungen nachweisen.
Winkler-Metzke und Steinhausen (2002) untersuchten beispielsweise in einer Studie
mit mehr als 1000 Schülern die Bewältigungsstrategien Jugendlicher. Sie fanden,
übereinstimmend
mit
anderen
Forschungsergebnissen
heraus,
dass
aktive
Bewältigungsstrategien u.a. assoziiert waren mit positivem Selbstwert, erlebter
elterlicher Wärme und Effektivität des sozialen Netzwerks. Problemvermeidende
Copingstrategien
standen
hingegen
in
Zusammenhang
mit
Internalisierung,
Externalisierung und elterlicher Ablehnung.
Dysfunktionale Kognitionen und gestörte sozial-kognitive Informationsverarbeitung
Dysfunktionale kognitive Schemata, im Sinne von negativen, rigiden Grundannahmen
und Bewertungsmustern, sowie ungünstige globale Kausalattributionen, stellen, neben
selektiven negativen Informationsverarbeitungsprozessen, Risikofaktoren für die
Entwicklung einer depressiven Störung im Kindes- und Jugendalter dar (Ihle et al.
2012). Negativ-verzerrte Wahrnehmungsmuster und negative Selbst-Schemata tragen
maßgeblich zur Ausbildung - und durch negative Feedbackschleifen - auch zur
Aufrechterhaltung
von
depressiven
Störungen
und
Selbstwertstörungen
bei
(Hautzinger 2010; Evans, Heron, Lewis, Araya, Wolke 2005). Wiederholte negative
Selbstbewertungen und Selbstzweifel begünstigen Insuffizienzgefühle und bestätigen
die implizit antizipierte unzureichende Selbstwirksamkeit und Kontrolle von
Ereignissen. Perseverierende Selbstzweifel wiederum tragen zur Schwächung des
Selbstwertes und Verstärkung von Stimmungsproblemen bei. Weitere typische
kognitive Verzerrungen stellen Übergeneralisierung, katastrophisierendes Denken,
willkürliches Schlussfolgern oder Schwarz-Weiß-Denken dar. Das Denken depressiver
Menschen ist allerdings nicht nur charakterisiert durch generalisierte negative
Denkmuster,
sondern
laut
Hautzinger
(2010)
auch
gekennzeichnet
durch
Undifferenziertheit, Inflexibilität und Irreversibilität des Denkens, in Form von
perseverierenden (hoch automatisierten) Kognitionen.
32
Eine Störung der sozial-kognitiven Informationsverarbeitung lässt sich jedoch nicht nur
im Kontext von Depressionen feststellen. Vor allem in der Genese von impulsivaggressiven Verhaltensstörungen stellt die Fehlwahrnehmung von Situationen, in
Verbindung mit situativen Fehlinterpretationen (anderen Personen gegenüber werden
beispielsweise feindselige Intentionen unterstellt), einen wesentlichen Prädiktor dar
(Lösel, Bliesener, Bender 2007). Vor dem Hintergrund bedeutsamer Defizite im
Bereich der Aufmerksamkeits- und Affektregulation können ebenfalls situative
Fehlinterpretationen und impulsiv-unüberlegte Reaktionen resultieren, die jedoch in
der Regel aus der Nichtbeachtung wichtiger situativer Hinweisreize resultieren.
Gestörte Emotionsregulation
Eine gestörte Emotionsregulation stellt diagnoseübergreifend, sowohl ein häufiges
Symptom verschiedener psychiatrischer Störungsbilder, als auch einen Risikofaktor
für die Entwicklung psychischer Erkrankungen dar. So werden beispielsweise affektive
Störungen,
ADHS,
Störungen
des
Sozialverhaltens,
emotional-instabile
Persönlichkeitsstörungen oder Essstörungen, neben vielen anderen, in Verbindung
gebracht mit einer gestörten Emotionsregulation (Böker & Petermann 2012; Harrison,
Sullivan, Tchanturia & Treasure 2009; Shaw, Stringaris, Nigg & Leibenluft 2014;
Cavanagh, Quinn, Duncan, Graham & Balbuena 2013; Koglin, Petermann, Jaščenoka,
Petermann & Kullik 2013).
Aktuell ist das Interesse an der Erforschung emotionaler Fehlregulationen im Kontext
verschiedener psychischer Erkrankungen, wie eingangs geschildert, sehr groß. Einige
Forschungsgruppen
gehen
davon
aus,
dass
die
gemeinsame
Grundlage
verschiedener psychischer Störungen u.a. eine gestörte Emotionswahrnehmung und
Emotionsregulation
bildet
und
empfehlen
daher
eine
transdiagnostische
therapeutische Vorgehensweise anstelle störungsspezifischer Behandlungsansätze
(Ehrenreich, Goldstein, Wright & Barlow 2009; Chu 2012; Queen, Barlow, EhrenreichMay 2014). Einen solchen transdiagnostischen Ansatz zur Behandlung emotionaler
Störungen in der Adoleszenz haben beispielsweise Ehrenreich et al. (2009) mit dem
„Unified Protocol for the Treatment of Emotional Disorders in Adolescence“
vorgeschlagen.
33
Ungünstige Lernprozesse
Nahezu alle psychischen Störungen des Kindes- und Jugendalters werden durch
ungünstige
Verstärkerprozesse
mitbedingt,
modelliert
oder
aufrechterhalten.
Ungünstige Vorbilder, wie beispielsweise eine antriebsarme, ängstlich-vermeidende
Mutter oder ein impulsiv-aggressiver Vater, führen über den Prozess des
Modelllernens zur Nachahmung dysfunktionaler Verhaltensweisen oder Übernahme
negativ verzerrter Meinungen und Einstellungen. Dies führt auf der Makroebene
langfristig zu einer transgenerationalen Weitergabe pathologischer Verhaltens-, Denkund Beziehungsmuster. So können beispielsweise resignative oder angstbesetzte
Kognitionen genauso familiär tradiert werden, wie negativ-verzerrte situative
Bewertungen oder aggressiv-dominante Konfliktlösestrategien. Die VerstärkerVerlust-Hypothese von Lewinsohn postuliert im Kontext ungünstiger Lernprozesse,
dass eine geringe Rate relevanter positiver Verstärker seitens des sozialen Umfelds,
wie z.B. Lob, Ankerkennung oder emotionale Zuwendung, zur Begünstigung einer
depressiven Symptomatik beiträgt. Das depressive Verhalten resultiert folglich als
Reaktion auf die geringe Verstärkerrate. Die depressive Symptomatik kann wiederum
zu vermehrter sozialer Ablehnung führen und dadurch depressive Muster und
Selbstwertprobleme verstärken.
Auch die Theorie der erlernten Hilflosigkeit von Seligman postuliert ungünstige
Lernprozesse als mögliche Ursache depressiver Störungen. Werden persönlich
relevante Ereignisse wiederholt subjektiv als unkontrollierbar oder nicht veränderbar
erlebt, resultiert der Theorie nach eine „erlernte Hilflosigkeit“, die zu Passivität,
Verzweiflung und Resignation führt und langfristig zur Generalisierung der
Hilflosigkeitserwartung beiträgt. Dies begünstigt wiederum im weiteren Verlauf die
Manifestation einer Depression.
Maladaptive Lernprozesse spielen, wie eingangs beschrieben, in der Genese diverser
psychischer
Störungen
eine
Rolle
und
stellen
häufig
einen
zentralen
störungsaufrechterhaltenden Faktor dar. Ein sozial phobischer Jugendlicher hat
beispielsweise durch negative Verstärkung gelernt, sich Anforderungen und
angstauslösenden sozialen Situationen durch Vermeidungsverhalten zu entziehen.
Ein depressiver Jugendlicher könnte durch ungünstige Kontingenzen gelernt haben,
vermehrt Aufmerksamkeit zu erhalten, wenn er weint oder selbstverletzendes
Verhalten zeigt. Umgekehrt kann selbstverletzendes Verhalten u.a. auch persistieren,
weil
der
Jugendliche
dadurch
seine
34
innere
Anspannung
reduzieren
oder
unangenehme Gefühle damit regulieren kann. Ungünstige Lernprozesse führen unter
Umständen
auch
zur
Verstärkung
expansiver
Verhaltensauffälligkeiten.
Ein
Jugendlicher, der beispielsweise gelernt hat, sich durch dominantes Verhalten besser
durchzusetzen gegenüber Eltern oder Peers, wird in der Folge – im Sinne positiver
Verstärkerprozesse – gehäuft dominant-aggressive Verhaltensweisen einsetzen.
Zusammenfassend lässt sich konstatieren, dass im Rahmen der Entwicklung
dysfunktionaler Verhaltensweisen viele Verstärkerprozesse parallel ablaufen, die
häufig komplex ineinander greifen und sich ggf. gegenseitig begünstigen. Deshalb sind
im Rahmen der psychotherapeutischen Behandlung eine individuelle Mikro- sowie
Makroanalyse dysfunktionaler Verhaltensweisen sowie die Entwicklung eines
individuellen Störungsmodells mit der Familie unabdingbar. Die Erarbeitung eines
individuellen Störungsmodells, unter Berücksichtigung symptomauslösender und
symptomaufrechterhaltender Prozesse, bildet zudem die Basis einer differenzierten
Therapieplanung.
2
Ansätze zur Prävention und Behandlung von Selbstwert-, Aktivitäts- und
Affektstörungen im Jugendalter
2.1 Ansätze zur Prävention und Behandlung von Selbstwertstörungen
Die Behandlung von Selbstwertstörungen stellt diagnose- und methodenübergreifend
eine wesentliche Komponente in der psychotherapeutischen Behandlung von Kindern
und
Jugendlichen
dar.
verhaltenstherapeutischen
Im
Rahmen
Behandlung
von
der
störungsspezifischen
Depressionen
werden
ab
dem
Jugendalter beispielsweise gezielt kognitiv-behaviorale Methoden zur Veränderung
ungünstiger Selbstbewertungen und zur Förderung einer realistischen, positiven
Selbstwahrnehmung
eingesetzt.
ressourcenaktivierende
Zudem
Interventionen
beinhalten
zur
einige
Förderung
Therapiemanuale
einer
positiven
Selbstwahrnehmung und zur Stärkung des Selbstwerts. Auch im Kontext der
verhaltenstherapeutischen Behandlung von z.B. sozialen Phobien, Essstörungen,
ADHS und anderen psychischen Erkrankungen, werden, eingebettet in ein
multimodales Behandlungskonzept, negative Selbstbewertungen korrigiert und ein
möglichst differenziertes und realistisches Bild der eigenen Person etabliert. Im
Folgenden werden zunächst präventive Ansätze und im weiteren Verlauf spezifische
Ansätze zur Behandlung von Selbstwertstörungen vorgestellt.
35
Präventive Ansätze
In den letzten Jahren wurden im internationalen Raum einige Selbsthilfeprogramme
zur Stärkung des Selbstwerts entwickelt. Die schottischen Gesundheitszentren
„National Health Service (NHS) Greater Glasgow & Clyde“ („Boosting your selfesteem“ Gilroy 2004) und „NHS Dumfries & Galloway“ („Self-esteem – A self help
guide“) haben Selbsthilfeprogramme entwickelt, die - im Sinne eines präventiven
Ansatzes - beispielsweise positives Denken und aktive Selbstfürsorge fördern und
ungünstige Vergleichsprozesse verringern sollen (z.B. „fight the inner critic“). Zu
diesen NHS-Präventionsprogrammen wurden bis dato keine Evaluationsstudien
publiziert, so dass nicht beurteilbar ist, wie effektiv diese Selbsthilfeprogramme sind.
In England wurde von Melanie Fennell (2006, 2009, 2011) ebenfalls ein
Selbsthilfeprogramm für Erwachsene, auf der Basis kognitiv-behavioraler Techniken,
entwickelt. Das Programm besteht insgesamt aus drei Teilen und beinhaltet u.a.
psychoedukative
Elemente
zur
Entstehung
und
Aufrechterhaltung
von
Selbstwertstörungen, kognitive Interventionen zur Identifizierung sowie Korrektur
selbstkritischer Gedanken und Interventionen zur Förderung der Selbstakzeptanz und
positiver Erlebnisse. Obwohl das Programm für Erwachsene mit geringem Selbstwert
konzipiert wurde, ist es durchaus auch in der Adoleszenz anwendbar.
Ein weiterer präventiver Ansatz zur Stärkung des Selbstwerts und Förderung der
Zufriedenheit mit dem eigenen Körper, ist beispielsweise das in Australien entwickelte
„Girls on the go!“ Programm (Tirlea, Truby, Haines 2013). Das Gruppenprogramm für
bis zu zehn Teilnehmerinnen besteht aus zehn Sitzungen unterschiedlicher Dauer (16 Stunden), die neben Interventionen zur gesunden Lebensführung u.a. auch
Strategien zur Förderung der Selbstsicherheit, sportliche Aktivitäten und Maßnahmen
zum Stressmanagement (Yoga) beinhalten. Die ersten Pilotstudien weisen auf positive
Effekte des Programms hin. Die Ausprägung des globalen Selbstwertes, der
Selbstwirksamkeit und der Zufriedenheit mit dem eigenen Körper stieg im Verlauf des
Trainings signifikant an (Tirlea et al. 2013). Weitere Evaluationsstudien stehen noch
aus.
„Youth Empowerment Programme“ verfolgen unter anderem das Ziel, soziale
Kompetenzen, kommunikative Fertigkeiten und das soziale Engagement junger
Menschen zu fördern und somit zur Steigerung des Erlebens von Selbstwirksamkeit
(„self-efficacy“) und zur Stärkung des globalen Selbstwerts von Jugendlichen
beizutragen. Morton und Montgomery (2011) haben in einer systematischen
36
Übersichtsarbeit die Wirksamkeit von Youth Empowerment Programmen untersucht,
die Interventionen zur Stärkung des Selbstwerts und der Selbstwirksamkeit beinhalten.
Die Autoren konnten in ihrer Meta-Analyse, in der aufgrund der rigorosen
Einschlusskriterien allerdings nur wenige Studien eingeschlossen wurden, keinen
signifikanten Interventionseffekt in Bezug auf den globalen Selbstwert oder die
Selbstwirksamkeit
feststellen.
Weitere
Studien,
auf
der
Grundlage
eines
randomisierten Kontrollgruppen-Designs, sind notwendig, um die Wirksamkeit von
Youth Empowerment Programmen differenzierter beurteilen zu können.
Im anglo-amerikanischen Raum wurden in den letzten Jahrzehnten auch diverse,
meist schulbasierte Programme, zur Prävention von affektiven Störungen und
Selbstwertproblemen entwickelt. O’Mara, Green und Marsh (2006) untersuchten in
einer Meta-Analyse, in die 105 Studien inkludiert wurden, die Wirksamkeit
schulbasierter Programme in Bezug auf spezifische Selbstwertdimensionen. Sie
ermittelten insgesamt mittlere Effekte (d = 0.51), die auf eine moderate Wirksamkeit
schulbasierter Programme, bezogen auf die Verbesserung des Selbstwertes,
schließen lassen. Die Autoren schlussfolgern, in Anlehnung an die Befunde, darüber
hinaus, dass Interventionen zur Stärkung des Selbstwerts im schulischen Setting
effektiver sind, d.h. mit höheren Effektstärken einhergehen, wenn spezifische
Selbstwertdomänen Ziel der Interventionen sind.
Ansätze zur Behandlung von Selbstwertstörungen
Obwohl weitgehend Konsens darüber besteht, dass die Förderung des Selbstwertes
von
Kindern
und
Jugendlichen,
verhaltenstherapeutischen
deutschsprachigen
im
Kontext
Behandlungssettings,
Raum
bis
dato
eines
sinnvoll
kein
ist,
umfassenden
existiert
im
verhaltenstherapeutisches
Behandlungsmanual, das primär das Ziel verfolgt, Selbstwertstörungen von
Jugendlichen zu behandeln. Dies liegt mitunter daran, dass ein Großteil der
verhaltenstherapeutischen Behandlungsansätze, zum gegenwärtigen Zeitpunkt,
störungsspezifischer Art ist. International wurden hingegen einzelne, wenn auch
wenige, Therapieprogramme zur spezifischen Behandlung von Selbstwertstörungen
entwickelt, wie das „Improving Self-esteem“ Programm (Lim, Saulsman, Nathan 2005).
Das Programm besteht aus neun kognitiv-behavioralen Modulen, die neben
psychoedukativen
Elementen
zur
Entstehung
37
und
Aufrechterhaltung
von
Selbstwertstörungen u.a. auch Interventionen zur Identifizierung und Korrektur
negativer Selbstbewertungen sowie zur Förderung der Selbstakzeptanz enthalten.
Das kürzlich publizierte Programm „Discover“ (Sclare, Michelson, Malpass, Coster &
Brown 2015) stellt beispielsweise einen innovativen kognitiv-behavioralen Ansatz zur
Behandlung
von
Ängsten,
Depressionen
und
damit
einhergehenden
Selbstwertproblemen von Jugendlichen im Alter von 16 bis 18 Jahren dar. Die
Ergebnisse einer Pilotstudie, an der 31 Jugendliche teilnahmen, zeigen erste Hinweise
auf die potentielle Wirksamkeit des Programms. Die Jugendlichen, die im Rahmen des
Programms
„Discover“
einen
eintägigen
verhaltenstherapeutischen
Intensiv-
Workshop absolvierten, berichteten von einer Verringerung der Angst- und der
depressiven Symptomatik sowie von einer Steigerung des Selbstwertes. Die
Weiterentwicklung des Programms steht noch aus.
Im Zuge der „dritten Welle“ der kognitiven Verhaltenstherapie werden in der
therapeutischen Arbeit mit Erwachsenen zunehmend auch Verfahren zur Förderung
der inneren Achtsamkeit, Selbstfürsorge und Selbstakzeptanz fokussiert. Zu den
bekanntesten Ansätzen im Erwachsenenalter zählen die „achtsamkeitsbasierte
kognitive Therapie der Depression“ (Segal, Williams, Teasdale 2008) oder die
„Akzeptanz- und Commitment-Therapie“ (Hayes, Strosahl & Wilson 2004; Ciarrochi &
Bailey 2010). Achtsamkeitsbasierte Verfahren wurden in den letzten Jahren auch für
die Therapie von Jugendlichen adaptiert, wie beispielsweise im Kontext der
„dialektisch-behavioralen Therapie für Jugendliche DBT-A“ (Fleischhaker et al. 2011).
Die Wirksamkeit kognitiv-behavioraler Interventionen zur Stärkung des Selbstwertes
depressiver Jugendlicher im Alter von 13 bis 18 Jahren wurde in einem Review von
Taylor & Montgomery (2007) untersucht. Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass
kognitiv-behaviorale Interventionen potentiell eine effektive Behandlungsmethode zur
Steigerung des globalen und schulleistungsbezogenen Selbstwertes darstellen
könnten. Unmittelbar nach Abschluss der Therapie konnten zwar keine signifikanten
Verbesserungen in Bezug auf den Selbstwert erreicht werden, in der Follow-up-Phase
wurde jedoch eine weitere Verbesserung des Selbstwerts festgestellt, die allerdings
auch nicht signifikant war. Die Autoren schließen aus den Befunden, dass die
Entwicklung eines positiven Selbstwertes Zeit benötigt und eher im Langzeitverlauf zu
erwarten ist.
38
Transdiagnostische Ansätze
Transdiagnostische
(störungsübergreifende)
kognitiv-behaviorale
Behandlungs-
ansätze, wie das „Affect Regulation Training“ (Berking & Lukas 2015), das „Unified
Protocol for the Treatment of Emotional Disorders in Youth“ (Ehrenreich, Goldstein,
Wright & Barlow 2009) oder das kognitiv-behaviorale Gruppenprogramm „Emotion
Detectives“ (Ehrenreich-May & Bilek 2012), gewinnen - im Gegenzug zu
störungsspezifischen Ansätzen - in den letzten Jahren immer mehr an Bedeutung.
Transdiagnostische
Interventionen
stellen,
der
Studienlage
zufolge,
einen
vielversprechenden Ansatz zur Behandlung emotionaler Störungen im Jugendalter dar
(Ehrenreich et al. 2009; Sullivan, Keller, Paternostro & Friedberg 2015).
Waite, McManus & Shafran (2012) untersuchten in einer Studie mit 22 Patienten
erstmals die Effekte transdiagnostischer kognitiver Verhaltenstherapie auf den
Selbstwert im Vergleich zu einer Kontrollgruppe. Die Basis der 10-stündigen Therapie
bildete das transdiagnostische kognitiv-behaviorale Therapieprogramm von Fennell
(2006, 2009) zur Behandlung von Selbstwertstörungen. Die Autoren konnten zeigen,
dass die Patienten der kognitiv-behavioralen Interventionsgruppe eine signifikant
bessere Beurteilung des Selbstwertes und signifikant weniger psychiatrische
Diagnosen aufwiesen, als die Patienten der Wartelisten-Kontrollgruppe. Die Befunde
sind bei der kleinen Stichprobengröße nicht sehr aussagefähig und bedürfen weiterer
Replikationen an größeren Stichproben, um die Hypothese der potentiellen Effektivität
transdiagnostischer Interventionen stärken könnten.
Zusammenfassend weisen die Befunde der Effektivitätsstudien auf eine potentielle
Wirksamkeit kognitiv-behavioraler Ansätze zur Prävention und Behandlung von
Selbstwertstörungen hin. Weitere Studien, an größeren Stichproben, mit längeren
Follow-up-Phasen, sind notwendig, um auch die Langzeiteffekte kognitiv-behavioraler
Interventionen auf den Selbstwert zu untersuchen. Die Wirksamkeit schulbasierter
Programme zur Förderung des Selbstwerts und Stärkung von Jugendlichen konnte bis
dato noch nicht hinreichend belegt werden.
2.2 Ansätze zur Prävention und Behandlung von Aktivitäts- und Affektstörungen
In diesem Abschnitt werden ausschließlich für den im Kontext dieser Forschungsarbeit
relevante Ansätze zur Behandlung von Störungen, die mit verminderter Aktivität resp.
39
gesteigerter Aktivität
(Hyperaktivität) im
Rahmen
von affektiven
(Depressionen, Manien) einhergehen, beschrieben. Dabei werden
Störungen
zunächst
präventive Ansätze vorgestellt und daran anschließend Behandlungsansätze, die
spezifisch das Jugendalter fokussieren.
Präventionsprogramme
„Gesundheit und Optimismus GO: Trainingsprogramm für Jugendliche“ (Junge,
Neumer, Manz & Margraf 2002)
Ein Programm zur primären Prävention von Depressionen und Angst im Jugendalter
stellt das Trainingsprogramm „Gesundheit und Optimismus GO: Trainingsprogramm
für Jugendliche“ (Junge et al. 2002) dar. Das GO-Programm wurde als
Gruppenprogramm, für die Altersgruppe der 14- bis 18-jährigen Jugendlichen,
entwickelt. Es richtet sich dabei an Jugendliche und alle Personengruppen, die mit
Jugendlichen arbeiten. Ziel des Programms ist die Prävention von depressiven
Erkrankungen und Angststörungen in der Adoleszenz. Basis des Programms bildet
eine Psychoedukation über Auslöser und aufrechterhaltende Bedingungen von
Affektstörungen, ergänzt durch therapeutische Prinzipien zur Bewältigung von
depressiven Stimmungen und Phobien (spezifische resp. soziale Phobie). So werden
beispielsweise Strategien gegen Denkfallen, Übungen zur Selbstsicherheit oder
Methoden zur Stressreduktion vorgestellt, verknüpft mit einem Wissens-Quiz zur
Wiederholung des Lernstoffs und Hausaufgaben zur Festigung der erlernten
Strategien. Das Programm GO besteht aus acht Gruppensitzungen á 90 Minuten und
umfasst die Bausteine:
1. Einführung (Kennenlernen, Vermittlung der vier Komponenten von Stress)
2. Denken, Fühlen, Handeln (Stressexperiment, Erläuterung des Wechselspiels von
Gedanken, Gefühlen, Körper und Verhalten)
3. Angst I (Psychoedukation zum Thema Angst)
4. Angst II (Informationsvermittlung über Aufrechterhaltung, Vorbeugung und
Bewältigung von Angst, Strategien gegen Denkfallen)
5. Depression (Aufrechterhaltung, Vorbeugung, Bewältigung depressiver Stimmung)
6. Selbstsicherheit (Übungen zur Selbstsicherheit)
7. Stressbewältigung (Strategien der Stressbewältigung und des systematischen
Problemlösens, Entspannung)
8. Zusammenfassung und Abschluss (Wiederholung der vermittelten Techniken)
40
Die Wirksamkeit des Präventions-Programms GO wurde an einer Stichprobe von 612
Gymnasialschülern untersucht. Insgesamt konnte ein signifikanter Rückgang der
depressiven und ängstlichen Symptomatik festgestellt werden, allerdings sowohl in der
Versuchs- als auch in der Kontrollgruppe. Ein systematischer Trainingseffekt in der
Behandlungsgruppe konnte somit nicht belegt werden. Die Autoren berichten
weiterhin, dass unangemessene Kognitionen, wie dysfunktionale Einstellungen oder
Katastrophengedanken, in der Behandlungsgruppe abnahmen, und dass ein
messbarer Anstieg sozialer Kompetenzen zu verzeichnen war (Junge, Neumer, Manz,
Margraf 2002).
„Trainingsprogramm zur Prävention von Depressionen bei Jugendlichen – Lars & Lisa“
(Pössel, Horn, Seemann & Hautzinger 2004)
Ein universelles Programm zur Prävention von Depressionen in der Adoleszenz stellt
das „Trainingsprogramm zur Prävention von Depressionen bei Jugendlichen – Lars &
Lisa“ (Pössel et al. 2004) dar. Das Gruppenprogramm zielt auf die Altersgruppe 12bis 18-jähriger Jugendlicher ab und wird in zehn aufeinanderfolgenden Wochen (eine
Schuldoppelstunde à 90 min. pro Woche) im schulischen Setting durchgeführt. Die
Bausteine des Präventionsprogramms sind:
1. Erkennen des Zusammenhangs zwischen Kognitionen, Emotionen und Verhalten
2. Exploration und Veränderung dysfunktionaler Kognitionen
3. Formulierung persönlicher Ziele
4. Training sozialer Kompetenzen
5. Selbstsicherheitstraining
Die Doppelstunden beginnen mit der Wiederholung bereits vermittelter Informationen,
in Form einer Besprechung der Ergebnisse des Wissenstests der vorhergehenden
Stunde. Anschließend stellt der Trainer das Thema und die Ziele der aktuellen Stunde
vor.
Daran
anknüpfend
finden
Szenenspiele,
beispielsweise
zum
Training
selbstsicheren Verhaltens, mit den Schülern statt und es wird abschließend ein Bezug
zum Alltag der Jugendlichen hergestellt. Das Herstellen des Praxisbezuges ist aus
Sicht der Autoren von besonderer Relevanz, um den Transfer der vermittelten
Trainingsinhalte in den Alltag des Jugendlichen zu gewährleisten. Ein ebenfalls
wiederkehrendes Element der Trainingsstunden ist die Feedbackrunde zum Abschluss
41
der Stunde sowie der schriftliche Wissenstest, bezogen auf die Themeninhalte der
aktuellen Doppelstunde.
Um die Wirksamkeit des Therapieprogramms zu überprüfen, wurden mehrere
Evaluationsstudien im randomisierten Kontrollgruppendesign durchgeführt (Pössel,
Horn & Hautzinger 2003; Pössel, Horn, Groen & Hautzinger 2004; Pössel, Baldus,
Horn, Groen & Hautzinger 2005). Die Ergebnisse zeigen u.a. eine signifikante
Abnahme der Depressionswerte in der Gruppe der Jugendlichen mit subklinischer
Symptomatik von der Prämessung zum 6-Monats-Follow-up (Effektstärke 0.42). Eine
Zunahme depressiver Symptome der nicht depressiven Jugendlichen in der
Trainingsgruppe konnte über einen Zeitraum von sechs Monaten verhindert werden,
was laut Autoren auf einen präventiven Effekt des Programms hinweist. Des Weiteren
scheinen die Jugendlichen mit niedriger Selbstwirksamkeitserwartung besonders vom
Programm profitiert zu haben. Sie profitierten mehr als Jugendliche mit einer hohen
Selbstwirksamkeitserwartung (Pössel et al. 2005)
Im anglo-amerikanischen Raum wurde eine Vielzahl weiterer Programme zur
Prävention von Depressionen im Jugendalter entwickelt. Einige der Programme für
das Erwachsenenalter wurden in Meta-Analysen systematisch in Hinblick auf ihre
Wirksamkeit zur Prävention von Depressionen untersucht (Cuijpers et al. 2008; JanéLlopis et al. 2003). Auch die Wirksamkeit von Programmen zur Prävention von
Depressionen im Jugendalter wurde in den letzten Jahren systematisch überprüft
(Sheffield, Spence, Rapee, Kowalenko, Wignall, Davis & McLoone 2006; Horowitz &
Garber 2006; Merry & Spence 2007; Spence & Shortt 2007; Brunwasser, Gillham &
Kim 2009; Carnevale 2013; Calear & Christensen 2010). Sheffield et al. (2006)
untersuchten die Wirksamkeit universeller, indizierter und kombinierter universeller
und indizierter kognitiv-behavioraler Programme zur Prävention von Depressionen in
der Adoleszenz. Dabei konnten sie in Bezug auf die Reduktion der depressiven
Symptomatik keine signifikanten Unterschiede zwischen den Interventionsgruppen
und
der
Kontrollgruppe
feststellen.
Bei
allen
Probanden
mit
hoher
Symptomausprägung zeigte sich – unabhängig von der Intervention – ein signifikanter
Rückgang der Symptomatik. Des Weiteren fanden die Autoren keinen signifikanten
Interventionseffekt im Vergleich der universellen Behandlung und der NichtBehandlung (Kontrollgruppe).
42
Die systematischen Reviews von Passon, Gerber & Schröer-Günther (2011) und
Calear & Christensen (2010) befasst sich mit der Wirksamkeit schulbasierter
Präventions- und Interventionsansätze für depressive Jugendliche. Calear &
Christensen (2010) ermittelten in Bezug auf die universellen Programme zur
Prävention von Depressionen im Kindes- und Jugendalter nur in neun von 23 Studien
eine signifikante Reduktion der depressiven Symptomatik im Post-Test (d = 0.30 –
1.40), während in 14 Studien keine Reduktion der depressiven Symptomatik
festgestellt werden konnte (d = -0.54 bis 0.49). Bezogen auf die Wirksamkeit indizierter
Programme fanden die Autoren in sechs von zehn einbezogenen Studien einen
signifikanten
Wirksamkeitsunterschied
zwischen
der
Interventions-
und
der
Kontrollgruppe zum Post-Messzeitpunkt (d = 0.25 – 1.35), während vier Studien keine
signifikanten Gruppenunterschiede zum Post-Messzeitpunkt fanden (d = 0.05 – 0.16).
Zusammenfassend kann bis dato, aufgrund der sehr heterogenen Studienlage, nicht
eindeutig nachgewiesen werden, welche Wirkfaktoren zur Prävention depressiver
Störungen in der Adoleszenz beitragen. Viele Programme tragen zu einer
Symptomreduktion bzw. zur Verhinderung der Entwicklung einer depressiven Störung
bei, wobei die Studienlage insgesamt überwiegend auf eine moderate Wirksamkeit
schulbasierter Programme zur Prävention von Depressionen im Jugendalter hinweist.
Die wichtigsten Befunde zur Wirksamkeit präventiver Programme von Calear &
Christensen (2010), unter Berücksichtigung der Meta-Analyse von Brunwasser,
Gillham & Kim (2009), werden zur besseren Veranschaulichung in Tabelle 5
dargestellt. In der folgenden Übersicht wurden nur Programme berücksichtigt, die auf
die primäre und sekundäre Prävention depressiver Symptomatik im Jugendalter
zielen.
43
Tabelle 5: Programme zur primären und sekundären Prävention von Depressionen
im Jugendalter
Programm
Beschreibung des
Evaluation
Post-Test
Programms
Effektstärken
Problem Solving
for Life
(PSFL)
Schulbasierte Prävention
von Depression im Jugendalter. Methoden u.a.: kognitive
Umstrukturierung, Förderung von
Problemlösefähigkeiten.
Spence, Sheffield &
Donovan (2003)
0.04
Spence, Sheffield,
Donovan (2005)
0.36
Coping with
Stress Course
(CWSC)
Adaptation des Coping with
Depression Course (CWD-A). Fokus
auf kognitive Methoden der CBT.
Horowitz, Garber,
Ciesla, Young
& Mufson (2007)
0.40
Resourceful
Adolescent
Program
(RAP)
Schulbasiertes Präventionsprogramm für 12- bis 15-Jährige.
Prävention von Depression im
Jugendalter. Ziele: Förderung von
Resilienz, Verbesserung der
Copingstrategien and Aktivierung
persönlicher Ressourcen.
Shochet & Ham
(2004)
nicht
berechenbar
aufgrund
fehlender
Angaben zur
Effektstärkeberechnung
Interpersonal
Psychotherapy Adolescent
Skills Training
(IPT-AST)
Adaptation der Interpersonellen
Therapie für Jugendliche (IPT-A).
Gruppenbasiertes, selektives
Präventionsprogramm für
Jugendliche mit erhöhten
Depressionswerten. Ziele:
Verbesserung zwischenmenschlicher Beziehungen und
kommunikativer Fertigkeiten.
Horowitz, Garber,
Ciesla, Young
& Mufson (2007)
0.31
Young, Mufson,
Davies (2006)
1.35
Penn Resiliency
Program
(PRP)
Schulbasiertes präventives
Gruppenprogramm basierend auf
kognitiv-behavioralen Techniken.
Ziele u.a.: Förderung sozialer
Problemlösekompetenzen, Umgang
mit schwierigen Emotionen.
Brunwasser, Gillham
& Kim (2009)
Meta-Analyse
-0.61 bis 0.59
Penn Optimism
Program
(POP)
Schulbasiertes primär-präventives
Gruppenprogramm für Kinder und
Jugendliche. Ziele: Vermittlung eines
optimistischen Denkstils und
adäquater Coping-Skills.
Yu & Seligman
(2002)
0.25
Adolescent
Coping with
Emotions
(ACE)
Indiziertes, schulbasiertes Programm
zur Reduktion depressiver
Symptomatik und Prävention
depressiver Störungen. Ziele:
Stärkung von adaptiven CopingStrategien und Resilienz unter
Nutzung kognitiv-behavioraler und
interpersoneller Techniken.
Sheffield, Spence,
Rapee, Kowalenko,
Wignall, Davis &
McLoone (2006)
0.16
Teaching kids to
cope
(TKC)
Psychoedukative, kognitivbehaviorale Gruppen-intervention zur
Erweiterung des Copingrepertoires
von Jugendlichen mit depressiver
Symptomatik/Suizidgedanken
Puskar, Sereika &
Tusaie-Mumford
(2003)
0.48
44
Interventionsansätze
„Kognitive Verhaltenstherapie bei Depressionen im Kindes- und Jugendalter“ (Abel &
Hautzinger 2013)
Das Therapiemanual „Kognitive Verhaltenstherapie bei Depressionen im Kindes- und
Jugendalter“ (Abel & Hautzinger 2013) wurde auf der Basis des gut evaluierten
„Coping with Depression Course - Adolescents“ (CDW-A) von Clarke, Lewinsohn &
Hops (1990) entwickelt. Das Programm stellt eines der wenigen deutschsprachigen
Therapiemanuale dar, das spezifisch die Behandlung depressiver Symptomatik im
Jugendalter (ca. 13 bis 18 Jahre) fokussiert und welches Eltern, im Sinne eines
multimodalen Ansatzes, aktiv in den therapeutischen Prozess integriert. Das Manual
kann sowohl im Einzel- als auch im Gruppensetting durchgeführt werden. Die Autoren
weisen explizit darauf hin, dass auch der Einsatz im stationären kinder- und
jugendpsychiatrischen Behandlungssetting möglich ist und dass sich die Anwendung
im stationären Setting bewährt hat.
Konzeptionell besteht das Manual aus 15 Sitzungen mit dem Jugendlichen sowie zwei
Sitzungen mit dem Jugendlichen und den Eltern gemeinsam. Ergänzend finden drei
psychoedukative Sitzungen zum angemessenen Umgang von Eltern (oder anderen
Bezugspersonen) mit depressiven Jugendlichen statt. Die Dauer der einzelnen
Sitzungen beträgt zwischen 90 und 120 Minuten. Das Ablaufschema der Sitzungen
besteht üblicherweise aus der Wiederholung des Themas der letzten Therapiestunde,
der Besprechung der Therapiehausaufgaben, der Bearbeitung des Hauptthemas der
Stunde (incl. Psychoedukation) sowie praktischen Übungen. Vertiefend werden
regelmäßig Therapiehausaufgaben aufgegeben.
Das Therapieprogramm beinhaltet die folgenden sechs Module:
1. Psychoedukation (Sitzung 1 bis 3)
2. Positive Aktivierung (Sitzung 4)
3. Kognitive Therapie (Sitzung 5 bis 10)
4. Soziale Fertigkeiten (Sitzung 11 bis 14)
5. Zukunft und Notfallplan (Abschluss-Sitzung)
6. Psychoedukation der Eltern und ggf. anderer Bezugspersonen (3 Sitzungen)
45
Die Module bauen inhaltlich aufeinander auf und haben sich in dieser Abfolge, aus
Sicht der Autoren, als effektiv erwiesen. Es ist jedoch auch möglich, die einzelnen
Module in individualisierter Form durchzuführen. Eine Kombination der Übungen mit
Elementen der Interpersonellen Therapie (Mufson, Dorta, Moreau & Weissman 2004)
kann, laut Empfehlung der Autoren, durchaus sinnvoll sein.
Das Therapiemanual wurde an einer Stichprobe von 30 Jugendlichen, die eine
depressive Symptomatik aufwiesen, evaluiert. Die depressive Symptomatik wurde zu
Beginn und nach Abschluss der Behandlung erhoben. Zudem fand eine Follow-up
Messung (sechs Monate nach Behandlungsabschluss) statt. Zusammenfassend
weisen die Ergebnisse der Evaluationsstudie auf eine signifikante Reduktion der
depressiven Symptomatik im Zeitverlauf hin – sowohl im Eigen- als auch im
Fremdurteil. Es konnte auch eine signifikante Reduktion negativer Kognitionen nach
Abschluss der Therapie verzeichnet werden. Zudem wurde u. a. eine signifikante
Reduktion des sozialen Rückzugs und der sozialen Probleme erzielt. Die Zufriedenheit
der Patienten mit der Behandlung kann als hoch eingeschätzt werden.
„Kognitive Verhaltenstherapie bei depressiven Kindern und Jugendlichen“ (Harrington
2001)
Das Therapieprogramm „Kognitive Verhaltenstherapie bei depressiven Kindern und
Jugendlichen“ (Harrington 2001) stellt ebenfalls einen verhaltenstherapeutischen
Ansatz zur Behandlung depressiver Störungen im Kindes- und Jugendalter dar. Es
besteht aus den folgenden acht (jeweils 40-minütigen) Übungseinheiten:
1. Erkennen von Emotionen
2. Selbstbeobachtung
3. Selbstverstärkung und Aktivitätsaufbau
4. Kommunikation und interpersonale Fertigkeiten
5. Soziales Problemlösen
6. Kognitive Umstrukturierung I
7. Kognitive Umstrukturierung II
8. Rückschauende Bewertung der Behandlung
Die Übungseinheiten sind gegliedert in die Besprechung der Hausaufgaben, eine
Einführung in das Thema der Sitzung und die Bearbeitung themenspezifischer
Aufgaben. Das Programm wurde von Vostanis, Feehan, Grattan und Bickerton
46
(1996a) evaluiert. An der Evaluationsstudie (randomisiertes Kontrollgruppen-Design)
nahmen 57 Kinder im Alter von acht bis 17 Jahren teil, die die Diagnose Depression
nach DSM-III-R erfüllten. In beiden Behandlungsgruppen zeigten sich einerseits eine
deutliche Verringerung der Depressions- und Angstsymptomatik und andererseits eine
Verbesserung des Selbstwertgefühls und der Alltagsbewältigung. Signifikante
gruppenspezifische Unterschiede konnten hingegen nicht gefunden werden.
„Stimmungsprobleme bewältigen“ (Ihle & Herrle 2011a; Ihle & Herrle 2011b)
Ein weiteres Programm zur Behandlung und Rückfallprophylaxe depressiver
Störungen
im
Jugend-
und
jungen
Erwachsenenalter
stellt
das
kognitiv-
verhaltenstherapeutische Gruppenprogramm „Stimmungsprobleme bewältigen“ (Ihle
& Herrle 2011a; Ihle & Herrle 2011b) dar. Bei diesem Gruppenprogramm handelt es
sich – wie beim Therapiemanual von Abel & Hautzinger (2013) – um eine deutsche
Adaptation des „Adolescent Coping with Depression Course“ (CWD-A) von Clarke,
Lewinsohn und Hops (1990a). Die deutsche Kurzversion des CWD-A besteht aus 10
zweistündigen Sitzungen, die zweimal wöchentlich stattfinden. Das Programm richtet
sich an depressive und subklinisch depressive Jugendliche und junge Erwachsene.
Die Sitzungen sind einheitlich strukturiert. Einleitend findet zu Beginn jeder Sitzung ein
Quiz, das sich auf die Inhalte der letzten Sitzung bezieht, statt. Anschließend werden
die Therapiehausaufgaben besprochen sowie Schwierigkeiten in der Umsetzung der
Hausaufgaben thematisiert. Im weiteren Verlauf der Therapiestunde steht die
Vermittlung des spezifischen Themas der jeweiligen Sitzung im Vordergrund.
Inhalte des Therapieprogramms sind unter anderem:

Psychoedukation zu Depressionen

Selbstbeobachtung, Protokollierung angenehmer Aktivitäten

Entspannung (Einführung in die Progressive Muskelrelaxation)

Erstellen eines Selbstmodifikationsplans

Steigerung angenehmer Aktivitäten, Erläuterung des kognitiven Modells

Analyse negativer Gedanken, Förderung von konstruktivem Denken

Selbstsicheres Auftreten und Kommunikation

Konfliktbewältigung

Entwicklung eines Präventionsplans
47
Evaluiert wurde das Therapiemanual in einer Pilotstudie mit 24 Jugendlichen und
jungen Erwachsenen, die die Diagnose „Major Depression“ oder „leichte depressive
Episode“ aufwiesen (Ihle, Jahnke, Spieß & Herrle 2002). Die Autoren berichten u. a.
von einer signifikanten Reduktion der depressiven Symptomatik und des Ausmaßes
irrationalen Denkens. Es zeigte sich auch eine Zunahme der optimistischen
Lebensorientierung und positiver Aktivitäten. Zusammenfassend kommen die Autoren
zu dem Schluss, dass das Gruppenprogramm sowohl zur indizierten Prävention bei
subklinisch ausgeprägter depressiver Symptomatik, als auch zur Behandlung resp.
Rückfallprophylaxe depressiver Störungen im Jugend- und jungen Erwachsenenalter,
geeignet ist.
„Therapie-Tools Depression im Kindes- und Jugendalter“ (Groen & Petermann 2015)
Die
„Therapie-Tools“
beinhalten
störungsspezifische
Materialien
für
die
Psychotherapie resp. Beratung von traurigen, zurückgezogenen und depressiven
Kindern bzw. Jugendlichen, sowie deren Familien. In Ergänzung zu kognitivverhaltenstherapeutisch orientierten Interventionen werden auch hypnotherapeutisch,
gestalttherapeutisch und systemisch fokussierte Materialien, mit entsprechenden
praktischen Übungen, vorgestellt. Schwerpunkte stellen unter anderem die Förderung
der Behandlungsmotivation, die Aktivierung von Ressourcen sowie der adäquate
Umgang mit Gefühlen, Stimmungen, Kognitionen und Bewertungen dar. Ergänzend
beinhalten die Therapie-Tools auch Materialien zur Aktivitätssteigerung und zur
Verbesserung sozialer Beziehungen resp. sozialer Kompetenzen. Es existieren auch
Tools zur Behandlung von Suizidalität und Krisen und zur Arbeit mit den primären
Bezugspersonen.
„Depression im Jugendalter: MICHI - Manual für die Gruppentherapie“ (Spröber,
Straub, Fegert & Kölch 2012)
„MICHI“ verfolgt einen kognitiv-behavioralen, gruppentherapeutischen Ansatz zur
Behandlung von Depressionen im Jugendalter. In insgesamt fünf Sitzungen und einer
Auffrischsitzung werden den Jugendlichen u. a. Informationen über Depressionen,
Strategien zur Aktivitätssteigerung und Methoden zur kognitiven Umstrukturierung
vermittelt. Des Weiteren beinhaltet das Manual ein Problemlösetraining und
Informationen im Umgang mit Krisen, Suizidalität und selbstverletzendem Verhalten.
Das Manual enthält auch Methoden zur Ressourcen- und Selbstwertstärkung.
48
„Interpersonelle Psychotherapie für Jugendliche“ (Interpersonal Psychotherapy for
Adolescents IPT-A) (Mufson & Sills 2006)
Die „Interpersonelle Psychotherapie für Jugendliche“ (IPT-A) stellt eine Adaptation der
„Interpersonellen Therapie“ (IPT) dar. Die Interventionen wurden – in Anlehnung an
die bewährten und gut evaluierten Methoden der IPT – für die Behandlung depressiver
Jugendlicher
modifiziert.
Trainingsprogramm
dar.
Die
Die
IPT-A
stellt
Behandlung
ein
strukturiertes,
erstreckt
sich
manualisiertes
über
ca.
12
Behandlungsstunden und kann bei Bedarf auf bis zu 20 Stunden erweitert werden. Im
Rahmen der IPT-A nimmt die Psychoedukation des Jugendlichen einen wichtigen
Stellenwert ein. Der Jugendliche übernimmt eine aktive Rolle in der Therapie und die
Eltern werden, insbesondere in der ersten Therapiephase, relativ intensiv in den
therapeutischen Prozess involviert. Die therapeutischen Strategien zielen primär
darauf, aktive Problemlösestrategien mit den Jugendlichen zu entwickeln, ihre
Autonomiebestrebungen bzw. ihren Individuationsprozess zu unterstützen und eine
adäquate zwischenmenschliche Beziehungsgestaltung zu fördern (Mufson & Sills
2006). Weitere Therapieschwerpunkte sind der Umgang mit Verlusten (durch
Trennungen, Tod, Scheidung o. ä.) und mit sozialem Gruppendruck, die Klärung von
Eltern-Kind-Konflikten oder die Gestaltung von Partnerschaften.
Die IPT-A ist in drei Phasen gegliedert. In der ersten Phase findet die Psychoedukation
über die Entwicklung von Depressionen und Möglichkeiten der Behandlung statt. In
der
zweiten
Phase
stehen
die
Selbstbeobachtung
und
Identifikation
zugrundeliegender Affekte, sowie die Förderung interpersoneller sozialer Fertigkeiten,
im Vordergrund der Therapie. Die dritte Phase bildet die Abschlussphase, in der
Methoden der Rückfallprävention implementiert werden.
Die Wirksamkeit der IPT-A in Bezug auf die Reduktion depressiver Symptomatik von
Jugendlichen konnte in mehreren Studien belegt werden (Mufson, Dorta,
Wickramaratne, Nomura, Olfson & Weissman 2004). Entsprechend den GLAD-PC-II
Leitlinien (Guidelines for Adolescent Depression in Primary Care) stellt die IPT-A,
neben der kognitiv-behavioralen Therapie, die psychotherapeutische Behandlung der
Wahl bei leichten bis mittelgradig schweren Depressionen im Jugendalter dar (Cheung
et al. 2007).
49
Internet-basierte Programme zur Prävention und Intervention bei depressiven
Störungen im Jugendalter
Neben der Vielzahl an Präventions- und Interventionsprogrammen gibt es mittlerweile
auch eine wachsende Zahl internet-basierter Programme zur Prävention und
Intervention bei affektiven Störungen im Jugendalter. Das „Youth Mood Project“
(Calear, Christensen, Mackinnon, Griffiths & O’Kearney 2009) stellt beispielsweise ein
solches
kognitiv-behaviorales
Online-Programm
zur
Behandlung
von
Stimmungsproblemen im Jugendalter dar. Calear & Christensen (2010) schließen in
einem Review über internet-basierte Programme zur Prävention und Behandlung von
Ängsten und Depressionen im Kindes- und Jugendalter darauf, dass es sich um
vielversprechende Ansätze zur Reduktion von ängstlichen und depressiven
Symptomen handelt, die jedoch weiterer systematischer Untersuchungen in Bezug auf
zugrunde liegende Wirkmechanismen bedürfen. Evaluiert wurden von den Autoren
drei kognitiv-behaviorale Programme zur Prävention und Reduktion von depressiven
Symptomen im Kindes- und Jugendalter:

„Project CATCH-IT“ (http://catchit-public.bsd.uchicago.edu)

„MoodGym“ (http://www.moodgym.anu.edu.au)

„Grip op je dip online“ (Master your mood online) (http://www.gripopjedip.nl)
Calear & Christensen (2010) ermittelten sehr geringe bis sehr hohe Effektstärken (0.11
- 1.49) für die o. g. Programme. Weitere Evaluationsstudien sind aus Sicht der Autoren
notwendig, um die differentiellen Effekte internet-basierter Behandlungs-Programme
besser nachvollziehen zu können.
Ein anderes internet-basiertes, kognitiv-behaviorales Programm zur Behandlung von
depressiven Störungen im Jugendalter stellt SPARX (Smart, Positive, Active, Realistic,
X-factor thoughts) dar (Merry, Stasiak, Shepherd, Framptom, Fleming & Lucassen
2012). SPARX wurde von Merry et al. (2012) in einer randomisierten MulticenterStudie (in Neuseeland) an 187 Jugendlichen, im Alter von 12 – 19 Jahren, evaluiert.
Unter anderem berichten die Autoren, dass die Remissionsraten in der SPARXTreatmentgruppe signifikant höher (n=31, 43.7%) als in der Treatment-as-usualGruppe (n=19, 26.4%) (95% Konfidenzintervall: 1.6% - 31.8%; p = .03) waren. Die
Autoren schließen, unter Einbeziehung sämtlicher Ergebnisse der Studie, darauf, dass
50
SPARX eine potentielle Alternative zur klassischen kognitiv-behavioralen Behandlung
depressiver Jugendlicher darstellen könnte.
Fasst man den aktuellen Forschungsstand in Bezug auf effektive Methoden zur
Behandlung depressiver Störungen im Jugendalter zusammen, wird deutlich, dass
sich,
neben
der
medikamentösen
Behandlung
mit
selektiven
Serotonin-
wiederaufnahmehemmern (SSRI’S), in erster Linie psychotherapeutische und
psychosoziale Interventionen etabliert haben. Die Behandlungseffekte von SSRI’s bei
depressiven Kindern und Jugendlichen sind jedoch moderat, im Vergleich zu den
Effekten, die beispielsweise bei der Behandlung von Ängsten im Kindes- und
Jugendalter erzielt werden. Verschiedene Meta-Analysen weisen insbesondere auf die
Effektivität von Fluoxetin im Kindes- und Jugendalter hin (Usala, Clavenna, Zuddas &
Bonati 2008; Tsapakis, Soldani, Tondo & Baldessarini 2008).
Psychotherapeutische Interventionen haben sich, im Vergleich zur AntidepressivaBehandlung, in einem kürzlich publizierten Review als gleichermaßen wirksam
erwiesen (Cox, Callahan, Churchill, Hunot, Merry, Parker & Hetrick 2014). Sowohl für
die „Kognitiv-behaviorale Therapie“ als auch für die „Interpersonelle Therapie IPT-A“
(Mufson et al. 2004) konnte die Wirksamkeit, bezogen auf die Reduktion depressiver
Symptomatik im Jugendalter, belegt werden, wie verschiedene Studien und MetaAnalysen zeigen (Michael & Crowley 2002; Mufson et al. 2004; Weisz et al. 2006; Klein
et al. 2007; Watanabe 2007; David-Ferdon & Kaslow 2008). Die kognitiv-behaviorale
Therapie gilt nach heutigem Kenntnisstand als evidenzbasiertes Verfahren zur
Behandlung depressiver Störungen im Kindes- und Jugendalter (David-Ferdon &
Kaslow 2008). Die Wirksamkeit kognitiv-behavioraler Interventionen konnte auch in
der Behandlung diverser anderer internaler und externaler Störungsbilder im
Jugendalter in vielen Studien belegt werden (David-Ferdon & Kaslow 2008; Klein et al.
2007; Asarnow et al. 2005; Reynolds et al. 2012; Hofmann et al. 2012, Lau & Pile
2015). Während ältere Meta-Analysen aus den 1990-er Jahren, die die Wirksamkeit
kognitiv-behavioraler Interventionen in der Behandlung depressiver Kinder und
Jugendlicher untersuchten, hohe Effektstärken um 1.0 ermittelt haben, weisen neuere,
methodologisch bessere Studien, eher auf moderate Effekte zwischen 0.30 und 0.50
hin (Weisz et al. 2006; Klein et al. 2007, Watanabe et al. 2007). Weisz et al. (2006)
konnten in ihrer Meta-Analyse zudem keine signifikante Überlegenheit kognitiver
Interventionen gegenüber nicht-kognitiven Methoden feststellen.
51
Die „Treatment for Adolescents with Depression Study“ (TADS) ist eine bedeutsame
Multicenter-Studie
aus
den
USA,
die
Hinweise
darauf
liefert,
dass
die
Kombinationsbehandlung von Fluoxetin und kognitiver Verhaltenstherapie signifikant
stärker zur Reduktion depressiver Symptomatik und suizidaler Tendenzen von
Jugendlichen beigeträgt, als eine verhaltenstherapeutische Monotherapie oder eine
Placebobehandlung (TADS Team 2004). Des Weiteren zeigte sich, dass die FluoxetinMonotherapie der verhaltenstherapeutischen Behandlung und dem PlaceboTreatment im Kurzzeitverlauf signifikant überlegen war (TADS Team 2004).
Im naturalistischen 12-Monats-Follow-up, welches sich der Behandlung (nach 36
Wochen) anschloss, ließen sich hingegen keine signifikanten Unterschiede der
Treatmentgruppen
mehr
feststellen,
d.h.
die
Überlegenheit
der
Kombinationsbehandlung und der medikamentösen Therapie gegenüber der
verhaltenstherapeutischen Behandlung konnte im Langzeitverlauf nicht mehr
nachgewiesen werden (TADS Team 2009). Das TADS-Team (2009) schließt u. a. aus
den Ergebnissen, dass unter der Kombinationsbehandlung früher, d.h. bereits nach 18
Behandlungswochen, der maximale Behandlungserfolg erzielt wird, als unter der
Fluoxetinbehandlung (maximaler Behandlungserfolg in der 30. Behandlungswoche)
oder der verhaltenstherapeutischen Monotherapie (maximaler Behandlungserfolg in
der
36.
Behandlungswoche).
Als
Fazit
kann
gezogen
werden,
dass
die
Kombinationsbehandlung vermutlich kurzfristig am schnellsten zur Reduktion
depressiver Symptomatik im Jugendalter beiträgt, jedoch im Langzeitverlauf nicht
signifikant mehr zur Remission beiträgt als eine kognitiv-behaviorale Therapie.
In einer kürzlich publizierten Meta-Analyse, auf der Basis von elf Studien mit insgesamt
1307 Probanden, konnten Cox und Kollegen (2014) allerdings nicht bestätigen, dass
eine pharmakologische Behandlung depressiver Störungen im Kindes- und
Jugendalter der psychotherapeutischen Behandlung überlegen ist. Auch konnte nicht
belegt werden, dass eine Kombinationstherapie (Medikation und Psychotherapie)
wirksamer ist als eine medikamentöse Monotherapie bzw. eine psychotherapeutische
Behandlung alleine. Weiterführende randomisierte Kontrollgruppen-Studien sind
daher notwendig, um diese relevante Forschungsfrage endgültig zu klären.
52
Behandlungsansätze bei manischen und bipolaren Störungen im Jugendalter
Neben psychoedukativen Elementen und psychotherapeutischen Methoden zur
Stimmungsstabilisierung stellt die pharmakologische Behandlung einen wesentlichen
Teil des multimodalen Behandlungskonzeptes manischer resp. bipolarer Störungen
dar (Leigh, Smith, Milavic & Stringaris 2012). Für das Kindes- und Jugendalter wurden
bis dato keine spezifischen verhaltenstherapeutischen Manuale zur Behandlung
manischer oder bipolarer Störungen publiziert. Es existieren bis jetzt auch keine
evidenz-basierten Behandlungsempfehlungen für kurze manische Episoden im
Kindes- und Jugendalter (Mikita & Stringaris 2013). Die verhaltenstherapeutische
Behandlung basiert primär auf kognitiv-behavioralen Methoden zur Unterbrechung
repetitiver
Gedanken,
Methoden
der
Impulskontrolle
und
Strategien
zur
Emotionsregulation. Die therapeutischen Interventionen zielen des Weiteren auf die
Etablierung funktionaler Kognitionen und adaptiver Copingstrategien sowie die
Wiederherstellung des prämorbiden Funktionsniveaus. Ein wesentlicher Bestandteil
der Therapie besteht außerdem in der Prophylaxe von Rückfällen (vgl. Szentagotai &
David 2010). Bei der pharmakologischen Therapie werden bevorzugt Lithium,
Valproinsäure und Carbamazepin eingesetzt, d.h. Medikamente die, neben der
Reduktion manischer Symptome, vor allem der Phasenprophylaxe dienen. Auch
Neuroleptika, wie Risperidon oder Olanzapin, finden zum Teil im Kindes- und
Jugendalter Anwendung (Aichhorn, Stuppäck, Kralovec, Yazdi, Aichhorn & Hausmann
2007).
53
3
Grundlagen des Therapieprogramms SELBST
Während die Mehrzahl der Therapiemanuale störungsspezifische Interventionen für
verschiedene psychische Störungen im Kindes- und Jugendalter nach ICD-10 oder
DSM-5 beinhalten, liegt dem Therapieprogramm SELBST (Walter, Rademacher,
Schürmann & Döpfner 2007) konzeptionell keine störungsspezifische Sichtweise
zugrunde, sondern vielmehr eine diagnoseübergreifende Unterteilung in typische,
häufig auftretende Problembereiche von Jugendlichen. Die BehandlungsmanualReihe SELBST trägt damit dem Umstand Rechnung, dass in der Adoleszenz oft
klinische und subklinische Symptome aus verschiedenen Störungsbereichen
vorliegen, die sich nicht immer eindeutig einer spezifischen kategorialen Diagnose
nach den gängigen Klassifikationssystemen von ICD-10 und DSM-5 zuordnen lassen.
Das wiederum hat, den klinischen Erfahrungen gemäß, zur Folge, dass sich bestimmte
Mischbilder psychischer Störungen nicht immer effektiv durch störungsspezifische
Interventionen behandeln lassen. Dieser Missstand hat maßbeglich zur Konzeption
des störungsübergreifenden Behandlungsprogramms SELBST beigetragen. Ein
anderer wichtiger Grund für die Entwicklung eines neuen Behandlungsmanuals war,
dass
zwar
viele
kindzentrierte
Interventionen
für
eine
große
Bandbreite
psychologischer und psychiatrischer Auffälligkeiten existieren, aber nur wenige
jugendzentrierte Interventionen in manualisierter Form, die dem spezifischen psychosozialen und fortgeschrittenen kognitiven Entwicklungsstand von Jugendlichen sowie
explizit deren alterstypischen Problembereichen Rechnung tragen.
SELBST ist ein modular aufgebautes, kognitiv-behaviorales Therapieprogramm für
Jugendliche zur Behandlung von Selbstwert-, Aktivitäts- und Affektstörungen, resp.
Leistungs- und Beziehungsproblemen. Das Therapierational beruht auf der Grundlage
des Selbstmanagement-Ansatzes von Kanfer, Reinecker und Schmelzer (2000, 2012).
Da
Beziehungsprobleme
sowohl
den
familiären
Kontext,
als
auch
den
Gleichaltrigenbereich betreffen können, wurden zwei separate Module entwickelt,
eines zur Behandlung von Familienproblemen und ein weiteres Modul zur Behandlung
von Gleichaltrigenproblemen. Das Therapieprogramm SELBST wurde für Jugendliche
im
Alter
von
ca.
12
jugendlichenzentrierten,
bis
auch
18
Jahren
eltern-
und
konzipiert
und
lehrerzentrierte
integriert,
neben
Interventionen
im
Einzelsetting. Der Einsatz der Materialien im Gruppensetting ist ebenfalls möglich.
Eine erste Evaluationsstudie im Rahmen einer Dissertation weist auf die potentielle
Wirksamkeit der Therapiematerialien im Gruppenformat hin (Maiwald 2011).
54
Es zeigten sich Hinweise auf eine signifikante Verbesserung hinsichtlich der sozialen
Kompetenzen und der Selbstwirksamkeitserwartungen sowie eine Reduktion der
internalen Symptomatik.
Den konzeptionellen Überlegungen folgend, lassen sich Schwierigkeiten und
Probleme im Jugendalter einem oder mehreren der übergeordneten Problembereiche
Familien-, Gleichaltrigen-, Leistungsprobleme oder Selbstwert-, Aktivitäts- und
Affektprobleme zuordnen (Walter et al. 2007). Die beschriebenen Probleme können,
unabhängig von der Diagnose, bei verschiedenen Störungsbildern auftreten. So kann
beispielsweise gleichermaßen ein depressiver Jugendlicher Selbstwert- und
Beziehungsprobleme mit Gleichaltrigen aufweisen, als auch ein Jugendlicher mit
ADHS oder mit einer manifesten Angststörung. Analog dazu lassen sich
Kontaktaufnahmeprobleme zu Gleichaltrigen, in Verbindung mit intrafamiliären
Konflikten, beispielsweise gleichermaßen bei einem Jugendlichen mit einer sozialen
Phobie finden, wie bei einem Jugendlichen mit einer Störung des Sozialverhaltens.
Insbesondere intrafamiliäre Konflikte und soziale Kompetenzdefizite, im Kontext der
Kontaktgestaltung, Selbstbehauptung und Konfliktlösung mit Gleichaltrigen, stellen
wesentliche Problembereiche in der Adoleszenz dar. SELBST ist dementsprechend
ein diagnoseübergreifender Therapieansatz, der sich nicht an den üblichen
Diagnosekategorien orientiert, sondern an den individuellen Problembereichen des
Jugendlichen. Wie die Abbildung 2 zeigt, handelt es sich hierbei nicht um distinkt
voneinander abgrenzbare Problembereiche, vielmehr ist von einer Überlappung
verschiedener Problembereiche auszugehen, die einen wechselseitigen Einfluss auf
die anderen Bereiche haben können.
Abbildung 2: Der transdiagnostische Therapieansatz von SELBST
55
3.1
Der
transdiagnostische,
ressourcenorientierte,
multimodale
Behandlungsansatz des Therapieprogramms SELBST
Wie bereits einleitend beschrieben, handelt es sich beim Therapieprogramm SELBST
um einen multimodalen, transdiagnostischen Ansatz zur Behandlung von Selbstwert-,
Aktivitäts-
und
Affektstörungen,
resp.
Familien-,
Gleichaltrigen-
und
Leistungsproblemen. Die Eltern und ggf. andere wichtige Bezugspersonen, wie
beispielsweise Erzieher, Lehrer oder Schulsozialarbeiter, werden – vor dem
Hintergrund
eines
multimodalen
Behandlungsansatzes
–
explizit
in
den
therapeutischen Prozess mit eingebunden.
Das Behandlungsprogramm SELBST ist problemfokussiert, d.h. es werden
gemeinsam mit dem Jugendlichen und den Eltern konkrete Probleme aus den
verschiedenen Problembereichen des Jugendlichen definiert und systematisch
therapeutisch bearbeitet. Dabei werden mit dem Jugendlichen lösungsorientierte
Bewältigungsstrategien für die zugrundeliegenden Probleme entwickelt, die im
weiteren Therapieverlauf, in Form von praktischen Übungen, im Alltag erprobt werden
sollen. Das Erproben verschiedener Problemlösestrategien sowie das Anwenden
adaptiver Copingstrategien in verschiedenen Lebensbereichen des Jugendlichen
ermöglicht die langfristige Verankerung neu erworbener Kompetenzen im realen
Lebensumfeld des Jugendlichen.
Das Therapiemanual SELBST fokussiert jedoch nicht nur die individuelle Problemlage
des
Jugendlichen
und
seiner
Familie,
sondern
stellt
primär
einen
ressourcenorientierten Behandlungsansatz dar. Da die Patienten und deren Familien
in der Regel so belastet sind, dass sie potentielle Ressourcen und zugrundeliegende
Kompetenzen oft nicht differenziert wahrnehmen resp. sinnvoll nutzen können,
konzentriert sich das therapeutische Vorgehen in der ersten Therapiephase
insbesondere auf die Fokussierung und (Re-)Aktivierung persönlicher Ressourcen des
Jugendlichen. Dabei werden auch Ressourcen innerhalb der Familie bzw. innerhalb
des sozialen Umfeldes des Patienten therapeutisch mit einbezogen und ggf. gestärkt.
Zu den persönlichen Ressourcen des Jugendlichen und des sozialen Umfeldes zählen
beispielsweise spezifische Interessen, Hobbies und Begabungen, eine von
emotionalem
Zuspruch
geprägte
Erziehungshaltung,
eine
vertrauensvolle
Beziehungen zu Familienmitgliedern und Peers, stabile Freundschaften oder
56
materielle Ressourcen der Familie. Sofern nur unzureichende Ressourcen vorhanden
sind und die Wahrnehmung der Familie sehr defizitorientiert ist, konzentriert sich das
therapeutische Vorgehen zunächst auf den sukzessiven Aufbau von Kompetenzen
und
die
Förderung
von
Selbstwirksamkeitserfahrungen
in
verschiedenen
Lebensbereichen. Die defizitorientierte Wahrnehmung des Jugendlichen bzw. der
Eltern wird schon in der Diagnostikphase auf positive Bereiche gelenkt und im weiteren
Therapieverlauf, z.B. im Rahmen der kognitiven Umstrukturierung negativer
Gedanken, therapeutisch hinterfragt und korrigiert.
3.2
Die sieben Behandlungsphasen des Therapieprogramms SELBST
Die Stärkung der Behandlungsmotivation und das Erarbeiten eines multifaktoriellen
Störungsmodells einerseits, sowie die gemeinsame Formulierung realistischer
Therapieziele, die gezielte Förderung von Kompetenzen und der Transfer von
Therapieeffekten in den Alltag des Patienten andererseits, stellen zentrale Aspekte
des Behandlungsprogramms SELBST dar. Der Behandlungsablauf des SELBSTProgramms ist gegliedert in zwei Behandlungssegmente, die sogenannte „Problemund Zielanalyse“ mit den Phasen 1 bis 4 und „Intervention und Verlaufskontrolle“ mit
den Phasen 5 bis 7.
Abbildung 3: Die sieben Behandlungsphasen des Therapieprogramms SELBST
(Walter et al. 2007, S. 11) (vertikale Ebene)
57
Die sieben Behandlungsphasen werden üblicherweise in der Reihenfolge, wie in
Abbildung 2 dargestellt, durchlaufen. Aufgrund der rekursiven Konzeptualisierung der
Behandlungsphasen ist es jedoch auch möglich, bei Bedarf, zu bereits durchlaufenen
Phasen zurückzukehren, diese zu vertiefen oder zu wiederholen. Vor allem in der
Phase der Zwischenevaluation, d.h. im Rahmen der Überprüfung erreichter
Therapieziele (Phase 6), kann es mitunter essentiell sein, auf Informationen
vorhergehender Phasen (z.B. Phase 4) zurückzugreifen und diese ggf. zu ergänzen
oder zu korrigieren (z.B. durch die Korrektur von Zielen bzw. das Postulieren neuer
Ziele).
3.2.1 Phase 1: Screening der Eingangsbeschwerden, Beziehungsaufbau,
Informationsvermittlung über den Ablauf der Behandlung
Die primären Ziele der ersten Therapiephase sind das Herausarbeiten des
Vorstellungsanlasses aus der Perspektive des Jugendlichen und der Eltern, sowie der
Aufbau einer vertrauensvollen, tragfähigen Beziehung zum Jugendlichen und den
Bezugspersonen. Zentrale Aspekte der Phase 1 stellen zudem die Stärkung der
Behandlungsmotivation und die Förderung der Bereitschaft zur Kooperation des
Jugendlichen und ggf. relevanter Bezugspersonen dar. Persönliche Erwartungen in
Bezug auf die Therapie werden aus der Perspektive aller Beteiligten exploriert und
bereits unternommene Lösungsversuche für die zugrundeliegende Problematik
erörtert. Des Weiteren werden ausführliche Informationen über den Ablauf der
Behandlung vermittelt, eine Prognose über den zu erwartenden therapeutischen
Nutzen der Interventionen gegeben und alternative Behandlungsmöglichkeiten
aufgezeigt.
3.2.2 Phase 2: Multimodale Diagnostik: Erfassung individueller Probleme und
Kompetenzen sowie Belastungen und Ressourcen des Umfeldes
In Phase 2 findet eine differenzierte, multimodale, psychologische Eingangsdiagnostik
statt. In diesem Zusammenhang werden Informationen über die zugrundeliegende
Problematik resp. Symptomentwicklung des Jugendlichen aus der Perspektive des
Jugendlichen, der Eltern und ggf. anderer relevanter Personen (z.B. des Lehrers)
erhoben. Um einer defizitorientierten Exploration der Problematik entgegenzuwirken,
werden, neben der Erfassung der individuellen Probleme und Belastungen des
Jugendlichen bzw. der Familie, auch sehr detailliert die persönlichen Kompetenzen
58
und Ressourcen des Jugendlichen sowie potentielle Ressourcen innerhalb des
persönlichen Umfeldes herausgearbeitet. Die Exploration erfolgt über ein eigens für
das Behandlungsprogramm SELBST entwickeltes Explorationsschema (SELBST-EX),
wobei der Jugendliche und die Eltern zu bestimmten Lebensbereichen getrennt befragt
werden. Andere Bereiche werden nach Möglichkeit gemeinsam mit dem Jugendlichen
und den Eltern exploriert.
Die aus der Exploration gewonnenen Informationen des Jugendlichen und der
Bezugspersonen werden ergänzt durch eine standardisierte psychologische
Diagnostik. Um ein möglichst fundiertes klinisches Urteil bilden zu können, kommen
neben
Screening-Fragebögen
(sogenannten
Breitbandverfahren)
und
störungsspezifischen Checklisten bzw. Fragebögen, die nach Möglichkeit im Selbstund Fremdurteil erhoben werden, auch familiendiagnostische Verfahren, sowie bei
Bedarf eine mehrdimensionale, standardisierte, kognitive Leistungsdiagnostik zum
Einsatz. Auch die Anwendung hypothesengenerierender, (semi-)projektiver Verfahren
(z.B. Satzergänzungstest, Family Relations Test) kann eine sinnvolle Ergänzung zu
den standardisierten diagnostischen Verfahren darstellen.
3.2.3 Phase 3: Problemanalyse und Erarbeitung eines gemeinsamen
Störungskonzeptes
In Phase 3 wird, auf der Grundlage der in Phase 1 und 2 erhobenen Informationen, ein
gemeinsames Störungsmodell entwickelt und eine individuelle Problemanalyse
durchgeführt. Zunächst werden mit dem Jugendlichen alleine mögliche erklärende
Faktoren für die individuelle Problematik erarbeitet. Im nächsten Schritt wird auch mit
den Eltern ein subjektives Störungskonzept erarbeitet, das die Entwicklung der
Problematik des Jugendlichen, aus Sicht der Eltern, erklärt. Der Therapeut erarbeitet
ebenfalls, unter Einbeziehung der eigen- und familienanamnestischen Informationen
(Makroanalyse), ein Störungsmodell in Bezug auf die Entstehung der Problematik des
Patienten. Auf der Basis des Störungskonzeptes des Jugendlichen, der Eltern und des
Therapeuten wird ein gemeinsames Erklärungsmodell generiert, das auslösende und
aufrechterhaltende Bedingungen für das Problemverhalten sowie daraus resultierende
Konsequenzen – aus der Perspektive aller am Therapieprozess Beteiligten – enthält.
Die verhaltenstherapeutische Problemanalyse (Micro-Analyse) dient des Weiteren der
Verdeutlichung, dass bestimmte „kritische“ Situationen, typische Reaktionen des
59
Jugendlichen auf emotionaler, physiologischer resp. kognitiver Ebene auslösen und
problematische Verhaltensweisen verursachen. Neben dem Herausarbeiten von
auslösenden und aufrechterhaltenden Faktoren für das individuelle Problemverhalten
ist ein weiterer Schwerpunkt in Phase 3, die kurz- und langfristigen Konsequenzen des
problematischen Verhaltens und die jeweiligen Vor- und Nachteile dieses Verhaltens
herauszuarbeiten.
3.2.4 Phase 4: Zielanalyse und Definition von Behandlungszielen, Stärkung
der Änderungsmotivation, Interventionsplanung
In Phase 4 werden die konkreten Therapieziele aus Sicht des Jugendlichen und der
Bezugspersonen herausgearbeitet. Dabei wird auch analysiert, welche positiven und
negativen Konsequenzen eine Verhaltensänderung nach sich ziehen würde. Der
Therapeut sollte darauf achten, dass die Ziele realisierbar sind und dass nicht zu viele
Ziele auf einmal formuliert werden. Insbesondere sollte er berücksichtigen, dass keine
Ziele postuliert werden, die ausschließlich auf Wunsch der Eltern oder anderer
Bezugspersonen bearbeitet werden sollen, vom Jugendlichen aber nicht mit getragen
werden. Nachdem - im gegenseitigen Einvernehmen - die Therapieziele definiert
worden sind, werden die Ziele in möglichst konkrete, realistisch erreichbare Teilziele
untergliedert. Dieses Vorgehen dient der Stärkung der Änderungsmotivation und
gleichzeitig der Erhöhung der Behandlungs-Compliance. Im Anschluss an die
Definition der Behandlungsziele werden, unter Berücksichtigung der explorierten
Problembereiche des Jugendlichen, die Interventionen seitens des Therapeuten
geplant und ein detaillierter, individualisierter Behandlungsplan aufgestellt.
3.2.5 Phase 5: Durchführung der Interventionen
In der Phase 5 findet die Umsetzung der in Phase 4 geplanten kognitivverhaltenstherapeutischen
Interventionen
statt.
In
Orientierung
an
die
Interventionsbereiche von SELBST (Selbstwert-, Aktivitäts- und Affekt-, Leistungs-,
Gleichaltrigen- oder Familienprobleme) werden, entsprechend der definierten
Therapieziele, indizierte Interventionen aus den einzelnen Modulen ausgewählt und
durchgeführt. Um die Auswahl geeigneter Interventionen zu erleichtern, wurde pro
Modul eine Checkliste zur Indikationsbestimmung entwickelt, die bei Bedarf eingesetzt
werden kann.
60
Zur Stabilisierung der Behandlungseffekte, vor allem aber zum Transfer neu
erworbener Kompetenzen in den Alltag des Jugendlichen, werden in der Regel
wöchentlich Therapiehausaufgaben („Jobs der Woche“) aufgegeben, die in der
folgenden Therapiestunde nachbesprochen und ggf. modifiziert werden. Auf diese
Weise werden sukzessive neue Verhaltensweisen eingeübt und langfristig im realen
Lebensumfeld des Jugendlichen verankert.
3.2.6 Phase 6: Zwischenevaluation in Bezug auf das Erreichen der Therapieziele
Es wird empfohlen, mehrmals im Therapieverlauf eine Zwischenevaluation in Bezug
auf die erzielten Therapiefortschritte und potentiell bestehende oder zu erwartende
Barrieren während der Behandlung durchzuführen. Mit allen am Therapieprozess
beteiligten Personen wird erörtert, inwieweit die definierten Therapieziele erreicht
worden sind. Sofern sich die Ziele hinreichend umsetzen ließen, werden bei Bedarf
neue Ziele definiert. Können zum Zeitpunkt der Zwischenevaluation keine
Verhaltensänderungen
verzeichnet
werden,
sollten
im
Rahmen
einer
Misserfolgsanalyse potentielle Gründe dafür herausgearbeitet werden. Ein Grund für
das Nichterreichen von Zielen könnte sein, dass die Ziele aufgrund einer
chronifizierten Symptomatik zu schwer zu realisieren sind oder dass die
Behandlungsmotivation des Jugendlichen zu gering ist. Es ist aber auch denkbar, dass
spezifische aufrechterhaltende Faktoren nicht ausreichend vom Therapeuten
berücksichtigt worden sind oder dass die Interventionen für den Patienten oder die
Familie nicht nachvollziehbar erläutert worden sind und der Jugendliche deshalb mit
Widerstand reagiert.
Sofern alle vereinbarten Therapieziele realisiert werden konnten, schließt sich mit
Phase 7 die Stabilisierungsphase in Bezug auf die Behandlungseffekte an. Konnten
die Ziele nicht hinreichend erreicht werden, werden, entsprechend dem Vorgehen in
Phase 4, neue Ziele formuliert.
3.2.7 Phase 7: Stabilisierung der Behandlungseffekte und Rückfallprävention
Phase 7 bildet die Abschluss-Phase der Therapie. Im Vordergrund der letzten
Behandlungsphase
steht
die
weitere
Stabilisierung
der
erreichten
Behandlungserfolge. Dies erfolgt durch den Transfer der neu erworbenen
Kompetenzen und Verhaltensweisen in den individuellen Lebenskontext des
61
Jugendlichen. Mit dem Jugendlichen und den Bezugspersonen wird im Rahmen der
Rückfallprophylaxe erarbeitet, welche potentiellen Risikosituationen zu erwarten sind
und wie eine adäquate Reaktion auf ein erneutes Auftreten problematischer
Verhaltensweisen aussehen würde. In diesem Kontext sollte insbesondere
thematisiert werden, auf welche therapeutischen Strategien der Jugendliche
idealerweise zurückgreifen könnte, um einen Rückfall in alte Verhaltensmuster zu
verhindern. Auch sollte unbedingt erörtert werden, welche Personen im Falle des
erneuten Auftretens der Symptomatik oder Problematik zu Rat gezogen werden
könnten. Es wird außerdem möglichst präzise definiert, unter welchen Umständen eine
Wiedervorstellung beim Therapeuten sinnvoll ist. Die Therapietermine werden, bei
ausreichendem Behandlungserfolg, sukzessive ausgeschlichen, um zu überprüfen, ob
die Therapieeffekte auch ohne hochfrequente Therapiesitzungen stabil bleiben.
Unter der Prämisse, dass die Verhaltensveränderungen auch bei niederfrequenter
psychotherapeutischer Behandlung stabil bleiben, empfiehlt es sich, beispielsweise
über einen Zeitraum von einem halben Jahr mehrere Auffrischsitzungen, sogenannte
„Booster-Sessions“, einzusetzen, um das in der Therapie erworbene Wissen und die
neu erworbenen Kompetenzen aufzufrischen oder ggf. zu reaktivieren. Bleiben die
Therapieerfolge über einen Zeitraum von mindestens einem halben Jahr stabil, kann
die Therapie, in gegenseitigem Einvernehmen, beendet werden.
3.3
Die
Behandlungsmodule
SELBST
Selbstwert-,
Aktivitäts-
und
Affektprobleme, SELBST Leistungsprobleme, SELBST Familienprobleme
und SELBST Gleichaltrigenprobleme
Das Therapieprogramm SELBST ist modular zusammengesetzt. Insgesamt wurden in
der Arbeitsgruppe SELBST vier Module konzipiert, die im Folgenden kurz dargestellt
werden. Die Grundlagen des Selbstmanagement-Ansatzes (Kanfer et al. 2000, 2012)
und der Selbstmanagement-Therapie bei Jugendlichen sowie deren praktische
Anwendung in der kognitiv-verhaltenstherapeutischen Arbeit werden ausführlich im
Band 1 von SELBST (Walter et al. 2007) dargestellt. In Ergänzung zum GrundlagenModul
besteht
das
Programm,
entsprechend
der
verschiedenen
Interventionsbereiche, aus vier Behandlungsmodulen: SELBST Selbstwert-, Aktivitätsund Affektprobleme, SELBST Leistungsprobleme, SELBST Familienprobleme und
SELBST Gleichaltrigenprobleme.
62
Das Modul SELBST Selbstwert-, Aktivitäts- und Affektprobleme (Schreiter & Döpfner,
in Vorb.) zielt u.a. auf den Aufbau eines positiven Selbstbildes, die Steigerung des
Aktivitätsniveaus und der Genussfähigkeit, sowie die Stärkung der sozialen
Kompetenzen im Umgang mit Gleichaltrigen. Das Modul wird in Kapitel 4 ausführlich
dargestellt und zur Vermeidung von Redundanzen an dieser Stelle nicht weiter
ausgeführt.
Das Modul SELBST Leistungsprobleme (Walter & Döpfner 2009) thematisiert die
Behandlung von Lern- und Leistungsstörungen im Jugendalter und beinhaltet
Interventionen zur Verbesserung des Leistungsvermögens in der Schule oder in der
beruflichen Ausbildung. Neben der Vermittlung von effizienten Lernstrategien und
Methoden zum gezielten Aufarbeiten versäumter Lerninhalte, mit dem Ziel der
Kompensation schulischer Defizite, stehen u.a. die Förderung von Lernmotivation und
die Steigerung der mündlichen Mitarbeit im Unterricht im Fokus der therapeutischen
Arbeit.
Im Modul SELBST Familienprobleme (Rademacher & Döpfner, in Vorb.) werden
verschiedene Interventionen zur Verringerung von intrafamiliären Beziehungs- und
Interaktionsstörungen zwischen Eltern und Jugendlichen vorgestellt und deren
praktische Anwendung im familiären Alltag erläutert. Ziel ist u. a., die pathologischen
intrafamiliären Interaktionsmuster und dysfunktionalen Kognitionen (z.B. feindselige
Haltung des Jugendlichen gegenüber den Eltern, Katastrophengedanken der Eltern)
in Bezug auf einzelne Familienmitglieder oder die gesamte Familie zu korrigieren. Ein
weiteres wichtiges Ziel stellt die Verbesserung der familiären Beziehungsgestaltung
dar, beispielsweise durch die Förderung einer altersangemessenen, an den Interessen
und Bedürfnissen von Jugendlichen orientierten Freizeitgestaltung. Insbesondere bei
kontaktausweichenden, sehr rückzügigen Jugendlichen sind die Stärkung der
positiven Eltern-Jugendlichen-Beziehung und die Förderung altersangemessener
Freizeitaktivitäten von besonderer Bedeutung. Weitere Interventionen stellen
beispielsweise das Einüben adäquater, respektvoller Kommunikationsfertigkeiten
innerhalb
der
Familie
(Familien-Kommunikationstraining),
die
Korrektur
dysfunktionaler Einstellungen gegenüber der Familie und die Stärkung familiärer
Problemlösekompetenzen (Familien-Problemlöse-Training) dar.
63
Das Modul SELBST Gleichaltrigenprobleme (Dresbach & Döpfner, in Vorb.) fokussiert
die Behandlung von Beziehungsstörungen zwischen Gleichaltrigen. Die Interventionen
zielen
u.
a.
auf
die
Korrektur
negativ-verzerrter
sozialer
Informations-
verarbeitungsprozesse von Jugendlichen. Dysfunktionale Grundannahmen in Bezug
auf die eigene Person oder Peers werden verändert und durch realistische, der
Situation angemessene Kognitionen ersetzt. Bei mangelnder Impulskontrolle und
Schwierigkeiten im Bereich der Affektregulation kann optional ein Affekt- bzw.
Impulskontroll-Training durchgeführt werden. Des Weiteren können durch das
konkrete Einüben sozialer Fertigkeiten im Umgang mit Gleichaltrigen, in Rollenspielen
und konkreten Situationen mit Peers, die sozialen Kompetenzen des Jugendlichen
erweitert
werden.
Primäre
Gleichaltrigenprobleme
Ziele
sind
der
die
Interventionen
Vermittlung
des
Moduls
sozial
SELBST
kompetenter,
aggressionsinkompatibler Strategien im Umgang mit Peers und die Förderung einer
angemessenen Gestaltung von Freundschaften mit Gleichaltrigen.
64
4
Kognitiv-behaviorales Therapiemanual zur Behandlung von Selbstwert-,
Aktivitäts-, Affekt-, Leistungs- und Beziehungsproblemen im Jugendalter: Modul SELBST Selbstwert-, Aktivitäts- und Affektprobleme
Das Behandlungs-Modul „SELBST Selbstwert-, Aktivitäts- und Affektprobleme“, das in
Phase 5 verankert ist, beinhaltet insgesamt sechs Therapiebausteine, die – je nach
Indikation – individuell für jeden Patienten ausgewählt werden können. Entsprechend
der Problematik des jeweiligen Jugendlichen können folglich einzelne Bausteine oder
alle sechs Bausteine kombiniert werden. Die Auswahl und Reihenfolge der
Anwendung der einzelnen Bausteine richtet sich nach der individuellen Symptomatik
des Jugendlichen, unter Berücksichtigung der formulierten Therapieziele. Eine
Kombination mit den Bausteinen der anderen Therapiemodule von SELBST ist
möglich und ist in der Regel sehr sinnvoll. Um die Auswahl geeigneter Interventionen
für den jeweiligen Patienten zu erleichtern und die Therapieplanung nach
Interventionsschwerpunkten zu systematisieren, wurde ein Entscheidungsbaum
entwickelt, der in der Abbildung 4 dargestellt ist. Ergänzend wurde für die Studie eine
Checkliste zur Indikationsbestimmung für das Modul „SELBST Selbstwert-, Aktivitätsund Affektprobleme“ konzipiert, die in Kapitel 5 ausführlich beschrieben wird.
Abbildung 4: Entscheidungsbaum mit Indikation und Therapiezielen des Moduls SELBST
Selbstwert-, Aktivitäts- und Affektprobleme
65
4.1
Die sechs Therapiebausteine des Moduls SELBST Selbstwert-, Aktivitätsund Affektprobleme (Phase 5: Interventionsphase)
Der folgende Abschnitt befasst sich mit der Beschreibung der Inhalte der sechs
Therapiebausteine und Darstellung der spezifischen Indikationen für die einzelnen
Bausteine des Moduls „SELBST Selbstwert-, Aktivitäts- und Affektprobleme.“ Dabei
werden dezidiert die Zielsetzungen der verschiedenen Bausteine sowie der
Therapieablauf, unter Berücksichtigung der jeweiligen Therapiematerialien und
therapeutischen Hausaufgaben, erläutert. Des Weiteren werden exemplarisch
potentielle Schwierigkeiten und mögliche Barrieren bei der Durchführung der einzelnen
Interventionen erläutert.
4.1.1 Baustein 1: Aufbau von positivem Selbstbild
Indikation:
Der Therapiebaustein „Aufbau von positivem Selbstbild“ stellt einen zentralen
Eckpfeiler
des
Therapiemoduls
dar.
Die
Interventionen
sind
stark
ressourcenfokussierend resp. ressourcenaktivierend und sind dann indiziert, wenn der
Jugendliche nur über unzureichende persönliche, familiäre oder soziale Ressourcen
verfügt bzw. seine Fähigkeiten nicht kennt, nicht differenziert wahrnimmt oder nicht
hinreichend nutzt. Jugendliche mit Selbstwertproblemen schreiben sich in der Regel
wenige positive Eigenschaften und Fähigkeiten zu und stellen ihre negativen Anteile,
wie persönliche Schwächen oder negative Eigenschaften, umso deutlicher heraus.
Häufig unterschätzen sie dabei eigene Stärken, persönliche Ressourcen und
Ressourcen des sozialen Umfeldes. Eine weitere Indikation zur Durchführung der
Interventionen des Bausteins 1 besteht daher, wenn der Jugendliche ein negativ
verzerrtes Selbstbild hat und positive Eigenschaften sowie persönliche Kompetenzen
nur unzureichend wahrnimmt oder leugnet.
Inhalt und Ziele des Therapiebausteins:
Der Jugendliche lernt in diesem Baustein seine positiven Eigenschaften und
Fähigkeiten differenziert wahrzunehmen, diese konkret zu benennen und negative
Eigenschaften resp. Kompetenzdefizite weniger zu fokussieren und somit zu
relativieren.
Durch die Fokussierung auf persönliche Stärken und die gezielte Nutzung persönlicher
sowie familiärer Ressourcen wird die positive Wahrnehmung der eigenen Person
therapeutisch unterstützt und sukzessive ein positives Selbstbild aufgebaut. Ein
66
wesentliches Ziel der therapeutischen Arbeit ist die Förderung der Akzeptanz der
eigenen Person und die Integration persönlicher Stärken und Fähigkeiten in das
Selbstbild des Jugendlichen. Positive Beziehungserfahrungen mit Familienmitgliedern,
Freunden, Lehrern oder anderen wichtigen Bezugspersonen sollen erkannt und nach
Möglichkeit vertieft werden. Auch das Realisieren von persönlichen Erfolgserlebnissen
und die Attribuierung von Erfolgen auf persönliche Kompetenzen bzw. eigene
Anstrengung sind von zentraler Bedeutung, weshalb sie ein wesentliches Ziel des
Therapiebausteins darstellen.
Therapiematerialien:
S01 Grundüberzeugungen Selbstbild
S02 Infoblatt Eltern Selbstbild
S03 Stärken- & Schwächenwaage
S04 Power-Baum Jugendlichenversion
S05 Power-Baum Elternversion
S06 Positive Beziehungserfahrungen
S07 Lebenslinie positiver Erfahrungen
S08 Mister X Spiel
S09 Lust auf einen neuen Look
S10 Glücksbotschaft-Lotterie
Alle Arbeitsblätter dieses Therapiebausteins sowie der im weiteren Verlauf
dargestellten Therapiebausteine sind im Anhang aufgeführt.
Ablauf der Sitzungen:
Jugendlichenzentrierte Interventionen:
Jeder Baustein beginnt mit einer ausführlichen schriftlichen und mündlichen
Information über die Zielsetzung des Bausteins und einer Psychoedukation des
Jugendlichen und ggf. der Eltern, sofern sie im therapeutischen Prozess involviert sind.
Der Therapiebaustein „Aufbau von positivem Selbstbild“ beinhaltet verschiedene
Interventionen, die - je nach Problemschwerpunkt – individuell ausgewählt und bei
Bedarf vertieft werden können.
67
Die Arbeitsblätter S01 und S02 dienen der Psychoedukation des Jugendlichen bzw.
der
Eltern
in
Bezug
auf
die
Entstehung
und
Aufrechterhaltung
von
Selbstwertproblemen und vermitteln Informationen darüber, wie Jugendliche ein
positives Selbstbild entwickeln können bzw. wie Eltern ihre Kinder dabei unterstützen
können. Diese beiden Arbeitsblätter sollten grundsätzlich durchgeführt werden, bevor
die Arbeitsblätter S03 bis S10 Anwendung finden, da sie die Informationsgrundlage
dieses Bausteins bilden.
Die Arbeitsblätter S03 bis S05 fokussieren die Stärken und Ressourcen des
Jugendlichen und des sozialen Umfeldes. Es werden individuelle Stärken und
Schwächen des Jugendlichen herausgearbeitet, z.B. mittels der „Stärken–
Schwächen–Waage“. Dabei sollte dem Jugendlichen und den Bezugspersonen
verdeutlicht werden, dass die übermäßige Fokussierung auf persönliche Schwächen
sich negativ auf das subjektive Selbstbild auswirkt, was wiederum die Entwicklung
einer manifesten Selbstwertproblematik oder einer Affektstörung begünstigen kann.
Sofern eine übermäßige Betonung von Schwächen und Unzulänglichkeiten im
Vordergrund der Symptomatik des Jugendlichen steht, findet im weiteren
Therapieverlauf eine Fokussierung auf persönliche Stärken und Ressourcen statt. Der
Therapeut sollte dabei die individuellen Ressourcen des Jugendlichen (z.B.
Eigenschaften, Fähigkeiten, Aussehen, Überzeugungen, Interessen…) sowie die
Ressourcen im persönlichen Umfeld des Jugendlichen aktivieren und positive
Beziehungserfahrungen mit Freunden oder mit der Familie nutzen.
Die
Arbeitsblätter
S06
bis
S08
zielen
darauf,
positive
Beziehungs-
und
Lebenserfahrungen herauszuarbeiten und diese in der therapeutischen Arbeit mit der
Familie zu nutzen. Wenn der Jugendliche und die Eltern nur wenige Ressourcen
benennen können und die Familie sehr defizitorientiert ist, sollten positive
Beziehungserfahrungen im sozialen Umfeld des Jugendlichen fokussiert und nach
Möglichkeit im weiteren Therapieverlauf aktiviert werden.
Das Arbeitsblatt S09 kann optional eingesetzt werden, wenn der Jugendliche seinem
Äußeren übermäßig kritisch gegenübersteht und dies die Entwicklung einer positiven
Selbstwahrnehmung
hemmt.
Das
Arbeitsblatt
S10
enthält
sogenannte
„Glücksbotschaften“, wie z.B. „Heute achte ich nur auf meine guten Seiten“, „Heute
versuche ich mich durchzusetzen“ oder „Heute verabrede ich mich mit einem Freund.“
Der Jugendliche zieht dabei jeden Tag eine positiv-aktivierende Botschaft, die als
„Motto des Tages“ fungiert und befolgt werden soll. Da viele Jugendliche, die ein
68
negatives Selbstkonzept haben, häufig auch eine geringe Kompetenz- und
Selbstwirksamkeitserwartung entwickeln, sind sowohl das Training des Praktizierens
von positiven Selbstverbalisationen, als auch die Förderung von Erfolgserlebnissen
elementare
Interventionen,
die
-
unabhängig
von
den
gewählten
Therapieschwerpunkten - realisiert werden sollten.
Elternzentrierte Interventionen:
Wie bereits erwähnt, sollten im Zuge des Einführens eines neuen Therapiebausteins
auch die Eltern über die Ziele des Bausteins informiert werden und im Rahmen der
Psychoedukation darüber aufgeklärt werden, wie sie ihr Kind bei der Umsetzung der
therapeutischen Ziele des Bausteins unterstützen können. Den Eltern bzw. ggf.
anderen relevanten Bezugspersonen (z.B. Großeltern) wird erläutert, dass die
übermäßige Fokussierung auf die Schwächen des Jugendlichen zur Entwicklung eines
negativen Selbstbildes beiträgt, was wiederum das Vertrauen in die eigenen
Kompetenzen schwächt und die Erwartung kompetenter Problemlöseansätze
schmälert. Die Eltern werden dafür sensibilisiert, sich bewusst zu werden, welche
positiven Eigenschaften ihr Kind hat und worauf Sie in Bezug auf ihr Kind stolz sind.
Sie werden dabei angeleitet, ihrem Kind regelmäßig positive Rückmeldungen über
sein Verhalten, positive Persönlichkeitseigenschaften, gute Leistungen in der Schule
o. ä. zu geben. In Form von therapeutischen Hausaufgaben („Jobs der Woche“) üben
die Eltern, nicht nur ihr Kind zu loben, sondern auch sich selbst und den Partner zu
loben und fungieren dadurch als Lernmodell für den Jugendlichen. Durch das Nutzen
verschiedener Arten des Lobes, wie gestisch (z. B. Daumen hoch Zeichen), mimisch
(z. B. Lächeln), verbal (z. B. „Ich bin stolz auf Dich“), materiell (z. B. kleines Geschenk)
oder sozial (gemeinsame Aktivität), lernen sowohl die Eltern als auch der Jugendliche,
Erfolgserlebnisse
und
Therapiefortschritte
nicht
als
Selbstverständlichkeit
hinzunehmen, sondern diese gezielt zu honorieren.
Ein weiteres Element der Elternarbeit in diesem Baustein besteht in der Förderung
regelmäßiger familiärer Aktivitäten, mit dem Ziel der Stärkung der Eltern-KindBeziehung. Diese Intervention sollte vor allem implementiert werden, wenn der
Jugendliche sich übermäßig aus dem Familiengeschehen zurückzieht, nicht am
Familienleben teilnimmt oder wenn die intrafamiliären Kommunikationsmuster
vorwiegend negativ sind, d.h. von Konflikten und gegenseitigen Schuldzuweisungen
geprägt sind.
69
Sofern familiäre Faktoren die Entwicklung eines negativen Selbstbildes des
Jugendlichen begünstigen oder das negative Selbstkonzept aufrechterhalten, werden
diese Faktoren sensibel mit den Eltern thematisiert. Als mögliche Faktoren, die ein
negatives Selbstbild des Jugendlichen begünstigen, kommen - neben unzureichender
positiver Rückmeldungen - auch mangelndes Vertrauen in den Jugendlichen, rigides,
wenig Freiraum bietendes Erziehungsverhalten oder eine nicht hinreichende
Berücksichtigung der Autonomiebestrebungen des Jugendlichen in Frage. Auch
invalidierendes und sehr harsches Erziehungsverhalten ist in diesem Zusammenhang
als negativer Einflussfaktor in Bezug auf das Selbstbild und den Selbstwert in
Erwägung zu ziehen. Wenn ungünstiges Erziehungsverhalten der Eltern die
Selbstwertproblematik des Jugendlichen begünstigt oder mitbedingt, sollte im Rahmen
der Elternarbeit intensiv an der Verbesserung der erzieherischen Kompetenzen
gearbeitet werden. Sind die familiären Ressourcen erschöpft oder sind Veränderungen
innerhalb des Familiensystems, im Rahmen des gegebenen Settings, nicht
hinreichend realisierbar, sollte der Therapeut zur Stabilisierung des familiären Systems
eine flankierende Jugendhilfemaßnahme in Betracht ziehen. Geeignete Maßnahmen
der ambulanten Jugendhilfe könnten beispielsweise eine sozialpädagogische
Familienhilfe, eine Einzelfallhilfe oder eine Erziehungsbeistandschaft sein. Bei
besonders schwer ausgeprägter Symptomatik oder einer krisenhaften Zuspitzung
können auch stationäre Jugendhilfemaßnahmen in Erwägung gezogen werden.
Anzahl der Sitzungen:
In der Regel sind etwa sechs bis acht Sitzungen zur Durchführung des gesamten
Bausteins notwendig, je nach Ausprägung der Problematik und nach Gewichtung der
Elternarbeit.
Therapie-Hausaufgaben – „Jobs der Woche“:
Zur Stabilisierung der erzielten Behandlungseffekte und zum Transfer der neu
erworbenen Kompetenzen in den Alltag des Jugendlichen bzw. der Familie stellen
Therapie-Hausaufgaben, sogenannte „Jobs der Woche“, ein zentrales Instrument des
Behandlungsprogramms SELBST dar. Neben regelmäßigen Hausaufgaben für den
Jugendlichen, werden im Rahmen der Elternarbeit bei Bedarf auch Hausaufgaben für
die Eltern formuliert.
70
Mögliche
Jobs
der
Woche
für
den
Jugendlichen,
im
Kontext
der
Ressourcenaktivierung, könnten sein, Gegenstände oder Fotos in die Therapiestunde
mitzubringen, die eine persönliche Stärke oder Vorliebe repräsentieren. So könnte der
Jugendliche beispielsweise einen Fußball als Symbol für Sportlichkeit oder Interesse
an Fußball mitbringen, eine Gitarre als Symbol für musikalisches Talent oder Fotos
vom Konzert der Lieblingsband…etc. Es kann auch hilfreich sein, die mitgebrachten
Gegenstände, Symbole oder Fotos zur Exploration positiver Beziehungserfahrungen
zu nutzen, insbesondere weil persönlich relevante Symbole die emotionale Aktivierung
des Patienten unterstützen können. Zur emotionalen Aktivierung bietet sich außerdem
an, Fotos bzw. Videos von Familienmitgliedern, Freunden und anderen wichtigen
Personen mitbringen zu lassen, mit denen der Jugendliche positive Erlebnisse
verbindet. Denkbar ist auch, Gegenstände, die ein schönes Erlebnis mit einer Person
repräsentieren (z. B. Kinotickets, Freundschaftsbänder, Muscheln aus dem letzten
Urlaub…), mitzubringen.
Da sich die Analyse von Stärken und Schwächen des Jugendlichen in der
Therapiestunde gelegentlich als schwierig erweist oder langwierig gestaltet,
beispielsweise weil die Auseinandersetzung mit persönlichen Unzulänglichkeiten oft
schambesetzt ist und Widerstände auslösen kann, bietet sich als TherapieHausaufgabe an, ein Stärkenposter anzufertigen. Alternativ kann eine „Das bin Ich –
Collage“ gebastelt werden, mit Fotos oder Bildern aus Zeitschriften, die persönliche
Stärken, Fähigkeiten, Hobbies, Vorlieben etc. aus möglichst vielen relevanten
Lebensbereichen des Jugendlichen repräsentieren. Zur Unterstützung der Integration
positiver Eigenschaften und Fähigkeiten in das Selbstkonzept, könnte eine weitere
Hausaufgabe für den Jugendlichen darin bestehen, z. B. positive Eigenschaften oder
Fähigkeiten auf einen Zettel zu schreiben, diesen im Zimmer in Sichtweite
aufzuhängen und mehrmals täglich zu lesen. Es ist auch denkbar, dass der
Jugendliche sich eine positive Eigenschaft in das Handy eintippt, die er mehrmals
täglich liest.
Neben der verbalen und kreativ-gestalterischen Auseinandersetzung mit dem
Selbstbild ist es auch wichtig, das Idealbild des Jugendlichen herauszuarbeiten und
überzogene Idealvorstellungen, im Hinblick auf das äußere Erscheinungsbild oder die
persönliche Leistungsfähigkeit, zu korrigieren. Hierzu bietet sich an, den Jugendlichen
zu bitten, aus Zeitschriften Fotos von Schauspielern, Sängern und anderen relevanten
71
Vorbildern auszuschneiden, die dem „Idealbild“ des Jugendlichen entsprechen und
diese zur nächsten Therapiestunde mitzubringen. Ergänzend kann der Patient auch
Fotos und Videos von Personen aus dem persönlichen Umfeld mitbringen, die etwas
unternehmen, was dem Jugendlichen gefällt (z. B. Foto von Freund beim Surfen oder
von der Freundin beim Reiten) oder die so aussehen, wie der Jugendliche idealer
Weise gerne aussehen würde (z. B. Foto von einem Freund mit ausgefallener Frisur).
Da ein Teil der Jugendlichen Schwierigkeiten hat, positive Beziehungserfahrungen der
Vergangenheit zu erinnern bzw. persönliche Erfahrungen mit ihren Mitmenschen als
positiv wahrzunehmen, ist es gelegentlich notwendig, die Wahrnehmung mithilfe von
Therapie-Hausaufgaben gezielt auf positive Beziehungen im sozialen Umfeld zu
lenken. Dies gelingt umso besser, je häufiger positive Erlebnisse im Alltag des
Jugendlichen auftreten und je eher diese als angenehm und förderlich wahrgenommen
werden. Die Therapie-Hausaufgabe könnte dementsprechend darin bestehen, täglich
positive Erfahrungen, die im Laufe des Tages mit anderen Menschen gemacht wurden,
zu protokollieren oder Fotos/Videos von positiven Erlebnissen mit dem Handy
aufzunehmen und diese zur nächsten Therapiestunde mitzubringen. Eine weitere
Hausaufgabe könnte darin bestehen, täglich eine Glücksbotschaft (z.B. „Heute lächele
ich jemanden an“) zu ziehen und diese – im Sinne der Aktivierung positiver Erlebnisse
– zum Motto des Tages zu machen.
Eine mögliche Therapie-Hausaufgabe für die Eltern könnte sein, gemeinsam mit ihrem
Kind einen Tagesrückblick zu praktizieren und dabei vor allem positive Ereignisse und
Erfolgserlebnisse zu thematisieren. Dies kann beispielsweise nach der Schule erfolgen
oder beim Abendessen und sollte nicht den Charakter eines kritischen Hinterfragens
von Erlebnissen des Tages annehmen. Sofern keine positiven Ereignisse erinnert
werden können oder der Jugendliche eine Tagesreflexion ablehnt, sollten die Eltern
nicht auf einen Tagesrückblick insistieren. Alternativ könnten die Eltern versuchen,
ihrem Kind regelmäßig positive Rückmeldungen in Bezug auf positive Eigenschaften
zu geben. Die Eltern könnten zudem in Form von Therapie-Hausaufgaben üben, sich
selbst, den Partner und das Kind regelmäßig zu loben. Eine weitere Therapieaufgabe
könnte
für
die
Eltern
darin
bestehen,
gelegentlich
gemeinsame
positive
Familienaktivitäten zu planen und durchzuführen. Zur besseren Akzeptanz der
gemeinsamen Freizeitaktivitäten durch den Jugendlichen und ggf. der Geschwister, ist
72
es von besonderer Bedeutung, dass die persönlichen Interessen und Vorlieben des
Jugendlichen bei der Auswahl der Aktivitäten berücksichtigt werden.
Mögliche Schwierigkeiten bei der Durchführung des Therapiebausteins
Trotz sorgfältiger Therapieplanung und Involvierung des Jugendlichen und der Familie
in die Planung der einzelnen Therapieschritte können Schwierigkeiten bei der
konkreten Umsetzung der Interventionen auftreten. Auf potentielle Schwierigkeiten
wird in diesem Abschnitt exemplarisch eingegangen.
Ein häufiges Problem stellt beispielsweise dar, dass der Jugendliche überzeugt davon
ist, keine persönlichen Stärken zu haben und immer wieder die negativen
Eigenschaften hervorhebt, die er glaubt zu haben. Dieses Problem ist in vielen Fällen
damit
assoziiert,
dass
Jugendliche,
aufgrund
kumulierter
negativer
Beziehungserfahrungen, wie z.B. Mobbing in der Schule, ihre negative Sichtweise in
Bezug auf sich und ihr Umfeld nur schwer ausblenden können. Folglich gelingt es
ihnen oft nur sehr langsam, und mit intensiver therapeutischer Unterstützung, ihre
übermäßige Betonung negativer Selbstbildaspekte zu korrigieren. Daher ist es unter
diesen Umständen wichtig, nicht zu voreilig an der Fokussierung positiver
Eigenschaften zu arbeiten. In manchen Fällen kann es sogar ratsam sein, zunächst
an der biografischen Aufarbeitung negativer Erlebnisse zu arbeiten, bevor man zum
Aufbau eines positiven Selbstbildes übergeht. Der Therapeut sollte auch beachten,
dass die starke Fokussierung auf persönliche Stärken, Ressourcen und positive
Beziehungserfahrungen zu Widerständen und kognitiven Dissonanzen führen kann,
was wiederum Complianceprobleme nach sich zieht, weil der Jugendliche die
Dissonanz zwischen negativer Selbstwahrnehmung und der therapeutischen
Korrektur der Selbstwahrnehmung unter Umständen nicht gut aushalten kann.
Eine weitere Schwierigkeit ergibt sich, wenn der Jugendliche nur wenig sozial aktiv ist
und es kaum Gelegenheiten gibt, positive Beziehungserfahrungen zu machen und
diese in Bildern, Videos oder einem Tagebuch zu dokumentieren. In diesem Fall
könnte der Therapeut beispielsweise zunächst therapeutische Strategien des
Therapiebausteins 2 „Steigerung von Genussfähigkeit, Aktivität und Selbstbelohnung“,
wie beispielsweise Interventionen zur Aktivitätssteigerung, einsetzen und soziale
Kontakte zu Gleichaltrigen fördern. Unter Umständen besteht die Barriere darin, dass
der Jugendliche aufgrund sozialer Unsicherheit oder sozial phobischer Tendenzen
Kontakte meidet. Dann sollte, im Sinne einer graduierten Expositionsbehandlung,
73
zuerst die soziale Phobie hinreichend reduziert werden, bevor man an der Stärkung
positiver Beziehungserfahrungen arbeitet.
In Bezug auf die Visualisierung positiver Eigenschaften und das Training positiver
Selbstverbalisationen steht der Therapeut häufig vor dem Problem, dass der
Jugendliche es peinlich findet, positive Eigenschaften aufzuschreiben, aus Sorge,
Freunde könnten den Zettel finden. Auch trauen sich einige Jugendliche nicht, positive
Selbstverbalisationen einzusetzen, weil sie befürchten, jemand könnte sie hören, wenn
sie „Selbstgespräche“ führen. Der Therapeut sollte die Befürchtungen der
Jugendlichen ernst nehmen und gemeinsam mit dem Jugendlichen überlegen, welche
Alternativen denkbar sind. Der Jugendliche könnte z.B. eine positive Aussage in Bezug
auf sich selbst als Sprachnachricht auf sein Handy aufnehmen und sich diese
mehrmals täglich mit Kopfhörern anhören.
Auch auf Elternebene sollten potentielle Barrieren in der Umsetzung therapeutischer
Interventionen frühzeitig vom Therapeuten antizipiert und mit den Eltern offen
besprochen werden. Es ist beispielsweise denkbar, dass die Eltern aufgrund
persönlicher negativer Erlebnisse selbst ein negatives Selbstbild entwickelt haben und
damit ein ungünstiges Lernmodell für ihr Kind darstellen. Dies sollte einfühlsam mit
den Eltern thematisiert werden, auch um zu verhindern, dass sich die Eltern schuldig
fühlen. Sofern sich das negative Selbstbild der Eltern im Rahmen der Elternarbeit nicht
relativieren lässt und die Eltern sich durch generalisierte negative Denkmuster in
Bezug auf die eigene Person, die Umwelt oder die Zukunft auszeichnen, empfiehlt es
sich, ggf. mit den Eltern über eine separate therapeutische Anbindung zu sprechen.
Ein weiteres Problem könnte darstellen, dass die Eltern-Kind-Beziehung so
angespannt ist, dass die positiven Eigenschaften des Jugendlichen nicht hinreichend
wahrgenommen werden können oder dass es den Eltern nicht gelingt, wohlwollende
und validierende Rückmeldungen an ihr Kind zu richten. In diesem Fall ist eine
intensive Elternarbeit zur Förderung einer positiven Eltern-Kind-Interaktion sinnvoll.
Eine ungünstige Konstellation stellen auch sehr leistungsorientierte Eltern dar, die ihr
Kind explizit oder oft auch implizit abwerten, wenn diese ihrem Leistungsanspruch
nicht gerecht werden, was wiederum zur Aufrechterhaltung der Selbstwertstörung des
Kindes beiträgt. Im Rahmen der Psychoedukation sollte den Eltern daher vermittelt
werden, dass überhöhte Leistungsansprüche und verbale Abwertungen, bei
74
Nichterfüllung elterlicher Erwartungen, Selbstwertprobleme von Kindern und
Jugendlichen begünstigen und langfristig aufrechterhalten. Des Weiteren sollte mit den
Eltern sensibel an der Relativierung zu hoher Ansprüche gearbeitet werden.
4.1.2 Baustein 2: Steigerung von Genussfähigkeit, Aktivität und Selbstbelohnung
Indikation:
Steht beim Jugendlichen eine dysphorische Stimmungslage, in Kombination mit
reduziertem Antrieb, wenig Interesse an außerhäuslichen Aktivitäten und sozialen
Rückzugstendenzen im Vordergrund, ist Baustein 2 indiziert. Interventionen aus
diesem Baustein sind auch indiziert, wenn Anhedonie, eine eingeschränkte
Genussfähigkeit und eine unzureichende Selbstfürsorge im Vordergrund der
Symptomatik stehen.
Inhalt und Ziele des Therapiebausteins:
Ein Schwerpunkt von Baustein 2 besteht in der Antriebs- resp. Aktivitätssteigerung von
Jugendlichen
mit
geringem
Antrieb,
Lustlosigkeit
und
eingeschränktem
Interessenrepertoire. Der Jugendliche wird motiviert, verschiedene angenehme
Aktivitäten auszuprobieren und darin unterstützt, wieder regelmäßig als positiv
empfundene Tätigkeiten in den Alltag zu integrieren. Ein weiterer Schwerpunkt dieses
Bausteins besteht in der Steigerung der Genussfähigkeit des Jugendlichen sowie in
der Förderung der Selbstfürsorge und der inneren Achtsamkeit. Die verschiedenen
Übungen zur Sensibilisierung der Sinne und Steigerung der Genussfähigkeit zielen
darauf ab, zunächst differenziert wahrzunehmen, welche Genusserlebnisse sich
positiv auf die Stimmung des Patienten auswirken. Die als angenehm erlebten
Genuss-Erlebnisse sollten im weiteren Therapieverlauf im Alltag des Jugendlichen
verankert werden. Des Weiteren übt der Jugendliche, sich für Dinge, die er erfolgreich
gemeistert hat oder erreichte Therapieziele, systematisch selbst zu belohnen. Ziel des
Bausteins
ist,
durch
die
beschriebenen
Interventionsschwerpunkte
„Aktivitätssteigerung“, „Genusssensibilisierung“ und „Selbstbelohnung“ eine initiale
Verbesserung der Stimmungslage und eine Erweiterung des Interessenspektrums zu
erreichen.
75
Therapiematerialien:
S11 Materialliste Sensibilisierung der Sinne
S12 Infoblatt Jugendlicher Genuss und Aktivität
S13 Infoblatt Eltern Genussfähigkeit, Aktivität & Selbstbelohnung
S14 Genussregeln
S15 Lass es Dir mal wieder gut gehen
S16 Chillen mal anders
S17 Chill-Tagebuch
S18 Nutze alle 5 Sinne zum Genießen
S19 Aktivitäts- und Stimmungsbarometer
S20 Ziele in Teilziele unterteilen
S21 Wunschliste Selbstbelohnungen
Ablauf der Sitzungen:
Jugendlichenzentrierte Interventionen:
Zunächst wird dem Jugendlichen im Rahmen der Psychoedukation (S12) verdeutlicht,
dass die Fähigkeit zum Genießen einen zentralen Aspekt des Wohlbefindens darstellt
und dass die Steigerung des Aktivitätsniveaus zur Verbesserung des Wohlbefindens
sowie zur Stabilisierung der Stimmung beiträgt. Als Einstiegsthema bietet sich an, mit
dem Genusstraining zu beginnen. Das Arbeitsblatt S11 beinhaltet eine Liste mit
verschiedenen Materialien zur Genusssensibilisierung. Als Einführung können dem
Patienten verschiedene Materialien in der Therapiestunde präsentiert werden, die
sowohl die gustatorischen und olfaktorischen, als auch die visuellen, akustischen und
taktilen Sinnesmodalitäten ansprechen sollen. Der Jugendliche könnte beispielsweise
ein Stück Obst probieren, an einem Duftöl riechen, ein Bild mit grellen Farben
anschauen, Vogelgezwitscher zuhören oder mit geschlossenen Augen einen weichen
Stoff berühren. Der Jugendliche soll bei der Übung einschätzen, ob er die Aktivierung
der jeweiligen Sinnesmodalität als angenehm empfindet oder nicht. Bei Bedarf kann
die Übung in der folgenden Stunde wiederholt werden mit der Variation, dass der
Jugendliche möglichst viele Materialien mitbringt und diese gemeinsam mit dem
Therapeuten
„austestet.“
Ergänzend
zur
Genusssensibilisierung
können
Genussregeln (S14) eingeführt und verschiedene Übungen zur Förderung der inneren
Achtsamkeit (S16, S17, S18) ausprobiert werden. Im weiteren Verlauf wird der Patient
76
motiviert, unterschiedliche Genusserfahrungen und Achtsamkeitsübungen im Alltag
auszutesten und diese hinsichtlich ihrer positiven Wirkung auf die Stimmung
einzuschätzen.
Steht eine Antriebsminderung und mangelndes Interesse an adoleszententypischen
Aktivitäten im Vordergrund, empfiehlt es sich, primär an der Aktivitätssteigerung zu
arbeiten. Da viele depressive Jugendliche sehr rückzügig sind und Schwierigkeiten
haben,
adäquate
Aktivitäten
zu
benennen,
die
als
angenehm
und
stimmungsstabilisierend empfunden werden, ist es hilfreich, vorab möglichst viele
Ideen zur aktiven Freizeitgestaltung mit dem Jugendlichen zu erarbeiten. Als Anregung
für die Ideen-Generierung kann das Arbeitsblatt „Lass es Dir mal wieder gut gehen“
(S15)
eingesetzt
werden,
das
eine
Liste
mit
diversen
jugendtypischen
Freizeitaktivitäten enthält. Um die Implementierung regelmäßiger positiver Aktivitäten
in den Alltag zu erleichtern, protokolliert der Jugendliche täglich seine Aktivitäten und
schätzt die daraus resultierende Stimmung auf einem kombinierten Aktivitäts- und
Stimmungsbarometer (S19) ein. Bei Bedarf können auch Entspannungsübungen, wie
die Progressive Muskelrelaxation, Phantasiereisen für Jugendliche oder Atemübungen
eingesetzt werden.
Bei sehr rückzügigen Patienten sollte der Therapieschwerpunkt auf die soziale
Reintegration gelegt werden. Der Therapeut exploriert zunächst, welche sozialen
Interessen bestehen oder früher bestanden haben und welche Faktoren die soziale
Desintegration begünstigt haben. Ist der soziale Rückzug primär auf eine depressive
Symptomatik (z.B. Anhedonie, Antriebslosigkeit) zurückzuführen, sollten die
Maßnahmen zur Aktivitätssteigerung, wie oben beschrieben, fortgeführt werden. Ist
die Ursache für den sozialen Rückzug primär vor dem Hintergrund einer sozialen
Phobie oder sozialen Unsicherheit zu sehen, sollten zunächst Expositionsübungen zur
Verringerung der Ängstlichkeit resp. soziale Kompetenzübungen zur Verbesserung
der sozialen Fertigkeiten und Stärkung der Selbstwirksamkeitserwartung durchgeführt
werden. Daran anschließend erarbeitet der Therapeut, gemeinsam mit dem
Jugendlichen und ggf. den Eltern, welche Aktivitäten die soziale Integration des
Jugendlichen fördern könnten (z. B. Sportverein, Pfadfinder, freiwillige Feuerwehr) und
implementiert geeignete Maßnahmen in den Alltag des Jugendlichen.
77
Einen weiteren Schwerpunkt des Bausteins bildet, in Anlehnung an den
Selbstmanagementansatz (Kanfer et al. 2012), das systematische Belohnen von
erreichten Zielen oder Teilzielen. Der Jugendliche lernt im ersten Schritt, sich selbst
realistische Ziele zu setzen und übergeordnete Ziele in leicht erreichbare Teilziele zu
unterteilen (S20). Im nächsten Schritt wird der Jugendliche angeleitet, sich regelmäßig
selbständig für erreichte Teilziele zu belohnen. Das Arbeitsblatt S21 kann ergänzend
eingesetzt werden, um angemessene Belohnungen zu definieren.
Elternzentrierte Interventionen:
Die Termine mit den Eltern sollten dafür genutzt werden, die Fähigkeit der Eltern zum
Genießen und zur Selbstfürsorge zu thematisieren. Dabei können den Eltern optional
die Genussregeln (S14) erläutert werden. Exemplarisch kann mit ihnen auch ein
Genusstraining durchgeführt werden. Des Weiteren sollte den Eltern, im Rahmen der
Psychoedukation, erläutert werden, dass sie, wenn sie sich regelmäßig selbst
belohnen, eine wichtige Vorbildfunktion für den Jugendlichen erfüllen. Außerdem sollte
den
Eltern
verdeutlicht
werden,
dass
die
Selbstbelohnung,
neben
der
Aktivitätssteigerung und der Förderung der Genussfähigkeit, eine weitere sinnvolle
therapeutische Intervention zur Stimmungsverbesserung darstellt (S13).
Bei besonders gestressten Eltern, die ihre Freizeit nicht ausreichend zur Entspannung
nutzen, sollten explizit Möglichkeiten zur Regeneration erarbeitet werden. Im Kontext
der Elternarbeit lernen die Eltern ein angemessenes Zeitmanagement mit
ausreichenden Ruhephasen zu praktizieren und dabei regelmäßig angenehme,
regenerative Aktivitäten in ihren Alltag zu integrieren. Da sich erfahrungsgemäß ein
Großteil der Eltern zu viele berufliche und private Termine aufbürdet und sich nicht
ausreichend abgrenzen kann, ist es mit einem Teil der Familien sinnvoll zu erörtern,
wie sie sich besser abgrenzen können und ggf. einen Teil der familiären und
beruflichen Verpflichtungen delegieren können – ohne deshalb Schuldgefühle zu
entwickeln.
Anzahl der Sitzungen:
In der Regel werden etwa fünf bis sechs Sitzungen benötigt, um diesen Baustein
durchzuführen. Bei Vorliegen einer ausgeprägten Antriebsminderung sind mitunter
deutlich mehr als sechs Sitzungen zu veranschlagen.
78
Therapie-Hausaufgaben – „Jobs der Woche“:
Als Einführung in den Baustein kann der Jugendliche die Hausaufgabe bekommen,
verschiedene Genusserfahrungen zu Hause auszuprobieren und zu protokollieren,
welche Sinneseindrücke einen positiven Effekt auf die Stimmung und das
Wohlbefinden ausüben und welche nicht. Darauf aufbauend könnte eine Hausaufgabe
darin bestehen, die erarbeiteten Genussregeln kontinuierlich im Alltag anzuwenden
und das Ausmaß des Wohlbefindens zu protokollieren.
Bei antriebsgeminderten Jugendlichen bildet eine zentrale Therapiehausaufgabe des
Bausteins die Aufforderung, anhand der Liste „Lass es Dir mal wieder richtig gut
gehen“ (S15) eine persönliche Liste angenehmer Aktivitäten zu erstellen. Die
Hausaufgabe könnte beispielsweise zunächst darin bestehen, täglich verschiedene
angenehme Tätigkeiten auszuprobieren. Als vertiefende Hausaufgabe bietet sich an,
(unter Nutzung eines Wochenplans) täglich positive Aktivitäten in den Alltag zu
implementieren und deren Auswirkung auf die Stimmung im Aktivitäts- und
Stimmungsbarometer (S19) zu dokumentieren. Das Ziel der Übung besteht darin, real
wahrzunehmen, dass das regelmäßige Praktizieren schöner Freizeitaktivitäten einen
positiven Einfluss auf die Stimmung hat.
Sofern mit dem Patienten ein Entspannungsverfahren in der Therapiestunde erprobt
wurde, wäre eine sinnvolle Hausaufgabe, das erlernte Verfahren (z.B. Progressive
Muskelrelaxation, Atementspannung, autogenes Training…) regelmäßig zu Hause
anzuwenden. Mittlerweile gibt es eine Vielzahl an Entspannungs-Apps mit
unterschiedlichen thematischen Schwerpunkten, die von Entspannungsmusik über
Naturgeräusche
(z.B.
Meeresrauschen,
Vogelgezwitscher
oder
andere
Tiergeräusche) bis hin zu geführten Meditationen reichen, die explizit Jugendliche
ansprechen sollen. Es bietet sich folglich an, eine geeignete App herunterzuladen, die
der Jugendliche regelmäßig anwenden soll. Da viele Entspannungs-Apps über eine
Timerfunktion verfügen, kann eine Uhrzeit programmiert werden, die den Jugendlichen
an die Übung erinnert.
Die zentrale Therapiehausaufgabe der Eltern besteht darin, sich als Mutter und Vater
regelmäßig Auszeiten zu gönnen, angenehme Aktivitäten gezielt in den familiären
Alltag zu integrieren und dabei die Genussregeln anzuwenden. Da die Jugendlichen
aufgrund ihrer Symptomatik oft nicht interessiert sind an außerhäuslichen, sozialen
79
Aktivitäten, sollten die Eltern ihr Kind dabei unterstützen, wieder aktiver zu werden. Die
Eltern könnten sich als „Job der Woche“ gemeinsam mit ihren Kindern (für Jugendliche
geeignete) familiäre Aktivitäten überlegen und diese in regelmäßigen Abständen in
den familiären Alltag implementieren.
Mögliche Schwierigkeiten bei der Durchführung des Therapiebausteins
Die größte Herausforderung des Bausteins 2 besteht darin, dass viele Jugendliche
keine hinreichende Motivation haben, ihr Aktivitätsniveau zu steigern oder ihren
sozialen Aktionsradius zu erweitern. Der Therapeut sollte sich nicht von der
Lustlosigkeit und Antriebsminderung des Jugendlichen irritieren lassen, sondern viel
Zeit einplanen, dem Jugendlichen die symptomaufrechterhaltenden Zusammenhänge
zwischen Antriebsminderung, sozialem Rückzug und depressivem Erleben zu
verdeutlichen. Erfahrungsgemäß lässt sich die Motivation zur Antriebssteigerung
erhöhen, wenn der Jugendliche zunächst nur verschiedene angenehme Aktivitäten
ausprobieren soll und sich nicht voreilig für einen Verein oder eine bestimmte
Freizeittätigkeit „verpflichten“ muss. Das Ziel der Aktivitätssteigerung muss folglich
nicht zwangsläufig eine Vereinsanbindung sein. Das primäre Teilziel könnte
beispielsweise darin bestehen, dass der Jugendliche sich auf zwei bis drei, flexibel
aussuchbare (nach Möglichkeit außerhäusliche) Aktivitäten wöchentlich einlässt, wie
z.B. einen Freund treffen, in die Kletterhalle fahren oder mit der Familie ins Kino gehen.
Um geeignete Aktivitäten und Interessen reaktivieren zu können, ist es sinnvoll, im
Vorfeld detailliert zu explorieren, welche Aktivitäten dem Jugendlichen früher Spaß
gemacht haben und mit welchen Personen die Freizeit im positiven Sinne gestaltet
wurde, um ggf. an früheren Interessen und Vorlieben anzuknüpfen.
Eine weitere Schwierigkeit ergibt sich dann, wenn der Jugendliche gemeinsame
Familienaktivitäten ablehnt (z. B. aufgrund massiver Eltern-Kind-Konflikte) oder
gemeinsame Aktivitäten (z.B. aufgrund mangelnder finanzieller Ressourcen oder zu
starker psychischer Belastung der Eltern) nicht regelmäßig realisierbar sind. In diesen
Fällen sollte zunächst an einer angemessenen intrafamiliären Kommunikation und
Entlastung der Eltern gearbeitet werden. Sukzessive können dann positiv besetzte
Aktivitäten – zunächst nur mit einem Elternteil (z.B. Mutter-Tochter-Shoppingtag,
Vater-Sohn-Fußballtraining) – und bei gutem Verlauf auch mit beiden Elternteilen und
ggf. Geschwistern eingeführt werden. Sind die Eltern aufgrund einer eigenen
80
psychischen
Erkrankung
so
beeinträchtigt
oder
können
ihrer
elterlichen
Erziehungspflicht, beispielsweise vor dem Hintergrund massiver intrafamiliärer
Konflikte, nur eingeschränkt nachkommen, sollten die Eltern über die Optionen einer
Erziehungsberatung, Psychotherapie und / oder ambulanten Maßnahme der
Jugendhilfe
(z.B.
sozialpädagogische
Familienhilfe,
Erziehungsbeistandschaft)
informiert werden.
Bei der Therapieplanung muss explizit berücksichtigt werden, dass die Steigerung des
Aktivitätsniveaus und die Verbesserung der sozialen Integration des Jugendlichen sich
aufgrund mangelnder sozialer Kompetenzen, z. B. in Bezug auf die Fähigkeit mit
Fremden zu sprechen, Kontakte zu knüpfen oder Freundschaften aufrechtzuerhalten,
schwierig gestalten könnte. In diesen Fällen sollte, wie bereits an anderer Stelle
ausgeführt, zunächst am Aufbau sozialer Kompetenzen gearbeitet werden.
Ein Teil der Jugendlichen kann sich - trotz ausführlicher Psychoedukation - nicht
vorstellen, regelmäßig Entspannungsübungen zu Hause durchzuführen. Die
Akzeptanz für sogenannte „Relaxing-Apps“ ist unserer Erfahrung nach höher als für
aktive Übungen, die selbständig durchgeführt werden müssen. Es ist auch denkbar,
dass der Jugendliche nach dem Genusstraining keine Stimmungsverbesserung
feststellt
oder
es
lächerlich
findet,
die
Genusssensibilisierung
im
Alltag
auszuprobieren, was zur Folge hat, dass die Compliance zur Durchführung des
Genusstrainings sinkt. In diesem Fall besteht die Möglichkeit andere Interventionen
des Bausteins auszuprobieren, die der Jugendliche eher akzeptiert.
Ein Problem auf Elternebene könnte darstellen, dass die Durchführung der
Entspannungstechniken oder des Genusstrainings auf mangelnde Akzeptanz seitens
der Eltern stößt (z. B. Musik hören, anstatt Hausaufgaben zu machen). Eine weitere
Barriere auf Elternebene ergibt sich, wenn die Selbstbelohnung des Jugendlichen für
erreichte Teilziele oder positive Verhaltensänderungen von den Eltern nicht
mitgetragen wird. Einige Eltern reagieren mit Unverständnis, wenn man ihnen die
Methode der Selbstverstärkung erläutert. Oft steht dabei implizit die Frage im Raum
„Warum muss mein Kind sich für „Selbstverständlichkeiten“ (z.B. regelmäßig
Hausaufgaben machen, einen Freund anrufen) auch noch belohnen?“ In diesem
Zusammenhang sollte den Eltern anhand von praktischen Beispielen erklärt werden,
dass das systematische Belohnen von positiven Verhaltensänderungen eine effektive
Methode zur Verhaltensmodifikation darstellt, welche erfolgreich in diversen
81
therapeutischen Settings genutzt wird. Auch kann mit den Eltern in diesem Kontext
psychoedukativ
wiederholt
werden,
dass
eine
aktive
Freizeitgestaltung
für
dysphorische, ängstliche und rückzügige Jugendliche keine „Selbstverständlichkeit“
ist, sondern im Gegenteil ein Ziel der therapeutischen Interventionen darstellt. Es kann
unter Umständen auch ratsam sein, gemeinsam mit den Eltern und dem Jugendlichen
zu wiederholen, dass angenehme Aktivitäten, Entspannungsübungen und das
Genusstraining einen wichtigen Beitrag zur Stimmungsstabilisierung des Jugendlichen
leisten.
Sollte der Jugendliche in der Tat seine schulischen und familiären Verpflichtungen
aufgrund des übermäßigen Praktizierens „angenehmer Aktivitäten“ vernachlässigen,
gilt es wieder eine adäquate Relation zwischen angenehmen Tätigkeiten und
persönlichen Verpflichtungen herzustellen. So könnte zum Beispiel die Vereinbarung
getroffen werden, dass angenehme Aktivitäten bevorzugt nach Abschluss der
Hausaufgaben oder nach Erfüllen anderer relevanter Verpflichtungen praktiziert
werden sollen.
4.1.3 Baustein 3: Veränderung dysfunktionaler Kognitionen und verzerrter
situativer Bewertungen sowie Verarbeitung belastender Erfahrungen
Indikation:
Der Therapiebaustein 3 wird durchgeführt, wenn dysfunktionale, negativistische
Kognitionen in Bezug auf die eigene Person resp. die Umwelt oder die Zukunft im
Vordergrund der Symptomatik stehen oder negativ-verzerrte situative Bewertungen
einen Teil der Symptomatik des Patienten darstellen. Eine weitere Indikation zur
Durchführung des Bausteins stellt dar, wenn belastende negative Erfahrungen
bestehen, wie z.B. anhaltende schulische Ausgrenzung oder massive familiäre
Konflikte, die nicht hinreichend verarbeitet worden sind und ggf. zur negativ-verzerrten
Sicht resp. schuldhaften Verarbeitung von Ereignissen (kognitive Rumination)
beitragen.
Inhalt und Ziele des Therapieausteins:
Mit dem Jugendlichen wird der Zusammenhang zwischen Situationen, die
dysfunktionale Kognitionen verursachen, erläutert und die daraus resultierenden
negativen Emotionen und ungünstigen Verhaltensweisen erarbeitet. Schrittweise
werden negativ verzerrte kognitive Prozesse (z.B. Selbstabwertung, feindselige
82
Interpretationen, selektive Abstraktionen, Katastrophendenken…) und konkrete
Denkinhalte identifiziert, die wiederkehrend in belastender oder ängstigender Form
auftreten. Die belastenden Kognitionen werden im Folgenden in Hinblick auf ihre
Plausibilität und ihren Realitätsgehalt überprüft und verändert, wenn sie zu einseitig,
zu
unrealistisch oder übermäßig verzerrt
sind. So werden
beispielsweise
unrealistische, negativ verzerrte Kognitionen durch realistischere Kognitionen in Bezug
auf die eigene Person, die Umwelt oder Zukunft ersetzt. Ergänzend werden gezielt
positive Selbstverbalisationen entwickelt und in den Alltag des Jugendlichen
implementiert. Zudem wird die realistische Wahrnehmung und Interpretation von
Situationen und sozialen Interaktionsprozessen mit Gleichaltrigen und Erwachsenen
trainiert.
Viele Jugendliche mit Selbstwertproblemen führen persönliche Misserfolge und
negative Erlebnisse auf mangelnde persönliche Kompetenzen zurück. Dysfunktionale,
internale, spezifische, zeitlich stabile Attributionsmuster (z.B. „Ich bin immer schuld,
wenn etwas schief geht“) als Reaktion auf Misserfolge werden daher durch
realistische, möglichst variable Ursachenzuschreibungen ersetzt. Dem Jugendlichen
wird verdeutlicht, dass realistische Ursachenzuschreibungen (v. a. die Attribution von
Erfolg auf persönliche Anstrengung und Fähigkeiten) sowie eine positive Sicht der
eigenen Person, der Umwelt und der Zukunft, die Stimmung und den Selbstwert
verbessern.
Da
dysfunktionale
Kognitionen
und
eine
generalisierte,
negativ
verzerrte
Wahrnehmung von Situationen auch vor dem Hintergrund belastender Erfahrungen
entstehen können, stellt die Bearbeitung belastender biografischer Erfahrungen unter
Umständen einen wesentlichen Teil des Bausteins dar und kann optional durchgeführt
werden.
83
Therapie-Materialien:
S22 Infoblatt Jugendlicher Gedanken beeinflussen die Stimmung
S23 Infoblatt Jugendlicher Die schwarze Brille
S24 Infoblatt Jugendlicher Ursachenzuschreibungen
S25 Infoblatt Eltern Denkfallen & negativ verzerrte Wahrnehmung
S26 Checkliste Stimmungskiller (Jugendlichen- und Elternversion)
S27 Checkliste Stimmungspusher (Jugendlichen- und Elternversion)
S28 Denkfallen
S29 Gedanken-Gefühls-Puzzle
S30 Stimmungsbarometer
S31 Realitäts-Check Schwarzmalerei
S32 Negative Gedanken durch positive Gedanken ersetzen
Ablauf der Sitzungen:
Jugendlichenzentrierte Interventionen:
Auch Therapiebaustein 3 ist gegliedert in einen informativ-psychoedukativen
Einleitungsteil und jugendlichen- resp. elternzentrierte, verhaltenstherapeutische
Interventionen. Einleitend sollte mit dem Jugendlichen der wechselseitige Einfluss
zwischen Gedanken, Gefühlen und Verhalten vermittelt werden (S22, S23, S29), die
anhand von Beispielen aus dem konkreten Umfeld des Jugendlichen vertieft werden.
Hierbei werden sowohl prototypische, positive Situationen (z.B. gute sportliche
Leistung nach regelmäßigem Training) als auch adoleszenten-typische, negative
Situationen (z.B. Provokationen eines Mitschülers oder Auseinandersetzung mit einem
Elternteil) in Hinblick auf die daraus resultierenden Kognitionen, Emotionen und das
gezeigte (Problem-)Verhalten analysiert. Idealerweise können anhand von MikroVerhaltensanalysen sowohl dysfunktionale kognitive Verarbeitungsstile (z.B. einseitige
Schuldzuschreibungen, Selbstwahrnehmung als Opfer) resp. dysfunktionale soziale
Informationsverarbeitungsprozesse (z.B. feindselige Wahrnehmung der Umwelt) als
auch maladaptive Verhaltensmuster (z.B. selbstverletzendes Verhalten, sozialer
Rückzug)
identifiziert
werden.
Es
ist
ratsam,
dass
der
Jugendliche
ein
Stimmungstagebuch, das sogenannte „Stimmungsbarometer“ (S30) führt, um die
Zusammenhänge zwischen der subjektiven Denk-, Gefühls- und Handlungsebene
anhand von konkreten, persönlich relevanten Ereignissen besser nachvollziehen zu
84
können. Ergänzend können die Arbeitsblätter S26 und S27 genutzt werden, um
Kognitionen zu identifizieren, die einen stimmungsstabilisierenden Einfluss auf den
Jugendlichen haben und umgekehrt solche, die destabilisierend wirken.
Im nächsten Schritt werden die vorherrschenden negativen Kognitionen dahingehend
mit dem Jugendlichen analysiert, ob und wenn ja, welche systematischen „Fehler“
(sog. Denkfallen) den Denkmustern zugrunde liegen (S28). So kann ein Patient eher
zu Katastrophendenken neigen, während ein anderer Jugendlicher eher zu
„Selbstabwertungen“, „Schwarz-Weiß-Denken“ oder „selektiven Abstraktionen“ neigt.
Natürlich können auch verschiedene Denkfallen gleichzeitig vorherrschen und sich
ggf. negativ begünstigen. Im weiteren Verlauf werden mit dem Jugendlichen die zuvor
identifizierten individuellen Denkfehler hinterfragt und sukzessive korrigiert (S31).
Dazu können, neben der Methode der kognitiven Umstrukturierung, auch
Verhaltensexperimente oder der sokratische Dialog genutzt werden.
Auf der Makro-Ebene werden, in Anlehnung an das verhaltenstherapeutische
Störungsmodell, begünstigende lebensgeschichtliche Bedingungen dysfunktionaler
Kognitionen erarbeitet und belastende biografische Erfahrungen, die zum Persistieren
negativer Denkmuster beigetragen haben könnten, erörtert. Als hilfreich hat sich
unserer Erfahrung nach erwiesen, die „Lebenslinie“ (S07) aus dem Baustein 1 auch
für die biografische Arbeit in Baustein 3 zu nutzen. Während im Baustein 1 der Fokus
auf das Herausarbeiten positiver Beziehungserfahrungen in der Vergangenheit und
Gegenwart liegt, kann die Lebenslinie im Rahmen der Biografiearbeit in Baustein 3
dazu genutzt werden, um einerseits die Stimmung im Lebensverlauf abzubilden und
andererseits um negative Lebensereignisse des Jugendlichen im Zeitverlauf zu
dokumentieren. Hierzu werden zunächst oberhalb der Lebenslinie alle relevanten
positiven Ereignisse von der Geburt bis zum heutigen Tag abgetragen, wie z.B. schöne
Urlaube, besondere Freizeiterlebnisse, sportliche Erfolge, 18. Geburtstag…etc. Im
nächsten Schritt werden alle relevanten negativen Ereignisse, an die sich der
Jugendliche erinnert, unterhalb der Lebenslinie im Zeitverlauf dargestellt. Häufig
nennen die Patienten in diesem Zusammenhang kritische Lebensereignisse, wie
Mobbing durch Mitschüler, problematische Schulwechsel, Trennung der Eltern oder
Umzüge. Im letzten Schritt versucht der Patient, unter Berücksichtigung sämtlicher
positiver und negativer Lebensereignisse, die Veränderungen der Stimmung und ggf.
85
des Selbstwertes vom Kindesalter bis zur Adoleszenz zu rekonstruieren. Zur
Exploration und Aufarbeitung negativer Ereignisse hat sich beispielsweise auch der
Einsatz von Bildkarten zur Biografiearbeit (Klingenberger 2012), Inspirationskarten für
Jugendliche (Gabriel 2012) oder der Lebenskarten von Barbara Völkner (Bezugsquelle
Lebenskarten GmbH, Halle) bewährt. Die Lebenskarten können zusätzlich dazu
genutzt werden, persönliche, positive Affirmationen zu verankern. Insbesondere
Mädchen haben oft Freude daran, eigene positive Leitsätze zu entwickeln (z.B. „Ich
bin gut, so wie ich bin“) und persönliche „Lebenskarten“ zu gestalten.
Liegen viele belastende Ereignisse vor, von denen der Jugendliche sich nicht
ausreichend emotional und kognitiv (z.B. aufgrund kognitiver Rumination) distanzieren
kann, ist mitunter der Einsatz traumatherapeutischer Distanzierungstechniken (vgl.
Reddemann 2007) notwendig. Bei Vorliegen einer Traumatisierung resp. einer
Traumafolgestörung sollten spezifische traumatherapeutische Interventionen in
Erwägung gezogen werden, die jedoch nicht Bestandteil des Behandlungsprogramms
SELBST sind. Die Wirksamkeit von EMDR („Eye Movement Desensitization and
Reprocessing“) ist mittlerweile nicht nur für das Erwachsenenalter, sondern auch für
das Kindes- und Jugendalter, gut belegt (Adler-Tapia & Settle 2009a). Auch für die
„trauma-fokussierte kognitiv-behaviorale Therapie“ (TF-KBT) (Cohen, Mannarino,
Deblinger 2009) weisen die Befunde mehrerer randomisierter Kontrollstudien auf die
Wirksamkeit gegenüber anderen Therapieformen, wie z.B. der supportiven oder
klienten-zentrierten Therapie (Cohen, Deblinger, Mannarino & Steer 2004; Cohen,
Mannarino & Iyengar 2011) und gegenüber einer Wartelistebedingung hin
(Scheeringa, Weems Cohen, Amaya-Jackson & Guthrie 2011).
Nachdem typische, dysfunktionale Kognitionen des Jugendlichen herausgearbeitet
wurden und der Jugendliche deren negative Wirkung auf die Stimmung besser
nachvollziehen kann, besteht der wesentliche Teil der therapeutischen Arbeit in
Baustein 3 darin, dysfunktionale Grundannahmen und negativ verzerrte situative
Bewertungen zu korrigieren (S32). Der Jugendliche lernt, seine Gedanken auf ihren
„Realitätsgehalt“ zu prüfen und durch möglichst realistische, positive Kognitionen zu
ersetzen. Der Therapeut sollte sich ausreichend Zeit für die Korrektur dysfunktionaler
sozialer Informationsprozesse des Jugendlichen nehmen, vor allem wenn eine
situationsübergreifende feindselige Wahrnehmung der Umwelt oder eine übermäßige
86
Selbstwahrnehmung als Opfer das klinische Bild prägen. Besteht die Problematik des
Jugendlichen hingegen darin, dass Misserfolge auffallend häufig auf internale, stabile
Ursachen zurückgeführt werden (z.B. „Ich bin immer schuld für alles“) und Erfolge
umgekehrt meist nicht den eigenen Fähigkeiten zugeschrieben werden (z.B. „Die gute
Note in Englisch ist Zufall“), sollte der Jugendliche für diese ungünstigen
Kausalattributionen sensibilisiert werden (S24). Therapeutisch werden die als
ungünstig identifizierten Attributionsmuster korrigiert, mit dem Ziel, dass der Patient
lernt, Erfolge auf persönliche Anstrengungen und individuelle Fähigkeiten zu
attribuieren und Misserfolge nicht auf persönliche Inkompetenz zurückzuführen.
Elternzentrierte Interventionen:
Den Eltern wird in diesem Baustein zunächst erläutert, dass eine negativ verzerrte
Interpretation der eigenen Person, der Umwelt und der Zukunft Stimmungsprobleme
begünstigt (kognitive Triade sensu Beck) und zur Aufrechterhaltung einer bestehenden
affektiven Erkrankung beitragen kann (S25). Dabei sollte den Eltern auch vermittelt
werden, dass insbesondere die Abwertung des Jugendlichen durch den Jugendlichen
selbst (im Sinne permanenter Selbstkritik) oder durch Andere (z.B. ständige kritische
Kommentare seitens der Eltern), zur Entwicklung einer Selbstwertstörung beiträgt bzw.
diese aufrechterhält. Mit den Eltern wird erarbeitet, wie sie ihr Kind bei der Korrektur
negativer Gedanken unterstützen können, beispielsweise indem sie eine positive,
optimistische
Grundhaltung
vertreten
und
Misserfolge
und
Niederschläge
angemessen meistern. Mit den Eltern werden auch mögliche dysfunktionale
Kognitionen
auf
Elternebene
thematisiert
und
konkrete
Interventionen
zur
Veränderung dysfunktionaler Kognitionen erarbeitet. Häufig berichten Eltern, dass sie
übermäßig besorgt sind um ihr Kind und befürchten, dass es „auf die schiefe Bahn
geraten könnte.“ Diese Sorgen werden ausführlich gemeinsam mit den Eltern erörtert.
Besteht tatsächlich ein konkreter Anlass für die elterlichen Sorgen, werden diese
Faktoren therapeutisch mit dem Jugendlichen bearbeitet. Liegen den Denkmustern der
Eltern hingegen eher Denkfehler, wie Katastrophengedanken oder übertriebene
Verantwortungsübernahme zugrunde, sollte an der Korrektur der inadäquaten
Denkmuster der Eltern gearbeitet werden. In diesem Kontext werden auch die
übergeordneten Ängste und Metakognitionen der Eltern (z.B. „Mein Kind schafft nichts
ohne meine Unterstützung“) berücksichtigt und nachhaltig therapeutisch bearbeitet.
87
Anzahl der Sitzungen:
Es sollten mindestens acht Sitzungen für die Durchführung dieses Bausteins
eingeplant werden. Dominieren negative Kognitionen oder neigt der Patient in einer
ausgeprägten Weise zu Selbstzweifeln, Selbstkritik, Selbstvorwürfen und Grübeleien,
müssen unter Umständen deutlich mehr als acht Sitzungen eingeplant werden.
Insbesondere bei Vorliegen vieler biografischer Belastungsfaktoren sollte dem
Jugendlichen hinreichend Zeit eingeräumt werden, chronifizierte Denkmuster zu
verändern.
Therapie-Hausaufgaben – „Jobs der Woche“:
Zur Vorbereitung der kognitiven Umstrukturierung sollte der Jugendliche die
Arbeitsblätter
„Stimmungskiller“
und
„Stimmungspusher“
als
Hausaufgabe
vervollständigen, damit möglichst viele, für den Jugendlichen typische Gedanken
gesammelt werden, die aus subjektiver Sicht entweder eine positive oder eine negative
Wirkung auf die Stimmung haben. Eine daran anschließende Hausaufgabe in den
darauffolgenden Wochen ist, das Auftreten negativer Gedanken täglich zu
dokumentieren und diese im nächsten Schritt systematisch als Therapiehausaufgabe
zu korrigieren.
Wie bereits im Abschnitt zum Ablauf der Therapiesitzungen erläutert worden ist,
erscheint es wichtig, zunächst typische Situationen, die Stimmungseinbrüche
evozieren, herauszuarbeiten und die damit einhergehenden dysfunktionalen
Kognitionen zu erfassen. Als Therapie-Hausaufgabe erhält der Jugendliche den „Job
der Woche“, täglich seine Stimmung, mögliche situative Auslöser und damit assoziierte
Kognitionen auf dem Arbeitsblatt „Stimmungsbarometer“ zu dokumentieren.
Zur Unterstützung der kritischen Auseinandersetzung mit den eigenen negativen
Gedanken bietet sich ergänzend als Hausaufgabe an, im häuslichen Umfeld
Verhaltensexperimente durchzuführen. So könnte die Überprüfung der Kognition
„Immer geht alles schief“ beispielsweise dadurch erfolgen, dass der Jugendliche
positive und negative Ereignisse im Wochenverlauf aufschreibt und gemeinsam mit
dem Therapeuten den prozentualen Anteil „schief gegangener Situationen“ vs. „nicht
schief gegangener Situationen“ ermittelt und in Relation zueinander setzt. Eine
alternative Hausaufgabe könnte darin bestehen, für typische, wiederkehrende,
negative Kognitionen (z.B. „Niemand mag mich“) einen „Realitäts-Check“, unter
Zuhilfenahme des Arbeitsblattes S31, durchzuführen. Der Jugendliche erhält dabei die
88
Aufgabe, zunächst auf einer Skala von 0 bis 100 % einzuschätzen, wie realistisch der
Gedanke „Niemand mag mich“ ist. Im zweiten Schritt soll der Jugendliche „Beweise“
für resp. gegen die „Richtigkeit“ des Gedankens suchen. Im letzten Schritt trainiert der
Jugendliche, unrealistische Gedanken durch möglichst realistische zu ersetzen. Zur
Stabilisierung der Effekte der kognitiven Umstrukturierung kann zusätzlich auch das
Arbeitsblatt „Negative Gedanken durch positive Gedanken ersetzen“ (S32) als „Job
der Woche“ eingesetzt werden.
Da in Baustein 3 auch funktionale und dysfunktionale Kognitionen der Eltern exploriert
und ggf. korrigiert werden, besteht eine elterliche Hausaufgabe darin, die Checkliste
„Stimmungskiller“ und „Stimmungspusher“ für Eltern auszufüllen. Mit den Eltern kann
ebenfalls herausgearbeitet werden, ob ihrem Denken viele Denkfallen zugrunde
liegen. Anhand des Arbeitsblattes „Denkfallen“ können die Eltern dabei als
Therapiehausaufgabe prüfen, ob, und wenn ja, welche Denkfallen bei ihnen
dominieren. In der Therapiestunde könnte dann vertiefend analysiert werden, ob sich
die Denkfallen der beiden Elternteile grundsätzlich unterscheiden und welche
Unterschiede es zwischen den elterlichen dysfunktionalen Gedanken im Vergleich zu
denen des Jugendlichen gibt. Exemplarisch können auch die Eltern zu Hause üben,
negativ verzerrte Gedanken durch positive Gedanken zu ersetzen.
Mögliche Schwierigkeiten bei der Durchführung des Therapiebausteins
Die Bearbeitung dysfunktionaler Kognitionen stellt für eine Vielzahl psychischer
Störungen ab der frühen Adoleszenz eine wichtige und zugleich effektive Intervention
im Rahmen des kognitiv-behavioralen Behandlungsansatzes dar (Sagar 2015). Einige
Jugendliche haben jedoch Schwierigkeiten, auf Anhieb den Zusammenhang zwischen
Gedanken, Gefühlen und Verhalten nachzuvollziehen. Manchen Jugendlichen fällt es
auch schwer, ihre persönlichen, negativ verzerrten Kognitionen zu identifizieren. In
diesem Fall können Gedankenprotokolle oder Stimmungstagebücher hilfreich sein, die
der Patient täglich als Therapiehausaufgabe ausfüllt. Neben wichtigen Ereignissen des
Tages soll der Jugendliche auch die vorherrschenden Gefühle und nach Möglichkeit
einen dominierenden Gedanken des Tages aufschreiben. Sofern der Patient mit dieser
Aufgabe überfordert ist, kann der Therapeut anhand der Tagebucheintragungen mit
dem Jugendlichen versuchen zu rekonstruieren, welche Gedanken an den einzelnen
Tagen hypothetisch dominiert haben könnten.
89
Der Therapeut sollte des Weiteren berücksichtigen, dass es vielen Jugendlichen
schwer fällt, ihre negativen Kognitionen durch positive, realistische Alternativgedanken
zu ersetzen. Dabei liegt die Herausforderung maßgeblich darin, einen geeigneten
Gedanken zu formulieren, der dem Denken und dem Sprachgebrauch des
Jugendlichen entspricht. Der Therapeut sollte dem Jugendlichen daher ausreichend
Raum dafür geben und ihm dabei helfen, selbständig einen adäquaten Gedanken zu
formulieren. Sollte der Jugendliche nicht alleine in der Lage dazu sein, einen positiven,
funktionalen Gedanken zu entwickeln, kann der Therapeut exemplarisch einen
passenden Gedanken formulieren. Der Therapeut sollte in diesem Kontext beachten,
dass sich dysfunktionale Kognitionen auch im Jugendalter nur langsam verändern
lassen. Deshalb ist es wichtig, dem Jugendlichen genug Zeit und Raum für
Veränderungen der Denkmuster zu lassen. Es ist auch denkbar, dass die Analyse
dysfunktionaler
Kognitionen
des
Jugendlichen,
aufgrund
der
biografischen
Vorgeschichte, und der evtl. daraus resultierenden Belastungen, starke negative
Emotionen auslöst. Das wiederum verringert gelegentlich die Compliance des
Jugendlichen, an der Korrektur dysfunktionaler Kognitionen mit dem Therapeuten zu
arbeiten. Der Therapeut sollte in diesem Fall in Erwägung ziehen, zunächst die
biografischen Auslöser und subjektiven Belastungen des Jugendlichen und ggf. des
primären Bezugssystems zu bearbeiten. Die Interventionen, die der Veränderung
ungünstiger Kognitionen dienen, können dann zu einem späteren Zeitpunkt erneut
aufgegriffen werden.
Auch auf Elternebene ist in Einzelfällen damit zu rechnen, dass es nicht gelingt,
elterliche dysfunktionale Kognitionen resp. Denkfallen zu erkennen oder Eltern es nicht
schaffen, positive Gedanken in ihren Alltag zu implementieren. Hilfreich ist in solchen
Situationen, zunächst zu entpathologisieren, indem man den Eltern beispielsweise
vermittelt, dass viele Menschen dysfunktionale Denkmuster haben, und dass
insbesondere unrealistische Befürchtungen in Bezug auf die schulische oder soziale
Entwicklung des Kindes vielen Eltern Sorge bereitet. Häufig fällt es den Eltern leichter,
zunächst ganz allgemein über ihre Befürchtungen zu sprechen und sich erst im
nächsten Schritt damit auseinanderzusetzen, ob ihre Befürchtungen realistisch oder
unrealistisch sind.
90
4.1.4 Baustein 4: Verbesserung der Impulskontrolle und Affektregulation
Indikation:
Der Therapiebaustein 4 ist indiziert, wenn der Jugendliche Schwierigkeiten im Bereich
der Emotionsdifferenzierung und Affektregulation vorweist, d.h. Defizite in der
Wahrnehmung und konkreten Benennung von Gefühlen und der angemessenen
Modulation emotionaler Zustände hat. Der Baustein findet zudem Anwendung, wenn
eine gestörte Impulskontrolle und eine mangelnde Antizipation möglicher Folgen von
Impulsausbrüchen Teil der Symptomatik des Jugendlichen darstellen.
Inhalt und Ziele des Therapiebausteins:
Da viele Jugendliche Probleme mit dem Erkennen und konkreten Benennen von
Emotionen haben, lernen die Jugendlichen zunächst Gefühle präzise zu benennen
und voneinander abzugrenzen sowie die dazugehörige Mimik und Gestik zu erkennen.
Beispielhaft
werden
Situationen
analysiert,
die
beim
Jugendlichen
in
der
Vergangenheit starke positive oder negative Affekte ausgelöst haben. Ausgehend von
einem emotionsaktivierenden Ereignis werden die dazugehörigen Kognitionen,
Emotionen und daraus resultierenden Verhaltensweisen und deren Konsequenzen
herausgearbeitet. Körperliche Warnsignale, die typischerweise dem impulsiven
Verhalten vorausgehen, sollen frühzeitig identifiziert werden und impulsives Verhalten
durch situationsangemessene Selbstinstruktionen, die dem Abstoppen des ersten (oft
unüberlegten) Handlungsimpulses dienen, reduziert werden. Ergänzend erlernen die
Jugendlichen die Methode der kognitiven Neubewertung von Situationen.
Therapie-Materialien:
S33 Infoblatt Eltern Impulskontrolle und Affektregulation
S34 Gefühle unterscheiden lernen
S35 Gefühle an der Mimik erkennen
S36 Gefühlswelle
S37 Räume Dein Gefühlschaos auf
S38 Wutprotokoll
S39 Wutthermometer
S40 Wut: Der Realitäts-Check
S41 Stress-Tagebuch
91
Ablauf der Sitzungen:
Jugendlichenzentrierte Interventionen:
Als Einführung in den Therapiebaustein werden zunächst, in Form eines
Brainstormings, möglichst viele Gefühle benannt und eine „Gefühlslandkarte“ erstellt.
Der Jugendliche beschreibt zu jedem Gefühl auf der Liste, ob er es kennt, was man
unter dem Gefühl versteht und in welchen Situationen dieses Gefühl typischerweise
auftreten könnte. Idealerweise beschreibt der Jugendliche auch exemplarisch, in
welchen Situationen er das Gefühl schon einmal erlebt hat. Der Jugendliche wird bei
Bedarf dabei unterstützt, Emotionen adäquat zu benennen und verschiedene
Gefühlsqualitäten zu differenzieren (S34). Im nächsten Schritt lernt der Jugendliche
Gefühle an der Mimik oder Gestik zu erkennen. Hierzu können entweder Comicbilder
mit verschiedenen Gesichtsausdrücken (z.B. S35), Fotos oder Gesichter aus
Zeitschriften herangezogen werden. Denkbar ist auch das pantomimische Darstellen
von Emotionen, z.B. in Form eines Ratespiels. Eine für Jugendliche sehr
ansprechende Alternative sind sogenannte „Emotionskarten“, die in verschiedenen
Formaten für unterschiedliche Altersgruppen, vom Kindergartenalter bis zur
Adoleszenz, im Fachhandel erhältlich sind. Für das Jugendalter eignet sich
beispielsweise der Einsatz von „Bildimpulse maxi: Emotionen“ (Heragon 2010),
„Gemischte Gefühle, die Welt der Gefühle in 42 Karten“ (Follenius 2014) oder auch
der Gefühlskarten „Wie geht es Dir?“ von Hanna Hardeland.
Zur vertiefendenden Arbeit in Bezug auf das Erkennen von Emotionen und die
Regulation von Affekten können die Arbeitsblätter S36 und S37 eingesetzt werden, die
sich im Wesentlichen mit der Analyse emotionsaktivierender Situationen, der
konkreten Beschreibung des „getriggerten“ Gefühls und damit assoziierter Kognitionen
beschäftigen. Ziel ist es, eine situationsangemessene emotionale Reaktion auf
Ereignisse zu entwickeln sowie eine adäquate Verhaltensreaktion zu trainieren. Die
Arbeitsblätter S36 und S37 eignen sich auch gut in der therapeutischen Arbeit mit
Patienten, die sich selbst verletzen.
Neben der Förderung der angemessenen Emotionsregulation, besteht ein weiterer
Schwerpunkt des Bausteins 4 im Training der Impulskontrolle. Zunächst werden mit
dem Jugendlichen Situationen und dadurch hervorgerufene Kognitionen resp.
Emotionen herausgearbeitet, die typischerweise zu einem Verlust der Impulskontrolle
beim Jugendlichen führen. Typische Situationen, die in diesem Kontext genannt
92
werden, sind Situationen, wie Konflikte mit Peers oder Eltern, Beleidigungen,
ungerechte Behandlung durch eine wichtige Bezugsperson oder Situationen, die mit
einem Misserfolg assoziiert sind. Nachdem die individuellen „kritischen Situationen“
des Jugendlichen herausgearbeitet wurden, lernt der Jugendliche, körperliche und
emotionale Warnsignale (z.B. Herzrasen, Zittern, aufsteigende Wut), die einem
Kontrollverlust vorausgehen, frühzeitig zu erkennen und voreilige Handlungen
abzustoppen. Zur Analyse der konkreten Auslöser von Wut und Ärger kann ergänzend
das „Wutprotokoll“ (S38) eingesetzt werden. Zur Visualisierung resp. Skalierung der
Ausprägung der emotionalen Erregung kann außerdem das „Wut-Thermometer“ (S39)
herangezogen werden. Manchmal ist es auch sinnvoll, andere Emotionen hinsichtlich
ihrer Intensität zu skalieren. Ist beispielsweise eine subjektiv empfundene Kränkung
die Ursache für einen wütenden Impulsausbruch, ist es ratsam, das ausgelöste Gefühl
der Kränkung hinsichtlich der Ausprägung einzuschätzen. Therapeutisch sollten im
weiteren Verlauf auch potentielle Ursachen für die leichte Kränkbarkeit eruiert werden.
Liegt den impulsiven Wutausbrüchen eine verzerrte situative Wahrnehmung von
Konfliktsituationen zugrunde, sollte vor dem Impulskontrolltraining eine realistische
und faire Situationsbewertung trainiert werden und Möglichkeiten zu einer
angemessenen (aggressionsinkompatiblen) Reaktion auf Konflikte erarbeitet werden
(S40). Hilfreich ist auch das Etablieren eines „Anti-Wut-Gedankens“, der, im Sinne
einer positiven Selbstinstruktion (z.B. „Ich bleibe ruhig“ oder „Ich lasse mich nicht
provozieren“), zur Reduktion der initial bestehenden Wut und zur Abmilderung der
impulsiven Handlungsbereitschaft beitragen soll. Durch Rollenspiele und Übungen im
realen Umfeld des Jugendlichen wird abschließend trainiert, die impulsive
Reaktionskette zu unterbrechen und sozial angemessen auf wutauslösende
Situationen zu reagieren.
In Ergänzung zu den bereits erläuterten Interventionen „Emotionsregulation“ und
„Impulskontrolle“ beinhaltet der Baustein 4 auch Strategien zur Reduktion des
subjektiven Stresserlebens des Jugendlichen (S41). Primär soll der Jugendliche
erarbeiten, welche individuellen Faktoren stresserhöhend wirken und wie diese
minimiert werden können. Die verschiedenen Stressoren können beispielsweise in
Form eines individuellen „Stressmodells“ visualisiert werden. Durch farbliche
Markierungen kann kenntlich gemacht werden, ob es sich beispielsweise um einen
93
schulischen, familiären oder freizeitbezogenen Stressor handelt. Häufig nennen
Jugendliche als Ursache für erlebten Stress, anstehende Klassenarbeiten, viele
Hausaufgaben, schulischen Leistungsdruck oder Termindruck aufgrund zu vieler
Freizeitbeschäftigungen. Ein Stresstagebuch kann dazu genutzt werden, Tage zu
identifizieren, die als besonders stressreich erlebt werden. Das Praktizieren eines
angemessenen Zeitmanagements und das Herstellen einer Balance zwischen
Leistungs- und Ruhe-Phasen, werden vertiefend mit dem Jugendlichen geübt. Auch
der Einsatz von Entspannungsverfahren kann eine sinnvolle, ergänzende Strategie zur
Stressreduktion darstellen. Falls der Jugendliche primär schulischen Leistungsdruck
und „Schulstress“ erlebt, sollten die antezedenten Bedingungen, wie überhöhte
Leistungsansprüche, falsche schulische Platzierung oder ineffektive Lernstrategien
eruiert und ggf. therapeutisch verändert werden. Zur Vertiefung können Interventionen
aus dem Modul „Leistungsprobleme“ des Behandlungsprogramms SELBST (Walter
2009) eigesetzt werden. Im Falle einer realen kognitiven Überforderung sollte mit den
Eltern, dem Jugendlichen und dem Klassenlehrer ggf. eine schulische Umplatzierung
erörtert werden.
Elternzentrierte Interventionen:
Die Psychoedukation zielt vor allem darauf ab, den Eltern zu verdeutlichen, dass
impulsivem und aggressivem Verhalten häufig eine Fehlinterpretation von Situationen
zugrunde liegt. Mit den Eltern wird in diesem Kontext auch erarbeitet, dass impulsives
Verhalten u. a. durch die Verhinderung bzw. Verzögerung des ersten (oft impulsivunüberlegten) Handlungsimpulses einerseits oder durch die Neubewertung der
zugrundeliegenden Konfliktsituation andererseits reduziert werden kann. Die Eltern
können ihr Kind bei Bedarf dabei unterstützen, nicht dem ersten Handlungsimpuls
nachzugeben, sondern sich zunächst zu beruhigen. Die Eltern sollten versuchen,
Ruhe zu bewahren und zur Deeskalation der Situation beizutragen, sofern das
impulsive Verhalten primär im familiären Kontext auftritt. Sofern die Eltern ebenfalls
Defizite im Bereich der Impulskontrolle und Affektmodulation vorweisen, wird
empfohlen, gemeinsam mit der gesamten Familie Deeskalationsstrategien zu
erarbeiten. Des Weiteren kann mit den Eltern thematisiert werden, welche
Stressfaktoren auf Elternebene vorliegen und ob familiäre Belastungsfaktoren im
Zusammenhang mit dem Stresserleben des Jugendlichen stehen. Sofern familiäre
94
Stressfaktoren die Symptomatik des Jugendlichen mit aufrechterhalten, werden diese
nach Möglichkeit im Kontext der Elternarbeit bearbeitet.
Anzahl der Sitzungen:
In der Regel sollten etwa sechs bis acht Sitzungen für diesen Baustein vom
Therapeuten eingeplant werden. Steht eine manifeste Störung der Impulskontrolle und
Affektregulation, beispielsweise im Sinne einer beginnenden emotional instabilen
Persönlichkeitsstörung vom impulsiven Typ oder eine ausgeprägte Störung des
Sozialverhaltens mit impulsiv-aggressivem Verhalten im Vordergrund, werden
mitunter deutlich mehr als sechs bis acht Sitzungen benötigt. Bei beginnenden
Persönlichkeitsstörungen vom Borderline-Typus sollten unbedingt auch alternative
kognitiv-behaviorale
Verfahren,
wie
beispielsweise
die
„DBT-A:
Dialektisch-
behaviorale Therapie für Jugendliche“ (Fleischhaker, Sixt, Schulz, 2011) oder bei
älteren Jugendlichen das „Interaktive Skills-Training für Borderline-Patienten“ (Bohus
& Wolf, 2011) in Erwägung gezogen werden, da das Therapieprogramm SELBST nicht
hinreichend geeignet ist zur Behandlung einer manifesten emotional-instabilen
Persönlichkeitsstörung.
Therapie-Hausaufgaben – „Jobs der Woche“:
Jugendlicher:
Wie bereits erläutert, bilden die differenzierte Wahrnehmung von Emotionen und
auslösender Bedingungen für negative Affekte die Basis für das Training der
Emotionsregulation. Als ergänzende Therapie-Hausaufgabe kann für einige Wochen
ein „Wutprotokoll“ vom Jugendlichen geführt werden. Zur Visualisierung der
Wutausprägung könnte eine Therapie-Hausaufgabe auch darin bestehen, täglich das
Ausmaß der subjektiv erlebten Wut auf dem „Wutthermometer“ zu skalieren. Um
individuelle Auslöser für Wutausbrüche besser nachvollziehen zu können, ist es
sinnvoll,
in
Form
einer
Therapie-Hausaufgabe
regelmäßig
Auslöser
für
Impulsausbrüche zu dokumentieren.
Es ist zudem unabdingbar, die realistische Einschätzung von Situationen zu trainieren
und die Technik der Neubewertung von Wut auslösenden Situationen im Alltag des
Jugendlichen zu üben und damit im realen Lebensumfeld zu verankern. Wichtig ist
ebenso,
dass
der
Jugendliche
zu
Hause
regelmäßig
übt,
inadäquate
Handlungsimpulse frühzeitig abzustoppen und durch adäquate Verhaltensweisen zu
95
ersetzen. In diesem Kontext erhält der Jugendliche auch die Hausaufgabe,
Selbstinstruktionen, wie z.B. „Ich ritze mich nicht, wenn ich frustriert bin“ oder „Ich lasse
mich nicht provozieren“ bei drohendem Verlust der Impulskontrolle anzuwenden.
Zur Reduktion des Stresserlebens kann der Jugendliche als Hausaufgabe zunächst
ein Stresstagebuch führen, um mögliche Stressoren, die das allgemeine Wohlbefinden
beeinträchtigen, zu identifizieren. Ein weiterer „Job der Woche“ könnte darin bestehen,
einen Wochenplan zu führen, der alle wichtigen Termine und Verpflichtungen
beinhaltet. Die Hausaufgabe könnte im weiteren Verlauf dahingehend erweitert
werden, Termine vorausschauend zu planen (z.B. frühzeitiges Einplanen von
Lernzeiten vor Klassenarbeiten) und anstehende Termine sinnvoll über die Woche
hinweg zu verteilen, um eine Terminkumulation an bestimmten Tagen zu verhindern.
Sofern
die
Bereitschaft
zur
Anwendung
von
Entspannungsverfahren
beim
Jugendlichen besteht, könnte eine Therapie-Hausaufgabe auch darin bestehen, jeden
Abend ein zuvor eingeübtes Verfahren, wie die progressive Muskelrelaxation, zu
praktizieren. Auch der Einsatz von Handy-Apps zur Entspannung ist sinnvoll.
Eltern:
Wenn das familiäre Leben geprägt ist von vielen Konflikten und das impulsive
Verhalten
des
Jugendlichen
begünstigt
wird
durch
unangemessene
Verhaltensreaktionen der Eltern (z.B. aggressive Beschuldigungen und Vorwürfe,
Androhen von harschen Strafen), üben die Eltern in Form einer TherapieHausaufgabe, bei Konflikten möglichst ruhig und sachlich zu reagieren und Konflikte
nicht weiter anzuheizen. Berichten die Eltern, im häuslichen oder beruflichen Umfeld
viel Stress zu erleben, können die oben beschriebenen Interventionen zur
Stressreduktion (Wochenplan…etc.) auch im Alltag der Eltern etabliert werden.
Mögliche Schwierigkeiten bei der Durchführung des Therapiebausteins
Die größte Herausforderung bei der Durchführung des Therapiebausteins 4 besteht
darin, eine angemessene Impulskontrolle zu etablieren. Dies liegt zum einen daran,
dass impulsive Verhaltensreaktionen in der Regel hoch automatisiert ablaufen. Vielen
Jugendlichen fällt es folglich schwer, unter Wut und Anspannung die erlernten
Techniken zur Verbesserung der Impulskontrolle anzuwenden. Es erfordert
zweifelsohne viel Geduld und Training seitens des Jugendlichen, maladaptives
96
Verhalten
abzustoppen
und
alternative,
angemessene
Verhaltensweisen
anzuwenden. Manchen Jugendlichen gelingt es zudem nur mit viel Übung, körperliche
Warnsignale, die einem Impulskontrollverlust vorausgehen, frühzeitig zu erkennen. Die
verzögerte oder fehlende Wahrnehmung internaler emotionaler und körperlicher
Prozesse
wiederum
erschwert
das
frühzeitige
Abstoppen
unangemessener
Verhaltensreaktionen. Eine ungünstige Konstellation ist auch gegeben, wenn nicht nur
der Jugendliche zu aggressiv-impulsivem Verhalten neigt, sondern auch die Eltern.
Die Eltern stellen in diesem Fall ein ungünstiges Rollenvorbild für den Jugendlichen
dar, was wiederum - im lerntheoretischen Sinne - das Erlernen alternativer
Verhaltensweisen erschwert.
Ein weiteres Problem ergibt sich, wenn die identifizierten individuellen Stressoren des
Jugendlichen oder die familiären Stressoren sich nicht ausreichend im Verlauf der
Therapie reduzieren lassen. Dies kann die Bereitschaft zur Mitarbeit, sowohl auf Seiten
des Jugendlichen, als auch auf Seiten der Eltern, nachhaltig beeinträchtigen und zu
einem vorzeitigen Therapieabbruch führen (z.B. infolge erschöpfter familiärer
Ressourcen). Deshalb sollte der Therapeut, so früh wie möglich potentielle
Belastungen der Familie bearbeiten und die familiären Ressourcen, nach Möglichkeit,
bereits in der Anfangsphase der Therapie stärken. In einigen Fällen kann es sinnvoll
sein, elterliche Belastungen zu reduzieren, indem Aufgaben und Verpflichtungen der
Eltern beispielsweise an die Großeltern oder andere Bezugspersonen delegiert
werden (z.B. Hausaufgabenbetreuung durch Großeltern, Nachhilfe durch älteren
Mitschüler).
4.1.5 Baustein 5: Steigerung der Problemlösefähigkeiten
Indikation:
Viele
Jugendliche
einhergehend
mit
haben,
zum
einer
hohen
Teil
bedingt
durch
Misserfolgserfahrungen,
Misserfolgserwartungen
und
mangelndem
Kompetenzvertrauen, Schwierigkeiten ihre Probleme selbständig zu lösen und
geeignete Strategien zur Bewältigung von persönlichen Schwierigkeiten zu entwickeln.
Das „Problemlöse-Training“ ist indiziert, wenn der Jugendliche in alltäglichen
Situationen nicht über zielführende Problemlösestrategien verfügt. Da es sich hierbei
um ein universelles Problemlösetraining handelt, kann es problemübergreifend,
beispielsweise bei familiären Auseinandersetzungen, bei Problemen mit Peers oder
Konflikten im schulischen Bereich, eingesetzt werden.
97
Inhalt und Ziele des Therapiebausteins:
Der Jugendliche wird, nach der Exploration relevanter individueller Problembereiche,
gefolgt von einer detaillierten Problembeschreibung, darin angeleitet, für die
definierten Probleme möglichst viele verschiedene (Teil-)Lösungen zu generieren.
Diese sollen im nächsten Schritt hinsichtlich deren Realisierbarkeit beurteilt werden.
Auch die Antizipation möglicher Schwierigkeiten (Barrieren) bei der Umsetzung der
erarbeiteten Problemlösungen bildet einen Aspekt des Trainings. Des Weiteren stellen
kognitiv-motivationale Aspekte, die für eine angemessene Problemlösung relevant
sind, wie die Förderung einer ausreichend hohen Kompetenzeinschätzung und die
Stärkung der Erfolgserwartung, wichtige Inhalte des Trainings dar. Nach Abwägung
der Vor- und Nachteile der unterschiedlichen Lösungsansätze und der Auswahl einer
angemessenen Problemlösestrategie, übt der Jugendliche, die ausgewählte Strategie
präzise in Bezug auf ihre Umsetzung zu planen. Im letzten Schritt folgt dann die
konkrete Umsetzung. Ziel des Therapiebausteins ist, die Copingstrategien des
Jugendlichen im Allgemeinen, und die Fähigkeit zum aktiven, lösungsorientierten
Handeln im Spezifischen, zu erweitern. Weitere Ziele, die verfolgt werden, stellen die
Stärkung der subjektiven Kompetenzwahrnehmung des Jugendlichen und die
Förderung
aktiver
Problembewältigungsmuster
dar,
die
zu
einer
besseren
Alltagsbewältigung beitragen sollen.
Therapie-Materialien:
S42 Infoblatt Eltern Problemlösefertigkeiten
S43 Problemlöse-Training
S44 Übungsbeispiele Problemlöse-Training
Ablauf des Therapiebausteins:
Jugendlichenzentrierte Interventionen:
Einleitend werden – Bezug nehmend auf die zu Beginn der Therapie explorierten
Hauptproblembereiche – relevante, aktuelle Probleme des Jugendlichen thematisiert
und zunächst ein Problem benannt, das im Rahmen des Problemlöse-Trainings
exemplarisch bearbeitet werden soll. Der Therapeut sollte darauf achten, dass im
ersten Schritt ein Problem ausgewählt wird, welches mit Unterstützung des
98
Therapeuten gut zu lösen ist. Zur Verdeutlichung der einzelnen Problemlöseschritte
eignet sich am besten ein Problem, das nicht allzu viel Belastung, aber hinreichend
Leidensdruck beim Jugendlichen verursacht. Wird ein Problemen ausgewählt, welches
keinen Leidensdruck beim Jugendlichen auslöst, ist zu erwarten, dass die
Problemlösebereitschaft und ggf. die Änderungsmotivation nicht ausreichend hoch
sind. Umgekehrt sollte auch darauf geachtet werden, den Jugendlichen, z. B. durch
die Wahl eines zu komplexen Problems, nicht zu überfordern oder durch
fehlgeschlagene Lösungsversuche zu demoralisieren.
Nachdem ein geeignetes Problem ausgewählt wurde, welches der Jugendliche
bewältigen möchte, werden theoretisch, unter Zuhilfenahme des Arbeitsblattes S43,
die
einzelnen
Schritte
des
Problemlöseansatzes
erläutert.
Zur
besseren
Verdeutlichung können anhand eines fiktiven Problems die aufeinanderfolgenden
Lösungsschritte in der Therapiestunde durchgespielt werden. Wenn der Jugendliche
die einzelnen Schritte des Problemlöse-Trainings verstanden hat, wird der
Problemlöseansatz auf das zuvor definierte Problem angewendet. Dabei soll der
Jugendliche zunächst detailliert das Problem (z.B. häufiges Zuspätkommen in der
Schule) und die damit zusammenhängenden Nachteile (z.B. Verpassen von
Schulstoff, Klassenbucheintrag, Konflikte mit Lehrern…) beschreiben und die daraus
potentiell resultierenden mittelfristigen, negativen Konsequenzen (z.B. substantielle
Leistungseinbußen, Schulverweis) antizipieren. Im nächsten Schritt ermutigt der
Therapeut
den
Jugendlichen,
in
einem
Brainstorming
möglichst
viele
Lösungsmöglichkeiten für das definierte Problem zu generieren. Dabei fordert der
Therapeut den Jugendlichen explizit auf, möglichst viele kreative Lösungen zu
benennen, ohne zunächst auf deren praktische Realisierbarkeit zu achten. Alle
Lösungsmöglichkeiten werden aufgeschrieben und anschließend in Hinblick auf ihre
Realisierbarkeit beurteilt.
Die drei Lösungsmöglichkeiten, die dem Jugendlichen am besten realisierbar
erscheinen, werden im nächsten Schritt hinsichtlich ihrer Vor- und Nachteile beurteilt.
Anschließend wählt der Jugendliche eine Problemlösestrategie aus, die gut
realisierbar ist und die, entsprechend der Vor- und Nachteilanalyse, die meisten
Vorteile
bietet.
Danach
wird
ausführlich
die
praktische
Umsetzung
der
Problemlösestrategie geplant. Der Jugendliche soll schon bei der Planung der
Lösungsumsetzung potentielle Barrieren berücksichtigen und geeignete Maßnahmen
99
zur Überwindung von Hindernissen einplanen. Besonders wichtig ist in diesem
Kontext, dass der Therapeut nicht nur potentielle Schwierigkeiten in der Umsetzung
der Problemlösestrategie mit dem Jugendlichen bespricht, sondern umgekehrt auch
explizit eine positive Wahrnehmung der persönlichen Kompetenzen des Jugendlichen
fördert. Neben der Stärkung der Selbstwirksamkeitserwartung stellt eine weitere
wichtige therapeutische Intervention dar, die Erfolgserwartung des Jugendlichen zu
stärken und dadurch die Motivation zur Umsetzung der Problemlösestrategie zu
erhöhen.
Im letzten Schritt folgt die praktische Umsetzung der erarbeiteten Problemlösestrategie
im realen Lebenskontext des Jugendlichen. Wenn der Jugendliche unsicher ist, ob er
das Problem alleine lösen kann, sollte gegebenenfalls vor der konkreten
Problemlösung erörtert werden, wer ihm bei der Umsetzung der Lösung behilflich sein
könnte. Nach erfolgter Lösung des Problems beurteilt der Jugendliche mit dem
Therapeuten, wie gut die Problemlösung gelungen ist. Die folgende Therapiestunde
sollte dazu genutzt werden mögliche Optimierungsvorschläge zu erarbeiten. Sofern
die Problemlösung erfolgreich war, findet der Problemlöse-Ansatz bei anderen
definierten Probleme des Jugendlichen Anwendung.
Elternzentrierte Interventionen:
Die Eltern werden über den Zweck und das Ziel des Problemlöse-Trainings aufgeklärt
und erhalten eine kurze Erläuterung der einzelnen Schritte des Problemlösetrainings
(S42). Zur besseren Internalisierung der Strategien des Problemlöseansatzes ist es
ratsam, das Problemlöse-Training exemplarisch auch in Bezug auf familiäre Probleme
anzuwenden.
Anzahl der Sitzungen:
In der Regel werden etwa drei bis vier Sitzungen für die Vermittlung und Erprobung
der Strategien des Problemlöse-Trainings benötigt. Liegen besonders viele Probleme
vor bzw. neigt der Jugendliche in besonderem Maße zur Problemvermeidung oder
Problembagatellisierung, müssen mitunter deutlich mehr Sitzungen für diesen
Baustein veranschlagt werden. Wichtig ist die vertiefende praktische Anwendung
adäquater Problemlöse-Skills im Alltag des Jugendlichen, die idealerweise während
des gesamten Therapiezeitraums erfolgt.
100
Therapie-Hausaufgaben – „Jobs der Woche“:
Jugendlicher:
Die in der Therapiestunde vermittelten Problemlöseschritte sollen vertiefend in Form
einer Therapie-Hausaufgabe im realen Lebensumfeld praktiziert werden. Wichtig ist,
dass das Praktizieren aktiver Problemlösestrategien konkret im Kontext, in dem das
Problem üblicherweise auftritt, erfolgt. Der „Job der Woche“ besteht für den
Jugendlichen folglich in der Umsetzung der erarbeiteten Problemlösung im Alltag. Eine
weitere daran anknüpfende Hausaufgabe könnte darin bestehen, einzuschätzen, wie
erfolgreich die Problemlösung gelungen ist und welche persönlichen Kompetenzen
des Jugendlichen zur Problemlösung beigetragen haben.
Eltern:
Auf familiärer Ebene wäre eine sinnvolle Hausaufgabe, den Problemlöse-Ansatz auf
alltägliche familiäre Probleme anzuwenden. Verschiedene Übungsbeispiele können
dem Arbeitsblatt S44 entnommen werden.
Mögliche Schwierigkeiten bei der Durchführung des Therapiebausteins
Da das Problemlöse-Training leicht zu verstehen ist, werden erfahrungsgemäß nur
wenige Schwierigkeiten bei der Planung der Lösungsschritte erwartet. Eine
Herausforderung
stellt
gelegentlich
jedoch
die
Realisierung
der
einzelnen
Lösungsschritte dar. Die Umsetzung des Problemlöse-Trainings wird umso komplexer,
je
mehr
Personen,
wie
beispielsweise
Eltern
oder
Geschwister,
im
Problemlöseprozess involviert sind. Denkbar ist auch, dass der Jugendliche eventuell
fixiert ist auf eine ungünstige Lösungsstrategie für sein Problem (z.B. passive oder
vermeidende Problemlösung) und daher nur schwer eine aktive Problemlösestrategie
in
Erwägung
ziehen
kann.
Der
Therapeut
sollte
daher
bereits
in
der
Vorbereitungsphase des Trainings darauf achten, dass der Jugendliche, ggf. mit
Unterstützung,
möglichst
viele
aktive
Problembewältigungsstrategien
beim
Brainstorming benennt. Oft ist der Hinweis, dass ausdrücklich auch ausgefallene
Lösungsstrategien erwünscht sind, hilfreich. Denkbar ist auch, dass der Jugendliche
zu Beginn des Trainings ein zu komplexes oder zu schwer zu lösendes
Problemverhalten aussucht. Der Therapeut sollte sich nicht scheuen, den
Jugendlichen auf diesen Sachverhalt hinzuweisen und als Einstiegsübung ein relativ
leicht zu lösendes Problem auswählen, um den Jugendlichen nicht zu frustrieren.
101
Manchmal passiert es, dass das Problem trotz korrekter Anwendung der einzelnen
Problemlöseschritte nicht befriedigend gelöst werden konnte. Ein möglicher Grund für
eine nicht erfolgreiche Problemlösung könnte sein, dass potentielle oder real
bestehende Schwierigkeiten in der Umsetzung der Lösung nicht ausreichend
thematisiert worden sind bzw. dass Barrieren im Vorfeld nicht hinreichend minimiert
werden konnten. Der Therapeut sollte daher bei der Planung der Umsetzung der
Lösungsstrategie ausreichend Zeit für die Diskussion möglicher Schwierigkeiten mit
dem Jugendlichen einplanen und nach Möglichkeit im Vorfeld sämtliche Barrieren aus
dem Weg räumen.
Es ist auch ratsam, in der Therapiestunde detailliert zu erarbeiten, welche zusätzlichen
Hilfen der Jugendliche zur Problemlösung benötigt. Es sollte dabei genau
dokumentiert werden, welche Person dem Jugendlichen, in welcher Art und Weise,
beim Lösen des Problems behilflich sein wird.
4.1.6 Baustein 6: Erweiterung der sozialen Kompetenzen
Indikation:
Der Therapiebaustein 6 findet primär bei Jugendlichen Anwendung, die im sozialen
Kontext unsicher und wenig kompetent auftreten. Typsicherweise handelt es sich
dabei um Jugendliche, die beispielsweise Schwierigkeiten haben, Wünsche oder
Forderungen angemessen durchzusetzen, ihre Bedürfnisse zu artikulieren, sich für
ihre Rechte einzusetzen oder Probleme im adäquaten Umgang mit Kritik haben. Des
Weiteren können die therapeutischen Materialien des Bausteins 6 eingesetzt werden,
wenn der Jugendliche noch nicht über ausreichend entwickelte soziale Fertigkeiten in
Bezug auf die Kontaktaufnahme und Kontaktgestaltung zu Gleichaltrigen verfügt oder
Schwierigkeiten hat, Freundschaften langfristig aufrecht zu erhalten. Der Baustein
eignet sich sowohl im Rahmen der Arbeit mit Jugendlichen, die zu dominantaggressiver Kontaktaufnahme neigen, als auch für Jugendliche, bei denen soziale
Unsicherheit oder soziale Ängstlichkeit im Vordergrund der Symptomatik stehen.
Inhalt und Ziele des Therapiebausteins:
Als Einführung in den Therapiebaustein 6 wird psychoedukativ der Zusammenhang
zwischen selbstsicherer Körpersprache und sozial kompetentem Verhalten erläutert.
102
Ergänzend werden Grundregeln der Gesprächsführung und Kontaktaufnahme zu
Gleichaltrigen eingeführt, die zunächst in Rollenspielen während der Therapiesitzung
eingeübt werden und später in möglichst realitätsnahen Alltagssituationen des
Jugendlichen gefestigt werden müssen. Es empfiehlt sich, die Rollenspiele mit der
Videokamera aufzuzeichnen, um dem Jugendlichen eine detaillierte Rückmeldung
über das gezeigte Verhalten und ggf. Veränderungshinweise geben zu können.
Neben dem Training selbstsicheren Auftretens gegenüber Peers und Erwachsenen
sind auch das Üben und Praktizieren einer altersangemessenen Kontaktgestaltung zu
Gleichaltrigen sowie das Formulieren von Wünschen und Bedürfnissen Bestandteil
des Trainings. Die Förderung einer adäquaten Kritikfähigkeit, im Sinne einer
angemessenen Reaktion auf kritische Äußerungen, bildet einen weiteren Schwerpunkt
des Therapiebausteins 6. Ist das sozial inkompetente Verhalten nicht primär auf
mangelnde Fertigkeiten zurückzuführen, sondern beruht maßgeblich auf sozialer
Ängstlichkeit,
kann
mit
dem
Jugendlichen
ergänzend
ein
graduiertes
Expositionstraining, bezogen auf verschiedene angstauslösende soziale Situationen,
durchgeführt werden. Sind die sozialen Kompetenzdefizite assoziiert mit expansivaggressivem Verhalten, sollte vor der Durchführung des sozialen KompetenzTrainings ein Training der Impulskontrolle und Affektregulation erfolgen. Sowohl bei
aggressiv-impulsiven Jugendlichen, als auch bei ängstlichen und depressiven
Jugendlichen wird die Videoaufzeichnung der Rollenspiele für ein differenziertes
Feedback empfohlen.
Therapie-Materialien:
S45 Infoblatt Jugendlicher Selbstsicheres Auftreten und Unsicherheit
S46 Infoblatt Eltern Förderung sozialer Kompetenzen
S47 Cooles Auftreten – so klappt es
S48 Kontakte knüpfen zu Gleichaltrigen
S49 Selbstsicheres Verhalten in schwierigen Situationen
S50 Protokoll Selbstsicheres Verhalten
S51 Umgang mit Kritik
S52 Wünsche angemessen durchsetzen
103
Ablauf der Sitzungen:
Jugendlichenzentrierte Interventionen:
Einleitend wird im Rahmen der Psychoedukation erläutert, was unter „sozialer
Kompetenz“ und unter „selbstsicherem Verhalten“ verstanden wird und der
Jugendliche wird aufgefordert, Beispiele für selbstsicheres Verhalten zu benennen.
Idealerweise benennt der Jugendliche in diesem Zusammenhang eigene sozial
kompetente Verhaltensweisen oder Eigenschaften anderer Jugendlicher, die eine
selbstsichere Haltung nach Außen spiegeln. Gelingt das dem Jugendlichen nicht, kann
der Therapeut beispielhaft Verhaltensweisen benennen, die auf eine selbstsichere
Haltung eines Jugendlichen schließen lassen, wie beispielsweise die Fähigkeit auf
andere Jugendliche zuzugehen, ein Gespräch anzufangen oder eine andere Meinung
zu vertreten, als die Peergroup. Alternativ kann das Arbeitsblatt S45 genutzt werden,
das
eine
Auflistung
prototypischer
selbstsicherer
und
selbstunsicherer
Verhaltensweisen von Jugendlichen als psychoedukative Gesprächsgrundlage
beinhaltet.
Im Anschluss an die Psychoedukation bietet sich an, Regeln der Gesprächsführung
(Kommunikationsregeln) und der Kontaktaufnahme zu Gleichaltrigen, beispielsweise
unter Zuhilfenahme des Arbeitsblattes S47, einzuführen. Der Jugendliche wird
gebeten, die eingeführten Kommunikationsregeln als Übung in der Therapiestunde
anzuwenden. So könnten die vereinbarten Regeln z.B. lauten, den Therapeuten im
Gespräch häufiger anzuschauen, laut und deutlich zu sprechen, gezielt eine
Nachfrage zu stellen, die zum Gesprächsthema passt etc. Es wird empfohlen, sofern
eine Zustimmung zur Aufzeichnung von Therapiesitzungen vorliegt, einzelne
Therapiesequenzen aufzuzeichnen. Mit dem Jugendlichen kann dann im Nachgang
gemeinsam beurteilt werden, wie gut es ihm gelungen ist, sich im Gespräch an die
vereinbarten Kommunikationsregeln zu halten. Dabei sollte der Therapeut dem
Jugendlichen, wenn nötig, auch geeignete Vorschläge zur Optimierung seines
selbstsicheren
Auftretens
geben.
Bei
Bedarf
können
sukzessive
weitere
Gesprächsregeln eingeführt werden, wobei schrittweise auch der Anwendungskontext
der Regeln (zu Hause, in der Schule, im Rahmen der Freizeitgestaltung…) erweitert
werden sollte.
104
Mit Jugendlichen, die nur wenige stabile Freundschaften zu Peers pflegen, oder gar
keine dauerhaften Freundschaften vorweisen, kann an der Vermittlung von Strategien
zur Kontaktaufnahme und Aufrechterhaltung von Freundschaften (S48) gearbeitet
werden. Bevor soziale Fertigkeiten zur Kontaktaufnahme und –gestaltung etabliert
werden, sollte der Therapeut ausführlich die Hintergründe der unzureichenden
sozialen Integration des Jugendlichen explorieren. Viele Adoleszenten wurden in der
Vergangenheit viktimisiert und haben Angst auf andere Gleichaltrige zuzugehen, weil
sie befürchten wieder Zielscheibe einer Viktimisierung zu werden. Andere Jugendliche
scheuen sich aktiv auf Peers zuzugehen, aus Sorge etwas „Falsches“, „Dummes“ oder
„Peinliches“ zu sagen und sich dadurch zu blamieren. Eine andere typische
Befürchtung von Adoleszenten ist, den Gesprächspartner durch uninteressante
Gesprächsthemen zu „langweilen.“ Viele Jugendliche können in diesem Kontext auch
konkrete Situationen benennen, in denen es ihnen nicht gelungen ist, ungezwungen
und angstfrei ein Gespräch mit Peers zu führen. Handelt es sich bei den Befürchtungen
einer potentiellen Blamage jedoch um unrealistische, übertriebene Gedanken, die eine
Kontaktaufnahme zu anderen Peers erschweren, sollte zunächst an der Korrektur der
dysfunktionalen, angst- und schamauslösenden, Kognitionen gearbeitet werden.
Sofern der Jugendliche, beispielsweise aufgrund mangelnder Gelegenheiten infolge
sozialer Desintegration, nicht gelernt hat, auf Gleichaltrige zuzugehen und ein
Gespräch zu initiieren, ist es ratsam, kleinschrittig den Ablauf von alltäglichen
Gesprächen zu besprechen. In diesem Kontext sollten auch mögliche Themen für
einen „small talk“ mit Gleichaltrigen gesammelt werden. Daran anschließend kann der
geschützte therapeutische Rahmen für kleine Rollenspiele, beispielsweise zum Thema
„Kontakte knüpfen auf dem Schulhof“ oder „small talk mit einem Mitschüler auf dem
Schulweg“, genutzt werden. Wie bereits beschrieben, bietet sich auch hier die
Aufnahme
der
Rollenspiele
an,
um
dem
Jugendlichen
ein
differenziertes
Videofeedback geben zu können. Zum Transfer der Kompetenzen in den Alltag des
Jugendlichen - sowie zur Festigung der neu erworbenen sozialen Fertigkeiten - übt der
Jugendliche im weiteren Therapieverlauf, in möglichst vielen realen Alltagssituationen,
die Kontaktaufnahme zu Peers. Potentielle Schwierigkeiten, die sich bei der
Kontaktaufnahme im Umfeld des Jugendlichen zeigen, werden in den folgenden
Therapiestunden gemeinsam mit dem Jugendlichen analysiert und Möglichkeiten zur
Optimierung der Kontaktgestaltung werden aufgezeigt.
105
Eine weitere wichtige Komponente souveränen Auftretens bildet die Fähigkeit auf
kritische Äußerungen angemessen zu reagieren resp. konstruktiv mit Kritik
umzugehen. Jugendliche, die eine defizitorientierte Selbstwahrnehmung haben, fühlen
sich durch Kritik häufig persönlich angegriffen und werten kritische Äußerungen als
Beleg für ihre eigene Unzulänglichkeit. Ein Schwerpunkt in Baustein 6 bildet
dementsprechend bei Jugendlichen, die über keine adäquate Kritikfähigkeit verfügen,
die Förderung eines situationsangemessenen Umgangs mit Kritik (S51). Der
Therapeut unterstützt den konstruktiven Umgang mit Kritik, indem er mit dem
Jugendlichen trainiert zu hinterfragen, was genau kritisiert wird. Er übt mit dem
Jugendlichen außerdem differenzierter einzuschätzen, ob die Kritik gerechtfertigt ist
oder nicht. Zudem leitet der Therapeut den Jugendlichen dabei an, präzise zu
überprüfen, ob die Kritik sich auf die gesamte Person bezieht oder primär auf ein
bestimmtes
unerwünschtes
Verhalten
des
Jugendlichen
zielt.
Mögliche
Fehlinterpretationen und ungünstige Kausalattributionen sollen dadurch aufgedeckt
und korrigiert werden.
Im therapeutischen Kontext berichten viele Jugendliche auch von Schwierigkeiten in
Bezug auf das angemessene Durchsetzen von Wünschen und die Formulierung von
Forderungen gegenüber Peers und Eltern. In Baustein 6 lernt der Jugendliche daher
Strategien kennen, die die Durchsetzungsfähigkeit gegenüber Gleichaltrigen und
Erwachsenen stärken (S52) und das adäquate Formulieren von Wünschen,
Bedürfnissen und Forderungen unterstützen. Der Transfer der Strategien in den Alltag
des Jugendlichen erfolgt, wie in den anderen Bausteinen, über TherapieHausaufgaben. Bei sozial phobischen Patienten wird beispielsweise eine graduierte
Exposition in zunehmend schwieriger werdenden Alltagssituationen trainiert.
Elternzentrierte Interventionen:
Die Elternarbeit in Baustein 6 beginnt mit der Aufklärung über prototypische sozial
kompetente Verhaltensweisen, die üblicherweise im Entwicklungsverlauf vom Kindeszum Jugendalter erworben werden. Im Rahmen der Psychoedukation lernen Eltern,
wie sie ihr Kind beim Training von selbstsicherem Auftreten und der Entwicklung einer
altersangemessenen Durchsetzungsfähigkeit unterstützen können (S46). Mit den
Eltern werden die Gesprächsregeln des Arbeitsblattes „Wünsche angemessen
durchsetzen“ (S52) besprochen und die Eltern werden instruiert, diese gemeinsam mit
106
ihrem Kind bei künftigen Diskussionen einzuhalten. Die Eltern werden außerdem in
ihrer
Vorbildfunktion
dafür
sensibilisiert,
den
Jugendlichen
bei
Meinungsverschiedenheiten aussprechen zu lassen und Diskussionen in einer
angemessenen Tonlage zu führen. Sie werden zudem darin bestärkt, die Meinung
ihres Kindes zu respektieren, auch wenn sie anderer Meinung sind. Im weiteren
Therapieverlauf bittet man die Eltern und den Jugendlichen, alltägliche Probleme, die
häufig zu familiären Auseinandersetzungen führen und die sie gerne bearbeiten
wollten, aufzulisten. Die Familie erhält anschließend die Aufgabe, das Problem - unter
Berücksichtigung
der
erarbeiteten
Gesprächsregeln
und
Wahrung
einer
wechselseitigen respektvollen Haltung - zu diskutieren. Die Eltern und der Jugendliche
üben dabei in erster Linie, den anderen ausreden zu lassen, Ich-Botschaften zu
nutzen, die Perspektive des Gesprächspartners besser nachzuvollziehen und
zufriedenstellende Kompromisse zu schließen. Dem Jugendlichen sollten in diesem
Zusammenhang ausreichend Möglichkeiten geboten werden, seine Wünsche
angemessen zu artikulieren und diese auch erfolgreich durchzusetzen.
Anzahl der Sitzungen:
Für die Durchführung des Therapiebausteins 6 sollten etwa sechs bis acht Sitzungen
eingeplant werden. Liegen besonders stark ausgeprägte soziale Kompetenzdefizite in
Kombination mit sozial phobischen Verhalten vor, kann sich das Training sozialer
Fertigkeiten über mehrere Monate erstrecken.
Therapie-Hausaufgaben – „Jobs der Woche“:
Jugendlicher:
Im Rahmen des Trainings sozialer Fertigkeiten bieten sich eine Reihe von TherapieHausaufgaben an. Der Jugendliche kann bereits zu Beginn des Trainings, in Form
eines „Jobs der Woche“, üben, eine lockere, selbstbewusste Körperhaltung und
Blickkontakt in möglichst vielen Alltagssituationen zu praktizieren. Auch die Regeln der
Gesprächsführung werden als „Job der Woche“ in geeigneten Situationen zu Hause
oder in der Schule eingeübt. Trainiert der Jugendliche die Kontaktaufnahme zu Peers,
erhält er die Hausaufgabe, den Ablauf der Kontaktanbahnung und dabei aufgetretene
Schwierigkeiten zu protokollieren. Eine weitere Hausaufgabe könnte darin bestehen,
zu Hause zu trainieren, Wünsche gegenüber Eltern oder Geschwistern angemessen
zu formulieren und durchzusetzen. Alternativ kann der Jugendliche in Form einer
107
Therapie-Hausaufgabe üben, gegenüber Gleichaltrigen angemessen Forderungen zu
stellen oder sich besser durchzusetzen. Wichtig bei all diesen Aufgaben ist, dass diese
zuvor kleinschrittig in der Therapiestunde eingeübt und erprobt wurden. Häufig ist es
auch sinnvoll, diese zunächst gemeinsam mit dem Jugendlichen außerhalb des
therapeutischen Settings zu erproben, um die Erfolgs- und Kompetenzerwartungen
des Jugendlichen zu stärken.
Eltern:
Die Eltern können bei der Familien-Hausaufgabe die Funktion übernehmen, auf einen
respektvollen Umgang aller Familienmitglieder bei Diskussionen zu achten und den
Jugendlichen bei der angemessenen Formulierung und Durchsetzung von Wünschen
anzuleiten. Auch bei der initialen Kontaktaufnahme zu Gleichaltrigen können Eltern ihr
Kind unterstützen, beispielsweise indem sie den Jugendlichen an regelmäßige
Verabredungen erinnern und Treffen mit Peers explizit unterstützen.
Mögliche Schwierigkeiten bei der Durchführung des Therapiebausteins
Eine Schwierigkeit, die sich zu Beginn des Trainings sozialer Fertigkeiten oft zeigt, ist
die mangelnde Bereitschaft zu Rollenspielen. Meist nennen Jugendliche Gründe, wie
Scham oder Angst vor einer Blamage. Oft verweigern sie in diesem Zusammenhang
auch die Zustimmung zur Videoaufzeichnung der Rollenspiele. Durch die Betonung
des vertraulichen Umgangs mit dem Videomaterial und die Versicherung, die
aufgezeichneten Rollenspiele zeitnah zu löschen, lassen sich viele Jugendliche in der
Regel gut überzeugen – insbesondere wenn man die Vorteile des Videofeedbacks
hervorhebt.
Der Therapeut sollte bei der Planung der Therapie-Hausaufgaben beachten, dass
manche Jugendliche nur eingeschränkt die Möglichkeit haben, die erlernten Regeln
der Gesprächsführung oder der angemessenen Kontaktaufnahme zu Gleichaltrigen in
vivo zu festigen (z. B. aufgrund sozialer Isolation). Befindet der Jugendliche sich in
einer
devianten
Peergroup,
ist
eine
angemessene
Kontaktaufnahme
und
Kontaktgestaltung häufig unerwünscht und wird durch den sozialen Gruppendruck oft
verhindert. Ein weiteres Problem stellen Jugendliche dar, die keine Motivation haben,
ihr aggressives Durchsetzen von Wünschen und Forderungen durch angemessenes
Verhalten zu ersetzen. In diesem Fall kann es hilfreich sein, die Nachteile aggressiven
Durchsetzens von Wünschen herauszuarbeiten, wie z. B. häufige Konflikte, soziale
108
Ablehnung, Verfestigung einer Außenseiter-Rolle. Denkbar ist auch, dass der
Jugendliche die Fortschritte hinsichtlich seines selbstsicheren Auftretens nicht
protokolliert, weil es gar nicht geübt worden ist oder weil das Ausfüllen des Protokolls
dem Jugendlichen zu aufwendig erscheint. Weigert der Jugendliche sich beharrlich,
den Kompetenzzuwachs resp. mögliche Barrieren bei der Umsetzung der sozialen
Fertigkeiten zu dokumentieren, kann der Therapeut die Therapiestunden dazu nutzen,
Erfolge und Schwierigkeiten in der praktischen Umsetzung der Verhaltensregeln
rückwirkend zu erfragen.
109
5 Methodik
5.1
Studiendesign
Zur Überprüfung der Wirksamkeit des Therapiemoduls „Selbstwert-, Aktivitäts- und
Affektprobleme“ wurde für die vorliegende Pilotstudie ein Eigenkontrollgruppen-Design
(„within-subject-design“) gewählt. Dabei stellte die Ausprägung der Symptomatik der
Probanden während der behandlungsfreien 6-wöchigen Wartezeit vor Therapiebeginn
(Baseline-Phase) die Kontrollbedingung dar, die mit der Symptomausprägung
während der Interventionsphase, die 24 Therapiestunden umfasste, verglichen wurde.
Im Rahmen der Studienplanung wurden für die Pilotstudie insgesamt sieben
Messzeitpunkte (MZP) definiert. Dem Erstkontakt schloss sich eine ausführliche
Eingangsdiagnostik an (MZP 1), die der Erhebung der Symptomatik des Patienten
diente (Statusdiagnostik). Neben der depressiven Symptomatik wurde auch das
Ausmaß komorbider Störungen sowie die Ausprägung der Selbstwertproblematik
erhoben. Sofern keine Vorbefunde zum Intelligenz-Niveau des Patienten vorlagen,
fand eine mehrdimensionale Testung der kognitiven Leistungsfähigkeit statt, um
sicherzustellen, dass das Einschlusskriterium IQ > 80 erfüllt ist.
Der Eingangsdiagnostik folgte eine sechswöchige Wartezeit (Baseline-Phase) von
MZP 1 zu MZP 2, in der keine Termine und somit auch keine Interventionen mit dem
Patienten und der Familie stattfanden. Im Anschluss an die Wartezeit begann – nach
erneuter Datenerhebung mittels Fragebögen zum MZP 2 – die psychotherapeutische
Behandlung (Interventionsphase). Während der Interventionsphase fanden in der
Regel wöchentlich Therapiegespräche mit dem Patienten und anteilig mit den
Bezugspersonen statt. Die Interventionsphase war dabei in vier Blöcke à sechs
Therapietermine unterteilt – mit jeweils einem Messzeitpunkt nach jedem
Therapieblock (MZP 3 - MZP 6), wobei der MZP 6 die Abschlussdiagnostik bildete.
Nach Abschluss der Interventionsphase, d.h. nach Beendigung der insgesamt 24
Therapiesitzungen, fand drei Monate später eine Follow-up Untersuchung statt, die der
Überprüfung der Stabilität der Behandlungseffekte diente (MZP 7).
Neben der Statusdiagnostik zu den definierten Messzeitpunkten 1 bis 7 fand
ergänzend von der 1. bis 24. Therapiestunde eine kontinuierliche Prozessdiagnostik
durch wöchentliche Erhebungen der Behandlungs-Compliance oder BehandlungsIntegrität statt.
110
Zusätzlich wurde ca. ab der 5. Behandlungsstunde bis zur 24. Behandlungsstunde
wöchentlich eine „Problemliste“ für die individuell festgelegten Hauptprobleme des
Jugendlichen erhoben. Die Problemliste diente der wöchentlichen Erfassung der
Problemhäufigkeit und der daraus resultierenden Problembelastung. Die Auswertung
der
Daten
erfolgte
sowohl
auf
statistisch
deskriptiver
als
auch
auf
interferenzstatistischer Ebene.
Als primäre Outcomemaße wurde die Selbstwertproblematik, operationalisiert durch
die „Rosenberg Self-Esteem Scale“ (RSES, rev. Fassung v. Collani & Herzberg 2003),
sowie die depressive Symptomatik definiert, erfasst über den Selbst- und
Fremdbeurteilungsbogen für depressive Störungen (SBB-DES, FBB-DES) des
„Diagnostik-Systems für psychische Störungen nach ICD-10 und DSM-IV für Kinder
und Jugendliche II“ (DISYPS-II, Döpfner, Görtz-Dorten & Lehmkuhl 2008). Als
sekundäre Outcomemaße wurden vier Subtests der „Frankfurter Selbstkonzeptskalen“
(FSKN, Deusinger 1986) und das „Depressionsinventar für Kinder und Jugendliche“
(DIKJ, Stiensmeister-Pelster, Schürmann & Duda 2000) festgelegt. Des Weiteren
wurden die komorbide internale / externale Symptomatik, erhoben über die weiter
unten beschriebenen Breitbandverfahren CBCL, YSR und TRF, sowie die
Problemausprägung
und
-belastung
(individuelle
Problemliste)
und
die
Behandlungszufriedenheit als untergeordnete Outcome-Parameter definiert.
Übersicht über das Studien-Design
6 Termine
mit dem
Patienten
und / oder
den Eltern
Abbildung 5: Studiendesign
111
6 Termine
mit dem
Patienten
und / oder
den Eltern
Followup
3 Monate
keine
Termine
Messzeitpunkt 7
6 Termine
mit dem
Patienten
und / oder
den Eltern
Therapie
Messzeitpunkt 6
Therapie
Messzeitpunkt 5
6 Termine
mit dem
Patienten
und / oder
den Eltern
Therapie
Messzeitpunkt 4
1 ScreeningTermin
mit dem
Patienten
und den
Eltern
Therapie
Messzeitpunkt 3
6 Wochen
keine
Termine
Messzeitpunkt 2
Messzeitpunkt 1
Wartezeit
1 Termin
mit dem
Patienten
und ggf.
den
Eltern
5.2
Ein- und Ausschlusskriterien der Studie
Einschlusskriterien:
Folgende Einschlusskriterien wurden für die Pilotstudie definiert:
1. Alter der Patienten: 12 – 18 Jahre
2. Unterdurchschnittlicher T-Wert (T<40) in der „Rosenberg Self-Esteem Scale“
(deutsche, revidierte Version v. Collani & Herzberg 2003)
3. Bereitschaft des Patienten wöchentliche Termine wahrzunehmen und eine
hinreichende Therapiemotivation. Bereitschaft der Eltern zur kontinuierlichen
Mitarbeit während der gesamten Studiendauer.
4. Sofern eine medikamentöse Begleitbehandlung besteht, voraussichtlich keine
Veränderung der Medikation
5. Eine der folgenden Achse-1-Diagnosen (ICD-10 Kriterien) nach dem Multiaxialen
Klassifikationsschema MAS (Remschmidt, Schmidt, Poustka 2006) musste erfüllt
sein:

Leichte, mittelgradige oder schwere depressive Episode ohne psychotische
Symptome (F32.0, F32.1, F32.2) oder sonstige depressive Episode (F32.8)

Rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig leichte Episode (F33.0) oder
gegenwärtig mittelgradige Episode (F33.1)

Dysthymia (F34.1)

Anpassungsstörung mit längerer depressiver Reaktion (F43.21)

Anpassungsstörung mit Angst und depressiver Reaktion gemischt (F43.22)

Angst und depressive Störung, gemischt (F41.2)

Störung des Sozialverhaltens mit depressiver Störung (F92.0)

Sonstige emotionale Störung des Kindesalters (F93.8.)
Ausschlusskriterien
Folgende Ausschlusskriterien wurden für die Pilotstudie festgelegt:
1. Ausgeprägter Substanzabusus
2. Ausgeprägte emotional-instabile Persönlichkeitsstörung
3. Ausgeprägte Dissozialität
4. Bipolare Störung
5. Manie
112
6. Essstörung (Anorexia nervosa, Bulimia nervosa)
7. Autismus-Spektrum-Störung
8. Psychose oder andere psychotische Zustände
9. Schwere Angst- und Zwangsstörung
10. Akute Suizidalität oder eine andere Indikation für eine stationäre Therapie
11. IQ < 80
5.3
Forschungsziel und spezifische Forschungshypothesen
Ziel der vorliegenden Pilotstudie war, die Wirksamkeit des Therapiemoduls „SELBST
Selbstwert-, Aktivitäts- und Affektprobleme“ sowie die Behandlungszufriedenheit des
Jugendlichen und der Eltern zu überprüfen. Folgende Forschungshypothesen wurden
formuliert:
1. Hypothese:
a) Die depressive Symptomatik verringert sich signifikant im Behandlungsverlauf und
die Kompetenzen der Jugendlichen nehmen im Verlauf der Therapie signifikant zu
(genereller Verlaufseffekt).
b) Die depressive Symptomatik verringert sich signifikant stärker in der Treatment- als
in der Wartephase und die Kompetenzen verbessern sich in der Treatmentphase
signifikant mehr als in der Wartezeit (Therapieeffekt).
c) Die
während
der
Interventionsphase
erzielten
Effekte
hinsichtlich
der
Symptomreduktion sowie der Kompetenzsteigerung sind zeitlich stabil, d.h. es
zeigen sich keine signifikanten Verschlechterungen der Effekte zwischen der
Interventions- und der Follow-up-Phase (Stabilitätseffekt).
2. Hypothese:
a) Der globale Selbstwert sowie die spezifischen Selbstwertdimensionen der
Jugendlichen
verbessern
sich
signifikant
im
Therapieverlauf
(genereller
Verlaufseffekt).
b) Der globale Selbstwert und die spezifischen Selbstwertdimensionen verbessern
sich signifikant stärker in der Interventions- als in der Wartephase (Therapieeffekt).
c) Die während der Interventionsphase erzielten Effekte in Bezug auf die
Verbesserung des Selbstwerts sind zeitlich stabil, d.h. es werden keine
signifikanten Verschlechterungen der Effekte zwischen der Interventions- und der
Follow-up Phase erwartet (Stabilitätseffekt).
113
3. Hypothese:
Die komorbide internale und externale Symptomatik der Jugendlichen verringert sich
signifikant während der Behandlung, d.h. von der Prä- zur Post-Messung (Prä-PostEffekt).
4. Hypothese:
Die Ausprägung der Problemhäufigkeit und Problembelastung der Jugendlichen
nimmt im Verlauf der Therapie signifikant ab (genereller Verlaufseffekt).
5. Hypothese:
Der Jugendliche und die Eltern weisen nach Therapieabschluss eine hohe
Behandlungszufriedenheit auf und der Therapieerfolg wird positiv beurteilt.
5.4
Stichprobenrekrutierung
Die Rekrutierung der Patienten erfolgte über die Ausbildungsambulanz für Kinder- und
Jugendlichenpsychotherapie an der Uniklinik Köln (AKIP Köln) sowie über externe
kinder- und jugendpsychiatrische resp. kinder- und jugendpsychotherapeutische
Praxen im Einzugsgebiet von Köln und Bonn. Über die Inhalte, die Zielsetzung und
den Ablauf der Pilotstudie wurden die Fachkollegen unter anderem anhand eines
Studienflyers informiert, der sowohl in der Ambulanz als auch im stationären Bereich
der Kinder- und Jugendpsychiatrie der Uniklinik Köln verteilt wurde. Der Studienflyer
wurde außerdem auf der AKIP-Homepage für interessierte Kollegen und Familien
hinterlegt.
Alle Patienten sowie deren Erziehungsberechtigte wurden vor Studienbeginn
ausführlich mündlich und schriftlich über den Studienablauf, die wissenschaftliche
Zielsetzung
der
Studie,
mögliche
Behandlungsrisiken
sowie
über
Behandlungsalternativen informiert. In einem gesonderten Schreiben wurden die
Probanden
und
die
Erziehungsberechtigten
darüber
aufgeklärt,
dass
die
Datenerfassung und –verarbeitung in Übereinstimmung mit dem geltenden
Datenschutzgesetz erfolgt.
Insgesamt wurden 21 Patienten im Zeitraum von Dezember 2013 bis Juli 1014
gescreent. Sieben Patienten wurden nach dem Erstgespräch ausgeschlossen, fünf
davon erfüllten die Einschlusskriterien nicht (4 Patienten T-Wert > 40 in der Rosenberg
114
Self Esteem Scale; 1 Patient IQ < 80). Zwei zeigten nach dem Erstgespräch keine
hinreichende Therapiemotivation. Zwei weitere Patienten mussten nach der
sechswöchigen Wartezeit (d.h. zu MZP 2) ausgeschlossen werden. Gründe für den
Ausschluss nach Messzeitpunkt 2 waren, dass einer der beiden Patienten nicht mehr
das Haupteinschlusskriterium „unterdurchschnittlich ausgeprägter Selbstwert“ (T-Wert
< 40) in der „Rosenberg Self-esteem Scale“ erfüllte. Bei dem anderen Patienten
zeichnete sich während der Wartephase ein krisenhafter Verlauf ab, der zu einer
stationären Behandlung und somit zum Studienausschluss führte.
Es wurden, nach Ausschluss der oben genannten neun Patienten, insgesamt 12
Probanden in die Studie eingeschlossen. Während der Interventionsphase (MZP 2 bis
MZP 6) haben alle 12 Patienten das Programm durchlaufen, so dass die Drop-out Rate
während des Behandlungszeitraums 0 % betrug.
Zur Follow-up Messung erschienen termingerecht elf der insgesamt 12 Patienten, d.h.
im Follow-up war ein Drop-out („lost to follow-up“) zu verzeichnen. Eine MissingErsetzung der fehlenden Follow-up Daten des einen Patienten war obsolet, da
sogenannte „missing values“ im Rahmen der durchgeführten Multilevel-Analysen
geschätzt werden. Das folgende Flussdiagramm zeigt den gesamten Ablauf der
Rekrutierung sowie die Gründe für den Ausschluss von insgesamt neun Patienten.
115
Gescreente Patienten
N = 21
Ausgeschlossen nach MZP 1 N = 7
•
•
Einschlusskriterien nicht erfüllt (N = 5):
RSES T > 40 (N = 4)
IQ < 80 (N = 1)
Keine hinreichende Therapiemotivation (N = 2)
Ausgeschlossen nach MZP 2 N = 2
Gründe für den Ausschluss:
•
•
Einschlusskriterium RSES T < 40 zu MZP 2 nicht mehr erfüllt (N = 1)
Indikation für stationäre Behandlung (N = 1)
Studie nach MZP 6 kompett
beendet
N = 12
In statistische Analysen
nach Therapieende (MZP 6)
eingeschlossen
N = 12
In Follow up-Analysen
(MZP 7) eingeschlossen
N = 11
(N = 1 Drop-out im Follow-up)
Abbildung 6: Flussdiagramm der Patientenrekrutierung
116
5.5
Instrumente der Eingangs-, Verlaufs- und Abschlussdiagnostik sowie der
Follow-up Untersuchung
Im Folgenden werden sämtliche diagnostischen Instrumente der Eingangs-, Verlaufsund Abschlussmessungen vorgestellt, die die Grundlage der statistischen Analysen
dieser Pilotstudie darstellen. In Ergänzung zum Selbsturteil wurde, im Rahmen einer
multimodalen Diagnostik, zu verschiedenen Messzeitpunkten, auch ein Fremdurteil in
Form eines Eltern-, Lehrer- und Therapeutenurteils erhoben.
5.5.1 Erfassung der depressiven Symptomatik im Verlauf
Zur Verlaufsmessung der depressiven Symptomatik der Jugendlichen im gesamten
Studienverlauf wurden folgende Instrumente angewandt:
„Selbstbeurteilungsbogen für depressive Störungen“ SBB-DES (Döpfner, GörtzDorten, Lehmkuhl 2008)
Der SBB-DES ist ein Verfahren aus dem „Diagnostik-System für psychische Störungen
nach ICD-10 und DSM-IV für Kinder und Jugendliche – II“ (DISYPS-II, Döpfner et al.
2008). Der Selbstbeurteilungsbogen umfasst 29 Items zur Einschätzung der
depressiven Symptomatik aus der Perspektive des Jugendlichen und zusätzlich acht
Kompetenz-Items. Das Antwortformat reicht von 0 = gar nicht zutreffend bis 3 =
besonders zutreffend. Der SBB-DES ist für die Altersspanne von elf bis 18 Jahren
konzipiert. Für den SBB-DES liegen altersabhängige Normen, separat für Jungen und
Mädchen, vor (Stanine-Werte).
Der SBB-DES wurde zu den Messzeitpunkten 1 bis 7 eingesetzt.
„Fremdbeurteilungsbogen für depressive Störungen“ FBB-DES (Döpfner, GörtzDorten, Lehmkuhl 2008)
Der FBB-DES ist ebenfalls ein Verfahren aus dem „Diagnostik-System für psychische
Störungen nach ICD-10 und DSM-IV für Kinder und Jugendliche – II“ (DISYPS-II,
Döpfner et al. 2008), das die depressive Symptomatik sowie die Kompetenzen des
Jugendlichen im Fremdurteil, d.h. aus der Perspektive der Eltern und/oder
Lehrer/Erzieher erhebt. Die Items des FBB-DES entsprechen den Items des SBBDES. Das Antwortformat entspricht auch dem Format des SBB-DES. Für den FBBDES liegen entsprechende Normierungen vor (Stanine-Werte).
Der FBB-DES wurde zu den Messzeitpunkten 1 bis 7 durchgeführt.
117
„Diagnose-Checkliste für depressive Störungen“ DCL-DES (Döpfner, GörtzDorten, Lehmkuhl 2008)
In Ergänzung zum Selbsturteil (SBB-DES) und Fremdurteil für depressive Störungen
(FBB-DES) des DISYPS-II wurde zum Messzeitpunkt 1 auch ein klinisches Urteil in
Bezug auf die depressive Symptomatik des Patienten mittels der DCL-DES durch den
behandelnden Therapeuten erhoben.
Die internen Konsistenzen der Selbstbeurteilungs- und Fremdbeurteilungbögen sind
zufriedenstellend. Die Korrelationen zwischen Selbst- und Fremdbeurteilungsbögen
weisen für depressive Störungen auf eine gute konvergente und divergente Validität
der Fragebögen hin.
„Depressionsinventar für Kinder und Jugendliche“ DIKJ (Stiensmeier-Pelster,
Schürmann, Duda 2000)
Das DIKJ ist die deutsche Version des „Children’s Depression Inventory“ CDI (Kovacs
1985). Es handelt sich dabei um einen Selbstbeurteilungsfragebogen für Kinder und
Jugendliche im Alter zwischen acht und 16 Jahren zur Erfassung der Schwere der
depressiven Symptomatik, in Anlehnung an die Kriterien einer Major Depression nach
DSM-IV (Saß, Wittchen, Zaudig 1998). Das DIKJ erfasst sensibel die Veränderungen
des Schweregrades einer depressiven Störung und ist daher gut geeignet zur
Verlaufsmessung der depressiven Symptomatik.
Die insgesamt 26 Items des DIKJ geben jeweils drei Antwortalternativen vor, die
unterschiedliche Ausprägungen eines depressiven Symptoms beschreiben. Beurteilt
wird die Symptomausprägung der letzten beiden Wochen. Die interne Konsistenz bei
klinisch auffälligen Kindern und Jugendlichen beträgt r it = .91.
Das DIKJ wurde zu den Messzeitpunkten 1, 2, 6 und 7 angewandt.
5.5.2 Erhebung des Selbstwertes im Verlauf
Die Erhebung der Ausprägung des globalen Selbstwertes und der spezifischen
Selbstwertdimensionen erfolgte im Selbsturteil über die „Rosenberg Self-Esteem
Scale“ und die „Frankfurter Selbstkonzeptskalen.“ Beider Verfahren werden im
Folgenden kurz vorgestellt.
118
„Rosenberg Self-Esteem Scale“ RSES (deutsche, revidierte Version v. Collani &
Herzberg 2003):
Die „Rosenberg Self-Esteem Scale“ (Rosenberg 1965) ist im Forschungskontext
weltweit das mit am häufigsten eingesetzte diagnostische Verfahren zur Erfassung des
globalen Selbstwertes (Sinclair, Blais, Gansler, Sandberg, Bistis & LoCicero 2010;
Wongpakaran & Wongpakaran 2012). Die RSES wurde in diverse Sprachen übersetzt
und von unterschiedlichen internationalen Forschungsgruppen validiert. Eine Revision
und Normierung der deutschsprachigen Version wurde in einer Studie von Roth,
Decker, Herzberg und Brähler (2008) vorgenommen. In der vorliegenden Studie wurde
die revidierte Fassung der deutschsprachigen Skala zum Selbstwertgefühl von
Rosenberg (v. Collani & Herzberg 2003) zu den Messzeitpunkten 1, 2, 6 und 7
durchgeführt.
Der Fragebogen ist ein Selbstbeurteilungsinstrument, das aus zehn Items besteht (fünf
positiv formulierte und fünf negativ formulierte Items), mit einem vierstufigen
Antwortformat von „trifft gar nicht zu“ bis „trifft voll und ganz zu.“ In der
Normierungsstudie von Roth et al. (2008) wurde das Antwortformat in eine
sechsstufige Likert-Skala von „trifft gar nicht zu“ (1) bis „trifft voll und ganz zu“ (6)
verändert. Für die revidierte Fassung der Rosenberg Self-Esteem Scale wurde eine
interne Konsistenz α = .84 ermittelt (v. Collani & Herzberg 2003). In der Studie von
Roth, Decker, Herzberg und Brähler (2008) konnte sogar eine noch höhere interne
Konsistenz von α = .88 nachgewiesen werden. Die mittleren korrigierten
Trennschärfen der einzelnen Items der revidierten Fassung der Rosenberg SelfEsteem Scale liegen zwischen r
it
= .46 und r
it
= .61, was einer durchschnittlichen
Trennschärfe von r it = .54 entspricht, die als gut einzuschätzen ist.
„Frankfurter Selbstkonzeptskalen“ FSKN (Deusinger 1986):
Das „Frankfurter Selbstkonzeptinventar“ ist ab einem Altern von ca. 13 Jahren
einsetzbar und besteht aus zehn eindimensionalen Skalen zur Bestimmung
verschiedener Selbstkonzeptdimensionen (spezifische Selbstwertdimensionen), die
die untersuchte Person von sich entwickelt hat. Die Skalen sind als Gesamttest
interpretierbar oder in Teilversionen anwendbar. Die internen Konsistenzen der Skalen
(α = .93 bis α = .97) sind als hoch einzuschätzen. Hohe Reliabilitätskoeffizienten
konnten insbesondere für die Skala zur allgemeinen Selbstwertschätzung, die Skala
119
zur Standfestigkeit gegenüber Gruppen, die Skala zur allgemeinen Leistungsfähigkeit
sowie die Skala zur allgemeinen Problembewältigung ermittelt werden. Die RetestReliabilität liegt bei r
tt
= .82. Es liegen geschlechtsspezifische Normen für
verschiedene Altersgruppen vor.
Folgende vier Skalen der FSKN wurden zu den Messzeitpunkten 1, 2, 6 und 7
eingesetzt:




Skala zur allgemeinen Selbstwertschätzung (FSSW)
Skala zur Standfestigkeit gegenüber Gruppen (FSST)
Skala zur Kontakt- und Umgangsfähigkeit (FSKU)
Skala zur allgemeinen Problembewältigung (FSAP)
5.5.3 Screening komorbider internaler und externaler Symptomatik
„Elternfragebogen über das Verhalten von Kindern und Jugendlichen“
CBCL 4 – 18 (Arbeitsgruppe Deutsche Child Behavior Checklist 1998a)
Der „Elternfragebogen über das Verhalten von Kindern und Jugendlichen“ (CBCL 4 –
18) ist die deutsche Fassung der „Child Behavior Checklist“ von Achenbach
(Achenbach 1991). Neben der CBCL 4 – 18 existieren unter anderem auch eine
Jugendlichenversion („Youth Self Report“ YSR, deutsche Fassung „Fragebogen für
Jugendliche“) sowie eine Lehrerversion („Teacher Report Form“ TRF, deutsche
Fassung „Lehrerfragebogen über das Verhalten von Kindern und Jugendlichen“).
Die CBCL 4 – 18 besteht aus 118 Items zur Erfassung internaler versus externaler
Verhaltensauffälligkeiten von Kindern und Jugendlichen im Alter zwischen vier und 18
Jahren. Neben Verhaltensauffälligkeiten werden auch emotionale Auffälligkeiten und
Kompetenzen des Kindes bzw. Jugendlichen aus der Sicht der Eltern – bezogen auf
die letzten sechs Monate – erfasst. Die Subskalen „sozialer Rückzug“, „körperliche
Beschwerden“
und
„Angst/Depressivität“
werden
der
übergeordneten
Skala
„Internalisierende Auffälligkeiten“ zugeordnet, während die Subskalen „delinquentes
Verhalten“ und „aggressives Verhalten“ die übergeordnete Skala „Externalisierende
Auffälligkeiten“ abbilden. Weitere Verhaltensauffälligkeiten können über die Skala
„soziale
Probleme“
sowie
die
Syndromskalen
„schizoid/zwanghaft“
und
„Aufmerksamkeitsstörungen“ erhoben werden. Die Kompetenzen des Kindes bzw.
Jugendlichen werden in Bezug auf die Bereiche Aktivitäten, soziale Kompetenzen und
Schule beurteilt. Aus den Syndromskalen kann ein Gesamtwert für problematisches
Verhalten ermittelt werden.
120
Für die deutsche Fassung der CBCL 4 – 18 liegen repräsentative Normierungen vor
(Döpfner et al. 1997; Döpfner et al. 1998). Für die Gesamtauffälligkeiten sowie die
Skalen „internalisierende Störungen“ und „externalisierende Störungen“ wurden hohe
interne Konsistenzen von r
tt
> .85 ermittelt. Die Skalen „Angst/Depressivität“,
„delinquentes Verhalten“, „aggressives Verhaltens“ und „Aufmerksamkeitsstörungen“
zeigen ebenfalls gute Reliabilitäten zwischen r
tt
= .80 und r
tt
= .90. Auch die Skalen
„sozialer Rückzug“, „soziale Probleme“ und „körperliche Beschwerden“ weisen
zufriedenstellende Reliabilitäten von r tt = .70 bis .80 auf.
Die CBCL 4 – 18 wurde zu den Messzeitpunkten 1 und 6 eingesetzt.
„Fragebogen für Jugendliche“ YSR 11 – 18 (Arbeitsgruppe Deutsche Child
Behavior Checklist 1998b)
In Analogie zur CBCL können mittels des „Fragebogens für Jugendliche“ (YSR)
internalisierende und externalisierende psychische Auffälligkeiten sowie Kompetenzen
Jugendlicher im Alter von elf bis 18 Jahren im Selbsturteil erfasst werden. Der
Testaufbau entspricht der CBCL. Für die Skalen „Internalisierende Störungen“ und
„Externalisierende Störungen“ sowie für die Gesamtauffälligkeiten wurden hohe
interne Konsistenzen von r tt > .86 festgestellt. Die Reliabilitäten für die Syndromskalen
„aggressives Verhalten“ und „Angst/Depressivität“ liegen im Bereich von r
tt
= .80 bis
rtt = .86. Für die Skalen „delinquentes Verhalten“, „Aufmerksamkeitsstörungen“,
„körperliche Beschwerden“ und „soziale Probleme“ wurde zufriedenstellende
Reliabilitäten von r tt = .70 bis .77 ermittelt.
Der YSR wurde, wie die CBCL, zu den Messzeitpunkten 1 und 6 eingesetzt.
„Lehrerfragebogen über das Verhalten von Kindern und Jugendlichen“ TRF
(Arbeitsgruppe Deutsche Child Behavior Checklist 1993)
Der „Lehrerfragebogen über das Verhalten von Kindern und Jugendlichen“ (TRF) ist,
wie der YSR, analog zur CBCL aufgebaut und dient der Beurteilung des Verhaltens
von Schulkindern im Alter von fünf bis 18 Jahren aus der Perspektive des Lehrers. Der
Lehrerfragebogen erhebt die gleichen Auffälligkeiten und Problembereiche, die in der
CBCL und dem YSR erfragt werden. Darüber hinaus enthält er noch weitere
spezifische Fragen zur Schulsituation. Die internen Konsistenzen der Skalen
„Internalisierende Störungen“ und „Externalisierende Störungen“ sind als hoch
121
einzuschätzen (r tt > .88). Auch für die Skalen „Angst/Depressivität“, soziale Probleme“,
„aggressives Verhalten“ und „Aufmerksamkeitsstörungen“ zeigen sich gute bis sehr
gute Reliabilitäten zwischen r
tt
= .80 und r
tt
= .90. Zufriedenstellende Reliabilitäten
liegen für die Skalen „Sozialer Rückzug“, „delinquentes Verhalten“ und „körperliche
Beschwerden“ vor (r tt = .74 bis .78).
Der TRF wurde zu den Messzeitpunkten 1 und 6 erhoben.
5.5.4 SELBST Checkliste zur Indikationsbestimmung
Die „Checkliste zur Indikationsbestimmung“ wurde für die vorliegende Pilotstudie
konzipiert, um – im Rahmen der Exploration des Jugendlichen und der
Bezugspersonen – die Indikation für die einzelnen Therapiebausteine des Moduls
SELBST „Selbstwert-, Aktivitäts- und Affektprobleme“ zu überprüfen. Insgesamt
enthält die Checkliste 30 Fragen, fünf je Therapiebaustein. Das Antwortformat reicht
von 0 = „trifft nicht zu“ bis 3 = „trifft voll zu.“ Für jeden Baustein wird ein gemittelter
Rohwert errechnet, der als orientierendes Maß für die Indikationsbestimmung dient.
Die Exploration der Jugendlichen mittels der Checkliste zur Indikationsbestimmung
fand zum Messzeitpunkt 2 statt.
5.5.5 Intelligenzdiagnostik
Sofern zu Studienbeginn keine Vorbefunde in Bezug auf das intellektuelle
Leistungsniveau der Patienten vorlagen, wurde im Rahmen der Eingangsdiagnostik
zwischen
Messzeitpunkt
Leistungstestung
zur
1
und
Erfassung
Messzeitpunkt
des
kognitiven
2
eine
mehrdimensionale
Entwicklungsstandes
des
Jugendlichen durchgeführt. Je nach Alter des Patienten kam wahlweise eines der
folgenden Verfahren zum Einsatz:
„Wechsler Intelligence Scale for Children“ WISC-IV (deutsche Fassung von
Petermann & Petermann 2011)
Die „Wechsler Intelligence Scale for Children“ (ehemals „Hamburg-WechslerIntelligenztest für Kinder“, HAWIK-IV) ist ein Intelligenztest für Kinder und Jugendliche
im Alter von sechs bis 16 Jahren. Der WISC-IV ist ein mehrdimensionales
Intelligenzdiagnostikum, bestehend aus 15 Untertests. Aus den Subtests lässt sich ein
Gesamt-IQ-Wert sowie vier Kennwerte ermitteln. Der WISC-IV erlaubt somit eine
fundierte Einschätzung des kognitiven Entwicklungsstandes von Kindern und
122
Jugendlichen im Alter zwischen sechs und 16 Jahren. Folgende Kennwerte können in
Ergänzung zum Gesamt-IQ ermittelt werden:

Sprachverständnis

Arbeitsgedächtnis

Verarbeitungsgeschwindigkeit

Wahrnehmungsgebundenes logisches Denken
Die Reliabilitäten der Untertests liegen zwischen r = .76 und r = .91 (Gesamttest r =
.97). Für die deutschsprachige Version des WISC-IV liegen verschiedene
Validierungs- und Normierungsstudien vor.
Die Erfassung des Intelligenzniveaus fand zwischen Messzeitpunkt 1 und
Messzeitpunkt 2 statt.
„Wechsler Adult Intelligence Scale“ WAIS-IV (deutsche Fassung von Petermann
2013)
Bei den Jugendlichen ab einem Alter von 16 Jahren wurde entweder die „Wechsler
Adult Intelligence Scale“ (WAIS-IV) oder der „Wechsler Intelligenztests für
Erwachsene“ (WIE) eingesetzt. Die „Wechsler Adult Intelligence Scale“ (WAIS-IV)
stellt die Weiterentwicklung des „Wechsler Intelligenztests für Erwachsene“ WIE (Horn,
Neubauer & Aster 2006) dar.
Der WAIS-IV ist ein mehrdimensionaler Intelligenztest für Jugendliche und
Erwachsene, normiert für den Altersbereich von 16 bis 89 Jahren, der eine
differenzierte Beurteilung des kognitiven Leistungsniveaus von Jugendlichen und
Erwachsenen ermöglicht. Aus den Ergebnissen der 15 Untertests lassen sich analog
zum
WISC-IV
vier
Indexwerte
(Sprachverständnis,
Arbeitsgedächtnis,
wahrnehmungsgebundenes logisches Denken und Verarbeitungsgeschwindigkeit)
ermitteln. Darüber hinaus kann der Gesamt-IQ berechnet werden. Neben
repräsentativen Normen für die deutsche Fassung des WAIS-IV, liegen auch
Validierungsstudien zu unterschiedlichen klinischen Störungsbildern vor.
Die Überprüfung des Intelligenzniveaus erfolgte zwischen Messzeitpunkt 1 und
Messzeitpunkt 2.
123
5.5.6 Basisdokumentation
Neben
der
Erhebung
soziodemografischer
Daten
finden
im
Rahmen
der
Basisdokumentation unter anderem eine psychopathologische Befunderhebung sowie
die Erfassung des psychosozialen Funktionsniveaus statt.
Die Basisdokumentation wurde vor Behandlungsbeginn sowie nach Abschluss der
Behandlung, d.h. zu den Messzeitpunkten 1 und 6 durchgeführt.
5.5.7 Individuelle Problemliste (Walter et al. 2007)
Die individuelle Problemliste ist ein Fragebogen aus dem Therapieprogramm
„SELBST“, Band 1, „Grundlagen der Selbstmanagementtherapie bei Jugendlichen“
(Walter et al. 2007). In der Anfangsphase der Therapie, d.h. in der Regel im Rahmen
der probatorischen Sitzungen, werden gemeinsam mit dem Patienten, den Eltern (ggf.
auch mit anderen Bezugspersonen) und dem Therapeuten diejenigen Hauptprobleme
definiert, die Gegenstand der Therapie sein sollen. In der individuellen Problemliste
werden dementsprechend die relevanten Probleme des Jugendlichen (maximal vier)
aufgelistet, die im weiteren Therapieverlauf zum einen hinsichtlich ihrer Häufigkeit (0
= „nie“ bis 5 = „ständig“) und zum anderen hinsichtlich der verursachten Belastung (0
= kein Problem bis 9 = es hätte nicht schlimmer sein können) beurteilt werden sollen.
Zudem kann wöchentlich das Ausmaß der Gesamtproblembelastung beurteilt werden
(0 = „kein Problem“ bis 9 = „es hätte nicht schlimmer sein können“).
Die Beurteilung der Problemausprägung und –belastung erfolgt ungefähr ab der 5.
Behandlungsstunde wöchentlich im gesamten Behandlungsverlauf, d.h. während
der Interventionsphase.
5.5.8 Behandlungs-Compliance
„Fragebogen zur Behandlungs-Compliance“ (Faber 2014, adaptiert von Schreiter)
In der vorliegenden Pilotstudie wurde eine modifizierte Version des nicht publizierten
„Fragebogens zur Behandlungs-Compliance“ (Faber 2014) verwendet. Mit dem
Fragebogen zur Behandlungs-Compliance kann der Therapeut, im Anschluss an jede
Therapiestunde, die Mitarbeit des Jugendlichen und der Eltern beurteilen. Außerdem
kann erfasst werden, ob die Therapiehausaufgaben zuverlässig erledigt worden sind.
Messzeitpunkt: wöchentlich während der Interventionsphase
124
5.5.9 Behandlungs-Integrität
„Fragebogen zur Behandlungs-Integrität“ (Faber 2014, adaptiert von Schreiter)
Zur Erfassung der Behandlungs-Integrität wurde eine modifizierte, nicht veröffentlichte
Version des „Fragebogens zur Behandlungs-Integrität“ (Faber 2014) eingesetzt. Der
Therapeut bewertet die Durchführung der einzelnen Therapiebausteine resp.
Therapiesequenzen dahingehend, inwieweit diese realisierbar waren und ob die
Hauptziele des Therapiebausteins erreicht werden konnten.
Messzeitpunkt: wöchentlich während der Interventionsphase
5.5.10 Behandlungszufriedenheit
„Fragebogen zur Beurteilung der Behandlung“ FBB (Mattejat & Remschmidt
1998)
Der „Fragebogen zur Beurteilung der Behandlung“ von Mattejat & Remschmidt (1998)
ist ein diagnostisches Instrument zur Beurteilung der subjektiven Behandlungsqualität
kinder- und jugendpsychotherapeutischer Behandlungen. Der FBB stellt somit ein
Verfahren
zur
Therapieevaluation
Qualitätssicherung
und
psychotherapeutischer
gleichzeitig
Behandlungen
ein
von
Instrument
zur
Kindern
und
Jugendlichen dar. Erhoben werden sowohl Aspekte der Ergebnisqualität, wie der
Behandlungserfolg resp. die Effizienz der durchgeführten Interventionen, als auch
Aspekte
der
Prozessqualität,
d.h.
des
Behandlungsverlaufs
und
der
Behandlungsqualität. Außerdem kann ein Gesamtwert ermittelt werden, der
Aufschluss über die Gesamtzufriedenheit mit der Behandlung gibt. Neben dem
Selbsturteil des Patienten (Patientenversion FBB-P) kann auch ein Fremdurteil aus der
Sicht der Eltern (Elternversion FBB-E) und des Therapeuten (Therapeutenversion
FBB-T) erhoben werden. Die Items des FBB sind fünfstufig skaliert von 0 = „die
Feststellung stimmt überhaupt nicht“ bis 4 = „die Feststellung stimmt ganz genau /
immer.“
Für die einzelnen FBB-Versionen können unterschiedliche Skalen gebildet werden:
FBB-T: Therapieerfolg hinsichtlich des Patienten resp. der Familie, Kooperation mit
dem Patienten resp. der Mutter / dem Vater, Therapeuten-Gesamtwert.
FBB-P: Erfolg der Behandlung, Beziehung zum Therapeuten, Rahmenbedingungen
der Behandlung, Patienten-Gesamtwert.
FBB-E (Mutter- / Vaterversion): Erfolg der Behandlung, Verlauf der Behandlung,
Mutter- / Vater-Gesamtwert.
125
Die internen Konsistenzen der einzelnen Skalen liegen überwiegend im guten Bereich
von Cronbach’s α > .80. Bezogen auf die Retest-Reliabilitäten des FBB-P und FBB-E
weisen die Skalen „Verlauf der Behandlung“ und „Beziehung zum Therapeuten“ eine
höhere Reliabilität auf als die Skala „Erfolg der Behandlung.“ Die Erfassung der
Behandlungszufriedenheit erfolgt nach Abschluss der Behandlungsphase, d.h. zum
Messzeitpunkt 6.
5.5.11 Übersicht über die Messinstrumente der Messzeitpunkte 1 bis 7
Messzeitpunkt 1
Wöchentlich während der Interventionsphase:
Problemliste SELBST G10
Fragebogen Behandlungsintegrität + Compliance
DCL-DES
SBB-DES und FBB-DES
DIKJ
WISC-IV / WAIS-IV
CBCL, YSR, TRF
RSES
4 Subskalen FSKN: FSKU, FSST, FSSW, FSAP
BADO
Messzeitpunkt 2
SBB-DES und FBB-DES
DIKJ
Checkliste SELBST (Indikationsbestimmung)
RSES
4 Subskalen FSKN: FSKU, FSST, FSSW, FSAP
Messzeitpunkte 3 bis 5
SBB-DES
FBB-DES
Messzeitpunkt 6
SBB-DES und FBB-DES
DIKJ
CBCL, YSR, TRF
RSES
4 Subskalen FSKN: FSKU, FSST, FSSW, FSAP
FBB-T, FBB-P, FBB-E
BADO
Messzeitpunkt 7
SBB-DES und FBB-DES
DIKJ
RSES
4 Subskalen FSKN: FSKU, FSST, FSSW, FSAP
Abbildung 7: Übersicht über die Messinstrumente der Messzeitpunkte 1 bis 7
126
5.6. Statistische Auswertungsmethoden
Zur Überprüfung der Hypothesen der vorliegenden Studie wurden für die primären
Analysen, bezogen auf die Verbesserung der depressiven Symptomatik, der
Kompetenzen und der Selbstwertproblematik im Therapieverlauf, Multilevel-Analysen
(MLA), auch Multilevel Modelling (MLM) oder Mehrebenen-Analysen genannt,
berechnet. Auch für die Untersuchung der Problemhäufigkeit und -belastung im
Therapieverlauf wurden, im Rahmen der sekundären Analysen, Multilevel-Analysen
durchgeführt. Die Grundlage für sämtliche Multilevel-Analysen in dieser Studie bildete
das sogenannte „Random-Intercept-Modell.“ Bei einem Random-Intercept-Modell wird
angenommen, dass die individuellen Schnittpunkte mit der Y-Achse (intercepts) der
einzelnen Probanden zufällig variieren (random intercept), d.h. dass die Symptomatik
der Jugendlichen zu Studienbeginn einer natürlichen Variation unterliegt. Des
Weiteren wird postuliert, dass die individuellen Regressionsgeraden, d. h. die
individuellen Verläufe der Probanden, sich hinsichtlich ihrer Steigung unterscheiden,
jedoch insgesamt parallel verlaufen (fixed slope).
Für die Analyse der Veränderung der Symptomatik über die Zeit, eine Fragestellung,
die häufig bei Therapie-Evaluationsstudien von zentralem Interesse ist, eignet sich der
Multilevel-Ansatz in besonderem Maße. Eine Mehrebenenstruktur besteht unter
anderem, wenn Daten einer Ebene hierarchisch auf einer 2. Ebene geschachtelt sind,
wie
es
beispielsweise
bei
Messwiederholungen
der
Fall
ist.
Bei
einem
Messwiederholungs-Design sind die Beobachtungen in Personen geschachtelt, d.h.
die Beobachtungen auf der Ebene 1 werden durch die Personen auf Ebene 2 erklärt.
Der Vorzug der Multilevel-Analyse besteht darin, dass spezifische Sachverhalte, die
von Forschungsinteresse sind, auf verschiedenen Analyseebenen gleichzeitig
untersucht werden können (Nezlek, Schröder-Abé, Schütz 2006). Die MehrebenenAnalyse weist gegenüber anderen Verfahren den entscheidenden Vorteil auf, dass
fehlende Messwerte (missing values) nicht ersetzt werden müssen, sondern durch das
regressionsanalytische Modell geschätzt werden. Ein besonderer Vorzug der MLA
liegt darin, dass bei Studien mit Messwiederholungs-Design, der zeitliche Abstand
zwischen den Messzeitpunkten variieren darf.
Die sekundären Analysen bezogen sich, neben der Analyse der Problemhäufigkeit und
Problembelastung, auch auf Veränderungen der komorbiden internalen und
externalen Symptomatik, erhoben über die diagnostischen Breitbandverfahren CBCL,
127
YSR und TRF zu Beginn (MZP 1) und zum Abschluss der Therapie (MZP 6). Sämtliche
Prä-Post-Vergleiche wurden mittels des nonparametrischen Wilcoxon-Tests für
abhängige Stichproben berechnet, da kein Intervallskalen-Niveau vorliegt bzw. nicht
von einer Normalverteilung der Daten auszugehen ist und somit strenggenommen
keine T-Tests für abhängige Stichproben berechnet werden sollten. Die Beurteilung
des Therapieerfolges und der Behandlungszufriedenheit, aus Sicht des Patienten, der
Eltern und des Therapeuten, wurde rein deskriptiv beantwortet. Sämtliche
Auswertungen wurden auf Rohwertebene durchgeführt. Als Signifikanz-Niveau wurde
für alle Analysen α = .05 gewählt. Da die Forschungshypothesen gerichtete
Hypothesen sind, wurde – entsprechend der allgemeinen Konvention – das α bzw. der
p-Wert (statistisches Signifikanzmaß) durch 2 dividiert.
Die Bestimmung der Effektstärken erfolgte für die Prä-Post-Vergleiche nach folgender
Formel:
M Prä – M Post
SD Prä
M Prä ≙ Mittelwert der Prämessung
M Post ≙ Mittelwert der Postmessung
SD Prä ≙ Standardabweichung der Prämessung
Im Rahmen der Multilevel-Analysen wurden die Effektstärken bezogen auf den
untersuchten Messzeitraum (z.B. Wartephase, Interventionsphase, Follow-up)
folgendermaßen berechnet:
Steigung des Messzeitraums x Anzahl Messzeitintervalle
Standardabweichung
Prä
Die Netto-Effektstärke berechnet sich aus der Effektstärke der Intervention abzüglich
der Effektstärke der Baseline-Phase.
Die allgemeine Multilevel-Modellgleichung lässt sich folgendermaßen definieren:
Y = α + β1 Time1 + β2 Time2 + β3 Time3 + ε
128
y
≙ vorhergesagter Wert
α
≙ Achsenabschnitt der Regressionsgeraden (Konstante)
β
≙ Steigung der durchschnittlichen Regressionsgeraden im definierten
Messzeitraum
Time ≙ untersuchter Messzeitraum
ε
≙ Messfehler
Alle statistischen Analysen erfolgten anhand des Statistikprogramms SPSS (Statistical
Package for the Social Sciences, Version 22.0) von IBM.
129
6 Kasuistiken
Im Folgenden werden die im Rahmen der Pilotstudie behandelten 12 Probanden in
Form von Kasuistiken detailliert beschrieben. Neben dem Vorstellungsanlass und den
diagnostischen Befunden werden für jeden Patienten die mikro- und makroanalytische
Entstehungsgeschichte der Symptomatik, die gemeinsam mit der Familie formulierten
Therapieziele, der Behandlungsplan sowie der individuelle Behandlungsverlauf
dargestellt.
6.1 Behandlungsfall 1
Angaben zur spontan berichteten und erfragten Symptomatik
Der 17-jährige Patient kommt auf Empfehlung des Sozialpädiatrischen Zentrums zum
Erstgespräch. Vorstellungsanlass sei ein deutliches Stimmungstief, in Verbindung mit
einer ausgeprägten Selbstwertproblematik und sozialen Rückzugstendenzen. Die
Selbstwertproblematik bestehe - aus Sicht des Jugendlichen und der Mutter - seit
mehreren
Jahren.
Die
traurige
Stimmung
und
eine
damit
einhergehende
Antriebslosigkeit würden den Eltern und dem Jugendlichen seit mindestens einem Jahr
auffallen. Der Patient berichtet des Weiteren, dass er ein deutliches Unbehagen im
Umgang mit Gleichaltrigen verspüre und sich beispielsweise nicht traue, unbekannte
Jugendliche anzusprechen, aus Angst, dass diese ihm gegenüber aggressiv werden
könnten oder ihn auslachen könnten. Er schaffe es auch nicht, sich gegenüber
Jugendlichen durchsetzen. J. leide, abgesehen von der traurigen Stimmung, auch
unter Übelkeit, Kopfschmerzen, Durchschlafproblemen und denke übermäßig viel über
sein Leben resp. seine berufliche Zukunft nach. Die Grübeleien führe er auf seine
„unsichere berufliche Perspektive“ zurück, da er seit Herbst 2013 in keiner beruflichen
Maßnahme mehr integriert sei. Zuvor habe er ein Jahr lang eine berufsvorbereitende
Maßnahme besucht und ein Praktikum im Bereich der Altenpflege absolviert. Aktuell
warte J. auf eine Zusage der Bundesagentur für Arbeit in Bezug auf eine
Berufsmaßnahme für Menschen mit seelischer Beeinträchtigung.
Da neben der depressiven Grundstimmung und sozialen Ängstlichkeit resp.
Unsicherheit, wie beschrieben, zunehmend soziale Rückzugstendenzen, tägliche
Grübeleien und Selbstzweifel hinzugekommen seien, die das Ein- und Durchschlafen
nahezu jede Nacht verhindern, habe der Jugendliche sich jetzt für eine
psychotherapeutische Behandlung entschieden.
130
Lebensgeschichtliche Entwicklung und Krankheitsanamnese
J. lebt gemeinsam mit seinen 13- und 15-jähigen Brüdern im elterlichen Haushalt. Der
Vater ist als Elektrotechniker tätig, die Mutter ist von Beruf Ingenieurin für Textiltechnik,
aktuell allerdings nicht berufstätig. Die Eltern sind seit 1990 verheiratet. Die Beziehung
der Geschwister untereinander wird als gut beschrieben.
Die Schwangerschaft wird als unauffällig geschildert, die Geburt von J. sei
termingerecht in der 40. SSW erfolgt. Er sei als Säugling ein ruhiges und
„pflegeleichtes“ Baby gewesen. Im Kleinkindalter habe J. motorische Defizite und eine
Artikulationsstörung gezeigt, die beide behandelt worden seien. Vom 3. bis 6.
Lebensjahr besuchte J. einen Kindergarten. Dort sei er gut integriert gewesen, habe
ein gutes Regel- und Sozialverhalten gezeigt und habe auch keine Trennungsängste
gehabt. 2002 sei er eingeschult worden. In der Grundschulzeit habe er Probleme beim
Schriftspracherwerb und beim Rechnen gezeigt, weshalb er die 1. und 2. Klasse
wiederholt habe. Aufgrund der schlechten Schulleistungen sei 2007 eine Vorstellung
bei einem Kinder- und Jugendpsychiater erfolgt. Die Überprüfung der kognitiven
Leistungsfähigkeit
ergab
eine
durchschnittliche
Teilleistungsdiagnostik zur spezifischen
Intelligenz
(IQ
90).
Eine
Überprüfung der Rechtschreib- und
rechnerischen Fähigkeiten wurde seinerzeit nicht durchgeführt.
Der Wechsel auf die Hauptschule sei 2008 erfolgt. In der 5. Klasse sei von Seiten der
Schule ein AOSF-Verfahren eingeleitet worden. Im Rahmen der Überprüfung sei
jedoch kein sonderpädagogischer Förderbedarf festgestellt worden. Die Mutter
berichtet, dass J. mit dem Wechsel auf die weiterführende Schule zunehmend das
Zutrauen in seine eigenen Fähigkeiten und insbesondere in seine schulische
Leistungsfähigkeit verloren habe. Zudem habe er eine ausgeprägte Angst in
Leistungs- und schulischen Bewertungssituationen entwickelt. Er habe sich nicht mehr
getraut im Unterricht aktiv mitzuarbeiten, aus Sorge von den Mitschülern ausgelacht
zu werden. Im weiteren Verlauf habe er immer mehr Angst vor dem Schulbesuch
bekommen, so dass er schließlich mit einem Schulabgangszeugnis nach der 8. Klasse
die Hauptschule beendet habe. Im Zeitraum von September 2012 bis September 2013
habe J. eine berufsvorbereitende Bildungsmaßnahme der ARGE besucht. Dort sei er
von seinen Mitschülern gemobbt und psychisch unter Druck gesetzt worden und habe
in der Folge keinen sozialen Anschluss an andere Jugendliche gefunden. In diesem
Zeitraum habe J. massive Ängste in Bezug auf Gleichaltrige entwickelt, die bis dato
131
fortbestehen. Seit Oktober 2013 warte er nun auf die Bewilligung einer
Berufsmaßnahme für Menschen mit seelischer Beeinträchtigung.
J. habe keine Freunde, weil er Gleichaltrigen grundsätzlich nicht vertraue. Da er oft
von seinen ehemaligen Freunden enttäuscht worden sei und viele negative
Erfahrungen mit anderen Jugendlichen gesammelt habe, wolle er auch keine neuen
Freundschaften schließen. Er betont aber, dass er mit Erwachsenen keine Probleme
habe und seine Freizeit gerne mit Erwachsenen (z.B. Eltern, Großeltern) verbringe. In
seiner Freizeit gehe er regelmäßig in den Schützenverein, ansonsten verbringe er
seine Freizeit nahezu ausschließlich zu Hause. Dort lese er gerne Bücher, spiele
gelegentlich am Computer und interessiere sich für Technik, Chemie und historische
Waffen.
Psychischer Befund zum Zeitpunkt der Antragstellung
J. ist ein altersgemäß entwickelter, modisch gekleideter, 17-jähriger Jugendlicher. Im
Gespräch ist er freundlich zugewandt, wirkt jedoch schüchtern und unsicher. Die
Stimmung ist traurig-gedrückt, in Kombination mit resignativen Kognitionen und
auffälliger Antriebsarmut.
Deutliche Selbstwertproblematik.
Keine
Suizidalität,
selbstschädigendes Verhalten oder Fremdgefährdung eruierbar. Kein Alkohol- oder
Drogenabusus. Formal und inhaltlich ist der Gedankengang unauffällig, jedoch
deutlich negativ gefärbt. J. berichtet außerdem von Konzentrationsproblemen.
Anamnestisch Angst vor Bewertungs- resp. Leistungssituationen und vor unbekannten
Jugendlichen. Aktuell besonders ausgeprägte Angst vor Übergriffen seitens
unbekannter
Jugendlicher.
Seit
mindestens
einem
Jahr
Ein-
und
Durchschlafprobleme, in Verbindung mit Grübeleien und Müdigkeit am Tag.
Essverhalten und Gewicht unauffällig. Die kognitive Leistungsfähigkeit liegt laut
erneuter Testung im Sozialpädiatrischen Zentrum (im Jahr 2013) im Grenzbereich
durchschnittlich / unterdurchschnittlich.
Diagnostische Befunde
In der CBCL und im YSR wurden klinisch auffällige Ergebnisse in Bezug auf internale
Verhaltensauffälligkeiten
ermittelt.
Im
Jugendlichenurteil
des
YSR
wurden
überdurchschnittliche Werte für die Bereiche „sozialer Rückzug“ (T-Wert 66),
„somatische Beschwerden“ (T-Wert 67), „ängstlich/depressiv“ (T-Wert 70), „soziale
Probleme“ T-Wert 67 und „Aufmerksamkeitsprobleme“ (T-Wert 69) ermittelt. Im
132
Elternurteil der CBCL wurden ebenfalls auffällige Ergebnisse erzielt („sozialer
Rückzug“ T-Wert 67, „somatische Beschwerden“ T-Wert 74, „ängstlich-depressiv“ TWert 67). Im SBB-DES (Stanine 9) und FBB-DES (Stanine 8) des DISYPS-II zeigen
sich deutliche Hinweise auf eine depressive Störung, die sich im klinischen Urteil
bestätigen. Die Kompetenzen, mit einem Stanine-Wert von 2 im Elternurteil, sind als
sehr gering zu interpretieren. Im Selbsturteil finden sich Hinweise auf eine
Überschätzung
der
eigenen
Kompetenzen.
Im
DIKJ
erreichte
J.
einen
überdurchschnittlichen T-Wert von 69. Die Auswertungen des SBB-ANZ und FBB-ANZ
des DISYPS-II weisen auf eine deutlich ausgeprägte Angst vor Gleichaltrigen resp.
Befangenheit in sozialen Situationen, sowie die Angst in Leistungssituationen zu
versagen, hin.
In der Rosenberg Self-Esteem Scale wurde ein unterdurchschnittlicher T-Wert von 32
ermittelt, der auf einen vergleichsweise gering ausgeprägten globalen Selbstwert
hinweist. Sowohl die DISYPS-II-Testbefunde als auch die Exploration und das daraus
resultierende klinische Urteil bestätigen die Diagnose einer mittelgradigen depressiven
Episode und einer sozialen Phobie.
Die kognitive Leistungsfähigkeit wurde mittels des WISC-IV vor Studienbeginn
überprüft. J. erreichte einen im Grenzbereich durchschnittlich / unterdurchschnittlich
liegenden Gesamt-IQ von 82 (Sprachverständnis IQ 92; wahrnehmungsgebundenes
Denken IQ 90; Arbeitsgedächtnis IQ 80; Verarbeitungsgeschwindigkeit IQ 81). Die
Ergebnisse sind jedoch aufgrund der schwerwiegenden depressiven Symptomatik, mit
Konzentrationsproblemen und der deutlichen Angst in Bewertungssituationen, aber
auch aufgrund diskontinuierlicher Beschulung in den letzten Jahren, nur unter
Vorbehalt zu interpretieren.
Somatischer Befund – ärztlicher Konsiliarbericht
Laut Hausarzt liegen keine medizinischen Einwände gegen eine Psychotherapie vor.
Eine kinder- und jugendpsychiatrische Abklärung ist erfolgt.
Bedingungs- und Verhaltensanalyse
Verhaltensanalyse
J. wurde vor dem Hintergrund der motorischen Entwicklungsverzögerung und der
Artikulationsstörung schon in der Kindergarten- und Grundschulzeit mit „Defiziten“
konfrontiert, die die Grundlage der sich im weiteren Verlauf entwickelten Leistungs133
und Bewertungsangst bildeten. J. war in der Grundschulzeit erstmals mit Faktoren
konfrontiert, die den Selbstwert destabilisieren. Er hatte in den ersten beiden
Schuljahren Schwierigkeiten beim Schriftspracherwerb und beim Rechnen, so dass
retrospektiv zu vermuten ist, dass eine Entwicklungsstörung schulischer Fertigkeiten
bestanden hat (die jedoch nicht diagnostiziert wurde). Die Angst vor Beurteilungen und
schulischen Bewertungen nahm auf der weiterführenden Schule, mit steigendem
Leistungsniveau, deutlich zu und generalisierte in den folgenden Jahren auf alle
sozialen Situationen. Auch die Selbstwertproblematik nahm im Zuge dessen immer
weiter zu. J. internalisierte aufgrund der vielen negativen Rückmeldungen ein
negatives Selbstbild.
Als ungünstiger, die Symptomatik verstärkender Faktor, stellte sich das Mobbing durch
Mitschüler heraus, was letztendlich zum Schulabgang nach der 8. Klasse führte, da J.
den Leistungs- und sozialen Druck in der Schule nicht mehr aushalten konnte. Die
komorbide depressive Symptomatik entwickelte sich zunächst kaum merklich in der 8.
Klasse und nahm während der Berufsbildungsmaßnahme deutlich zu, da er auch dort
mit Jugendlichen konfrontiert war, die ihn ärgerten und ihm sogar Gewalt androhten.
Die Kernproblematik von J. besteht aktuell in einem Bewältigungsdefizit sozialer
Ablehnungs- und Mobbingerfahrungen, die im weiteren Entwicklungsverlauf zur
Vermeidung sämtlicher sozialer Situationen geführt hat und damit zur Manifestation
einer sozialen Phobie und einer mittelgradigen depressiven Episode, mit ausgeprägter
Selbstwertproblematik und sozialen Kompetenzdefiziten, beigetragen hat.
Operante Verstärkerprozesse stabilisieren die Symptomatik, wie die folgende SORCAnalyse zeigt:
Situation:
J. wird von einem Jugendlichen ausgelacht
Organismusvariablen:
Disposition zu ängstlichem Verhalten; Phlegmatismus
R emotional:
Angst, Panik, Traurigkeit
R physiologisch:
Herzrasen,
psychosomatische
Beschwerden,
wie
Kopfschmerzen, Übelkeit…
R motorisch:
mangelndes Durchsetzungsvermögen, Flucht aus der
Situation
R kognitiv:
„Der will mich bestimmt schlagen“, „Man kann niemandem
trauen“
134
Konsequenzen
C-
Stabilisierung des negativen Selbstbildes und Verstärkung der depressiven und
sozial phobischen Symptomatik. Stark gefährdete berufliche Perspektive, da J.
Angst vor dem Beginn einer Ausbildung hat.
C+
keine angenehmen sozialen Aktivitäten mit Gleichaltrigen, Verlust an Freude
bei außerhäuslichen Aktivitäten, keine Gelegenheit soziale Kompetenzen im
Umgang mit Gleichaltrigen zu erwerben
C+
Zuwendung und „Verständnis“ von Seiten der Familie, wenn J. soziale Kontakte
meidet
C-
J. umgeht durch die Vermeidung eine potentielle handgreifliche Konfrontation
mit dem anderen Jugendlichen
MAS-Diagnosen nach ICD-10
Achse I:
Mittelgradige depressive Episode (F32.1) (G)
Soziale Phobie F40.1 (G)
Achse II:
Artikulationsstörung F80.0 (Z)
Umschriebene Entwicklungsstörung der Fein- / Graphomotorik F82.1 (Z)
Achse III:
Intelligenz im Grenzbereich durchschnittlich / unterdurchschnittlich
Achse IV:
keine
Achse V:
keine
Achse VI:
Ernsthafte soziale Beeinträchtigung in mehreren Bereichen (4)
Therapieziele und Prognose
Mit dem Patienten und den Eltern wurden folgende Ziele vereinbart:
Patientenzentrierte Ziele
1. Stabilisierung der Stimmung
2. Abbau der sozialen Ängste und des Vermeidungsverhaltens
3. Korrektur des negativen Selbstbildes und der pessimistischen Haltung
4. Stärkung der Durchsetzungsfähigkeit und Selbstbehauptung
5. Bearbeitung der Schlafproblematik
Elternzentrierte Ziele
1. Erarbeitung eines gemeinsamen Störungsmodells mit der gesamten Familie
2. Abbau des protektiven Elternverhaltens und der „Schonhaltung“ in Bezug auf J.
135
3. Förderung der Autonomie des Jugendlichen
Im Rahmen der probatorischen Sitzungen konnte eine vertrauensvolle therapeutische
Beziehung zu J. und ein gutes Arbeitsbündnis mit der Familie hergestellt werden. Der
Jugendliche zeigt ein angemessenes Problembewusstsein und einen erkennbaren
Veränderungswillen. Da die Symptomatik sich primär auf den sozialen Kontext mit
Gleichaltrigen fokussiert, d.h. nicht alle Lebensbereiche umfasst, und die geplanten
Interventionen evidenzbasiert sind, kann von einer relativ guten Prognose für die
Gesamtentwicklung ausgegangen werden.
Behandlungsplan
Patientenzentrierte Behandlungsmethoden
1. Psychoedukation: altersgemäße Vermittlung von Wissen über die Entwicklung von
Depressionen und sozialen Ängsten. Erarbeitung von auslösenden und
aufrechterhaltenden Bedingungen der Symptomatik sowie sensible Exploration der
biografischen Hintergründe der Symptomatik ( individuelles Störungsmodell).
2. Stimmungsstabilisierung: Reaktivierung von Interessen, die J. Freude bereiten
(z.B. Schützenverein, Sport), „Liste angenehmer Aktivitäten“ (SELBST) nutzen, um
verschiedene Aktivitäten auszuprobieren. Ziel: angenehme Aktivitäten in den Alltag
zu implementieren (Einführung eines Tagestrukturierungsplans).
3. Ressourcenorientierte Arbeit: Fokussierung und Aktivierung von persönlichen
Stärken und von Ressourcen im Umfeld (z.B. „Ressourcenbaum“). Gezielter
Einsatz persönlicher Ressourcen im Alltag.
4. Bearbeitung der sozialen Phobie: Sukzessive in vivo Konfrontation mit
angstauslösenden sozialen Situationen. Abbau des Vermeidungsverhaltens.
5. Erarbeitung eines positiven Selbstbildes: Korrektur negativer selbstbezogener
Gedanken, Etablierung positiver Gedanken in Bezug auf die eigene Person.
Förderung der positiven Sicht in Bezug auf die Umwelt und die Zukunft.
6. Stärkung der sozialen Kompetenzen: Im Rollenspiel üben, z. B. laut und deutlich
zu sprechen, Blickkontakt zu halten, die eigene Meinung zu sagen, sich gegenüber
anderen Jugendlichen durchzusetzen. Neu erworbenen Kompetenzen im Alltag
erproben.
136
7. Bearbeitung der Schlafproblematik: Verbesserung der Schlafhygiene, Abbau der
Belastungen, die J. nachts vom Schlaf abhalten, Gedankenstopp bei Grübeleien.
Unterbinden des Schlafens am Tag, feste Schlaf- und Aufstehzeiten etablieren.
Elternzentrierte Behandlungsmethoden
1. Erarbeitung
eines
individuellen
Störungsmodells
und
gemeinsamer
Behandlungsziele.
2. Abbau des Schonungsverhaltens und Förderung der Autonomie des Sohnes
(außerhäusliche Aufgaben übernehmen, z.B. Brot alleine kaufen, alleine Bahn
fahren…).
3. Unterstützung des Sohnes bei der Erprobung der neu erlernten sozialen
Kompetenzen im Alltag.
Behandlungsverlauf
Die Behandlung fand in der Regel wöchentlich mit J. statt. Die Eltern wurde sporadisch
in die Therapie mit eingebunden. Sowohl der Jugendliche als auch die Eltern nahmen
die Termine sehr zuverlässig und motiviert wahr.
Zunächst wurde gemeinsam mit den Eltern und J. ein multidimensionales
Störungsmodell für die depressive und sozial phobische Symptomatik entwickelt. Da
bei J. zu Behandlungsbeginn eine ausgeprägte Vermeidung aller neuartigen
Situationen vorherrschte, wurden, neben den auslösenden Faktoren, insbesondere die
aufrechterhaltenden Bedingungen der Phobie und der Depression hervorgehoben. Im
Rahmen des ressourcenaktivierenden Ansatzes wurde in der ersten Therapiephase
zunächst eine vertrauensvolle Beziehung zum Patienten und der Familie etabliert und
im Folgenden persönliche Stärken von J. herausgearbeitet. Es wurden Ressourcen
des Umfeldes exploriert, die im weiteren Therapieverlauf systematisch genutzt
wurden. Da J. den Fokus seiner Aufmerksamkeit, trotz ressourcenaktivierender und
stärken-fokussierender
Therapieelemente,
sehr
auf
seine
Schwächen
und
Unzulänglichkeiten legte, wurde parallel zur Ressourcenaktivierung in besonderem
Maße auch an den im Vordergrund der Symptomatik stehenden selbstabwertenden
Kognitionen (z.B. „Ich kriege nichts hin“, „Ich bin zu doof“, „Ich bin hässlich“) gearbeitet.
Dysfunktionale Kognitionen wurden in Form von sokratischen Dialogen kritisch
hinterfragt und auf ihren Realitätsgehalt überprüft („Realitäts-Check Schwarzmalerei“).
J.
wurden
verschiedene
Denkfallen,
137
wie
„Übergeneralisierung“
oder
„Katastrophendenken“ erläutert und J. lernte selbständig einzuschätzen, ob seine
Gedanken realistisch sind oder ob seinen Gedanken Denkfehler zugrunde liegen. Mit
Unterstützung durch die Therapeutin gelang es J. zunehmend besser, Denkfallen
frühzeitig zu erkennen und funktionalere Kognitionen in Bezug auf die eigene Person
zu entwickeln („Ich bemühe mich, so gut ich kann, meine Leistungen zu verbessern“
als Alternative zur dysfunktionalen Kognition „Ich bin zu doof zum Lernen“). Eine
kritische Grundhaltung blieb jedoch bis zum Abschluss der Behandlung bestehen (z.B.
„Ich bin noch immer nicht so gut in der Schule wie andere Schüler“). Auch die
feindseligen Unterstellungen betreffend anderer Jugendlicher (z.B. „Die wollen mich
bestimmt
verprügeln“)
erwiesen
sich
über
einen
langen
Zeitraum
als
änderungsresistent. J. lernte in der Therapie zwar, dass diese Gedanken hoch
spekulativ sind, konnte jedoch seine Befürchtungen, verprügelt oder provoziert zu
werden, nur ansatzweise abschwächen. Erst durch die „Realitätstestung“ und das
systematische
Konfrontieren
mit
angstauslösenden
sozialen
Situationen
(beispielsweise im Verein mit einem Vereinsmitglied eine Unterhaltung anfangen)
konnte J. internalisieren, dass nicht alle Menschen auf Konflikte und Provokationen
aus sind.
Im weiteren Therapieverlauf wurde ein engmaschiger Tagesstrukturierungsplan
eingeführt. Mittels verschiedener Freizeitaktivitäten, die nach und nach etabliert
wurden, konnte das Aktivitätsniveau erhöht und das Interessenrepertoire erweitert
werden. So meldete J. sich mit der Mutter im Fitness-Center und einem Wing Tschun
Verein an. Den Schützenverein besuchte er weiterhin einmal wöchentlich. Im Zuge der
Aktivitätssteigerung wurden feste Aufsteh- und Zubettgehzeiten definiert (Mo - Fr um
8 Uhr, am Wochenende um 9 Uhr aufstehen, um 23 Uhr ins Bett gehen), um zu
verhindern, dass J. den gesamten Vormittag im Bett verbringt und deshalb abends
nicht einschlafen kann. Zudem wurden Schlafhygieneregeln zur Verbesserung der
Schlafqualität eingeführt. Insgesamt konnte durch die genannten Interventionen
bereits nach wenigen Wochen ein adäquater Schlaf-Wach-Rhythmus etabliert werden
und die Stimmung grundlegend verbessert werden.
Ein weiterer wesentlicher Bestandteil der Therapie bestand im Training sozialer
Fertigkeiten. J. lernte zunächst im Rollenspiel bei Gesprächen laut und deutlich zu
reden und eine selbstsichere Körperhaltung einzunehmen. Dabei wurden, in Form von
Rollenspielen, Gespräche mit Gleichaltrigen simuliert. Im weiteren Verlauf trainierte J.
die erworbenen Fertigkeiten in realen Situationen, wie beispielsweise im Sportverein.
138
Zur Unterstützung einer angstfreien Kommunikation und Interaktion mit Peers wurde
zusätzlich eine graduierte in vivo Konfrontation mit angstauslösenden sozialen
Situationen durchgeführt. Die Therapiehausaufgaben bestanden beispielsweise darin,
einen Freund zu fragen, ob er mit zum Training kommen möchte, beim Training einen
Trainingspartner anzusprechen, alleine einkaufen zu gehen oder alleine zur Therapie
zu fahren mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Die neuen Kontakte, die J. im Verein
geschlossen hat, in Verbindung mit dem Kompetenzzuwachs haben maßgeblich zur
Verbesserung des Selbstwertes von J. beigetragen. Obwohl es J. mit der Zeit immer
besser gelang in Interaktion mit seinen Mitmenschen zu treten, fühlte er sich subjektiv
bis zum Abschluss der Therapie noch leicht verunsichert und etwas unbeholfen.
Die Elternarbeit bestand im Wesentlichen darin, die Mutter darin anzuleiten, J. für die
Konfrontationsbehandlung zu motivieren und ihn dabei, nach Möglichkeit, zu
unterstützen. Es gelang den Eltern sehr schnell, die übermäßige Schonhaltung in
Bezug auf J. abzulegen und ihren Sohn bei der Verselbständigung zu unterstützen.
Sie halfen J. maßgeblich bei der Suche nach geeigneten Freizeitaktivitäten und
sorgten dafür, dass J. kontinuierlich seinen neuen Hobbies nachgeht. Die Eltern
wurden auch dafür sensibilisiert, die Therapiefortschritte ihres Sohnes konsequent
durch Lob zu verstärken, was ihnen aufgrund der guten Eltern-Sohn-Beziehung
mühelos
gelungen
ist.
Depressionsbehandlung
Die
und
Therapie
deutlichen
wurde
im
Reduktion
Zuge
der
der
sozial
erfolgreichen
phobischen
Symptomatik, in Absprache mit dem Jugendlichen und den Eltern, beendet. Es wurde
empfohlen, dass J. sich auch über die Therapie hinaus weiterhin regelmäßig
Situationen mit Gleichaltrigen aussetzen soll, um die erreichten Therapieziele zu
stabilisieren.
Als Fazit kann gezogen werden, dass die depressive Symptomatik vollständig
remittiert ist und der Selbstwert gesteigert werden konnte, während die soziale Phobie
noch in subklinischer Form vorhanden ist. Zur Stabilisierung der Behandlungseffekte
muss J. sich auch weiterhin neuen sozialen Situationen, wie dem Schulbesuch oder
einem Praktikum, aussetzen. Als besonderer Therapieerfolg ist zu werten, dass J. im
Therapieverlauf erfolgreich ein Praktikum in einem Altersheim absolvierte und dort
kaum noch soziale Ängstlichkeit gezeigt hat. Ein weiterer großer Erfolg ist, dass J. im
Rahmen des „Bildungsprojekts zum Globalen Lernen von Jugendlichen mit
besonderem Förderbedarf“ ab dem kommenden Schuljahr seinen Schulabschluss
nachholen kann.
139
6.2 Behandlungsfall 2
Angaben zur spontan berichteten und erfragten Symptomatik
Die 17-jährige Patientin kommt zum Erstgespräch in Begleitung ihrer Mutter.
Vorstellungsanlass sei ein deutliches Stimmungstief, das - aus Sicht der Jugendlichen
und der Mutter - seit mindestens zwei Jahren bestehe. Die Patientin berichtet, dass
sich die traurig-bedrückte Stimmungslage während ihrer ersten Beziehung mit einem
Jungen entwickelt habe. Ihr damaliger Freund habe sie häufig gedemütigt, verbal
attackiert resp. bedroht und sie auch geschlagen. Zudem sei er ihr fremdgegangen,
was sie sehr verletzt habe. Die Mutter glaube, dass ihre Tochter dem Jungen „hörig“
gewesen sei, da sie es über einen längeren Zeitraum nicht geschafft habe, sich von
ihm zu trennen.
V.
nehme
seit
ihrem
14.
Lebensjahr
wahr,
dass
sie
Stimmungs-
und
Selbstwertprobleme habe, dies habe sie jedoch zunächst nicht weiter beunruhigt. Seit
ca. 2 Jahren sei ihre Stimmung jedoch deutlich „gekippt“, d.h. die depressive
Symptomatik, in Verbindung mit sozialen Rückzugstendenzen, Grübeleien und
Selbstvorwürfen, haben aus Sicht der Patientin und ihrer Mutter deutlich zugenommen.
Neben einer traurigen Grundstimmung habe V. seit 2011 gelegentlich Suizidgedanken,
letztmalig vor ungefähr einem halben Jahr. Suizidversuche habe es in der
Vergangenheit nie gegeben, auch keinen stationären Aufenthalt wegen akuter
Suizidalität. V. leide, abgesehen von ihrer traurigen Stimmung, auch sehr unter Einund Durchschlafproblemen sowie unter Konzentrationsschwierigkeiten in der
Berufsschule. Sie habe auch Sorge, die Ausbildung nicht zu schaffen. V. erlebe neben
ihrer deutlichen Belastung auch immer mal wieder kurze Phasen einer „neutralen“
Stimmung und könne sich „in guten Phasen“ auch angemessen über alltägliche Dinge
freuen.
Lebensgeschichtliche Entwicklung und Krankheitsanamnese
V. lebt gemeinsam mit ihrer 16-jähigen Schwester im elterlichen Haushalt. Der Vater
ist KFZ-Meister, die Mutter ist im pädagogischen Bereich tätig. V. hat einen 30-jährigen
Halbbruder und eine 26-jährige Halbschwester väterlicherseits, die beide nicht in der
Familie leben.
Es wird eine termingerechte Geburt per Sectio beschrieben. V. habe in der
Neugeborenenperiode viel geweint und sei „schon immer sehr anhänglich“ gewesen.
Die Meilensteine der frühkindlichen Entwicklung seien zeitgerecht erreicht worden.
Vom 3. bis 6. Lebensjahr besuchte V. einen Kindergarten. Dort habe sich erstmals
140
eine deutliche Trennungsangst, sowie Angst vor Hunden und Männern gezeigt. Trotz
ihrer Ängste sei V. sehr beliebt bei Kindern gewesen und sozial gut integriert. Im Alter
von sechs Jahren sei sie eingeschult worden. Das 1. Schuljahr absolvierte sie ohne
nennenswerte Auffälligkeiten, am Ende der 2. Klasse hingegen habe sie nur noch
geweint im Unterricht und wollte nicht mehr zur Schule gehen. In der 3. Klasse fing sie
an die Mitarbeit im Unterricht zu verweigern, ging jedoch aufgrund der konsequenten
Erziehungshaltung der Eltern weiterhin regelmäßig zur Schule. Man habe den Eltern
dennoch aufgrund des auffälligen Verhaltens geraten, V. dem schulpsychologischen
Dienst vorzustellen, der eine psychotherapeutische Behandlung empfohlen habe. V.
sei aufgrund dieser Empfehlung zwei Jahre lang verhaltenstherapeutisch behandelt
worden. Die diversen Ängste seien laut Auskunft der Mutter durch die Behandlung
vollständig remittiert.
Nach der Grundschulzeit besuchte V. bis zum Schulabschluss die Gesamtschule. Dort
sei bis zur 8. Klasse „alles super verlaufen.“ Vor ca. 3 Jahren sei sie dann ihre erste
Beziehung eingegangen. Die Beziehung, die ungefähr 1,5 Jahre lang aufrechterhalten
wurde, habe sie in sehr schlechter Erinnerung. Sie sei damals über Monate hinweg
von ihrem Partner schlecht behandelt worden und habe von ihrem Freund neben
verbalen und körperlichen Attacken auch Morddrohungen per Handy erhalten. Die
Mutter berichtet, dass sich die Stimmung ihrer Tochter in dieser Zeit deutlich
verschlechtert habe und gleichzeitig ein starker Leistungsabfall in der Schule zu
verzeichnen gewesen war. Für die Mutter sei besonders schwer auszuhalten, dass V.
sich ihr gegenüber „nie öffnen wollte.“
Nach Beendigung der Beziehung stabilisierte sich die Stimmung von V. zunächst
etwas, als V. jedoch einen anderen Jungen kennenlernte, der sie ebenfalls respektlos
behandelte, habe sich ihre Stimmung wieder deutlich verschlechtert. Auftrieb habe ihr
im letzten Jahr der Beginn der Ausbildung zur medizinischen Fachangestellten
gegeben. Aktuell befindet sich V. im 2. Ausbildungsjahr. Die Ausbildung mache sie
gerne, sie sei auch gut integriert, befürchte aber, das Ausbildungsjahr nicht zu
schaffen, weil sie sich kaum konzentrieren könne und zu wenig lerne.
V. habe einige Freunde, mit denen sie sich am Wochenende früher regelmäßig
verabredet habe. Hobbies habe sie keine und sie gehe seit Längerem auch keiner
regelmäßigen Freizeitbeschäftigung mehr nach. Früher sei sie regelmäßig tanzen
141
gegangen, würde dies auch gerne wieder tun, wenn sie sich wieder dazu „aufraffen“
könne.
Psychischer Befund zum Zeitpunkt der Antragstellung
V. ist eine altersgemäß entwickelte, sympathische 17-jährige Jugendliche. Sie ist im
Gespräch freundlich zugewandt, jedoch schüchtern und unsicher im Sozialkontakt.
Mnestische Funktion unauffällig, kognitive Leistungsfähigkeit im durchschnittlichen
Bereich. Die Stimmungslage ist deutlich depressiv und resignativ, mit geringem
Selbstwert und Antriebslosigkeit. Keine Suizidalität oder selbstschädigendes
Verhalten, keine Fremdgefährdung. Formal und inhaltlich ist der Gedankengang
unauffällig, jedoch deutlich negativ gefärbt. Kein Alkohol- oder Drogenabusus.
Anamnestisch im Vorschul- und Grundschulalter Trennungsangst, Angst vor Hunden
und Männern bekannt, zum gegenwärtigen Zeitpunkt Versagensangst eruierbar. Seit
mehreren Jahren Ein- und Durchschlafprobleme, in Verbindung mit Grübeleien und
Selbstabwertungstendenzen.
Keine
Hinweise
auf
Intrusionen
oder
andere
Kardinalsymptome einer Posttraumatischen Belastungsstörung.
Diagnostische Befunde
V. erreichte im Wechsler-Intelligenztest für Erwachsene (WIE) einen Gesamt-IQ von
94 Punkten und erzielt damit – trotz deutlicher Nervosität während der Testung – ein
Ergebnis im Normbereich. In der CBCL und im YSR wurden klinisch auffällige
Ergebnisse in Bezug auf internale Verhaltensauffälligkeiten ermittelt. Im SBB-DES und
FBB-DES des DISYPS-II zeigen sich mit jeweils einem Stanine-Wert von 9 deutliche
Hinweise auf eine depressive Störungen. Die Kompetenzen sind im Selbst- und
Fremdurteil, mit einem Stanine-Wert von 3, als gering zu interpretieren. Im DIKJ
erreichte V. ein überdurchschnittliches Ergebnis (T = 72), welches, wie die o. g.
Befunde, auf eine ausgeprägte depressive Symptomatik hinweist. In der Rosenberg
Self-Esteem Scale wurde ein extrem unterdurchschnittlicher T-Wert von 16 ermittelt,
der auf einen sehr gering ausgeprägten globalen Selbstwert hinweist. Sowohl die
Testbefunde, als auch die Exploration und das daraus resultierende klinische Urteil
bestätigen die Diagnose einer mittelgradigen depressiven Episode.
142
Somatischer Befund – ärztlicher Konsiliarbericht
Laut Hausarzt liegen keine medizinischen Einwände gegen eine Psychotherapie vor.
Bedingungs- und Verhaltensanalyse
Verhaltensanalyse
Die depressive Symptomatik entwickelte sich im Zusammenspiel von disponierenden
Faktoren (familienanamnestisch kann väterlicherseits von einer Häufung affektiver
Erkrankungen
ausgegangen
werden)
und
wiederkehrenden
negativen
Beziehungserfahrungen. Die Kernproblematik der Patientin besteht in einem
Bewältigungsdefizit biografischer Gewalt- und Invalidierungserfahrungen, die aus den
beiden ersten Beziehungen von V. resultierten und sich in Form einer depressiven
Störung
mit
ausgeprägter
Selbstwertproblematik
manifestierten.
Neben
biographischen Belastungsfaktoren und einer Disposition zu ängstlich-vermeidendem
Verhalten lassen sich aktuell auch psychosoziale Stressoren explorieren, wie z.B.
familiäre Konflikte, Konzentrations- und Leistungsdefizite, die zur Schwere und
Persistenz der Symptomatik beitragen. Erschwerend kommt hinzu, dass V. bislang
keine adäquaten Konfliktlösestrategien entwickelt hat und bei Auseinandersetzungen
mit maladaptiven Verhaltensweisen, wie sozialem Rückzug, Suizidgedanken oder
Selbstzweifeln und Selbstvorwürfen reagiert.
Symptomaufrechterhaltend wirken operante Verstärkerprozesse, wie die folgende
SORC-Analyse exemplarisch zeigt:
Situation:
Verbale Auseinandersetzung zwischen V. und ihrem
Freund
Organismusvariable:
Disposition zu ängstlich-vermeidendem Verhalten
R emotional:
Angst verlassen zu werden, Wut, Enttäuschung, Traurigkeit
R physiologisch:
Herzrasen, Kopfschmerzen
R motorisch:
„Ertragen“ und Dulden der Beleidigungen des Freundes,
kein Durchsetzungsvermögen
R kognitiv:
„Ich bin an allem schuld“, „Warum gerate ich immer an die
gleichen Typen?“
143
Konsequenzen
C-
Zunahme des erlebten Kontrollverlustes. Manifestation eines negativen
Selbstbildes. Langfristig Potenzierung der depressiven Symptomatik und
Gefahr der Entwicklung einer dependenten Persönlichkeit. Schulischer
Konzentrations- und Leistungsabfall mit gefährdetem Ausbildungsabschluss
aufgrund der vielfältigen Belastungen.
C+
nur noch wenige schöne Erlebnisse, Verlust an Freude und Freizeitaktivitäten
C+
Zuwendung von Seiten des Freundes, wenn V. beim Streiten einlenkt und Kritik
oder aggressives Verhalten wortlos toleriert.
C-
V. verhindert durch ihr „angepasstes Verhalten“, dass der Freund sich von ihr
trennt.
MAS-Diagnosen nach ICD-10
Achse I:
Mittelgradige depressive Episode (F32.1) (G)
Emotionale Störung des Kindesalters mit Überängstlichkeit (F93.8) (Z)
Achse II:
Keine umschriebene Entwicklungsstörung
Achse III:
Durchschnittliche Intelligenz
Achse IV:
keine
Achse V:
keine
Achse VI:
Mäßige soziale Beeinträchtigung in mindestens ein oder zwei Bereichen
Therapieziele und Prognose
Mit der Patientin und den Eltern wurden folgende Ziele vereinbart:
Patientenzentrierte Ziele
1. Stabilisierung der Stimmung
unter sensibler Beachtung der biografischen
Vorgeschichte der Patientin
2. Korrektur des negativen Selbstbildes
3. Erarbeitung adäquater Problem- und Konfliktlösekompetenzen
4. Stärkung der Durchsetzungsfähigkeit
5. Bearbeitung der Ein- und Durchschlafstörung
144
Elternzentrierte Ziele
1. Aufbau von Verständnis für die Symptomatik und das zugrundeliegende
Erklärungsmodell der Selbstwertproblematik.
2. Unterstützung
der
Tochter
beim
Erlernen
eines
adäquaten
Durchsetzungsvermögens und beim Knüpfen neuer Kontakte.
Da im Rahmen der probatorischen Sitzungen eine vertrauensvolle therapeutische
Beziehung zur Patientin hergestellt werden konnte, die hoch motiviert zu den
Therapiestunden erscheint und darüber hinaus auch ein gutes Arbeitsbündnis mit den
Eltern entstanden ist, kann trotz der seit längerem bestehenden Symptomatik von
einer günstigen Prognose ausgegangen werden. Da es sich bei den gewählten
Behandlungsmethoden um evidenzbasierte Methoden handelt, wird von einem
günstigen Therapieverlauf ausgegangen.
Behandlungsplan
Patientenzentrierte Behandlungsmethoden
1. Etablierung einer vertrauensvollen therapeutischen Allianz durch altersgerechte
Exploration der Symptomatik und sensible Erhebung biografischer Hintergründe
der Symptomatik. Betonung der therapeutischen Schweigepflicht.
2. Psychoedukation: altersgerechte Vermittlung von Wissen über die Entwicklung von
Depressionen und Selbstwertstörungen. Erarbeitung von auslösenden und
aufrechterhaltenden Bedingungen der Symptomatik im Rahmen eines individuellen
Störungsmodells.
3. Ressourcenorientierte Biografiearbeit: Erstellen einer Lebenslinie mit dem Fokus
auf positive Beziehungserfahrungen im Entwicklungsverlauf. Einsatz von
Arbeitsmaterialien zur Biografiearbeit. Sensibilisierung und
Aktivierung von
persönlichen Stärken und von Ressourcen im Umfeld. Im weiteren Therapieverlauf
sensible Thematisierung negativer biografischer Beziehungserfahrungen.
4. Förderung eines positiven Selbstbildes: Kognitive Umstrukturierung negativer
selbstbezogener Gedanken, Etablierung und Festigung positiver Gedanken in
Bezug auf die eigene Person. Im Rahmen der kognitiven Arbeit außerdem
Etablierung einer positiven Sicht in Bezug auf die Umwelt und die Zukunft.
5. Stimmungsstabilisierung durch Aktivitätssteigerung: Reaktivierung von Interessen,
die V. früher Freude bereitet haben (z.B. Anmeldung Tanzgruppe). Aus der „Liste
145
angenehmer Aktivitäten“ (SELBST) verschiedene Aktivitäten erproben und
sukzessive in den Alltag implementieren.
6. Stärkung der sozialen Kompetenzen: Förderung der Durchsetzungsfähigkeit (z.B.
die eigene Meinung vertreten und zu seiner Meinung stehen, persönliche Rechte
durchsetzen…etc.). Erprobung im Rollenspiel und nachfolgend Verankerung im
Alltag.
7. Bearbeitung der Schlafproblematik: Verbesserung der Schlafhygiene. Bearbeitung
der Belastungen, die V. abends vom Schlaf abhalten. Gedankenstopp bei
Grübeleien.
Elternzentrierte Behandlungsmethoden
1. Aufbau von Verständnis für das Störungsmodell und der aufrechterhaltenden
Bedingungen. Erarbeitung eines individuellen Störungsmodells und gemeinsamer
Behandlungsziele.
2. Unterstützung bei der Erprobung der neu erlernten sozialen Kompetenzen im
familiären Alltag.
3. Unterstützung bei der Suche einer geeigneten Freizeitaktivität und somit beim
Knüpfen von neuen Kontakten zu Gleichaltrigen.
Behandlungsverlauf
Die Termine mit V. fanden in der Regel wöchentlich statt. Ergänzend fanden ungefähr
alle vier bis sechs Wochen Elterngespräche mit der Mutter statt. Die Familie nahm die
Termine sehr zuverlässig wahr und erledigte ihre Therapieaufgaben gewissenhaft.
Zunächst wurde ein gemeinsames Störungsmodell der Depression – unter besonderer
Berücksichtigung der auslösenden und aufrechterhaltenden Faktoren der Stimmungsund Selbstwertproblematik – erarbeitet. Die Definition der Therapieziele fand
gemeinsam mit V. und der Mutter statt. In der probatorischen Phase wurde primär
daran gearbeitet, eine vertrauensvolle therapeutische Allianz herzustellen. Im Rahmen
der Psychoedukation fand eine altersgerechte Vermittlung von Wissen über die
Entwicklung, den Verlauf und Behandlungsmöglichkeiten von Depressionen und
Selbstwertproblemen statt. Neben psychotherapeutischen Interventionen wurde im
Januar 2014, um die bevorstehende Zwischenprüfung als MTA nicht zu gefährden, auf
ausdrücklichen Wunsch der Jugendlichen und der Mutter, eine begleitende
146
medikamentöse Behandlung mit Fluoxetin initiiert, von der V., in Kombination mit den
psychotherapeutischen Interventionen, sehr profitierte.
Die Therapie von V. umfasste in der ersten Therapiephase schwerpunktmäßig das
Etablieren von angemessenen Schlafhygieneregeln und die Stabilisierung der
Stimmung durch die Tagesstrukturierung, in Kombination mit einer sukzessiven
Aktivitätssteigerung. V. meldete sich nach langen Überlegungen wieder in einem
Tanzverein an und ging regelmäßig mit dem Hund, gelegentlich auch gemeinsam mit
der Mutter, spazieren. Mit therapeutischer Unterstützung konnte sie wieder Kontakte
knüpfen zu ihren alten Freundinnen, mit denen sie sich im weiteren Verlauf auch
regelmäßig an den Wochenenden verabredete. Dies führte zu einer signifikanten
Stimmungsstabilisierung und trug insgesamt zur Entlastung der Jugendlichen bei.
Ergänzend
wurde
ein
Stimmungstagebuch
geführt,
um
Auslöser
für
Stimmungseinbrüche besser nachvollziehen zu können bzw. um die Stimmung mit
geeigneten Maßnahmen, wie beispielsweise positivem Denken und aktiven
Problemlösekompetenzen, selbständig zu verbessern. Es konnte im Rahmen der
Biografiearbeit außerdem herausgearbeitet werden, dass in der Vergangenheit
insbesondere der Freund und die Schule massiv die Stimmung der Jugendlichen
beeinträchtigt haben. Durch die Trennung vom Freund und das systematische
Aufarbeiten von schulischen Wissenslücken stabilisierte sich die Stimmung stetig.
Des Weiteren wurde an der Korrektur der negativen Sicht der eigenen Person und der
Zukunft (u. a. durch kognitive Umstrukturierung und sokratischen Dialog) gearbeitet.
In diesem Zusammenhang wurden typische Denkfallen von V. identifiziert, wie
„Übergeneralisierung“, „Hellseherei“ oder „Schwarz-Weiß-Denken“, die in der Folge
bearbeitet wurden. Auch wurde intensiv an der Entwicklung eines positiven
Selbstbildes (z.B. Stärken-Schwächen-Waage, Powerbaum Jugendlicher und Eltern)
gearbeitet,
wovon
Biografiearbeit
V.
sichtlich
(Lebenslinie,
profitierte.
Mister
X
Durch
Spiel,
die
ressourcenorientierte
Exploration
positiver
Beziehungserfahrungen) konnte V. zunehmend besser ihre eigenen Fähigkeiten und
persönlichen Stärken wahrnehmen. Es gelang ihr zunehmend besser, sich für
erreichte Ziele oder gute Leistungen am Arbeitsplatz oder in der Berufsschule selbst
zu loben. Sie lernte sich gegenüber den Arbeitskolleginnen besser abzugrenzen und
Arbeitsaufträge
selbstbewusst
zu
delegieren.
Insbesondere
die
verbesserte
Durchsetzungsfähigkeit und das selbstsichere Auftreten am Arbeitsplatz verhalfen V.
147
ihren Selbstwert zu steigern und sich im Kontakt zu Kollegen und zum Vorgesetzten
als selbstwirksam zu erleben.
In der letzten Therapiephase wurde vornehmlich an der Stabilisierung der erzielten
Behandlungseffekte gearbeitet. Ergänzend fand eine ausführliche Rückfallprophylaxe
statt. Durch die Therapie und die Medikation konnte ihr Antrieb deutlich gesteigert
werden und die Lebensfreude sowie die Freude an Freizeitaktivitäten mit ihren
Freundinnen nahmen wieder merklich zu. Die Abschlussdiagnostik ergab keine
depressiven Auffälligkeiten mehr. Sämtliche Werte lagen nach Behandlungsabschluss
und bei der Follow-up Untersuchung 12 Wochen später im Normbereich. Auch die
Werte der „Rosenberg Self-esteem Scale“ lagen im Normbereich. Die Befunde decken
sich mit dem klinischen Urteil, dass sowohl die depressive Symptomatik als auch die
Selbstwertproblematik vollständig remittiert sind.
Zusammenfassend
lässt
sich
festhalten,
dass
V.
deutlich
von
der
verhaltenstherapeutischen und begleitenden medikamentösen Behandlung profitiert
hat. Die depressive Symptomatik (incl. Selbstwertstörung) ist vollständig remittiert. Da
V. die oben beschriebenen Interventionen gut in ihrem persönlichen Lebensumfeld
verankern konnte, wird das Risiko für einen Rückfall, aus klinischer Sicht, als gering
eingeschätzt. Die psychotherapeutische Behandlung wurde aufgrund des positiven
Verlaufs – in Absprache mit V. und den Eltern – im Herbst 2014 beendet.
6.3 Behandlungsfall 3
Angaben zur spontan berichteten und erfragten Symptomatik
Die 13-jährige Patientin erscheint in Begleitung ihrer Bezugspädagogin der
Wohngruppe
zum
Ersttermin.
Sie
berichtet,
dass
sie
unter
starken
Stimmungsschwankungen leide, häufig traurig sei, viel weine und oft lustlos sei. Sie
habe außerdem Probleme beim Einschlafen. Da sie viel grüble, wache sie des Öfteren
nachts auf und habe dann Schwierigkeiten wieder einzuschlafen. Sie fühle sich nicht
selbstbewusst und traue sich nichts zu. So falle es ihr schwer, Jugendliche außerhalb
ihrer Wohngruppe anzusprechen, aus Sorge sich zu blamieren. Sie traue sich teilweise
auch nicht in der Schulpause alleine rauszugehen. Ihr falle es ebenfalls schwer Kritik
anzunehmen. Sie fühle sich in solchen Situationen immer schnell angegriffen und
würde dann oft anfangen zu weinen. Es sei im letzten halben Jahr außerdem zweimal
vorgekommen, dass sie sich aus Wut über sich selbst geritzt habe.
148
Lebensgeschichtliche Entwicklung und Krankheitsanamnese
R. lebe infolge massiver intrafamiliärer Konflikte seit einem Jahr in einer intensivpädagogischen Wohngruppe mit sechs weiteren Mädchen. R. sei das einzige Kind des
38-jährigen Vaters und der 37-jährigen Mutter, die bis 2004 in der Ukraine gelebt und
gearbeitet haben. R. sei in der Ukraine geboren worden. Die Schwangerschaft und
Geburt seien unauffällig verlaufen. Die Meilensteine der frühkindlichen Entwicklung
seien regelgerecht erreicht worden. R. sei mit drei Jahren in den Kindergarten
gekommen. 2004 sei die Familie aus politischen Gründen nach Deutschland
ausgewandert. R. sei erst in Bayern, dann in NRW in den Kindergarten gegangen. Sie
habe die Zeit in schlechter Erinnerung, da sie kein Deutsch gesprochen habe und sich
sehr verloren vorgekommen sei. R. sei mit sechs Jahren in einer Regelgrundschule
eingeschult worden. Bereits zu dieser Zeit hätten die Eltern massive körperliche
Auseinandersetzungen gehabt, was 2007 schließlich zur Trennung der Eltern geführt
habe.
R. habe 2010, nach der als unauffällig erinnerten Grundschulzeit, auf eine Realschule
gewechselt. Dort habe sie sich schlecht konzentrieren können und sei irgendwann
nicht mehr zur Schule gegangen. Sie habe dann letztendlich aufgrund schlechter
Noten auf eine Hauptschule wechseln müssen. Hier sei sie von den anderen Kindern
gemobbt worden und aufgrund dessen erneut der Schule ferngeblieben. Zunehmend
sei eine Leistungsverschlechterung verzeichnet worden. R. habe in diesem Zeitraum
zudem viel Streit und zum Teil auch körperliche Auseinandersetzungen mit der Mutter
gehabt. Die Situation habe sich im weiteren Verlauf so zugespitzt, dass R. im
September 2012 notfallmäßig – aufgrund von suizidalen Absichten – zwei Wochen
lang stationär in der Kinder- und Jugendpsychiatrie behandelt worden sei. Da die
Situation zu Hause nicht mehr tragbar schien, wurde R. im Januar 2013 in einer
intensivpädagogischen Wohngruppe untergebracht. Hier stabilisierte sie sich
allmählich psychisch. R. habe ein halbes Jahr benötigt um sich einzugewöhnen, sei
aber mittlerweile gut in die Gruppe integriert und nehme dort sogar eine führende
Position ein. Seit November 2013 zeige R. eine zunehmende depressive Symptomatik,
in Verbindung mit starken Selbstzweifeln, was R. und die Bezugspädagogin im
weiteren Verlauf zur Vorstellung in der Psychotherapieambulanz bewogen habe.
149
Psychischer Befund zum Zeitpunkt der Antragstellung
Die Jugendliche wirkt anfänglich im Kontakt leicht unsicher und überangepasst. Sie ist
bemüht, die ihr gestellten Fragen angemessen zu beantworten und kann auf
Nachfrage differenziert von ihren Problemen berichten. Keine Anzeichen von
oppositionell-dissozialem Verhalten, keine Entwicklungsstörungen, keine Tics, keine
Impulsivität und keine Anzeichen von übermäßiger Ablenkbarkeit. Kognitive
Leistungsfähigkeit im durchschnittlichen Bereich. Es werden leichte Ängste vor
unbekannten Gleichaltrigen geäußert sowie eine diskrete soziale Unsicherheit. Häufig
traurige Stimmung, Anhedonie, mangelndes Selbstvertrauen, Interessenlosigkeit,
gelegentlich
affektlabil.
Unauffälliges
Essverhalten
und
keine
signifikante
Gewichtsabnahme. Ein- und Durchschlafschlafschwierigkeiten, in Verbindung mit
Grübeltendenzen. Kein Wahn, keine Halluzination, keine Zwänge eruierbar. Es besteht
keine akute Eigen- oder Fremdgefährdung und kein Drogen- oder Alkoholabusus.
Diagnostische Befunde
Im YSR zeigen sich Hinweise auf rückzügiges Verhalten (T>80), ängstliches
depressives Verhalten (T>80) sowie körperliche Beschwerden (T=74). Im SBB-DES
des DISYPS-II wurden Werte im auffälligen Bereich (SN=9) ermittelt. Im DIKJ ergeben
sich ebenfalls deutliche Hinweise auf depressive Tendenzen (T=79). In der RSES
wurde ein deutlich unterdurchschnittlicher T-Wert von 29 ermittelt, der auf eine
Selbstwertstörung hinweist. In der CBCL zeigen sich zudem auffällige Werte in den
Bereichen sozialer Rückzug (T>80), ängstlich-depressive Symptomatik (T>80),
dissoziales
Verhalten
(T=74)
sowie
aggressives
Verhalten
(T=71).
Im
Fremdbeurteilungsbogen FBB-DES zeigt sich, analog zum Selbsturteil, ebenfalls ein
auffälliges Gesamtergebnis (SN=9). Die Ergebnisse der Diagnostik sowie das
klinische Urteil weisen auf eine deutliche depressive Symptomatik hin.
Somatischer Befund – ärztlicher Konsiliarbericht
Laut Hausarzt liegen keine medizinischen Einwände gegen eine Psychotherapie vor.
R. erhält keine Medikation. Eine psychiatrische Begleitbehandlung ist nicht notwendig.
Bedingungs- und Verhaltensanalyse
Verhaltensanalyse
Bei der Jugendlichen liegt eine mittelgradige depressive Episode vor, deren
Entwicklung sich aus der von multiplen Stressoren (Migration, Mobbing…) und
150
negativen
familiären
Beziehungserfahrungen
(häufige
Auseinandersetzung,
körperliche Gewalt) geprägten Biografie der Familie gut erklären lässt. Aufgrund der
inkonsistenten Grenzsetzung der Eltern und dem körperlich-aggressiven Durchsetzen
der Eltern gegenüber ihrer Tochter, hat R. zunehmend eine traurige Stimmung, in
Verbindung mit Selbstzweifeln, Selbstwertproblemen und der Sorge „alles falsch zu
machen“ entwickelt. Zudem konnte R. keine positiven Modellerfahrungen sammeln,
um beispielsweise mit Gefühlen, wie Wut oder Frustration, adäquat umgehen zu
können. Vor dem Hintergrund der Mobbingerfahrungen in der vorgehenden Schule,
reagiert sie sehr sensibel auf Kritik, welche sie meist als Angriff auf die eigene Person
interpretiert.
R. hat im Entwicklungsverlauf gelernt, auf frustrierende Ereignisse mit sozialem
Rückzug zu reagieren, einhergehend mit deutlicher Traurigkeit und Schuldgefühlen.
Expansive Verhaltensweisen wurden seitens der Eltern immer mit übermäßig harten
Sanktionen geahndet, was die depressive Symptomatik der Jugendlichen verstärkt
hat. R. erfährt durch den sozialen Rückzug und ihre soziale Unsicherheit keine
Erfolgserlebnisse und keine Selbstbestätigung und kann demzufolge keine
selbstwertstabilisierenden Selbstwirksamkeitserfahrungen machen. In der Folge
entwickelten sich soziale Kompetenzdefizite, da R. bis dato nur wenig Raum zum
Erproben angemessener sozialer Fertigkeiten hatte. Durch die erhöhten schulischen
Anforderungen tritt vermehrter Stress auf, der sich ebenfalls negativ auf das
Selbstkonzept auswirkt. Exemplarisch lässt sich das Störungsbild an folgender
Verhaltensanalyse (SORC) verdeutlichen:
Situation:
R. streitet sich mit ihrer Zimmernachbarin und bekommt
deshalb Ärger von der Pädagogin der Wohngruppe.
Organismusvariablen:
geringe Frustrationstoleranz, übermäßige Sensibilität,
geringer Selbstwert
R kognitiv:
"Ich bin immer alles schuld.", "Nie glaubt mir jemand."
R physiologisch:
erhöhtes physiologisches Erregungsniveau, errötet, zittert
R emotional:
Unsicherheit, Traurigkeit, Wut, Enttäuschung
R motorisch:
Weinen, Verweigerungshaltung gegenüber der Pädagogin,
Rückzug in ihr Zimmer
Konsequenzen
C+
Aufmerksamkeit durch die anderen Mitbewohnerinnen, die sie trösten
151
C-
verzögert den Tagesablauf in der Wohngruppe, schlechte Beziehung zur
Zimmernachbarin, Konflikte mit den Pädagogen, langfristig Gefahr der
sozialen Isolation
C+
friedliches Zusammenleben mit der Mitbewohnerin ist gestört
C-
geht einer Klärung des Konfliktes durch Rückzug aus dem Weg
MAS-Diagnosen nach ICD-10
Achse I:
Mittelgradige depressive Episode (F32.1) (G)
Achse II:
keine
Achse III:
Durchschnittliche Intelligenz
Achse IV:
keine
Achse V:
Inadäquate / verzerrte intrafamiliäre Kommunikation
Erziehung in einer Institution
Abweichende Elternsituation
Migration
Achse VI:
Mäßige soziale Beeinträchtigung (3)
Therapieziele und Prognose
Mit der Patientin und der Wohngruppe wurden folgende Ziele vereinbart:
Patientenzentrierte Ziele:
1. Verbesserung der Stimmung
2. Angemessene Modulation von Gefühlen (z.B. Wut, Trauer)
3. Erweiterung der sozialen Fertigkeiten (z.B. angemessene Kontaktaufnahme
und Kontaktgestaltung zu Peers, die eigene Meinung vertreten)
4. Abbau sozialer Unsicherheit
5. Stärkung des Selbstwertgefühls, Korrektur des negativen Selbstbildes
6. Erlernen eines adäquaten Umgangs mit Kritik
Die Patientin zeigt eine hohe Reflexionsbereitschaft in Bezug auf ihre Probleme und
einen ausgeprägten Veränderungswillen. Sie nimmt die Therapietermine verlässlich
wahr und arbeitet motiviert mit. R. verfügt, trotz der Schwere der Symptomatik, über
ein relativ hohes Funktionsniveau. Da die Symptomatik noch nicht auf alle
Lebensbereiche generalisiert ist und hinreichende persönliche Ressourcen vorhanden
152
sind, wird eine gute Prognose in Bezug auf die Gesamtentwicklung angenommen. Da
es sich bei den gewählten therapeutischen Strategien um evidenzbasierte Methoden
handelt, wird von einem positiven Therapieverlauf ausgegangen.
Behandlungsplan
1. Aufbauen einer tragfähigen therapeutischen Beziehung durch Interesse und
Anteilnahme an persönlichen Themen (außerhäusliche Unterbringung, Beziehung
zu einem Jungen), Hobbies (z.B. Lesen, Sport) sowie Verständnis im Umgang mit
aktuellen Problemen und Stimmungsschwankungen.
2. Entwicklung
eines
multifaktoriellen
Störungsmodells
unter
Einbeziehung
auslösender (biografischer) und aufrechthaltender Faktoren (z.B. vermehrte
Aufmerksamkeit) der depressiven Symptomatik und der damit einhergehenden
Selbstwertstörung.
3. Aufbau eines positiven Selbstbildes durch ressourcenaktivierende Methoden:
Ressourcenbaum, Erarbeitung eines realistischen Stärken- und Schwächenprofils.
Relativierung
von
Idealbildvorstellungen.
Einsatz
regelmäßiger
positiver
Selbstverbalisationen.
4. Korrektur dysfunktionaler Denkmuster (z.B. Bearbeitung typischer Denkfallen, wie
Schwarz-Weiß-Denken, Übergeneralisierung, selektive Abstraktionen). Erstellen
von Gedankenprotokollen zur Unterscheidung hilfreicher und weniger hilfreicher
Gedanken. Erarbeiten von positiven, selbstwertstabilisierenden Gedanken und
Korrektur selbstabwertender Kognitionen (z.B. "Die Situation ist blöd gelaufen, aber
deshalb bin ich kein schlechter Mensch").
5. Verbesserung
der
Affektregulation
und
Impulskontrolle:
Führen
eines
Wutprotokolls zur Identifizierung wutauslösender Situationen und dazugehöriger
unrealistischer
Kognitionen
Verhaltensweisen.
Erarbeiten
sowie
von
daraus
resultierender
Impulskontrolltechniken.
maladaptiver
Training
der
Emotionserkennung und -benennung und Einüben eines adäquaten Ausdrucks
von Gefühlen.
6. Aufbau von sozialen Kompetenzen (selbstsicheres Auftreten, Kontaktgestaltung
mit Jugendlichen) mit Hilfe von Rollenspielen und Videofeedback. Einüben von neu
erworbenen Kompetenzen im Alltag.
153
7. Bezugspersonen
(Eltern,
Behandlungsschritte
Pädagogen)
informiert,
werden
unterstützende
über
die
einzelnen
Erziehungsstrategien
sollen
vermittelt werden (z.B. vermehrtes Loben angemessener Verhaltensweisen).
Behandlungsverlauf
Da R. im gesamten Behandlungszeitraum vollstationär in einer Einrichtung der
Jugendhilfe untergebracht war, wurde die Therapie ohne Einbeziehung der Eltern
durchgeführt. Punktuell wurde die Bezugserzieherin von R. in den therapeutischen
Prozess involviert. Die ersten Stunden wurden für die Erhebung der Anamnese sowie
den Beziehungsaufbau genutzt. R. fasste schnell Vertrauen zur Therapeutin und
konnte bereits in der zweiten Stunde sehr differenziert ihre Problematik beschreiben.
R. setzte sich zum primären Ziel, ihren Umgang mit Wut zu verbessern und das
gelegentlich auftretende selbstverletzende Verhalten zu beenden. Des Weiteren
wünschte sie sich, ihre Gefühle besser kontrollieren zu können und dadurch nicht mehr
so häufig Stimmungsschwankungen ausgesetzt zu sein. Auch wollte sie trainieren,
sich nicht mehr negativ von Kritik beeinflussen zu lassen, sondern zu lernen, dies als
Kritik an ihrem Verhalten und weniger an der eigenen Person zu sehen. In diesem
Zusammenhang benannte R. auch das Ziel, selbstbewusster zu werden.
Nach einer detaillierten Problemanalyse wurde ein mehrfaktorielles Störungskonzept
erstellt, in dem unter anderem negative Erfahrungen mit Gleichaltrigen, familiäre
Gewalt und mangelnde Grenzsetzung durch die Eltern als zentrale auslösende resp.
aufrechterhaltende Faktoren der Symptomatik herausgearbeitet wurden. R. konnte gut
nachvollziehen, dass ihre negative Wahrnehmung des eigenen Körpers und die
wiederkehrenden
Selbstabwertungstendenzen
durch
diverse
biografische
Belastungsfaktoren begünstigt worden sind.
Im Anschluss an die probatorische Phase wurde der therapeutische Fokus zunächst
auf das Herausarbeiten von persönlichen Stärken und die Aktivierung von Ressourcen
gelegt, indem beispielsweise – unter Betonung persönlicher Stärken – eine StärkenSchwächen-Waage erstellt wurde. Zur Verdeutlichung der eigenen Stärken wurde
ergänzend ein Stärkenturm gebaut und ein „Powerbaum“ erstellt. R. war sichtlich
erstaunt über die Vielzahl persönlicher Stärken und freute sich darüber, so viele
positive Eigenschaften zu besitzen. Mit R. wurde daran anknüpfend erarbeitet, wie sie
ihre diversen positiven Eigenschaften nutzen kann, um mit Jugendlichen in Kontakt zu
154
treten
und
um
in
der
Wohngruppe
besser
klarzukommen.
Von
diesen
ressourcenaktivierenden Interventionen profitierte R. sehr. Im nächsten Schritt erfolgte
eine Psychoedukation über die Wichtigkeit von regelmäßigem Selbstlob und der
Auswirkungen von Lob und positiver Selbstwahrnehmung auf die Stimmung und den
Selbstwert. R. übte positive Selbstverbalisationen morgens beim Duschen und nahm
eine Stimmungsverbesserung war, wenn sie sich regelmäßig selbst lobte. Da R. aber
gleichzeitig beschrieb, dass sie sich dabei arrogant vorkomme, wurde ihr dezidiert der
Unterschied zwischen Arroganz und Selbstbewusstsein verdeutlicht. R. wurde
anschließend weiterhin motiviert, sich auf ihre Stärken zu konzentrieren, was ihr im
Verlauf der Therapie auch zunehmend besser gelungen ist.
Im Rahmen der Aufarbeitung der biografischen Belastungen und diversen kritischen
Lebensereignisse wurde im ersten Schritt der Biografiearbeit eine Lebenslinie
aufgezeichnet, mit dem Fokus auf schöne Lebensereignisse. R. reagierte auf diese
Intervention sehr emotional, da sie ihre Familie, mit der sie die Mehrzahl der schönen
Erlebnisse in Verbindung bringe, sehr vermisse. Als zentrales belastendes Thema
kristallisierte sich bereits nach kurzer Zeit die fehlende emotionale Familienanbindung
heraus. R. nutzte die Therapiestunden zum Betrauern und Aufarbeiten der
Herausnahme aus der Familie. In diesem Kontext wurden auch sensibel die
intrafamiliären Gewalterfahrungen thematisiert und therapeutisch aufgebarbeitet.
Im nächsten Therapieabschnitt erfolgten das Herausarbeiten und die Korrektur von
dysfunktionalen, selbstabwertenden Gedanken, da R. insbesondere negative
Gedanken bezüglich ihres Äußeren sowie ihrer Wirkungsweise auf andere äußerte. R.
wurde anhand von Beispielen der Zusammenhang zwischen negativ-abwertenden
Gedanken und schlechter Stimmung erläutert. Im Sinne einer vertiefenden
Psychoedukation wurde die kognitive Triade von Beck als ein Erklärungsmodell der
Entstehung von Depressionen eingeführt. In Form von Therapiehausaufgaben übte R.
negativ-verzerrte Gedanken zu identifizieren und unter Anleitung zu korrigieren. R.
übte auch, ihre alltäglichen Gedanken in Bezug auf die eigene Person hinsichtlich ihres
Realitätsgehalts zu prüfen. R. konnte in diesem Kontext beispielsweise gut
herausarbeiten, dass Gedanken, wie z. B. "alle denken ich bin hässlich", zu global sind
und so verallgemeinert nicht stimmen können. Neben der Tendenz, alles negativ zu
globalisieren, wurden noch weitere Denkfehler von R. herausgearbeitet und deren
negative Auswirkungen auf die Stimmung und den Selbstwert thematisiert.
155
Die letzte Therapiephase wurde – auf Wunsch von R. – dem Umgang mit negativen
Gefühlen, wie Ärger und Traurigkeit, gewidmet. Einleitend wurden verschiedene
positive und negative Emotionen gesammelt, die R. kennt. Ein Teil der Gefühle wurde
pantomimisch dargestellt und es wurden Situationen gesammelt, in denen diese
typischerweise auftreten können. Auch wurde vertiefend exploriert, wann und konkret
in welchen Situationen R. diese zuletzt erlebt habe. R. konnte sich gut auf die Thematik
einlassen und arbeitete sehr motiviert mit. Besonders ansprechend war für R. die
Methode
der
Emotionsregulation
und
die
Bearbeitung
der
dazugehörigen
Arbeitsblätter (z.B. „Gefühlswelle“). R. konnte sich gut mit dem Bild identifizieren, von
verschiedenen Emotionen „überflutet“ zu werden, vor allem weil zu diesem Zeitpunkt
ein neues Mädchen in der Wohngruppe aufgenommen worden ist, auf das R. schnell
sehr wütend und teils aggressiv reagierte.
Neben Emotionsregulationsstrategien wurden auch Techniken zur besseren
Impulskontrolle mit R. erarbeitet und Methoden zur angemessenen Distanzierung von
belastenden Emotionen gesammelt (z.B. Musik hören, tief durchatmen, Armbänder
flechten). Zur Verankerung der neu erlernten Strategien der Emotionsregulation im
Alltag, führte R. über mehrere Wochen hinweg regelmäßig „Wutprotokolle“ und
dokumentierte, wie sie angemessen mit wutauslösenden Situationen umgegangen ist.
Sie lernte dadurch, ihre Wut besser zu kontrollieren und beispielsweise in ein Kissen
zu schlagen oder sich abzulenken, anstatt sich selbst zu verletzen oder aggressiv auf
andere zuzugehen.
R. gelang es im weiteren Therapieverlauf immer besser, ihre angestaute Wut zu
kontrollieren. Durch das Etablieren einer angemessenen Emotionsregulation konnte
auch das selbstschädigende Verhalten vollständig abgebaut werden. Zum Follow-up
Termin, d.h. nach 12 Wochen, in denen keine Behandlung stattfand, zeigte sich, dass
R. die erlernten Strategien auch weiterhin gut im Gruppenalltag anwenden konnte und
die Stimmung nachhaltig angehoben werden konnte. Auch die sozialen Kompetenzen
haben sich im Verlauf der Therapie deutlich verbessert, was daran zu erkennen war,
dass es R. zunehmend leichter fiel, auf andere Jugendliche zuzugehen und neue
Kontakte zu Gleichaltrigen zu knüpfen. Dies wiederum hat zu einer Stärkung des
Selbstwertes beigetragen.
156
6.4 Behandlungsfall 4
Angaben zur spontan berichteten und erfragten Symptomatik
Die 15-jährige V. erscheint in Begleitung beider Eltern zum Erstgespräch. Sie leide seit
Längerem unter massiven Stimmungseinbrüchen, oftmals sei sie fröhlich und werde
dann plötzlich sehr traurig, ohne dass sie den Grund dafür kenne. Sie weine abends
viel, fühle sich einsam und wisse dann nicht, was sie machen solle. Die Mutter lege
sich teilweise zu ihr ins Bett und warte bis V. einschlafe. Manchmal würde sie es auch
alleine versuchen, aber dann liege sie oftmals mehrere Stunden wach. Tagsüber sei
sie sehr müde und habe wenig Energie, gelegentlich lege sie sich dann wieder hin und
schlafe. Außerdem grübele sie abends häufig. Dabei mache sie sich u. a. Gedanken
über ihren Körper. Sie finde sich unattraktiv ("ich finde alles an mir hässlich") und werte
sich als Person massiv ab. Als besonders belastend erlebe sie den wiederkehrenden
Gedanken, ob und wie sie bei Gleichaltrigen ankomme. In der Klasse beispielsweise
fühle sie sich oft von anderen abgelehnt und habe Sorge, dass sie von den Mitschülern
weiter ausgegrenzt werden könnte. Oftmals schlafe sie infolge der Grübeleien erst spät
ein. Sie leide zudem unter Lustlosigkeit und empfinde wenig Freude – im Vergleich zu
früher. Vor sechs Monaten habe sie angefangen sich an den Oberschenkeln mit einer
Rasierklinge zu verletzen, um ihre innere Spannung zu reduzieren. Mittlerweile würde
sie anstelle des Ritzens lieber vermehrt rauchen. Die Mutter unterstütze sie hierbei
und fahre auch spät abends noch los, um ihr Zigaretten zu kaufen, wenn der Druck zu
Ritzen zu stark werde. V. habe in der letzten Zeit außerdem vermehrt Appetit und esse
oftmals wenn sie traurig sei. Weiterhin berichtet V., dass sie sich in der Schule nur
schlecht konzentrieren könne. Im letzten halben Jahr haben sich die Noten
infolgedessen massiv verschlechtert. Die Mutter führt abschließend aus, dass V.
sämtliche elterlichen Verbote sofort auf ihre Person beziehe und dann beispielsweise
äußere „Du hast mich nicht mehr lieb.“
Lebensgeschichtliche Entwicklung und Krankheitsanamnese
V. ist das dritte Kind des 47-jährigen Vaters (Angestellter in einer Schlosserei) und der
47-jährigen Mutter (Reinigungskraft). Die Eltern stammen gebürtig aus Polen und sind
seit 1992 geheiratet. Die Brüder seien 1993 und 1995 zur Welt gekommen. Mit ihren
Geschwistern habe V. sich immer gut verstanden. V. sei ein ausdrückliches
Wunschkind gewesen. Die Geburt und Schwangerschaft seien unauffällig verlaufen.
Die Meilensteine der frühkindlichen Entwicklung seien altersgerecht erreicht worden.
V. sei ein ruhiges Kleinkind gewesen. 2002 sei sie in den Kindergarten gekommen.
157
Dort habe sie keine Trennungsängstlichkeit gezeigt, habe schnell Freunde gefunden
und sich in der KITA wohl gefühlt. Sie sei damals immer lustig und kontaktfreudig
gewesen. 2005 sei die Einschulung erfolgt. V. habe gute Leistungen erbracht und viele
Freunde gehabt. Sie habe lediglich leichte Probleme mit der Rechtschreibung gezeigt.
2009 wechselte V. auf eine Realschule. Dort habe sie sich gut sozial integriert und sei
sehr schlagfertig gewesen. Die Mutter habe sie angehalten, ihre Streitigkeiten
selbständig zu schlichten und sei nur dazwischen gegangen, wenn ihr das nicht
gelungen sei. An Ressourcen wird benannt, dass V. einmal wöchentlich zum
Fußballtraining gehe, im Chor singe, zeichne und gerne in ihrer Freizeit tanze.
Seit Sommer 2011 sei V. wiederkehrend Beleidigungen in der Klasse und Mobbing
über soziale Netzwerke, wie Schüler VZ und Facebook, ausgesetzt. V. wisse nicht
mehr, wie diese Gerüchte sich entwickelt haben. Ab der 8. Klasse habe sie sich
allmählich besser mit ihren Mitschülern verstanden. Seit Mitte 2013 habe sich V.
körperlich rasant pubertär entwickelt. V. beschreibt, dass ihre Familie wiederkehrend
Kommentare zu ihrer Figur und ihrem Gewicht abgegeben habe, die ihr sehr zugesetzt
haben (z.B. "Bist du fett geworden.", "Du musst gut für deine Klassenfahrt aussehen,
iss bloß nicht so viel."). Sie sei in dieser Zeit erstmals sehr lustlos gewesen und wollte
vermehrt in Ruhe gelassen werden. Die Eltern dachten anfänglich, dass dies eine
normale pubertäre Entwicklung sei. Erst später wurde ihnen deutlich, dass V. bereits
damals viel geweint habe, weil sie sehr unter ihrer Figur gelitten habe und sie in dieser
Zeit angefangen habe sich selbst zu verletzen. V. habe im weiteren Verlauf suizidale
Gedanken entwickelt und mehrmals mit dem Gedanken gespielt, sich mit Paracetamol
zu suizidieren. Im Frühjahr 2014 erfolgte daher eine Vorstellung in der kinder- und
jugendpsychiatrischen Ambulanz, wo V. bis dato mehrere Termine wahrgenommen
habe. Im April 2014 wurde ein zweitägiger stationärer Aufenthalt zur akuten
Krisenintervention eingeleitet, da sich V. nicht von suizidalen Gedanken distanzieren
konnte. Im Anschluss daran wurde die psychotherapeutische Behandlung initiiert.
Psychischer Befund zum Zeitpunkt der Antragstellung
Die Jugendliche wirkt offen im Kontakt und freut sich auf den Therapiebeginn. Es
werden verbal aggressive Tendenzen im familiären Rahmen benannt, die sich in
Gegenwart der Therapeutin jedoch nicht zeigen. Deutlich traurige Stimmung mit
wiederkehrenden Stimmungsschwankungen, mangelndem Selbstvertrauen und
158
Selbstwertproblemen,
massiven
Grübeltendenzen
und
Hoffnungslosigkeit.
Gesteigerte Nahrungsaufnahme bei trauriger Stimmung. Einschlafschwierigkeiten,
Müdigkeit tagsüber, verminderte Konzentrationsfähigkeit, sozialer Rückzug. Es
bestehen keine Tics, keine Zwänge, kein Wahn und keine Halluzination. Kein Anhalt
für
eine
Traumatisierung.
Oberflächliche
Selbstverletzung
an
Bauch
und
Oberschenkeln. Wiederkehrende latente suizidale Gedanken. Keine akute Eigen- oder
Fremdgefährdung, kein Alkohol- oder Drogenabusus.
Diagnostische Befunde
Bei V. liegt ein durchschnittliches Begabungsprofil vor. Im YSR ergaben sich deutlich
auffällige Werte
im Bereich
sozialer Rückzug (T>80), ängstlich-depressive
Symptomatik (T>80), soziale Probleme (T=78) und Aufmerksamkeitsprobleme (T>80).
Grenzwertig auffällig fällt auch die Ausprägung auf der Skala aggressives Verhalten
aus (T=69). In der CBCL zeigen sich grenzwertig auffällige Werte im Bereich der
internalisierenden Gesamtskala (T=61). Im TRF liegen, aus Sicht des Lehrers,
grenzwertig auffällige Werte im Bereich ängstlich-depressives Verhalten (T=68) sowie
überdurchschnittliche Werte auf der internalisierenden Gesamtskala (T=66) vor. Im
SBB-DES und FBB-DES (Elternurteil) des DISYPS-II zeigt sich ein auffälliges
Gesamtergebnis (SN 9). Der FBB-DES, bewertet durch die Lehrerin, spiegelt ebenfalls
ein auffälliges Gesamtergebnis (SN 9) wider. Im DIKJ ergeben sich auch deutliche
Hinweise auf eine depressive Symptomatik (T=80). Zusätzlich liegt eine massive
Selbstwertstörung vor (RSES T-Wert 14). Zusammenfassend weisen die Befunde auf
eine mittelgradige depressive Episode hin.
Somatischer Befund – ärztlicher Konsiliarbericht
Aus Sicht des behandelnden Arztes liegt keine Kontraindikation für eine
psychotherapeutische Behandlung vor. In Ergänzung zur Psychotherapie findet eine
niederschwellige ambulante kinder- und jugendpsychiatrische Behandlung statt (max.
3 Termine im Quartal).
Bedingungs- und Verhaltensanalyse
Verhaltensanalyse
Bei V. liegt eine mittelgradige depressive Episode vor. Innerhalb der Familie liegt keine
erhöhe genetische Vulnerabilität für Depressionen vor. Es sind keine weiteren
159
affektiven Störungen im familiären Umfeld bekannt. Bei V. setzte die pubertäre
Entwicklung abrupt ein, mit einem plötzlichen Wachstumsschub, der mit einer
Gewichtserhöhung und einer deutlichen Verbreiterung der Hüften einhergegangen ist.
Die pubertäre Reifung führte zunehmend zu einer Ablehnung des Körpers. V. nahm
sich immer deutlicher als dick und hässlich wahr, was zu starken Selbstzweifeln bzw.
Selbstabwertungen und in der Folge zu einer massiven Selbstwertstörung führte.
Beide Eltern zeigen leichtes Übergewicht, so dass genetisch von einem erhöhten SetPoint ausgegangen werden kann. Die Ablehnung durch Gleichaltrige in der Schule
sowie unpassende Kommentare von Verwandten zu ihrer Figur und ihrem
Kleidungsstil verarbeitete V. sehr negativ und bezog diese global auf ihre Person, was
maßgeblich zur Stabilisierung des negativen Selbstkonzeptes beigetragen hat. V.
isolierte sich sozial mehr und mehr, was - in Kombination mit dem negativen kognitiven
Verarbeitungsstil - zu einer sukzessiven Verschlechterung der Stimmung geführt hat.
Das
vermehrte
Grübeln
abends führte außerdem
zur Manifestation einer
Schlafstörung. Die daraus resultierende Müdigkeit führte zu vermehrtem Schlafen
tagsüber, was die nächtliche Ein- und Durchschlafstörung bis dato aufrechterhält. Die
Eltern verstärken die depressive Symptomatik mit vermehrter Aufmerksamkeit,
sofortiger Bedürfnisbefriedigung, wenn V. traurig ist, sowie mit schönen Aktivitäten zur
Ablenkung.
Die
Symptomatik
von
V.
lässt
sich
anhand
der
folgenden
Verhaltensanalyse (SORC) verdeutlichen:
Situation:
V. streitet sich mit einer Freundin, weil diese eifersüchtig
ist, dass V. sich mit ihrem Freund gut versteht
Organismusvariablen:
niedriger Selbstwert, negative Denkmuster
R kognitiv:
"Blöde Kuh, immer bin ich an allem schuld." "Ich hasse
alle." "Ich habe keinen Bock mehr."
R physiologisch:
Anspannung, innere Unruhe
R emotional:
traurig, niedergeschlagen, enttäuscht, wütend
R motorisch:
Weinen, selbstverletzendes Verhalten
Konsequenzen
C+
fühlt sich erleichtert, Eltern kümmern sich vermehrt und befriedigen das
Bedürfnis nach Zuneigung und exklusiver Zuwendung
C-
ist enttäuscht von sich, Narbenbildung durch Selbstverletzungen, die V.
160
aus Scham und Sorge vor der Reaktion ihrer Mitschüler versteckt.
Langfristig Manifestation eines negativen Selbstbildes.
C+
Kann keine angemessenen Konfliktlösestrategien entwickeln,
Selbstwertstabilisierung wird verhindert
C-
emotionale Anspannung lässt nach
MAS-Diagnosen nach ICD-10
Achse I:
Mittelgradige depressive Episode (F32.1) (G)
Achse II:
Keine
Achse III:
Durchschnittliche Intelligenz
Achse IV:
Keine
Achse V:
Keine
Achse VI:
Mäßige soziale Beeinträchtigung (3)
Therapieziele und Prognose
In Absprache mit der Patientin und den Eltern wurden folgende Therapieziele
festgelegt:
Patientenzentrierte Ziele:
1. Aufbau von Affektregulationsstrategien und Abbau der depressiven Stimmung
2. Verminderung von Gedankenkreisen und Grübeln
3. Arbeit an einem positiven Selbstbild, Stärkung des Selbstwertgefühls und der
eigenen Kompetenzwahrnehmung
4. Förderung einer positiven Wahrnehmung des eigenen Körpers
5. Etablierung von funktionalen Schlafgewohnheiten
6. Stärkung der Konfliktfähigkeiten und Steigerung der Frustrationstoleranz
7. Verbesserung der Abgrenzungs- und Problemlösefähigkeiten
Elternzentrierte Ziele:
1. Unterstützung der Verselbständigung und Autonomieentwicklung der Tochter.
2. Abbau des überfürsorglichen und sehr verwöhnenden Verhaltens, wenn es V.
nicht gut geht.
161
Die Patientin zeigt sich bereits in den probatorischen Sitzungen als compliant, sie
kommt pünktlich und zuverlässig zu den vereinbarten Terminen. Sie hat eine hohe
Änderungsbereitschaft und erledigt die ihr gestellten therapeutischen Aufträge
zuverlässig. V. weist einen hohen Leidensdruck auf und möchte vor allem ihre
Stimmung verbessern. Die Eltern erweisen sich als supportiv und engagiert. Obwohl
die Symptomatik V. in einigen Lebensbereichen, wie dem familiären und schulischen
Bereich, einschränkt, weist die Jugendliche im Gegenzug auch einige persönliche
Ressourcen auf. Insgesamt kann von einer hinreichend günstigen Prognose für die
Gesamtentwicklung ausgegangen werden. Es wird ein positiver Behandlungsverlauf
erwartet, u. a. weil die ausgewählten Behandlungsmethoden evidenzbasiert sind.
Behandlungsplan
Aus den formulierten Zielen konnte nachfolgender Behandlungsplan vertieft werden:
Patientenzentrierte Interventionen:
1. Aufbauen einer tragfähigen therapeutischen Beziehung, indem Interesse und
Anteilnahme an persönlichen Themen (beginnende Beziehung zu einem Jungen),
Hobbies und Erlebnissen gezeigt wird. Signalisieren von Verständnis und wertfreier
Akzeptanz der aktuellen Problematik der Jugendlichen.
2. Entwicklung
eines
mehrfaktoriellen
Störungsmodells
unter
Einbeziehung
auslösender und aufrechthaltender Faktoren, sowohl mit V., als auch mit den
Eltern.
3. Herausarbeitung individueller Stärken (Fußball spielen, singen, tanzen) und
persönlicher Ressourcen (z.B. „Powerbaum“).
4. Einführen eines Stimmungsprotokolls, damit V. einen besseren Zugang zu ihren
schnell wechselnden Stimmungen bekommt und potentielle Ursachen für
Stimmungsschwankungen erkennen lernt.
5. Entwicklung alternativer Verhaltensstrategien im Umgang mit hoher innerer
Anspannung („Ritzdruck“), z.B. körperliche Aktivität.
6. Erstellen eines Notfallkoffers mit wichtigen Telefonnummern und möglichen
Aktivitäten, die im Notfall durchgeführt werden können.
7. Kognitive Umstrukturierung, mit dem Ziel der Korrektur dysfunktionaler Denkmuster
(z.B. „Ich bin hässlich“, „Ich kann nichts gut“). Überprüfung negativ-verzerrter
Kognitionen und Ersetzen durch funktionale Gedanken (z.B. „Teile meines Körpers
sind hübsch“). Einsatz von Gedankenprotokollen.
162
8. Einüben von positiven Selbstverbalisationen (z.B. „Ich lasse mich nicht
provozieren“, „Ich muss meinen Körper nicht verändern“, „Ich gefalle mir so, wie ich
bin.“).
9. Erlernen von Techniken, die das Grübeln unterbrechen (z.B. Gedankenstopp).
10. Förderung einer realistischen Einschätzung des eigenen Körperschemas mit Hilfe
von graduierter Spiegelbildexposition.
11. Fokussierung auf positive Aktivitäten (z.B. Erstellen eines Positiv-Tagebuchs zur
Fokussierung auf positive Erlebnisse und eigene Stärken. Lotterie der
Glücksbotschaften…).
12. Einführen eines Schlafprotokolls und Erprobung verschiedener Techniken zur
Verbesserung der Schlafhygiene.
13. Erlernen
von
funktionalen
Gleichaltrigenbereich besser zu
Problemlösestrategien,
um
Konflikte
im
bewältigen (Erprobung im Rollenspiel und in
realen Situationen).
Elternzentrierte Interventionen:
1. Psychoedukation der Eltern über Entwicklungsziele im Jugendalter und eine
angemessene Erziehung ohne elterliche Überfürsorge.
2. Anleitung der Eltern, angemessene Bewältigungsversuche von V., die der
Stimmungsstabilisierung dienen, positiv zu verstärken.
3. Abbau ungünstiger Verstärkerprozesse der Eltern, z. B. wenn V. eine depressive
Stimmung zeigt (z.B. zusätzliches Taschengeld geben, nachts noch Zigaretten für
die Tochter kaufen, damit sich V. nicht selbst verletzt).
Behandlungsverlauf
Die Therapie fand in einer Frequenz von einmal wöchentlich statt, in Krisenphasen
auch zweimal wöchentlich. Beide Elternteile wurden im gesamten Therapieverlauf
regelmäßig in die Behandlung mit einbezogen. Die Familie nahm die Termine sehr
zuverlässig wahr und hielt sich gut an therapeutische Vereinbarungen. Die
probatorischen Stunden dienten der Erhebung der Anamnese, der ausführlichen
Eingangsdiagnostik sowie dem Beziehungsaufbau. V. konnte sich gut auf das
Therapieangebot einlassen und verhältnismäßig schnell eine vertrauensvolle
Beziehung zur Therapeutin herstellen.
Die einzelnen Problembereiche der
Jugendlichen konnten gut herausgearbeitet werden. Die geschilderten Hauptprobleme
163
von V. waren primär ihre massiven Stimmungsschwankungen, das selbstverletzende
Verhalten, das Grübeln bezüglich ihrer Wirkung auf andere Jugendliche, sowie die
Abneigung des eigenen Körpers. Nach der differenzierten Problembeschreibung
erfolgte für alle relevanten Probleme eine Verhaltensanalyse mit der Jugendlichen.
Auslösende und aufrechterhaltende Faktoren der Stimmungsprobleme und der
Selbstwertstörung wurden, im Rahmen eines multifaktoriellen Störungsmodells,
gemeinsam mit der Familie herausgearbeitet. In diesem Zusammenhang erfolgte
außerdem eine ausführliche Psychoedukation bezüglich der Entwicklung und dem
Verlauf von Depressionen und Selbstwertstörungen im Kindes- und Jugendalter, unter
Einbeziehung spezifischer Behandlungsmöglichkeiten in der Adoleszenz.
Da sich V. zu Therapiebeginn sehr defizitorientiert zeigte und ihre persönlichen
Stärken und vorhandene Ressourcen überhaupt nicht wahrnehmen resp. nutzen
konnte, wurde als erster Therapiebaustein der ressourcenorientierte Baustein „Aufbau
von positivem Selbstbild“ ausgewählt. Bei der Analyse individueller Stärken und
Schwächen von V. wurde schnell deutlich, dass V. stark auf vermeintliche Schwächen
und Unzulänglichkeiten fixiert war. Persönliche Stärken konnte sie zunächst kaum
benennen. Als Therapiehausaufgabe erhielt V. daher den Auftrag, ihre beste Freundin,
Geschwister und Eltern nach Stärken zu fragen, die sie an V. schätzen. V. erhielt viele
positive Rückmeldungen, was ihr sichtlich gut tat. Zur Internalisierung dieser positiven
Rückmeldungen wurde V., im Sinne einer vertiefenden Hausaufgabe, gebeten, sich
täglich die genannten Stärken zu vergegenwärtigen. Mit Hilfe eines PositivTagebuches konnte die positive Selbstwahrnehmung weiter gestärkt werden.
Ergänzend wurde die Lotterie der Glücksbotschaften durchgeführt sowie eine
Stärkencollage angefertigt.
Des Weiteren wurde therapeutisch daran gearbeitet, die sozialen Beziehungen zu
Mitschülern im schulischen Setting zu stärken. Es zeigte sich, dass V. bis dato
überwiegend mit den Jungen aus ihrer Klasse interagierte, was zu einem schlechten
„Image“ im Klassenverband (vornehmlich seitens der Mädchen) beigetragen hat.
Gemeinsam wurde überlegt, mit wem sie weitere freundschaftliche Beziehungen
eingehen könnte und welche Aktivitäten mit Gleichaltrigen sinnvoll erscheinen.
Zeitgleich wurde mit der systematischen Aktivitätssteigerung begonnen. V. erhielt die
Hausaufgabe, wöchentlich zu dokumentieren, welche Aktivitäten sie für die Woche
plant. Parallel sollte sie ihre Stimmung mittels eines Stimmungsprotokolls beobachten.
164
Die Stimmung konnte durch diese Interventionen gut angehoben werden, wenngleich
V. in Konfliktsituationen immer wieder Stimmungseinbrüche zeigte.
Im weiteren Therapieverlauf nahm die Korrektur dysfunktionaler Kognitionen einen
großen Stellenwert ein. Da V. zu negativ-pessimistischen bis hin zu resignativen
Pauschalaussagen in Bezug auf ihre Umwelt und die Zukunft neigte, aber auch
massive Selbstabwertungstendenzen zeigte, wurde zunächst an der Korrektur der
pessimistischen, depressiven Grundhaltung gearbeitet. Anschließend erfolgte die
vertiefende therapeutische Bearbeitung der selbstabwertenden Kognitionen. Zu
Beginn wurde, anhand von Beispielen, der Zusammenhang zwischen Gedanken,
Gefühlen und Verhalten besprochen und im Rahmen der Psychoedukation die
kognitive Triade von Beck erläutert. Anschließend wurden individuelle Denkfehler von
V. herausgearbeitet, wie „Übergeneralisierung“ oder „Schwarz-Weiß-Denken“ und
mittels des sokratischen Dialogs hinterfragt. Während V. gut nachvollziehen konnte,
dass ihre Gedanken häufig übertrieben oder zu einseitig sind, fiel es ihr sichtlich
schwer, ihre Denkweise nachhaltig zu verändern und angemessenere Gedanken zu
formulieren. Daher erhielt V. im Folgenden die Hausaufgabe, täglich ihre negativen
Gedanken aufzuschreiben, diese auf ihren Realitätsgehalt zu prüfen und anschließend
durch einen möglichst realistischen, positiven Gedanken zu ersetzen. In den
Therapiestunden wurde die Realitätstestung unrealistisch-verzerrter Kognitionen
parallel zu den Übungen zu Hause weiter vertieft. Viele Überzeugungen waren
allerdings so fest verankert, dass eine Korrektur nur schwer möglich war.
In der darauffolgenden Therapiephase wurde mit V. ein soziales Kompetenztraining
durchgeführt. Einleitend wurden selbstsichere Verhaltensweisen gesammelt und
erörtert, woran man eine selbstsichere Körpersprache erkennen kann. V. übte
zunächst im geschützten Rahmen der Therapiesitzungen selbstbewusstes Auftreten
und einen selbstsicheren Kommunikationsstil. Im nächsten Schritt sollten die
Verhaltensweisen zu Hause und in der Schule erprobt werden, was auch gut
funktionierte. In den folgenden Therapiestunden wurde in Form von Rollenspielen das
angemessene
Lösen
von
Konflikten
trainiert.
V.
konnte
die
erlernten
Konfliktlösestrategien bereits nach kurzer Zeit gut im schulischen Alltag anwenden und
kleinere Konflikte mit Mitschülerinnen angemessen lösen, wodurch sie ihre
Selbstwirksamkeit stärken konnte.
165
Mit V. wurde ebenfalls geübt, Wünsche im familiären Rahmen adäquat zu artikulieren.
Dabei zeigte sich, dass V. zunächst nur wenig Verständnis für die Sicht der Eltern
hatte. Gleichzeitig bezog sie jegliche Konflikte sofort auf ihre Person und fühlte sich
vorschnell schuldig, diese initiiert zu haben. Mit V. konnte gut erarbeitet werden, dass
sie nicht immer schuld an den familiären Konflikten ist, was sie deutlich entlastete. Die
Eltern wiederum reagierten in familiären Konfliktsituationen ebenfalls mit einem sehr
schlechten Gewissen und kompensierten dies mit überfürsorglichem Verhalten. Im
Rahmen der Elternarbeit konnte dieses ungünstige Elternverhalten gut aufgelöst
werden und durch eine autonomiefördernde Erziehungshaltung ersetzt werden.
Da V. nach Abschluss der Interventionsphase auch weiterhin depressive Symptome
zeigte und die latenten Suizidgedanken wieder zunahmen, erfolgte während der
Follow-up-Phase – im Sinne einer Behandlungsintensivierung – eine vierwöchige
stationäre
Behandlung
in
der
Kinder-
und
Jugendpsychiatrie.
Die
psychotherapeutische Behandlung wurde poststationär fortgesetzt. Insgesamt fanden,
zuzüglich zu der stationären Behandlung, drei psychotherapeutische Gespräche mit
V. in der Follow up Phase statt. Die Therapie wurde nach Abschluss der Follow-upPhase, zur Festigung der Behandlungserfolge, fortgesetzt.
6.5 Behandlungsfall 5
Angaben zur spontan berichteten und erfragten Symptomatik
Die 14-jährige Patientin erscheint in Begleitung ihrer Eltern zum Erstgespräch.
Vorstellungsanlass seien Stimmungsprobleme und Wutausbrüche im häuslichen
Rahmen. A. leide seit einiger Zeit an Stimmungsschwankungen, weine zeitweise viel
und ziehe sich zuhause immer mehr zurück. Weiterhin bestehen Schwierigkeiten beim
Einschlafen. Sie grüble oft und sei nur selten zufrieden mit sich. Besonders im
familiären Bereich komme es immer wieder zu impulsiven Durchbrüchen und
Wutattacken. Die Eltern könnten oftmals nicht nachvollziehen, warum A. sich so
verhalte und bei Kleinigkeiten „an die Decke“ gehe. Man könne dann nicht mehr mit
ihr sprechen, da sie in solchen Situationen kaum zugänglich sei. Im schulischen
Rahmen zeige A. sich überwiegend angepasst, falle aber von Zeit zu Zeit auch dort
durch impulsive Durchbrüche auf. Insgesamt pflege A. nur wenige Freundschaften,
trotz vieler Freizeitaktivitäten, die A. engagiert wahrnehme. Seit dem Wechsel auf die
weiterführende Schule (Mädchen-Gymnasium) habe sie keinen richtigen Anschluss zu
ihren Mitschülerinnen gefunden und fühle sich ausgeschlossen. Mittlerweile empfinde
166
sie subjektiv seitens der Mitschülerinnen eine feindselige Stimmung ihr gegenüber,
fühle sich schnell ungerecht behandelt und angegriffen. Nach einem Konflikt im
Klassenverband sei es zu einer suizidalen Krise gekommen. A. habe probiert auf das
Dach der Schule zu gelangen, um vom Dach zu springen. Nachdem sie davon
abgehalten werden konnte, sei sie im Klassenraum zusammengebrochen. A. sei
daraufhin einige Tage stationär zur Krisenintervention in der Kinder- und
Jugendpsychiatrie
aufgenommen
worden.
Im
Zuge
dessen
sei
eine
psychotherapeutische Behandlung zur emotionalen Stabilisierung empfohlen und
initiiert worden.
Lebensgeschichtliche Entwicklung und Krankheitsanamnese
A. lebe aktuell mit ihrer Mutter, einer Immobilienkauffrau, und ihrem Vater, Disponent
bei einem Busunternehmen, im gemeinsamen Haushalt. Geschwister habe A. nicht.
Die Geburt erfolgte ohne Komplikationen 14 Tage nach dem errechneten Termin. Die
Meilensteine der frühkindlichen Entwicklung habe sie normgerecht erreicht. Bereits mit
zehn Monaten sei A. gelaufen. Sie sei ein sehr agiles Kind mit einem starken Willen
gewesen, dass zudem stets sehr wissbegierig gewesen sei. Die Mutter habe als junge
Erwachsene innerhalb einiger Jahre beide Elternteile verloren, mit denen es, aufgrund
einer starken Alkoholabhängigkeit, große Schwierigkeiten gegeben habe. Sie sehe es
daher als ihre Lebensaufgabe für A. eine bessere Mutter zu sein.
Zunächst habe A. einen privaten Kindergarten besucht. Da die Eltern mit der KITA
nicht zufrieden gewesen seien, habe A. nach einem Jahr den Kindergarten
gewechselt. Sie sei sehr offen gewesen im Kindergarten und habe viel lernen wollen.
Im Vorschulalter habe sie sich bereits an den größeren Kindern orientiert. Auch in der
Grundschule sei sie offen und wissbegierig gewesen. Damals habe A. erste lockere
Bekanntschaften zu Gleichaltrigen gepflegt. Recht schnell habe sie den Lernstoff
verstanden und sich dann in der Schule gelangweilt. Ab der zweiten Klasse habe A.
erstmals Störverhalten aufgrund der Unterforderung in der Klasse gezeigt. In der
dritten Klasse habe daher ein Wechsel auf eine bilinguale Grundschule stattgefunden.
Dort habe A. nur schlecht Anschluss gefunden. Auf eigenen Wunsch sei A. dann in
der fünften Klasse auf ein Mädchengymnasium gewechselt. Hier sei sie im
Klassenverband nie richtig angekommen. Die Situation habe sich immer weiter
zugespitzt, bis A. es schließlich nicht mehr aushalten habe können. Daraufhin habe
167
sie versucht auf das Schuldach zu gelangen, um von dort runter zu springen. Nach der
suizidalen Krise sei es noch schwieriger in der Klasse gewesen und A. habe selbst
aufgegeben, etwas an ihrer Stellung in der Klasse verändern zu wollen. Laut Aussage
der Lehrerin bemühe sich die Klasse, A. besser einzubinden und verhalte sich, in den
beaufsichtigten Momenten, nicht feindselig ihr gegenüber. Im familiären Rahmen
komme es aufgrund der Unzufriedenheit von A. immer häufiger zum Streit mit den
Eltern. A. reagiere, wenn sie unter Druck gerate, verbal ausfallend und ziehe sich auf
ihr Zimmer zurück, so dass eine angemessene Konfliktklärung oft nicht möglich ist.
An Ressourcen werden Eishockey, Inline Skating, Querflöte spielen und Tennis
aufgezählt. Sie gehe fast täglich einer dieser Aktivitäten nach und habe dadurch einen
vollen Terminplan.
Psychischer Befund zum Zeitpunkt der Antragstellung
A. zeigt sich bereits zu Beginn der Therapie sehr offen und kommunikativ. Sie spricht
relativ laut und hat außerordentlich viel zu berichten. Deutlich verminderter Selbstwert,
depressive
Stimmung,
wiederkehrendes
Grübeln
und
resignative
Haltung.
Wiederkehrende Kopfschmerzen, ansonsten keine somatischen Beschwerden. Seit
Längerem Einschlafschlafstörungen, in Verbindung mit Belastungserleben. Im
familiären Kontext gelegentlich verbale Aggressionen und oppositionell verweigerndes
Verhalten (bei Anforderungen seitens der Eltern). Die Kriterien einer Störung des
Sozialverhaltens sind nicht erfüllt. Trotz Impulsivität kein Anhalt für eine ADHS. Keine
Ängste, Zwänge, Tics und keine Auffälligkeiten im Essverhalten. Aktuell klar distanziert
von Eigen- und Fremdgefährdung, kein selbstverletzendes Verhalten, kein Alkoholoder Drogenabusus.
Diagnostische Befunde
Im WISC-IV wurde ein gut durchschnittlicher Gesamt-IQ ermittelt (SW=110). Im YSR
ergaben sich Hinweise auf ängstlich-depressive Symptome (T=67), alle anderen
Skalen sind unauffällig. Die internalisierende Syndromskala zeigt eine Ausprägung im
Grenzbereich zu klinisch auffälligem Verhalten (T=63). In der CBCL ergibt sich, aus
Sicht der Eltern, ein deutlich auffälligeres Bild: überdurchschnittlich hohe Werte auf
den Skalen ängstlich-depressive Symptomatik (T>80), soziale Probleme (T=72) und
aggressives Verhalten (T=75). Aufmerksamkeitsprobleme liegen im Grenzbereich
168
unauffällig / auffällig (T=67). Die übergeordneten Skalen „internalisierende Skala“
(T=77) und „externalisierende Skala“ (T=72) sowie die Gesamtskala (T=74) zeigen
überdurchschnittlich hohe Werte. Der TRF ist ausschließlich in Bezug auf die Skala
„soziale Probleme“ grenzwertig auffällig (T=68), die übrigen Skalen sind im Lehrerurteil
unauffällig. Im SBB-DES und FBB-DES (Elternurteil) des DISYPS-II zeigen sich
depressive Symptome (SN 9). Im FBB-DES, der durch die Klassenlehrerin beurteilt
wurde, sind dagegen durchschnittliche Werte ermittelt worden. Die Selbst- und
Fremdbeurteilungen der Kompetenzen fallen weit unterdurchschnittlich aus (SN 1).
Der DIKJ weist ebenfalls auf eine depressive Symptomatik hin (T=79). Die Rosenberg
Self-Esteem Scale RSES schließlich spiegelt den sehr geringen globalen Selbstwert
der Jugendlichen wider (T=27).
Somatischer Befund – ärztlicher Konsiliarbericht
Es
bestehen
keine
ärztlichen
Einwände
gegen
eine
psychotherapeutische
Behandlung. Eine psychiatrische Begleitbehandlung ist nicht indiziert.
Bedingungs- und Verhaltensanalyse
Verhaltensanalyse
Bei der Patientin liegt eine sonstige emotionale Störung des Kindesalters vor. A. hat
als Kleinkind bereits ein sehr agiles Temperament gezeigt und war stets sehr
wissbegierig. Nach vielen Jahren wurde die Mutter endlich schwanger und A. erhielt
als Einzelkind in starkem Ausmaß die Aufmerksamkeit der Eltern. A.s Mutter hat
aufgrund ihrer eigenen schwierigen Biographie mit zwei alkoholabhängigen
Elternteilen, die früh verstorben sind, einen hohen Anspruch an das Ausüben ihrer
Mutterrolle. Dies führt zu einer fast symbiotischen Beziehung, was sich u. a. in den
vielen gemeinsamen Aktivitäten zeigt. Generell pflegt die Familie ihre Kontakte fast
ausschließlich innerhalb des eigenen Familiensystems und ist wenig nach außen
gerichtet. Trotz vieler Unternehmungen und Interessen wurde A. wenig in Bezug auf
die Kontaktaufnahme zu Gleichaltrigen gefördert. Ihr impulsives Temperament kann
auch ein ungünstiger Faktor in der Kontaktaufnahme und Problemlösung mit
Gleichaltrigen gewesen sein. Zudem scheinen die häufigen Schulwechsel und
wenigen Freundschaften wahrscheinlich erschwert zu haben, dass A. sozial
kompetente Strategien in einem kontinuierlichen sozialen Bezugsrahmen entwickelt.
169
Die elterliche Überfürsorge und der gleichzeitige Wunsch nach elterlicher Kontrolle
stehen im Gegensatz zu den aktuellen Entwicklungsaufgaben der Jugendlichen und
führen, insbesondere durch die Autonomiebestrebungen von A., zu vermehrten
innerfamiliären Konflikten. Die Eltern haben einen hohen Anspruch an ihre Tochter und
stellen Anforderungen, die gerade bei der aktuell vorliegenden Symptomatik nicht
bewältigt werden können. Dies verstärkt die depressive Symptomatik und die
Selbstwertstörung der Jugendlichen. Durch den perfektionistischen Fokus der Eltern
und ihr Hauptaugenmerk auf die Leistungsfähigkeit ihrer Tochter bleibt A. nur wenig
Raum für emotionales Erleben. A. hat insbesondere zu ihrer „emotionalen Seite“ nur
wenig Zugang und auf der Verhaltensebene ihre Impulsivität als Schutzmechanismus
entdeckt. In der Auseinandersetzung mit den dominanten Eltern nutzt A. zudem immer
häufiger oppositionelle Verhaltensweisen, um sich besser durchzusetzen.
Den Verlust einer der wenigen guten Freundinnen, durch einen Umzug, sowie die
vielen Zurückweisungen im Klassenverband hat A. depressiv verarbeitet. Die
langjährige
Ablehnung
stützt
ihr
negatives
Selbstkonzept
und
begünstigte
dysfunktionale Denkmuster im Kontakt mit Gleichaltrigen. Kritik und Zurückweisungen
wertet A. als persönliche Kränkung und reagiert darauf mit Wutausbrüchen, was
wiederum die Ablehnung seitens der Mitschülerinnen verstärkt. Dies führt dazu, dass
sie keine korrigierenden Erfahrungen machen kann und sich ein negatives Selbstbild
manifestiert. Die soziale Ablehnung trägt erschwerend auch dazu bei, dass A. keine
angemessenen sozialen Kompetenzen entwickeln kann, weil sie im Klassenverbund
meist ausgegrenzt wird.
Exemplarisch lässt sich das Problemverhalten von A. an der nachfolgenden
Verhaltensanalyse (SORC) verdeutlichen:
Situation:
Klassenkameradin fragt A. nach einem Zirkel
Organismusvariablen:
häufige Erfahrung der Zurückweisungen, Unsicherheit,
mangelnde soziale Kompetenzen, erhöhte Impulsivität
R kognitiv:
„Die will mich nur ausnutzen!“, „Dafür bin ich gut genug!“,
R emotional:
gereizt, wütend, traurig
R physiologisch:
Kloß im Hals, innere Unruhe
R motorisch:
verbal-aggressives Verhalten, Opposition (z.B. „Du kriegst
von mir gar nichts mehr!“)
170
Konsequenzen
C+
A. hat das subjektive Gefühl der Macht und Kontrolle,
kann durch ihr Verhalten die Mitschülerin zurückweisen
und erfährt dadurch Genugtuung.
C-
Negative Erwartung der sozialen Ablehnung wird durch
Ablehnung seitens der Mitschülerin bestätigt. Langfristig
Gefahr der sozialen Isolation.
C-
A. muss sich mit der Mitschülerin nicht auseinandersetzen
C+
Korrigierende positive Beziehungserfahrungen und
Kontaktangebote der Mitschüler bleiben aus. Tragfähige
Freundschaften können nicht etabliert werden.
MAS-Diagnosen nach ICD-10
Achse I:
Sonstige emotionale Störungen des Kindesalters (F93.8) (G)
Achse II:
keine
Achse III:
durchschnittliche Intelligenz
Achse IV:
Hypothyreose
Achse V:
Elterliche Überfürsorge
Achse VI:
Mäßige soziale Beeinträchtigung (3)
Therapieziele und Prognose
In Absprache mit der Patientin und den Eltern wurden folgende Therapieziele
festgelegt:
Patientenzentrierte Ziele:
1. Reduktion der depressiven Symptomatik
2. Stärkung eines positiven Selbstwertgefühls
3. Aufbau adäquater Impulskontrolle und Frustrationstoleranz
4. Förderung einer angemessenen Kommunikation mit den Eltern und mit Peers
5. Stärkung
der
sozialen
Fertigkeiten,
insbesondere
in
Bezug
auf
die
Kontaktgestaltung zu Gleichaltrigen (z.B. Gespräche beginnen, Freundschaften
schließen, Fragen stellen…)
171
Familienzentrierte Ziele:
1. Verbesserung der Eltern-Tochter-Beziehung
2. Förderung der Akzeptanz der Autonomiebestrebungen der Tochter
Die Patientin zeigt sich bereits in den probatorischen Sitzungen sehr offen und
mitteilungsbedürftig. Sie berichtet differenziert über ihre Probleme, zeigt eine für ihr
Alter sehr gute Reflexionsfähigkeit und einen hohen Leidensdruck. A. weist auch eine
hohe Änderungsmotivation auf. Flankierend zur ambulanten Therapie von A. erhalten
die
Eltern
niederschwellig
Unterstützung
durch
eine
ambulante
Familien-
beratungsstelle. Da die Symptomatik noch nicht generalisiert ist und keine komorbiden
Störungen vorhanden sind, kann von einer ausreichend günstigen Prognose
ausgegangen werden. Es wird ein günstiger Therapieverlauf erwartet, zumal die
gewählten Behandlungsmethoden evidenzbasiert sind.
Behandlungsplan
Patienten-zentrierte Interventionen:
1. Entwicklung
eines
multifaktoriellen
Störungsmodells,
unter
Einbeziehung
auslösender und aufrechthaltender Faktoren der emotionalen Störung.
2. Ressourcenaktivierung: Herausarbeiten und Nutzen individueller Stärken und
Ressourcen sowie von Ressourcen im familiären Umfeld.
3. Interventionen zur Stimmungsaufhellung: Identifikation angenehmer Aktivitäten,
Erarbeitung eines Wochenplans zur Dokumentation angenehmer Aktivitäten, neue
Möglichkeiten der Freizeitgestaltung (ohne Leistungsanspruch) erproben. Erstellen
eines Positiv-Tagebuchs zur Fokussierung auf positive Erlebnisse und persönliche
Stärken. Etablierung von Selbstbelohnungsstrategien.
4. Kognitive Umstrukturierung: Identifizieren verschiedener negativ-abwertender,
dysfunktionaler
Kognitionen
(z.B.
"Keiner
mag
mich")
pathologischer
Denkmustern
(z.B.
Übergeneralisierung,
sowie
typischer
Katastrophisieren).
Umstrukturierung von dysfunktionalen Gedanken, mit Hilfe des sokratischen
Dialoges. Verhaltensexperimente zur Realitätstestung unrealistischer Kognitionen.
Entwicklung von hilfreichen und angemessenen Denkweisen.
5. Einüben von positiven Selbstverbalisationen zur Förderung der positiven
Selbstwahrnehmung
und
Selbstakzeptanz.
Verankerung
positiver
Selbstverbalisationen beim Ausführen alltäglicher Handlungen, wie Zähneputzen
(Premack-Prinzip).
172
6. Konflikt- und Problemlösetraining mit dem Ziel, schwierige soziale Situationen
selbständig zu meistern. Zusätzlich Stärkung der Selbstwirksamkeitserwartung.
Generieren verschiedener Lösungen, Abwägen der Vor- und Nachteile,
selbständiges Erarbeiten der „besten“ Problemlösestrategie, Planung der
konkreten Umsetzung und Überprüfung des Erfolges.
7. Stärkung sozialer Kontakte, Förderung positiver Gleichaltrigenkontakte außerhalb
der Schule (beispielsweise im Tennisverein).
8. Interventionen zur Steigerung der Impulskontrolle und zur Erhöhung der
Frustrationstoleranz.
Schulung
der
differenzierten
Selbstwahrnehmung
unterschiedlicher Gefühle durch Selbstbeobachtung. Protokollierung der Auslöser
von Wut, Frustration und Ärger. Einüben von Fertigkeiten zur Toleranz von
Frustration und Einüben nicht-impulsiver Verhaltensreaktionen im Rollenspiel und
in realen Situationen. Transfer der neuen Fertigkeiten in den Alltag.
9. Erweiterung der sozialen Fertigkeiten in Bezug auf die Kontaktaufnahme zu
Gleichaltrigen und den Aufbau von Freundschaften im Rollenspiel und in realen
Situationen. Erlernen eines adäquaten Umgangs mit Enttäuschungen und
Konflikten. Üben, die eigenen Befindlichkeiten und Bedürfnisse angemessen zu
artikulieren.
Familien-zentrierte Interventionen:
1. Psychoedukation zum Thema Jugendalter: Förderung der Akzeptanz der
Autonomiebestrebungen
von
A..
Anleitung
der
Eltern
hinsichtlich
einer
angemessenen Unterstützung der Autonomiebestrebungen der Tochter.
2. Abbau erhöhter Ansprüche an die Tochter.
3. Familiäres Konfliktmanagement: Aushandeln von Familien-Regeln, besonnener
Umgang mit „Familien-Krisen“, Erarbeiten von angemessenen intrafamiliären
Kommunikationsregeln.
Behandlungsverlauf
Kurz vor Therapiebeginn hat A. das gemeinsame Beratungsangebot mit ihren Eltern
in der Familienberatungsstelle abgebrochen. A. stand dem Therapieangebot daher zu
Behandlungsbeginn sehr skeptisch gegenüber. Die ersten Stunden wurden, neben der
Erhebung der Anamnese, insbesondere für einen intensiven Beziehungsaufbau
genutzt. Durch kreative Angebote zur Darstellung ihrer eigenen Person und Einsatz
173
von Methoden der Biografiearbeit konnte sich A. nach und nach auf die Therapie
einlassen, so dass mit der Zeit eine tragfähige therapeutische Beziehung aufgebaut
werden konnte. Mit A. und den Eltern konnten die zugrundenliegenden Probleme und
möglichen Therapieziele differenziert erarbeitet werden. Des Weiteren erfolgten
detaillierte Situationsanalysen für die verschiedenen Problembereiche, unter
Berücksichtigung begünstigender Faktoren des Problemverhaltens. Vor- und
Nachteile zugrundeliegender Probleme sowie möglicher Verhaltensänderungen
wurden ergänzend erarbeitet.
In
der
ersten
Behandlungsphase
wurde
aufgrund
der
vorherrschenden
Insuffizienzgefühle besonders ressourcenorientiert gearbeitet. Gemeinsam wurde ein
Stärken- und Schwächenprofil generiert. Zur Verdeutlichung der eigenen Stärken
wurden Fremdbeurteilungen der Eltern und Freunde miteinbezogen, da es A. sehr
schwer fiel, positive Aspekte der eigenen Person zu benennen. Es wurde eine Collage
zu den Idealvorstellungen von A. gebastelt und den positiven Rückmeldungen des
Umfeldes gegenübergestellt. A. war deutlich überrascht über die Aspekte, die ihr
Umfeld an ihr schätzt und darüber, dass viele der benannten Stärken ihrer
Idealvorstellung entsprechen. Des Weiteren wurde als ressourcenaktivierende und
gleichzeitig selbstwertstärkende Übung der "Powerbaum" durchgeführt. Es folgte eine
Psychoedukation über die Notwendigkeit regelmäßigen Selbstlobens und die positiven
Auswirkungen von Lob auf die Stimmung und den Selbstwert. Die Lotterie der
Glücksbotschaften half A. einen positiven Blickwinkel auf den Tag zu erhalten und
spielerisch positive Aktivitäten in den Alltag zu implementieren. Das Tennisspielen, als
große persönliche Ressource, wurde als Element der Selbstbelohnung in die
Behandlung integriert. Der negative Fokus auf die Klasse wurde reduziert, indem neue
Möglichkeiten zur Kontaktgestaltung mit Peers (identifiziert durch das Spiel „Mister X“)
außerhalb des schulischen Kontextes ermöglicht wurden.
Im weiteren Verlauf wurde an der Stabilisierung der Stimmung gearbeitet. Der Einsatz
von Stimmungsprotokollen diente der Analyse von emotionalen Hoch- und Tiefpunkten
der Woche und der Erhebung der Veränderung der Stimmung im Therapieverlauf.
Daran anknüpfend wurde an Themen, wie der differenzierten Wahrnehmung von
Gefühlen und der angemessenen Affektregulierung, gearbeitet. Da A. zu Beginn der
Therapie sowohl in der Schule, als auch im häuslichen Rahmen impulsive
174
Durchbrüche und Stimmungsschwankungen zeigte, stellten diese Interventionen
wesentliche Elemente der Therapie dar. Durch verschiedene Übungen zur
Emotionsdifferenzierung (Pantomime, Gefühlsausdrücke in Zeitungen sammeln etc.)
wurde der Zugang zur eigenen Gefühlswelt deutlich verbessert. Gemeinsam wurde
anschließend ein Wut-Thermometer erstellt und besprochen, wie die impulsiven
Durchbrüche ablaufen und welche Auslöser dazu geführt haben. Mit A. wurde auch
erarbeitet, welche funktionalen Verhaltensweisen sie in solchen Situationen effektiv
einsetzen kann.
Neben dem Training der Impulskontrolle und Emotionsregulation bildete die kognitive
Umstrukturierung von negativen Gedanken einen weiteren Schwerpunkt der Therapie.
A. zeigte vor allem negative Befürchtungen bezüglich ihrer Wirkungsweise auf
Gleichaltrige. Zunächst wurde der Zusammenhang zwischen Situationen, Gedanken
und Gefühlen anhand von verschiedenen Beispielen besprochen. Ergänzend wurden
typische negative Gedanken, die bei Konflikten entstehen, zusammengetragen und
hinterfragt. Es konnte herausgearbeitet werden, dass der Gedanke, der am meisten
impulsiv-wütende Reaktionen triggert, der ist, dass A. sich ungerecht behandelt fühlt
und glaubt, dass alle gegen sie seien. Anhand einer Realitätsüberprüfung wurde der
Realitätsgehalt dieser dysfunktionalen Kognitionen geprüft. Im Anschluss wurden
funktionale alternative Gedanken etabliert, die in alltäglichen Situationen trainiert
wurden.
Parallel zu den jugendlichenzentrierten Interventionen wurde ein intensiver Kontakt zu
den Eltern und zur Klassenlehrerin gehalten. In den Sitzungen mit den Eltern ging es
zu Beginn besonders um Psychoedukation in Bezug auf pubertäre Veränderungen und
Entwicklungsaufgaben des Jugendalters. Auch wurde im Rahmen der Elternarbeit das
aufmüpfige
Verhalten
der
Tochter
entpathologisiert
und
sukzessive
eine
verständnisvollere Haltung der Tochter gegenüber erarbeitet. Perfektionistische und
oft nicht altersangemessene Anforderungen seitens der Eltern wurden dabei ebenfalls
thematisiert. Mit der Klassenlehrerin wurden Maßnahmen zur Deeskalation im
Rahmen der Klassensituation besprochen.
Auf Wunsch der Familie waren weitere Themen der Elternarbeit u. a. die Erarbeitung
funktionaler Kommunikationsstrategien und die Förderung einer altersangemessenen
Regelakzeptanz. Außerdem wurde der Familie das Problemlösetraining erläutert,
welches erfolgreich zu Hause erprobt wurde.
175
Als Fazit kann gezogen werden, dass A. und ihre Eltern sehr von der Therapie profitiert
haben. Alle Beteiligten zeigten sich sehr zufrieden mit dem Therapieverlauf. Als
wesentlicher Therapieerfolg ist zu werten, dass eine positive Selbstwahrnehmung
etabliert werden konnte und dass die Selbstwertproblematik, sowie die traurige
Stimmung, abgebaut werden konnten. Bei Therapieabschluss zeigte sich zudem ein
deutlicher Kompetenzzuwachs, insbesondere bezogen auf die Fähigkeiten zur
Impulskontrolle und Emotionsregulation. Zum Follow-up-Zeitpunkt, d.h. nach
dreimonatiger Therapiepause, haben sich auch das familiäre Zusammenleben und die
familiären Kommunikationsmuster positiv weiterentwickelt. Die oben beschriebenen
Therapieerfolge konnten in der Follow-up Phase folglich, dem klinischen Eindruck
nach, weiter stabilisiert werden. Der positive Therapieverlauf spiegelt sich auch in den
Fragebögen der Abschlussdiagnostik wider.
6.6 Behandlungsfall 6
Angaben zur spontan berichteten und erfragten Symptomatik
Die 12-jährige L. wird in Begleitung ihrer Mutter vorgestellt. L. habe seit mehr als einem
Jahr „panische Angst“ vor tiefem Wasser und verweigere, aufgrund der Angst zu
ertrinken, seit der 5. Klasse den Schwimmunterricht in der Schule. Hintergrund sei,
dass L. nach einem schweren Reitunfall, einhergehend mit einer 9-monatigen
Rehabilitationsdauer (von der sie sechs Monate lang im Rollstuhl saß), im
Schwimmunterricht zwei Mal beinahe ertrunken wäre, da ihre Kondition dem
Schwimmtraining nicht standhalten konnte. Dies sei aus Sicht der Jugendlichen und
der Mutter der Auslöser für die massive Angst vor tiefem Wasser. Im
Nichtschwimmerbecken habe sie dagegen keine Angst und halte sich bereitwillig im
flachen Wasser auf. Nur wenn die Lehrerin darauf bestehe, dass L. im tiefen
Schwimmbecken schwimmt, traue L. sich aufgrund der traumatischen Vorerfahrungen
nicht, der Aufforderung der Lehrerin nachzukommen. Die Mutter sei verzweifelt, weil
L. ihre Angst bislang nicht habe überwinden können. Alle Versuche, ihr die Angst vor
tiefem Wasser zu nehmen, seien bis dato gescheitert. Die Mutter habe im Gegenteil
das Gefühl, dass die Angst ihrer Tochter immer stärker werde.
L. selbst beschreibt sich als sehr belastet, insbesondere weil sie aufgrund der
Verweigerung der Teilnahme am Schwimmunterricht in Sport ein mangelhaft auf dem
Zeugnis erhalten habe, obwohl sie in allen anderen Fächern sehr gute Leistungen
176
zeige und engagiert am Unterricht teilnehme. L. und die Mutter empfinden die
mangelhafte Benotung der Schwimmlehrerin und vor allem die abwertenden Aussagen
der Lehrerin, wie beispielsweise, dass L. „sich nicht bemüht“, als sehr ungerecht und
wenig einfühlsam. Die Lehrerin habe ihr in diesem Kontext beispielsweise als
Hausaufgabe aufgetragen, den Kopf im Waschbecken unter Wasser zu halten, um so
ihre Angst vor Wasser zu überwinden. Als L. dann in der darauffolgenden Woche
wieder Angst davor hatte, im tiefen Schwimmbecken zu schwimmen, sei sie vor der
gesamten Klasse gemaßregelt worden und ihr sei vorgeworfen worden, ihre
Hausaufgabe nicht gemacht zu haben. Sie habe deshalb als Konsequenz am
Beckenrand „Trockenübungen“ machen sollen, was ihr sehr unangenehm gewesen
sei, zumal die Mitschüler sich darüber lustig gemacht haben. Insgesamt sei das
Verhältnis zwischen der Mutter und der Lehrerin seitdem sehr angespannt. Laura
empfinde den Schwimmunterricht seit diesem Vorfall als hoch aversiv, gehe aber
weiterhin regelmäßig hin und begebe sich – trotz ihrer massiven Angst – an den
Beckenrand des Schwimmbeckens. Abgesehen von einer leichten sozialen
Ängstlichkeit in unbekannten Situationen und der beschriebenen Phobie vor tiefem
Wasser werden aktuell keine weiteren Ängste benannt.
Die Mutter berichtet weiterhin, dass L., neben der Phobie, auch massive
Selbstwertprobleme habe, sehr an sich zweifle und infolgedessen oft traurig sei. L fühle
sich beispielsweise zu dick und zudem hässlich. Besondere Sorge bereite der Mutter,
dass L. seit mehreren Monaten von einigen Mädchen aus der Klasse gemobbt werde
und sich nicht angemessen dagegen wehren könne. Mitschülerinnen würden L. oft
grundlos beleidigen und ihr Aussehen kritisieren. Auch werde ihr von den Mädchen
gehäuft vorgeworfen, arrogant zu sein. L. fühle sich den Mädchen gegenüber
„ausgeliefert“ und sei überzeugt davon, dass die Konflikte nicht zu klären seien, da die
Mädchen es auf sie „abgesehen haben.“ L. erhoffe sich von einer Therapie vor allem
besser mit ihren Mitschülern auszukommen und sich nicht so leicht von ihnen
verunsichern zu lassen.
Lebensgeschichtliche Entwicklung und Krankheitsanamnese
L. ist das einzige gemeinsame Kind der seit 2004 getrennt lebenden Eltern, die nie
verheiratet gewesen sind. Aus einer vorhergehenden Partnerschaft des Vaters seien
zwei Halbschwester (23 Jahre und 25 Jahre alt) hervorgegangen. Der Vater lebe seit
der Trennung von der Mutter in einer neuen Partnerschaft. Zum Vater bestehe sehr
177
selten Kontakt, zumal die neue Partnerin ausdrücklich nicht wünsche, dass die Treffen
zwischen Vater und Tochter in der gemeinsamen Wohnung stattfinden. Die Trennung
sei für die Mutter nur schwer zu verkraften gewesen, weil der Vater unmittelbar nach
der Trennung von ihr seine Sekretärin geheiratet habe und sie zudem finanziell keine
Unterstützung von ihm erhalten habe. Sie sei gezwungen gewesen, sofort nach der
Trennung wieder beruflich tätig zu werden. Sie habe als Angestellte bei einer
Versicherung angefangen zu arbeiten und habe L. ganztags von den Großeltern
betreuen lassen. Diese Zeit sei der Mutter sehr negativ in Erinnerung, weil L. immer
geweint habe und nicht bei den Großeltern habe bleiben wollen. Die Mutter habe
aufgrund der starken emotionalen Belastung und der massiven Kränkung durch den
Vater seinerzeit eine Psychotherapie in Anspruch genommen, die ihr, wie sie berichtet,
sehr geholfen habe mit den Verlusterfahrungen umzugehen.
Die Schwangerschaft sei eine Risikoschwangerschaft gewesen, da die Mutter einen
11 cm großen Gebärmutterhals-Tumor gehabt habe, der erst während der
Schwangerschaft entdeckt worden sei. Die Geburt sei in der 38. SSW per Sectio
erfolgt, der (gutartige) Tumor sei im Zuge der Sectio mit entfernt worden. L. habe als
Baby sehr viel geweint und sei kaum zu beruhigen gewesen. Die motorische
Entwicklung habe sich, laut Auskunft der Mutter, beschleunigt vollzogen, die
sprachliche Entwicklung habe dagegen verzögert eingesetzt, weshalb L. auch eine
logopädische Behandlung erhalten habe. L. sei vom 3. bis 6. Lebensjahr in den
Kindergarten gegangen. Dort habe sie viel geweint und durchweg deutliche Anzeichen
von Trennungsängstlichkeit gezeigt. Schon auf dem Weg zum Kindergarten habe sie
sich häufig übergeben und sich an die Mutter geklammert. Auch bei der Einschulung
und zu Beginn der weiterführenden Schule habe L. über Monate hinweg massive
Trennungsangst gezeigt. Hinsichtlich der Schulleistungen sei L. schon immer eine sehr
gute Schülerin gewesen, die sich durchgängig sehr angepasst gezeigt habe und die
„es allen Mitschülern Recht machen will“, wie die Mutter berichtet.
2010 habe L. einen Reitunfall gehabt, bei dem sie sich mehrere Rückenwirbel
angebrochen habe und infolge dessen für sechs Monate im Rollstuhl gesessen habe.
Seit sie im Schwimmunterricht auf der weiterführenden Schule zwei Mal beinahe
untergegangen wäre, habe L. massive Angst vor tiefem Wasser entwickelt. Aktuell
besuche sie die 6. Klasse einer privaten Gesamtschule. Freundschaften pflege sie zu
178
ihren Mitschülerinnen nur oberflächlich, da diese sie oft kritisieren und ärgern (sie
werfen ihr z.B. vor, zu dicke Oberschenkel und zu ausgeprägte Augenbrauen zu
haben). Die Selbstwertstörung entwickelte sich im Zuge der Abwertungen seitens der
Schwimmlehrerin und des Mobbings durch
Mitschülerinnen, was - neben
Insuffizienzgefühlen - zu sozialer Unsicherheit und wiederkehrender Traurigkeit der
Jugendlichen beigetragen hat.
Psychischer Befund zum Zeitpunkt der Antragstellung
L. ist ein altersentsprechend entwickeltes Mädchen, das sich im therapeutischen
Kontakt zunächst schüchtern und verlegen zeigt, im weiteren Verlauf jedoch deutlich
offener und zugänglicher wird. Sie ist emotional gut schwingungsfähig, wirkt jedoch bei
der Exploration der Problematik sehr belastet und traurig. Abgesehen von der
massiven Angst im tiefen Wasser zu ertrinken, sind aktuell keine weiteren
pathologischen Ängste eruierbar. In der Vorgeschichte deutliche Trennungsangst und
leicht sozial phobische Tendenzen in unbekannten Situationen. Keine Hinweise auf
Traumatisierung, insbesondere keine Flashbacks oder andere Symptome einer PTBS.
Keine
Schlafstörung,
kein
pathologischer
sozialer
Rückzug.
Ausgeprägte
Selbstwertproblematik mit Selbstabwertungstendenzen und Grübeleien in Bezug auf
die eigene Person, keine Zwänge, keine Tics, keine Essstörung. Keine expansiven
Verhaltensauffälligkeiten und kein Alkohol- oder Drogenabusus. Kein Anhalt für
Suizidalität, selbstschädigendes Verhalten oder Fremdgefährdung.
Diagnostische Befunde
Die mehrdimensionale Intelligenzdiagnostik ergab eine durchschnittliche Intelligenz.
Im SBB-/FBB-ANZ des DISYPS-II wurden, abgesehen von einer massiven Angst vor
tiefem Wasser und Unbehagen in sozialen Situationen mit Gleichaltrigen, keine
weiteren Ängste deutlich. Die Kriterien einer phobischen Störung sind erfüllt. Im SBBund FBB-DES (Fremdurteil der Mutter) zeigen sich insbesondere deutliche Hinweise
auf Insuffizienzgefühle und Selbstzweifel (SBB-DES SN 8, FBB-DES SN 9) und sehr
gering ausgeprägte Kompetenzen (SBB-DES SN 2, FBB-DES 1). In der „Rosenberg
Self-esteem Scale“ wurde ein weit unterdurchschnittlicher T-Wert ermittelt (T-Wert 27),
der
auf
eine
deutliche
Selbstwertstörung
hinweist.
Im
DIKJ
zeigen
sich
durchschnittliche Werte (T-Wert 56). Trotz hohem Leidensdruck und Traurigkeit kein
Hinweis auf eine ausgeprägte depressive Symptomatik.
179
Somatischer Befund – ärztlicher Konsiliarbericht
Aus Sicht der Ärztin besteht eine Indikation für eine psychotherapeutische
Behandlung. Eine psychiatrische Abklärung und ausführliche Diagnostik ist im Vorfeld
der Anbahnung der Psychotherapie erfolgt.
Bedingungs- und Verhaltensanalyse
Verhaltensanalyse
Für die Angststörung liegt eine genetische Disposition vor. Die Mutter zeigt ebenfalls
diverse Ängste und stellt damit, zusätzlich zu den prädisponierenden Faktoren, ein
ungünstiges Lernmodell für ihre Tochter dar. L. hat schon im Kleinkindalter mit
extremer und lang anhaltender Trennungsangst reagiert, die erstmals mit dem Auszug
des Vaters und dem zeitgleichen Beginn der Berufstätigkeit der Mutter auftrat und sich
in allen entwicklungsrelevanten Übergangsphasen erneut manifestierte (Eintritt KITA,
Einschulung, weiterführende Schule). Sowohl die Trennung der Eltern, als auch der
schwere Reitunfalls, stellen Belastungen, im Sinne kritischer Ereignisse, in der
Biografie von L. dar, die zur Verstärkung der Ängstlichkeit im Allgemeinen und zur
Verschlechterung der Stimmung beigetragen haben.
Die phobische Störung hat sich vor dem Hintergrund eines traumatischen Erlebnisses
(mehrmals im Schwimmunterricht aus Erschöpfung im tiefen Wasser untergegangen)
entwickelt. Ungünstig in Bezug auf die Symptomaufrechterhaltung wirkt sich vor allem
das Verhalten der Schwimmlehrerin aus, die L. vorwirft, sich nicht ausreichend
anzustrengen und den Schwimmunterricht durch ihr Verhalten zu verweigern. Die
Reaktionen der Lehrerin haben im letzten Schuljahr maßgeblich dazu beigetragen,
dass L.‘s Erwartungsangst vor dem Schwimmunterricht stetig zugenommen hat. Das
durch die Trockenübungen am Beckenrand von L. subjektiv empfundene Bloßstellen
vor der gesamten Klasse hat zudem zu einer Zunahme der sozialen Unsicherheit
beigetragen und die Selbstwertproblematik begünstigt.
An
prädisponierenden
Eigenschaften
können
L.‘s
ängstlich-vermeidende,
selbstabwertende Haltung – einhergehend mit negativ gefärbten Kognitionen in Bezug
auf die eigene Person – genannt werden, die durch das Verhalten der Lehrerin
einerseits und das abwertende Verhalten einiger Mitschülerinnen andererseits,
aufrecht erhalten werden. Ein weiterer aufrechterhaltender Faktor, im Sinne positiver
Verstärkung, ist die überprotektive Haltung der Mutter und die übertriebene Fürsorge,
180
wenn L. ängstliches Verhalten zeigt. Die seit Längerem bestehende abwertende
Haltung des sozialen Umfeldes, in Verbindung mit dem Insuffizienzgefühl von L. hat
im weiteren Entwicklungsverlauf den traurigen Affekt von L. begünstigt.
Die Symptomatik der Jugendlichen lässt sich exemplarisch am folgenden SORCSchema erläutern:
Anfeindungen seitens einer Schulkameradin, z.B. „Du
Situation:
bist so hässlich. Guck Dich mal an!“
Organismusvariablen:
Selbstzweifel, mangelnde soziale Kompetenzen
R kognitiv:
„Die sind alle gegen mich!“, „Warum immer ich?“
R emotional:
wütend, traurig, verzweifelt
R physiologisch:
Kloß im Hals, unterdrückt das Bedürfnis zu Weinen
R motorisch:
L. tut so, als ob ihr die Beleidigungen egal wären und geht
einfach weg
Konsequenzen
C+
L. erlebt sich kurzfristig stark und überlegen, weil sie versucht, sich nicht anmerken zu lassen, wie verletzt sie ist
C-
negatives Selbstbild und Selbstzweifel werden durch
Beleidigungen der Mitschülerin verstärkt. Langfristig
Gefahr der sozialen Isolation und Chronifizierung der
Selbstwert- und Affektstörung.
C-
L. muss sich nicht mit dem Mädchen auseinandersetzen.
C+
Positive Beziehungserfahrungen mit Mitschülern bleiben
aus. Tragfähige Freundschaften können langfristig,
aufgrund der Vermeidung sozialer Kontakte, nicht etabliert
werden.
MAS-Diagnosen nach ICD-10
Achse I:
Spezifische Phobie (F40.2) (G)
Sonstige emotionale Störung des Kindesalters (F93.8) (G)
Emotionale Störung mit Trennungsangst des Kindesalters (F93.0) (Z)
Posttraumatische Belastungsstörung (F43.1) (A)
Achse II:
keine
181
Achse III:
durchschnittliche Intelligenz
Achse IV:
keine
Achse V:
abweichende Elternsituation
Psychische Störung eines Elternteils
Achse VI:
Leichte soziale Beeinträchtigung in ein bis zwei Bereichen (2)
Therapieziele und Prognose
1. Abbau der Angst vor tiefem Wasser
2. Aufbau eines positiven Selbstbildes
3. Förderung der angemessenen Selbstbehauptung gegenüber Gleichaltrigen
4. Abbau der sozialen Unsicherheit in Situationen mit Gleichaltrigen
5. Förderung von positiv besetzten sozialen Beziehungen zu Peers und Entwicklung
tragfähiger Freundschaften zu anderen Mädchen
6. Abbau der überprotektiven Haltung der Mutter
Die Patientin zeigt ein deutliches Problembewusstsein in Verbindung mit einem hohen
Leidensdruck. Die Prognose kann aufgrund der hohen Motivation zur Mitarbeit von L.
und der Kooperationsbereitschaft der Mutter als gut eingeschätzt werden,
insbesondere weil die Symptomatik noch nicht lange besteht und sich nur auf einzelne,
konkrete Bereiche fokussiert. Dementsprechend ist die Symptomatik noch nicht
generalisiert und auch nicht chronifiziert. Da der Behandlungsplan evidenzbasierte
Methoden beinhaltet, wird von einem günstigen Therapieverlauf ausgegangen.
Behandlungsplan:
Patienten-zentrierte Interventionen:
1. Vermittlung eines individuellen Störungsmodells sowie der aufrechterhaltenden
Faktoren für die Phobie, die Stimmungs- und die Selbstwertproblematik – vor dem
Hintergrund der individuellen Vorgeschichte.
2. In sensu und im weiteren Verlauf in vivo Konfrontation mit flachem vs. zunehmend
tieferem Wasser (Angsthierarchie erstellen und sukzessive mit angstauslösenden
Situationen konfrontieren). Rücksprache mit der Schwimmlehrerin, die Annäherung
an das Wasser schrittweise durch die Therapeutin durchführen zu lassen und L.
nicht unter Druck zu setzen, wenn sie noch nicht bereit ist im tiefen Wasser zu
schwimmen.
182
3. Identifizierung dysfunktionaler Kognitionen (z.B. Ich bin dick und hässlich) und
Erarbeiten
realistischer,
selbstwertstärkender
Kognitionen.
Korrektur
von
Denkfallen und überhöhten Ansprüchen (z.B. Perfektionismus). Relativierung
überzogener Schönheitsideale.
4. Training
der
Durchsetzungsfähigkeit
und
Selbstbehauptung
gegenüber
Gleichaltrigen. Im Rollenspiel einüben, Mitschülern auch mal die Meinung zu sagen
und sich nicht voreilig verunsichern zu lassen.
5. Unterstützung
bei
der
Anbahnung
von
Freundschaften,
Förderung
von
Verabredungen und altersangemessenen Freizeitaktivitäten mit Gleichaltrigen.
Bezugspersonen-zentrierte Interventionen:
1. Abbau des überfürsorglichen und überprotektiven Verhaltens der Mutter.
2. Anleitung der Mutter bzgl. der Förderung der Autonomie ihrer Tochter.
3. Sensible Thematisierung der überaus engen Mutter-Tochter-Beziehung.
Behandlungsverlauf
Die Termine fanden überwiegend wöchentlich statt, in der ersten Therapiephase
gemeinsam mit der Mutter, später zunehmend mit L. alleine. Die Familie nahm die
Termine stets zuverlässig wahr. Abgesehen von einigen krankheitsbedingten
Ausfällen fand die Therapie kontinuierlich statt.
L. konnte das individuelle Störungsmodell, unter Berücksichtigung auslösender und
aufrechterhaltender Bedingungen der Wasserphobie und der emotionalen Störung,
sehr gut herleiten. Die Mutter hat zur Erarbeitung des Störungsmodells viel
beigetragen, konnte zu Therapiebeginn jedoch nur schwer nachvollziehen, dass die
Angst
vor
tiefem
Wasser
maßgeblich
aufrechterhalten
wird
durch
Vermeidungsverhalten. Dementsprechend stand sie der Therapie einerseits sehr
hoffnungsvoll gegenüber, war aber andererseits auch skeptisch in Hinblick auf die
Methode der graduierten Exposition. Mit zunehmendem Vertrauen legten sich nach
und nach die Befürchtungen der Mutter, dass ihre Tochter beim Schwimmunterricht
ertrinken könnte. Bereits in der probatorischen Phase stellte sich heraus, dass die
Ängste der Mutter vor Wasser und vor dem Ertrinken deutlich größer sind, als die der
Tochter und dass sie dadurch als ungünstiges Lernmodell für ihre Tochter fungiert.
Dies wurde in der Therapie immer wieder thematisiert und die Mutter versuchte im
weiteren Verlauf, ihre eigenen Ängste nicht auf ihre Tochter zu projizieren.
183
Mit L. wurde in der ersten Therapiephase eine individuelle Angsthierarchie erstellt und
sie wurde im Folgenden – im Sinne einer graduierten Exposition - wöchentlich im
Schwimmunterricht mit immer schwieriger werdenden Situationen konfrontiert (z.B.
Schwimmen am Beckenrand im flachen Wasser, Schwimmen am Beckenrand in
tieferem Wasser, Springen vom Beckenrand, Tauchen…). L. gelang es schon nach
kurzer
Zeit
angstfrei
am
Schwimmunterricht
teilzunehmen
und
die
Konfrontationsübungen selbständig weiterzuentwickeln.
Da L. immer wieder Opfer von Mobbing in der Schulklasse geworden ist, wurde im
weiteren
Therapieverlauf
an
der
sozialen
Durchsetzungsfähigkeit
und
Selbstbehauptung gearbeitet. L. lernte selbstsicher im Unterricht und in den Pausen
aufzutreten und sich gegen die Provokationen der Mitschülerinnen zur Wehr zu setzen.
Nach mehreren klärenden Gesprächen zwischen L. und ihren Mitschülerinnen, konnte
mit Unterstützung durch die Lehrerin eine Versöhnung herbeigeführt werden. Nach
dieser Klärung fanden keine weiteren Provokationen oder Beleidigungen seitens der
Mitschüler statt. Im Zuge der Versöhnung konnte L. sich auch immer besser auf Treffen
mit Peers einlassen und neue Freundschaften zu Mädchen entwickeln. So lud sie
beispielsweise einige Mädchen zu Übernachtungs-Partys ein oder traf sich in der Stadt
mit einer Schulfreundin zum Shoppen. Im Therapieverlauf gelang es L. zunehmend
besser, ihre Stellung im Klassenverband zu festigen und das ihr vorgeworfene
„arrogante Image“ damit abzulegen.
In der letzten Therapiephase wurde mit L. und der Mutter an der Sensibilisierung für
dysfunktionale Kognitionen und Denkfallen gearbeitet. Viele der negativen,
selbstabwertenden Kognitionen konnte L. nach der Streitschlichtung mit den
Mitschülerinnen relativieren, wie z.B. „Ich bin dick“ oder „Ich bin hässlich.“ Daher wurde
der Fokus anstelle der kognitiven Umstrukturierung negativer Gedanken auf die
Vermittlung von Denkfehlern gelegt und ihr wurde vermittelt, dass das ständige
Abwerten der eigenen Person Selbstwert- und Stimmungsprobleme begünstigt. Die
Mutter wurde dafür sensibilisiert, dass ihre ängstliche Grundhaltung und ihr oft
überprotektives Verhalten die Selbstunsicherheit von L. genauso begünstigt, wie die
dysfunktionalen Gedanken der Tochter. Mit der Mutter wurde erarbeitet, L. in ihrer
Verselbständigung zu unterstützen und ihrem Wunsch nach mehr Autonomie und
Selbstbestimmung entgegenzukommen. Im Rahmen der Elternarbeit wurden mit der
Mutter auch die biografischen Hintergründe für ihre eigenen Ängste herausgearbeitet.
184
Abschließend
wurden,
auf
Wunsch
der
Mutter,
gemeinsam
familiäre
Kommunikationsregeln postuliert. Hintergrund war die Häufung familiärer Konflikte, bei
denen die Mutter sich zeitweise sehr abgewertet durch die Tochter gefühlt hat. Die
Mutter klagte darüber, dass L. sie neuerdings ständig kritisiere. Die neu eingeführten
Kommunikationsregeln führten zu einer leichten Verbesserung des Familienklimas. L.
bereitete es aber auch weiterhin gelegentlich Spaß, ihre Mutter zu ärgern und zu
kritisieren, weil sich aus Sicht von L. „Mama immer so schön aufregt.“ Mit der Mutter
wurde daraufhin erarbeitet, dass dieses pubertäre Verhalten weder als feindselig noch
bösartig zu werten ist. Der Mutter gelang es zum Ende der Therapie hin deutlich
besser, das Verhalten ihrer Tochter im Sinne von pubertären Albernheiten zu
interpretieren und es dadurch besser zu tolerieren.
Die Therapie wurde vor dem Hintergrund der positiven Gesamtentwicklung, in
gegenseitigem Einvernehmen, planmäßig beendet. Die Abschlussdiagnostik ergab,
dass sich sowohl im SBB-DES als auch im FBB-DES die Werte auf ein
durchschnittliches Niveau reduziert haben. Auch die Werte in der RSES und im DIKJ
waren zum Therapieabschluss im Normbereich. Die erzielten Erfolge blieben auch
über den gesamten Follow-up-Zeitraum stabil.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die phobische Symptomatik bereits nach
wenigen
Wochen
remittierte,
da
L.,
entsprechend
der
definierten
Therapiehausaufgaben, konsequent die Expositionsübungen durchführte. Die soziale
Unsicherheit in Bezug auf Gleichaltrige reduzierte sich auf ein Minimum, ebenso die
mit der Symptomatik einhergehende traurige Stimmung. Der Selbstwert der
Jugendlichen konnte deutlich verbessert werden und die Selbstwahrnehmung ist im
Therapieverlauf realistischer und positiver geworden. Insgesamt ist aufgrund des
Trainings
der
angemessenen
Selbstbehauptung
gegenüber
Gleichaltrigen,
einhergehend mit der Reduzierung der sozialen Unsicherheit, ein großer Zuwachs an
sozialen Kompetenzen zu verzeichnen. Die Prognose für die Gesamtentwicklung der
Jugendlichen ist uneingeschränkt positiv.
185
6.7 Behandlungsfall 7
Angaben zur spontan berichteten und erfragten Symptomatik
Die 15-jährige Patientin erscheint in Begleitung ihrer Mutter zum ersten Termin.
Vorstellungsanlass seien Stimmungsschwankungen und Selbstwertprobleme. Sie
traue sich wenig zu und spreche oftmals schlecht von sich („Ich bin dumm.“ etc.). L.
habe nur wenige Freunde und sei Gleichaltrigen gegenüber eher misstrauisch.
Darüber hinaus habe L. verschiedene Ängste, beispielsweise Angst vor Dunkelheit. L.
leide seit einiger Zeit außerdem an Stimmungsschwankungen, weine häufig und ziehe
sich zuhause immer mehr zurück. In der Schule gebe es mit einer der Lehrerinnen
häufiger Konflikte. L. fühle sich in solchen Situationen schnell ungerecht behandelt und
angegriffen. Dann werde sie zum Teil auch laut und ausfallend. Die Mutter beklagt,
dass L. oft nur schwer zum Lernen zu motivieren sei und viele Dinge aufschiebe. L.
sorge sich aktuell um ihren Schulabschluss und darum, ob sie einen Ausbildungsplatz
findet. An manchen Abenden grüble sie dann sehr viel über ihre Zukunft und habe
dadurch Probleme einzuschlafen. In ihrer Freizeit gehe L. mindestens zweimal in der
Woche zum Cheerleading, was ihr großen Spaß bereite und wo sie sich sehr ehrgeizig
zeige.
Lebensgeschichtliche Entwicklung und Krankheitsanamnese
L. lebe aktuell gemeinsam mit ihrer Mutter und ihrem 23-jährigen Halbbruder in einem
Haushalt. Die Schwangerschaft und Geburt seien ohne Komplikation verlaufen. L.
habe alle Meilensteine der frühkindlichen Entwicklung zeitgerecht erreicht. Im Alter von
ca. drei Jahren sei der drogenabhängige Vater von L. an einem Herzinfarkt verstorben.
Zum Zeitpunkt des Todes seien die Eltern bereits getrennt gewesen. Bereits kurz nach
der Geburt der Tochter habe es massive eheliche Konflikte und gewalttätiges
Verhalten seitens des Vaters gegeben. Als die Mutter die Abhängigkeitsproblematik
des Vaters entdeckt habe und dieser ihr gegenüber gewalttätig geworden sei, habe
sie sich getrennt. Dies habe in der Folge zu massiven Drohungen des Vaters geführt.
Er sei in die gemeinsame Wohnung eingebrochen, habe damit gedroht, der Mutter und
Tochter etwas anzutun und die Mutter dabei auch mehrmals körperlich angegriffen.
Nach mehreren Einsätzen der Polizei habe sich die Situation entspannt, kurz darauf
sei der Vater verstorben. Die Mutter habe existentielle Ängste in dieser Zeit erlitten und
sich kaum noch vor die Tür getraut. Erst durch den Tod des Vaters sei eine
Erleichterung eingetreten. Die Mutter habe zu dieser Zeit unter einer Depression und
186
unter massiven Ängsten gelitten und sei diesbezüglich in psychotherapeutischer
Behandlung gewesen. Die elf Jahre ältere Halbschwester habe sich damals viel um L.
gekümmert und die Mutter dadurch sehr entlastet.
Mit fünf Jahren sei L. eingeschult worden. In der Grundschule habe es Probleme mit
einer psychisch belastendeten Lehrerin gegeben, die L. nach einem Konflikt
beispielsweise über mehrere Stunden lang in der Turnhalle eingesperrt habe. Die
Lehrerin sei nach mehreren ähnlichen Vorfällen vom Dienst suspendiert worden.
Zudem habe es mit einigen Jungen aus der Klasse Probleme gegeben. So sei L. von
diesem mehrmals körperlich angegriffen worden. Die 3. Klasse habe L. aufgrund
schlechter schulischer Leistungen wiederholt. In der 5. Klasse sei sie auf die
Gesamtschule gewechselt. Sie habe auf der neuen Schule eine feste Freundin
gefunden und sich ansonsten nur an älteren Jugendlichen außerhalb der Schule
orientiert. Die ersten Jahre auf der weiterführenden Schule seien unauffällig verlaufen.
Abgesehen von Schwierigkeiten in Deutsch und Englisch habe L. in diesem Zeitraum
durchschnittliche Leistungen gezeigt.
Im Frühjahr 2012 sei es zu Hause gegenüber L. zu einem sexuellen Übergriff eines
20-jährigen Mannes gekommen, während die Mutter auf einer Karnevalsparty war. L.
habe den flüchtig Bekannten in die Wohnung eingeladen und habe, gegen ihren
Wunsch, mit ihm geschlafen. Die Mutter habe den Mann anzeigen wollen, L. habe dies
jedoch ausdrücklich nicht gewollt. Nach diesem Vorfall habe die Jugendliche sich
zurückgezogen, habe nur noch selten das Haus verlassen und über Wochen verstimmt
gewirkt. Es sei in dieser Phase zu leichten Selbstverletzungen an den Unterarmen
gekommen und L. habe mehrmals suizidale Gedanken gehabt. In dieser Zeit sei sie
auch sehr unregelmäßig zur Schule gegangen und sei daraufhin, auf Initiative der
Mutter hin, in der kinder- und jugendpsychiatrischen Ambulanz vorgestellt geworden.
Dort sei eine ausführliche Diagnostik, u.a. zum Ausschluss einer Posttraumatischen
Belastungsstörung, erfolgt. Im Zuge der psychiatrischen Diagnostik wurde eine
psychotherapeutische Behandlung eingeleitet.
Psychischer Befund zum Zeitpunkt der Antragstellung
L. zeigt sich zu Beginn der Therapie skeptisch und zurückhaltend, sie redet insgesamt
wenig. Verminderter Antrieb, Stimmung häufig gedrückt und traurig, zeitweise
187
Suizidgedanken. In den ersten Wochen nach dem sexuellen Übergriff wiederkehrende
Intrusionen und Angstzustände, aktuell keine Kardinalsymptome einer PTBS mehr
eruierbar. Gelegentlich Einschlafschlafstörungen. Seitens der Mutter wird primär
oppositionell verweigerndes Verhalten beschrieben, in der Schule auch verbal
ausfälliges Verhalten. Gelegentlich Grübeltendenzen. Keine Zwänge, keine Tics, keine
Auffälligkeiten im Essverhalten. Kein Anhalt für eine ADHS oder eine Störung des
Sozialverhaltens. Aktuell klar distanziert von Eigen- und Fremdgefährdung, kein
selbstverletzendes Verhalten, kein Alkohol- oder Drogenabusus.
Diagnostische Befunde
Bei L liegt ein intellektuelles Leistungsniveau im unteren durchschnittlichen
Normbereich (Gesamt-IQ SW=85) vor. Im YSR ergaben sich Hinweise auf
überdurchschnittlich ausgeprägte ängstlich-depressive Symptome (T=70). Die
internalisierende Syndromskala weist auffällig erhöhte Werte vor (T=70), die
externalisierende Syndromskala zeigt grenzwertig auffällige Werte (T=66), die
Gesamtskala ebenfalls (T=69). In der CBCL ergibt sich ebenfalls ein auffälliges Bild:
ängstlich-depressive Symptomatik (T=78), soziale Probleme (T=72), aggressives
Verhalten (T>80), dissoziales Verhalten (T>80). Internalisierende Skala (T=70),
externalisierende Skala (T=79) und Gesamtskala (T=75) auffällig ausgeprägt. Im SBBund FBB-DES (Urteil der Mutter) des DISYPS-II ergeben sich ebenfalls Werte im
auffälligen Bereich (SN=9). Die Werte im DIKJ sind auch auffällig hoch ausgeprägt,
die Werte im PHOKI und SPAIK fallen dagegen unauffällig aus. In der RSES Hinweise
auf eine Selbstwertstörung (T-Wert 39).
Somatischer Befund – ärztlicher Konsiliarbericht
Aus kinder- und jugendpsychiatrischer Sicht ist eine psychotherapeutische
Behandlung indiziert. Eine ausführliche psychiatrische Untersuchung ist im Vorfeld
erfolgt.
Bedingungs- und Verhaltensanalyse
Verhaltensanalyse
Die Symptomatik von L. lässt sich sowohl durch prädisponierende Faktoren und
multiple biografische Belastungsfaktoren, als auch durch ungünstige Lernprozesse
erklären. Die Mutter hat aufgrund der von Gewalt und Konflikten geprägten Beziehung
188
zu L.‘s Vater eine Angstsymptomatik in Kombination mit einer Depression entwickelt.
Die Symptomatik der Mutter hat demzufolge bereits im Kleinkindalter die Entwicklung
von L. geprägt. Obwohl L. während der Phase der massiven familiären Konflikte der
Eltern noch ein Kleinkind gewesen ist, lässt sich vermuten, dass sie die handgreiflichen
Auseinandersetzungen und Polizeieinsätze bewusst miterlebt hat. Der sexuelle
Übergriff seitens eines flüchtigen Bekannten vor zwei Jahren hat sicherlich die
Urängste in Bezug auf Gewalterfahrungen bei L. getriggert und sie hat in der Folge mit
Angst, Rückzug, depressiver Stimmung und Schulabsentismus reagiert. Zur besseren
Steuerung negativer Affekte und innerer Anspannung hat sie sich zeitweise selbst
verletzt, was zur Erleichterung und zur kurzfristigen Spannungsreduktion beigetragen
hat.
Da
die
Affektregulationsstrategien
von
L.
jedoch
nur
kurzfristig
zur
Stimmungsstabilisierung beigetragen haben, hat sich in der Folge, vor allem durch
dysfunktionale Bewältigungs- und Denkmuster, die emotionale Störung etabliert.
Mikroanalyse
Folgende Situation beschreibt L.s Reaktionsweise exemplarisch:
Situation:
L. hat einen Konflikt mit einer Mitschülerin
Organismusvariablen:
Mobbingerfahrungen in der Vorgeschichte, Selbstunsicherheit, mangelnde soziale Kompetenzen
R kognitiv:
„Die hält mich sicher für dumm!“
R emotional:
gereizt, wütend, angespannt
R physiologisch:
Kloß im Hals, innere Unruhe, verschwitzte Hände
R motorisch:
L. wird der Mitschülerin gegenüber verbal ausfallend
Konsequenzen
C+
L. hat subjektiv die Kontrolle über die Situation, kann sich
vermeintlich gut durchsetzen.
C-
Aufgrund der häufigen Konflikte zunehmende
Verschlechterung der Gleichaltrigenbeziehungen. Gefahr
der sozialen Ausgrenzung.
C-
Anspannung reduziert sich. Angemessene Konfliktklärung
wird vermieden.
189
C+
Die Erfahrung, etwas erfolgreich zu klären, kann nicht
gemacht werden, da L. immer wieder schwierige und
unangenehme Situationen vermeidet.
MAS-Diagnosen nach ICD-10
Achse I:
Sonstige emotionale Störungen des Kindesalters (F93.8) (G)
Posttraumatische Belastungsstörung (F43.1) (A)
Achse II:
Keine
Achse III:
Durchschnittliche Intelligenz
Achse IV:
Laktoseintoleranz
Achse V:
Psychische Störung eines Elternteils
Abweichende Elternsituation
Sexueller Übergriff
Achse VI:
Mäßige soziale Beeinträchtigung (3)
Therapieziele und Prognose
1. Reduktion der depressiven Symptomatik
2. Aufbau eines positiven Selbstwertgefühls
3. Förderung von Impulskontrolle und Frustrationstoleranz
4. Verbesserung der sozialen Fertigkeiten (z.B. Gespräche initiieren, Freundschaften
schließen, Fragen stellen)
5. Reduktion der Mutter-Tochter-Konflikte
Bei L. liegt eine ausreichend hohe Therapiemotivation und Bereitschaft zur Mitarbeit
vor. Mutter und Tochter nehmen die Termine zuverlässig wahr. Die Patientin kann
realistische Ziele formulieren und zeigt sich veränderungsbereit. Die Prognose in
Bezug auf das Erreichen der oben genannten Ziele kann als relativ gut eingeschätzt
werden,
vor
allem
weil
keine
komplexen
komorbiden
Störungen
die
Entwicklungsmöglichkeiten einschränken. Vor dem Hintergrund des Einsatzes
evidenzbasierter Methoden, wird ein positiver Therapieverlauf erwartet.
Behandlungsplan:
Aus den formulierten Teilzielen konnte nachfolgender Behandlungsplan vertieft
werden:
190
Jugendlichenzentrierte Interventionen:
1. Ressourcenaktivierung: Herausarbeitung individueller Stärken und Ressourcen.
Erstellen eines Positiv-Tagebuchs zur Fokussierung auf positive Erlebnisse.
Einsatz der Lotterie der Glücksbotschaften.
2. Interventionen zur Stimmungsaufhellung: z.B. Förderung angenehmer Aktivitäten,
Erarbeitung eines Wochenplans. Einüben von Selbstbelohnungsstrategien.
3. Kognitive Umstrukturierung: Identifizieren von verschiedenen dysfunktionalen
Kognitionen.
Umstrukturierung
negativistischer
Gedanken
mit
Hilfe
des
sokratischen Dialogs. Entwickeln von positiven Denkweisen.
4. Interventionen zur Steigerung der Impulskontrolle und zur Verbesserung der
Frustrationstoleranz: Protokollierung von Situationen, die „negative“ Emotionen,
wie Wut und Ärger, auslösen. Tägliche Skalierung des Wut-Ausmaßes und
möglicher
situativer
und
kognitiver
auslösender
Faktoren.
Einüben
von
besonnenen, weniger impulsiven Verhaltensreaktionen.
5. Training sozialer Fertigkeiten: Angemessener Umgang mit Enttäuschungen und
Konflikten, altersentsprechende Artikulation der eigenen Befindlichkeiten und
Bedürfnisse. Einüben der Kontaktaufnahme zu Peers und Förderung weiterer
Gleichaltrigenkontakte außerhalb der Schule (beispielsweise im CheerleadingVerein).
Elternzentrierte Interventionen:
1. Psychoedukation der Mutter über die Entstehung von emotionalen Störungen und
Selbstwertproblemen unter Berücksichtigung individueller aufrechterhaltender
Faktoren.
2. Psychoedukation
in
Bezug
auf
die
Bedürfnisse
Jugendlicher
in
der
Entwicklungsphase der Adoleszenz: Erläuterung typischer Entwicklungsaufgaben
im Jugendalter. Herstellen einer Balance zwischen Autonomiebestrebungen der
Tochter und notwendiger Steuerung durch die Mutter. Sukzessive Abgabe von
Verantwortung an die Tochter.
3. Stärkung der Erziehungskompetenzen: Anleitung der Mutter, angemessene
Anforderungen gegenüber ihrer Tochter zu stellen und diese auch konsequent
durchzusetzen. Definition der Aufgaben und Verantwortungsbereiche der Mutter
sowie der dazugehörigen Anforderungen an L.
191
4. Intrafamiliäres Konfliktmanagement: Vereinbarung von Familienregeln und
Training respektvoller Kommunikation innerhalb der Familie.
9. Behandlungsverlauf
L. zeigte sich zu Beginn der Therapie sehr skeptisch und bagatellisierte ihre Probleme
in auffälliger Weise. Besonders das schriftliche Bearbeiten der Arbeitsblätter fiel ihr
schwer, daher verweigerte sie schriftliche Aufgaben im Therapieverlauf rigoros. Durch
die
ausführliche
Exploration
von
Hobbies,
relevanten
Freundschaften,
der
Klassenzusammensetzung etc. konnte sich L. langsam auf das Therapieangebot
einlassen. Mit der Zeit wurde somit eine tragfähige therapeutische Beziehung
aufgebaut.
Während
der
probatorischen
Phase
wurde
ein
multifaktorielles
Störungskonzept erstellt, bei dem beispielsweise negative Erfahrungen mit
Gleichaltrigen, der frühe Verlust des Vaters, biographische Belastungen der Mutter
und der sexuelle Übergriff, als besonders relevante biografische Belastungsfaktoren
identifiziert wurden.
In der ersten Behandlungsphase wurde insbesondere an der Ressourcenaktivierung
mit L. gearbeitet. Ihre persönlichen Stärken und Schwächen wurden in einer
Stärkenwaage dargestellt. Beim Basteln einer Collage zu ihren Idealvorstellungen fiel
L. auf, wie zufrieden sie mit ihrem Körper aktuell ist. Ansonsten wurde als
selbstwertstärkende Übung der sogenannte "Powerbaum" durchgeführt. Anhand der
Lebenslinie positiver und negativer Lebensereignisse wurde erarbeitet, welche
persönlichen Eigenschaften und Fähigkeiten L. geholfen haben, die vielen negativen
Ereignisse im Lebensverlauf zu meistern. In diesem Kontext zeigte sich L. zum ersten
Mal sehr emotional, als positive Erinnerungen an ihren Vater thematisiert wurden. L.
war im Rahmen der Biografiearbeit vor allem beeindruckt darüber, dass sie bereits
viele Schwierigkeiten in ihrem Leben angemessen gelöst hat.
Im folgenden Therapieabschnitt wurde der Fokus der therapeutischen Arbeit auf die
kognitive Umstrukturierung von negativen Gedanken gelegt. L. zeigte besonders
negative Gedanken bezüglich ihrer Wirkungsweise auf andere, nannte sich selbst oft
„dumm“ und „naiv.“ Dies schränkte sie vor allem in der mündlichen Mitarbeit ein und
führte gelegentlich zu Verunsicherung und leichter sozialer Ängstlichkeit. Zunächst
wurden der Zusammenhang von negativen Gedanken und schlechter Stimmung,
192
sowie die kognitive Triade von Beck, erläutert. In mehreren aufeinanderfolgenden
Therapiestunden
wurden
anhand
persönlicher
Beispiele
die
Auswirkungen
unterschiedlicher Gedanken in Bezug auf die gleiche Situation besprochen und L.
konnte mit der Zeit gut nachvollziehen, dass alternative, funktionalere Gedanken die
Stimmung positiv ändern können. Passende positive Gedanken wurden für
verschiedene relevante Situationen, wie die mündliche Mitarbeit in der Schule oder
Konflikte mit der besten Freundin etc., erarbeitet. Zur Steigerung des Antriebs wurde
ein Wochenplan eingeführt, in dem angenehme Tätigkeiten dokumentiert werden
sollten. L. zeigte sich in der Umsetzung der angenehmen Aktivitäten nur wenig
compliant. Angebote zur Bearbeitung der diskreten sozialen Ängste (telefonieren,
mündliche Mitarbeit etc.) verweigerte sie ebenfalls weitgehend und machte an dieser
Stelle deutlich, dass sie in diesem Bereich keine Probleme sehe.
Mit der Mutter wurden im Rahmen der Elternarbeit typische Entwicklungsaufgaben der
Pubertät thematisiert. Des Weiteren wurde an der Optimierung ihrer erzieherischen
Kompetenzen und der Etablierung eines transparenten Regelwerks im häuslichen
Umfeld gearbeitet. Dies führte zu einer deutlichen Reduktion familiärer Spannungen.
Die Mutter zeigte im weiteren Verlauf einige positive Ansätze in Bezug auf die
Veränderung ihres Erziehungsverhaltens und war stets für Anregungen offen. Da L.
während der Therapie kaum noch impulsive Durchbrüche zeigte und emotional stabiler
wirkte,
wurden
die
Interventionen
aus
dem
Bereich
„Impulskontrolle
und
Emotionsregulation“ nicht weiter verfolgt.
Zu Therapieabschluss zeigen sich lediglich subklinische Symptome von mangelnder
Lernmotivation und Schulunlust. Der Umgang mit Konflikten gelingt L. mittlerweile
besser, ebenso die Äußerung der eigenen Befindlichkeiten. Durch das Einüben der
Kontaktaufnahme zu Peers und die Förderung von Gleichaltrigenkontakten konnten
die sozialen Kompetenzen erweitert werden. Die Behandlung wurde nach
Studienabschluss, im gegenseitigen Einvernehmen mit der Mutter und L., beendet. Die
Prognose für die Gesamtentwicklung der Jugendlichen ist hinreichend gut, sofern eine
angemessene berufliche Perspektive entwickelt werden kann und ein stabiles soziales
Umfeld gewährleistet ist.
193
6.8 Behandlungsfall 8
Angaben zur spontan berichteten und erfragten Symptomatik
Die 17-jährige M. stellt sich auf Empfehlung des Kinderarztes vor. M. beobachte seit
einigen Monaten eine zunehmende Traurigkeit, in Verbindung mit Lustlosigkeit und
mangelndem Empfinden von Freude bei Tätigkeiten, die ihr früher Spaß bereitet
haben. Auch sei sie unzufrieden mit sich selbst, habe kein Selbstvertrauen mehr und
fühle sich „wertlos.“ Als Auslöser benennt die Jugendliche die Trennung von ihrem
langjährigen Freund im Dezember 2013, mit dem sie im Vorfeld der Trennung über ein
halbes Jahr lang viele Konflikte ausgetragen habe. Der Freund sei sehr eifersüchtig
gewesen
und
habe
sie
„immer
sehr
eingeengt
und
kontrolliert.“
Bei
Auseinandersetzungen habe er sie oft angeschrien und beleidigt, so dass ihr
Selbstbewusstsein, wie sie beschreibt, „sehr darunter gelitten hat.“ Seit Sommer 2013
habe sie infolge von Appetitlosigkeit 5 kg abgenommen, aktuell sei ihr Gewicht stabil.
M. berichtet weiterhin von gelegentlichem selbstverletzenden Verhalten in Form von
oberflächlichen Schnitt- und Kratzwunden an den Beinen. Im Zuge der Trennung vom
Freund habe sie vage Suizidgedanken entwickelt und sich viele Selbstvorwürfe
gemacht. Konkrete Suizidgedanken oder suizidale Handlungen seien hingegen noch
nie aufgetreten. Aktuell kann die Jugendliche sich klar von Suizidgedanken und
Suizidhandlungen distanzieren. M. benennt als primäre Therapieziele „wieder glücklich
sein zu können“ und wieder mehr Selbstvertrauen zu entwickeln.
Lebensgeschichtliche Entwicklung und Krankheitsanamnese
M. ist das jüngere Kind von insgesamt zwei Kindern der gemeinsam lebenden Eltern.
Die Familie ist griechischer Abstammung und lebt seit ca. 30 Jahren in Deutschland.
Die Schwester ist 20 Jahre alt, lebt im Haushalt der Eltern und leide an einer Bulimia
nervosa und einer Depression. 2009 sei eine teilstationäre Behandlung der Schwester
erfolgt, die jedoch zu keiner nachhaltigen Verbesserung der Symptomatik beigetragen
habe. M. beschreibt das Verhältnis zu ihrer Schwester als sehr angespannt. Die
Geschwister würden nicht miteinander reden und sich weitgehend aus dem Weg
gehen. Insbesondere störe M., dass ihre Schwester häufig lüge, sehr selbstbezogen
sei und außerdem klaue. Diesbezüglich komme es innerhalb der Familie häufig zu
Konflikten, die sich aus Sicht von M. „immer um die Schwester drehen.“ M. resümiert
resigniert und traurig, dass sich die Eltern in den letzten Jahren eigentlich nur um die
Schwester gekümmert haben.
194
Die Schwangerschaft sowie die Geburt von M. seien ohne Komplikationen verlaufen.
Die Meilensteine der frühkindlichen Entwicklung habe M. regelrecht erreicht. Der
Kindergartenbesuch und die Grundschulzeit seien unauffällig gewesen. Von der 5. bis
zur 9. Klasse habe M. ein Gymnasium besucht. Ab der 8. Klasse sei ein zunehmender
Leistungsabfall verzeichnet worden, weshalb M. im 10. Schuljahr auf eine Realschule
wechselte, wo sie 2013 einen Realschulabschluss mit Qualifikation erreicht habe. Seit
Sommer 2013 befinde sie sich in der Ausbildung zur Erzieherin und besuche ein
Berufskolleg mit dem Schwerpunkt „Sozialpädagogik.“ Dort sei sie gut integriert und
zeige gute Leistungen. Momentan absolviere sie ein Praktikum in einem Kindergarten.
Die Arbeit in der KITA gefalle ihr gut und werde nicht als Belastung empfunden.
An Ressourcen wird benannt, dass M. sehr hilfsbereit und beliebt in ihrem sozialen
Umfeld sei. Sie habe viele Freunde. Früher habe sie viele Interessen gehabt, wie
Reiten, Tanzen und Freunde treffen. Diese seien jedoch aufgrund ihrer Anhedonie und
Antriebslosigkeit immer weiter in den Hintergrund getreten.
Psychischer Befund zum Zeitpunkt der Antragstellung
M. ist eine altersentsprechend entwickelte, attraktive und sympathische Jugendliche,
die sich im therapeutischen Kontakt sehr zugänglich zeigt und die probatorischen
Sitzungen zuverlässig und motiviert wahrnimmt. Sie ist emotional schwingungsfähig,
zeigt sich jedoch bei der Exploration der Symptomatik als deutlich belastet und
beschreibt depressive Symptome wie Anhedonie und Antriebslosigkeit, in Verbindung
mit Appetitlosigkeit und einem Gewichtsverlust von 5 kg im letzten halben Jahr.
Wiederkehrende Selbstvorwürfe und Abwertungstendenzen der eigenen Person.
Gelegentlich selbstverletzendes Verhalten in Form von oberflächlichen Schnittwunden
an den Beinen. Vage Suizidgedanken letztmalig im Dezember 2013 nach der
Trennung vom Freund. Aktuell klar von Suizidalität und Fremdgefährdung distanziert.
Keine Suizidversuche in der Vorgeschichte. Keine komorbiden Ängste eruierbar. Kein
Anhalt
für
Störungen
der
Aufmerksamkeit,
der
Impulskontrolle
oder
des
Sozialverhaltens, keine Zwänge, keine Essstörung. Keine formalen oder inhaltlichen
Denkstörungen und kein Alkohol- oder Drogenabusus.
195
Diagnostische Befunde
In der CBCL zeigen sich keine Auffälligkeiten im klinisch relevanten Bereich. Im YSR
zeigen
sich
ausgeprägte
internalisierende
Symptome
in
Form
von
Niedergeschlagenheit, Müdigkeit und dem Gefühl von Wertlosigkeit (T-Wert 70). Im
DIKJ erreichte M. einen weit überdurchschnittlichen T-Wert von 70. Im SBB-DES des
DISYPS-II erreichte sie ebenfalls einen weit überdurchschnittlichen Stanine-Wert von
9. Im FBB-DES zeigt sich ein durchschnittlicher Wert. In der „Rosenberg Self-Esteem
Scale“ wurde ein weit unterdurchschnittlicher T-Wert von 29 ermittelt, der auf ein sehr
geringes Selbstbewusstsein hindeutet. Die Befunde bestätigen den klinischen
Eindruck einer Anpassungsstörung mit längerer depressiver Reaktion.
Somatischer Befund – ärztlicher Konsiliarbericht
Seitens des Kinderarztes wird eine Psychotherapie befürwortet. M. erhält keine
Medikation. Eine psychiatrische Begleitbehandlung ist aus Sicht des Konsiliararztes
nicht indiziert.
Bedingungs- und Verhaltensanalyse
Verhaltensanalyse
Die Anpassungsstörung mit depressiver Reaktion von M. entwickelte sich im Zuge der
Trennung vom langjährigen Freund. Der Trennung ist über Monate hinweg eine
„Streitbeziehung“ mit Vorwürfen, Beschimpfungen und Beleidigungen seitens des
Freundes vorausgegangen. Die ständigen Auseinandersetzungen und das sehr
eifersüchtige Verhalten des Freundes haben M. seit ungefähr einem halben Jahr
immer häufiger traurig und wütend gemacht und des Weiteren ein negatives Selbstbild
mit Selbstvorwürfen und Unzufriedenheit geprägt. Die letztendliche Trennung kann als
Auslöser der Anpassungsstörung angesehen werden, da M. berichtet, dass sich die
geschilderten Symptome erstmals nach der Trennung vom Freund entwickelt haben.
Als prädisponierende Faktoren können zum einen die psychische Erkrankung der
Schwester, die über viele Jahre hinweg die volle Aufmerksamkeit der Eltern gefordert
hat, und zum anderen die seit Längerem bestehenden massiven intrafamiliären
Konflikte betrachtet werden. Auch wenn die intrafamiliären Konflikte sich primär auf die
Schwester beziehen, ist M. sehr belastet durch die „schlechte Stimmung“, die in der
Familie herrscht. Sie ist auch sehr enttäuscht darüber, dass die Schwester seit Jahren
196
durch ihr auffälliges Sozialverhalten die komplette Aufmerksamkeit der Eltern auf sich
zieht.
Das
selbstverletzende
Verhalten
stellte
für
M.
bislang
eine
Form
der
Konfliktbewältigung dar und führte kurzfristig zu einer emotionalen Entlastung (durch
Spannungsabfuhr). Die Selbstverletzungen können somit als negativer Verstärker
betrachtet werden. Die Symptomatik wird maßgeblich dadurch aufrechterhalten, dass
M. durch ihre Anhedonie, Selbstzweifel und die bis dato nicht adäquat verarbeitete
Trennung vom Freud erstmals seit Jahren die Aufmerksamkeit der Eltern auf sich zieht
und damit das Fürsorgeverhalten und den Trost der Mutter aktiviert.
Exemplarisch lässt sich die Symptomatik an folgender Verhaltensanalyse (SORC)
verdeutlichen:
Situation:
M. liegt im Bett und denkt an ihren Ex-Freund
Organismusvariablen:
niedriger Selbstwert
R kognitiv:
"Ich kann ihn nicht vergessen", "Wie konnte das passieren"
R physiologisch:
starke Anspannung
R emotional:
Traurigkeit, Enttäuschung, Wut
R motorisch:
Rückzug, selbstverletzendes Verhalten, Weinen
Konsequenzen
C+
vermehrte Aufmerksamkeit und Trost durch die sich sorgende Mutter
C-
sozialer Rückzug, langfristig Gefahr der Chronifizierung der
Symptomatik und Zunahme der sozialen Isolierung, Etablierung eines
negativen Selbstkonzeptes
C+
Vernachlässigung von Freundinnen, Freizeitaktivitäten werden aufgrund
der traurigen Stimmung vermieden
C-
körperliche Anspannung reduziert sich durch das Ritzen, M. geht einer
adäquaten Selbstbehauptung, durch die Trennung vom Freund, aus dem
Weg
MAS-Diagnosen nach ICD-10
Achse I:
Anpassungsstörung mit längerer depressiver Reaktion (F43.21) (G)
Achse II:
keine umschriebene Entwicklungsstörung
Achse III:
durchschnittliche Intelligenz
197
Achse IV:
keine
Achse V:
psychische Störung der Schwester
Achse VI:
Leichte soziale Beeinträchtigung in mehreren Bereichen (2)
Therapieziele und Prognosen:
Mit dem Patienten und den Eltern wurden folgende Ziele vereinbart:
Jugendlichenzentrierte Ziele
1. Wiederherstellung einer positiven, ausgeglichenen Stimmung
2. Abbau der Antriebs- und Lustlosigkeit
3. Bearbeitung der Trennung vom Freund
4. Aufbau eines realistischen, positiven Selbstbildes
Elternzentrierte Ziele:
1. Förderung einer angemessenen intrafamiliären Kommunikation
2. Sensibilisierung der Eltern für die Bedürfnisse ihrer Tochter
Die Prognose kann aufgrund des angemessenen Problembewusstseins von M., der
ausgesprochen hohen Motivation zur Mitarbeit und dem Vorliegen hinreichender
Entwicklungsmöglichkeiten, als sehr gut eingeschätzt werden. Durch den Einsatz
evidenzbasierter Verfahren wird ein günstiger Behandlungsverlauf erwartet.
Behandlungsplan
Jugendlichenzentrierte Interventionen:
1. Gemeinsame
Entwicklung
eines
individuellen
Störungsmodells
der
Anpassungsstörung mit depressiver Reaktion, unter besonderer Berücksichtigung
der aufrechterhaltenden familiären Bedingungen.
2. Reaktivierung von Interessen und sozialen Aktivitäten: Nutzen der „Liste
angenehmer Aktivitäten“, um möglichst viele angenehme Freizeitaktivitäten in den
Alltag
zu
implementieren.
Führen
eines
„Stimmungs-Tagebuches“
zur
Tagesstrukturierung und zum Dokumentieren des positiven Effektes angenehmer
Aktivitäten auf die Stimmung.
3. Förderung
der
Genussfähigkeit
durch
Genussübungen.
Einsatz
von
Achtsamkeitsübungen zur Verbesserung des Wohlbefindens und der Stimmung.
198
4. Sensible Thematisierung der negativen Beziehungserfahrungen mit dem ExFreund (Lebenslinie mit positiven und negativen Erfahrungen, Einsatz von
Biografiekarten und Lebenskarten). Förderung der emotionalen Distanzierung vom
Ex-Freund.
5. Korrektur negativer, selbstabwertender Kognitionen und Relativierung der
negativen Wahrnehmung der eigenen Person. Förderung einer realistischen,
differenzierten
Selbstwahrnehmung.
Sensibilisierung
für
zugrundeliegende
Denkfehler. Stärkung der Selbstwirksamkeitserwartungen.
Familienzentrierte Interventionen:
1. Sensibilisierung der Eltern für die emotionale Lage von M.
2. Stärkung der Erziehungskompetenzen: Eltern sollen lernen, wieder mehr die
Bedürfnisse von M. zu beachten und emotional-stützend auf die Probleme von M. zu
reagieren.
Behandlungsverlauf
Die Behandlung der Jugendlichen fand in der Regel wöchentlich statt. Die Mutter
wurde punktuell in die Therapie miteinbezogen. Da M. sich ausdrücklich zunächst die
Bearbeitung der Trennung von ihrem Freund wünschte, wurde in der ersten
Therapiephase an der Verarbeitung der Trennung gearbeitet. M. schaffte es, durch
den Kontaktabbruch zum Ex-Freund und seinem Freundeskreis, sich zunehmend
besser vom Ex-Freund emotional zu distanzieren. Es wurde detailliert analysiert,
welche Faktoren zur Trennung beigetragen haben und welche negativen
Eigenschaften des Ex-Freundes zu den zahlreichen Konflikten in der Vergangenheit
geführt haben. M. konnte gut erarbeiten, dass der Ex-Freund zu dominant und zu
eifersüchtig gewesen ist und dass die permanenten Unterstellungen des Fremdgehens
und die häufige Kritik am Verhalten von M. maßgeblich zur Schwächung des
Selbstwertes resp. zur depressiven Symptomatik beigetragen haben. Im Rahmen der
Biografiearbeit
wurden
anhand
einer
Lebenslinie
relevante
positive
und
einschneidende negative Erlebnisse dokumentiert. M. konnte differenziert schildern,
dass ihre Stimmungsschwankungen mit Beginn der Beziehung zum Ex-Freund
begonnen haben und immer dann besonders deutlich auftraten, wenn sie Konflikte mit
dem Freund hatte. Im folgenden Therapieabschnitt wurde an der Aktivierung von
Ressourcen und persönlichen Stärken gearbeitet. Es wurde eine individuelle Stärken199
Schwächen-Waage erstellt und die Wahrnehmung positiver Aspekte der eigenen
Person gefördert. Da M. in dieser Therapiephase deutlich zur Abwertung der eigenen
Person und Selbstkritik neigte, wurde im weiteren Verlauf an den dysfunktionalen
selbstbezogenen Einstellungen und überhöhten perfektionistischen Ansprüchen an
die eigenen Fähigkeiten und Eigenschaften gearbeitet.
Der Beginn einer neuen Beziehung, wenige Monate nach der Trennung vom ExFreund, unterstützte M. in vielfältiger Weise bei der Erreichung ihrer Therapieziele.
Zum einen erlebte sie eine Genugtuung, weil ihr Ex-Freund sich sehr über die neue
Beziehung ärgerte und sogar versuchte, M. zurückzugewinnen. Zum anderen
stabilisierte sich die Stimmung außerordentlich im Zuge der neuen Partnerschaft. M.
fühlte sich erstmals wieder liebenswert und konnte viele positive Eigenschaften an sich
wahrnehmen, die sie zu einem liebenswerten Menschen machen.
In der letzten Therapiephase wurde an der Aktivitätssteigerung und der Förderung
eines angenehmen Familienklimas gearbeitet. M. meldete sich in einem Fitnessstudio
an und ging wieder regelmäßig zum Sport. Im Zuge der Stimmungsverbesserung
schaffte sie es auch wieder, sich an den Wochenenden mit ihren Freundinnen zu
treffen und beispielsweise auf Partys zu gehen oder mit ihnen Shoppen zu gehen. Im
familiären Kontext konnte dahingehend eine Entspannung herbeigeführt werden, dass
die Eltern sich mehr um die Belange von M. kümmerten und häufiger gemeinsame
Familienaktivitäten durchführten, wie beispielsweise mit der gesamten Familie Essen
gehen. Die Beziehung zwischen den Geschwistern konnte hingegen nicht nachhaltig
verbessert werden, was mitunter an der chronifizierten Geschwisterrivalität liegt.
Die
Therapie
wurde
in
Anbetracht
der
vollständigen
Remission
der
Anpassungsstörung mit depressiver Reaktion, im gegenseitigen Einvernehmen,
planmäßig beendet. Die Prognose für die weitere Entwicklung der nunmehr
Volljährigen ist sehr gut. Ein Rezidiv ist nicht zu erwarten.
200
6.9 Behandlungsfall 9
Angaben zur spontan berichteten und erfragten Symptomatik
Die 18-jährige Patientin kommt in Begleitung ihrer Mutter zum Erstgespräch.
Vorstellungsanlass seien, aus Sicht der Jugendlichen, ausgeprägte Stimmungs- und
Selbstwertprobleme, mit situationsübergreifender Antriebs- und Lustlosigkeit. Die
Symptomatik habe vor ca. 1 ½ Jahren, zunächst mit Schulunlust, gefolgt von
schulischen Fehlzeiten, begonnen. Im weiteren Verlauf haben die schulischen
Fehlzeiten immer weiter zugenommen (Fehlzeiten im 1. Schulhalbjahr 2013/2014 165
Stunden),
die
zu
einem
deutlichen
Leistungsabfall
und
einem
massiven
Stimmungseinbruch mit Selbstzweifeln vor ca. einem Jahr geführt haben. J. leide des
Weiteren sehr darunter, dass sie so dünn sei (47 kg bei 1,65 m) und zweifele, neben
ihrer äußeren Erscheinung, auch an ihren Fähigkeiten. Sie fühle sich, wie sie sagt „in
jeder Hinsicht nicht gut genug, ob vom Aussehen oder vom Charakter her.“ Anfang
2013 habe J. zudem begonnen sich oberflächlich an den Armen zu verletzen, aktuell
ritze sie ungefähr einmal wöchentlich. Suizidgedanken habe sie nicht. J. leide auch
unter massiven Einschlafproblemen. Sie liege quasi die gesamte Nacht wach und
schlafe erst in den frühen Morgenstunden ein, weshalb sie tagsüber sehr müde,
energie- und lustlos sei. Erschwerend kommt hinzu, dass J. keinen Appetit habe, was
der Mutter sehr Sorge bereite. Die Mutter beschreibt außerdem, dass J. ihr gegenüber
„frech und respektlos“ sei. In der Schule sei sie dagegen sehr angepasst und höflich.
An Ressourcen der Jugendlichen werden Kreativität und eine gute Auffassungsgabe
benannt. Die Jugendliche erhoffe sich von der Therapie eine Verbesserung der
Stimmung, die Eltern eine Verringerung des respektlosen Umgangs innerhalb der
Familie und die Klärung der weiteren beruflichen Perspektive.
Lebensgeschichtliche Entwicklung und Krankheitsanamnese
Die leiblichen Eltern von J. sind seit 2007 geschieden. Der Vater sei griechischer
Abstammung und von Beruf Maschinenbau-Ingenieur, die Mutter sei Hausfrau
(gelernte Arzthelferin). J. lebe, aufgrund von wiederkehrenden Konflikten mit ihrer
Mutter, mittlerweile im väterlichen Haushalt. Aus der Ehe der Eltern von J. gehen zwei
weitere Schwestern, 19 Jahre und 22 Jahre alt, hervor. Die 19-jährige Schwester lebe
aktuell in Griechenland, die 22-jährige Schwester studiere und lebe in einer eigenen
Wohnung. Beide Schwestern leiden ebenfalls unter Stimmungsproblemen und seien
deshalb auch in psychotherapeutischer Behandlung gewesen.
201
Es wird eine vorzeitige Geburt 14 Tage vor dem errechneten Termin geschildert. Die
Neugeborenenperiode sei unauffällig gewesen, die Meilensteine der frühkindlichen
Entwicklung seien zeitgerecht erreicht worden. Vom 3. bis 6. Lebensjahr besuchte J.
einen Kindergarten. Sie sei in der Eingewöhnungszeit sehr fixiert auf die Mutter
gewesen, Trennungsangst habe sie jedoch nicht gezeigt. Die Grundschulzeit wird als
unauffällig erinnert. Auf der weiterführenden Schule (Gymnasium) habe J. dann
erstmals Auffälligkeiten gezeigt. Die Mutter berichtet, dass J. immer mehrere Pullover
übereinander gezogen habe, damit man nicht sehen könne, wie dünn sie ist. Auch im
Sommer habe sie stets mehrere Kleidungsstücke übereinander gezogen, weil sie sich
sehr für ihre dünnen Beine und Arme geschämt habe. Das mangelnde Selbstvertrauen
und die negative Sicht der eigenen Person bestünden bis heute unverändert. J. habe
bis Ende 2012 (Mitte der 11. Klasse) das Gymnasium besucht, habe dann aufgrund
schlechter Schulleistungen und mangelnder Lernmotivation von Januar bis Juni 2013
die Schulzeit unterbrochen, um ein Praktikum in einem Kindergarten zu absolvieren.
In diesem Zeitraum seien die depressiven Symptome kaum noch erkennbar gewesen,
J. habe viel Spaß an der praktischen Arbeit mit Kindern gehabt. Ab Herbst 2013 habe
sie dann auf einem anderen Gymnasium die 11. Klasse wiederholt. Da ihre
Schulleistungen jedoch weiterhin sehr schlecht waren und die depressive
Symptomatik, in Verbindung mit schulischen Fehlzeiten, ab Herbst 2013 wieder
deutlich zugenommen haben (ca. 165 Fehlstunden im 1. Halbjahr der Klasse 11), habe
J. Anfang des Jahres 2014 entschieden, das Gymnasium, nach Abschluss des 1.
Schulhalbjahres, zu verlassen, um ab Herbst 2014 eine Ausbildung zur Schneiderin
zu beginnen. Bis dahin plane sie Mal- und Nähkurse zu besuchen. Perspektivisch
wünsche J. sich, Mode-Designerin zu werden.
Psychischer Befund zum Zeitpunkt der Antragstellung
Die Patientin ist eine altersgemäß entwickelte, modisch gekleidete, sympathische 18jährige Jugendliche. J. ist im Gespräch freundlich zugewandt und berichtet differenziert
über ihre Schwierigkeiten. Die Stimmungslage ist deutlich depressiv, kombiniert mit
resignativen,
selbstabwertenden
Kognitionen.
Formal
und
inhaltlich
ist der
Gedankengang geordnet und unauffällig, jedoch deutlich negativ gefärbt. Die kognitive
Leistungsfähigkeit liegt im durchschnittlichen Bereich. Anamnestisch keine Ängste,
Tics oder Zwänge eruierbar. Abgesehen von massiven intrafamiliären Konflikten keine
202
weitere expansive Symptomatik eruierbar. Seit mehreren Jahren Einschlafprobleme,
in Verbindung mit Grübeleien und massiver Müdigkeit resp. Erschöpfung am Tag.
Klagt über Appetitlosigkeit, bei einem Gewicht von 47 kg und einer Körpergröße von
1,65 m (BMI 17,3). Im letzten halben Jahr ca. 2 kg Gewichtsverlust. J. würde gerne
mehr Appetit haben und mehr wiegen. Kein Anhalt für selbst herbeigeführten
Gewichtsverlust im Sinne einer Essstörung. Keine Hinweise auf eine akute
Belastungsreaktion oder PTBS. Keine akute Suizidalität, keine Suizidversuche in der
Vorgeschichte, jedoch wiederholtes selbstschädigendes Verhalten an den Armen.
Keine Fremdgefährdung. Kein Alkohol- oder Drogenabusus.
Diagnostische Befunde
J. erreichte im WISC-IV einen im durchschnittlichen Bereich liegenden Gesamt-IQ von
99 bei homogenem Intelligenzprofil. In der CBCL und im YSR wurden klinisch auffällige
Ergebnisse in Bezug auf folgende Skalen ermittelt: YSR: „ängstlich/depressiv“ T-Wert
>80, „sozialer Rückzug“ T-Wert >80; CBCL: „sozialer Rückzug“ T-Wert 78, „dissoziales
Verhalten“ T-Wert 73, „aggressives Verhalten“ T-Wert 71. Im SBB-DES und FBB-DES
(Fremdurteil der Mutter) des DISYPS-II zeigen sich mit einem Stanine-Wert von 9
deutliche Hinweise auf eine depressive Störungen. Im DIKJ erreichte J. ebenfalls ein
sehr auffälliges Ergebnis (T = 79, PR 99). In der „Rosenberg Self-Esteem Scale“ wurde
ein weit unterdurchschnittlicher T-Wert von 25 ermittelt, der auf einen sehr gering
ausgeprägten globalen Selbstwert hinweist. Sowohl die Testbefunde als auch die
Exploration und das daraus resultierende klinische Urteil bestätigen die Diagnose einer
rezidivierenden depressiven Störung.
Somatischer Befund – ärztlicher Konsiliarbericht
Laut Hausarzt liegen keine medizinischen Einwände gegen eine Psychotherapie vor.
Trotz BMI von 17,3 kein Anhalt für eine Anorexia oder Bulimia nervosa.
Bedingungs- und Verhaltensanalyse
Verhaltensanalyse
Die rezidivierende depressive Symptomatik entwickelte sich vermutlich aufgrund von
disponierenden Faktoren (familienanamnestisch Häufung affektiver Erkrankungen)
und persönlichen Belastungserfahrungen, wie der Trennung der Eltern oder
schulischer
Überlastung
resp.
Überforderung.
203
J.
hat
mit
zunehmendem
Leistungsniveau auf dem Gymnasium immer mehr die Lust am Lernen und an der
aktiven Mitarbeit im Unterricht verloren. Infolge dessen haben sich auch die
Schulleistungen
kontinuierlich
Selbstwahrnehmung
verstärkt
verschlechtert,
hat.
was
Erschwerend
wiederum
kommt
ein
J.‘s
negative
sehr
hoher
Leistungsanspruch des Vaters hinzu, dem J. nicht standhalten kann. Für ihn kommt
laut J. nur ein Abitur als Schulabschluss in Frage, alles andere wertet er als
„Versagen“, weshalb es in der Vergangenheit immer wieder schwerwiegende Konflikte
zwischen Vater und Tochter gegeben habe. Durch das zunächst stundenweise, später
auch tageweise Fehlen in der Schule hat J. für „Entlastung“ gesorgt und damit den
subjektiv empfundenen Leistungsdruck, im Sinne negativer Verstärkung, verringert. Im
weiteren Verlauf hat sie dann immer häufiger in der Schule gefehlt und stattdessen zu
Hause im Bett gelegen (positive Verstärkung). Die depressive Symptomatik hat sich
dadurch immer deutlicher manifestiert, zumal in den letzten Monaten vor
Therapiebeginn kaum noch außerhäusliche Aktivitäten zu verzeichnen waren und
stattdessen familiäre Auseinandersetzungen an der Tagesordnung standen. Das
selbstverletzende Verhalten erfüllt die Funktion der Spannungsregulation. J. ritzt sich
vornehmlich, wenn familiäre Konflikte bestehen und sie nicht weiß, wie sie mit der
angestauten Wut und Enttäuschung umgehen soll.
Die ausgeprägte Selbstwertproblematik hat sich infolge der über Jahre hinweg
bestehenden negativen Leistungsrückmeldungen, in Verbindung mit den persönlichen
negativen Rückmeldungen des Vaters, manifestieren, der seit Jahren versucht J.
davon zu überzeugen, dass man erst dann ein „wertvoller Mensch“ ist, wenn man
Abitur gemacht hat. Diesem Anspruch kann J. aktuell nicht gerecht werden. Sie ist
überzeugt davon, dass sie als Tochter „versagt“ hat, weil sie das Abitur nicht erreicht
hat. Ihr negatives Bild von sich sieht sie zudem darin bestätigt, dass sie viel zu dünn
und dadurch aus ihrer Sicht nicht attraktiv für Jungen ist. Das negative Selbstkonzept
ist mittlerweile auf verschiedene Bereiche generalisiert, so herrscht z.B. ein negatives
leistungsbezogenes Selbstbild, eine negative Selbstwahrnehmung als „VersagerTochter“ sowie als „unattraktive Jugendliche“ vor. Die negative Sicht der eigenen
Person wirkt sich wiederum negativ auf die Stimmung von J. aus und kann als
maßgeblicher aufrechterhaltender Faktor der rezidivierenden Depression angesehen
werden. Symptomaufrechterhaltend wirken außerdem operante Verstärkerprozesse,
wie die folgende SORC-Analyse zeigt:
204
Situation:
Konflikt mit dem Vater in Bezug auf den diskontinuierlichen
Schulbesuch
Organismusvariablen:
genetische Disposition für affektive Erkrankungen
R emotional:
Wut, Enttäuschung über die Haltung des Vaters, Traurigkeit
R physiologisch:
Appetitlosigkeit, „Klos im Hals“
R motorisch:
Anschreien des Vaters, selbstverletzendes Verhalten
R kognitiv:
„Ich bin dumm“, „Ich bin nicht gut genug“, „Ich werde es
meinem Vater nie Recht machen können“
Konsequenzen
C-
Angespanntes, von Konflikten geprägtes Verhältnis zu den
Eltern. Manifestation eines negativen Selbstbildes.
Langfristig Zunahme der depressiven Symptomatik.
Gefährdete Schullaufbahnentwicklung, keine klare
berufliche Perspektive.
C+
Verlust an Freude bei Freizeitaktivitäten, reduzierter
Antrieb, keine Energie
C+
Erlebt wieder Kontrolle über ihr Leben, wenn sie sich
durchsetzt gegenüber dem Vater.
C-
J. muss sich nicht mehr dem Schulstress und dem
Leistungsdruck aussetzen. Reduktion der inneren
Anspannung durch selbstverletzendes Verhalten.
MAS-Diagnosen nach ICD-10
Achse I:
Rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittelgradige
depressive Episode (F33.1) (G)
Achse II:
Keine umschriebene Entwicklungsstörung
Achse III:
Durchschnittliche Intelligenz
Achse IV:
Keine
Achse V:
Trennung der Eltern
psychische Erkrankung der Geschwister
chronische intrafamiliäre Streitbeziehungen
Achse VI:
Mäßige soziale Beeinträchtigung in mehreren Bereichen (3)
205
Therapieziele und Prognose
Mit der Patientin und den Eltern wurden folgende Ziele vereinbart:
Patientenzentrierte Ziele
1. Stabilisierung der Stimmung unter Berücksichtigung der individuellen Stressoren
der Patientin
2. Korrektur des negativ-verzerrten Selbstbildes
3. Erarbeitung adäquater Kommunikations- und Konfliktlösekompetenzen
4. Abbau des selbstverletzenden Verhaltens
5. Behandlung der Schlafstörung
6. Erarbeiten einer realistischen beruflichen Perspektive
Elternzentrierte Ziele
1. Aufbau von Verständnis für die Symptomatik der Tochter
2. Abbau des hohen Leistungsanspruchs (insbesondere des Vaters)
Im Rahmen der probatorischen Sitzungen konnte eine vertrauensvolle therapeutische
Beziehung zur Patientin hergestellt werden. J. erscheint zuverlässig und motiviert zu
den Therapiestunden. Sie weist einige Ressourcen und ein angemessenes
Problembewusstsein, in Verbindung mit einem erkennbaren Veränderungswillen, auf.
Daher kann, trotz der Schwere der rezidivierenden depressiven Symptomatik, von
einer relativ günstigen Prognose ausgegangen werden. Es wird von einem günstigen
Therapieverlauf
ausgegangen,
u.
a.
auch,
weil
die
Behandlungsmethoden
evidenzbasiert sind.
Behandlungsplan
Patientenzentrierte Behandlungsmethoden
1. Psychoedukation: Wissensvermittlung in Bezug auf Entstehungshintergrund,
Häufigkeit, Verlauf und Behandlungsmöglichkeiten von Depressionen und
Selbstwertproblemen. Erarbeitung von auslösenden und aufrechterhaltenden
Bedingungen
der Symptomatik
von
J.
im
Rahmen
eines
individuellen
Störungsmodells.
2. Stimmungsstabilisierung: Abbau individueller Stressoren (Leistungsanspruch
reduzieren, Alternative zur Schule erarbeiten…). Reaktivierung von Interessen,
206
Förderung außerhäuslicher Aktivitäten (z.B. sich wieder mehr mit Freunden
treffen). Aus der „Liste angenehmer Aktivitäten“ verschiedene Aktivitäten erproben
und in den Alltag implementieren. Tagesstrukturierung (z.B. kein im Bett liegen
tagsüber), Führen eines „Aktivitäts- und Stimmungstagebuches.“
3. Entwicklung
eines
positiven
Selbstbildes:
Identifizierung
und
kognitive
Umstrukturierung negativer selbstbezogener Gedanken. Etablierung positiver
Gedanken in Bezug auf die eigene Person im Alltag (Förderung realistischen
Denkens). Im Rahmen der kognitiven Arbeit außerdem Entwicklung einer
optimistischen Sicht in Bezug auf die Zukunft. Schaffen von Erfolgserlebnissen, die
die Selbstwirksamkeitserwartung von J. stärken.
4. Stärkung der Konfliktlösekompetenzen: Einführen von Kommunikationsregeln
innerhalb der Familie. Förderung der angemessenen Durchsetzungsfähigkeit von
J. (z.B. die eigene Meinung im ruhigen Ton sagen lernen, zu seiner Meinung
stehen, ohne den anderen zu beleidigen, Kompromisse schließen…etc.), zunächst
im Rollenspiel und später Erprobung im familiären Alltag. Erarbeitung von
Alternativen zum selbstverletzenden Verhalten, um innere Anspannung nach
Konflikten zu reduzieren (Gummiband nutzen, Eiswürfel statt Messer nutzen,
Spaziergang an der frischen Luft nach Wutausbruch…).
5. Behandlung der Schlafstörung: Einführen von Schlafhygiene-Regeln (z.B. Verbot
von Schlaf am Tag). Belastungen, die J. abends vom Schlaf abhalten,
therapeutisch bearbeiten, Gedankenstopp bei Grübeleien (Grübeln auf den Tag zu
fester Uhrzeit verschieben).
6. Entwicklung einer realistischen beruflichen Perspektive: Termin bei der
Berufsberatung vereinbaren, Praktika recherchieren, Nähkurs absolvieren, um zu
prüfen, ob ihr der Beruf der Schneiderin Spaß macht. Förderung der Motivation,
Bewerbungen zu schreiben.
Elternzentrierte Behandlungsmethoden
1. Erarbeitung
eines
individuellen
Störungsmodells
und
gemeinsamer
Behandlungsziele.
2. Abbau des übertriebenen Leistungsanspruchs gegenüber der Tochter.
3. Kognitive Umstrukturierung der zukunftsbezogenen „Katastrophengedanken“ der
Eltern.
207
Behandlungsverlauf
Die Termine mit J. fanden in der Regel wöchentlich statt. Phasenweise schaffte sie es,
aufgrund der ausgeprägten Antriebsstörung, jedoch nicht, jede Woche den
vereinbarten Therapietermin wahrzunehmen. Die Mutter wurde sporadisch in den
therapeutischen Prozess mit einbezogen, der Vater wurde, auf expliziten Wunsch von
J., nicht in die Therapie involviert.
Da J. zeitgleich mit dem Therapiebeginn den Besuch des Gymnasiums beendet hat
und dadurch keine Tagesstruktur mehr besaß, wurde in der ersten Therapiephase sehr
intensiv am Aufbau einer angemessenen Tagesstrukturierung und sinnvollen
Freizeitgestaltung mit J. gearbeitet. J. hat sich dafür entschieden, zweimal wöchentlich
einen Nähkurs zu besuchen und verpflichtete sich, zuverlässig die wöchentlichen
Therapietermine wahrzunehmen, was ihr im Therapieverlauf auch zunehmend besser
gelungen ist. Gleichzeitig wurden Schlafhygieneregeln erarbeitet, mit festen Schlafbzw. Aufstehzeiten. Das stundenlange Schlafen und im Bett liegen tagsüber wurde
vollständig unterbunden, um wieder einen angemessenen Schlaf-Wach-Rhythmus zu
etablieren. Davon profitierte die Jugendliche bereits nach kurzer Zeit. Um die
angespannte Mutter-Tochter-Beziehung zu verbessern, wurden gezielte gemeinsame
Freizeitaktivitäten geplant, wie gemeinsame Kochtage oder Spieleabende, die J.
sichtlich gut taten und zu einer ersten emotionalen Stabilisierung führten. Im Zuge der
Tagesstrukturierung und Aktivitätssteigerung wurden auch verschiedene soziale
Kontakte von J. reaktiviert. Sie schaffte es mit Unterstützung der Therapeutin
zunehmend besser, sich wieder mit ihren alten Schulfreundinnen zu treffen und sogar
wieder auf Partys zu gehen, was sowohl ihre Zuversicht als auch ihre Lebensfreude
nachhaltig stärkte.
In der nachfolgenden Therapiephase wurde intensiv am negativen Selbstbild von J.
gearbeitet.
Zunächst wurde
eine
Lebenslinie
mit
positiven
und
negativen
Lebensereignissen entwickelt. Im Folgenden wurde analysiert, welche Faktoren im
Lebensverlauf zu der negativen Sicht der eigenen Person und zu der pessimistischen
Grundhaltung
beigetragen
haben.
J.
entwickelte
die
These,
dass
ihre
Selbstwertstörung in erster Linie durch die negativen Rückmeldungen des Vaters und
seine perfektionistischen Ansprüche entstanden sei. Da der Vater - auf ausdrücklichen
Wunsch von J. - nicht in die Therapie einbezogen werden sollte, konnte an diesem
Thema nicht vertiefend mit dem Vater gearbeitet werden. Mit der Mutter konnte im
208
Gegenzug gut erarbeitet werden, dass die überhöhten Ansprüche an die Tochter und
die permanenten negativen Rückmeldungen zur Chronifizierung der depressiven
Symptomatik und Aufrechterhaltung der Selbstwertstörung von J. beigetragen haben.
Daran anknüpfend wurde mit der Mutter und der Tochter an einer angemessenen
intrafamiliären Kommunikation und adäquaten Konfliktlösung gearbeitet, wovon
sowohl die Mutter, als auch die Tochter, profitierten. J. gelang es im weiteren
Therapieverlauf weniger aufbrausend und beleidigend gegenüber ihrer Mutter
aufzutreten. Da ihr das in Gegenwart des Vaters nicht so erfolgreich gelang, übte J.
sich stattdessen frühzeitig in Konfliktsituationen zurückzunehmen und das Gespräch
beispielsweise zu unterbrechen. J. distanzierte sich in den folgenden Monaten immer
weiter vom Vater und erlebte dadurch eine deutliche Entlastung, verbunden mit einer
merklichen Stimmungssteigerung. Die schrittweise Zuwendung zur Mutter wirkte sich
im Gegenzug auch weiterhin positiv auf die Stimmung von J. aus.
In der letzten Therapiephase wurde sehr intensiv an den negativ-verzerrten
Kognitionen der Jugendlichen gearbeitet. J. lernte ihre Gedanken kritisch zu
hinterfragen und alternative, positivere Denkmuster zu entwickeln. Ihre massiven
Selbstabwertungen (z.B. „Ich bin total dumm“, „Ich bin viel zu dünn und hässlich“)
konnte sie nach und nach reduzieren und sich zum Ende der Therapie hin auch als
attraktiv wahrnehmen. Die Berufsperspektive konnte nur ansatzweise geklärt werden.
J. suchte sich selbständig einen Praktikumsplatz in einer Schneiderei, wurde dort
jedoch nicht als Auszubildende eingestellt, da die Inhaberin sich bereits für eine andere
Praktikantin entschieden hat. J. zweifelte in den darauffolgenden Wochen wieder sehr
an ihren Kompetenzen und ließ sich durch die Absage zudem sehr demoralisieren.
Nach wenigen Wochen fand sie einen anderen Job, mit dem sie sich bis dato ihr
Taschengeld aufbessert. Perspektivisch möchte J. sich in Form von Praktika noch
andere Ausbildungsbereiche anschauen, um sich dann gezielt zu bewerben. Termine
bei der Berufsberatung wurden vereinbart, die zu einer fundierten Entscheidung für
einen geeigneten Ausbildungsberuf beitragen sollen.
Die Therapie wurde aufgrund der guten Gesamtentwicklung und der vollständigen
Remission der depressiven Symptomatik einvernehmlich beendet. J. lässt sich zwar
nach
wie
vor
durch
negative
Rückmeldungen
leicht
irritieren,
eine
behandlungsbedürftige Selbstwertstörung liegt jedoch nicht mehr vor. Die Beziehung
zur Mutter konnte deutlich verbessert werden, die Vater-Tochter-Beziehung konnte
hingegen, auf Wunsch von J., nicht bearbeitet werden.
209
6.10 Behandlungsfall 10
Angaben zur spontan berichteten und erfragten Symptomatik
Die 16-jährige K. wird, mit der Empfehlung einer poststationären Behandlung, nach
einem 4-wöchigen stationären Aufenthalt in der Kinder- und Jugendpsychiatrie,
vorgestellt. Die stationäre Behandlung sei im Herbst 2013 initiiert worden, weil K. im
Vorfeld über neun Monate lang unter zunehmenden Stimmungseinbrüchen, mit
sozialem Rückzug, depressivem Erleben und Schlafstörungen gelitten habe. Zudem
habe sie über Monate hinweg selbstverletzendes Verhalten zeigt. Neben der
depressiven Symptomatik bereite der Mutter Sorge, dass K. sich seit Längerem nicht
mehr traue, sich aktiv am Unterricht zu beteiligen. Auch fehle sie gelegentlich aufgrund
von Übelkeit oder „Unwohlsein“ in der Schule. Als Grund für die mangelnde mündliche
Mitarbeit benennt K., dass sie die Fragen der Lehrer zwar fast immer beantworten
könne, aber große Sorge habe, von den Mitschülern ausgelacht zu werden, falls sie
eine falsche Antwort gebe. Wenn sie vom Lehrer aufgerufen werde, antworte sie
folglich lieber gar nicht, um sich nicht zu blamieren. Die Sorge, sich in der Öffentlichkeit
zu blamieren, habe K. schon seit mehreren Jahren. Auch die Mutter habe in ihrer
Jugend unter massiven sozialen Ängsten und Stimmungsproblemen gelitten und
könne, wie sie mehrmals betont, gut nachvollziehen, wie K. sich fühlt.
Die stationäre Behandlung habe aus Sicht der Mutter und der Jugendlichen „gar nichts
gebracht.“ K. sei auf einer Station für essgestörte Mädchen behandelt worden, obwohl
eine mittelgradige depressive Episode diagnostiziert worden sei. Sie habe ihre Zeit in
der Klinik „nur abgesessen“, vor allem weil sie sich dort nicht ernst genommen gefühlt
habe. K. habe sich vom stationären Aufenthalt eine Verbesserung der Stimmung
erhofft, die aber nicht eingetreten sei. Die Stimmung habe sich, nach dem Aufenthalt
in der Klinik im Herbst 2013, stetig verschlechtert. Im weiteren Verlauf seien
zunehmend Suizidvorstellungen, Grübeltendenzen, massive Schlafprobleme und
starke Selbstzweifel hinzugekommen. Konkrete suizidale Absichten seien noch nie
aufgetreten, jedoch zeige K. seit mehr als einem Jahr selbstverletzendes Verhalten.
K. benennt als primäre Therapieziele „weniger traurig und ängstlich zu sein“ und „sich
nicht mehr so negativ zu bewerten.“
210
Lebensgeschichtliche Entwicklung und Krankheitsanamnese
K. ist das einzige Kind der seit zehn Jahren getrennt lebenden resp. seit sechs Jahren
geschiedenen Eltern. Der als Rechtsanwalt tätige Vater lebe aktuell mit einer neuen
Partnerin zusammen, die Mutter betreibe einen Gastronomiebetrieb und sei
alleinstehend. Die Mutter habe in ihrer Jugend unter massiver sozialer Ängstlichkeit
und Depressionen gelitten und habe mehrmals eine Psychotherapie in Anspruch
genommen. Sie leide außerdem seit einigen Jahren unter einer Multiplen Sklerose und
sei körperlich phasenweise kaum belastbar. Der Vater habe früher ebenfalls an einer
Angststörung gelitten und an einer fraglichen Zwangsstörung.
Die Schwangerschaft sowie die Geburt von K. seien ohne Komplikationen verlaufen.
Die Meilensteine der frühkindlichen Entwicklung habe K. regelrecht erreicht. Die
Kindergartenzeit sei unauffällig gewesen. In der Grundschulzeit habe K. erstmals
gespürt, dass sie anders sei als die anderen Kinder. Sie sei den Mitschülern kognitiv
und vor allem sprachlich weit voraus gewesen und habe altklug gewirkt, weshalb sie
bei den Mitschülern nicht beliebt gewesen sei. Auch auf der weiterführenden Schule
habe K. nur schwer sozialen Anschluss innerhalb der Klasse finden können. Man habe
sie in den ersten Schuljahren auf der Gesamtschule weitgehend ignoriert. Auf der
weiterführenden Schule habe K. erstmals befürchtet, sich vor der Klasse zu blamieren.
Diese Sorge sei in den folgenden Schuljahren stärker geworden und habe ab der 10.
Klasse auch zu körperlichen Beschwerden, wie Unwohlsein und Übelkeit, sowie im
weiteren Verlauf, zu gelegentlichen schulischen Fehlzeiten geführt. Etwa zeitgleich
habe sie Stimmungseinbrüche und Schlafprobleme, infolge von abendlichen
Grübeleien, erlebt. Selbstverletzendes Verhalten, Selbstabwertungstendenzen und
Appetitlosigkeit seien erschwerend hinzugekommen. Im letzten Jahr habe K. infolge
der psychischen Belastung und Appetitlosigkeit 8 kg abgenommen.
K. besuche aktuell die 11. Klasse der Gesamtschule, zeige gute schulische
Leistungen, trotz der mangelnden mündlichen Mitarbeit und der gelegentlichen
schulischen Fehlzeiten. Sie fühle sich nach wie vor „anders“ als ihre Mitschüler und
habe ganz andere Interessen als andere Jugendliche. So habe sie beispielsweise
einen speziellen Kleidungsstil (ausschließlich schwarze Kleidung) und lese andere
Bücher bzw. schaue andere Filme als ihre Mitschüler. Seit dem Frühjahr habe sie
211
zudem eine neue Beziehung mit einem Jungen aus ihrer Klasse, in den sie seit
mehreren Jahren verliebt sei. Die neue Beziehung habe in der Klassenstufe zu viel
Neid geführt, da der Freund der langjährige Schwarm vieler Mitschülerinnen von K.
sei. Dies führe zu einer weiteren Ausgrenzung, die K. mittlerweile als „normal“
hinnimmt und die sie nicht mehr tangiert.
An Ressourcen wird benannt, dass K. außerhalb der Schule viele Freunde habe, die
ihre Interessen und Vorlieben teilen. Auch habe sie sich gut in den Freundeskreis ihres
neuen Freundes integriert. An weiteren Ressourcen ist vor allem die gute kognitive
Auffassungsgabe und Kreativität hervorzuheben.
Psychischer Befund zum Zeitpunkt der Antragstellung
K. ist eine altersentsprechend entwickelte, attraktive Jugendliche, die sich im
therapeutischen Kontakt zunächst sehr zurückhaltend, scheu und leicht misstrauisch
zeigte, im weiteren Verlauf jedoch zunehmend Vertrauen aufbauen konnte. Sie wirkt
bei der Exploration der Symptomatik deutlich belastet. Es bestehen depressive
Symptome wie Anhedonie, Appetit- und Gewichtsverlust, häufige Grübeleien, in
Verbindung
mit
negativistischem
Selbstabwertungstendenzen.
Denken.
Einschlafprobleme
Selbstverletzendes
Verhalten
und
in
deutliche
Form
von
oberflächlichen Schnittwunden an den Armen. Aktuell keine Suizidgedanken, klar von
Suizidalität
distanziert.
Keine
Suizidversuche
in
der
Vorgeschichte.
Keine
Fremdgefährdung. Abgesehen von sozial phobischem Verhalten keine weiteren
Ängste eruierbar. In der Vorgeschichte mehrmals fragliche Panikattacken, aktuell
keine Hinweise auf eine manifeste Panikstörung. Kein Anhalt für Störungen der
Aufmerksamkeit, der Impulskontrolle oder des Sozialverhaltens, keine Zwänge, keine
Essstörung. Keine formalen oder inhaltlichen Denkstörungen. Alkohol- und
Drogenabusus werden glaubhaft verneint.
Diagnostische Befunde
In der CBCL zeigen sich überdurchschnittlich ausgeprägte internalisierende
Symptome.
Auf
Beschwerden“
den
Skalen
(T-Wert
78)
„sozialer
und
Rückzug“
(T-Wert
„ängstlich/depressiv“
80),
(T-Wert
„körperliche
70)
werden
überdurchschnittlich hohe Wert ermittelt. Des Weiteren werden überdurchschnittliche
ausgeprägte Werte auf der Skala „Aufmerksamkeitsprobleme“ (T-Wert 79) deutlich. Im
YSR
liegen
die Werte
der
Skalen
„sozialer
212
Rückzug“
(T-Wert
74)
und
„ängstlich/depressiv“ (T-Wert 70) im auffälligen Bereich. Im DIKJ erreichte K. ebenfalls
einen überdurchschnittlichen T-Wert von 72. Im Selbstbeurteilungsbogen für
depressive Störungen (SBB-DES des DISYPS-II) wurde ein überdurchschnittlich
ausgeprägter Stanine-Wert von 8, im Fremdurteil FBB-DES (Urteil der Mutter) sogar
ein Stanine-Wert von 9, ermittelt, was das klinische Urteil einer mittelgradigen
depressiven Episode bestätigt. Im SBB-/FBB-ANZ zeigt sich eine sozial phobische
Begleitsymptomatik. Andere Ängste sind nicht eruierbar. In der „Rosenberg SelfEsteem Scale“ wurde ein unterdurchschnittlicher T-Wert von 36 ermittelt, der auf einen
geringen Selbstwert hindeutet.
Somatischer Befund – ärztlicher Konsiliarbericht
Seitens des Hausarztes besteht keine Kontraindikation für eine psychotherapeutische
Behandlung. Eine psychiatrische Begleitbehandlung ist aus Sicht des Konsiliararztes
nicht erforderlich.
Bedingungs- und Verhaltensanalyse
Verhaltensanalyse
Für die soziale Phobie und die Depression von K. liegt eine genetische Disposition vor.
Die Mutter sei im Jugendalter ebenfalls sehr ängstlich und affektlabil gewesen. Eine
Diagnostik oder Therapie sei damals nicht erfolgt, da die Eltern der Mutter sich kaum
um die Belange und Bedürfnisse der Mutter gekümmert haben. Den anamnestischen
Angaben der Mutter zufolge ist aber davon auszugehen, dass die Mutter von K. in der
Adoleszenz ebenfalls sozial phobisch und depressiv gewesen ist. Später habe sie,
aufgrund multipler Belastungen, mehrere Psychotherapien in Anspruch genommen.
Familienanamnestisch lässt sich weiter erheben, dass der Vater früher unter einer
Angststörung und Zwangshandlungen gelitten habe. Neben der genetischen
Vulnerabilität liegt ein ungünstiges Lernmodell seitens beider Elternteile vor, die
aufgrund ihrer ängstlich-überprotektiven Erziehungshaltung – im Sinne eines
ungünstigen „Angstmodells“ – zur Aufrechterhaltung der Symptomatik von K.
beitragen.
Entwickelt hat sich die ängstlich-depressive Symptomatik von K. vor dem Hintergrund
der langjährigen sozialen Zurückweisung durch ihre Mitschüler. Auslöser für die
Zurückweisungen war zunächst K.‘s altkluges Verhalten in der Grundschulzeit. Auf der
weiterführenden Schule zog sie sich zunehmend zurück, vermied jeglichen Kontakt zu
213
Klassenkameraden und wirkte dadurch „unnahbar“ und arrogant auf ihre Mitschüler.
Durch die mangelnde Integration in den Klassenverbund befürchtete K. zunehmend,
dass sie ausgelacht werden könnte, wenn sie im Unterricht etwas Falsches sage.
Folglich nahm ihre mündliche Mitarbeit immer weiter ab, bis K. schließlich gar nicht
mehr aktiv am Unterricht teilnahm, um eine mögliche Blamage vor der Klasse zu
verhindern. Auch die wiederkehrenden schulischen Fehlzeiten sind auf die Sorge sich
zu blamieren und K.‘s soziale Ängstlichkeit zurückzuführen. Das zunehmende
Vermeidungsverhalten
hat
maßgeblich
zur
Stabilisierung
der
Symptomatik
beigetragen. Die soziale Isolation führte in den letzten beiden Jahren außerdem zu
häufigen Stimmungsschwankungen, massiven Selbstabwertungstendenzen und
Resignation. Das selbstverletzende Verhalten setzte K. daraufhin gezielt ein, um den
negativen Affekt zu kontrollieren und emotionale Anspannung zu reduzieren, was
wiederum zu einer Verstärkung der maladaptiven Emotionsregulations-Strategie
geführt hat.
Die Symptomatik der Jugendlichen lässt sich am folgenden Beispiel exemplarisch
darstellen (SORC-Schema):
Situation:
K. wird in der Klasse von Mitschülern ignoriert
Organismusvariablen:
internalisierte, negative Denk- und Bewertungsmuster,
negatives Selbstbild, Selbstwertstörung
R kognitiv:
„Niemand versteht mich“, „Warum bin ich so anders?“
R emotional:
Traurigkeit, Hoffnungslosigkeit, Wut
R physiologisch:
Nervosität, Zittern, Übelkeit
R motorisch:
sozialer Rückzug, selbstverletzendes Verhalten
Konsequenzen
C+
Gefühl der Erleichterung, weil K. nicht angesprochen wird.
C-
Soziale Desintegration innerhalb des Klassenverbundes.
Verstärkung des negativen Selbstkonzepts. Potenzierung
der Sorge vor negativen Bewertungen durch Gleichaltrige.
Gefahr der Chronifizierung der depressiv-ängstlichen
Symptomatik.
C+
Soziale
Kompetenzen,
wie
Kontaktaufnahme
und
Kontaktgestaltung zu Mitschülern, können nicht erworben
214
werden, da sämtliche Kontakte zu Mitschülern aktiv
vermieden werden.
C-
Durch Ignorieren der Mitschüler muss K. sich ihrer
Unsicherheit und sozialen Ängstlichkeit nicht stellen und
vermeidet dadurch die Konfrontation mit Gefühlen, wie
Scham und Unzulänglichkeit. Reduktion innerer
Anspannung durch selbstverletzendes Verhalten
MAS-Diagnosen nach ICD-10
Achse I:
Mittelgradige depressive Episode (F32.1) (G)
Soziale Phobie (F40.1) (G)
Achse II:
keine umschriebene Entwicklungsstörung
Achse III:
durchschnittliche Intelligenz
Achse IV:
keine
Achse V:
abweichende Elternsituation
Psychische Störung der Eltern
Achse VI:
Mäßige soziale Beeinträchtigung in mehreren Bereichen (3)
Therapieziele und Prognose
In Absprache mit der Patientin und den Eltern wurden folgende Therapieziele
festgelegt:
Jugendlichenzentrierte Ziele:
1. Wiederherstellung einer positiven, ausgeglichenen Stimmung
2. Förderung von Fertigkeiten zur angemessenen Emotionsregulation
3. Bearbeitung der perfektionistischen Ansprüche an die eigene Person
4. Aufbau eines realistischen, positiven Selbstbildes
5. Abbau der sozialen Ängstlichkeit in Bezug auf Gleichaltrige
Elternzentrierte Ziele:
1. Abbau der ängstlich-überprotektiven Erziehungshaltung der Eltern
2. Förderung der Autonomie der Tochter
215
Die Symptomatik der Jugendlichen ist als relativ komplex anzusehen, die im Vorfeld
der Therapieanbahnung stationär behandelt worden ist. Sowohl die Patientin als auch
die Eltern haben ein differenziertes Krankheitsverständnis und aufgrund des hohen
Leidensdrucks auch eine starke Veränderunsbereitschaft entwickelt. Die Jugendliche
hat einige Ressourcen und kann realistische Ziele formulieren. Die Prognose kann
aufgrund dieser Voraussetzungen als relativ gut eingeschätzt werden. Die
ausgewählten
Behandlungsmethoden
sind
evidenzbasiert.
Es
wird
ein
verhältnismäßig günstiger Therapieverlauf erwartet.
Therapieplan
Jugendlichen-zentrierte Interventionen:
1. Gemeinsame Entwicklung eines individuellen Störungsmodells der sozialen
Phobie und der depressiven Symptomatik unter besonderer Berücksichtigung der
aufrechterhaltenden
Bedingungen
(z.B.
soziales
Vermeidungsverhalten,
überprotektives Verhalten, insbesondere der Mutter).
2. Biografisches Arbeiten: Thematisierung der seit der Grundschulzeit bestehenden
sozialen Ausgrenzung innerhalb der Klasse und der daraus resultierenden
Kränkungen resp. Verunsicherungen in Bezug auf die eigene Person (Einsatz von
Biografiekarten, Lebenslinie mit positiven vs. negativen Beziehungserfahrungen,
Mister X Spiel). Sensibles Herausarbeiten der potentiellen Ursachen für die
Zurückweisungen.
3. Förderung von sozialen Aktivitäten, mit dem Ziel der Aktivitätssteigerung und
Stimmungsstabilisierung: Einsatz der „Liste angenehmer Aktivitäten“, um
verschiedene Freizeitaktivitäten mit Gleichaltrigen in den Alltag zu implementieren.
Führen eines „Aktivitäts- & Stimmungs-Tagebuches“ zur Verdeutlichung des
Zusammenhangs zwischen angenehmen Aktivitäten und positiver Stimmung.
4. Korrektur negativistischer Kognitionen in Bezug auf sich selbst und die Umwelt.
Förderung einer realistischen, positiven Selbstwahrnehmung. Sensibilisierung für
typische „Denkfallen“ (Übergeneralisierung, Selbstabwertung, pessimistisches
Denken, Schwarz-Weiß-Denken). Relativierung der perfektionistischen Ansprüche
an die eigene Person. Stärkung der Selbstwirksamkeitserwartungen durch
Förderung von Erfolgserlebnissen.
216
5. Förderung der Genussfähigkeit durch Genusstraining. Praktizieren verschiedener
Achtsamkeitsübungen (Chillen mal anders) zur Verbesserung des Wohlbefindens
und der Stimmung. Einüben und selbständiges Anwenden der progressiven
Muskelrelaxation.
6. Graduierte in vivo Konfrontation mit angstauslösenden schulischen Situationen.
Sukzessiver Aufbau mündlicher Mitarbeit im Unterricht.
7. Soziales Kompetenztraining mit den folgenden Schwerpunkten: selbstsicheres
Auftreten im Gleichaltrigenverbund, Kontaktgestaltung zu Peers auf dem Schulhof,
die eigene Meinung souverän vertreten, auch wenn andere Gleichaltrige anderer
Meinung sind. Abbau des sozialen Vermeidungsverhaltens im Klassenverbund.
Eltern-zentrierte Interventionen:
1. Abbau der ängstlichen und überprotektiven Erziehungshaltung der Eltern.
2. Etablieren eines autonomie-fördernden Umgangs mit der Tochter.
Behandlungsverlauf
Die Behandlung von K. fand, abgesehen von Klausurphasen, in der Regel wöchentlich
statt. Sowohl die Mutter als auch der Vater wurden in den therapeutischen Prozess mit
einbezogen.
Vor dem Hintergrund der massiven Selbstwertstörung und der depressiven Sicht der
eigenen Person resp. der Umwelt wurde zunächst an der Fokussierung der
Wahrnehmung auf persönliche Ressourcen und positive Eigenschaften gearbeitet. K.
konnte zunächst keine positiven Eigenschaften an sich wahrnehmen und
zugrundeliegende Ressourcen, wie eine hohe intellektuelle Auffassungsgabe oder
viele Freundschaften außerhalb der Schule, nicht erkennen und somit auch nicht
nutzen. Durch gezielte Fokussierung auf persönliche Stärken, die Nutzung positiver
Beziehungserfahrungen (z.B. neuer Freund, in den sie seit Jahren verliebt ist) und die
Korrektur
negativ-verzerrter
Kognitionen,
konnte
sukzessive
die
einseitig
defizitorientierte Wahrnehmung der eigenen Person korrigiert werden. Daran
anknüpfend wurde an der perfektionistischen Haltung von K. gearbeitet. Ihr wurde
verdeutlicht, dass der perfektionistische Anspruch und die Sorge, sich bei einer nicht
„perfekten“ Antwort in der Schule zu blamieren, maßgeblich die soziale Phobie
aufrechterhalten. Das konnte K. gut nachvollziehen und gab sich im Verlauf der
Therapie Mühe, die perfektionistische Grundhaltung zu reduzieren, was ihr in
217
Ansätzen auch gut gelungen ist. Im Sinne einer graduierten Exposition wurde nach
und nach die mündliche Mitarbeit im Unterricht gesteigert, zunächst in subjektiv als
leicht
empfundenen
Fächern
und
später
in
zunehmend
als
„schwieriger“
eingeschätzten Fächern, wie Philosophie oder Spanisch. Diese Intervention führte, wie
erwartet, zu einer deutlichen Reduktion der sozial phobischen Symptomatik und der
Unsicherheit im Klassenverbund. Durch die positive Bewältigung der Ängste konnte
sowohl eine Zunahme der Kompetenzerwartung, als auch eine Steigerung der
Selbstwirksamkeit erreicht werden, was sich wiederum positiv auf den Selbstwert von
K. auswirkte.
In der darauffolgenden Therapiephase wurde an der nachhaltigen Stabilisierung der
Stimmung gearbeitet. Es wurden gezielt positive Aktivitäten und Kontakte außerhalb
des Hauses gefördert. Der neue Freund unterstützte K. während der gesamten
Therapie bei dieser Aufgabe und nahm K. zu verschiedenen Partys und Treffen mit
Freunden mit. Die Erweiterung der sozialen Kontakte wirkte sich sehr positiv auf die
Stimmung von K. aus. Auch in Bezug auf den Selbstwert konnte ein großer Zuwachs
erreicht werden. K. fühlte sich weniger „andersartig“ und gut in den neuen
Freundeskreis integriert, was zu einer weiteren Reduktion der sozialen Unsicherheit
beitrug.
Bei bevorstehenden Klausuren erlebte K. immer eine große Nervosität und entwickelte
während der Klausurphasen kurzzeitig starke Insuffizienzgefühle. Da K. stets eine sehr
gute Schülerin gewesen ist, konnte sie ihre schulischen Erfolge im Verlauf der
Therapie besser auf eigene Anstrengung und persönliche Kompetenzen in den
jeweiligen Fächern attribuieren und somit ihre Insuffizienzgefühle reduzieren.
Mit den Eltern wurde getrennt ein individuelles Störungsmodell der Depression und
sozialen Phobie erarbeitet. Da beide Elternteile sich zunächst stark die Schuld für die
Symptomatik ihrer Tochter gegeben haben und sehr eine genetische Transmission
von Ängsten und Depressionen in den Vordergrund stellten, wurde versucht, ihnen
durch die Vermittlung eines multifaktoriellen Erklärungsmodells die Last der
Schuldgefühle zu nehmen. Im Rahmen der Psychoedukation wurde ihnen erläutert,
dass neben einer genetischen Disposition auch ungünstige Lernmodelle, kritische
Lebensereignisse und negative kognitive Verarbeitungsstile zu einer depressiven
Störung und sozialen Phobie beitragen. Während es dem Vater in Therapieverlauf gut
218
gelang, seine überprotektive Haltung zu reduzieren, fiel es der Mutter
bis zum
Abschluss der Therapie merklich schwer, K. mehr Eigenverantwortung zu übertragen
und die Autonomiebestrebungen ihrer Tochter zu respektieren und zu fördern.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Stimmung sich im Verlauf der
Therapie deutlich stabilisieren ließ. Das selbstverletzende Verhalten zeigte sich bereits
wenige Wochen nach Therapiebeginn überhaupt nicht mehr und neue emotionale
Krisen konnten nachhaltig abgewendet werden. Hinsichtlich der Selbstwertstörung
konnten ebenfalls Erfolge erzielt werden. K. hat im Behandlungsverlauf gelernt, ihre
perfektionistischen Ansprüche etwas zu reduzieren und ihrem „inneren Kritiker“
weniger Bedeutung zukommen lassen. Die soziale Phobie ließ sich durch die
Exposition in kurzer Zeit minimieren, so dass die Therapie im Zuge der guten
Gesamtentwicklung in gegenseitigem Einvernehmen nach Abschluss der Studie
beendet wurde.
7.11 Behandlungsfall 11
Spontan berichtete und erfragte Symptomatik
Die 15-jährige S. kommt in Begleitung der Mutter zum Erstgespräch. Sie komme auf
Anraten der kinder- und jugendpsychiatrischen Ambulanz der Kinder- und
Jugendpsychiatrie, wo sie bis dato aufgrund einer depressiven Symptomatik, in
Kombination
mit
einer
ausgeprägten
Selbstwertstörung,
einmal
monatlich
Beratungsgespräche wahrgenommen habe. Die dort behandelnde Therapeutin sei der
Meinung, dass eine wöchentlich stattfindende ambulante Psychotherapie indiziert sei
und leitete daher eine Vorstellung in der hiesigen Psychotherapieambulanz ein. S.
leide, neben Stimmungs- und Selbstwertproblemen, auch unter sozialen Ängsten. So
traue sie sich u.a. nicht, mit fremden Gleichaltrigen Kontakt aufzunehmen. Ihre beste
Freundin sei beispielsweise in den Ferien mit einer Jugendgruppe weggefahren, S.
habe hingegen, aus Angst vor den fremden Jugendlichen, nicht mitfahren wollen. Auch
im Unterricht sage sie gewöhnlich nichts und mache sich insgesamt sich viele
Gedanken über das, was andere über sie denken könnten. Bis vor drei Monaten habe
sie sich regelmäßig geritzt, weil sie ihren Körper aufgrund ihres Übergewichts hässlich
finde. Gemeinsam mit ihrer Mutter suche sie daher aktuell nach einem geeigneten
Gewichtsreduktionsprogramm. Die Jugendliche erhoffe sich von einer Therapie mehr
219
Selbstsicherheit und eine Verbesserung der Stimmung. Auch hoffe sie, durch die
Therapie abnehmen zu können und zufriedener mit sich selbst zu werden.
Lebensgeschichtliche Entwicklung und Krankheitsanamnese
S. sei das zweite Kind der seit 2006 getrennt lebenden Eltern. Die 50-jährige Mutter
sei als Volljuristin tätig, der 52-jährige Vater arbeite als Diplom-Kaufmann in Vollzeit.
Der 17-jährige Bruder lebe mit S. bei der Mutter und gehe noch zur Schule.
S. sei ein Wunschkind gewesen. Die Schwangerschaft und Geburt seien unauffällig
verlaufen, ebenso die frühkindliche Entwicklung. S. habe bereits früh gesprochen und
habe mit ca. 12 Monaten angefangen zu laufen. S. sei mit drei Jahren in den
Kindergarten gekommen und habe sich hier sehr gut integriert. Es habe keine
Anzeichen von Trennungsängstlichkeit gegeben. Vielmehr sei S. ein sehr lebensfrohes
und sozial eingestelltes Mädchen gewesen. Im Alter von fünf Jahren sei S. eingeschult
worden. Ihre schulischen Leistungen seien gut gewesen und sie sei gut in den
Klassenverband integriert gewesen. 2006 erfolgte die Trennung der Eltern, nachdem
die Mutter erfahren habe, dass der Vater bereits seit neun Monaten eine Beziehung
mit einer anderen Frau habe. S. sei anfangs sehr traurig über die Trennung gewesen.
Ihre Noten haben sich in diesem Zeitraum massiv verschlechtert, so dass sie Nachhilfe
erhalten habe. Der Übergang auf die weiterführende Schule (Gymnasium) sei
unproblematisch verlaufen. In der 5. und 6. Klasse sei sie unbeschwert und gut
integriert gewesen. Auch habe sie gute Schulleistungen gezeigt. 2012 habe der Vater
erneut geheiratet, gleichzeitig habe er sich gewünscht, dass S. die Schule wechseln
und mit dem neuen Stiefkind auf eine Schule gehen solle. Nach Ablehnung dieses
Wunsches durch die Mutter habe sich die Beziehung zwischen den Kindern und dem
Vater massiv verschlechtert. Wie S. berichtet, sei es regelmäßig zu massiven
Abwertungen der Kinder seitens des Vaters gekommen. Der Vater habe sich
beispielsweise bezüglich des Aussehens und Gewichts wiederkehrend abfällig über S.
und ihren Bruder geäußert (z.B. "Ich schäme mich mit euch schwimmen zu gehen, weil
ihr so dick seid"). S. sei oftmals traurig über das invalidierende Verhalten des Vaters
gewesen, habe auch regelmäßig beim Vater geweint, der dies laut Angaben von S.
ignoriert habe. S. berichtet in diesem Kontext von weiteren sehr kränkenden
Erlebnissen, die sie bis heute nicht verarbeitet habe. So sei für S. „eine Welt
zusammengebrochen“ nachdem der Vater an Weihnachten 2012 nur den Bruder von
S. abgeholt habe und sie über die Feiertage bei der Mutter gelassen habe. S. wisse
220
bis heute nicht, warum ihr der Vater das angetan habe. S. berichtet, dass sie ab diesem
Zeitpunkt wiederkehrend Stimmungseinbrüche, soziale Rückzugstendenzen und
vermehrtes Essen bei trauriger Stimmung zeige.
Im weiteren Entwicklungsverlauf habe S. Ängste gegenüber Gleichaltrigen entwickelt
und habe angefangen, sich gelegentlich an den Armen und Beinen selbst zu verletzen.
In der 8. Klasse zeichnete sich erstmals ein Leistungsabfall ab, so dass die 8. Klasse
wiederholt werden musste. Im Frühjahr 2013 brach S. den Kontakt zum Vater
vollständig ab. Seitdem habe sich die Stimmung etwas gebessert, die soziale
Unsicherheit
bestehe
jedoch
auch
weiterhin
unverändert.
Auch
die
Selbstwertproblematik, infolge des Übergewichts, verbunden mit einer massiven
Ablehnung des eigenen Körpers, bestehen nach wie vor.
Psychischer Befund zum Zeitpunkt der Antragstellung
Die Jugendliche wirkt anfänglich im Kontakt vorsichtig und unsicher. Sie ist emotional
schwingungsfähig. Auf Nachfrage kann sie ansatzweise über ihre Probleme sprechen.
Es
werden
leistungsängstliche
Tendenzen
berichtet,
bei
guter
kognitiver
Leistungsfähigkeit. Wiederkehrende traurige Stimmung, mangelndes Selbstvertrauen,
Hoffnungslosigkeit und Konzentrationsschwierigkeiten. Deutliches Übergewicht (BMI
= 27, 95. Perzentile) mit Hinweisen auf binge eating, kein Anhalt für eine Bulimie.
Sozialer Rückzug in Verbindung mit sozialen Ängsten vor Gleichaltrigen, Angst vor
Leistungssituationen und Bewertungen. Gelegentliche Grübeltendenzen. Sie zeigt
kein
oppositionell-dissoziales
Verhalten,
keine
Entwicklungsstörungen,
keine
Ablenkbarkeit, keine Impulsivität, keine Tics oder Zwänge. Auch kein Anhalt für Wahn
oder Halluzinationen. Gelegentlicher Alkoholkonsum, kein Drogenabusus. Zeitweise
selbstverletzendes Verhalten. Keine akute Eigen- oder Fremdgefährdung.
Diagnostische Befunde:
Im YSR ergibt sich ein grenzwertig auffälliger Wert in der internalisierenden Skala
(T=63) sowie der Gesamtskala (T=60). Im SBB-DES des DISYPS-II ergibt sich ein
Wert im Grenzbereich unauffällig / auffällig (SN 7). Im DIKJ zeigen sich Hinweise auf
diskrete depressive Tendenzen (T=63). In der CBCL leicht erhöhte Werte auf der
internalisierenden Gesamtskala (T=63). Im FBB-DES (Urteil der Mutter) zeigt sich ein
Gesamtergebnis im Grenzbereich unauffällig / auffällig (SN 7). In der RSES wurde ein
unterdurchschnittlicher T-Wert von 36 ermittelt, der auf einen gering ausgeprägten
221
Selbstwert hindeutet. Im PHOKI Hinweise auf soziale Ängste (SN 8). Im SPAIK
ergeben sich ebenfalls Hinweise auf eine soziale Phobie (T-Wertband = 64 - 67). Der
extern erhobene HAWIK-IV zeigte ein Ergebnis im oberen durchschnittlichen Bereich
(IQ = 110).
Somatischer Befund – ärztlicher Kosiliarbericht
Es besteht eine Indikation für eine psychotherapeutische Behandlung.
Bedingungs- und Verhaltensanalyse
Verhaltensanalyse
Bei der Patientin liegt eine depressive Episode in Kombination mit einer sozialen
Phobie
vor,
mit
Ängsten
vor
fremden
Gleichaltrigen
und
in
schulischen
Bewertungssituationen (z.B. Referat). S. zeigt in solchen Situationen gesteigerte
Angst, mir Erröten, Zittern und Herzrasen. Zudem bestehen eine massive Abwertung
des eigenen Körpers, ein sehr gering ausgeprägter Selbstwert und eine
wiederkehrende traurige Stimmung. Auf somatischer Ebene liegt Übergewicht vor, was
einen begünstigenden Faktor für die Angst vor Bewertungssituationen sowie die
Selbstwertproblematik darstellt. S. erfuhr nach der Trennung der Eltern eine konstante
Abwertung durch den Vater bezüglich ihres Aussehens (z.B. "Ich schäme mich für
dich, weil du so dick bist") und betreffend ihrer Leistungen (z.B. "Du musst besser in
der Schule werden, deine Noten reichen nicht aus"). Durch wiederholte Demütigungen
und unangemessene Bestrafungen fing S. an, sich vermehrt Gedanken um ihr
Äußeres zu machen. In der Folge fühlte S. sich zunehmend ungeliebt und fing an sich
selbst als Person abzulehnen. Zunächst strebte S. weiterhin nach Anerkennung des
Vaters. S. realisierte jedoch im weiteren Entwicklungsverlauf die überzogenen
Ansichten des Vaters und wurde immer unzufriedener mit sich, was die traurige
Stimmungslage
begünstigte
und
sogar
noch
verstärkte.
Der
Mangel
an
Konfliktlösekompetenzen führte, in Verbindung mit der Scham vor dem eigenen
Körper,
zu
vermehrter
sozialer
Isolation
und
zu
einer
Zunahme
der
Selbstabwertungstendenzen. Es ist davon auszugehen, dass das invalidierende
Verhalten
des
Vaters
Aufrechterhaltung
der
und
die
depressiven
massiven
Störung
beigetragen haben.
222
Selbstzweifel
und
der
maßgeblich
zur
Selbstwertproblematik
Mikroanalyse:
Situation:
S. steht an der Bushaltestelle, Mitschüler schauen sie an
Organismusvariablen:
Übergewicht, Selbstzweifel
R kognitiv:
„Die denken bestimmt, schaut euch mal die Dicke an“
R emotional:
Scham, Wut, Verzweiflung
R physiologisch:
Anspannung, Nervosität, erhöhter Herzschlag
R motorisch:
Versteckt sich hinter ihrem Bruder
Konsequenzen:
C+
Fühlt sich beschützt und verstanden durch den Bruder.
C-
Manifestation der Selbstzweifel und sozialen Ängste.
Zunahme der depressiven Stimmung und der
Rückzugstendenzen.
C+
Korrektive Erfahrungen bleiben aufgrund der Vermeidung
sozialer Kontakte zu Gleichaltrigen aus. Freundschaften
können dadurch nicht geknüpft werden.
C-
Scham und Anspannung lassen nach.
MAS-Diagnosen nach ICD-10
Achse I:
Leichte depressive Episode (F32.0) (G)
Soziale Phobie (F40.1) (G)
Achse II:
Keine
Achse III:
Durchschnittliche Intelligenz
Achse IV:
keine
Achse V:
Trennung der Eltern
Verlust einer liebevollen Beziehung
Achse VI:
Mäßige soziale Beeinträchtigung (3)
Therapieziele und Prognose
In Absprache mit der Jugendlichen wurden folgende Therapieziele festgelegt:
1. Abbau von sozialen Ängsten
2. Aufbau von sozialen Fertigkeiten und verbesserte Integration in den
Gleichaltrigenverbund
3. Verarbeitung der negativen Erlebnisse mit dem Vater
223
4. Entwicklung eines positiven Selbstbildes, Förderung des Selbstwertgefühls
und der eigenen Kompetenzwahrnehmung
5. Stärkung der Konfliktfähigkeit und der Problemlösefertigkeiten
Die Patientin zeigt sich bereits in den probatorischen Sitzungen motiviert und kommt
zuverlässig zu den vereinbarten Terminen. Sie hat einen hohen Leidensdruck und es
gelingt ihr, ihre Probleme relativ offen anzusprechen. Es konnte ein angemessenes
Problembewusstsein entwickelt werden, eine adäquate Krankheitseinsicht und eine
ausgeprägte Änderungsbereitschaft sind vorhanden. Die Symptomatik ist nicht in
starkem Maße ausgeprägt und auch nicht chronifiziert. Insgesamt kann vor dem
Hintergrund dieser Voraussetzungen von einer günstigen Prognose ausgegangen
werden. Die therapeutischen Methoden sind evidenzbasiert. Es wird von einem
positiven Behandlungsverlauf ausgegangen.
Therapieplan
Patientenzentrierte Interventionen
1. Herausarbeitung individueller Stärken und zugrundeliegender persönlicher
Ressourcen (z.B. "Powerbaum").
2. Installation
eines
Wochenplans.
Implementierung
regelmäßiger
positiver
Aktivitäten zur Aktivitätssteigerung und Förderung von positivem Affekt (z.B. mit
Freunden treffen, Spazieren gehen).
3. Erstellen eines Positiv-Tagebuchs zur Fokussierung auf positive Erlebnisse und
eigene Stärken und Ressourcen.
4. Korrektur dysfunktionaler Denkmuster (z.B. „Mein Körper ist hässlich“, „Ich bin
nichts wert“). Identifizierung und Korrektur negativ-verzerrter Grundannahmen und
Denkfallen (z.B. „Nur wer dünn ist, ist erfolgreich und wird geliebt“) mit Hilfe des
sokratischen Dialoges.
5. Graduierte Exposition in Bezug auf angstbesetzte soziale Situationen (z.B.
Mitarbeit im Unterricht, Referat vor der Klasse, unbekannte Jugendliche
ansprechen).
6. Einüben
von
Selbstbelohnungsstrategien
und
Förderung
des
Selbstwirksamkeitserlebens.
7. Training
sozialer
Fertigkeiten.
Lernen,
persönliche
Grenzen
gegenüber
Verwandten und Freunden zu vertreten ("Nein sagen", die eigene Meinung
224
angemessen vertreten). Festigung der Kompetenzen in Form von Rollenspielen,
die sich an realen Situationen orientieren. Einsatz von Video-Feedback.
8. Biografiearbeit: Begleitung beim Betrauern der nicht mehr vorhandenen liebevollen
Beziehung zum Vater. Bearbeitung der Kränkungen durch den Vater. Entwicklung
günstiger Glaubenssätze anstelle von Selbstabwertungen (z.B. „Ich bin nicht
schuld am Kontaktabbruch zu meinem Vater“).
9. Stimmungsstabilisierung: Achtsamkeitsübungen im Alltag, mit dem Fokus auf
gegenwärtiges
multisensorisches
Erleben.
Praktizieren
von
Distanzierungstechniken.
Elternzentrierte Interventionen:
1. Psychoedukation der Mutter über Entwicklungsziele im Jugendalter und
angemessene Erziehung ohne elterliche Überfürsorge (z.B. Verantwortung für
Terminplanungen auf S. übertragen).
2. Anleitung der Mutter zur Förderung des positiven Selbstwertgefühls von S.
(regelmäßiges Loben, Durchführen schöner gemeinsamer Aktivitäten).
Behandlungsverlauf
Die Behandlung fand, abgesehen von Ferienzeiten, in einer Frequenz von einmal pro
Woche statt. Die Mutter wurde bei Bedarf in den therapeutischen Prozess involviert.
Die ersten Stunden dienten, neben der Etablierung einer vertrauensvollen
therapeutischen Allianz, primär der Exploration der einzelnen Problembereiche und
Belastungen
der
Jugendlichen
und
des
familiären
Umfeldes
sowie
dem
Herausarbeiten der persönlichen Ressourcen von S. Bereits in der probatorischen
Phase wurde der Fokus auf Stärken, Hobbies und als positiv erlebte Interaktionen
gelegt, um die Wahrnehmung der Jugendlichen auf positive Bereiche zu lenken. Es
folgte eine Problemanalyse für die zuvor definierten relevanten Hauptprobleme. In
diesem Kontext wurden auch die Vor- und Nachteile des Problemverhaltens resp.
einer möglichen Verhaltensänderung thematisiert. Gemeinsam mit S. und der Mutter
wurde ein individuelles Störungsmodell der Depression und der sozialen Phobie
entwickelt, wobei insbesondere dysfunktionale Gedanken, das deutliche Übergewicht
sowie die Demütigungen des Vaters zentrale Faktoren des Erklärungsmodells
darstellten. Es wurde herausgearbeitet, dass die negative Sicht der eigenen Person,
in Verbindung mit dem invalidierenden Verhalten des Vaters, zur Entwicklung einer
225
Selbstwertstörung beigetragen haben, die in ungünstiger Weise durch das
Übergewicht mit aufrechterhalten wird.
In den folgenden Therapiestunden wurden ungünstige Kognitionen, die zur
Aufrechterhaltung der Symptomatik von S. beitragen, herausgearbeitet und es folgte
eine Korrektur dysfunktionaler Kognitionen. Zuerst wurde S., im Rahmen der
Psychoedukation, der Zusammenhang zwischen Gedanken, Gefühl und Verhalten
erläutert und mit Hilfe von konkreten Beispielen verdeutlicht. S. erhielt die
Therapiehausaufgabe, zu Hause täglich ein Gedankenprotokoll zu führen und typische
ungünstige, negativ-verzerrte Gedanken, damit assoziierte Gefühle und das daraus
resultierende (Problem-)Verhalten zu dokumentieren. Hierbei wurde schnell deutlich,
dass die belastenden Themen von S. in engem Zusammenhang mit ihrem Gewicht
und dem daraus resultierendem Gefühl der Scham bezüglich des eigenen Aussehens
standen. Es wurde des Weiteren herausgearbeitet, dass S. ihr Übergewicht mit sehr
negativen Konnotationen, wie beispielsweise „Dicke sind ungepflegt, faul und
unsympathisch“ belegte und sich dadurch zusätzlich massiv abwertete. Die
Sensibilisierung für die sehr einseitigen, ungünstigen Bewertungsmuster erfolgte mit
Hilfe des Sokratischen Dialoges. Typische Denkfallen, wie „Schwarz-Weiß-Denken“
oder „Generalisierung“ wurden besprochen und alternative, möglichst positive und
realistische Gedanken wurden erarbeitet. S. berichtete in den folgenden Stunden, dass
die alternativen Gedanken sie sehr entlasten und sich positiv auf ihre Stimmung
auswirken würden. Am besten habe ihr bei der Generierung hilfreicher Kognitionen der
Gedanke „Was soll denn schon passieren, wenn ich angeschaut werde?“ geholfen. Mit
Hilfe dieses Gedankens sei es ihr zunehmend besser gelungen, auf dem Schulweg
Mitschüler zu grüßen, mit denen sie noch nie gesprochen habe. Weitere Situationen,
in denen S. sich schämte bzw. in denen sie sich sozial ängstlich zeigte, wurden
dezidiert besprochen und es wurden positive, funktionale Kognitionen für jede
Situation erarbeitet. Insbesondere fiel S. in dieser Therapiephase schwer, Referate in
der Schule zu halten und mit Mitschülern bei Gruppenarbeiten zu reden. Die soziale
Ängstlichkeit und Unsicherheit wurde daher, parallel zur kognitiven Umstrukturierung,
durch graduierte Expositionsübungen therapeutisch bearbeitet.
Im Rahmen der Biografiearbeit wurde mit S. vertiefend thematisiert, woher die
negativen Gedanken bezüglich ihres Aussehens kommen. Alte Konflikte mit dem Vater
wurden nochmals aufgegriffen, wobei deutlich wurde, dass S. die zugrundeliegende
226
Trauer bereits gut verarbeitet hatte. In diesem Kontext wurden Bedürfnisse und
Wünsche, die sich an den Vater richteten, erfragt. Es wurde auch thematisiert, dass
weitere Kontakte mit dem Vater zum gegenwärtigen Zeitpunkt vermutlich nicht
zufriedenstellend verlaufen würden. S. wünschte sich daher, gemeinsam einen Brief
an den Vater zu formulieren. Die persönliche Bilanzierung mit dem Vater hat zu einer
weiteren Stabilisierung des Selbstwerts von S. beigetragen.
Mit der Mutter wurde besprochen, wie sie ihre Tochter bei der Entwicklung positiver
Gedanken unterstützen könne und in welchen Lebensbereichen sie S. noch weiter
stärken müsse. Die Mutter wurde des Weiteren dafür sensibilisiert, dass S. sehr von
regelmäßigen positiven Rückmeldungen und vom mütterlichen Lob profitiere. Als
Therapiehausaufgabe wurde die Mutter daher ergänzend gebeten, ihre Tochter
regelmäßig zu loben und soziale Kontakte zu Gleichaltrigen zu fördern.
Im weiteren Therapieverlauf wurde mit S. an der Förderung der sozialen Kompetenzen
gearbeitet. Zunächst wurde herausgearbeitet, woran man selbstsicheres Verhalten
erkenne und welche Verhaltensweisen S. zeige, die auf Selbstsicherheit schließen
lassen. In den nächsten Stunden wurde mit Hilfe von Rollenspielen trainiert, wie sie
beispielsweise Mitschüler aus ihren Kursen kennen lernen könnte. S. konnte sich gut
auf die Rollenspiele einlassen und die neu erworbenen Kompetenzen mit der Zeit
angemessen im realen Schulalltag umsetzten. S. profitierte auch sehr von den
Übungen zur Körpersprache und versuchte, z.B. bei Referaten, eine selbstsichere
Körperhaltung einzunehmen. S. hielt im weiteren Verlauf komplett unvorbereitete
Vorträge,
erzählte
Kurzgeschichten
nach
und
berichtete
-
als
weitere
Expositionsübung - im Rahmen eines kleinen Vortrags etwas Persönliches von sich.
Nach einem Vortrag in der Schule, der aus ihrer Sicht ein voller Erfolg gewesen sei,
haben die Lehrerin und Mitschüler sie sehr für ihr Auftreten gelobt, was zu einem
weiteren Zuwachs ihrer Selbstsicherheit bzw. ihres Selbstvertrauens beigetragen hat.
S. entwickelte die Interventionen des Selbstsicherheitstrainings selbständig weiter,
sprach immer häufiger mit Leuten, zu denen sie vorher noch keinen Kontakt hatte, traf
sich mit Freunden und artikulierte den Wunsch, sich in einem Fitnessstudio
anzumelden. Dort vereinbarte sie mit einer Freundin ein Probetraining und plante eine
verbindliche Anmeldung.
Die letzte Therapiephase wurde zur weiteren sozialen Aktivierung und Förderung
positiver Erlebnisse genutzt. Es wurde der Einfluss von angenehmen Aktivitäten und
227
dem Praktizieren von Achtsamkeit auf die Stimmung besprochen. In diesem
Zusammenhang
wurde
das
„Chill-Tagebuch“
zur
Dokumentation
von
Achtsamkeitsübungen eingeführt, welches S. regelmäßig als Therapiehausaufgabe
führte. Zur Vertiefung wurden auch in der Therapiestunde Achtsamkeitsübungen
(Riechen, Umgebung achtsam beobachten, Genussübungen…etc.) erprobt und
verschiedene Entspannungsübung praktiziert, die S. zu Hause trainierte. Als großer
Therapieerfolg ist zu werten, dass S. sich vermehrt am Wochenende mit Freunden traf
und unter anderem auch ihren Geburtstag, nach vielen Jahren, wieder mit anderen
Jugendlichen feierte.
Zusammenfassend zeigten sich sowohl S. als auch ihre Mutter sehr zufrieden mit dem
Behandlungsverlauf. Zur Stabilisierung der Behandlungseffekte wurden während der
Follow-up Phase einmal monatlich Termine angeboten, d.h. insgesamt drei
Therapiestunden zusätzlich, um die erzielten Therapiefortschritte
weiter zu
stabilisieren. Da es zu keinen Rückfällen während der Follow-up Phase gekommen ist,
wurde die Therapie, nach Abschluss des Studienprojekts, im gegenseitigen
Einvernehmen beendet.
7.12 Behandlungsfall 12
Angaben zur spontan berichteten und erfragten Symptomatik
Die 15-jährige Jugendliche erscheint in Begleitung der Mutter zum Erstgespräch. Sie
sei sehr schüchtern, traue sich oft im Unterricht nichts zu sagen, weil sie Angst habe
sich zu blamieren. Besondere Sorge bereite ihr, dass andere sie auslachen könnten.
Sie traue sich auch nicht zu telefonieren, da sie nicht wisse, was sie genau sagen solle.
Auch pflege sie nur wenige Kontakte zu Gleichaltrigen. Oft traue sie sich auch nicht in
den Pausen auf dem Schulhof etwas zu erzählen und stehe in der Regel stumm
daneben, während ihre Mitschüler sich unterhalten. Wenn sie dann doch allen Mut
zusammennehme, um etwas zu sagen, erröte sie, fange an zu zittern, habe
verschwitzte Hände und ihr Puls beschleunige sich. Oftmals vermeide sie deshalb im
Unterricht überhaupt etwas zu sagen. Ebenso gehe sie Konflikten aus dem Weg. Des
Weiteren berichtet A., dass sie immer wieder unter trauriger Stimmung leide,
besonders wenn sie alleine zu Hause sei. Dann fange sie oftmals an zu weinen und
könne sich zu nichts mehr motivieren. A. schlafe zudem sehr schlecht ein, grüble
abends sehr häufig stundenlag. Dabei gehe ihr immer wieder durch den Kopf, was sie
in verschiedenen sozialen Situationen gesagt habe und wie ungeschickt sie sich dabei
228
verhalten habe. Am nächsten Tag sei sie dann meist sehr müde und habe wenig
Motivation nach der Schule noch etwas zu unternehmen. Es würden vereinzelt vage
suizidale Gedanken auftreten, von suizidalen Absichten kann sich A. jedoch glaubhaft
distanzieren.
Lebensgeschichtliche Entwicklung und Krankheitsanamnese
A. sei das erste Kind des 44-jährigen Vaters, der in den Niederlanden lebe und dort
als Psychiater tätig sei, und der 43-jährigen Mutter, die aktuell Psychologie studiere.
Die Eltern haben sich während des Studiums kennengelernt und 1998 geheiratet. A.
sei ein ausdrückliches Wunschkind gewesen. Die Schwangerschaft und Geburt seien
unauffällig verlaufen. Die Meilensteine der frühkindlichen Entwicklung seien
altersgerecht erreicht worden. Sie habe allerdings erst spät mit dem Sprechen
angefangen. 2002 sei sie in die KITA gekommen. Damals sei sie ein fröhliches,
lustiges und "sonniges" Kind gewesen und habe sich gerne dargestellt. 2004 erfolgte
unvorhergesehen die Trennung der Eltern, da der Vater sich in eine andere Frau
verliebt habe. Der Vater lebe bis dato mit seiner neuen Lebensgefährtin zusammen.
Aus dieser Beziehungen seien zwei Halbgeschwister (ein und drei Jahre alt)
entstanden.
Die Mutter sei nach der abrupten Trennung in eine Krise gestürzt und habe sich
psychotherapeutisch behandeln lassen. A. habe die Verzweiflung der Mutter und die
Streitgespräche der Eltern oftmals miterlebt. Im Kindergarten wurde nach der
Trennung zurückgemeldet, dass A. neuerdings traurig sei und sich vermehrt
zurückziehe. 2005 sei die Einschulung erfolgt. A. habe in der Grundschulzeit
Leistungsprobleme gezeigt, insbesondere die Rechtschreibung sei ihr schwer
gefallen. Sie habe viele Flüchtigkeitsfehler gemacht und habe im Unterricht oft
geträumt. In einer kinder- und jugendpsychiatrischen Praxis sei die Diagnose ADS
gestellt worden. Die Mutter habe die Diagnose zu diesem Zeitpunkt abgelehnt,
woraufhin die Behandlung abgebrochen worden sei. Obwohl A. stets viel üben habe
müssen, sei sie 2009 auf ein Gymnasium gekommen. Dort habe sie viele Konflikte mit
Mitschülern gehabt, über die sie traurig gewesen sei. Damals habe A. erstmals Ängste
vor Gleichaltrigen entwickelt und vermehrt Sorge gehabt, dass "andere sie nicht mehr
mögen." Die Mutter habe daraufhin 2010 entschieden, ihre Tochter auf ein anderes
Gymnasium umzuschulen. Dort habe sie sich gut entwickelt und sei sogar zur
229
Klassensprecherin gewählt worden. Mit Beginn der Pubertät sei A. verschlossener und
trauriger geworden und habe sich mündlich in der Schule noch weniger beteiligt als
zuvor. Sie sei in diesem Zeitraum (2013) auch immer schüchterner gegenüber
Gleichaltrigen geworden und habe sich nach und nach zurückgezogen. Bei
Klassenarbeiten sei es ihr weiterhin schwer gefallen, sich zu konzentrieren, woraufhin
2014 erneut Kontakt zur psychiatrischen Praxis aufgenommen worden ist. Daraufhin
sei eine Behandlung mit Medikinet ret. 30 mg eingeleitet worden. Seitdem zeige A.
eine deutlich bessere Konzentration bei Leistungsanforderung. Ihr falle auch das
Lernen leichter und sie könne besser dem Unterricht folgen.
A. habe zwar einen Freundeskreis im weiteren Sinne, pflege aber keine engen
freundschaftlichen Beziehungen zu Gleichaltrigen. An Ressourcen benennt A., dass
die einmal wöchentlich tanzen gehe und Klavierunterricht nehme. Ansonsten verbringe
sie viel Zeit zu Hause, zeichne, höre Musik und spiele Klavier. Gelegentlich treffe sie
sich auch mit Freunden.
Psychischer Befund zum Zeitpunkt der Antragstellung
A. wirkt zunächst zurückhaltend im Kontakt, zeigt sich aber zugänglich und ist dabei
emotional schwingungsfähig. Deutliche Angst vor negativen Bewertungen, im Rahmen
einer sozial phobischen Symptomatik mit sozialen Rückzugstendenzen. Trauriger
Affekt mit mangelndem Selbstvertrauen, ausgeprägten Grübeleien und Selbstkritik.
Einschlafschwierigkeiten, in Verbindung mit Müdigkeit tagsüber und verminderter
Konzentrationsfähigkeit in der Schule. Vereinzelte vage suizidale Gedanken, keine
Selbstverletzungen
und
Vordiagnostiziertes
ADS
auch
ohne
keine
Suizidversuche
Hyperaktivität.
Kein
in
der
Vorgeschichte.
aggressiv-oppositionelles
Verhalten. Kein Anhalt für Tics, Zwänge oder gestörtes Essverhalten. Sporadisch
Alkoholkonsum, kein Drogenabusus. Keine akute Eigen- oder Fremdgefährdung.
Diagnostische Befunde:
Im YSR ergaben sich Hinweise auf sozialen Rückzug (T=67) und eine ängstlichdepressive Symptomatik (T=67). In der CBCL ergeben sich auffällige Werte in den
Bereichen sozialer Rückzug (T=75), körperliche Beschwerden (T=77), ängstlichdepressive Symptomatik (T=75) und Aufmerksamkeitsprobleme (T=79). Im SBB-DES
des DISYPS-II ergibt sich ein Wert im auffälligen Bereich (SN 8), im DIKJ zeigen sich
230
ebenfalls Anzeichen einer depressive Stimmungen (T=68). Auch im FBB-DES
(Fremdurteil der Mutter) zeigen sich deutliche Hinweise auf das Vorliegen einer
depressiven Symptomatik (SN 9). In der RSES wurde ein weit unterdurchschnittlicher
T-Wert von 16 ermittelt, der auf eine massive Selbstwertstörung hindeutet. Die
Befunde
decken
sich
insgesamt
mit
dem
klinischen
Urteil
und
weisen
zusammengefasst auf eine depressive Störung, in Verbindung mit einer sozialen
Phobie, hin.
Somatischer Befund – ärztlicher Konsiliarbericht
Eine Indikation für eine psychotherapeutische Behandlung liegt vor. Die Fortsetzung
der niederschwellligen kinder- und jugendpsychiatrischen Begleitbehandlung incl.
Medikationsmonitoring wurde empfohlen.
Bedingungs- und Verhaltensanalyse
Verhaltensanalyse
Bei A. liegen neben einer Aufmerksamkeitsstörung ohne Hyperaktivität, die
medikamentös mit Medikinet ret. 30 mg behandelt wird, eine soziale Phobie sowie eine
depressive Symptomatik - mit einer deutlichen Selbstwertproblematik - vor. So fällt es
ihr beispielsweise schwer unbekannte Jugendliche anzusprechen und sich im
Unterricht zu melden. A. zeigt u. a. eine traurige Stimmung, Grübeltendenzen,
Einschlafschwierigkeiten, verminderte Energie und Lustlosigkeit.
Für das schüchterne und ängstliche Verhalten scheint eine familiäre Disposition zu
bestehen, da neben A. sowohl der Vater als auch die Mutter eher introvertiert sind und
Schwierigkeiten haben offen auf andere zuzugehen. Die Mutter berichtet, dass sie die
ängstlich-depressive Symptomatik aus ihrer eigenen Jugend kenne. A. konnte
demnach in der Familie nur sehr bedingt anhand von adäquaten Modellen
selbstbewusstes Auftreten und ein angemessenes Vertreten der eigenen Bedürfnisse
erlernen. A. zeigte sich zudem sehr durch kritische Lebensereignisse in ihrer Kindheit
verunsichert, wie beispielsweise die Trennung der Eltern oder den Umzug des Vaters
in die Niederlande. A. lernte im Entwicklungsverlauf nur unzureichend Konflikte
adäquat anzusprechen und aktiv zu lösen. Vor allem in Bezug auf Probleme im
Gleichaltrigenverband reagiert A. deshalb verunsichert, kann ihre eigenen Interessen
nicht vertreten und versucht folglich solche Situationen zu vermeiden.
231
Die früh einsetzende Aufmerksamkeitsproblematik sowie die damit einhergehenden
Misserfolgserlebnisse in der Schule, haben A.´s Selbstwert nachhaltig vermindert.
Aufgrund fehlender aktiver Problemlösestrategien, reagiert A. bei Kritik und
Konfrontationen ausschließlich mit Rückzug. Ihr gelingt es hierbei nicht, sich mit den
Problemen auseinander zu setzen und Situationen in die gewünschte Richtung zu
verändern. Durch die Verminderung sozialer Aktivitäten, konnten bis dato keine
korrektiven Erfahrungen mit Jugendlichen gemacht werden. In der Folge nahmen die
Selbstzweifel und die soziale Unsicherheit zu und führten zu einer nachhaltigen
Verschlechterung der Stimmung bzw. zur Manifestation einer Selbstwertstörung.
Gleichzeitig zeigt A. hohe perfektionistische Ansprüche an sich selbst, die sie im
sozialen und schulischen Bereich bis dato nicht erfüllen kann. Diese überhöhten
Ansprüche stabilisieren zusätzlich die Stimmungs- und Selbstwertproblematik.
Mikroanalyse:
Situation:
A. geht mit einer Freundin spazieren. Sie treffen eine
Klassenkameradin der Freundin.
Organismus-
niedriger Selbstwert, negative Denkmuster,
variablen:
Perfektionismus, Unsicherheit
R kognitiv:
„Mist, ich sage schon wieder nichts.“ „Ich blamiere mich.“
Mir fällt nichts ein, was ich erzählen könnte.“
R emotional:
traurig, niedergeschlagen, enttäuscht, ängstlich
R physiologisch:
körperliche Anspannung, Nervosität, verschwitzte Hände
R motorisch:
Sagt gar nichts und geht einfach nur mit
Konsequenzen:
C+
Fühlt sich aufgrund der Vermeidung kurzfristig sicher
C-
soziale Unsicherheit und negatives Selbstbild
manifestieren sich, langfristig Gefahr der sozialen
Desintegration.
C+
Findet keine Beachtung im Freundeskreis. Kann keine
sozialen Kompetenzen trainieren. Entwicklung neuer
Freundschaften durch Vermeidungsverhalten kaum
möglich.
C-
Anspannung lässt nach. Verhindert durch ihr Schweigen,
von anderen negativ bewertet zu werden.
232
MAS-Diagnosen nach ICD-10
Achse I:
Leichte depressive Episode (F 32.0) (G)
Soziale Phobie (F40.1) (G)
Sonstige hyperkinetische Störung (F90.8) (G)
Achse II:
Keine
Achse III:
Durchschnittliche Intelligenz
Achse IV:
Keine
Achse V:
abweichende Elternsituation
Achse VI:
Mäßige soziale Beeinträchtigung (3)
Therapieziele und Prognose
In Absprache mit der Patientin und der Mutter wurden folgende Therapieziele
festgelegt:
1. Verminderung von Gedankenkreisen und Grübeln
2. Aufbau von funktionalem Schlafverhalten
3. Entwicklung von Affektregulationsstrategien und Stabilisierung der Stimmungsschwankungen
4. Unterstützung bei der sozialer Aktivierung und sozialen Integration
5. Reduktion der Bewertungsängste
6. Förderung
eines
positiven
Selbstbildes
und
der
eigenen
Kompetenzwahrnehmung
7. Stärkung der Konfliktfähigkeiten und Selbstsicherheit
Die Patientin wünscht sich keine weitere Behandlung der ADS, da sie keine
Lernorganisationsschwierigkeiten mehr habe und sich die Konzentration unter
Medikation deutlich verbessert habe. Die Patientin zeigt sich bereits in den
probatorischen Sitzungen motiviert und nimmt die Termine zuverlässig wahr. Sie hat
eine ausreichend hohe Therapiemotivation und möchte, dass sich an ihren sozialen
Schwierigkeiten sowie ihrer schlechten Stimmung etwas verändert. Die Mutter
unterstützt A. angemessen und ist ebenfalls motiviert, etwas zu verändern. Insgesamt
kann vor dem Hintergrund der noch nicht auf alle Lebensbereiche generalisierten
Störung von einer günstigen Prognose ausgegangen werden. Die ausgewählten
233
Behandlungsmethoden sind evidenzbasiert. Der Therapieverlauf wird als hinreichend
erfolgreich prognostiziert.
Therapieplan
Jugendlichenzentrierte Interventionen:
1. Erprobung verschiedener Techniken zur Verbesserung der Schlafhygiene.
Einführen eines Schlafprotokolls und Selbstbelohnung bei vermindertem Grübeln.
2. Einüben und regelmäßiges Praktizieren eines Entspannungsverfahrens (z. B.
Progressive Muskelrelaxation, Autogenes Training).
3. Erstellen einer Angsthierarchie von Situationen, die zu sozialer Unsicherheit
führen. Graduierte Expositionsübungen, wie z.B. fremde Jugendliche ansprechen,
sich in ein Gruppengespräch einbringen… (Übungen in Form von Rollenspielen
und realen sozialen Situationen).
4. Einführen eines Stimmungstagebuchs, um A. den Zusammenhang zwischen
negativen Gedanken und schlechter Stimmung zu verdeutlichen und Ursachen für
die Stimmungstiefs herauszuarbeiten.
5. Korrektur dysfunktionaler Denkmuster (z.B. „Ich muss perfekt sein“, „Ich blamiere
mich gleich wieder“). Überprüfung selbstabwertender Kognitionen und Ersetzen
durch funktionale, selbstwertstärkende Gedanken (z.B. „Ich bin eine talentierte
Klavierspielerin“). Einüben von positiven Selbstverbalisationen (z.B. „Ich bin mit mir
zufrieden“, „Ich mag mich").
6. Erlernen von Techniken, die das Grübeln unterbrechen (z.B. Gedankenstopp).
7. Ressourcenaktivierung: Herausarbeitung individueller Stärken (Fußball spielen,
singen, tanzen) und Ressourcen. Fokussierung auf positive Aktivitäten.
8. Erlernen von funktionalen sozialen Kompetenzen und Kommunikationsstrategien,
um Konflikte im Gleichaltrigenbereich besser zu
bewältigen. Erprobung und
Festigung der neu erworbenen Kompetenzen im Rollenspiel und in typischen
Alltagssituationen.
Elternzentrierte Interventionen:
1. Unterstützung bei der Verselbständigung und Förderung der Autonomie von A.
2. Stärkung der Erziehungskompetenzen im Umgang mit der rückzügigen Tochter.
234
Behandlungsverlauf
Die Therapie der Jugendlichen fand unter Einbezug der Mutter statt. Der Vater konnte
aufgrund der Entfernung nicht in die Therapie mit einbezogen werden. A. nahm die
Termine zuverlässig wahr und stand einer therapeutischen Behandlung ihrer
Stimmungs- und Selbstwertstörung durchweg positiv gegenüber. Besonders wichtig
war A. und ihrer Mutter die Bearbeitung der sozialen Unsicherheit und Schüchternheit,
da A. sich dadurch zunehmend aus verschiedenen sozialen Bereichen, in denen sie
auf Gleichaltrige treffen könnte, zurückziehe.
Zu Beginn der Behandlung wurden, neben der Anamnese und einer ausführlichen
Problemanalyse, vor allem zugrundeliegende Ressourcen, Hobbies und Interessen
der Jugendlichen thematisiert, wie malen, Klavier spielen, lesen oder tanzen. Mit A.
wurden in den folgenden Stunden eine detaillierte Problemdefinition sowie eine klare
Zielvereinbarung
erarbeitet.
Sie
selbst
nannte
als
ihr
Hauptproblem
sehr
zurückhaltend, „leise“ und „unauffällig“ zu sein und oftmals auf Anfragen anderer
schüchtern zu reagieren. Ebenso habe sie oft das Gefühl, im Gleichaltrigenverbund
nicht dazu zu gehören. Sie habe Angst, die Erwartungen Anderer nicht zu erfüllen und
vermeide deshalb Situationen, in denen selbstbewusstes Auftreten erforderlich sei.
Daraus resultiere, dass sie oft traurig sei, da sie aufgrund ihrer sozialen
Rückzugstendenzen oft allein sei. In diesem Zusammenhang wurden die Vor- und
Nachteile der Probleme „Schüchternheit“, „sozialer Rückzug“ und „traurige Stimmung“
besprochen. Vorteile ihres Problemverhaltens sah A. u.a. darin, dass ihre Vorsicht sie
vor Enttäuschungen bewahre und eine mögliche Blamage verhindere. A. konnte auch
gut die mit dem Problemverhalten assoziierten Nachteile beschreiben. So benannte
sie beispielsweise, dass sie aufgrund ihrer sozialen Rückzugstendenzen keine neuen
Jugendlichen kennenlernen könne, schlechte mündliche Noten erhalte und dass
infolgedessen ihre Traurigkeit zunehme und zur Verfestigung eines negativen
Selbstbildes
beitrage.
Im
Rahmen
der
Entwicklung
eines
individuellen
Störungsmodells wurden gemeinsam mit A. und ihrer Mutter mögliche Ursachen und
potentielle aufrechterhaltende Faktoren der sozialen Ängstlichkeit sowie der
Stimmungs- resp. Selbstwertstörung erarbeitet.
In der ersten Therapiephase stand die Förderung einer positiven Selbstwahrnehmung
im Vordergrund. Mit A. wurden ihre persönlichen Stärken analysiert. A. konnte dabei
einige Stärken benennen, wie z.B. gut zeichnen und Klavier spielen zu können. An
235
positiven Eigenschaften wurde ihre Fairness und Freundlichkeit gegenüber anderen
herausgearbeitet. Eigene Schwächen zu benennen fiel ihr dagegen schwer, vermutlich
schämte sie sich diese offen zu benennen. In den folgenden Stunden wurde an der
Fokussierung persönlicher Stärken und Relativierung vermeintlicher Schwächen
gearbeitet. Es wurden weitere Interessen sowie schöne Erlebnisse der letzten Monate
gesammelt. Um ihr zu verdeutlichen, dass sie in ihrem Leben bereits viele schöne
Dinge erlebt hat, wurde zusätzlich eine Lebenslinie mit den wichtigsten positiven
Lebensereignissen erstellt. A. sollte vertiefend als Hausaufgabe täglich protokollieren,
welche positiven Erfahrungen sie im Verlauf der Woche gesammelt hat. Zeitgleich
wurde mit der Mutter erarbeitet, wie sie die positiven Eigenschaften ihrer Tochter
hervorheben kann und die Wichtigkeit positiver Verstärkung resp. des regelmäßigen
Lobens wurde besprochen. Die Mutter konnte die positiven Erziehungsstrategien gut
umsetzen, nannte in diesem Kontext aber auch die Schwierigkeit ihres Exmannes, sich
positiv gegenüber der gemeinsamen Tochter zu äußern und diese zu loben.
Einen weiteren Themenschwerpunkt stellte im Therapieverlauf das Hinterfragen
zugrundeliegender persönlicher Überzeugungen von A. dar. Zunächst wurde
psychoedukativ
der
Zusammenhang
zwischen
sozialen
Interaktionen
mit
Gleichaltrigen, den daraus resultierenden „Katastrophengedanken“ (z.B. „Ich stelle
mich doof an, gleich lachen bestimmt alle“) und dazugehörigen Gefühlen (z.B. Angst,
Scham und Unbehagen) besprochen, die in der Folge zu ungünstigem Verhalten (z.B.
Vermeidung) führen. A. konnte viele Beispiele benennen, die den „Teufelskreis der
Angst“ bestätigen und hat das Konzept schnell internalisiert. Daran anknüpfend
wurden im Sinne einer graduierten Exposition verschiedene Konfrontationsübungen
vereinbart, wie z.B. sich häufiger im Unterricht zu melden oder ein Kurzreferat vor der
Klasse zu halten. Mit A. wurden in diesem Kontext ungünstige Gedanken gesammelt,
die ihr in sozialen Situationen durch den Kopf gehen, wie z.B. „alle merken, dass ich
stottere“, „ich werde rot“ oder „die denken, ich bin dumm“ etc. Für die dysfunktionalen
Kognitionen
wurden
im
weiteren
Verlauf
möglichst
positive,
realistische,
kontraphobische Gedanken entwickelt. Des Weiteren wurde ein Experiment gestartet,
bei dem A. einen Text vorlesen sollte und sich im ersten Durchlauf auf negative
Gedanken konzentrieren sollte und in einem zweiten Durchlauf ausschließlich auf
positive Gedanken. Beide Durchläufe wurden auf Video aufgenommen und es wurde
besprochen, welche Unterschiede A. zwischen beiden Situationen ausgemachen
236
konnte. Ziel der Übung war, A. zu verdeutlichen, dass sich negative Kognitionen nicht
nur negativ auf den Affekt, sondern auch auf die Performanz in der Schule auswirken.
Als Therapiehausaufgabe sollte A. unterstützend Gedankenprotokolle führen und
dokumentieren, in welchen Situationen sie negativ gedacht hat und anschließend
einen alternativen positiven Gedanken zu der Situation entwickeln. In den folgenden
Stunden wurden Denkfehler mit A. thematisiert, die im nächsten Schritt auf ihren
Realitätsgehalt geprüft wurden. Sowohl die Mutter, als auch A. berichteten in dieser
Therapiephase, dass die intensive Korrektur negativer, unrealistischer Gedanken zu
einer positiveren Selbstwahrnehmung und Verbesserung der Stimmung beigetragen
haben. Zur Stimmungsverbesserung haben auch maßgeblich Interventionen, wie die
Fokussierung auf positive Erlebnisse oder Maßnahmen zur Aktivitätssteigerung,
beigetragen. A. hat in diesem Zeitraum auch wieder angefangen, sich vermehrte mit
ihren Freundinnen zu treffen und ist seitdem nicht mehr so traurig.
Im Rahmen der Elternarbeit wurden mit der Mutter ebenfalls die Zusammenhänge
zwischen negativen Gedanken, den Gefühlen von Traurigkeit resp. Angst, sowie dem
daraus resultierenden Rückzugsverhalten, besprochen. Die Mutter thematisierte in
diesem Kontext, dass es ihr schwer falle, in bestimmten Situationen konsequent zu
bleiben. So trödele A. beispielsweise morgens oft und erwarte dann, dass ihre Mutter
sie zur Schule fahre. Mit der Mutter und A. wurde daraufhin vereinbart, dass A.
selbständig zur Schule fahren solle und bei übermäßigem Trödeln notfalls ein
Zuspätkommen in Kauf nehmen müsse. Mit der Mutter wurde weiterhin besprochen,
dass sie ihrer Tochter mehr Eigenverantwortung übertragen müsse und thematisiert,
wie sie A. in ihrer Selbständigkeitsentwicklung fördern könne.
Parallel zur Förderung der Verselbständigung erfolgte abschließend ein soziales
Kompetenztraining mit der Jugendlichen. Mit A. wurden verschiedene Situationen
erarbeitet,
in
denen
sie
selbstsicheres
Auftreten
und
altersentsprechende
Kommunikationsmöglichkeiten trainieren könne. So übte A. zunächst im geschützten
therapeutischen Setting und später auch in realen Alltagssituationen, z.B. mit
jemandem zu telefonieren, in einem Geschäft etwas zu fragen oder sich mit jemandem
aus der Klasse zu unterhalten. Unterstützend wurden Rollenspiele zur Festigung der
neu erworbenen Kompetenzen eingesetzt, die auf Video aufgezeichnet wurden, um
die Situationen detailliert nachbesprechen zu können. Die Besprechungen der
237
einzelnen Videosequenzen dienten auch dazu, das selbstsichere Auftreten konkret zu
visualisieren und A. zu verdeutlichen, dass sie die Aufgaben souverän meistert.
Ergänzend wurden diverse Übungen zur selbstsicheren Körpersprache praktiziert und
verschiedene Gefühle wurden pantomimisch dargestellt. Obwohl A. von diesen
Übungen merklich profitierte, waren ihr die Übungen sichtlich unangenehm. Trotz
deutlicher Anspannung konnte sie sich auf die einzelnen Übungen gut einlassen. A.
gelang es zum Ende des Studienprojektes hin verhältnismäßig gut, das neu erlernte
Verhalten auf ihren persönlichen Lebenskontext zu übertragen.
Besonders
hervorzuheben sind die Therapieerfolge in Bezug auf die Stabilisierung des
Selbstwerts und die Stärkung der sozialen Integration in den Gleichaltrigenverbund.
Des Weiteren konnte auch eine deutliche Verbesserung der Stimmung im Verlauf der
Behandlung etabliert werden. Da die soziale Phobie nach Studienabschluss auch
weiterhin in behandlungsbedürftigem Ausmaß vorhanden war, wurde mit der Familie
beschlossen, die Therapie nach Abschluss der Studie fortzusetzen.
238
7 Ergebnisse
7.1 Stichprobenbeschreibung
In die Pilotstudie wurden insgesamt 12 Jugendliche im Alter von 12;0 bis 18;0 Jahren
eingeschlossen. Insgesamt nahmen elf Mädchen (91,7%) und ein Junge (8,3%) an der
Studie teil.
Tabelle 6: Deskriptive Stichprobenbeschreibung
Deskriptive Stichprobencharakteristika
Alter in Jahren: M (SD)
15;4 (1,79)
Altersrange in Jahren
12;0 – 18;0
Geschlechtsverteilung: N (%)
11 Mädchen (91,7 %)
1 Junge (8,3 %)
IQ: M (SD); IQ-Range
99 (11,8); 82 – 120
Kennwert Symptomstärke im SBBDES zu Behandlungsbeginn
(MZP2): M (SD) SN
1,14 (0,33) (≙ Stanine 9)
Kennwert Symptomstärke im FBBDES (Elternurteil) zu Behandlungsbeginn (MZP2): M (SD) SN
0,94 (0,34) (≙ Stanine 9)
M = arithmetisches Mittel SD = Standardabweichung N = Anzahl % = prozentualer Anteil
SN = Stanine
7.1.1 Soziodemographische Merkmale der Stichprobe
Das durchschnittliche Alter der Probanden betrug 15;4 Jahre (SD=1,79). Der
Altersrange bei Behandlungsbeginn reichte von 12;0 Jahren bis 18;0 Jahren.
239
18 J.
N=1
12 J.
N=1
13 J.
N=1
14 J.
N=1
17 J.
N=3
16 J.
N=1
15 J.
N=4
Abbildung 8: Altersverteilung der Stichprobe
7.1.1.1 Schulische / berufliche Platzierung und kognitiver Leistungsstand
Zu Studienbeginn besuchten acht Jugendliche die weiterführende Schule und zwei
Jugendliche
ein
Berufskolleg,
beide
haben
einen
abgeschlossenen
Realschulabschluss. Zwei weitere Jugendliche waren arbeitssuchend, wovon ein
Jugendlicher (unmittelbar nach Beginn der Studie) den Besuch des Gymnasiums im
11. Schuljahr abgebrochen hatte. Der andere arbeitssuchende Jugendliche hatte
einen Hauptschulabschluss nach Klasse 9 und plante perspektivisch an einer
beruflichen Integrationsmaßnahme des Arbeitsamtes teilzunehmen und die Zeit bis zu
Beginn der Maßnahme mit Praktika zu überbrücken. Beide Jugendliche befanden sich
zu Beginn der Pilotstudie in einer beruflichen Orientierungsphase und hatten zu
diesem Zeitpunkt noch keinen konkreten Berufsweg eingeschlagen.
240
Gymnasium
n=3
Abbildung 9: Schulische Platzierung der Probanden
Der prozentuale Anteil an Schülern, die ein Gymnasium oder eine Gesamtschule
besuchten, betrug zusammengenommen 50 %. Drei Schüler waren Gymnasiasten und
weitere drei Jugendliche waren Gesamtschüler. Ein Jugendlicher besuchte eine
Hauptschule, einer die Realschule, zwei Jugendliche gingen auf ein Berufskolleg und
zwei weitere Jugendliche besuchten nicht mehr die Schule, d.h. waren arbeitssuchend.
Tabelle 7: Prozentualer Anteil der Probanden in Bezug auf die besuchte Schul- / Berufsform
Schul-/Berufsform:
Prozentualer Anteil der Probanden
Hauptschule
8,3 %
Realschule
8,3 %
Gymnasium
25,0 %
Gesamtschule
25,0 %
Berufskolleg
16,7 %
Kein Schulbesuch / arbeitssuchend
16,7 %
Sofern keine aktuelle Leistungsdiagnostik der Probanden zu Studienbeginn vorlag,
wurde, zur Überprüfung des Einschlusskriteriums (IQ > 80), mittels eines
mehrdimensionalen Intelligenztests der IQ ermittelt. Der IQ-Range der Jugendlichen
reichte von 82 bis 120 Punkten (Standardwerte SW) und deckte somit das gesamte
Spektrum der als durchschnittlich definierten kognitiven Leistungsfähigkeit ab.
241
Einer der insgesamt 12 Patienten zeichnete sich durch ein überdurchschnittliches
Leistungsprofil aus (Gesamt-IQ 120). Der durchschnittliche IQ der Probanden betrug
SW = 99, bei einer Standardabweichung von SW = 11,8.
7.1.1.2 Familienkonstellation und sozio-ökonomische Merkmale der Familien
Elf Jugendliche lebten zu Studienbeginn in ihrer sozialen Herkunftsfamilie, d.h. bei
mindestens
einem
leiblichen
Elternteil.
Eine
Jugendliche
war
vollstationär
untergebracht in einer Einrichtung der Jugendhilfe. Sechs Jugendliche (50 %) lebten
gemeinsam mit ihren beiden Elternteilen zusammen. Fünf Jugendliche lebten,
aufgrund der Trennung der Eltern, nur bei einem leiblichen Elternteil und eine
Jugendliche lebte mit ihrer Mutter zusammen, da der Vater verstorben ist.
Vier Jugendliche hatten keine Geschwister, die anderen acht Jugendlichen hatten ein
bis drei Geschwister. Die Aufteilung der Geschwister in den Familien sah wie folgt aus:
Keine Geschwister
N=4
Ein Geschwisterkind
N=4
Zwei Geschwisterkinder
N=3
Drei Geschwisterkinder
N=1
Betrachtet man den sozio-ökonomischen Status der Familien, der mittels der
Basisdokumentation resp. im Rahmen der Exploration erhoben wurde, lässt sich
feststellen, dass alle Familien in finanziell gesicherten Verhältnissen lebten und kein
Elternteil von Arbeitslosigkeit bedroht war. Lediglich eine Familie wies einen niedrigen
sozio-ökonomischen Status auf. Eine Familie zeichnete sich durch einen hohen sozioökonomischen Status aus, während alle übrigen zehn Familien einen mittleren sozioökonomischen Status vorwiesen.
7.1.2 Primäre ICD-10-Diagnosen und komorbide Symptomatik zu Behandlungsbeginn
Fünf Patienten (41,5% der Stichprobe) erhielten als primäre ICD-10-Diagnose eine
mittelgradige depressive Episode (F32.1), zwei Patienten (16,7 %) erhielten eine
leichte depressive Episode (F32.0) als Eingangsdiagnose und ein Patient (8,3 %) eine
rezidivierende depressive Störung mit gegenwärtig mittelgradiger Episode (F33.1). Bei
einem Patienten (8,3 %) wurde eine Anpassungsstörung mit längerer depressiver
242
Reaktion (F43.21) diagnostiziert und bei drei Patienten (24,9 %) eine sonstige
emotionale Störung des Kindesalters (F93.8).
Abbildung 10: Primäre Diagnosen nach ICD-10 zu Behandlungsbeginn
Ein Teil der Patienten (N = 5) wies zu Behandlungsbeginn, neben der primären
Diagnose, zusätzlich mindestens eine weitere psychische Störung auf. Die Häufigkeit
der
komorbiden
Diagnosen
verteilte
sich
in
der
Stichprobe
wie
folgt
(Mehrfachnennungen möglich):
Soziale Phobie (F40.1)
N=4
Isolierte Phobie (F40.2)
N=1
Sonstige hyperkinetische Störung (F90.8)
N=1
7.1.3 Vor- und Begleitbehandlungen
Ein Studienteilnehmer erhielt bereits im Kindesalter eine psychotherapeutische
Behandlung (zu Studienbeginn abgeschlossen), zwei eine ambulante kinder- und
jugendpsychiatrische Behandlung (zu Studienbeginn abgeschlossen) und zwei
weitere eine stationäre psychiatrische Behandlung. Zwei Jugendliche waren vor
Studienbeginn
zur
akuten
Krisenintervention
stationär
in der
Kinder-
und
Jugendpsychiatrie untergebracht. Des Weiteren erhielt ein Jugendlicher im Kindesalter
eine ergotherapeutische Behandlung. Drei Patienten erhielten während der Studie
begleitend eine niederschwellige kinder- und jugendpsychiatrische Begleitbehandlung
mit maximal drei Terminen im Quartal.
243
Zu Studienbeginn erhielt kein Patient eine medikamentöse AntidepressivaBehandlung.
Jedoch
Interventionsphase,
wurde
zur
im
Verlauf
emotionalen
der
Studie,
Stabilisierung
d.h.
einer
während
Patientin,
der
eine
medikamentöse Begleitbehandlung mit Fluoxetin (20 mg p/d) eingeleitet. Eine weitere
Patientin begann in der Follow-up-Phase mit einer medikamentösen AntidepressivaBehandlung (15 mg Escitalopram p/d). Eine Jugendliche mit diagnostizierter
Aufmerksamkeitsdefizit-Störung
erhielt
bereits
vor
Studienbeginn
eine
Methylphenidat-Behandlung mit Medikinet ret. 30 mg p/d. Die Dosis wurde im
gesamten Studienzeitraum konstant beibehalten.
7.2
Primäre Analysen
Es konnte lediglich bei fünf Jugendlichen ein Lehrerurteil (FBB-DES, TRF) erhoben
werden. Dies lag unter anderem daran, dass ein Teil der Jugendlichen nicht mehr die
Schule besuchte bzw. einige Jugendliche nicht damit einverstanden waren, dass
Fragebögen an die Lehrer verteilt werden. Aufgrund der wenigen vorliegenden
Lehrerfragebögen wurde das Lehrerurteil nicht in die statistischen Auswertungen
einbezogen. Die Auswertung der Behandlungs-Compliance und BehandlungsIntegrität erfolgt im Rahmen einer anderen Forschungsarbeit und wird im weiteren
Verlauf nicht weiter beschrieben.
Im Folgenden werden zunächst die Forschungshypothesen, die bereits im Kapitel 5.3
dargestellt wurden, wiederholt. Daran anknüpfend werden tabellarisch die realen
Mittelwerte und Standardabweichungen, die für die einzelnen diagnostischen
Verfahren
ermittelt
vorhergesagten
wurden,
sowie
Regressionsgeraden
Verlaufshypothesen
(generelle
die
durch
präsentiert.
Verlaufseffekte
Multilevel-Modelling
Neben
der
der
(MLM)
Testung
der
Interventionsphase)
und
Stabilitätshypothesen (Stabilität der Effekte im Follow-up-Zeitraum) wurde zur
Überprüfung
der
spezifischen
Effekthypothesen
(inkrementelle
Effekte
der
Intervention) für jeden Outcomeparameter die Steigung der Wartezeit in Relation zur
Steigung der Interventionszeit gesetzt um somit die inkrementellen Effekte der
Behandlung durch MLM zu ermitteln. Die inkrementellen Effekte der Intervention
werden ebenfalls tabellarisch dargestellt. Anschließend folgen die Darstellung der
jeweiligen Effektstärken der Baseline-, Interventions- und Follow-up-Phase sowie die
grafische Präsentation der durch MLM vorhergesagten Werte der Warte-,
Interventions- und Follow-up-Phase.
244
7.2.1 Reduktion der depressiven Symptomatik und Steigerung der
Kompetenzen im Selbst- und Fremdurteil (SBB-DES, FBB-DES, DIKJ)
1. Hypothese:
a) Die depressive Symptomatik verringert sich signifikant im Behandlungsverlauf
und die Kompetenzen der Jugendlichen nehmen im Verlauf der Therapie
signifikant zu (genereller Verlaufseffekt).
b) Die depressive Symptomatik verringert sich signifikant stärker in der Treatmentals in der Wartephase und die Kompetenzen verbessern sich in der
Treatmentphase signifikant mehr als in der Wartezeit (Therapieeffekt).
c) Die während der Interventionsphase erzielten Effekte hinsichtlich der
Symptomreduktion sowie der Kompetenzsteigerung sind zeitlich stabil, d.h. es
zeigen sich keine signifikanten Verschlechterungen der Effekte zwischen der
Interventions- und der Follow-up-Phase (Stabilitätseffekt).
SBB-DES Mittelwerte und geschätzte Regressionsgeraden
Tabelle 8: Mittelwerte (M), Standardabweichungen (SD), durch MLM vorhergesagte
Werte SBB-DES Symptomstärke
Geschätzte
Regressionsgerade
MZP1
MZP2
MZP3
MZP4
MZP5
MZP6
MZP7
M
(SD)
M
(SD)
M
(SD)
M
(SD)
M
(SD)
M
(SD)
M
(SD)
1,33
(0,44)
1,14
0,94
0,73
0,65
0,48
0,48
(0,33)
(0,50)
(0,46)
(0,40)
(0,55)
(0,49)
1,33
1,11
0,95
0,79
0,63
0,46
0,45
Tabelle 9: Mittelwerte (M), Standardabweichungen (SD) und durch MLM vorhergesagte
Werte SBB-DES Kompetenzskala
Geschätzte
Regressionsgerade
MZP1
MZP2
MZP3
MZP4
MZP5
MZP6
MZP7
M
M
M
M
M
M
M
(SD)
(SD)
(SD)
(SD)
(SD)
(SD)
(SD)
1,06
1,25
1,48
1,64
1,69
2,08
1,86
(0,35)
(0,67)
(0,67)
(0,58)
(0,55)
(0,60)
(0,64)
1,06
1,25
1,44
1,63
1,81
2,00
1,92
245
Tabelle 8 und 9 zeigen
für den
SBB-DES
die realen Mittelwerte
und
Standardabweichungen sowie die durch MLM vorhergesagten Regressionsgeraden.
Die Darstellung der Werte erfolgt getrennt für die Symptomstärke und die
Kompetenzen. Bereits die visuelle Inspektion der Mittelwerte und vorhergesagten
Werte zeigt einen Trend in Richtung Reduktion der Symptomatik bzw. eine Zunahme
der Kompetenzen im Verlauf der Behandlung.
SBB-DES: Verlaufs-, Therapie- und Stabilitätseffekte
Tabelle 10 zeigt die generellen Verlaufseffekte der Interventionsphase (GVE
Intervention) für die Symptomstärke und die Kompetenzskala des SBB-DES, sowie die
inkrementellen Effekte der Interventionsphase (Therapieeffekte). Des Weiteren
werden die geschätzten absoluten Steigungen der Follow-up-Phase dargestellt
(Stabilitätseffekte).
Tabelle 10: SBB-DES, Schätzung der festen Effekte durch MLM, Verlaufs-, Therapie- und
Stabilitätseffekte
GVE Intervention
Geschätzte
Steigung
B
Standardfehler
SE
Freiheitsgrade
df
-0,16
0,02
47,00
-7,72
<.001
0,05
0,06
58,00
0,52
.303
-0,01
0,03
10,10
-0,34
.372
0,18
0,02
47,00
6,87
<.001
-0,00
0,16
58,00
-0,03
.489
-0,08
0,06
9,93
-1,33
.107
t
Signifikanz
p
Symptomstärke
Inkrementeller
Effekt Intervention
Symptomstärke
Follow-up
Symptomstärke
GVE Intervention
Kompetenzen
Inkrementeller
Effekt Intervention
Kompetenzen
Follow-up
Kompetenzen
246
Im SBB-DES konnte für die Symptomstärke über den Interventionszeitraum von MZP
2 bis 6 (genereller Verlaufseffekt der Interventionsphase, GVE Intervention) eine
signifikante Symptomreduktion erzielt werden (b = -0,16, p < .001), was die formulierte
Hypothese
der
signifikanten
Reduktion
der
depressiven
Symptomatik
im
Therapieverlauf, im Selbsturteil der Patienten, bestätigt. Betrachtet man die
Ergebnisse der Kompetenzskala des SBB-DES, zeigt sich auch hier ein signifikanter
genereller Verlaufseffekt (b = 0,18, p < .001), d.h. die Kompetenzen der Jugendlichen
haben sich - hypothesenkonform - im Verlauf der Behandlung signifikant verbessert.
In Bezug auf die Symptomskala des SBB-DES ist der inkrementelle Effekt der
Interventions-Phase – entgegen der Hypothese – nicht signifikant. In der Follow-up
Phase zeigt sich, entsprechend der postulierten Hypothese, keine signifikante
Veränderung der Symptomatik, d.h. die Effekte bezogen auf die Symptomreduktion
bleiben auch im Follow-up-Zeitraum stabil.
Hinsichtlich der Kompetenzskala des SBB-DES fällt auf, dass sich, in Relation zur
Wartezeit,
kein
signifikanter
inkrementeller
Behandlungseffekt
bzgl.
der
Kompetenzentwicklung in der Interventionsphase ermitteln ließ. Dieses Ergebnis
entspricht nicht der postulierten spezifischen Therapieeffekt-Hypothese. Im Follow-up
bleiben die Effekte stabil, was wiederum die formulierte Stabilitätshypothese der
Effekte in Bezug auf die Kompetenzen der Jugendlichen stützt.
Tabelle 11: Effektstärken Baseline-, Treatment- und Follow-up-Phase SBB-DES
Geschätzte
Steigung
Baseline
Geschätzte
Steigung
Intervention
Geschätzte
Steigung
Follow-up
(Anzahl
Intervalle
BaselinePhase)
(Anzahl
Intervalle
InterventionsPhase)
(Anzahl
Intervalle
Follow-upPhase)
SD
MZP1
Effektstärke
(d)
Baseline
Effektstärke
(d)
Intervention
EffektStärke
(d)
Followup
SBB-DES
Symptomstärke
-0,19 (1)
-0,16 (4)
-0,01 (1)
0,44
-0,43
-1,45
-0,02
SBB-DES
Kompetenzen
0,19 (1)
0,18 (4)
-0,08 (1)
0,35
0,54
2,05
-0,23
Wie der Tabelle 11 entnommen werden kann, wurden im SBB-DES, sowohl für die
Symptomstärke, als auch für die Kompetenzen, bereits in der Baselinephase mittlere
Effektstärken gemäß Cohen (1988) ermittelt. In der Interventionsphase zeigen sich für
beide Skalen (Symptomstärke und Kompetenzen) hohe, d.h. klinisch bedeutsame
247
Effekte. Im Follow-up-Zeitraum wurden erwartungsgemäß in Bezug auf die
Symptomstärke keine Effekte und betr. der Kompetenzen diskrete negative Effekte –
im Sinne einer Abnahme der Kompetenzen nach Abschluss der Behandlung –
ermittelt. Die Netto-Effektstärke (Effektstärke Intervention – Effektstärke Baseline)
bezogen auf die Symptomstärke beträgt d = -1,02 und bezogen auf die Kompetenzen
d = 1,51. Beide Werte können als hohe Netto-Effektstärken interpretiert werden.
Allerdings ist die Steigung der Interventionsphase nicht signifikant von der Steigung
der Wartephase unterschiedlich, es zeigt sich also kein spezifischer Interventionseffekt
im SBB-DES.
SBB-DES vorhergesagte Werte
2,5
2
1,5
1
0,5
0
MZP1
MZP2
MZP3
MZP4
Symptomstärke
MZP5
MZP6
MZP7
Kompetenzausprägung
Abbildung 11: Durch MLM vorhergesagte Werte im SBB-DES
(Wartezeit vs. Intervention vs. Follow-up)
FBB-DES Mittelwerte und geschätzte Regressionsgeraden
Tabelle 12: Mittelwerte (M), Standardabweichungen (SD) und durch MLM vorhergesagte
Werte FBB-DES Symptomstärke
Geschätzte
Regressionsgerade
MZP1
MZP2
MZP3
MZP4
MZP5
MZP6
MZP7
M
(SD)
M
(SD)
M
(SD)
M
(SD)
M
(SD)
M
(SD)
M
(SD)
1,07
0,94
0,85
0,56
0,58
0,41
0,45
(0,46)
(0,34)
(0,53)
(0,32)
(0,33)
(0,34)
(0,35)
1,07
0,94
0,80
0,67
0,54
0,40
0,40
248
Tabelle 13: Mittelwerte (M), Standardabweichungen (SD) und durch MLM vorhergesagte
Werte FBB-DES Kompetenzskala
Geschätzte
Regressionsgerade
MZP1
MZP2
MZP3
MZP4
MZP5
MZP6
MZP7
M
(SD)
M
(SD)
M
(SD)
M
(SD)
M
(SD)
M
(SD)
M
(SD)
1,30
1,23
1,17
1,43
1,55
1,65
1,68
(0,42)
(0,50)
(0,57)
(0,69)
(0,59)
(0,53)
(0,55)
1,30
1,16
1,28
1,41
1,53
1,65
1,76
Im FBB-DES (Elternurteil) weisen sowohl die realen Mittelwerte, als auch die durch
MLM geschätzten Werte, auf einen Trend in Richtung Symptomreduktion und
Kompetenzzuwachs im Therapieverlauf hin. Tabelle 14 präsentiert, analog zum SBBDES, die generellen Verlaufseffekte der Interventions-Phase (GVE Intervention), die
inkrementellen Effekte der Intervention sowie die absoluten Effekte des Follow-upZeitraums, jeweils getrennt für die Symptomstärke und die Kompetenzen.
FBB-DES: Verlaufs-, Therapie- und Stabilitätseffekte
Tabelle 14: FBB-DES, Schätzung der festen Effekte durch MLM, Verlaufs-, Therapieund Stabilitätseffekte
Geschätzte StandardFreiheitsSteigung
fehler
grade
Signifikanz
b
SE
df
T
p
GVE Intervention
-0,13
0,02
47,00
-5,87
<.001
-0,00
0,11
58,00
-0,05
.482
0,01
0,03
10,06
0,18
.432
0,12
0,03
47,00
3,34
.001
0,25
0,16
58,00
1,61
.057
0,03
0,04
10,20
0,72
.243
Symptomstärke
Inkrementeller
Effekt Intervention
Symptomstärke
Follow-up
Symptomstärke
GVE Intervention
Kompetenzen
Inkrementeller
Effekt Intervention
Kompetenzen
Follow-up
Kompetenzen
249
Im FBB-DES (Elternurteil) konnte in Bezug auf die Symptomstärke der Jugendlichen
im Therapieverlauf - erwartungsgemäß - eine signifikante Symptomreduktion
(genereller Verlaufseffekt GVE b = -0,13, p < .001) erzielt werden. Auch hinsichtlich
der Kompetenzen ließen sich im Verlauf der Behandlung positive Effekte, im Sinne
eines signifikanten Kompetenzzuwachses der Jugendlichen, ermitteln (genereller
Verlaufseffekt GVE b = 0,12, p = .001). Im Elternurteil zeigen sich, weder in Bezug auf
die
Symptomatik,
noch
bzgl.
der
Kompetenzen,
signifikante
inkrementelle
Behandlungseffekte, d.h. in Relation zur bereits in der Wartephase deutlich
abnehmenden Symptomatik konnte kein zusätzlicher Effekt in der Interventionsphase
ermittelt werden, stattdessen zeigt sich eine Fortsetzung des Trends der Effekte der
Wartezeit. Die spezifische Therapieeffekthypothese (inkrementeller Effekt der
Intervention) konnte folglich nicht bestätigt werden. In der Follow-up-Phase kann keine
signifikante Veränderung der Symptomatik bzw. der Kompetenzen verzeichnet
werden, was in Einklang mit der formulierten Stabilitätshypothese steht.
Tabelle 15 zeigt die ermittelten Effektstärken für die Baseline-, Interventions- und
Follow-up-Phase. In der Baselinephase zeigen sich moderate Effekte, im Sinne einer
geringfügigen Symptomreduktion, in der Interventionsphase hingegen eine hohe
Effektstärke, die auf eine bedeutsame Verringerung der depressiven Symptomatik im
Elternurteil hindeutet und erwartungsgemäß keine Effekte in der Follow-up-Phase. In
Bezug auf die Kompetenzen wurden aus Sicht der Eltern bereits in der Wartezeit
moderate Effekte hinsichtlich der Kompetenzentwicklung der Jugendlichen ermittelt
und demgegenüber klinisch bedeutsame Effekte im Interventionszeitraum. Im Followup-Zeitraum dagegen wird – in Übereinstimmung mit der postulierten Hypothese der
Stabilität der Effekte – kein bedeutsamer Effekt deutlich. Die Netto-Effektstärke betr.
der Symptomstärke beträgt d = -0,85, was als hohe Netto-Effektstärke zu werten ist.
In Bezug auf die Kompetenzen ist eine vergleichbare Netto-Effektstärke (d = 0,85) zu
verzeichnen.
250
Tabelle 15: Effektstärken Baseline-, Treatment- und Follow-up-Phase FBB-DES
Geschätzte
Steigung
Baseline
Geschätzte
Steigung
Intervention
Geschätzte
Steigung
Follow-up
(Anzahl
Intervalle
BaselinePhase)
(Anzahl
Intervalle
InterventionsPhase)
(Anzahl
Intervalle
Follow-upPhase)
SD
MZP1
Effektstärke
(d)
Baseline
Effektstärke
(d)
Intervention
EffektStärke
(d)
Followup
FBB-DES
Symptomstärke
-0,13 (1)
-0,13 (4)
0,01 (1)
0,46
-0,28
-1,13
0,02
FBB-DES
Kompetenzen
0,12 (1)
0,12 (4)
0,03 (1)
0,42
0,29
1,14
0,07
FBB-DES vorhergesagte Werte
2,5
2
1,5
1
0,5
0
MZP1
MZP2
MZP3
MZP4
Symptomstärke
MZP5
MZP6
MZP7
Kompetenzausprägung
Abbildung 12: Durch MLM vorhergesagte Werte im FBB-DES
(Wartezeit vs. Intervention vs. Follow-up)
DIKJ Mittelwerte und geschätzte Regressionsgerade
Tabelle
16
zeigt
die
realen
Mittelwerte
und
durch
MLM
vorhergesagte
Regressionsgerade. Der DIKJ wurde nur zu vier Messzeitpunkten erhoben, d. h. zu
Studienbeginn (MZP 1), nach der Wartezeit (MZP 2), nach Abschluss der
Interventionen (MZP 6) und nach der 12-wöchigen Follow-up-Phase (MZP 7).
251
Der Vergleich der Mittelwerte und geschätzten Werte weist augenscheinlich auf eine
deutliche Reduktion der depressiven Symptomatik von Prä nach Post hin.
Zur Überprüfung der Signifikanz des generellen Verlaufs- und spezifischen
Therapieeffektes,
sowie
des
Stabilitätseffektes,
wurden
Multilevel-Analysen
durchgeführt.
Tabelle 16: Mittelwerte, Standardabweichungen und durch MLM vorhergesagte
Werte DIKJ
Geschätzte
Regressionsgerade
MZP1
MZP2
MZP6
MZP7
M
(SD)
M
(SD)
M
(SD)
M
(SD)
26,17
23,50
12,75
12,73
(6,38)
(8,54)
(10,55)
(11,27)
26,17
23,5
12,75
11,96
DIKJ: Verlaufs-, Therapie- und Stabilitätseffekte
Tabelle 17: DIKJ, Schätzung der festen Effekte durch MLM, Verlaufs-, Therapie- und
Stabilitätseffekt
Geschätzte
Steigung
b
Standardfehler
SE
Freiheitsgrade
df
GVE Intervention
-2,69
0,50
11,00
-5,34
<.001
Inkrementeller
Effekt Intervention
-0,02
2,50
22,00
-0,01
.497
Follow-up
-0,40
0,77
10,11
-0,52
.306
T
Signifikanz
p
Im Gegensatz zur bedeutsamen, hochsignifikanten Steigung im Therapieverlauf
(genereller Verlaufseffekt GVE b = -2,69, p < .001), konnte – konträr zur spezifischen
Therapieeffekthypothese – kein signifikanter spezifischer Behandlungseffekt der
Interventionsphase, in Relation zur Wartephase, bestätigt werden. Dies liegt mitunter
daran, dass bereits in der Wartezeit eine nicht unbedeutende Symptomreduktion
erzielt wurde und sich dieser Trend in der Interventionsphase fortsetzt. Da der
inkrementelle Effekt der Intervention nahezu 0 beträgt (b = -0,02, p = .497), kann die
252
Symptomreduktion, die im generellen Zeitverlauf ermittelt wurde, nicht durch
spezifische Effekte in der Interventionsphase erklärt werden. Im Follow-up zeigt sich
zwar, mit einer absoluten Steigung von b = -0,40, eine weitere Abnahme der
depressiven Symptomatik, der Effekt ist aber erwartungsgemäß nicht signifikant.
Tabelle 18 zeigt für den DIKJ die Effektstärken bezogen auf die einzelnen
Messzeitabschnitte. In der Baseline- und Interventionsphase wurden mittlere
Effektstärken ermittelt, die auf eine moderate Verringerung der depressiven
Symptomatik, sowohl in der Warte-, als auch in der Behandlungszeit, hinweisen. Im
Follow-up-Zeitraum dagegen werden, konsistent mit der postulierten Hypothese,
gemessen an der Effektstärke von d = -0,06, keine Effekte deutlich. Die NettoEffektstärke beträgt d = 0, was als kein Effekt zu werten ist.
Tabelle 18: Effektstärken Baseline-, Treatment- und Follow-up-Phase DIKJ
Geschätzte
Steigung
Baseline
Geschätzte
Steigung
Intervention
Geschätzte
Steigung
Follow-up
(Anzahl
Intervalle
BaselinePhase)
(Anzahl
Intervalle
InterventionsPhase)
(Anzahl
Intervalle
Follow-upPhase)
-2,67 (1)
DIKJ
-2,69 (1)
-0,40 (1)
Effektstärke (d)
Baseline
SD
MZP1
6,38
-0,42
Effektstärke (d)
Intervention
EffektStärke (d)
Follow-up
-0,42
-0,06
DIKJ vorhergesagte Werte
30
25
20
15
10
5
0
MZP1
MZP2
MZP6
MZP7
Abbildung 13: Durch MLM vorhergesagte Werte im DIKJ
253
7.2.2 Steigerung des globalen Selbstwertes (RSES)
2. Hypothese:
a) Der globale Selbstwert sowie die spezifischen Selbstwertdimensionen der
Jugendlichen
verbessern
sich
signifikant
im
Therapieverlauf
(genereller
Verlaufseffekt).
b) Der globale Selbstwert und die spezifischen Selbstwertdimensionen verbessern
sich signifikant stärker in der Interventions- als in der Wartephase (Therapieeffekt).
c) Die während der Interventionsphase erzielten Effekte in Bezug auf die
Verbesserung des Selbstwerts sind zeitlich stabil, d.h. es werden keine
signifikanten Verschlechterungen der Effekte zwischen der Interventions- und der
Follow-up Phase erwartet (Stabilitätseffekt).
RSES: Mittelwerte und geschätzte Regressionsgerade
Tabelle 19: Mittelwerte, Standardabweichungen und durch MLM vorhergesagte
Werte RSES
Geschätzte
Regressionsgerade
MZP1
MZP2
MZP6
MZP7
M
(SD)
M
(SD)
M
(SD)
M
(SD)
29,0
30,83
45,58
46,18
(7,41)
(6,89)
(10,18)
(10,45)
29,0
30,83
45,58
46,67
Die gemittelten Rohwerte und die geschätzte Regressionsgerade in Bezug auf die
Rosenberg Self-esteem Scale (RSES) weisen deskriptiv auf eine kontinuierliche
Zunahme des primären Outcomeparameters „globaler Selbstwert“ im Zeitverlauf hin.
Zur Überprüfung, ob der generelle Verlaufseffekt der Interventionsphase signifikant
wird und ob es zudem, in Relation zur Wartezeit, signifikante treatmentspezifische
Effekte (inkrementeller Effekt der Intervention) gibt, resp. ob diese im Follow-up stabil
bleiben, wurden, analog zu den bisher vorgestellten Ergebnissen, auch für die
Rosenberg Self-esteem Scale (RSES) und die Frankfurter Selbstkonzeptskalen
(FSKN) Multilevel-Analysen durchgeführt. Diese werden im Folgenden dargestellt.
254
Die RSES und die vier Subskalen des FSKN wurden, wie das DIKJ, zu Studienbeginn
(MZP 1), nach der sechswöchigen Wartephase (MZP 2), nach Abschluss der
Interventionen (MZP 6) und im Anschluss an das 12-wöchige Follow-up, im Sinne einer
Katamnese, zu MZP 7 erhoben.
RSES: Verlaufs-, Therapie- und Stabilitätseffekte
Tabelle 20: RSES, Schätzung der festen Effekte durch MLM, Verlaufs-, Therapie- und
Stabilitätseffekte
Geschätzte
Steigung
b
Standardfehler
SE
Freiheitsgrade
df
GVE Intervention
3,69
0,84
11,00
4,41
<.001
Inkrementeller
Effekt Intervention
1,85
3,31
22,00
0,56
.291
Follow-up
0,85
0,67
10,01
1,28
.115
t
Signifikanz
p
In der RSES konnte eine signifikante positive Steigung im Therapieverlauf ermittelt
werden (genereller Verlaufseffekt b = 3,69, p < .001). Die hochsignifikante absolute
Steigung belegt eine bedeutsame Verbesserung des globalen Selbstwertes im
Behandlungsverlauf. Da jedoch keine signifikante zusätzliche Verbesserung des
Selbstwertes in der Interventionsphase – im Vergleich zur Wartephase – erreicht
wurde, kann der Effekt nicht auf die therapeutischen Interventionen zurückgeführt
werden (inkrementeller Effekt der Intervention b = 1,85, p = .291). Auch bei der RSES
zeigt sich bereits in der Baselinephase ein Trend in Richtung Verbesserung des
Selbstwertes, der sich nicht signifikant vom Verlauf im Behandlungszeitraum
unterscheidet. Betrachtet man die absolute Steigung im Follow-up-Zeitraum, konnte,
korrespondierend mit der formulierten Stabilitäts-Hypothese, keine signifikante
Verbesserung oder Verschlechterung des globalen Selbstwerts festgestellt werden.
255
Tabelle 21 zeigt, dass für die RSES bereits in der Wartezeit, gemäß der errechneten
Effektstärke von d = 0,28, eine leichte Verbesserung des globalen Selbstwertes erzielt
werden konnte, in der Interventionsphase dagegen wurde eine mittlere Effektstärke (d
= 0,50) ermittelt. Erwartungsgemäß zeigt sich im Follow-up-Zeitraum wiederum ein
minimaler Effekt von d = 0,11. Die Netto-Effektstärke, mit einem Wert von d = 0,22, ist
als
ein
kleiner
Effekt
in
Bezug
auf
die
Verbesserung
der
globalen
Selbstwerteinschätzung zu werten.
Tabelle 21: Effektstärken Baseline-, Treatment- und Follow-up-Phase RSES
Geschätzte
Steigung
Baseline
Geschätzte
Steigung
Intervention
Geschätzte
Steigung
Follow-up
(Anzahl
Intervalle
BaselinePhase)
(Anzahl
Intervalle
InterventionsPhase)
(Anzahl
Intervalle
Follow-upPhase)
3,69 (1)
0,85 (1)
1,83 (1)
RSES
Effektstärke
(d)
Baseline
SD
MZP1
7,41
Effektstärke
(d)
Intervention
EffektStärke
(d)
Followup
0,50
0,11
0,28
Rosenberg Self-esteem Scale
vorhergesagte Werte
60
50
40
30
20
10
0
MZP1
MZP2
MZP6
Abbildung 14: Durch MLM vorhergesagte Werte in der RSES
256
MZP7
7.2.3 Verbesserung der spezifischen Selbstwertdimensionen
(Subskalen FSKN: FSKU, FSST, FSSW, FSAP)
FSKN Subskalen: Mittelwerte und geschätzte Regressionsgeraden
Tabelle 22: Mittelwerte, Standardabweichungen zu MZP1 und durch MLM vorhergesagte
Werte Subskalen FSKN
Subtest
Geschätzte
Regressions
-geraden
MZP1
MZP2
MZP6
MZP7
M (SD)
M
M
M
FSKU
FSST
FSSW
FSAP
20,25 (3,02)
37,83 (4,95)
27,83 (7,17)
28,92 (6,36)
19,75
37,58
30,58
32,08
24,92
50,83
46,25
44,42
23,45
50,73
46,00
42,45
FSKU 1
FSST 2
FSSW 3
FSAP 4
20,25
37,83
27,83
28,92
19,75
37,58
30,58
32,08
24,92
50,83
46,25
44,42
23,97
51,54
46,38
42,91
1 Skala zur Kontakt- und Umgangsfähigkeit
2 Skala zur Standfestigkeit gegenüber Gruppen
3 Skala zur allgemeinen Selbstwertschätzung
4 Skala zur allgemeinen Problembewältigung
Im Verlauf deuten die Mittelwerte und die geschätzten Regressionsgeraden auf eine
Verbesserung hinsichtlich der spezifischen Selbstwertdimensionen auf allen vier
untersuchten Subskalen der FSKN hin. Die interferenzstatistische Überprüfung der
Verlaufs-, Therapie- und Stabilitätseffekte erfolgte mittels MLM.
257
FSKN: Verlaufs-, Therapie- und Stabilitätseffekte
Tabelle 23: FSKN, Schätzung der festen Effekte durch MLM, Verlaufs-, Therapie- und
Stabilitätseffekte
Geschätzte
Steigung
b
Standardfehler
SE
Freiheitsgrade
df
t
Signifikanz
p
GVE Intervention FSKU
1,29
0,26
11,00
5,02
<.001
Inkrementeller Effekt
Intervention FSKU
1,79
1,24
22,00
1,45
.081
Follow-up FSKU
-0,49
0,64
9,18
-0,76
.233
GVE Intervention FSST
3,31
1,12
11,00
2,96
.007
Inkrementeller Effekt
Intervention FSST
3,56
4,19
22,00
0,85
.202
Follow-up FSST
0,76
0,76
9,98
1,00
.170
GVE Intervention FSSW
3,92
0,65
11,00
6,07
<.001
Inkrementeller Effekt
Intervention FSSW
1,17
3,05
22,00
0,38
.353
Follow-up FSSW
0,38
0,82
10,04
0,46
.328
GVE Intervention FSAP
3,08
0,72
11,00
4,30
<.001
Inkrementeller Effekt
Intervention FSAP
-0,08
3,16
22,00
-0,03
.490
Follow-up FSAP
-0,42
0,76
9,87
-0,55
.296
Wie man der Tabelle 23 entnehmen kann, zeichnet sich auf allen vier Subskalen des
FSKN im Therapieverlauf (generelle Verlaufseffekte GVE) eine starke und gleichzeitig
signifikante Steigung in positiver Richtung ab. Das bedeutet, dass sich im Verlauf der
Behandlung (im Selbsturteil) sowohl die Kontakt- und Durchsetzungsfähigkeit, als
auch die Problemlösekompetenzen der Jugendlichen, signifikant verbessert haben.
Auch die Wertschätzung der eigenen Person steigerte sich signifikant im
Interventionszeitraum. Im Vergleich der generellen Verlaufseffekte der Subskalen fällt
auf, dass die Steigung der Skala zur Kontakt- und Umgangsfähigkeit (FSKU) (b = 1,29)
deutlich geringer ausfällt, als die übrigen drei Subskalen, deren Steigung zwischen b
= 3,08 und b = 3,92 beträgt. Die Kontakt- und Umgangsfähigkeit der Jugendlichen ließ
sich
im
Behandlungszeitraum
demzufolge
258
vergleichsweise
weniger steigern
(wenngleich hochsignifikant), als die subjektive Einschätzung der Standfestigkeit
gegenüber Gruppen, die allgemeine Selbstwertschätzung und die Beurteilung der
eigenen Problemlösekompetenzen.
Vergleicht man die inkrementellen Effekt der Intervention auf den vier Subskalen, muss
konstatiert werden, dass in der Interventionsphase – in Relation zur Wartezeit – auf
keiner der untersuchten Subskalen des FSKN ein signifikanter zusätzlicher
Therapieeffekt (inkrementeller Effekt der Intervention) nachgewiesen werden konnte.
Die berechneten inkrementellen Steigungen sind zwar mehrheitlich als starke
Steigungen zu werten (FSKU b = 1,79; FSST b = 3,56; FSSW b = 1,17), fallen
allerdings in Bezug zur Baseline-Phase gesetzt, nicht signifikant stärker aus. Dies
bedeutet,
dass
die
signifikanten
Verbesserungen
auf
den
spezifischen
Selbstwertdimensionen im Therapieverlauf nicht auf spezifische Effekte der
Intervention zurückgeführt werden können. Des Weiteren weisen die Ergebnisse der
Multi-Level-Analysen darauf hin, dass in der Follow-up Phase, auf der Basis der
absoluten Steigungen, auf keiner der vier Subskalen eine signifikante Veränderung der
erzielten Effekte festgestellt werden konnte, was wiederum die Stabilität der Effekte im
Katamnese-Zeitraum bestätigt.
Tabelle 24 zeigt, dass bereits in der kontaktfreien Baselinephase auf allen vier
Subskalen geringe bis mittlere Effektstärken erzielt werden konnten, auf den Skalen
FSKU (d = -0,17) und FSST (d = -0,05) allerdings hypotheseninkonform diskret in
negativer Richtung. In der Interventionsphase werden auf allen vier Skalen mittlere
Effektstärken deutlich, die auf moderate positive Effekte im Therapieverlauf hinweisen
und somit die spezifische Therapieeffekthypothese stützen. Im Follow-up-Zeitraum
zeigen sich hingegen, erwartungsentsprechend, nur sehr kleine Effekte. Auf den
Skalen FSKU und FSAP weisen die errechneten negativen Effektstärken auf eine
diskrete
Abnahme
der
sozialen
Kontakt-
und
Umgangsfähigkeit
und
der
Problemlösekompetenzen während der Follow-up-Phase hin. Auf den Skalen FSST
und FSSW dagegen werden minimale positive Effekte deutlich, die jedoch, wie bereits
geschildert, nicht klinisch bedeutsam sind.
259
Tabelle 24: Effektstärken Baseline-, Treatment- und Follow-up-Phase Subskalen FSKN
Geschätzte
Steigung
Baseline
Geschätzte
Steigung
Intervention
Geschätzte
Steigung
Follow-up
(Anzahl
Intervalle
BaselinePhase)
(Anzahl
Intervalle
InterventionsPhase)
(Anzahl
Intervalle
Follow-upPhase)
SD
MZP1
Effektstärke
(d)
Baseline
Effektstärke
(d)
Intervention
EffektStärke
(d)
Followup
FSKU
-0,50 (1)
1,29 (1)
-0,49 (1)
3,02
-0,17
0,43
-0,16
FSST
-0,25 (1)
3,31 (1)
0,76 (1)
4,95
-0,05
0,67
0,15
FSSW
2,75 (1)
3,92 (1)
0,38 (1)
7,17
0,38
0,55
0,05
FSAP
3,17 (1)
3,08 (1)
-0,42 (1)
6,36
0,50
0,48
-0,07
Die Netto-Effektstärken für die Subskalen des FSKN betragen:
FSKU d = 0,60
(mittlerer Effekt)
FSST d = 0,72
(mittlerer Effekt)
FSSW d = 0,17
(geringer Effekt)
FSAP d = -0,02
(kein Effekt)
FSKN-Subskalen vorhergesagte Werte
60
50
40
30
20
10
0
MZP1
MZP2
MZP6
FSKU
FSST
FSSW
MZP7
FSAP
Abbildung 15: Durch MLM vorhergesagte Werte im FSKN
(Wartezeit vs. Intervention vs. Follow-up)
260
7.3 Sekundäre Analysen
7.3.1 Reduktion internaler und externaler Symptomatik im Selbst- und
Fremdurteil (YSR, CBCL)
3. Hypothese:
Die komorbide internale und externale Symptomatik der Jugendlichen verringert sich
während der Behandlung, d.h. von der Prä-Messung zur Post-Messung, signifikant
(Prä-Post-Effekt).
Zur Überprüfung der Hypothese, ob sich die komorbide internale und externale
Symptomatik, erhoben über die sekundären Outcomemaße YSR und CBCL, im
Therapieverlauf signifikant reduziert, wurden Prä-Post-Vergleiche (MZP 1 vs. MZP 6)
anhand des nonparametrischen Wilcoxon-Tests durchgeführt. Als Signifikanz-Niveau
wurde α = .05 festgelegt. Da es sich um gerichtete Hypothesen handelt, wurden, wie
auch bei den Multilevel-Analysen, die p-Werte (Signifikanzen) halbiert. In die Prä-PostVergleiche wurden die internale, die externale und die Gesamtskala des YSR und der
CBCL einbezogen. Des Weiteren wurden die drei Subskalen der internalen Skala
(sozialer Rückzug, somatische Beschwerden, Ängstlichkeit / Depressivität) analysiert.
Die folgende Tabelle zeigt die Ergebnisse der Prä-Post-Vergleiche.
Tabelle 25: YSR Prä-Post Vergleiche (Wilcoxon-Test): Mittelwerte und Standardabweichungen Prä (MZP1) vs. Post (MZP6), Z-Werte, Signifikanzen und
Effektstärken
Prä M
Post M
Z
p
Effektstärke
(1-seitig)
(SD)
(SD)
d
YSR
Internale
Skala
29,25
13,92
(8,75)
(13,66)
-2,9
.002
1,75
Skala 1
Sozialer Rückzug
7,75
3,83
(2,22)
(3,19)
-2,8
.003
1,77
Skala 2
Somatische
Beschwerden
5,25
3,33
-1,7
.046
0,76
(2,52)
(3,60)
-2,9
.002
2,08
-2,7
.003
0,94
-2,8
.002
1,37
Skala 3
Ängstlichkeit/
Depressivität
17,92
7,17
(5,16)
(8,17)
Externale Skala
16,17
7,92
(8,77)
(6,24)
Gesamtskala
65,58
34,25
(22,83)
(28,98)
M: arithmetisches Mittel SD: Standardabweichung p: Signifikanz (einseitig) d: Effektstärke
261
Die Ergebnisse zeigen eine signifikante Reduktion der internalen und externalen
Symptomatik auf allen drei Gesamtskalen (internale Skala, externale Skala,
Gesamtskala) sowie auf allen drei untersuchten internalen Subskalen des YSR. Auf
den Gesamtskalen konnten, gemäß der Definition von Cohen (1988), hohe bis sehr
hohe Effektstärken zwischen d = 0,94 und d = 1,75 erzielt werden, wobei die höchsten
Effekte erwartungsgemäß auf der internalen Skala (d = 1,75) erreicht wurden. Für die
externale Skala wurde eine relativ hohe Effektstärke von d = 0,94 ermittelt, für die
Gesamtskala eine sehr hohe Effektstärke von d = 1,37.
YSR Prä-Post Vergleiche Gesamtskalen
70
60
50
40
30
20
10
0
Internale Skala
Externale Skala
Prä
Gesamtskala
Post
Abbildung 16: Rohwerte der internalen und externalen Skala sowie der
Gesamtskala des YSR im Prä-Post-Vergleich
Auch auf den internalen Subskalen wurde eine signifikante Symptomreduktion mit
hohen bis sehr hohen Effektstärken im Prä-Post-Vergleich ermittelt. Für die Subskala
„sozialer Rückzug“ wurde eine hohe Effektstärke von d = 1,77 erzielt, für die Subskala
„somatische Beschwerden“ eine vergleichsweise geringere (mittlere) Effektstärke von
d = 0,76 und für die Subskala „Ängstlichkeit / Depressivität“ erwartungskonform eine
sehr hohe Effektstärke von d = 2,08. Die Ergebnisse stützen nicht nur die Hypothese
der signifikanten Reduktion der komorbiden Symptomatik, sondern in besonderem
Maße auch die Hypothese der signifikanten Verringerung der depressiven
Symptomatik.
262
YSR Prä-Post Vergleiche internale Subskalen
20
15
10
5
0
Skala sozialer Rückzug
Skala somatische
Beschwerden
Prä
Skala Ängstlichkeit /
Depressivität
Post
Abbildung 17: Rohwerte der internalen Subskalen des YSR im Prä-Post-Vergleich
Die Tabelle 26 zeigt, anlog zum YSR, die Mittelwerte und Standardabweichungen Prä
vs. Post, Z-Werte, Signifikanzen und errechneten Effektstärken für die CBCL.
Tabelle 26: CBCL Prä-Post Vergleiche (Wilcoxon-Test): Mittelwerte und Standardabweichungen Prä (MZP1) vs. Post (MZP6), Z-Werte, Signifikanzen und
Effektstärken
CBCL
Prä M
(SD)
Internale
Skala
Post M
Z
(1-seitig)
Effektstärke
d
-2,8
0.003
1,31
(SD)
22,33
9,50
(9,76)
(5,63)
p
Skala 1
Sozialer Rückzug
7,75
3,17
(3,62)
(2,17)
-2,8
0.002
1,27
Skala 2
Somatische
Beschwerden
5,08
2,00
-2,4
0.008
1,35
(2,28)
(2,63)
-2,7
0.004
0,95
-2,3
0.012
0,63
-2,7
0.004
1,12
Skala 3
Ängstlichkeit/
Depressivität
Externale Skala
Gesamtskala
11,08
4,92
(6,46)
(3,29)
14,08
6,42
(12,23)
(4,46)
53,25
25,17
(25,00)
(13,84)
M: arithmetisches Mittel SD: Standardabweichung p: Signifikanz (einseitig) d: Effektstärke
263
Wie die Ergebnisse zeigen, konnte eine signifikante Symptomreduktion auf allen drei
Gesamtskalen, ebenso wie auf allen drei internalen Subskalen der CBCL im Prä-PostVergleich erreicht werden. Für die internale Skala wurde eine hohe Effektstärke von d
= 1,31 errechnet, für die externale Skala eine mittlere Effektstärke von d = 0,63 und für
die Gesamtskala ein hoher Effekt von d = 1,12. Die vergleichsweise geringere
Effektstärke in Bezug auf die externale Symptomatik lässt sich vermutlich auf die die
bereits zu Beginn der Therapie relativ gering ausgeprägte externale Symptomatik
zurückführen, die sich im Therapieverlauf kaum noch reduzieren ließ. Dies gilt in
gleichem Maße für die externale Symptomatik, die im YSR erhoben wurde.
CBCL Prä-Post Vergleiche Gesamtskalen
60
50
40
30
20
10
0
Internale Skala
Externale Skala
Prä
Gesamtskala
Post
Abbildung 18: Rohwerte der internalen und externalen Skala sowie der
Gesamtskala der CBCL im Prä-Post-Vergleich
Auf allen drei Subskalen der CBCL konnte im Elternurteil, wie auf den Gesamtskalen,
eine signifikante Symptomreduktion im Vergleich von Prä- zu Post-Treatment ermittelt
werden. Auf der Subskala „sozialer Rückzug“ wird eine hohe Effektstärke von d = 1,27
deutlich, auf der Subskala „somatische Beschwerden“ zeigt sich ebenfalls eine
bedeutsame Effektstärke von d = 1,35. Für die Subskala „Ängstlichkeit / Depressivität“
fallen die Effekte, im Vergleich zu den beiden anderen internalen Subskalen, etwas
geringer aus (d = 0,95). Obwohl die Effektstärke für die ängstlich-depressive Subskala
vergleichsweise geringer ist, handelt es sich dennoch um einen hohen Effekt, im Sinne
einer klinisch bedeutsamen Reduktion der ängstlich-depressiven Symptomatik von der
Prä-Treatment- zur Post-Treatment-Messung.
264
Die Ergebnisse der interferenzstatistischen Analysen stützen auch im Elternurteil
einerseits die Hypothese der signifikanten Verringerung der ängstlich-depressiven
Symptomatik und andererseits die Hypothese der signifikanten Reduktion der
komorbiden externalen Symptomatik von Prä nach Post.
CBCL Prä-Post Vergleiche internale Subskalen
20
15
10
5
0
Skala sozialer Rückzug
Skala somatische
Beschwerden
Prä
Skala Ängstlichkeit /
Depressivität
Post
Abbildung 19: Rohwerte der internalen Subskalen der CBCL im Prä-Post-Vergleich
Als Fazit kann gezogen werden, dass sich die Hypothese der signifikanten Reduktion
der internalen und externalen komorbiden Symptomatik im Prä-Post-Vergleich, sowohl
im Selbsturteil, als auch im Elternurteil bestätigen ließ. Da die diagnostische Erhebung
lediglich vor und nach der Intervention stattfand, können keine Aussagen über
potentielle spezifische Veränderungen der Symptomatik in der Wartezeit oder der
Follow-up-Phase getroffen werden. Eine kausale Schlussfolgerung, dass die
Interventionen zur signifikanten Symptomreduktion beigetragen haben, ist aufgrund
der fehlenden Kontrollgruppe unzulässig.
7.3.2 Reduktion der Problemhäufigkeit und Problembelastung
(Individuelle Problemliste)
4. Hypothese:
Die Ausprägung der Problemhäufigkeit und Problembelastung der Jugendlichen
nimmt im Verlauf der Therapie signifikant ab (genereller Verlaufseffekt).
265
Zur Überprüfung der 4. Hypothese wurden die generellen Verlaufseffekte, bezogen auf
die Interventionsphase, mittels Multilevel-Analysen berechnet. Da die individuelle
Problemliste nur im Behandlungszeitraum, d.h. ca. ab der 5. Behandlungsstunde bis
zum Abschluss der Therapie (24. Behandlungsstunde), wöchentlich erhoben wurde,
können nur die generellen Verlaufseffekte wiedergegeben werden. Ein Vergleich mit
der Warte- oder Follow-up-Phase ist dementsprechend nicht möglich. Zur besseren
Vergleichbarkeit der Ergebnisse wurden für jeden Probanden die Rohwerte bzgl. der
Angaben zur Auftretenshäufigkeit der definierten Probleme gemittelt, um einen Wert
für die wöchentliche Gesamtproblemhäufigkeit zu erhalten. Die folgenden Analysen
beziehen sich dementsprechend auf die wöchentliche Gesamtproblemhäufigkeit.
Tabelle 27 zeigt die durch MLM vorhergesagten Werte in Bezug auf die wöchentliche
Gesamthäufigkeit der Probleme der Jugendlichen.
Problemhäufigkeit: Vorhergesagte Regressionsgerade
Tabelle 27: Durch MLM vorhergesagte Werte der
Problemhäufigkeit im Therapieverlauf
Therapiestunde
Problemhäufigkeit
gesamt
5
2,83
6
2,73
7
2,63
8
2,54
9
2,44
10
2,34
11
2,25
12
2,15
13
2,05
14
1,96
15
1,86
16
1,76
17
1,67
18
1,57
19
1,47
20
1,38
21
1,28
22
1,18
23
1,09
24
0,99
266
Problemhäufigkeit: Genereller Verlaufseffekt
Tabelle 28: Problemhäufigkeit, Schätzung der festen Effekte durch MLM, genereller
Verlaufseffekt (GVE)
Geschätzte
Steigung
b
GVE
-0,10
Standardfehler
SE
Freiheitsgrade
df
0,01
195,10
t
-10,106
Signifikanz
p
<.001
Die Multilevel-Analyse zeigt, dass sich die gemittelte wöchentliche Auftretenshäufigkeit
der Probleme der individuellen Problemliste signifikant im Interventionszeitraum
reduziert hat (b = -0,10, p < .001). Für die wöchentliche Problemhäufigkeit im
Therapieverlauf wurde eine hohe und dementsprechend klinisch bedeutsame
Effektstärke von d = -1,64 berechnet. Da die Problemliste nur im Interventionszeitraum
erhoben wurde, kann, wie bereits erwähnt, kein Vergleich zur Wartezeit oder zum
Follow-up-Zeitraum erfolgen. Die signifikante Reduktion der Problemhäufigkeit lässt
sich nicht kausal auf die Interventionen zurückführen.
Tabelle 29: Effektstärke Problemhäufigkeit gesamt (individuelle Problemliste)
Individuelle
Problemliste
Problemhäufigkeit
Geschätzte
Steigung
(Anzahl
Messintervalle)
SD Prä
Effektstärke
(d)
-0,10 (20)
1,22
-1,64
SD Prä: Standardabweichung Prä (Therapiestunde 5)
267
Vorhergesagte Werte Problemhäufigkeit
4
3,5
3
2,5
2
1,5
1
0,5
0
Abbildung 20: Durch MLM vorhergesagte Werte der wöchentlichen
Problemhäufigkeit im Therapieverlauf (Individuelle Problemliste)
Problembelastung: Vorhergesagte Regressionsgerade
Tabelle 30: Durch MLM vorhergesagte Werte der wöchentlichen
Problembelastung im Therapieverlauf
Therapiestunde
Problembelastung
5
4,43
6
4,33
7
4,24
8
4,14
9
4,04
10
3,94
11
3,84
12
3,75
13
3,65
14
3,55
15
3,45
16
3,35
17
3,26
18
3,16
19
3,06
20
2,96
21
2,86
22
2,76
23
2,67
24
2,57
268
Problembelastung: Genereller Verlaufseffekt
Tabelle 31: Problembelastung, Schätzung der festen Effekte durch MLM, genereller
Verlaufseffekt (GVE)
GVE
Geschätzte
Steigung
b
Standardfehler
SE
Freiheitsgrade
df
-0,10
0,024
175,35
Signifikanz
p
t
<.001
-4,10
Analog zur signifikanten Reduktion der Auftretenshäufigkeit der individuellen
Probleme, hat sich auch die wöchentliche Gesamtproblembelastung der Jugendlichen
signifikant im Therapieverlauf reduziert (b = -0,10, p < .001). Die ermittelte Effektstärke
in Bezug auf die Abnahme der Problembelastung im Therapieverlauf kann als hoch
eingeschätzt werden (d = -1,25). Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die
Hypothese der signifikanten Reduktion der Auftretenshäufigkeit und Belastung durch
die individuellen Probleme der Jugendlichen im Therapieverlauf bestätigt werden
konnte.
Tabelle 32: Effektstärke der Problembelastung im Therapieverlauf (individuelle Problemliste)
Geschätzte
Steigung
Individuelle
Problemliste
Problembelastung
(Anzahl Messintervalle
Intervention)
SD Prä
Effektstärke
(d)
-0,10 (20)
1,60
-1,25
SD Prä: Standardabweichung Prä (Therapiestunde 5)
269
Vorhergesagte Werte Problembelastung
9
8
7
6
5
4
3
2
1
0
Abbildung 21: Durch MLM vorhergesagte Werte der wöchentlichen Problembelastung im Therapieverlauf (Individuelle Problemliste)
7.3.3 Beurteilung des Behandlungserfolges und der Behandlungszufriedenheit
(FBB-P, FBB-E, FBB-T)
5. Hypothese:
Der Jugendliche und die Eltern weisen nach Therapieabschluss eine hohe
Behandlungszufriedenheit auf und der Therapieerfolg wird positiv beurteilt.
Die Beurteilung des Behandlungserfolges und der Gesamtzufriedenheit mit der
Behandlung erfolgte nach Abschluss der Therapien (MZP 6) mittels der „Fragebögen
zur Beurteilung der Behandlung“ (FBB, Mattejat & Remschmidt 1998). Die Behandlung
wurde aus Sicht des Patienten (FBB-P), der Eltern (FBB-E) und des Therapeuten
(FBB-T) bewertet. Die Überprüfung der 5. Hypothese erfolgte auf der Grundlage der
Vergleiche der Mittelwerte in Bezug auf den Behandlungserfolg sowie die
Behandlungszufriedenheit – separat für das Patienten-, Eltern- und Therapeutenurteil.
Im Patientenurteil wurde der Behandlungserfolg im Mittel als überwiegend erfolgreich
beurteilt und die Behandlungszufriedenheit als gut eingeschätzt. Aus Sicht der Eltern
liegen gemittelt ebenfalls ein überwiegend erfolgreicher Behandlungserfolg sowie eine
sehr
hohe
Behandlungszufriedenheit
vor.
270
Im
Therapeutenurteil
wird
der
Therapieerfolg, in Hinblick auf den Patienten, im Durchschnitt als vollständig
erfolgreich bewertet, während die Gesamtzufriedenheit mit der Behandlung aus
Therapeutensicht als gut eingestuft wird.
Tabelle 33: Mittelwerte und Standardabweichungen FBB-P (Patientenurteil)
FBB-P (Patientenurteil)
M
SD
Beurteilung
Behandlungserfolg
3,18
0,51
überwiegend
erfolgreich
Behandlungszufriedenheit
3,30
0,36
gut
Tabelle 34: Mittelwerte und Standardabweichungen FBB-P (Elternurteil)
FBB-E (Elternurteil)
M
SD
Beurteilung
Behandlungserfolg
2,98
1,04
überwiegend
erfolgreich
Behandlungszufriedenheit
3,61
0,42
sehr gut
Tabelle 35: Mittelwerte und Standardabweichungen FBB-P (Therapeutenurteil)
FBB-T (Therapeutenurteil)
M
SD
Beurteilung
Behandlungserfolg
3,55
0,43
vollständig
erfolgreich
Behandlungszufriedenheit
3,36
0,31
gut
Referenzmaße:
Behandlungserfolg:
Gesamtzufriedenheit mit der Behandlung:
0 ≤ x ≤ 0,5 völlig erfolglos
0,5 < x ≤ 1,5 überwiegend erfolglos
1,5 < x ≤ 2,5 teilweise erfolgreich
2,5 < x ≤ 3,5 überwiegend erfolgreich
3,5 < x ≤ 4,0 vollständig erfolgreich
0 ≤ x ≤ 0,5 schlecht
0,5 < x ≤ 1,5 unzureichend
1,5 < x ≤ 2,5 mäßig
2,5 < x ≤ 3,5 gut
3,5 < x ≤ 4,0 sehr gut
271
Zusammenfassend weisen die Ergebnisse, die man den Tabellen 33 bis 35
entnehmen kann, auf einen guten bis sehr guten Behandlungserfolg und eine hohe
Behandlungszufriedenheit, sowohl aus Patienten- resp. Elternperspektive, als auch
aus
Therapeutensicht,
hin.
Die
postulierte
Hypothese
eines
guten
Behandlungserfolges und einer hohen Behandlungszufriedenheit konnte, sowohl aus
der Sicht der Jugendlichen, als auch aus Sicht der Eltern und des Therapeuten,
bestätigt werden.
272
8
Diskussion
Zur Überprüfung der Wirksamkeit des kognitiv-behavioralen Behandlungsmoduls
„SELBST Selbstwert-, Aktivitäts- und Affektprobleme“ wurden im Rahmen der
vorliegenden Pilotstudie 12 Jugendliche im Alter zwischen 12 und 18 Jahren, mit einer
klinisch bedeutsamen depressiven Symptomatik resp. Selbstwertstörung, untersucht.
Die primären Bezugspersonen wurden, in Anlehnung an das multimodale
Behandlungskonzept von SELBST, in die Behandlung miteinbezogen. Das StudienDesign entsprach einem Eigenkontrollgruppen-Design mit insgesamt sieben
Messzeitpunkten (MZP), beginnend mit einer sechswöchigen Baselinephase
(behandlungsfreie Wartezeit von MZP 1 zu MZP 2) und einer sich daran
anschließenden Interventionsphase mit insgesamt 24 Therapiesitzungen. Um
Hinweise auf die Wirksamkeit der therapeutischen Interventionen ableiten zu können,
wurden die Effekte der Wartezeit mit den Effekten, die im Interventionszeitraum erzielt
wurden, verglichen. Im Interventionszeitraum fanden diesbezüglich nach jeweils sechs
Therapiesitzungen diagnostische Verlaufsmessungen statt (MZP 3 bis 6). In Anschluss
an die Behandlungsphase folgte 12 Wochen später eine Follow-up-Untersuchung
(MZP 7), die mit der Abschlussdiagnostik gleichzeitig den Abschluss der Studie bildete.
Da
die
katamnestische
Behandlungseffekte
Untersuchung
diente,
waren
zur
in
Überprüfung
diesem
der
Zeitraum
Stabilität
keine
der
weiteren
Therapiestunden vorgesehen.
Vor der Interpretation der Ergebnisse bzw. der Bewertung der Effektivität des
Therapiemoduls „SELBST – Selbstwert-, Aktivitäts- und Affektprobleme“ und der
Einordnung der Ergebnisse in den Forschungsstand, werden kurz die Stärken der
vorliegenden Pilotstudie zusammengefasst. Abschließend werden die Limitationen der
Studie
diskutiert
und
ein
Ausblick
auf
potentiell
zu
vertiefende
Forschungsschwerpunkte im Kontext der Therapiewirksamkeitsforschung bei Kindern
und
Jugendlichen
mit
einer
depressiven
Symptomatik
und
begleitenden
Selbstwertproblematik gegeben.
Zu den Stärken dieser Pilotstudie zählt in erster Linie, dass die Therapien – trotz der
relativ homogenen Stichprobe in Bezug auf die Symptomatik – in hohem Maße
individualisiert durchgeführt wurden. Die Behandlungen erfolgten in Anlehnung an die
273
jeweilige Indikation und Zielsetzungen der einzelnen Probanden. Es wurde darauf
geachtet, möglichst realitätsnahe Behandlungsbedingungen, die der ambulanten
therapeutischen Versorgung entsprechen, zu gewährleisten. Ein großer Nachteil, der
sich aus diesem individualisierten Vorgehen jedoch ergibt, ist die eingeschränkte
interindividuelle Vergleichbarkeit der Probanden und deren Behandlungsverläufen,
was wiederum die interne Validität verringert.
Als positiv zu werten ist außerdem, dass aus dem gewählten Studiendesign mit
konstanten Messzeitpunkten eine hohe ökologische Validität resultiert. Aus diesem
Grund wurden die Abstände der Messzeitpunkte in dieser Studie in Abhängigkeit der
Anzahl der Therapiesitzungen definiert und nicht beispielsweise nach einem
bestimmten
Zeitintervall,
wie
z.B.
einem
4-Wochen-Rhythmus.
Im
Interventionszeitraum erfolgte nach jeweils 6 Therapiestunden eine diagnostische
Messung, um sicherzustellen, dass alle Patienten zu denselben Zeitpunkten im
therapeutischen Prozess untersucht werden. Auch die Dauer der Interventionsphase
(24 Therapiestunden in 4 Blöcken á 6 Stunden) wurde konstant gehalten, um die
gleiche Therapieintensität und somit eine bessere Vergleichbarkeit der Probanden und
Therapieverläufe zu gewährleisten.
Die ausgewählten diagnostischen Instrumente zur Erhebung der depressiven
Symptomatik (SBB-DES, FBB-DES, DIKJ) waren gut geeignet zur wiederholten
Erhebung
der
Symptomatik
im
Studienverlauf
und
haben
sich
als
sehr
änderungssensitiv erwiesen. Zudem waren die Verfahren leicht verständlich und
zeitökonomisch in der Anwendung bzw. Auswertung. Hinsichtlich der diagnostischen
Vorgehensweise ist außerdem hervorzuheben, dass die depressive und komorbide
Symptomatik nicht nur im Selbst- sondern auch im Fremdurteil erhoben wurde, um
mögliche Unterschiede in der Wahrnehmung und Beurteilung der Intensität der
Symptomatik erfassen zu können. Zudem wurde zu Beginn der Studie auch ein
klinisches Urteil in Bezug auf die depressive Symptomatik erhoben, um eine größere
Objektivität der Beurteilung zu erzielen. Auch die Beurteilung der Behandlung erfolgte
aus mehreren Perspektiven (Patient, Eltern, Therapeut). Da in Hinblick auf den
globalen Selbstwert und die spezifischen Selbstwertdimensionen für das Jugendalter
nur Selbstbeurteilungsfragebögen existieren, konnte kein Fremdurteil erhoben
werden.
Die
Screeningfragebögen
YSR
und
CBCL
gelten,
neben
störungsspezifischen Fragebögen, als Standardverfahren im Rahmen einer multiplen
274
Diagnostik und haben sich auch in der vorliegenden Studie als hilfreich erwiesen zur
Erfassung internaler und möglicher komorbider externaler Störungen im Prä-PostVergleich. Die Problemliste war ebenfalls gut geeignet um, unter Berücksichtigung der
individualisierten therapeutischen Zielsetzungen, den Behandlungsverlauf anhand
individuell definierter Probleme abzubilden. Die Problemliste wurde zwar von einigen
Patienten nur ungern wöchentlich ausgefüllt, hat sich aber als geeignetes,
veränderungssensitives Instrument zur Verlaufskontrolle erwiesen.
Um
insgesamt
eine
möglichst
präzise
und
vergleichbare
Status-
und
Verlaufsdiagnostik zu ermöglichen, wurden (abgesehen von der Problemliste) nur
normierte Testverfahren ausgewählt und durchgeführt, die hinreichend hohe
Reliabilitäten und nach Möglichkeit eine hohe Änderungssensitivität in Bezug auf die
Symptomatik aufwiesen, wie beispielsweise der DIKJ.
Da neben der Studienleiterin zwei Therapeutinnen in Ausbildung die Behandlung von
insgesamt sechs Studienteilnehmern (50 % der Stichprobe) durchführten, konnte die
Objektivität der Datenerhebung erhöht werden. Die Auswahl mehrerer Therapeuten
diente auch dem Zweck, eine natürliche Variabilität der Anwendung der
Behandlungsmaterialien sicherzustellen und um implizit die Anwenderfreundlichkeit
des Behandlungsmanuals aus verschiedenen therapeutischen Perspektiven zu testen.
8.1
Interpretation der Ergebnisse
Die Teilnehmer der Studie stammten aus überwiegend intakten, aber meist deutlich
belasteten Familien, die üblicherweise in klinischen Inanspruchnahmepopulationen zu
finden sind. Die Behandlungsbereitschaft und Änderungsmotivation der Jugendlichen
war, abgesehen von einer Patientin, ausgesprochen hoch, was eher untypisch für die
Altersphase der Adoleszenz ist und nicht unserer klinischen Erfahrung entspricht. Mit
allen 12 Jugendlichen und deren Eltern konnte eine tragfähige therapeutische Allianz
entwickelt werden, was vermutlich mit dazu beigetragen hat, dass kein Teilnehmer die
Studie im Behandlungszeitraum beendet hat. Abgesehen von zwei Patientinnen,
zeichneten sich alle übrigen zehn Patienten durch eine sehr ausgeprägte
Symptomschwere aus. Die Hälfte der Patienten wies zudem mindestens eine
komorbide,
behandlungsbedürftige
Störung
auf,
was
die
nachhaltige
Symptomreduktion bzw. den Aufbau von Kompetenzen - und somit einen günstigen
Therapieverlauf - mitunter erschwert hat. Betrachtet man die Ergebnisse auf
Einzelfallebene, fällt auf, dass sich auch die komplex beeinträchtigten Jugendlichen im
275
Gesamtverlauf mehrheitlich gut stabilisieren ließen und ein altersangemessenes
Funktionsniveau etabliert werden konnte. Allerdings erscheinen die im Studien-Design
vorgesehenen 24 Therapiestunden rückblickend, in einigen Fällen, insbesondere
wenn latente Suizidgedanken und eine labile Stimmungslage das klinische Bild der
Jugendlichen dominierten, als unzureichend. Dieser Aspekt wird im Abschnitt, der sich
den Limitationen der vorliegenden Studie widmet, ausführlicher erörtert.
Das primäre Forschungsinteresse bestand darin, zu untersuchen, ob sich die
depressive Symptomatik und die Selbstwertproblematik im Behandlungsverlauf
signifikant reduzieren lassen und ob die Behandlung zu einem signifikanten
Kompetenzzuwachs auf Seiten der Jugendlichen beiträgt. Daran anknüpften sollte
überprüft werden, ob sich eine stärke Symptomreduktion bzw. ein stärkerer
Kompetenzzuwachs in der Interventionsphase, im Vergleich zur behandlungsfreien
Wartezeit, finden lässt. In diesem Kontext sollte des Weiteren untersucht werden, ob
die Behandlungseffekte über einen dreimonatigen (behandlungsfreien) Follow-upZeitraum stabil bleiben.
Betrachtet man zunächst die erste Forschungsfrage, ob sich die depressive
Symptomatik im Verlauf der Behandlung signifikant verringert hat, ergibt sich in Bezug
auf den generellen Verlaufseffekt hypothesenkonform eine signifikante Reduktion der
depressiven Symptomatik im Verlauf der Interventionsphase. Diese signifikante
Symptomreduktion zeigt sich auf den primären Outcomemaßen (SBB-DES, FBB-DES,
DIKJ), gleichermaßen aus Jugendlichen- und Elternperspektive. Die Effektstärken
liegen im mittleren bis hohen Bereich. Einhergehend mit der signifikanten
Symptomreduktion zeigt sich im Behandlungsverlauf (Interventionsphase) außerdem
ein signifikanter Kompetenzzuwachs der Jugendlichen, auch hier sowohl im
Selbsturteil der Jugendlichen, als auch im Elternurteil, was die generelle
Verlaufshypothese bestätigt. Gestützt werden die Befunde durch einen signifikanten
Anstieg des globalen Selbstwertes sowie der spezifischen Selbstwertdimensionen im
Interventionszeitraum. Die Effektstärken sind als hoch bis sehr hoch einzustufen.
Neben der Vermutung, dass die Symptomatik sich aufgrund der durchgeführten
Interventionen signifikant reduziert haben könnte, kommen auch andere Erklärungen
in Betracht. Die starke Ausprägung der Symptomatik zu Studienbeginn, einhergehend
mit einem hohen Leidensdruck und einer ausgeprägten Änderungsbereitschaft der
276
Jugendlichen, könnte beispielsweise - im Sinne der Anstrengungsrechtfertigung - auch
als Erklärung für die signifikante Symptomreduktion im Behandlungsverlauf
herangezogen werden. Denkbar ist auch, neben verschiedenen Effekten der
Beurteilungsverzerrung,
dass
aufgrund
der
Symptomschwere
mehr
Veränderungsvarianz in Richtung Symptomreduktion gegeben war, als bei Vorliegen
einer geringen Symptomausprägung der Patienten.
Betrachtet man neben den generellen Zeiteffekten nun die differentiellen Effekte, d.h.
die inkrementellen Effekte der Interventionsphase, wird deutlich, dass weder in Bezug
auf die depressive Symptomatik, noch hinsichtlich der Selbstwertproblematik
signifikante inkrementelle Effekte der Intervention gefunden werden konnten. Auch in
Bezug auf die Kompetenzentwicklung wurden keine signifikanten inkrementellen
Effekte der Behandlung verzeichnet. Das bedeutet, dass sich die Symptomatik zwar
im Therapieverlauf signifikant verringert hat und sich der Selbstwert sowie die
Kompetenzen im Verlauf signifikant verbessert haben, diese Effekte jedoch – in
Relation gesetzt zur Wartephase – nicht signifikant stärker ausfallen. Die spezifischen
Effekthypothesen
konnten
demnach
auf
keinem
der
definierten
primären
Outcomemaße bestätigt werden.
Das Problem, das sich bei einem Eigenkontrollgruppen-Design häufig ergibt, ist, dass
die potentiellen Effekte der Interventionsphase in der Regel nur dann signifikant
werden, wenn in der Wartezeit keine Effekte beobachtbar sind. Zeichnet sich hingegen
bereits in der Wartephase eine deutliche Symptomreduktion ab, wie es in der
vorliegenden Studie der Fall ist, können zusätzliche signifikante Effekte der
Behandlungsphase nur schwer nachgewiesen werden. Vergleicht man beispielsweise
die Effektstärken, die im SBB-DES, FBB-DES und DIKJ in der Wartephase ermittelt
wurden, stellt man fest, dass diese im mittleren Bereich liegen. Auch die Effektstärken
der Kompetenzskalen liegen, bezogen auf die Wartephase, im kleineren bis mittleren
Bereich. Um spezifische Effekte der Intervention nachweisen zu können, benötigt man
u. a. generell eine deutlich größere Stichprobe. In einem randomisierten
Kontrollgruppen-Design mit einer verblindeten Kontrollgruppe und einer ausreichend
großen Stichprobe hätte man der Problematik der Wartezeiteffekte vermutlich besser
begegnen können. Insofern ist mit dem Eigenkontrollgruppendesign ein sehr
konservatives Vorgehen gewählt worden, weil es davon ausgeht, dass sich
anfängliche Effekte in einer kurzen Wartezeit linear fortsetzten und ein Therapieeffekt
277
nur dann festzustellen ist, wenn sich in der Therapiephase deutlich stärkere
Reduktionen einstellen, als anhand des Wartezeitverlaufs prognostiziert wird.
Als Ursachen für die Reduktion der depressiven Symptomatik und die Zunahme der
Kompetenzen in der behandlungsfreien Wartephase kommen in Betracht, dass die
Patienten und deren Eltern bereits durch die Gewissheit, ein therapeutisches Angebot
zu erhalten, eine deutliche Entlastung erfahren haben. Die Hoffnung auf qualifizierte
therapeutische Unterstützung und die damit einhergehende Bearbeitung der
subjektiven Belastungen, können, wie bei einem Placeboeffekt, dazu beigetragen
haben, dass sich die depressive Symptomatik in der Wartezeit so deutlich verringert
hat. In der Depressionsforschung ist der Placeboeffekt keine Seltenheit (Khan, Warner
& Brown 2000, Khan & Brown 2015), viel verwunderlicher ist, dass sich dieser Effekt
vermutlich auch in Bezug auf die Wahrnehmung der persönlichen Kompetenzen
manifestiert hat. Die Forschungsliteratur weist eher darauf hin, dass der Aufbau von
Kompetenzen ein mitunter langwieriger Prozess ist und es viel praktischer Übung im
lebensnahen Umfeld bedarf, um die sozialen Fertigkeiten im Jugendalter nachhaltig
zu
verbessern.
Eine
plausible
Erklärung
für
den
wahrgenommenen
Kompetenzzuwachs der Jugendlichen in der Wartezeit könnte daher sein, dass sich
nicht die Kompetenzen als solche in der Wartezeit verbessert haben, sondern die
Selbstwirksamkeitserwartung, die sich wiederum in einer positiven Beurteilung der
persönlichen Fertigkeiten und ggf. einer besseren Einschätzung des Selbstwertes
niederschlagen haben könnte.
Analysiert man im nächsten Schritt die Effekte, die in der Follow-up-Phase erzielt
wurden, zeigt sich weder in Bezug auf die depressive Symptomatik, noch bzgl. der
Kompetenzen oder des Selbstwertes eine signifikante Veränderung nach Abschluss
der Behandlung. Die postulierte Hypothese der Stabilität der Effekte im dreimonatigen
Follow-up-Zeitraum konnte damit, sowohl für die depressive Symptomatik, als auch für
den Selbstwert und die Kompetenzen der untersuchten Jugendlichen, bestätigt
werden. Die Effektstärken liegen für alle eingesetzten Messinstrumente erwartungskonform - im sehr kleinen Bereich. Kritisch zu diskutieren ist an dieser Stelle
sicherlich, ob ein dreimonatiges Follow-up die These der Stabilität der Effekte
überhaupt stützt – zumal zwei Patienten auch während der Follow-up-Phase einige
zusätzliche Termine erhalten haben. Auf diesen Aspekt wird im Zuge der
278
Beschreibung der Limitationen dieser Studie näher eingegangen. Streng genommen
wurden in der vorliegenden Pilotstudie nur die Kurzzeiteffekte der Behandlung
untersucht. Zur Analyse der langfristigen Effekte der Interventionen bedarf es
zweifelsohne
weiterer
Forschung,
unter
der
Voraussetzung
längerer
Katamnesezeiträume von beispielsweise sechs Monaten oder einem Jahr.
Die sekundären Analysen bezogen sich zum einen auf die Fragestellung, ob sich die
komorbide Symptomatik nach Abschluss der Interventionen, im Vergleich zum
Zeitpunkt vor Behandlungsbeginn, signifikant verbessert hat (Prä-Post-Vergleiche).
Des Weiteren wurde überprüft, inwieweit sich die Problemhäufigkeit und die daraus
resultierende Problembelastung während der Behandlung reduziert haben. Da die
individuelle Problemliste nur in der Interventionsphase erhoben worden ist, können
keine Vergleiche mit der Warte- oder Follow-up-Phase erfolgen, was die
Aussagefähigkeit in Bezug auf die Problemausprägung und –belastung deutlich
einschränkt.
Wenn man zunächst die Ergebnisse der Breitbandverfahren YSR (Jugendlichenurteil)
und CBCL (Elternurteil) betrachtet, wird deutlich, dass sich auf allen drei
Gesamtskalen (internale Skala, externale Skala, Gesamtskala) und auf allen drei
internalen Subskalen (sozialer Rückzug, somatische Beschwerden, Ängstlichkeit /
Depressivität) eine signifikante Symptomreduktion von Prä nach Post nachweisen ließ.
Dies gilt in gleichem Maße für das Selbsturteil (YSR), wie für das Fremdurteil aus
Elternsicht (CBCL). Die Effektstärken liegen, abgesehen von den Skalen „somatische
Beschwerden“ im YSR (d = 0,76) und „externale Skala“ im CBCL (d = 0,63), alle in
einem hohen bis sehr hohen Bereich. Somit konnte gezeigt werden, dass sich nicht
nur die internale, sondern auch die externale Begleitsymptomatik von Prä (MZP1) nach
Post (MZP6) signifikant verringert hat. Die formulierte Forschungshypothese konnte
dementsprechend bestätigt werden. Einschränkend muss jedoch betont werden, dass
die externale Begleitsymptomatik bei den untersuchten Jugendlichen ohnehin
ungewöhnlich gering ausgeprägt war, im Vergleich zu anderen klinischen Stichproben.
Die Effektstärke in Bezug auf die externale Symptomatik ist folglich, in Relation zu den
für die anderen Skalen ermittelten Effektstärken, als vergleichsweise geringer
einzustufen (externale Skala YSR d = 0,94; CBCL d = 0,63). Da es sich bei diesen
Analysen um Prä-Post-Vergleiche handelt, können die Ergebnisse nicht in Relation zur
279
Wartezeit oder zum Follow-up-Zeitraum gesetzt werden. Es bleibt aufgrund der
fehlenden Kontrollgruppe außerdem unklar, ob sich die Effekte auf die Interventionen
zurückführen lassen.
Im Rahmen der sekundären Analysen wurde auch die individuelle Problemliste
ausgewertet. Die statistische Auswertung der im Interventionszeitraum wöchentlich
erhobenen individuellen Problemliste weist auf eine signifikante Reduktion der
Problemhäufigkeit und Problembelastung der Jugendlichen im Therapieverlauf hin.
Die Effektstärken sind als hoch einzuschätzen. So wurde für die Problemhäufigkeit
eine Effektstärke von d = -1,64 ermittelt und für die Problembelastung eine Effektstärke
von d = -1,25. Da die Problemliste nur vom Jugendlichen ausgefüllt worden ist und
zudem nur im Interventionszeitraum, sind die Ergebnisse nur unter Vorbehalt
interpretierbar. Da keine Informationen über die Problemausprägung vor Beginn der
Behandlung vorliegen, sind keine Rückschlüsse auf die Zeit vor Beginn der
Interventionen zulässig. Denkbar ist, dass es bereits in der Wartephase zu
Veränderungen in Bezug auf die Problemhäufigkeit oder wahrgenommene Belastung
gekommen ist. Umgekehrt muss auch in Erwägung gezogen werden, dass sich die
Problemausprägung und Belastung durch die Probleme im Follow-up-Zeitraum wieder
deutlich verschlechtert haben könnten. Diese Fragestellung kann nicht beantwortet
werden.
Ziel
weiterführender
Forschungsarbeiten
sollte
daher
sein,
die
Problemhäufigkeit und –belastung auch in der Wartezeit und bei der Follow-upMessung zu erheben.
Obwohl die Problemliste nur im Interventionszeitraum eingesetzt wurde, hat sie sich in
der vorliegenden Studie als änderungssensitives Messinstrument auf Individualebene
erwiesen. Problematisch ist jedoch, dass differenzierte, interindividuelle Vergleiche der
Patienten nicht möglich waren, da die Patientin teilweise sehr unterschiedliche
Probleme als Hauptprobleme definiert haben. Bei der Analyse der Problemlisten auf
Individualebene zeigte sich zudem im Gesamtverlauf eine große Fluktuation in der
Problembelastung. Bei einigen Patienten nahm die Problembelastung in den Ferien
deutlich ab, obwohl die definierten Probleme keine schulbezogenen Probleme waren.
Es ist daher davon auszugehen, dass die ferienbedingte Entlastung der Jugendlichen
sich auch auf die Beurteilung der problembezogenen Belastung ausgewirkt hat.
Kritisch ist ferner anzumerken, dass die Problemliste nur durch den Jugendlichen
280
bearbeitet wurde und somit keine objektivierbaren Informationen aus Sicht der Eltern
oder der Lehrer vorliegen. Auf ein externes Urteil wurde verzichtet, weil die Eltern in
unterschiedlicher Intensität an den Therapiesitzungen teilgenommen haben und die
Lehrer, auf Wunsch der Jugendlichen, zum Teil gar nicht in die Behandlung involviert
wurden. Bei der Konzeption künftiger Forschungsarbeiten wäre es ratsam, zumindest
einmal monatlich eine Problemliste durch die Eltern beurteilen zu lassen, um neben
dem sehr subjektiven Selbsturteil der Jugendlichen auch ein etwas objektiveres
Fremdurteil zu erhalten.
Schließlich
wurden
im
Rahmen
der
weiteren
Analysen
auch
die
Behandlungszufriedenheit und der Erfolg der Behandlung aus Sicht des Patienten, der
Eltern und des behandelnden Therapeuten untersucht. Hierbei ist, wie bei allen
diagnostischen Verfahren, nicht auszuschließen, dass bestimmte Antworttendenzen,
beispielsweise bedingt durch sozial erwünschtes Verhalten oder die Rechtfertigung
der Anstrengungen der Patienten und Eltern im Studienverlauf („effort justification“),
vorliegen. Denkbar ist natürlich auch, dass die Patienten und Eltern, bei Vorliegen
einer
guten
therapeutischen
Beziehung,
dem
Therapeuten
zuliebe
den
Behandlungsverlauf besonders positiv darstellten und dementsprechend auch eine
hohe Behandlungszufriedenheit angaben. Umgekehrt ist auch möglich, dass die
Familien sich unwohl bei dem Gedanken fühlten, dass der Therapeut anhand der
Fragebögen nachvollziehen kann, ob sie mit der Therapie und dem Therapeuten
zufrieden waren und deshalb positive Beurteilungen abgaben. Um den Jugendlichen
und deren Familien ein möglichst neutrales Bewerten der Behandlung zu ermöglichen,
wurden die Fragebögen zur Zufriedenheit mit der Behandlung mit nach Hause
gegeben und nicht in der Therapiestunde, in Gegenwart des Therapeuten, ausgefüllt.
Obwohl die Limitationen der Studie weiter unten ausführlich diskutiert werden, sollte
an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, dass die Bewertung der Ergebnisse
aufgrund der zu geringen Anzahl und dadurch nicht auswertbarer Lehrerurteile primär
auf der Beurteilung der Jugendlichen beruht und in Bezug auf einige Symptombereiche
auch auf der ergänzenden Beurteilung durch die Eltern. Damit fehlt eine außerfamiliäre
Informationsquelle im Kontext der Gesamtbewertung der Forschungsergebnisse.
281
8.2
Bewertung des Effektivität des Therapiemoduls SELBST Selbstwert-,
Aktivitäts- und Affektprobleme
Die Effektivität der Therapiemanuals kann, wie bereits im Rahmen der Interpretation
der Forschungsergebnisse ausführlich dargelegt, nur richtungsweisend erfolgen.
Hinzu kommt, dass aufgrund des Studiendesigns keine statistischen Analysen in
Bezug auf die Wirksamkeit einzelner Interventionsbausteine möglich waren. Daher
werden im Folgenden die Vorzüge und Schwierigkeiten in Bezug auf die
Anwendbarkeit und Umsetzbarkeit der therapeutischen Materialien bzw. der einzelnen
Therapiebausteine
aus
klinischer
Sicht
beurteilt.
Bei
der
Bewertung
der
Therapiematerialien und des gesamten Studienablaufs wurden auch maßgeblich die
Rückmeldungen der Jugendlichen und deren Bezugspersonen berücksichtigt.
Aus therapeutischer Sicht wird deutlich, wie wesentlich eine strukturierte Gestaltung
der probatorischen Phase sowohl für den Therapeuten, als auch für die
Studienteilnehmer gewesen ist. Die ausführliche Exploration der individuellen
Problembereiche aus der Perspektive des Jugendlichen und der Eltern, sowie die
detaillierte Formulierung der Therapieziele scheinen die Behandlungsmotivation der
Patienten gestärkt zu haben. Die Erarbeitung eines gemeinsamen multifaktoriellen
Störungsmodells und die im Therapieverlauf wiederkehrenden psychoedukativen
Elemente haben u. a. zur Erweiterung des Wissens über depressive Störungen und
Selbstwertprobleme im Jugendalter beigetragen und wurden von den Familien
durchweg als hilfreich beurteilt. Die explizite Benennung individueller auslösender und
aufrechterhaltender Faktoren der Depression und Selbstwertstörung hat für mehr
Verständnis auf Seiten der Eltern gesorgt und bereits in der probatorischen Phase zu
einer Entlastung der Jugendlichen beigetragen. Es ist zudem der Eindruck entstanden,
dass durch die Entwicklung eines individuellen Störungsmodells gleichzeitig
verdeutlicht werden konnte, welche auslösenden und aufrechterhaltenden Faktoren im
Rahmen der Therapie bearbeitet werden müssen, um eine Reduktion der Symptomatik
zu erzielen. Dies wiederum hat die Therapiemotivation und die Compliance, nach
klinischer Beurteilung, gestärkt und die Formulierung angemessener Therapieziele
erleichtert.
Eine sorgfältige, möglichst transparente Therapieplanung ist allerdings nicht nur in der
probatorischen Phase sinnvoll, sondern hat sich, aus Sicht der behandelnden
Therapeutinnen, auch im weiteren Verlauf der Behandlung bewährt. Wie bei den
282
meisten psychiatrischen Störungsbildern, erscheint es auch bei depressiven
Jugendlichen hilfreich, eine gewisse wiederkehrende und vorhersehbare Struktur
beizubehalten und möglichst früh im Therapieprozess Erfolgserlebnisse zu schaffen,
um die Therapiemotivation aufrecht zu erhalten. Aus diesem Grund wurden die
Therapieziele in kleine Teilziele unterteilt, die aus Sicht der Patienten und des
Therapeuten möglichst leicht zu realisieren waren. Obwohl das evaluierte
Behandlungsmodul keine Vorgaben hinsichtlich der Reihenfolge der Durchführung der
Therapiebausteine vorsieht, hat es sich in der untersuchten klinischen Stichprobe
bewährt, mit den stärkenfokussierten und ressourcenaktivierenden Methoden oder
alternativ mit den aktivitätssteigernden Interventionen zu beginnen, vor allem bei sehr
antriebsarmen
und
sozial
rückzügigen
Jugendlichen.
Bei
Patienten
mit
vorherrschenden Kompetenzdefiziten und starken Zweifeln an der eigenen Person
zeigte sich jedoch im Rahmen der Studie, dass ein zu früher Einsatz
antriebssteigernder Interventionen mitunter zu einer Zunahme von sozialer
Ängstlichkeit und in Konsequenz zu Widerständen in Bezug auf die Umsetzung der
Therapiehausaufgaben führen kann. Dies konnte insbesondere bei den sozial
phobischen Jugendlichen beobachtet werden. Die Patienten profitierten auch von den
achtsamkeitsfokussierten Übungen, wenngleich nicht alle Patienten die Übungen zu
Hause vertieften.
Einen wesentlichen Anteil der Therapie nehmen konzeptionell im Behandlungsmanual
SELBST – und insbesondere im untersuchten Modul „Selbstwert-, Aktivitäts- und
Affektprobleme“ – kognitive Interventionen ein. Kognitive Interventionen haben sich
insgesamt hinsichtlich ihrer Wirksamkeit in der Behandlung von depressiven
Jugendlichen und Erwachsenen als effektiv erwiesen. Auch in der vorliegenden
Pilotstudie kann dies nach klinischem Eindruck bestätigt werden. Da ausschließlich
Jugendliche und keine jüngeren Kinder behandelt wurden, konnten die kognitiven
Interventionen gut nachvollzogen und manualgetreu umgesetzt werden. Dies liegt
sicherlich auch daran, dass alle Jugendlichen durchschnittlich begabt waren. Die
psychoedukativen Elemente des kognitiven Bausteins konnten von den Jugendlichen
und den Eltern gut verinnerlicht werden. Während ein Großteil der Patienten im
Therapieverlauf optimistischere Zukunftsgedanken entwickeln konnte, fiel es einigen
Jugendlichen schwer, positive Kognitionen in Bezug auf die eigene Person zu
entwickeln. Rückblickend entstand der Eindruck, dass selbstbezogene Kognitionen
283
änderungsresistenter waren als Kognitionen in Bezug auf die Umwelt oder die Zukunft.
Bei der Therapieplanung sollte daher berücksichtigt werden, mehr Zeit für die
Korrektur
selbstabwertender
Kognitionen
einzuplanen
und
diese
mit
erlebnisorientierten Interventionen, die die Wahrscheinlichkeit von Erfolgserlebnissen
erhöhen, zu kombinieren.
In Bezug auf die Interventionen, die auf die Steigerung der sozialen Kompetenzen
zielen, konnte aus den Rückmeldungen der Jugendlichen und der Eltern eine gute
Akzeptanz der Therapiematerialien abgeleitet werden. Insbesondere Interventionen,
die die Kontaktaufnahme und –gestaltung trainierten, wurden – nach gelegentlicher
anfänglicher Skepsis und Unsicherheit – sehr gut von den Jugendlichen angenommen.
Aus Therapeutensicht erwiesen sich hierbei in erster Linie die Rollenspiele und
Übungen im persönlichen Umfeld der Jugendlichen als effektiv. Auch die
Interventionen zur Verbesserung der intrafamiliären Kommunikation und besseren
Kritikfähigkeit wurden gut akzeptiert und zeigten eine entlastende Wirkung innerhalb
des Familiensystems. Den Jugendlichen sollte unserer Erfahrung nach auch
ausreichend Möglichkeit zur Erprobung neu erlernter Fertigkeiten im therapeutischen
Setting (z.B. in Form von Rollenspielen) und im Alltag gegeben werden. Es hat sich
gezeigt, dass es hilfreich war, wenn die Eltern über die geplante Erprobung neu
erworbener Kompetenzen informiert waren und die Übungen zu Hause bei Bedarf
unterstützten.
Als
relevante
Wirkfaktoren
können
in
diesem
Kontext
die
Selbstwirksamkeitserwartung der Jugendlichen, Probleme erfolgreich meistern zu
können, altersadäquat mit anderen Jugendlichen in Kontakt zu treten und sich
angemessen gegenüber Gleichaltrigen behaupten zu können, in Betracht gezogen
werden. Die Steigerung der Selbstwirksamkeit wiederum scheint sich positiv auf den
Selbstwert auszuwirken und trägt vermutlich, neben anderen Wirkfaktoren, zur
Stabilisierung der Stimmung bei. Weiterführende Studien sollten dieser interessanten
Fragestellung
des
Einflusses
von
erlebter
Selbstwirksamkeit
auf
die
Kompetenzerwartung und die Selbstwertentwicklung in der Adoleszenz vertiefend
nachgehen.
Wichtig
erscheint
auch,
die
Interventionen
zur
Stärkung
der
Selbstwirksamkeit von Jugendlichen gezielt weiterzuentwickeln, da sie vermutlich nicht
nur den Therapieverlauf stabilisieren, sondern eventuell auch einen protektiven Effekt
besitzen.
284
Ein weiterer Therapiebaustein, der sich in der Studie als effektiv dargestellt hat, ist der
Baustein zur Affektregulation und Impulskontrolle. Zwar haben nicht alle Patienten
Schwierigkeiten mit der Impulskontrolle gehabt, aber bei den Patienten, die zu
selbstverletzendem Verhalten neigten, haben sich die Interventionen, aus klinischer
Sicht und laut Rückmeldung der Jugendlichen, als sehr wirksam erwiesen. Von den
Therapiematerialien
zur
Verbesserung
der
Affektregulation
profitierten
augenscheinlich in besonderem Maße die Jugendlichen mit starken, teils
unvorhersehbaren
„kritischen
Stimmungsschwankungen.
Situationen“
und
von
Die
Erarbeitung
Frühwarnzeichen,
die
von
einem
typischen
emotionalen
Kontrollverlust und dem Verlust der Impulskontrolle vorausgehen, scheint für die
untersuchten Patienten sehr hilfreich gewesen zu sein. Durch das Erlernen
altersadäquater
Handlungsalternativen
und
den
Abbau
maladaptiver
Verhaltensweisen, als Reaktionen auf frustrierende Ereignisse, konnte vermutlich dem
subjektiven
Gefühl der
Unkontrollierbarkeit
der Situation
und
den
daraus
resultierenden Emotionen entgegengewirkt werden.
Da die Elternarbeit in unterschiedlicher Intensität erfolgte, einige Eltern sogar gar nicht
in den therapeutischen Prozess involviert wurden, können vergleichsweise wenige
fundierte
Hinweise
auf
die
Umsetzbarkeit
der
bezugspersonenzentrierten
Interventionen gegeben werden. Die Eltern scheinen aber, dem klinischen Eindruck
nach
zu
urteilen,
vor
allem
von
den
Interventionen
zur
Stärkung
der
Erziehungskompetenzen profitiert zu haben. Auch die fundierte Psychoedukation über
die Entstehung resp. den Verlauf von Depressionen und Selbstwertproblemen, sowie
die Informationen über geeignete verhaltenstherapeutische Interventionen, wurden
von den Bezugspersonen sehr gut aufgenommen und als hilfreich eingeschätzt.
Insgesamt wurde die Behandlung mit dem SELSBT-Modul „Selbstwert-, Aktivitäts- und
Affektprobleme“, sowohl von den Jugendlichen und deren Eltern, als auch von den
Therapeutinnen, erwartungsgemäß positiv bewertet. Die Behandlungszufriedenheit
nach Abschluss der Studie ist im Patienten- und Therapeutenurteil als gut eingeschätzt
worden, im Elternurteil sogar als sehr gut. Der Behandlungserfolg ist aus Sicht der
Jugendlichen und der Eltern überwiegend erfolgreich. Aus Sicht der Therapeutinnen
liegt gemittelt sogar ein vollständig erfolgreicher Behandlungsverlauf vor. Die überaus
positive
Bewertung
des
Behandlungserfolges
285
aus
Therapeutensicht,
die
erstaunlicherweise besser ausfällt, als die Beurteilung der Familien, könnte auf ein
Antwortbias (im Sinne von „effort justification“) hinweisen, verbunden mit der Hoffnung
eines erfolgreichen Therapieverlaufes und der daraus resultierenden positiveren
Therapiebeurteilung. Alternativ ist auch denkbar, dass die Jugendlichen zwar eine
deutliche Linderung der Primärsymptomatik wahrgenommen haben, die sich auch in
der Verlaufsdiagnostik widerspiegelt, aber eventuell weitere Belastungen vorliegen,
die nicht Gegenstand der Therapie waren und zu der etwas skeptischeren Beurteilung
des Behandlungserfolges beigetragen haben. Viele Jugendliche haben in den
Abschlussstunden, in denen neben der Rückfallprophylaxe auch die erzielten
Therapiefortschritte reflektiert wurden, berichtet, dass sie zwar eine deutliche
Stimmungsaufhellung und Aktivitätssteigerung registrieren und auch optimistischere
Denkmuster entwickelt haben, aber sich zum Teil nach wie vor unsicher in
unterschiedlichen sozialen Situationen fühlen. Insbesondere das souveräne Auftreten
im Gleichaltrigenverband und das Knüpfen neuer Kontakte stellt für einen Teil der
untersuchten Patienten, auch nach Therapieabschluss, eine Herausforderung dar.
Aus diesem Grund erscheint es unabdingbar, wie ausführlich beschrieben,
ausreichend Zeit für die Erprobung neuer Fertigkeiten im Alltag einzuplanen, um die
erzielten Therapieerfolge auch nachhaltig im persönlichen Lebensumfeld der
Jugendlichen zu verankern.
Zusammenfassend lässt sich konstatieren, dass das Behandlungsmodul „SELBST
Selbstwert-, Aktivitäts- und Affektprobleme“ als hilfreich und gut anwendbar in Bezug
auf die Behandlung von depressiven Störungen und Selbstwertproblemen in der
Adoleszenz beurteilt werden kann. Die Pilotstudie zeigt, trotz der sehr geringen
Stichprobengröße von 12 Patienten, rekrutiert aus einer Inanspruchnahmepopulation,
erste Hinweise auf die Wirksamkeit und Stabilität der durchgeführten Interventionen.
8.3
Einordnung der Ergebnisse in den Forschungsstand
Die aktuelle Studienlage in Bezug auf die Effektivität kognitiv-behavioraler
Interventionen zur Behandlung von Selbstwert-, Aktivitäts- und Affektstörungen weist
zusammenfassend auf die Wirksamkeit kognitiv-behavioraler Methoden hin. Die
Ergebnisse bisheriger randomisierter Kontrollgruppen-Studien und Meta-Analysen, die
beispielsweise die Wirksamkeit verhaltenstherapeutischer Methoden, bezogen auf
depressive Jugendliche, untersucht haben, weisen auf eine signifikante Überlegenheit
286
der verhaltenstherapeutisch
behandelten - im
Vergleich
zu
unbehandelten
Jugendlichen - hin (Michael & Crowley 2002; Weisz et al. 2006; Watanabe et al. 2007;
Zhou, Hetrick, Cuijpers, Qin, Barth, Whittington et al. 2015). Grundsätzlich stehen die
Ergebnisse der vorliegenden Pilotstudie, in Bezug auf die Wirksamkeit der
eingesetzten kognitiv-behavioralen Methoden, in Einklang mit dem aktuellen
Forschungsstand.
Vergleicht man die vorliegende Studie mit anderen Studien, die ebenfalls die
Wirksamkeit kognitiv-behavioraler Interventionen an einer Stichprobe depressiver
Jugendlicher überprüft haben, fällt auf, dass die Dauer der Behandlung in der Regel
deutlich kürzer ist, d. h. mehrheitlich ca. 6 – 16 Sitzungen umfasst (Zhou et al. 2015).
In der vorliegenden Studie wurde explizit eine längere Therapiedauer (24
Therapiesitzungen)
gewählt.
Des
Weiteren
besteht
die
kognitiv-behaviorale
Behandlung in den meisten Studien nahezu ausschließlich aus kognitiven Techniken
(kognitive Umstrukturierung) und Aktivitätssteigerung. So wurden beispielsweise in der
Studie von Stice, Rohde, Gau & Wade (2010), im Rahmen von sechs
Gruppensitzungen, angenehme Aktivitäten und der Umgang mit künftigen Stressoren
thematisiert, sowie die Methode der kognitiven Umstrukturierung vermittelt. In der
TADS-Studie (TADS-Team 2004) wurden kognitiv-behaviorale Methoden, wie
Aktivitätssteigerung, Problemlösen und kognitive Umstrukturierung, in Hinblick auf ihre
Wirksamkeit
im
Vergleich
zu
einer
Fluoxetin-Behandlung,
einer
Kombinationsbehandlung (CBT+Fluoxetin) und einer Placebobehandlung untersucht.
Ähnlich, wie in der vorliegenden Studie, wurden die Eltern aktiv in den therapeutischen
Prozess
involviert.
Der
entscheidende
Unterschied
gegenüber
anderen
Effektivitätsstudien ist, dass in dieser Studie neben der Aktivitätssteigerung und der
kognitiven Umstrukturierung auch explizit Interventionen zur Verbesserung des
Selbstbildes, zur Stärkung Impulskontrolle und Affektregulation und zum Training der
sozialen
Kompetenzen
bzw.
zur
Erweiterung
der
Problemlösekompetenzen
durchgeführt worden sind. Des Weiteren fanden im Rahmen der Behandlung auch
achtsamkeitsbasierte Verfahren und Biografiearbeit Anwendung. Somit erfolgt die
Beurteilung der Interventionen des SELBST Moduls auf einer breiten Basis
verhaltenstherapeutischer Methoden.
Vergleicht man den Grad der Individualisierung der psychotherapeutischen
Behandlung mit anderen Studien, wird deutlich, dass in den Publikationen meist nicht
explizit beschrieben wird, auf welcher Grundlage die Auswahl und Reihenfolge der
287
Interventionen
erfolgt
ist.
Oft
wird,
zur
besseren
Vergleichbarkeit
der
Studienergebnisse, ein standardisiertes Vorgehen favorisiert. In der TADS-Studie
(2004) wird beispielsweise zumindest ein individualisiertes Vorgehen beschrieben, in
der Gestalt, dass die Auswahl der verhaltenstherapeutischen Methoden zwischen der
7. und 12. Behandlungswoche durch den Therapeuten erfolgte. Die SPARX-Studie
(Merry et al. 2012), vergleicht ein computergestütztes kognitiv-behaviorales
Behandlungsprogramm mit einer „treatment as usual“ Behandlungsbedingung
(psychologische Behandlung oder pädagogische Beratung). Bei der SPARX-Studie
wurde ein standardisiertes Vorgehen gewählt, bei dem die Jugendlichen alle sieben
Interventionen in gleicher Weise durchlaufen. Der SELBST-Studie liegt dagegen ein
individualisiertes Vorgehen zugrunde, um möglichst reale Behandlungsbedingungen
zu schaffen, die einem ambulanten Behandlungssetting entsprechen.
Hinsichtlich der eingesetzten Messinstrumente und gewählten Messzeitpunkte zeigt
sich, im Vergleich zu anderen Effektivitätsstudien, erwartungsgemäß, eine große
Variabilität. In der SELBST-Studie wurden die Daten, im Sinne einer Verlaufsmessung,
zu insgesamt sieben Messzeitpunkten erhoben. Somit waren Vergleiche der
Wartephase mit dem Interventionszeitraum möglich, ebenso wie potentielle
Veränderungen während der Follow-up-Phase. Zur Erhebung des globalen
Selbstwerts wurde – orientiert an einer Vielzahl internationaler Studien – die
„Rosenberg Self-esteem Scale“ eingesetzt. Auch die „Child Behavior Checklist“ resp.
der „Youth Self Report“ werden international in vielen Studien zur Erhebung internaler
und externaler Symptomatik genutzt und wurden dementsprechend auch in der
vorliegenden Studie zur Erfassung der komorbiden Symptomatik angewandt. Das
störungsspezifische Verfahren DIKJ, zur Erfassung der depressiven Symptomatik,
stellt die deutsche Version des „Children’s Depression Inventory“ dar, welches neben
der „Children’s Depression Rating Scale“ zu den international häufig gebräuchlichen
Verfahren gehört. Neben den Selbstbeurteilungsverfahren erfolgte in der SELBSTStudie auch eine Fremdbeurteilung der depressiven und komorbiden Symptomatik
durch die Eltern (FBB-DES, CBCL).
Vergleicht man abschließend die Ergebnisse kontrollierter Effektivitäts-Studien, mit der
vorliegenden Eigenkontrollgruppen-Studie, wird deutlich, dass die Effekte in Bezug auf
die Reduktion der depressiven Symptomatik vergleichbar sind. In der Meta-Analyse
von Michael & Crowley (2002), in der 24 Studien mit über 1100 depressiven Kindern
und Jugendlichen berücksichtig worden sind, konnte beispielsweise, im Vergleich der
288
Behandlungs- mit der Kontrollgruppe, eine mittlere Effektstärke von 0.72 ermittelt
werden. Die Meta-Analyse von Weisz und Kollegen (2006), die insgesamt 35
kontrollierte Studien berücksichtigt hat, weist ebenfalls auf eine moderate Effektstärke
kognitiv-behavioraler Interventionen hin (ES 0.35). In der vorliegenden Studie wurde
in Bezug auf das DIKJ während der Interventionsphase ebenfalls eine mittlere
Effektstärke von -0,42 (im Sinne einer moderaten Symptomreduktion) ermittelt. In den
Selbst- und Fremdbeurteilungsbögen zur depressiven Symptomatik konnten für den
Zeitraum der Intervention (MZP2 bis MZP6) sogar sehr hohe Effektstärken ermittelt
werden (SBB-DES d = -1,45; FBB-DES d = -1,13). Die Befunde weisen auf eine
klinisch bedeutsame Symptomreduktion im Behandlungsverlauf hin, obgleich die
Symptomreduktion, in Relation zur Wartezeit, nicht signifikant ist.
In einer randomisierten Kontrollgruppen-Studie von De Cuyper, Timbremont, Breat, De
Backer & Wullert (2004) wurden depressive Kinder im Alter von zehn bis 12 Jahren,
die am kognitiv-behavioralen Programm „Taking Action“ von Stark & Kendall (1996)
teilnahmen, mit Kindern einer Warte-Kontrollgruppe verglichen. Neben der Erfassung
der depressiven Symptomatik („Children’s Depression Inventory“) wurde auch explizit
die globale Selbstwertschätzung mittels des „Self Perception Profile for Children“
(Untertest „global self-worth“) erfasst. Zusätzlich zum Selbsturteil der Kinder wurde ein
Fremdurteil über die Eltern (CBCL) erhoben. Die Autoren konnten in Bezug auf die
globale Selbstwertschätzung zum 4-Monats-Follow-up eine Effektstärke von d = 1.34
und zum 12-Monats-Follow-up eine Effektstärke von d = 1.25 ermitteln. Vergleicht man
diese Befunde mit den Daten der vorliegenden Studie, zeigt sich in Bezug auf die Skala
zur allgemeinen Selbstwertschätzung (Subskala des FSKN) in der Interventionsphase
eine geringere Effektstärke von d = 0,55. Auch in Bezug auf den globalen Selbstwert,
erfasst über die Rosenberg Self-esteem Scale, konnten nur mittlere Effektstärken 0,50
ermittelt werden. Die abweichenden Effektstärken lassen sich wahrscheinlich u.a. auf
Unterschiede hinsichtlich der Ausprägung der depressiven Symptomatik der Patienten
zurückführen. Während in der Studie von De Cuyper et al. nur Kinder mit moderater
depressiver
Symptomatik
behandelt
worden
sind,
die
dementsprechend
wahrscheinlich auch nur leichte Selbstwertprobleme hatten, konnten vermutlich
bessere Therapieerfolge in Bezug auf die allgemeine Selbstwertschätzung erzielt
werden als in der SELBST-Studie, in der überwiegend Jugendliche mit deutlicher
depressiver Symptomatik und ausgeprägter Selbstwertstörung behandelt wurden. Als
289
weiterer Grund für die divergierenden Effektstärken könnte auch das unterschiedliche
Altersspektrum (Prä-Adoleszenz vs. Adoleszenz) herangezogen werden, was die
Vergleichbarkeit der Daten erschwert. Zusammenfassend lässt sich folglich festhalten,
dass die Effekte der vorliegenden Pilotstudie, zumindest in Bezug auf die Reduktion
der depressiven Symptomatik, mit den Ergebnissen publizierter Meta-Analysen
übereinstimmen. In Bezug auf die Verbesserung des Selbstwertes konnten im
Vergleich zu anderen Effektivitätsstudien tendenziell ähnliche Befunde gefunden
werden, wenngleich die Studien aufgrund unterschiedlicher Studien-Designs, anderer
Interventionen und variierender Stichprobenzusammensetzung (deutlich jüngere
Kinder oder Erwachsene, andere Primärsymptomatik, wie Essstörung oder
Angststörung etc.) nur bedingt vergleichbar sind.
8.4
Limitationen der Studie und Ausblick
Die
größte
Limitation
der
vorliegenden
Pilotstudie
stellt
die
sehr
kleine
Stichprobengröße von 12 Studienteilnehmern dar. Da es sich zudem um eine
homogene Stichprobe depressiver Adoleszenten handelt, können die Ergebnisse nicht
generalisiert werden auf andere Störungsbilder, die häufig im Jugendalter auftreten
bzw. auf jüngere Kinder und junge Erwachsene. Die geringe Stichprobengröße trägt
zu einer massiven Verringerung der statistischen Power bei, was dazu führt, dass
eventuell vorhandene Effekte der therapeutischen Interventionen des SELBST-Moduls
nicht nachgewiesen werden können. Treatmentspezifische Effekte würden sich erst
bei hinreichend großer Stichprobe und damit wachsender Teststärke statistisch
signifikant aufdecken lassen. Hinzu kommt, dass die Wartezeit, im Vergleich zum
Interventionszeitraum, als sehr kurz einzuschätzen ist. Kritisch zu diskutierten ist in
diesem Zusammenhang auch, ob der gewählte Interventionszeitraum - mit insgesamt
24 Therapiestunden - ausreichend war, um die Selbstwertproblematik sowie die
depressive Symptomatik der Probanden nachhaltig zu therapieren. Von weiteren
sechs Therapiestunden, d.h. einer Gesamttherapiedauer von ca. 30 Stunden, was
dem Stundenkontingent einer Kurzzeittherapie entspricht, hätten sicherlich alle
Patienten profitiert. Dies hätte möglicherweise zu einer weiteren Stabilisierung der
erzielten Behandlungseffekte beigetragen. Zudem wäre eine variable Therapiedauer
der interindividuell mehr oder weniger stark variierenden depressiven Symptomatik
besser gerecht geworden, jedoch hätte dies die Interpretierbarkeit der Ergebnisse
deutlich erschwert. Des Weiteren hätte eine längere Follow-up-Phase von
290
beispielsweise sechs Monaten oder einem Jahr fundiertere Informationen über die
Langzeitstabilität der Behandlungseffekte geliefert, als ein 3-Monats-Follow-up. Da
jedoch
längere
Katamnesezeiträume
immer
die
Gefahr des
Verlusts
von
Studienteilnehmern mit sich bringen und ein Stichprobenumfang von N = 12 Patienten
ohnehin als sehr kleine Stichprobengröße zu werten ist, wurde bewusst eine kurze
Follow-up-Phase von drei Monaten gewählt. Die Interpretation der Ergebnisse der
Pilotstudie darf dementsprechend, sowohl aufgrund der geringen Stichprobengröße
und fehlenden Kontrollgruppe, als auch vor dem Hintergrund der kurzen Follow-upPhase, nur richtungsweisend erfolgen.
Da
die
katamnestische
Behandlungseffekte
Untersuchung
diente,
waren
der
in
Überprüfung
diesem
der
Zeitraum
Stabilität
keine
der
weiteren
Therapiestunden vorgesehen. Dies konnte jedoch in zwei Fällen nicht umgesetzt
werden, da bei diesen Patienten – trotz klinisch bedeutsamer Linderung der
Symptomatik – keine hinreichende Stabilisierung der Behandlungserfolge nach 24
Therapiestunden erreicht werden konnte. Eine dieser Patientinnen erhielt im Followup-Zeitraum insgesamt drei weitere Therapiesitzungen (1x monatlich ein Termin). Eine
andere Patientin wurde im Anschluss an die Interventionsphase vier Wochen lang
stationär behandelt und erhielt nach der stationären Behandlung (während der Followup-Phase) zusätzlich drei Therapiestunden. Diese Patientin war bereits zu Beginn der
Studie hoch belastet und zeichnete sich im gesamten Behandlungsverlauf durch
schnell wechselnde Stimmungslagen und wiederkehrende Suizidgedanken aus, so
dass eine Stabilisierung im stationären Setting notwendig war. Da die Patientin laut
eigener
Einschätzung
dennoch
sehr
von
der
zuvor
eingeleiteten
verhaltenstherapeutischen Behandlung profitierte und der stationäre Aufenthalt aus
Sicht aller Beteiligten nicht zu einer nachhaltigen Verbesserung der Stimmung
beigetragen hat, wurde die Therapie – nach Abschluss der Studie – fortgesetzt. Eine
weitere Patientin konnte im Studienverlauf zwar hinsichtlich der Selbstwertproblematik
und der Stimmung erfolgreich stabilisiert werden, so dass im Katamnesezeitraum
keine weiteren Termine notwendig waren, sie zeigte jedoch zum Follow-up-Zeitpunkt
weiterhin sozial phobische Symptome. Daher wurde die Behandlung der sozialen
Phobie, nach Abschluss der Studie, fortgesetzt.
Bei den statistischen Analysen wurden die oben genannten beiden Patientinnen, die
während
des
Follow-up-Zeitraumes
291
weiterhin
ein
therapeutisches
Behandlungsangebot erhielten, mit einbezogen. Kritisch ist an diesem Vorgehen
anzumerken, dass die Behandlungserfolge dadurch nicht ausschließlich auf die
Interventionen während der Interventionsphase zurückführbar sind, sondern
möglicherweise in diesen beiden Fällen besser durch die Intensivierung des
Behandlungsangebotes
im
Follow-up-Zeitraum
erklärt
werden
können.
Ein
Beweggrund für den Nichtausschluss der Patientinnen aus der Studie war, dass die
Stichprobengröße von insgesamt 12 Studienteilnehmern ohnehin als sehr klein
einzustufen ist und die statistische Power bei Ausschluss der beiden Patientinnen aus
den Analysen noch geringer ausgefallen wäre.
Eine weitere Limitation stellt dar, dass eine Patientin im Therapieverlauf medikamentös
auf SSRI’s eingestellt worden ist, was bei den statistischen Analysen nicht
berücksichtigt wurde. Die Behandlungserfolge dieser Patientin können folglich nicht
ausschließlich auf Effekte der psychotherapeutischen Behandlung zurückgeführt
werden, sondern sind sicherlich anteilig auch durch die Begleitmedikation erklärbar.
Es muss in diesem Fall auch in Erwägung gezogen werden, dass ohne Medikation
vermutlich eine deutliche Symptomverschlechterung eingetreten wäre, die durch die
verhaltenstherapeutischen Interventionen mitunter nur unzureichend beeinflussbar
gewesen wäre.
Eine andere, nicht unwesentliche Problematik, ergibt sich aus der Tatsache, dass die
Studienteilnehmer
aus
einer
Inanspruchnahmepopulation
rekrutiert
wurden.
Betrachtet man die Ergebnisse der Eingangsdiagnostik auf Einzelfallebene, gewinnt
man den Eindruck, dass die rekrutierten Patienten möglicherweise eine gravierendere
depressive Symptomatik bzw. Selbstwertproblematik und mehr komorbide Störungen
aufwiesen als üblicherweise zu erwarten ist. Fast alle Patienten zeichneten sich zu
Beginn der Studie auf den primären Outcomemaßen durch eine sehr hohe
Symptomstärke und einen hohen Leidensdruck aus. Die biografische Anamnese der
meisten Patienten war geprägt von multiplen Belastungsfaktoren und Kränkungen in
der Vorgeschichte, was mit Sicherheit zur Aggravierung resp. zum Persistieren der
depressiven Symptomatik und Selbstwertproblematik beigetragen hat. Die besonders
ausgeprägte Symptomatik der Patienten impliziert rückblickend, dass bei einigen
Patienten eine längere und evtl. intensivere Therapie notwendig gewesen wäre, als im
vorliegenden Studiendesign vorgesehen war. Bei einer chronifizierten Symptomatik
292
und dem Vorliegen komorbider Störungen ist außerdem zu erwarten, dass der
Therapieerfolg nach 24 Behandlungsstunden deutlich geringer ausfällt, als bei
Patienten mit weniger ausgeprägter Symptomatik.
Eine weitere Limitation der Studie besteht in der möglicherweise nicht hinreichenden
Objektivität in Hinblick auf die Durchführung der Studie. Sowohl die Projektkonzeption
und Studiendurchführung, als auch die Datenauswertung, erfolgten durch die gleiche
Person. Um die Objektivität zu erhöhen, wurden daher zwei weitere Behandlerinnen
(Psychotherapeutinnen in Ausbildung) eingesetzt, die – abgesehen von der
Behandlung der Patienten – keinen weiteren Bezug zum Studienprojekt hatten. Zur
Diagnosesicherung und Objektivierung der erhobenen Patienten- und Elternurteile
wurde, im Rahmen der Eingangsdiagnostik, zusätzlich ein klinisches Urteil über die
Diagnosecheckliste für depressive Störungen (DCL) aus dem DISYPS-II (Döpfner et
al. 2008) erhoben. Das klinische Urteil ist nur über die Versuchsleiterin erhoben
worden. Ein zweites unabhängiges klinisches Urteil durch einen weiteren Rater hätte
die Objektivität hinsichtlich der diagnostischen Eingangsuntersuchung vergrößert. Des
Weiteren wäre eine zusätzliche Erhebung des klinischen Urteils nach Abschluss der
Behandlung sinnvoll gewesen, da in die Abschlussuntersuchung, hinsichtlich der
Symptomatik, nur das Patienten- und das Elternurteil eingeflossen sind.
Einschränkend muss auch darauf hingewiesen werden, dass die Problemliste nur in
der Interventionsphase erhoben wurde. Ein Vergleich mit der behandlungsfreien
Baselinephase war somit nicht möglich. Folglich kann die Reduktion der
Problemausprägung und –belastung auch nicht auf Effekte der Interventionen
zurückgeführt werden. Ein weiteres Problem, das sich in diesem Zusammenhang
ergibt, ist die mangelnde Vergleichbarkeit der Therapieverläufe, da jeder Patient eine
individuelle Problemliste erstellt hat und die Anzahl der definierten Probleme variierte.
Außerdem wurde die Problemliste nicht von allen Patienten kontinuierlich (d.h.
wöchentlich) ausgefüllt. Eine Patientin verweigerte sogar mehr oder weniger
durchgängig im Behandlungsverlauf die wöchentliche Bearbeitung der individuellen
Problemliste.
Im Studienverlauf hat sich des Weiteren herausgestellt, dass die fehlenden
Lehrerurteile
die
Aussagekraft
der Studienergebnisse eingeschränkt
293
haben.
Insbesondere Informationen über potentielle Veränderungen in Bezug auf Faktoren,
wie
Antrieb,
schulischen
Stimmung,
Setting,
Wahrscheinlichkeit
Verbesserungen
Emotionsregulation
beurteilt
durch
aufschlussreich
der
sozialen
den
und
Konzentrationsfähigkeit
Klassenlehrer,
gewesen.
Kompetenzen
Auch
im
wären
Hinweise
Umfeld
von
mit
auf
im
großer
mögliche
Gleichaltrigen
(selbstsicheres Auftreten gegenüber Mitschülern auf dem Schulhof, aktive Teilnahme
am Unterricht, altersadäquates Lösen von Konflikten mit Peers…etc.) wären
interessant gewesen. Da diese Informationen nur über das Jugendlichen- und teils
über ein ergänzendes Elternurteil (FBB-DES, CBCL) erhoben wurden, ist eine
Generalisierbarkeit der Ergebnisse auf andere Bereiche nicht möglich.
Abschließend sollte darauf hingewiesen werden, dass durch die Wahl eines
randomisierten Kontrollgruppen-Designs, anstelle des in dieser Studie gewählten
Eigenkontrollgruppen-Vergleichs,
auch
interindividuelle
Unterschiede
zwischen
Jugendlichen einer Interventionsgruppe, im Vergleich zu einer unspezifisch oder gar
nicht behandelten Kontrollgruppe, überprüfbar gewesen wären.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass - zur Verallgemeinerung der aus dieser
Pilotstudie gewonnenen Informationen und Erkenntnisse - weitere Evaluationsstudien
an deutlich größeren und heterogeneren Stichproben notwendig sind, die Patienten
mit internaler und externaler Symptomatik integrieren. Dies ist vor allem vor dem
Hintergrund eines störungsübergreifenden Ansatzes des Therapieprogramms
SELBST von maßgeblicher Bedeutsamkeit. Ein randomisiertes KontrollgruppenDesign zur Testung interindividueller Gruppenunterschiede wäre in diesem
Zusammenhang sinnvoll. Die Behandlungen sollten, wie in der vorliegenden Studie,
von verschiedenen Therapeuten durchgeführt werden. In der Pilotstudie wurden nur
weibliche Therapeuten eingesetzt, die die Verallgemeinerung der
Befunde
einschränkt. Bei der Planung größerer Evaluationsstudien sollten demzufolge auch
männliche Therapeuten eingeplant werden. Wie bereits beschrieben, wäre außerdem
ein zweiter, unabhängiger (verblindeter) Rater bei der Erhebung des klinischen Urteils
sinnvoll gewesen. Dies sollte bei weiterführenden Forschungsprojekten berücksichtigt
werden. Ratsam wäre auch, den Katamnesezeitraum auf sechs oder 12 Monate nach
Abschluss der Interventionen auszudehnen, um die Langzeiteffekte der Behandlung
untersuchen zu können.
294
Eine weitere Empfehlung für künftige Evaluationsstudien ist, einen Teil der
Therapiematerialien im Gruppensetting, in Hinblick auf ihre Wirksamkeit, zu
überprüfen. Insbesondere die Übungen zu selbstsicherem Auftreten in der
Öffentlichkeit, zur altersangemessenen Kommunikation sowie zur Kontaktaufnahme
mit Gleichaltrigen, eignen sich sehr gut als Gruppenübungen. Das Einüben sozialer
Kompetenzen in Rollenspielen, begleitet von videounterstütztem Feedback, sowie von
gegenseitigem Feedback durch die Gruppenteilnehmer, könnten in diesem Kontext bei
weiteren Forschungsprojekten praktiziert werden. Des Weiteren würden mehrere
gemeinsame Elterntermine zur Psychoedukation, zum Erfahrungsaustausch der
Eltern und zur Erprobung der familienzentrierten Interventionen in Kleingruppen
sicherlich eine Bereicherung für die Familien darstellen. Diese Aspekte könnte man
bei der konzeptionellen Weiterentwicklung des Behandlungsprogramms SELBST
ebenfalls in Erwägung ziehen.
Als Fazit kann gezogen werden, dass die postulierten Forschungshypothesen,
aufgrund
der
oben
beschriebenen
Einschränkungen,
nur
richtungsweisend
interpretiert werden konnten. Kausale Schlussfolgerungen über die Wirksamkeit der
Interventionen sind aufgrund der fehlenden randomisierten Kontrollgruppe nicht
zulässig. Es zeigen sich erste Hinweise auf die Wirksamkeit der eingesetzten
Therapiematerialen im Behandlungsverlauf, wenngleich in Relation zur Wartezeit kein
zusätzlicher
signifikanter
Behandlungseffekt
erzielt
werden
konnte.
Die
Primärsymptomatik, sowie die komorbide Symptomatik, ließen sich im Verlauf der
Therapie signifikant reduzieren. Auch die Ausprägung der individuellen Probleme und
die damit einhergehende Problembelastung nahmen im Behandlungsverlauf
signifikant ab. Die hohe Behandlungszufriedenheit und der als hoch einzustufende
Behandlungserfolg stärken die Annahme, dass eine Entlastung der Patienten und
deren Familien im Therapieverlauf herbeigeführt werden konnte. Die Ergebnisse der
Pilotstudie sollten daher zum Anlass für weiterführende Forschung in Bezug auf die
evidenzbasierte kognitiv-verhaltenstherapeutische Behandlung depressiver Kinder
und
Jugendlicher
mit
Selbstwertstörungen
genommen
werden.
Vertiefende
Evaluationsstudien, an größeren Stichproben, unter Einbeziehung sämtlicher Module
der Therapiemanualreihe SELBST, würden die Etablierung von SELBST als
multimodales, transdiagnostisches Behandlungskonzept für Jugendliche und deren
Bezugspersonen fördern.
295
9 Zusammenfassung
Selbstwert-, Aktivitäts- und Affektprobleme in der Adoleszenz stellen einen häufigen
Anlass zur Vorstellung in psychiatrischen resp. psychotherapeutischen Praxen und
psychiatrischen Ambulanzen dar. Die Verläufe variieren, je nach Ausprägung der
Symptomatik, und sind nicht selten als komplex zu bewerten. Die Behandlung erstreckt
sich mitunter über einen längeren Zeitraum, insbesondere bei Vorliegen einer
chronifizierten Symptomatik. Ungünstige Verläufe sind vor allem zu erwarten, wenn
eine chronifizierte oder schwere komorbide Symptomatik, suizidale Begleitsymptome,
erschöpfte familiäre Ressourcen und belastende psychosoziale Stressoren vorliegen.
Multimodale verhaltenstherapeutische Behandlungskonzepte, die - neben der
Behandlung der Jugendlichen - auch Eltern in den therapeutischen Prozess
involvieren, haben sich als effektiv erwiesen. Das im Rahmen der vorliegenden
Pilotstudie evaluierte Modul aus dem Behandlungsprogramm SELBST zielt auf die
Behandlung von Selbstwert-, Aktivitäts- und Affektproblemen von Jugendlichen im
Alter zwischen ca. 12 und 18 Jahren. Es beinhaltet sechs Bausteine und basiert auf
dem Selbstmanagement-Ansatz von Kanfer. Das Modul integriert neben jugendlichenauch elternzentrierte Interventionen. Der entscheidende Unterschied zu anderen
Therapiemanualen ist, dass die Manualreihe SELBST einen störungsübergreifenden
und problemfokussierten Therapieansatz darstellt, dem ein ressourcenaktivierendes
Behandlungsrational zugrunde liegt. Durch die große Variabilität der Symptomatik im
Jugendalter ist ein spezifischer Vorzug des Therapiemanuals SELBST, dass die
Interventionen der verschiedenen Module kombinierbar sind. Im Rahmen der
vorliegenden Pilotstudie, der ein Eigenkontrollgruppen-Design zugrunde liegt, wurde
die Wirksamkeit des Moduls „Selbstwert-, Aktivitäts- und Affektprobleme“ in Bezug auf
die Reduktion von Selbstwertproblemen und depressiver Symptomatik - anhand von
12 Probanden - überprüft. Die Ergebnisse geben erste Hinweise auf die Wirksamkeit
der Therapiematerialen im Behandlungsverlauf. Die Primär- sowie die komorbide
Symptomatik konnte im Therapieverlauf signifikant reduziert werden, wobei - in
Relation zur Wartezeit - kein zusätzlicher signifikanter Behandlungseffekt erzielt
werden konnte. Um die aus der Studie gewonnenen Hinweise auf die Wirksamkeit der
eingesetzten
therapeutischen
Materialien
empirisch
abzusichern,
sind
Replikationsstudien an größeren Stichproben, mit einer Variation an internalen und
externalen
Störungsbildern
notwendig.
Die
Einführung
Kontrollgruppe wäre in diesem Kontext empfehlenswert.
296
einer
unspezifischen
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316
11
Anhang
11.1 Studienflyer
317
11.2 Diagnostische Instrumente
Patient(in):
Untersucher(in):
Alter:
Ankreuzen
Checkliste Indikation für Therapiebausteine SELBST
Selbstwertprobleme
Burteilung basiert auf Exploration der/des:
Jugendlichen
Eltern/Hauptbezugspersonen
Datum:
318
Trifft voll zu
B. Genussfähigkeit, Affektivität & Aktivität
Der Jugendliche geht keinen oder nur (noch) wenigen Aktivitäten nach (z.B. hat keine
Hobbies mehr oder hatte noch nie Hobbies).
Der Jugendliche zieht sich zunehmend zurück und trifft sich nicht mehr mit Freunden (z.
B. vernachlässigt Freunde).
Der Jugendliche hat Freude an Aktivitäten verloren, die ihm/ihr früher Spaß bereitet
haben.
Der Jugendliche kann alltägliche Dinge nicht (mehr) genießen (z.B. Essen)
Der Jugendliche kümmert sich zu wenig um sich selbst und seine persönlichen Belange (z.B.
„lässt sich gehen“).
Gemittelte Rohwertsumme (Summe Rohwerte/5)
Trifft etwas zu
zuzu
Trifft ziemlich zu
A. Selbstbild
Der Jugendliche schreibt sich viele negative Eigenschaften bzw. subjektiv empfundene
„Schwächen“ zu (negatives Selbstbild).
Der Jugendliche glaubt, dass andere ihn nicht mögen.
Der Jugendliche kennt seine Stärken nicht oder glaubt keine zu haben.
Der Jugendliche traut sich nichts zu.
Der Jugendliche zweifelt an seinen Kompetenzen, d.h. hat eine geringe
Selbstwirksamkeitserwartung.
Gemittelte Rohwertsumme (Summe Rohwerte/5)
Trifft nicht zu
Andere:
0
1
2
3
0
0
0
0
1
1
1
1
2
2
2
2
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1
2
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0
1
2
3
0
1
2
3
0
0
1
1
2
2
3
3
E. Problemlösefähigkeiten
Der Jugendliche versucht nicht selbständig seine Probleme zu lösen, sondern schiebt die
Verantwortung auf andere (z.B. Eltern sollen das Problem lösen).
Der Jugendliche ist überzeugt davon, dass er seine Probleme nicht alleine lösen kann.
Der Jugendliche kann zwar Lösungsansätze für seine Probleme benennen, kann diese aber
nicht im Alltag umsetzen (z.B. pünktlicher Schulbeginn erfordert pünktliches Aufstehen,
was dem Jugendlichen schwer fällt).
Der Jugendliche glaubt, dass es für seine Probleme keine Lösung gibt.
Der Jugendliche negiert überhaupt Probleme zu haben.
Gemittelte Rohwertsumme (Summe Rohwerte/5)
F. Soziale Kompetenzen
Der Jugendliche traut sich nicht Kontakt zu anderen Jugendlichen aufzunehmen (z.B.
andere ansprechen, sich verabreden, anrufen).
Der Jugendliche weiß nicht, wie man mit anderen Jugendlichen ein Gespräch anfangen kann
oder ein Gespräch aufrechterhalten kann.
Der Jugendliche hat Probleme eine Freundschaft mit Gleichaltrigen zu knüpfen und/oder
aufrechtzuerhalten.
Der Jugendliche kann nicht gut mit Kritik umgehen und bezieht diese auf sich selbst als
Person.
Der Jugendliche hat Schwierigkeiten sich angemessen durchzusetzen (z.B. die eigene
Meinung zu vertreten, Wünsche durchzusetzen)
Gemittelte Rohwertsumme (Summe Rohwerte/5)
319
Trifft etwas
zu
zuzu
Trifft ziemlich
zu
Trifft voll zu
D. Impulskontrolle & Affektregulation
Der Jugendliche hat unkontrollierte Impulsausbrüche (z.B. starke Wutanfälle).
Der Jugendliche verliert bei Konflikten schnell die Kontrolle über sich (z.B. zerstört
Gegenstände).
Der Jugendliche kann seine Gefühle nur schwer differenzieren und/oder regulieren (z.B.
weint häufig, ist nach einem Streit auffällig lange wütend / traurig, ohne zu wissen warum).
Der Jugendliche hat keine angemessenen Konfliktlösekompetenzen (z.B. reagiert bei Streit
sofort aggressiv, kann keine konstruktiven Vorschläge zur Konfliktlösung generieren).
Der Jugendliche wendet keine adäquaten Strategien zur Spannungsabfuhr an oder kennt
keine Maßnahmen zur Regulation von Anspannung und negativen Affekten.
Gemittelte Rohwertsumme (Summe Rohwerte/5)
Trifft nicht zu
C. Negativer kognitiver Verarbeitungsstil
Der Jugendliche hat eine vorwiegend negative Sicht der eigenen Person (z.B. infolge
belastender Erfahrungen in der Vergangenheit).
Der Jugendliche attribuiert Misserfolge auffallend häufig auf die eigene Person (z.B.
schlechte Noten in Mathe werden auf „Dummheit“ zurückgeführt).
Der Jugendliche hat eine negativ verzerrte Wahrnehmung sozialer Situationen (z.B. glaubt,
dass andere ihn/sie bloßstellen wollen oder glaubt, dass der Lehrer ihm/ihr absichtlich
schlechte Noten gibt).
Der Jugendliche hat eine pessimistische Haltung in Bezug auf seine Zukunft.
Der Jugendliche hat die Sorge, hinsichtlich seines Aussehens oder Verhaltens nicht
attraktiv für andere Gleichaltrige zu sein und infolgedessen abgelehnt zu werden
Gemittelte Rohwertsumme (Summe Rohwerte/5)
0
1
2
3
0
1
2
3
0
1
2
3
0
1
2
3
0
1
2
3
0
0
1
1
2
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1
2
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0
0
1
1
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3
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0
1
2
3
0
1
2
3
0
1
2
3
0
0
1
1
2
2
3
3
0
1
2
3
0
1
2
3
0
1
2
3
0
1
2
3
0
1
2
3
320
Rosenberg Self-Esteem Scale RSES
(deutsche revidierte Version von Collani & Herzberg, 2003)
Name: ……………………
Datum: …………………….
1 = trifft gar nicht zu … 6 = trifft voll und ganz zu
1. Alles in allem bin ich mit mir
selbst zufrieden
2. Hin und wieder denke ich, dass
ich gar nichts tauge
*
3. Ich besitze eine Reihe guter
Eigenschaften
4. Ich kann vieles genauso gut wie
die meisten anderen Menschen
auch
5. Ich fürchte, es gibt nicht viel,
worauf ich stolz sein kann
*
6. Ich fühle mich von Zeit zu Zeit
richtig nutzlos
*
7. Ich halte mich für einen
wertvollen Menschen, jedenfalls
bin ich nicht weniger wertvoll als
andere auch
8. Ich wünschte, ich könnte vor
mir selbst mehr Achtung haben
*
9. Alles in allem neige ich dazu,
mich für einen Versager zu halten
*
10. Ich habe eine positive
Einstellung zu mir selbst gefunden
SUMME
T-Wert
* vor Summenberechnung umkodieren
321
1
2
3
4
5
6
1
2
3
4
5
6
1
2
3
4
5
6
1
2
3
4
5
6
1
2
3
4
5
6
1
2
3
4
5
6
1
2
3
4
5
6
1
2
3
4
5
6
1
2
3
4
5
6
1
2
3
4
5
6
Compliance-Fragebogen (J)
Görtz-Dorten
adaptiert von Schreiter
Name des Therapeuten:
Name des Jugendlichen:
Datum:
Behandlungsstunde Jugendlicher:
Gesamtstunden:
Therapiestunde mit dem Jugendlichen
War der Jugendliche da?
Ja
Nein
War der Jugendliche pünktlich?
Ja
Nein
Nachdem Sie die Therapiestunde durchgeführt haben, kreuzen Sie bitte an, wie
zutreffend die Beschreibung für das Verhalten des Jugendlichen ist.
1. Der Jugendliche hat seine
Wochenaufgabe (Job der Woche)
gemacht.
2. Der Jugendliche hat in der Stunde
Interesse am behandelten Thema
3. gezeigt.
4. Der Jugendliche hat in der Stunde
zugehört und/oder Fragen gestellt
bzw. beantwortet.
5. Der Jugendliche hat bei der
Bearbeitung der Arbeitsblätter in der
Stunde mitgearbeitet.
6. Der Jugendliche hat die Übung (z.B.
Entspannungsübung, Genussübung,
Rollenspiel) in der Stunde mitgemacht.
gar nicht
ein
wenig
0
1
2
3
9
0
1
2
3
9
0
1
2
3
9
0
1
2
3
9
0
1
2
3
9
Bemerkungen:
Begründung, falls Jugendlicher nicht anwesend war:
322
weitgehend besonders
wurde
nicht
gefordert
Compliance-Fragebogen (B)
Görtz-Dorten
adaptiert von Schreiter
Name des Therapeuten:
Name des Jugendlichen:
Datum:
Behandlungsstunde Eltern:
Behandlungsstunde Jugendlicher:
Gesamtstunden:
Therapiestunde mit den Bezugspersonen
Für wen wurde der Fragebogen ausgefüllt:
Mutter
Vater
andere Bezugsperson
War die Bezugsperson da?
Ja
Nein
War die Bezugsperson pünktlich?
Ja
Nein
Nachdem Sie die Therapiestunde durchgeführt haben, kreuzen Sie bitte an, wie
zutreffend die Beschreibung für das Verhalten der Bezugsperson ist.
1. Die Bezugsperson hat die
Therapieaufgabe (Job der Woche
Eltern) gemacht.
2. Die Bezugsperson zeigte Interesse
an den Therapieinhalten und konnte
sich auf das Thema der Stunde
einlassen.
3. Die Bezugsperson hat zugehört
und/oder in der Stunde Fragen
gestellt bzw. beantwortet.
4. Die Bezugsperson hat bei der
Bearbeitung des Themas in der
Stunde mitgearbeitet.
gar nicht
ein
wenig
0
1
2
3
9
0
1
2
3
9
0
1
2
3
9
0
1
2
3
9
Bemerkungen:
Begründung, falls Bezugsperson nicht anwesend war:
323
weitgehend besonders
wurde
nicht
gefordert
Fragebogen zur Behandlungsintegrität
(Treatment-Integrity)
Görtz-Dorten adaptiert von Schreiter
Name des Therapeuten: …............................................
Name des Jugendlichen: …...........................................
Datum: ….......................................................................
Therapiestunde: …………………………………………...
Phase 1 SELBST:
Screening von Eingangsbeschwerden,
Beziehungsaufbau und Informationsvermittlung
Kreuzen Sie bitte nach der Therapiestunde an, inwieweit Sie die Hauptziele der
Phase 1 von SELBST erreichen konnten.
gar nicht
7.
Der Vorstellungsanlass konnte klar
herausgearbeitet werden.
8. Der Therapeut hat sich die Probleme aus Sicht
des Jugendlichen, der Eltern und ggf. anderer
Bezugspersonen schildern lassen.
9. Eine Beziehung zwischen Jugendlichem und
Therapeut konnte aufgebaut werden.
10. Eine Beziehung zwischen Bezugspersonen und
Therapeut konnte aufgebaut werden.
11. Informationen über den Ablauf der Therapie
wurden vermittelt.
ein wenig weitgehend besonders
Ziel
wurde
nicht
verfolgt
0
1
2
3
9
0
1
2
3
9
0
1
2
3
9
0
1
2
3
9
0
1
2
3
9
Bemerkungen:
........................................................................................................................................
........................................................................................................................................
........................................................................................................................................
........................................................................................................................................
324
Fragebogen zur Behandlungsintegrität
(Treatment-Integrity)
Görtz-Dorten adaptiert von Schreiter
Name des Therapeuten: …............................................
Name des Jugendlichen: …...........................................
Datum: ….......................................................................
Therapiestunde: …………………………………………...
Phase 2 SELBST:
Multimodale Diagnostik:
Probleme & Kompetenzen, Belastungen & Ressourcen
Kreuzen Sie bitte nach der Therapiestunde an, inwieweit Sie die Hauptziele der
Phase 2 von SELBST erreichen konnten.
gar nicht
1.
2.
3.
4.
5.
Die verschiedenen Problembereiche des
Jugendlichen wurden erfasst.
Individuelle und familiäre Belastungen wurden
exploriert.
Die Kompetenzen und potentiellen Ressourcen
des Jugendlichen wurden erhoben.
Familiäre und ggf. andere Ressourcen wurden
erfragt.
Das Explorationsschema SELBST-EX wurde
durchgeführt.
ein wenig weitgehend besonders
Ziel
wurde
nicht
verfolgt
0
1
2
3
9
0
1
2
3
9
0
1
2
3
9
0
1
2
3
9
0
1
2
3
9
Bemerkungen:
........................................................................................................................................
........................................................................................................................................
........................................................................................................................................
........................................................................................................................................
325
Fragebogen zur Behandlungsintegrität
(Treatment-Integrity)
Görtz-Dorten adaptiert von Schreiter
Name des Therapeuten: …............................................
Name des Jugendlichen: …...........................................
Datum: ….......................................................................
Therapiestunde: …………………………………………...
Phase 3 SELBST:
Problemanalyse und Erarbeitung eines Störungskonzeptes
Kreuzen Sie bitte nach der Therapiestunde an, inwieweit Sie die Hauptziele der
Phase 3 von SELBST erreichen konnten.
gar nicht ein wenig weitgehend besonders
1.
2.
3.
4.
5.
Aus den allgemeinen Problembeschreibungen
wurden die Hauptprobleme (maximal 4) des
Jugendlichen definiert.
Die mit den Problemen assoziierten Kognitionen,
Emotionen und Reaktionen wurden für jedes
Problem einzeln analysiert (Problemanalyse).
Die kurz- und langfristigen Vor- und Nachteile
des Problemverhaltens wurden herausgearbeitet.
Mit dem Jugendlichen wurde ein individuelles
Störungsmodell erarbeitet.
Mit der Familie zusammen wurde ein
gemeinsames Störungsmodell erarbeitet.
Ziel
wurde
nicht
verfolgt
0
1
2
3
9
0
1
2
3
9
0
1
2
3
9
0
1
2
3
9
0
1
2
3
9
Bemerkungen:
........................................................................................................................................
........................................................................................................................................
........................................................................................................................................
........................................................................................................................................
326
Fragebogen zur Behandlungsintegrität
(Treatment-Integrity)
Görtz-Dorten adaptiert von Schreiter
Name des Therapeuten: …............................................
Name des Jugendlichen: …...........................................
Datum: ….......................................................................
Therapiestunde: …………………………………………...
Phase 4 SELBST:
Zielanalyse, Stärkung der Änderungsmotivation,
Interventionsplanung
Kreuzen Sie bitte nach der Therapiestunde an, inwieweit Sie die Hauptziele der
Phase 4 von SELBST erreichen konnten.
gar nicht
1.
2.
3.
4.
5.
Es wurde für jedes definierte Problem des
Jugendlichen ein konkretes Therapieziel
erarbeitet.
Es wurden auch Ziele aus Sicht der
Bezugspersonen und/oder des Therapeuten
berücksichtigt.
Die Therapieziele wurden in konkrete
Zwischenziele unterteilt.
Es wurden Argumente, die für und gegen eine
Verhaltensänderung sprechen, diskutiert.
Für jedes Therapieziel wurden geeignete
Interventionen ausgewählt und deren
Anwendung geplant.
ein wenig weitgehend besonders
Ziel
wurde
nicht
verfolgt
0
1
2
3
9
0
1
2
3
9
0
1
2
3
9
0
1
2
3
9
0
1
2
3
9
Bemerkungen:
........................................................................................................................................
........................................................................................................................................
........................................................................................................................................
........................................................................................................................................
327
Fragebogen zur Behandlungsintegrität
(Treatment-Integrity)
Görtz-Dorten adaptiert von Schreiter
Name des Therapeuten: …............................................
Name des Jugendlichen: …...........................................
Datum: ….......................................................................
Therapiestunde: …………………………………………...
Phase 5 SELBST:
Durchführung von Interventionen
Baustein: Aufbau von positivem Selbstbild
Kreuzen Sie bitte nach der Therapiestunde an, inwieweit Sie die Hauptziele des
Bausteins „Aufbau von positivem Selbstbild“ der Phase 5 von SELBST erreichen
konnten.
gar nicht
1.
2.
3.
4.
5.
6.
Die konkreten Stärken und positiven
Eigenschaften des Jugendlichen wurden aus
Sicht des Jugendlichen erarbeitet (z.B.
Powerbaum).
Die konkreten Stärken und positiven
Eigenschaften des Jugendlichen wurden auch
aus Sicht der Bezugspersonen erarbeitet (z.B.
Powerbaum).
Das negative Selbstkonzept bzgl. eigener
Stärken konnte mit dem Jugendlichen
thematisiert und vermeintliche Schwächen
konnten relativiert werden.
Der Jugendliche wurde darin bestärkt, sich
regelmäßig selbst zu loben und positive
Selbstverbalisationen anzuwenden.
Die Bezugspersonen wurden motiviert, sich
selbst zu loben.
Die Bezugspersonen wurden instruiert, ihrem
Kind täglich ein positives Feedback zu geben.
ein wenig weitgehend besonders
Ziel
wurde
nicht
verfolgt
0
1
2
3
9
0
1
2
3
9
0
1
2
3
9
0
1
2
3
9
0
1
2
3
9
0
1
2
3
9
Bemerkungen:
........................................................................................................................................
........................................................................................................................................
........................................................................................................................................
........................................................................................................................................
328
Therapiematerialien SELBST
Selbstwertprobleme
Welche Teile des
Bausteins wurden
eingesetzt?
S01 Grundüberzeugungen Selbstbild
S02 Infoblatt Eltern Selbstbild
S03 Stärken- & Schwächenwaage
S04 Power-Baum Jugendlichenversion
S05 Power-Baum Elternversion
S06 Positive Beziehungserfahrungen
S07 Lebenslinie positiver Erfahrungen
S08 Mister X Spiel
S09 Lust auf einen neuen Look
S10 Glücksbotschaft-Lotterie
Wurden andere Materialien eingesetzt oder standen andere Themen im
Vordergrund?
Wenn ja, welche anderen Materialien wurden eingesetzt?
…………………………………………………………………………………………………
…………………………………………………………………………………………………
…………………………………………………………………………………………………
…………………………………………………………………………………………………
…………………………………………………………………………………………………
329
Fragebogen zur Behandlungsintegrität
(Treatment-Integrity)
Görtz-Dorten adaptiert von Schreiter
Name des Therapeuten: …............................................
Name des Jugendlichen: …...........................................
Datum: ….......................................................................
Therapiestunde: …………………………………………...
Phase 5 SELBST:
Durchführung von Interventionen
Baustein: Steigerung von Genussfähigkeit,
Aktivität und Selbstbelohnung
Kreuzen Sie bitte nach der Therapiestunde an, inwieweit Sie die Hauptziele des
Bausteins „Steigerung von Genussfähigkeit, Aktivität und Selbstbelohnung“ der
Phase 5 von SELBST erreichen konnten.
gar nicht
1.
2.
3.
4.
5.
Der positive Einfluss des regelmäßigen
Praktizierens angenehmer Aktivitäten auf die
Stimmung konnte vermittelt werden.
Positive Aktivitäten konnten in den Alltag
implementiert werden.
Genussregeln konnten eingeführt und praktisch
erprobt werden.
Übungen zur „Achtsamkeit“ (z.B. „Schalt‘ mal auf
Pause“) wurden ausprobiert und deren Einfluss
auf die Stimmung thematisiert.
Die Wichtigkeit von Selbstbelohnung für erreichte
Teilziele wurde vermittelt und anhand von
Beispielen exemplarisch eingeübt.
ein wenig weitgehend besonders
Ziel
wurde
nicht
verfolgt
0
1
2
3
9
0
1
2
3
9
0
1
2
3
9
0
1
2
3
9
0
1
2
3
9
Bemerkungen:
........................................................................................................................................
.......................................................................................................................................................
........................................................................................................................................
........................................................................................................................................
330
Therapiematerialien SELBST
Selbstwertprobleme
Welche Teile des
Bausteins wurden
eingesetzt?
S11 Materialliste zur Sensibilisierung der Sinne
S12 Infoblatt Jugendlicher Genuss und Aktivität
S13 Infoblatt Eltern Genussfähigkeit, Aktivität &
Selbstbelohnung
S14 Genussregeln
S15 Lass es Dir mal wieder gut gehen
S16 Chillen mal anders
S17 Chill-Tagebuch
S18 Nutze alle 5 Sinne zum Genießen
S19 Aktivitäts- & Stimmungsbarometer
S20 Ziele in Teilziele unterteilen
S21 Wunschliste für Belohnungen
Wurden andere Materialien eingesetzt oder standen andere Themen im
Vordergrund?
Wenn ja, welche anderen Materialien wurden eingesetzt?
…………………………………………………………………………………………………
…………………………………………………………………………………………………
…………………………………………………………………………………………………
…………………………………………………………………………………………………
…………………………………………………………………………………………………
331
Fragebogen zur Behandlungsintegrität
(Treatment-Integrity)
Görtz-Dorten adaptiert von Schreiter
Name des Therapeuten: …............................................
Name des Jugendlichen: …...........................................
Datum: ….......................................................................
Therapiestunde: …………………………………………...
Phase 5 SELBST:
Durchführung von Interventionen
Baustein: Verarbeitung belastender Erfahrungen,
Veränderung dysfunktionaler Kognitionen,
kognitiver Fehler und situativer Bewertungen
Kreuzen Sie bitte nach der Therapiestunde an, inwieweit Sie die Hauptziele des
Bausteins „Verarbeitung belastender Erfahrungen, Veränderung dysfunktionaler
Kognitionen, kognitiver Fehler und situativer Bewertungen“ der Phase 5 von SELBST
erreichen konnten.
gar nicht ein wenig weitgehend besonders
1.
2.
3.
4.
5.
6.
Es wurde verdeutlicht, dass selbstabwertende
Kognitionen zu einem negativen Selbstbild
beitragen.
Der Einfluss von (negativen) Gedanken auf die
(negative) Stimmung wurde vermittelt.
Dysfunktionale Kognitionen des Jugendlichen,
die die Stimmung verschlechtern, wurden
identifiziert und kognitiv umstrukturiert.
Situationsübergreifende, globale, negative
Kognitionen in Bezug auf soziale Situationen
konnten mit dem Jugendlichen identifiziert
werden.
Kognitive Fehler (z.B. Übergeneralisierung)
und/oder negativ verzerrte situative Bewertungen
wurden relativiert und korrigiert.
Mögliche belastende Erfahrungen, die zu einem
negativen Selbstbild und einer negativen Sicht
der Umwelt beigetragen haben, wurden
exploriert.
Ziel
wurde
nicht
verfolgt
0
1
2
3
9
0
1
2
3
9
0
1
2
3
9
0
1
2
3
9
0
1
2
3
9
0
1
2
3
9
Bemerkungen:
........................................................................................................................................
.......................................................................................................................................................
........................................................................................................................................
........................................................................................................................................
332
Therapiematerialien SELBST
Selbstwertprobleme
Welche Teile des
Bausteins wurden
eingesetzt?
S22 Infoblatt Jugendlicher Gedanken beeinflussen die
Stimmung
S23 Infoblatt Jugendlicher Die schwarze Brille
S24 Infoblatt Jugendlicher Ursachenzuschreibungen
S25 Infoblatt Eltern Denkfallen & negativ verzerrte
Wahrnehmung
S26 Checkliste Stimmungskiller (Jugendlichen- /
Elternversion)
S27 Checkliste Stimmungspusher (Jugendlichen- /
Elternversion)
S28 Denkfallen
S29 Gedanken-Gefühls-Puzzle
S30 Stimmungsbarometer
S31 Realitäts-Check Schwarzmalerei
S32 Negative Gedanken durch positive Gedanken ersetzen
Wurden andere Materialien eingesetzt oder standen andere Themen im
Vordergrund?
Wenn ja, welche anderen Materialien wurden eingesetzt?
…………………………………………………………………………………………………
…………………………………………………………………………………………………
…………………………………………………………………………………………………
…………………………………………………………………………………………………
333
Fragebogen zur Behandlungsintegrität
(Treatment-Integrity)
Görtz-Dorten adaptiert von Schreiter
Name des Therapeuten: …............................................
Name des Jugendlichen: …...........................................
Datum: ….......................................................................
Therapiestunde: …………………………………………...
Phase 5 SELBST:
Durchführung von Interventionen
Baustein: Verbesserung der Impulskontrolle
und Affektregulation
Kreuzen Sie bitte nach der Therapiestunde an, inwieweit Sie die Hauptziele des
Bausteins „Verbesserung der Impulskontrolle und Affektregulation“ der Phase 5 von
SELBST erreichen konnten.
gar nicht
1.
2.
3.
4.
5.
Typische auslösende Ereignisse für negative
Emotionen, wie Wut oder Enttäuschung, wurden
mit dem Jugendlichen analysiert. Kritische
Situationen, die starke Affekte auslösen, konnten
identifiziert werden.
Individuelle Wut erzeugende Kognitionen konnten
erfasst werden.
Individuelle Bewältigungsgedanken konnten
bezogen auf kritische Situationen herausgearbeitet werden (z.B. Selbstinstruktion).
Eine realistische Bewertung der Situation wurde
geübt.
Eine angemessene Impulskontrolle wurde neben
kognitiven Interventionen auch durch Methoden
der Spannungs- und/oder Affektregulation im
natürlichen Umfeld des Jugendlichen trainiert.
ein wenig weitgehend besonders
Ziel
wurde
nicht
verfolgt
0
1
2
3
9
0
1
2
3
9
0
1
2
3
9
0
1
2
3
9
0
1
2
3
9
Bemerkungen:
........................................................................................................................................
.......................................................................................................................................................
........................................................................................................................................
...................................................................................................................................................................
334
Therapiematerialien SELBST
Selbstwertprobleme
Welche Teile des
Bausteins wurden
eingesetzt?
S33 Infoblatt Eltern Impulskontrolle und Affektregulation
S34 Gefühle unterscheiden lernen
S35 Gefühle an der Mimik erkennen
S36 Gefühlswelle
S37 Räume Dein Gefühlschaos auf
S38 Wutprotokoll
S39 Wutthermometer
S40 Wut: Der Realitäts-Check
S41 Stress-Tagebuch
Wurden andere Materialien eingesetzt oder standen andere Themen im
Vordergrund?
Wenn ja, welche anderen Materialien wurden eingesetzt?
…………………………………………………………………………………………………
…………………………………………………………………………………………………
…………………………………………………………………………………………………
…………………………………………………………………………………………………
335
Fragebogen zur Behandlungsintegrität
(Treatment-Integrity)
Görtz-Dorten adaptiert von Schreiter
Name des Therapeuten: …............................................
Name des Jugendlichen: …...........................................
Datum: ….......................................................................
Therapiestunde: …………………………………………...
Phase 5 SELBST:
Durchführung von Interventionen
Baustein: Problemlösetraining
Kreuzen Sie bitte nach der Therapiestunde an, inwieweit Sie die Hauptziele des
Bausteins „Problemlösetraining“ der Phase 5 von SELBST erreichen konnten.
1.
2.
3.
4.
5.
Mindestens ein Problem, das der Jugendliche
nicht auf Anhieb selbständig lösen kann, wurde
herausgearbeitet.
Für das beschriebene Problem konnten
verschiedene Lösungsmöglichkeiten generiert
werden.
Die Vor- und Nachteile der Lösungsmöglichkeiten
wurden erarbeitet und eine geeignete
Lösungsstrategie wurde entwickelt.
Die Umsetzung der Problemlösung wurde im
Rollenspiel getestet.
Der elterliche Umgang mit Problemen und die
Wirkung auf die Problemlösekompetenzen des
Jugendlichen konnte mit den Eltern reflektiert
werden.
gar nicht
ein
wenig
weitgehend besonders
Ziel
wurde
nicht
verfolgt
0
1
2
3
9
0
1
2
3
9
0
1
2
3
9
0
1
2
3
9
0
1
2
3
9
Bemerkungen:
........................................................................................................................................
.......................................................................................................................................................
........................................................................................................................................
........................................................................................................................................
336
Therapiematerialien SELBST
Selbstwertprobleme
Welche Teile des
Bausteins wurden
eingesetzt?
S42 Infoblatt Eltern Problemlösefähigkeiten
S43 Problemlöse-Training
S44 Übungsbeispiele Problemlöse-Training
Wurden andere Materialien eingesetzt oder standen andere Themen im
Vordergrund?
Wenn ja, welche anderen Materialien wurden eingesetzt?
…………………………………………………………………………………………………
…………………………………………………………………………………………………
…………………………………………………………………………………………………
…………………………………………………………………………………………………
337
Fragebogen zur Behandlungsintegrität
(Treatment-Integrity)
Görtz-Dorten adaptiert von Schreiter
Name des Therapeuten: …............................................
Name des Jugendlichen: …...........................................
Datum: ….......................................................................
Therapiestunde: …………………………………………...
Phase 5 SELBST:
Durchführung von Interventionen
Baustein: Soziales Kompetenztraining
Kreuzen Sie bitte nach der Therapiestunde an, inwieweit Sie die Hauptziele des
Bausteins „Soziales Kompetenztraining“ der Phase 5 von SELBST erreichen
konnten.
gar nicht ein wenig weitgehend besonders
1.
2.
3.
4.
Sozial kompetentes Verhalten in Bezug auf
selbstsicheres Verhalten in Situationen mit
Gleichaltrigen konnte in Rollenspielen eingeübt
werden (z.B. Grundregeln der Gesprächsführung
einhalten).
Sozial kompetentes Verhalten in Bezug auf die
Kontaktaufnahme und Freundschaftsgestaltung
zu Gleichaltrigen konnte in Rollenspielen
eingeübt werden.
Sozial kompetente Reaktionen in Bezug auf
einen angemessenen Umgang mit Kritik wurden
erarbeitet und real erprobt.
Wünsche/Forderungen angemessen zu
formulieren und durchzusetzen wurde in realen
Situationen mit dem Therapeuten geübt.
Ziel
wurde
nicht
verfolgt
0
1
2
3
9
0
1
2
3
9
0
1
2
3
9
0
1
2
3
9
Bemerkungen:
........................................................................................................................................
.......................................................................................................................................................
........................................................................................................................................
........................................................................................................................................
338
Therapiematerialien SELBST
Selbstwertprobleme
Welche Teile des
Bausteins wurden
eingesetzt?
S45 Infoblatt Jugendlicher Selbstsicheres Verhalten und
Unsicherheit
S46 Infoblatt Eltern Förderung sozialer Kompetenzen
S47 Cooles Auftreten – so klappt es
S48 Kontakte knüpfen zu Gleichaltrigen
S49 Selbstsicheres Verhalten in schwierigen Situationen
S50 Protokoll Selbstsicheres Verhalten
S51 Umgang mit Kritik
S52 Wünsche angemessen durchsetzen
Wurden andere Materialien eingesetzt oder standen andere Themen im
Vordergrund?
Wenn ja, welche anderen Materialien wurden eingesetzt?
…………………………………………………………………………………………………
…………………………………………………………………………………………………
…………………………………………………………………………………………………
…………………………………………………………………………………………………
339
Fragebogen zur Behandlungsintegrität
(Treatment-Integrity)
Görtz-Dorten adaptiert von Schreiter
Name des Therapeuten: …............................................
Name des Jugendlichen: …...........................................
Datum: ….......................................................................
Therapiestunde: …………………………………………...
Phase 6 SELBST:
Zwischenevaluation & Zielerreichung
Kreuzen Sie bitte nach der Therapiestunde an, inwieweit Sie die Hauptziele der
Phase 6 von SELBST erreichen konnten.
gar nicht
1.
2.
3.
4.
Mit allen am Therapieprozess Beteiligten wurde
erörtert, inwieweit positive Veränderungen
stattgefunden haben (Zwischenbilanz).
Es wurde anhand des Therapieverlaufes
überprüft, in welchem Ausmaß die Ziele erreicht
wurden.
Es wurde mit allen Beteiligten erörtert, welche
Ziele noch nicht erreicht wurden und mögliche
Ursachen diskutiert.
Bei ungünstigem Therapieverlauf wurde eine
Misserfolgs-analyse durchgeführt. Dabei wurden
verschiedene Ursachen für das Nichterreichen
der Therapieziele in Betracht gezogen und nach
Möglichkeit bearbeitet.
ein wenig weitgehend besonders
Ziel
wurde
nicht
verfolgt
0
1
2
3
9
0
1
2
3
9
0
1
2
3
9
0
1
2
3
9
Bemerkungen:
........................................................................................................................................
........................................................................................................................................
........................................................................................................................................
........................................................................................................................................
340
Fragebogen zur Behandlungsintegrität
(Treatment-Integrity)
Görtz-Dorten adaptiert von Schreiter
Name des Therapeuten: …............................................
Name des Jugendlichen: …...........................................
Datum: ….......................................................................
Therapiestunde: …………………………………………...
Phase 7 SELBST:
Stabilisierung & Rückfallprävention
Kreuzen Sie bitte nach der Therapiestunde an, inwieweit Sie die Hauptziele der
Phase 7 von SELBST erreichen konnten.
gar nicht
1.
2.
3.
4.
5.
Es wurde mit allen Beteiligten erörtert, wie man
die erzielten Therapieerfolge im Alltag
stabilisieren kann.
Es wurden Strategien mit der Familie entwickelt,
die einem Wiederauftreten der Probleme
vorbeugen sollen (Prophylaxe).
Es wurden Maßnahmen mit dem Jugendlichen
ausgearbeitet, die bei erneutem Auftreten der
Probleme angewandt werden können
(Rückfallstrategien).
Mit dem Jugendlichen und den Eltern wurde die
Zufriedenheit mit der Therapie erfasst.
Es konnte eine Ablösungsphase mit der Familie
gestaltet werden.
ein wenig weitgehend besonders
Ziel
wurde
nicht
verfolgt
0
1
2
3
9
0
1
2
3
9
0
1
2
3
9
0
1
2
3
9
0
1
2
3
9
Bemerkungen:
........................................................................................................................................
........................................................................................................................................
........................................................................................................................................
........................................................................................................................................
341
11.3 Therapeutische Materialien
Baustein 1 Aufbau von positivem Selbstbild
S01 Grundüberzeugungen Selbstbild
S02 Infoblatt Eltern Selbstbild
S03 Stärken- & Schwächenwaage
S04 Power-Baum Jugendlichenversion
S05 Power-Baum Elternversion
S06 Positive Beziehungserfahrungen
S07 Lebenslinie positiver Erfahrungen
S08 Mister X Spiel
S09 Lust auf einen neuen Look
S10 Glücksbotschaft-Lotterie
Baustein 2 Steigerung von Genussfähigkeit, Aktivität und Selbstbelohnung
S11 Materialliste Sensibilisierung der Sinne
S12 Infoblatt Jugendlicher Genuss und Aktivität
S13 Infoblatt Eltern Genussfähigkeit, Aktivität & Selbstbelohnung
S14 Genussregeln
S15 Lass es Dir mal wieder gut gehen
S16 Chillen mal anders
S17 Chill-Tagebuch
S18 Nutze alle 5 Sinne zum Genießen
S19 Aktivitäts- und Stimmungsbarometer
S20 Ziele in Teilziele unterteilen
S21 Wunschliste Selbstbelohnungen
Baustein 3 Veränderung dysfunktionaler Kognitionen und verzerrter situativer
Bewertungen sowie Verarbeitung belastender Erfahrungen
S22 Infoblatt Jugendlicher Gedanken beeinflussen die Stimmung
S23 Infoblatt Jugendlicher Die schwarze Brille
S24 Infoblatt Jugendlicher Ursachenzuschreibungen
S25 Infoblatt Eltern Denkfallen & negativ verzerrte Wahrnehmung
S26 Checkliste Stimmungskiller (Jugendlichen- und Elternversion)
S27 Checkliste Stimmungspusher (Jugendlichen- und Elternversion)
S28 Denkfallen
S29 Gedanken-Gefühls-Puzzle
S30 Stimmungsbarometer
S31 Realitäts-Check Schwarzmalerei
S32 Negative Gedanken durch positive Gedanken ersetzen
342
Baustein 4 Verbesserung der Impulskontrolle und Affektregulation
S33 Infoblatt Eltern Impulskontrolle und Affektregulation
S34 Gefühle unterscheiden lernen
S35 Gefühle an der Mimik erkennen
S36 Gefühlswelle
S37 Räume Dein Gefühlschaos auf
S38 Wutprotokoll
S39 Wutthermometer
S40 Wut: Der Realitäts-Check
S41 Stress-Tagebuch
Baustein 5 Steigerung der Problemlösefähigkeiten
S42 Infoblatt Eltern Problemlösefähigkeiten
S43 Problemlöse-Training
S44 Übungsbeispiele Problemlöse-Training
Baustein 6 Erweiterung der sozialen Kompetenzen
S45 Infoblatt Jugendlicher Selbstsicheres Auftreten und Unsicherheit
S46 Infoblatt Eltern Förderung sozialer Kompetenzen
S47 Cooles Auftreten – so klappt es
S48 Kontakte knüpfen zu Gleichaltrigen
S49 Selbstsicheres Verhalten in schwierigen Situationen
S50 Protokoll Selbstsicheres Verhalten
S51 Umgang mit Kritik
S52 Wünsche angemessen durchsetzen
343
Typische Gedanken von Menschen
mit negativem Selbstbild

Ich darf mir meine Schwächen nicht anmerken lassen

Ich muss attraktiv sein, um dazuzugehören (z. B. zur Clique)

Ich muss intelligent wirken

In der Öffentlichkeit darf ich mich nicht blamieren, sonst kann ich das Haus nicht
mehr verlassen

Wenn ich Fehler mache, werde ich von meinen Freunden ausgelacht

Wenn ich meine Gefühle zeige, werde ich als Weichei abgestempelt

Jeder muss mich mögen und akzeptieren

Wenn ich anderen widerspreche, werde ich abgelehnt

Wenn mich jemand nicht mag, muss das an mir liegen, z. B. weil ich etwas falsch
gemacht habe

Ich werde von meinen Mitmenschen beobachtet und bewertet

Andere haben ein schlechtes Bild von mir, z. B. sie haben mich als Loser
abgespeichert

Ich bin ein Tollpatsch

Alle haben etwas an mir auszusetzen

Meine Mitschüler denken etwas über mich, was ich nicht beeinflussen kann

Ich sage lieber gar nichts, bevor ich etwas Falsches sage

Andere bekommen beim ersten Treffen sofort einen schlechten Eindruck von mir,
den ich nicht wieder rückgängig machen kann

Man hält mich für einen Langeweiler
Welche dieser Punkte treffen so oder in ähnlicher Form auf Dich zu?
Markiere sie mit einem Stift!
S01 Grundüberzeugungen Selbstbild
344
Infoblatt für Eltern Selbstbild
Weshalb führen wir diesen Baustein durch?



Das Selbstbild, d.h. die Sicht auf sich selbst, mit sämtlichen Bewertungen der
eigenen Person, hat einen großen Einfluss auf unseren Selbstwert. Wie „wertvoll“
wir uns fühlen, hängt also maßgeblich davon ab, inwiefern wir uns positiv oder
negativ wahrnehmen. Da unsere Selbsteinschätzung – je nach Erfahrungshintergrund – Schwankungen unterliegt, ist unser Selbstbild keine stabile Größe,
sondern kann sich im Verlauf des Lebens verändern.
Viele Jugendliche haben Schwierigkeiten positive Aspekte ihrer Person zu
benennen. Sie kennen ihre Stärken nicht, wissen nicht, worauf sie stolz sein
können und glauben auch nicht, dass andere Personen, wie die Eltern, stolz auf
sie sind.
Jugendliche mit Selbstwertproblemen schreiben sich in der Regel auffällig wenige
positive Eigenschaften zu und nehmen stattdessen ihre negativen Eigenschaften
umso deutlicher wahr. Häufig haben sie eine negativ-verzerrte Selbstwahrnehmung in Bezug auf ihr Aussehen (z. B. finden sich hässlich), ihre
Eigenschaften bzw. ihre Persönlichkeit (z. B. halten sich für langweilig und
uninteressant) sowie ihre Leistungsfähigkeit (z. B. sind unzufrieden mit ihren
Schulleistungen).
Was machen wir mit dem Jugendlichen?

Der Jugendliche lernt in diesem Baustein sich realistisch einzuschätzen, seine
positiven Eigenschaften differenziert wahrzunehmen, diese konkret zu benennen
und negative Anteile weniger zu fokussieren.
Wie können Sie als Eltern Ihr Kind unterstützen?








Loben Sie und Ihr Partner sich gegenseitig. Loben Sie sich auch selbst, wenn Sie
den Eindruck haben, etwas gut gemacht zu haben.
Machen Sie sich bewusst, welche positiven Eigenschaften Ihr Kind hat.
Geben Sie Ihrem Kind regelmäßig positive Rückmeldungen über sein Verhalten,
positive Eigenschaften, Kleidung, Frisur o. ä.
Nehmen Sie Erfolge Ihres Kindes nicht als Selbstverständlichkeit hin, sondern
heben Sie hervor, wenn Ihr Kind eine gute Leistung erbracht hat.
Nutzen Sie verschiedene Arten des Lobes bzw. der Anerkennung: gestisch (z. B.
Daumen hoch Zeichen), mimisch (z. B. Lächeln, Nicken), verbal (z. B. „Gut
gemacht“ oder „Ich bin stolz auf Dich“) oder materiell (z. B. kleines Geschenk,
gemeinsame Freizeitaktivität).
Zeigen Sie Ihrem Kind, dass Sie ihm vertrauen.
Unterstützen Sie die Umsetzung des JOBs der Woche, indem Sie Ihrem Kind
erlauben, z. B. ein neues Outfit auszuprobieren oder eine neue Frisur.
Geben Sie Ihrem Kind ein positives Feedback, wenn es neue Dinge ausprobiert.
S02 Infoblatt Eltern Selbstbild
345
Stärken- & Schwächen-Waage
Was kannst Du gut? Worauf bist Du stolz?







Womit hast Du noch Schwierigkeiten? Was klappt noch nicht so gut?





S03 Stärken- & Schwächen-Waage
346
Beispiele für persönliche Stärken
Viele Jugendliche wissen gar nicht, welche Stärken sie haben.
Grund genug sich darüber Gedanken zu machen!
Beispiele für persönliche Stärken:

Ich kann gut zuhören

Ich bin hilfsbereit

Ich bin sportlich talentiert

Ich spreche gut Englisch

Ich bin ehrgeizig

Ich bin intelligent

Ich bin kreativ

Auf mich kann man sich verlassen

Mir kann man ein Geheimnis anvertrauen

Mit mir kann man eine Menge Spaß haben

Ich bin ordentlich
S03 Stärken- & Schwächen-Waage
347
Nobody is perfect
Beispiele für typische Schwierigkeiten von Kindern und
Jugendlichen:

Ich bin oft unpünktlich

Ich vergesse oft meine Hausaufgaben

Ich bin zu schüchtern

Mir fällt es schwer mit Gleichaltrigen ein Gespräch anzufangen

Ich streite mich zu häufig mit Mitschülern

Ich beteilige mich zu wenig mündlich im Unterricht

Ich hinterlasse in meinem Zimmer immer ein Chaos

Im Unterricht lasse ich mich leicht ablenken....
S03 Stärken- & Schwächen-Waage
348
Mein Power-Baum
Mein Lieblingsfilm ist ...
Meine Hobbies sind ...
In meiner Familie bin ich der/die ....
Mit anderen
kann ich gut …
Meine
Freunde
mögen an mir
...
...... ist mir
wichtig
Ich interessiere
mich für ...
Mein Ziel
ist ...
Ich bin überzeugt
davon, dass ...
Ich wünsche mir ...
In der Schule
bin ich gut in
…
Meine
Stärke ist ...
In 10 Jahren
bin ich ...
Mein Vorbild ist ...
Meine Eltern schätzen an mir ...
S04 Powerbaum Jugendlichenversion
349
Power-Baum
So sehe ich mein Kind
In der Familie ist mein Kind ....
Mit anderen Kindern
kann mein
Kind gut ...
Ich bin glücklich
darüber, dass
mein Kind ...
Mein
Kind interessiert
sich für ...
Die Stärken meines
Kindes sind ...
Ich bin überzeugt
davon, dass
mein Kind ...
In der Schule ist
mein Kind gut in …
Besonders stolz
bin ich darauf, dass
mein Kind ...
Für die Zukunft wünsche ich meinem Kind ...
S05 Powerbaum Elternversion
350
Das hat mir gut getan…
Welche schönen Dinge
hast Du mit diesen
Personen erlebt?
Nenne ein schönes
Ereignis.
Eltern
Geschwister
Andere Verwandte
Freunde
Andere Person
Andere Person
S06 Positive Beziehungserfahrungen
351
Was mögen diese
Personen an Dir?
Meine Lebenslinie
Schöne Erlebnisse in meinem Leben
Geburt
Heute
S07 Lebenslinie positiver Erfahrungen
352
Auf der Suche ….
… nach Mister X
X hilft mir gerne bei den Hausaufgaben
Wenn mich etwas bedrückt, spreche ich mit X
X sagt mir die Wahrheit
X tröstet mich, wenn ich traurig bin
Mit X lache ich viel
Mit X kann ich gut chillen
Bei X kann ich mich ausheulen
X motiviert mich, wenn ich down bin
X gibt mir gute Ratschläge
Schöne Ausflüge mache ich mit X
Mit X gehe ich durch „dick & dünn“
Mit X fahre ich gerne in Urlaub
Mit X verbringe ich gerne meine Freizeit
Mit X gehe ich gerne shoppen
X hat immer ein „offenes Ohr“ für mich
Ich mache gerne Sport mit X
Musik höre ich gerne mit X
Ich übernachte gerne bei X
Mit X spiele ich gerne PC-Spiele
X mag mich sehr
Mit X würde ich gerne auf eine einsame Insel
X geht gerne mit mir ins Kino
X ruft mich gerne an
X ist mein Vorbild
Mit X möchte ich gerne etwas unternehmen
Geheimnisse kann ich X anvertrauen
Gelobt werde ich oft von X
X ist stolz auf mich
S08 Mister X Spiel
353
Lust auf einen neuen Look?

Überlege Dir zuerst, was genau Du an Deinem Aussehen verändern möchtest,
z. B. neue Frisur, andere Haarfarbe, neuer Klamottenstil, andere Turnschuhe...

Überdenke, ob Du wirklich bereit bist, Dein Aussehen zu verändern und bespreche
Dein Vorhaben mit einer Person, die Dich gut kennt und der Du vertraust
(z. B. Eltern, beste(r) Freund(in)...).

Versuche nicht, gleich Dein gesamtes Aussehen auf einmal zu verändern. Das wirkt
oft irritierend auf andere. Fange mit einer kleinen Veränderung an und warte die
Reaktionen Deiner Freunde, Eltern und Geschwister ab. Oft genügen kleine
Veränderungen, wie eine andere Frisur oder Haarfarbe, eine neue Schultasche
oder ein trendiges neues T-Shirt.

Ganz wichtig ist, dass Du SELBST entscheidest, was Dich stört und was Du ändern
möchtest. Erfülle auf keinen Fall nur die Erwartungen Anderer, wenn Du nicht
davon überzeugt bist.

Habe den Mut, verschiedene Dinge, die Du mehr betonen möchtest, z. B. Deine
Augen oder Deine Haare, zu verändern.

Steh' zu Deinem neuen Look, auch wenn er vielleicht nicht allen gefällt. Man kann
es schließlich nicht jedem Recht machen!

Wichtig ist, dass Du Dich mit Deinem neuen Aussehen wohl fühlst.
S09 Lust auf einen neuen Look?
354
Die Glücksbotschaft-Lotterie
Heute gönne ich mir etwas
Heute mache ich mir ein leckeres Essen
Heute mache ich mir eine neue Frisur
Heute achte ich nur auf meine guten Seiten
Heute mache ich einem Klassenkameraden
ein Kompliment
Heute lobe ich meine Mutter
Heute lobe ich mich selbst
Heute lasse ich mich von jemandem
verwöhnen
Heute belohne ich mich für etwas, was ich
gut gemacht habe
Heute sage ich meine Meinung, wenn mir
etwas nicht passt
Heute versuche ich mich durchzusetzen
Heute melde ich mich häufiger im Unterricht
Heute mache ich was Schönes in meiner
Freizeit
Heute lege ich mich auf die Couch und höre
Musik
Heute sehe ich positiv in die Zukunft
Heute verabrede ich mich mit einem Freund
Heute gehe ich Problemen nicht aus dem
Weg
Heute unternehme ich etwas mit einem
Familienmitglied
Heute probiere ich etwas Neues aus
Heute nehme ich mir Zeit für mich
Heute lade ich jemanden ein
Heute Nachmittag chille ich
Heute lache ich
Heute trinke ich in Ruhe mein
Lieblingsgetränk
Heute lasse ich mich nicht aus der Ruhe
bringen
Heute achte ich darauf, wie viele Leute mich
anlächeln
Heute lächele ich verschiedene Leute an
Heute versuche ich stolz auf mich zu sein
Heute helfe ich jemandem
Heute sage ich mir etwas Schönes
Heute tue ich meinem Körper etwas Gutes
Heute entspanne ich mich
Heute nehme ich, wenn ich Ruhe habe,
meine Umgebung bewusst wahr
Heute überrasche ich jemanden
S10 Glücksbotschaft-Lotterie
355
Materialliste für die Übung zur Sensibilisierung der Sinne
Visuell:
 Aus dem Fenster schauen und die Natur betrachten
 Urlaubsfotos oder Fotos von schönen Landschaften anschauen
 Bildbände anschauen
Auditiv (Augen geschlossen):
 CD mit Meeresrauschen, Vogelgezwitscher, Musik o. ä.
 Fenster aufmachen und den Geräuschen der Umgebung zuhören
 Ocean drum
 Musikinstrumente
Taktil (Augen geschlossen):
 Igelball
 Kiwi, Sternfrucht…
 Stein
 Stoff (Seide, Samt, Filz)
 Feder
 Mit Bodylotion eincremen
Olfaktorisch (Augen geschlossen):
 Minzöl
 Parfum
 Duftlampe
 Blumen
 Zimtstange
 Vanilleschote
 Pfefferminzblätter, Melisse, Lavendel oder andere Kräuter
Gustatorisch:
 Schokolade
 Fruchtgummi (süß vs. scharf vs. sauer)
 Obst
 Gemüse
 Bonbon
 Salzstangen
S11 Materialliste Sensibilisierung der Sinne
356
Den Augenblick bewusst genießen
Genuss & Aktivität
≠
Stimmungsprobleme
Je häufiger Du es schaffst, den Alltag bewusst zu genießen und
dabei zu entspannen, desto schneller wird sich ein angenehmes
Gefühl einstellen.
Je besser Du Dich fühlst und je aktiver Du bist, desto weniger
niedergeschlagen wirst Du sein.
Merke Dir:
Schöne Aktivitäten und Genussmomente verbessern die Stimmung!
S12 Infoblatt Jugendlicher Genuss und Aktivität
357
Infoblatt für Eltern
Steigerung von Genussfähigkeit, Aktivität &
Selbstbelohnung
Weshalb führen wir diesen Baustein durch?



Selbstwertstörungen gehen häufig einher mit Schwierigkeiten, angenehme
Aktivitäten des Alltags zu genießen.
Jugendliche mit Selbstwertstörungen haben Probleme damit, positive
Aktivitäten zu benennen, sich zu motivieren aktiv zu werden und angenehme
Tätigkeiten regelmäßig in ihren Tagesablauf zu integrieren. Des Weiteren fällt
es ihnen schwer, sich selbst zu belohnen.
Selbstbelohnung ist zum Aufbau eines positiven Selbstwertgefühls wichtig.
Sich selbst zu loben und zu belohnen, müssen viele Jugendliche erst erlernen
und vor allem regelmäßig praktizieren.
Was machen wir mit dem Jugendlichen?

In diesem Therapiebaustein wollen wir Ihrem Kind dabei helfen, alltägliche
Aktivitäten (wieder) genießen zu lernen, die Häufigkeit von angenehmen
Aktivitäten zu steigern und sich in angemessener Weise selbst zu belohnen.
Dadurch können Selbstwertprobleme vermindert werden und die Stimmung
verbessert sich.
Wie können Sie als Eltern Ihr Kind unterstützen?






Ermutigen Sie Ihr Kind, neue Dinge auszuprobieren, z. B. eine neue Sportart.
Seien Sie für Ihr Kind ein Vorbild in Bezug auf Genussfähigkeit, Aktivität und
Selbstbelohnung.
Überlegen Sie, wie gut Sie selbst alltägliche Dinge genießen können und wie
gut Sie dies äußern können (z. B. Geschmack beim Essen, Film genießen,
Brötchenduft, Kaffeearoma).
Gelingt es Ihnen, eine gute Balance zwischen Ausruhen und aktiver
Freizeitgestaltung zu finden? Sind Sie zufrieden mit dem, was Sie machen
und gelingt es Ihnen, dies auch zu äußern? Gibt es Dinge, auf die Sie stolz
sein können? Wenn es Ihnen gelingt, diese Aspekte gut in den Alltag zu
integrieren, wird es Ihrem Kind leichter fallen, diese Kompetenzen zu
übernehmen.
Sollte Ihr Kind dies wünschen, kann es hilfreich sein, wenn Sie ihm helfen,
seine JOBs der Woche im Alltag umzusetzen. Mögliche Therapieaufgaben
können sich darauf beziehen, festgelegte Aktivitäten auch wirklich
durchzuführen oder gemeinsam schöne Aktivitäten durchzuführen (z.B.
Joggen, Schwimmen, Fußball spielen, Shoppen gehen, Kino, Konzert)
Machen Sie bei gemeinsamen Aktivitäten deutlich, dass Sie diese genießen
und Ihnen die gemeinsame Zeit mit Ihrem Kind Freude bereitet.
S13 Infoblatt Eltern Genuss, Aktivität & Selbstbelohnung
358
Wie genieße ich richtig?
Genussregeln
Genuss braucht Zeit
Genuss muss erlaubt sein
Genuss geht nicht nebenbei
Weniger ist mehr
Aussuchen, was Dir gut tut
Ohne Erfahrung kein Genuss
Genuss ist alltäglich
(nach R. Lutz & E. Koppenhöfer, 1983)
Tipps:
Nimm Dir täglich Zeit zum genießen!
Wenn Du nach einem stressigen Tag etwas genießen möchtest, musst Du Dir
ausreichend Zeit dafür nehmen.
Versuche Dich nur auf den Genuss zu konzentrieren!
Wer richtig entspannen will, sollte sich nur auf das Genießen konzentrieren und seine
Probleme, Sorgen oder Termine für einen Moment ausblenden.
Suche Dir etwas aus, was Dir wirklich Spaß macht und was Du wirklich
genießen kannst!
Entspannung und Genuss tritt nur ein, wenn Du etwas tust, was wirklich schön für
Dich ist.
Genuss ja – aber nicht übertreiben!
Täglich etwas zu genießen ist wichtig, damit ist aber nicht gemeint, stundenlang am
PC zu spielen oder mit dem Handy – das ist „zu viel des Guten.“
S14 Genussregeln
359
Lass' es Dir mal wieder gut gehen!
Hier ist eine Liste mit Aktivitäten, die viele Jugendliche als angenehm oder
entspannend empfinden. Bitte gib zu jeder Aktivität an, wie angenehm Du sie
empfindest und wie häufig sie in Deinem Alltag vorkommt.
0 = Du magst die Aktivität gar nicht bzw. sie kommt in Deinem Alltag nicht vor
1 = Du magst die Aktivität ganz gern bzw. sie kommt in Deinem Alltag manchmal
vor
2 = Du magst die Aktivität sehr bzw. sie kommt in Deinem Alltag oft vor
Auf dem Bett liegen
Etwas Leckeres essen
Ausschlafen
Ein entspannendes Bad nehmen
Duschen
In der Sonne sitzen
Musik hören
Mit Jemandem schmusen
Stille genießen
Schlafen
Mit Freunden telefonieren
Chillen
An etwas Schönes denken
Fernsehen
Musik machen, z. B. Gitarre spielen
Kreativ sein, z. B. malen, basteln
Yoga
Sich massieren lassen
Zeitschriften lesen
Sich mit einer Bodylotion eincremen
Playstation oder ähnliches spielen
Lachen
Internet nutzen
Einen Freund/ eine Freundin besuchen
Mit dem Freund/ der Freundin etwas unternehmen
Ins Fitnessstudio gehen
Ein Buch/ Comic lesen
Spazieren gehen
S 15 Lass es Dir mal wieder gut gehen
360
0
0
0
0
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0
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0
1 Wie
2 Wie
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2
2
2
2
2
2
2
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2
2
2
2
Lass' es Dir mal wieder gut gehen!
1
Einen Film anschauen
Shoppen gehen
Etwas Süßes naschen
Mein Zimmer umgestalten
Fahrradfahren
Inliner fahren
Schwimmen gehen
Zum Friseur gehen
Mich stylen
Ins Kino gehen
Eis essen gehen
Im Restaurant essen gehen
Meinem Hobby nachgehen
Facebook oder ähnliches nutzen
Jemanden überraschen
Mit jemandem ein Gesellschaftsspiel spielen
Etwas aus dem Internet herunterladen
Mit der Familie etwas unternehmen
Joggen gehen
Mails, SMS schreiben
Mit meinem Haustier spielen
Lieblingsserie anschauen
Rätsel lösen
Einen Ausflug machen
Meinen nächsten Urlaub planen
Jemandem ein Geschenk machen
Neue Musik runterladen
Videos mit dem Handy drehen
Etwas leckeres kochen
Fotografieren
Zeichnen
Wie
angenehm?
2
Wie
häufig?
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0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
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1
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1
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1
2
2
2
2
2
2
2
2
2
2
2
2
2
2
2
2
2
2
2
2
2
2
2
2
2
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0
0
0
1
1
1
2
2
2
0
0
0
1
1
1
2
2
2
Das macht mir auch Spaß:
S15 Lass es Dir mal wieder gut gehen
361
Chillen mal anders
Es gibt verschiedene Arten des Chillens. Die Übungen kannst Du (fast) überall und
ohne viel Aufwand durchführen. Hier einige Beispiele:
„Achte auf Deine Schritte“
Eine ganz einfache Übung ist, sich täglich vorzunehmen, beim Gehen auf die
einzelnen Schritte zu achten, z. B. auf dem Weg zur Schule oder zu einem Freund.
„Beobachte alles ganz genau“
Versuche alles um Dich herum so genau wie möglich zu beobachten, so als ob Du die
Aufgabe hättest, später ein Bild von der Umgebung zu malen.
„Atme mal wieder richtig durch“
Versuche, in einem ruhigen Moment (z. B. abends im Bett), für einige Minuten tief
ein- und auszuatmen. Atme 4 Sekunden lang ein, halte 3 Sekunden lang den Atem
an und atme 4 Sekunden lang aus.
„Iss in Ruhe“
Nimm Dir einmal täglich Zeit, in Ruhe und vor allem bewusst zu essen. Versuche die
einzelnen Zutaten des Essens herauszuschmecken.
„Schalt' mal auf Pause“
Gönne Dir regelmäßig kurze Auszeiten. Lasse alle aufkommenden Gedanken wie
Wolken an Dir vorbeiziehen ohne sie weiter zu beachten.
S16 Chillen mal anders
362
Chill-Tagebuch
Datum
Wo hast Du die Übung
durchgeführt?
Welche Übung hast
Du ausgewählt?
Wie hast Du Dich
danach gefühlt?
3.5.
Nach der Schule auf dem
Heimweg.
Tief ein- und ausatmen
Ich bin weniger gestresst
nach Hause gekommen.
S17 Chill-Tagebuch
363
Nutze alle
5 Sinne zum Genießen!
Beispiele zum Ausprobieren:
Sehen
Nimm bewusst wahr, was in diesem Augenblick um Dich herum passiert (z. B. beim
Bahn fahren, im Straßencafé, im Einkaufszentrum).
Schaue Dir ganz genau die Menschen an, die Dich umgeben. Wie sind sie
gekleidet? Schaue Dir ihr Gesicht, ihre Gesichtszüge, die Hände oder andere Teile
des Körpers an. Nimm dabei aber keine Bewertungen vor.
Du kannst auch versuchen, Dir mit geschlossenen Augen die Bilder einer schönen
Situation in Erinnerung zu rufen, wie z. B. den letzten Urlaub.
Hören
Welche Geräusche höre ich in diesem Augenblick? Versuche so viele Geräusche,
wie möglich, herauszuhören.
Versuche ein bestimmtes Geräusch aus der Fülle an Geräuschen, die Dich
umgeben, herauszufiltern (z. B. nur Stimmen, nur Vogelgezwitscher).
S18 Nutze alle 5 Sinne zum Genießen
364
Riechen
Nimm die unterschiedlichen Gerüche Deiner Umgebung wahr, z. B. den Duft frisch
gewaschener Wäsche, die Frühlingsluft, den Geruch von frisch gebackenem Brot,
wenn Du an der Bäckerei vorbeigehst, den Duft von Früchtetee beim Frühstück...
Gehe in eine Parfümerie und rieche an verschiedenen Damen- und Herrendüften.
Rieche in einem Blumenladen an unterschiedlichen Blumen (z. B. Rosen, Lilien).
Schmecken
Versuche beim Essen die einzelnen Zutaten herauszuschmecken oder die verwendeten
Gewürze zu erkennen.
Lass Dir ein Stück Schokolade ganz langsam auf der Zunge zergehen, ohne sie gleich
runterzuschlucken (ca. 1 Minute lang).
Tasten
Berühre mit geschlossenen Augen verschiedene Materialien und versuche die
Unterschiede zu ertasten. Benutze dazu Materialien mit unterschiedlichen Oberflächen,
wie z. B. einen Stein, einen Badeschwamm, eine Kiwi oder eine Feder.
Du kannst auch in einem abgedunkelten Raum verschiedene Gegenstände ertasten.
Wie fühlen sie sich an? Sind sie kalt oder eher warm? Weich oder hart?
Eckig, spitz oder rund?
S18 Nutze alle 5 Sinne zum Genießen
365
Entdecke den Zusammenhang zwischen angenehmen Aktivitäten und einer positiven
Stimmung, indem Du täglich das Aktivitäts- und Stimmungsbarometer ausfüllst.
Aktivitäts- und Stimmungsbarometer
Beispiel:
Datum:
z. B. 30.05.11 01.06.11
6
x
5
x
02.06.11
03.06.11
x
X
04.06.11
05.06.11
X
x
x
06.06.11
07.06.11
X
x
x
4
X
x
x
x
x
Joggen Kino
Sonnen
x
3
2
1
0
Welche
Aktivität hast Baden
Du Dir
ausgesucht?
Musik
hören
Skaten
Friseur
Handy
nutzen
Kreuze bitte jeden Tag mit einem roten Stift an, wie angenehm die Aktivität war!
0 = sehr unangenehm … 3 = mittelmäßig angenehm … 6 = sehr
angenehm
Kreuze bitte zusätzlich mit einem schwarzen Stift jeden Tag an, welche Stimmung Du
anschließend hattest!
0 = sehr schlecht … 3 = mittelmäßig … 6 = sehr gut
S19 Aktivitäts- und Stimmungsbarometer
366
Aktivitäts- und Stimmungsbarometer
Datum:
6
5
4
3
2
1
0
Welche
Aktivität hast
Du Dir
ausgesucht?
Kreuze bitte jeden Tag mit einem roten Stift an, wie angenehm die Aktivität war!
0 = sehr unangenehm … 3 = mittelmäßig angenehm … 6 = sehr
angenehm
Kreuze bitte zusätzlich mit einem schwarzen Stift jeden Tag an, wie Deine Stimmung
anschließend war!
0 = sehr schlecht … 3 = mittelmäßig … 6 = sehr gut
Verbinde bitte am Ende der Woche die roten Kreuze zu einer roten Linie und die
schwarzen Kreuze zu einer schwarzen Linie. Siehst Du einen Zusammenhang?
S19 Aktivitäts- und Stimmungsbarometer
367
Der lange Weg zum Ziel
Der Weg zum Ziel kann einem manchmal sehr lang erscheinen. Oft denkt man,
dass die gesteckten Ziele kaum zu erreichen sind, weil sie einem so unerreichbar
„weit weg“ erscheinen.
Tipp:
Versuche „große Ziele“, wie „Ich will selbstbewusster werden“ in Teilziele zu
unterteilen. Wenn es hilfreich ist, unterteile die Teilziele wiederum in einzelne,
überschaubare und leicht erreichbare Zwischenziele. Das Erreichen von Zwischenzielen
stärkt die Motivation, auch „größere“ Ziele in Angriff zu nehmen.
S20 Ziele in Teilziele unterteilen
368
Hier ein Beispiel:
Endziel:
z. B.: Ich möchte selbstbewusster werden!
Mögliche Zwischenziele:
1. Infos über zwei Vereine einholen:
Welche Angebote gibt es?
Wie hoch ist der Mitgliedsbeitrag?
Wann ist das Training?
Ist der Verein gut mit dem Fahrrad erreichbar?
Teilziel 1:
2. Termin für eine Probestunde
vereinbaren
Im Verein anrufen und fragen, wann ein
Probetraining möglich ist.
Klären, ob die Probestunde kostenlos ist.
Ich möchte sportlich aktiv werden
3. Verbindliche Anmeldung im Verein
Wenn mir der Verein gefällt, melde ich mich
verbindlich für 6 Monate an. Wenn nicht,
entscheide ich mich für den anderen Verein.
Mögliche Zwischenziele:
1. Infos über gesunde Ernährung im
Internet suchen
Teilziel 2:
Ich möchte mich in meinem Körper 2. Auf gesunde Kost achten
wohl fühlen
3. 2 x wöchentlich mit Jana joggen
gehen
Mögliche Zwischenziele:
1.
Teilziel 3:
Ich möchte mehr
Freunde haben
2.
3.
S20 Ziele in Teilziele unterteilen
369
„Gut gemacht!“
Sich selbst belohnen für erreichte Teilziele
Welche realistischen Belohnungen fallen Dir für erreichte Teilziele ein?







Lege mit Deinem Therapeuten für erreichte Etappenziele verschiedene
Belohnungen fest!
Bleib’ dabei realistisch und schreibe nur Wünsche auf, die realistisch sind,
d. h. die man auch wirklich erfüllen kann.
S21 Wunschliste Selbstbelohnungen
370
Was zieht mich runter?
Negativer Gedanke
Schlechtes Gefühl
z. B. „Ich bin ein Versager!“
z. B. Traurigkeit,
Wut, Enttäuschung
Verhalten
z. B. Weinen, im Bett verkriechen,
mit keinem reden wollen,
kein Schulbesuch
Positive und optimistische Gedanken verbessern die Stimmung
und stärken das Selbstbewusstsein!
S22 Infoblatt Jugendlicher Gedanken beeinflussen die Stimmung
371
Hier ein Beispiel:
Vanessa und Mia gehen gemeinsam 3 x wöchentlich in den Schwimmverein. Beide
sind im Laufe der Jahre gute Freundinnen geworden. Bei Wettkämpfen allerdings
werden sie auch schnell zu Gegnerinnen. Jede will den Wettkampf gewinnen, vor allem
weil sie hart trainieren.
Heute hat Vanessa den Wettkampf gewonnen. Das freut sie jedoch gar nicht, weil sie
ihre Spitzenzeit nicht übertreffen konnte. Sie ist enttäuscht und fängt an zu weinen.
Mia hingegen wundert sich, weil sie sich über den Sieg definitiv gefreut hätte – egal in
welcher Zeit sie gesiegt hätte.
Du siehst, dass die gleiche Situation verschiedene Gedanken und Gefühle auslösen
kann.
Während Mia sich über den Sieg gefreut hätte, ist Vanessa wütend und enttäuscht,
obwohl sie gewonnen hat.
Wie kann man sich diese beiden unterschiedlichen Reaktionen auf einen Sieg
erklären?
Situation
Situation
Wettkampf
gewonnen
Gedanke
Welche Gedanken
könnte man in
dieser Situation
haben?
„Super, ich habe
gewonnen!“
Gefühl
Verhalten
Welche Gefühle
könnte man in
dieser Situation
haben?
Wie könnte man
sich in dieser
Situation
verhalten?
glücklich
Mutter anrufen und
vom Sieg erzählen
,,
,,
,,
S22 Infoblatt Jugendlicher Gedanken beeinflussen die Stimmung
372
Die schwarze Brille verschlechtert Deine
Stimmung
Negatives Bild von dir selbst
Beispiele:
„Ich kriege nichts auf die Reihe!“
„Ich bin ein Loser!“
„Ich bin zu fett!“
Negative Sicht der Umwelt
Beispiele:
„Meine Mitschüler hassen mich!“
„Mein Lehrer hat mich auf dem Kicker!“
Pessimistischer Blick in die Zukunft
Beispiele:
„Ich werde den Schulabschluss nicht schaffen!“
„Ich finde niemals eine Freundin!“
„Ich bekomme bestimmt keinen Ausbildungsplatz!
S23 Die schwarze Brille
373
Hör' auf, Dich durch die
schwarze Brille zu betrachten!
Sorge wieder für eine klare Sicht!
S23 Die schwarze Brille
374
Wie erklärst Du Dir Deine Erfolge und Misserfolge?
Die Ursache liegt
in meiner Person
z. B. Ich habe zu wenig für den Test gelernt.
Die Ursache liegt
in äußeren
Umständen
z. B. Die Klassenarbeit war zu schwierig.
Kontrollierbare
Ursache
z. B. Ich habe mich angestrengt beim Sport.
Unkontrollierbare
Ursache
z. B. Es ist Zufall, dass wir das Fußballspiel gewonnen
haben.
Dauerhafte
Ursache
z. B. Es geht immer schief.
Vorübergehende
Ursache
z. B. Ich war heute einfach unkonzentriert, deshalb
habe ich die Arbeit verhauen.
Wer die Ursache für Misserfolge immer bei sich sucht und glaubt, dass
Erfolge immer nur „zufällig“ passieren, und nichts mit den eigenen
Fähigkeiten und eigener Anstrengung zu tun haben, macht sich für
Misserfolge persönlich verantwortlich und traut sich selbst nicht zu,
Herausforderungen erfolgreich zu meistern.
S24 Infoblatt Jugendlicher Ursachenzuschreibungen
375
Infoblatt für Eltern
Denkfallen & negativ verzerrte Wahrnehmung
Weshalb führen wir diesen Baustein durch?



Selbstwertstörungen resultieren unter anderem aus einer negativ verzerrten
Selbstwahrnehmung. Jugendliche mit Selbstwertstörungen nehmen sich als
inkompetent wahr, sind sich ihrer persönlichen Stärken nicht bewusst und
schreiben sich übermäßig viele negative Eigenschaften zu. Erfolge, wie z. B. eine
gute Schulnote, führen sie meist nicht auf ihre eigene Fähigkeiten und Stärken
zurück. Oft sind sie überzeugt davon, dass sie keinen persönlichen Einfluss auf
Situationen und Ereignisse haben.
Neben der negativ verzerrten Wahrnehmung der eigenen Person findet man
häufig auch Fehlinterpretationen von Situationen und Ereignissen. Typische
„Denkfallen“ sind Übertreibungen (Katastrophisierung), eine pessimistische
Einstellung oder „Schwarz-Weiß-Denken“, d. h. Denken in starren Kategorien.
Belastende Lebenserfahrungen können ebenfalls zu einem negativen Denkstil
beitragen, der sich wiederum negativ auf unsere Gefühle und unser Verhalten
auswirken kann.
Was machen wir mit dem Jugendlichen?



In diesem Therapiebaustein wollen wir Ihr Kind für die negativ verzerrte Wahrnehmung der eigenen Person sowie zugrunde liegende Denkfehler sensibilisieren
und es bei der realistischen Selbstwahrnehmung unterstützen.
Wir trainieren mit Ihrem Kind die Wahrnehmung und Akzeptanz positiver
Eigenschaften, Kompetenzen und persönlicher Ressourcen.
Des Weiteren versuchen wir mit Ihrem Kind positives Denken in Bezug auf die
eigene Person – aber auch in Bezug auf persönlich bedeutsame Situationen – zu
fördern und eine positive Zukunftssicht zu etablieren.
Wie können Sie als Eltern Ihr Kind unterstützen?





Stellen Sie keine überhöhten Leistungsansprüche an sich selbst, Ihren Partner
oder an Ihr Kind.
Signalisieren Sie Ihrem Kind, dass es in Ordnung ist, wenn man etwas falsch
macht.
Prüfen Sie, ob Ihr Denken realistisch ist und welche Denkfehler Ihrem Denken
zugrunde liegen. Vermeiden Sie eine pessimistische Denkweise und negative
Bewertungen in Bezug auf sich selbst oder Ihr Kind.
Seien Sie Ihrem Kind ein Vorbild, indem Sie z. B. in problematischen Situationen
eine optimistische Denkweise und eine zuversichtliche Haltung einnehmen.
Melden Sie Ihrem Kind zurück, wenn es sich selbst negativ bewertet oder
Ereignisse / Situationen negativ verzerrt interpretiert.
S25 Infoblatt Eltern Denkfallen & negativ verzerrte Wahrnehmung
376
Checkliste: Stimmungskiller (Jugendlicher)
Kreuze an, welche negativen Gedanken auf Dich zutreffen. Schreibe bitte auch
negative Gedanken auf, die typisch für DICH sind, aber nicht in der Liste aufgeführt
sind!
Gedanken, die die Stimmung runter ziehen
Ich bin unbeliebt bei meinen Mitschülern
Ich bin zu dick
Ich bin hässlich
Niemand versteht mich
Ich bin ein Versager
Meine Schulleistungen sind schlecht
Meine Lehrer sind unfair zu mir
Meine Eltern können mich nicht leiden
Alles was ich mache geht schief
Warum passiert das immer nur mir?
Nur mit mir meckern ständig alle
Ich habe nur Pech im Leben
Gedanken, die mich runter ziehen:
S26 Checkliste Stimmungskiller
377
Trifft auf mich zu
Checkliste: Stimmungskiller (Eltern)
Kreuzen Sie bitte an, welche negativen Gedanken auf Sie zutreffen.
Schreiben Sie bitte auch negative Gedanken auf, die typisch für Sie sind, aber nicht in
der Liste aufgeführt sind!
Gedanken, die die Stimmung runter ziehen
Ich bin immer nur für andere da
Ich muss alles möglichst perfekt machen
Ich bin nicht attraktiv
Niemand versteht mich
Ich bin ein Versager
Ich bin keine gute Mutter / kein guter Vater
Mein Vorgesetzter ist unfair zu mir
Mein Partner beachtet mich nicht
Alles was ich mache, geht schief
Warum passiert das immer nur mir?
Ich habe keine Zeit für mich selbst
Ich habe nur Pech im Leben
Keiner sieht, was ich alles leiste
Mein Kind ist undankbar
Keiner merkt, dass ich erschöpft bin
Mein Kind ist ein Außenseiter
Mein Kind schafft den Schulabschluss nicht
Gedanken, die mich runter ziehen:
S26 Checkliste Stimmungskiller
378
Trifft auf mich zu
Checkliste: Stimmungspusher (Jugendlicher)
Kreuze bitte an, welche Gedanken auf Dich zutreffen. Schreibe auch positive
Gedanken auf, die am ehesten Deine Stimmung anheben würden!
Gedanken, die die Stimmung verbessern
Ich bin beliebt in meinem Freundeskreis
Meine Eltern nehmen mich ernst
Mir kann man vertrauen
Ich bin sportlich
Meine Schulleistungen sind gut
Mit mir kann man viel Spaß haben
Ich mache regelmäßig meine Hausaufgaben
Ich bin ordentlich
Ich werde oft auf Partys eingeladen
Mein Styling gefällt mir
Ich habe schöne Augen
Meine Figur ist ok
Gedanken, die meine Stimmung positiv beeinflussen können:
S27 Checkliste Stimmungspusher
379
Trifft auf mich zu
Checkliste: Stimmungspusher (Eltern)
Kreuzen Sie bitte an, welche Gedanken auf Sie zutreffen. Schreiben Sie auch positive
Gedanken auf, die am ehesten Ihre Stimmung anheben würden!
Gedanken, die die Stimmung verbessern
Ich bin beliebt in meinem Freundeskreis
Meine Kollegen nehmen mich ernst
Mir kann man vertrauen
Ich bin sportlich
Ich mache meinen Job gut
Mit mir kann man viel Spaß haben
Ich kümmere mich gut um meine Kinder
Mein Partner kann sich auf mich verlassen
Meine Familie weiß, was sie an mir hat
Mein äußeres Erscheinungsbild gefällt mir
Ich bin wortgewandt
Ich habe eine schnelle Auffassungsgabe
Aus Krisen gehe ich gestärkt hervor
Misserfolge werfen mich nicht aus der Bahn
Ich kann mich gut durchsetzen
Gedanken, die meine Stimmung positiv beeinflussen können:
S27 Checkliste Stimmungspusher
380
Trifft auf mich zu
Achtung
Denkfallen
1. Übertreibung
Immer vom worst case oder einer möglichen Katastrophe ausgehen.
z. B. „Wenn ich heute die Mathearbeit verhaue, wird aus mir nie etwas werden.“
2. Negative Filterbrille
Nur das Schlechte sehen.
z. B. „Alles an mir ist hässlich, meine Figur, meine Haare, meine Frisur – eben alles.“
3. Schwarz-Weiß-Denken
Nur in extremen Kategorien, wie „Gut – Schlecht“, „Alles – Nichts“ oder „Richtig –
Falsch“, denken.
z. B. „Entweder ich habe heute Erfolg beim Bewerbungsgespräch oder ich bin nicht
geeignet für diesen Job.“
4. Verallgemeinerung
Von einem Ereignis auf andere mögliche Ereignisse schließen.
z. B. „Wenn ich heute nicht zur Party mitkomme, wird man mich das nächste Mal nicht
mehr einladen.“
5. Selbstabwertung
Über sich selbst schlecht reden und sich abwerten.
z. B. „Ich bin ein Loser und deshalb werde ich nie eine Freundin haben.“
S28 Denkfallen
381
6. Muss-Sätze
Alle Sätze, die ein „muss“ enthalten.
z. B. „Ich muss in Sport der Beste sein.“ oder „Man muss gut aussehen, um in der Clique
dazu zu gehören.“
7. Hellseherei
Von Ereignissen in der Vergangenheit auf mögliche Ereignisse in der Zukunft schließen.
z. B. „Ich habe in den letzten Englischtests eine Fünf geschrieben, also schreibe ich im
nächsten Test bestimmt auch wieder eine Fünf.“
8. Für alles Verantwortung übernehmen
Sich für alles verantwortlich fühlen, besonders wenn etwas schief gegangen ist.
z. B. „Meine Eltern trennen sich, weil sie mit mir immer so viel Ärger haben.“
9. Gedankenlesen
Glauben zu wissen, was der andere über einen denkt.
z. B. „Sarah hat mich gerade so komisch angeschaut, bestimmt ist sie sauer auf mich.“
S28 Denkfallen
382
Gedanken-Gefühls-Puzzle
Situation
Gefühl
Klassenarbeit
mit schlechter traurig
Note zurückbekommen
Freund
erscheint nicht sauer
zum Date
Freundin
tuschelt mit
einer anderen
Freundin
Denkfalle
Gedanke
?
Ich bin eine
Niete
Ich habe nicht
genug gelernt
?
Der hat was
Besseres vor
Der kommt
bestimmt
gleich
?
wütend
Die lästern
Die quatschen
bestimmt über über einen
mich
süßen Typen
?
Mutter
meckert Dich
an
enttäuscht
Ich bin immer Die hat
der Sündeneinfach einen
bock
schlechten Tag
?
Erster Platz
beim
Wettkampf
stolz
Ich habe ja
Das war Zufall auch viel dafür
getan
?
In der Sonne
sitzen und ein
Eis essen
Sich im
Spiegel
betrachten
zufrieden
beschämt
Musik auf dem entspannt
Bett hören
Streit mit dem
besten
gereizt
Freund/
Freundin
Das Leben
kann so schön
sein
?
Meine Figur ist
Mein Beine ist gar nicht mal
zu dick
so schlecht
?
Ich hab' einen
Mein Leben ist guten
sinnlos
Geschmack
?
Der/Die ist
Wir finden
immer so
schon eine
gemein zu mir Lösung
?
Mir ist immer
so langweilig
S29 Gedanken-Gefühls-Puzzle
383
Dein Schwarm
flirtet auf
neidisch
einer Party mit
jemand
anderem
Am Strand
liegen in
Badehose/
Bikini
Mir macht
jemand ein
Kompliment
angespannt
glücklich
Hausaufgaben gelangweilt
machen
Bewerbungsgespräch für
einen Job
Einen Fehler
gemacht
haben
zuversichtlich
verärgert
Dann flirte ich
eben auch mit
jemand
anderem
?
Hoffentlich
sieht mich
keiner
Ich kann mich
auch in
Badehose/
Bikini zeigen
?
Das meint
der/die
bestimmt
nicht ernst
Schön, dass
jemandem
auffällt, was
ich gut kann
?
Warum muss
ich so viele
Aufgaben
erledigen?
Später gönne
ich mir was
Schönes
?
Reine
Glückssache,
wenn das
klappt
Ich bin gut
geeignet für
den Job
?
Aus Fehlern
Immer mache kann man
ich alles falsch lernen
?
Wer will mich
schon?
S29 Gedanken-Gefühls-Puzzle
384
Das Stimmungsbarometer
Schätze bitte täglich ein, in welcher Stimmung Du heute warst (0 = miese Stimmung ... 100 = super Stimmung).
Trage bitte auch ein, welche Ereignisse Deine Gedanken und Gefühle beeinflusst haben könnten.
Montag
Dienstag
Mittwoch
Donnerstag
Datum:
Meine Stimmung:
0 … 100
mies ... super
Besondere
Ereignisse oder
Situationen, z. B.
schöner Ausflug
oder schlechte
Schulnote
Gedanken, die
mich aufgebaut
oder runter
gezogen haben,
z. B. „Alle sind
gegen mich“
Gefühle, die
meine Stimmung
verbessert oder
verschlechtert
haben, z.B.
Freude, Traurigkeit
S30 Stimmungsbarometer
385
Freitag
Samstag
Sonntag
Meine Stimmung im Wochenüberblick
Zeitraum:
vom ______________ bis zum __________________
Stimmung
100
80
60
40
20
0
Zeitraum:
Montag
Dienstag
Mittwoch
Donnerstag
Freitag
Samstag
Sonntag
Freitag
Samstag
Sonntag
vom ______________ bis zum __________________
Stimmung
100
80
60
40
20
0
Montag
Dienstag
Mittwoch
Donnerstag
S30 Stimmungsbarometer
386
Realitäts-Check Schwarzmalerei
Gedanke:
Wie realistisch ist der Gedanke?
o 10 %
o 25 %
o 50 %
o 75 %
o 100 %
Was spricht für meine negative Sicht?
z. B.
 Schlecht Erfahrungen, die ich gemacht habe
 Wenn ich negativ denke, kann ich nicht noch mehr enttäuscht werden
 Ich ziehe damit die Aufmerksamkeit auf mich
 Ich bin mit meiner Meinung etwas „Besonderes“
 Es tut mir gut, wenn ich negativ denke



Was spricht gegen meine negative Sicht?



Was könnte ein realistischerer (positiver) Gedanke sein?
Was spricht für die positive Sicht?
•
•
•
Wie fühle ich mich, wenn ich eine positive Sicht habe?
S31 Realitäts-Check Schwarzmalerei
387
positive
Gedanken
Negative Gedanken durch
Auslösendes
Ereignis
Negativer
Gedanke
Positiver
Gedanke
ersetzen
Negatives
Gefühl
Positives
Gefühl
S32 Negative Gedanken durch positive Gedanken ersetzen
388
Infoblatt für Eltern
Impulskontrolle & Affektregulation
Weshalb führen wir diesen Baustein durch?




Das Jugendalter ist gekennzeichnet durch emotionale „Berg- und Talfahrten.“
Wiederkehrende Gefühlsschwankungen und plötzliche Stimmungswechsel – für
Außenstehende oft ohne erkennbaren Anlass – sind in dieser Entwicklungsphase
normal.
Viele Jugendliche haben Schwierigkeiten damit, ihre Gefühle zu benennen, Gefühle
eindeutig voneinander zu unterscheiden und mit negativen Gefühlen angemessen
umzugehen.
Oft entladen sich Gefühle, wie Wut oder Enttäuschung, explosionsartig, ohne dass
die Betroffenen zunächst beschreiben können, warum es zu diesem plötzlichen
„Gefühlsausbruch“ gekommen ist.
Diese Gefühlsausbrüche sind in der Regel schambesetzt, da sie – aus der
Perspektive des Jugendlichen – als unvorhersehbar (z.B. „Die Wut kam aus
heiterem Himmel“) und unkontrollierbar (z.B. „Da sind meine Gefühle mit mir
durchgegangen“) eingeschätzt werden.
Was machen wir mit dem Jugendlichen?



In diesem Baustein üben wir mit Ihrem Kind Gefühle konkret zu benennen und die
verschiedenen Gefühle voneinander zu unterscheiden (Gefühlsdifferenzierung).
Wir versuchen auslösende Situationen bzw. Gedanken zu identifizieren und die
auftretenden Gefühle damit für den Jugendlichen vorhersehbarer und somit
kontrollierbarer zu machen.
Der Jugendliche lernt, spontan auftretende Gefühle und aggressive Handlungsimpulse, die z. B. in frustrierenden Situationen entstehen, zu erkennen und besser
zu kontrollieren.
Wie können Sie als Eltern Ihr Kind unterstützen?





Meiden Sie unnötige Diskussionen und Auseinandersetzungen, wenn Ihr Kind
angespannt oder sehr aufgebracht ist. Brechen Sie hitzige Diskussionen notfalls ab.
Wenn nötig, schicken Sie Ihr Kind in sein Zimmer, um sich zu beruhigen.
Unterstützen Sie Ihr Kind dabei, die Ursache für negative Gefühle herauszufinden,
indem Sie z. B. nach möglichen Auslösern fragen.
Besprechen Sie in einer ruhigen und entspannten Atmosphäre gemeinsam
Möglichkeiten, wie Ihr Kind angestaute Wut oder Aggression, in einem
angemessenen Rahmen, zu Hause abbauen kann.
Überlegen Sie als Eltern, wie Sie Ihre Gefühle regulieren. Wie gehen Sie mit
aufgestauten negativen Gefühlen um? Schaffen Sie es, auch in schwierigen
Situationen ruhig zu bleiben? Wie können Sie Ihrem Kind ein Vorbild in Bezug auf
eine angemessene Gefühlsregulation sein?
Erkennen und reduzieren Sie nach Möglichkeit familiäre Stressoren
S33 Infoblatt Eltern Impulskontrolle und Affektregulation
389
Jede Menge Gefühle
aufgeregt
überrascht
aggressiv
ausgeglichen
traurig
schwermütig
streitlustig
teilnahmslos
verzweifelt
entspannt
zuversichtlich
betrübt
verbittert
deprimiert
eifersüchtig
fröhlich
angeekelt
zuversichtlich
gelassen
wütend
angespannt
unbeschwert
glücklich
unsicher
verängstigt
ärgerlich
zornig
befangen
lustlos
beunruhigt
verunsichert
verblüfft
vergnügt
zufrieden
entmutigt
enttäuscht
verbittert
neidisch
erschöpft
empört
bedrückt
unglücklich
belastet
niedergeschlagen
sauer
verletzt
gehässig
zweifelnd
misstrauisch
gereizt
feindselig
ängstlich
verärgert
berauscht
nachdenklich
beschämt
aufgebracht
verängstigt
gelangweilt
missverstanden
S34 Gefühle unterscheiden lernen
390
Gefühle an der Mimik erkennen
S35 Gefühle an der Mimik erkennen
391
Was kann man tun,
wenn einen die Gefühlswelle überrollt?
Manchmal werden wir von einer Welle an Gefühlen „überrollt“, die uns ganz schnell
handlungsunfähig macht und ein Gefühl der Unkontrollierbarkeit hinterlässt.
Hier einige Tipps, wie man der Gefühlswelle begegnen kann:
1. Gedanken ordnen:

Versuche zuerst Deine Gedanken wieder zu ordnen
2. Beruhigen

Beruhige Dich, indem Du z. B. tief durchatmest oder irgendeine andere
Methode wählst, die Dir hilft ruhiger zu werden.
3. Optimistisch bleiben

Denk‘ positiv! (z.B. „Ich finde eine Lösung“ oder „Es wird schon irgendwie gut
ausgehen“).
4. Situation checken

Überlege Dir, was zu dieser Gefühlswelle geführt haben könnte.

Kann man die Situation auch anders sehen? Kann man der Situation auch
etwas Gutes abgewinnen? (z. B. „Kritik hilft mir, mein Verhalten zu
überdenken“ oder „Wenn meine Eltern mir etwas verbieten, ist das nur zu
meinem Schutz“).
5. Stopp – Verhalten checken

Stoppe Deinen ersten Handlungsimpuls und überlege Dir zuerst, ob es noch
andere Handlungsmöglichkeiten gibt.
6. Handeln

Wähle eine Handlung aus, die Dir und anderen nicht schadet und die Du
später nicht bereuen wirst!
S36 Gefühlswelle
392
Räume Dein Gefühlschaos auf!
Gefühle unterscheiden & verstehen lernen
Welches Gefühl nimmst Du in Deinem
Gefühlschaos gerade am stärksten wahr?
Nutze dazu das Arbeitsblatt „Gefühle
unterscheiden lernen.“
Welche Auslöser könnte es für dieses
Gefühl geben? z. B. Lob oder Kritik,
Ablehnung, Überforderung, Streit...
Versuche zu verstehen, woher das Gefühl
kommt!
Welche Gedanken und Bewertungen
gehen Dir dabei durch den Kopf?
S37 Räume Dein Gefühlschaos auf
393
Wie reagiert Dein Körper darauf?
Beschreibe die körperlichen Reaktionen,
die Du spürst (z. B. Herzrasen, Kloß im Hals,
heißer Kopf, Kribbeln in den Händen, Druck
im Stirnbereich...).
Was wäre Deine spontane Reaktion?
z. B. das Gefühl ignorieren, ablenken,
schreien, weinen, davonlaufen...
Ist Deine Reaktion angemessen oder eher
übertrieben?
Würden die meisten Jugendlichen in dieser
Situation ähnlich reagieren?
Wie könntest Du die Situation anders
bewerten?
Wenn Du die Situation anders bewertest,
fühlst Du Dich dann besser?
Was könnte eine angemessene Reaktion
sein?
S37 Räume Dein Gefühlschaos auf
394
Mein Wut-Protokoll
Beschreibe kurz die Wut auslösende
Situation.
z. B. Streit mit dem Lehrer über nicht gemachte
Hausaufgaben.
Was ist Dein erster Gedanke?
Was denkst Du über den Anderen?
z. B. „Der will mich schon wieder provozieren.“
Welche Gefühle hast Du dabei?
z. B. Wut, Enttäuschung, Empörung, Ärger,
Angst, Traurigkeit...
Wie stark ist Deine Wut auf dem WutThermometer von 0 – 100?
Spürst Du körperliche Warnzeichen, die Dir
signalisieren, dass Du wütend wirst?
z. B. starkes Herzklopfen, Anspannung der
Muskeln, heißer Kopf, Zittern, schnelle
Atmung...
Wie reagierst Du spontan?
z. B. provozierend, beleidigend, drohend....
Wie geht die Situation aus?
z. B. Du verlässt den Raum…
S38 Wutprotokoll
395
Das Wut-Thermometer
Auf diesem Thermometer kannst Du Deine Wut von
0 = gar keine Wut bis 100 = sehr wütend einschätzen.
Du kannst das Wut-Thermometer auch dazu nutzen, Dir entsprechend der Wutstärke
von 0 bis 100 zunehmend schwierigere Situation auszusuchen, in denen Du übst,
Deine Wut besser zu kontrollieren.
S39 Wut-Thermometer
396
Wut: Der Realitäts-Check
Ausgangssituation:
…………………………………………………………………………………………………………………………………………………………………
…………………………………………………………………………………………………………………………………………………………………
…………………………………………………………………………………………………………………………………………………………………
…………………………………………………………………………………………………………………………………………………………………
o
o
o
o
Ist meine Einschätzung der Situation
wirklich realistisch oder vielleicht doch
übertrieben?
sehr realistisch
halbwegs realistisch
leicht übertrieben
sehr übertrieben
o 100 % fair
o 50 % fair
o 25 % fair
o
0 % fair
Sind meine Gedanken in Bezug auf den
Anderen realistisch und fair?
Wie kann man die Situation möglichst fair
und gefühlsneutral interpretieren?
Überlege Dir einen Anti-Wut-Gedanken,
wie z. B. „Ich versuche trotz meiner Wut
ruhig und fair zu bleiben!“
Wie könntest Du Dich verhalten – ohne
gleich wütend und aggressiv zu werden?
Wie würde die Situation dann ausgehen?
Wie stark wäre dann Deine Wut?
(von 0 bis 100)
S40 Wut: Der Realitäts-Check
397
o 100 % realistisch
o 50 % realistisch
o 25 % realistisch
o 0 % realistisch
Stress-Tagebuch
Woche vom _____________ bis ______________
Montag
Wie viel Stress hast Du heute empfunden?
0----10----20----30----40----50----60----70----80----90----100
Gab es in der Schule oder zu Hause Probleme?
Wie war der Tag insgesamt?
O gut
O ja
O ganz ok
O nein
O schlecht
Wie ist es Dir gelungen, den Stress zu reduzieren?
______________________________________________________________________
______________________________________________________________________
Dienstag
Wie viel Stress hast Du heute empfunden?
0----10----20----30----40----50----60----70----80----90----100
Gab es in der Schule oder zu Hause Probleme?
Wie war der Tag insgesamt?
O gut
O ja
O ganz ok
O nein
O schlecht
Wie ist es Dir gelungen, den Stress zu reduzieren?
______________________________________________________________________
______________________________________________________________________
Mittwoch
Wie viel Stress hast Du heute empfunden?
0----10----20----30----40----50----60----70----80----90----100
Gab es in der Schule oder zu Hause Probleme?
Wie war der Tag insgesamt?
O gut
O ja
O ganz ok
O nein
O schlecht
Wie ist es Dir gelungen, den Stress zu reduzieren?
______________________________________________________________________
S41 Stress-Tagebuch
398
Donnerstag
Wie viel Stress hast Du heute empfunden?
0----10----20----30----40----50----60----70----80----90----100
Gab es in der Schule oder zu Hause Probleme?
Wie war der Tag insgesamt?
O gut
O ja
O ganz ok
O nein
O schlecht
Wie ist es Dir gelungen, den Stress zu reduzieren?
______________________________________________________________________
______________________________________________________________________
Freitag
Wie viel Stress hast Du heute empfunden?
0----10----20----30----40----50----60----70----80----90----100
Gab es in der Schule oder zu Hause Probleme?
Wie war der Tag insgesamt?
O gut
O ja
O ganz ok
O nein
O schlecht
Wie ist es Dir gelungen, den Stress zu reduzieren?
______________________________________________________________________
______________________________________________________________________
Zeit für mich am Wochenende:
Was hast Du – als Ausgleich zur anstrengenden Woche – angenehmes am
Wochenende gemacht?
O Freunde getroffen
O Sport
O Entspannt
O Etwas Schönes unternommen
O Sonstiges:
______________________________________________________________________
S41 Stress-Tagebuch
399
Infoblatt für Eltern
Verbesserung der Problemlösefähigkeiten
Weshalb führen wir diesen Baustein durch?




Die Fähigkeit, Probleme erfolgreich zu lösen, entsprechend der Situation
unterschiedliche Lösungsstrategien anzuwenden und die Zuversicht, auftretende
Schwierigkeiten auch meistern zu können, sind zentrale Einflussfaktoren, die das
Selbstbild prägen. Je erfolgreicher eine Person Probleme und Schwierigkeiten
meistert, desto größer ist in der Regel ihr Selbstbewusstsein.
Erste spielerische Ansätze des Problemlösens werden bereits im Kindesalter
etabliert, wie z. B. wenn zwei Kinder mit dem gleichen Spielzeug spielen wollen
und geklärt werden muss, wer zuerst mit dem Spielzeug spielen darf.
Verschiedene Lösungsmöglichkeiten für ein Problem zu entwickeln und
Kompromisse eingehen zu lernen, ist ein wesentlicher Lernprozess im Jugendalter,
der im weiteren Entwicklungsverlauf stetig erweitert und optimiert wird.
Jugendliche haben oft Schwierigkeiten, Probleme angemessen zu lösen. Ihnen
fehlt auch oft die Überzeugung, Probleme aktiv lösen zu können und die
Zuversicht, über die dafür notwendigen Kompetenzen zu verfügen.
Was machen wir mit dem Jugendlichen?

In diesem Therapiebaustein lernt Ihr Kind zunächst verschiedene, individualisierte
Lösungsmöglichkeiten für persönliche Probleme zu entwickeln. Im nächsten
Schritt wird Ihr Kind angeleitet, die verschiedenen Lösungsmöglichkeiten
hinsichtlich ihrer Erfolgsaussichten und der Umsetzbarkeit einzuschätzen. Der
letzte Schritt des Problemlösetrainings besteht in der Auswahl eines
angemessenen Lösungsansatzes und der konkreten Planung der Umsetzung.
Wie können Sie als Eltern Ihr Kind unterstützen?




Versuchen Sie eigene Probleme zeitnah zu lösen. Wenn Sie den Eindruck haben,
den Überblick verloren zu haben, erstellen Sie eine Liste sämtlicher Aufgaben, die
zu erledigen sind. Ordnen Sie diese nach ihrer Dringlichkeit und haken Sie
erledigte Aufgaben ab. Für einen besseren Überblick ist es hilfreich, eine Wochen/Monatsübersicht über die zu erledigenden Aufgaben zu erstellen.
Geben Sie lösungsorientierte Tipps, wenn Ihr Kind über Probleme berichtet.
Vermitteln Sie Ihrem Kind, dass man zur Problemlösung aktiv etwas beitragen
kann und dass man Problemen nicht „hilflos ausgeliefert“ ist.
Unterstützen Sie Ihr Kind beim JOB der Woche, indem Sie gemeinsam für ein
Problem nach Lösungsmöglichkeiten suchen und anschließend gemeinsam die
Bewertung der Lösungsvorschläge sowie die Auswahl einer geeigneten Lösung
vornehmen.
S42 Infoblatt Eltern Problemlösefähigkeiten
400
Probleme erfolgreich zu lösen ist trainierbar!
1. Beschreibe kurz Dein aktuelles Problem:
___________________________________________________________________________
___________________________________________________________________________
___________________________________________________________________________
___________________________________________________________________________
2. Welche Lösungsmöglichkeiten fallen Dir spontan ein? Alle Lösungen aufschreiben,
egal ob realistisch oder unrealistisch! Keine Bewertungen vornehmen!
1._________________________________________________________________________
2._________________________________________________________________________
3._________________________________________________________________________
4.__________________________________________________________________________
5._________________________________________________________________________
3. Bewerte nun, wie realistisch die einzelnen Lösungen Deiner Meinung nach sind.





o
o
o
o
o
realistisch
realistisch
realistisch
realistisch
realistisch
o
o
o
o
o
eher
eher
eher
eher
eher
unrealistisch
unrealistisch
unrealistisch
unrealistisch
unrealistisch
o
o
o
o
o
völlig
völlig
völlig
völlig
völlig
unrealistisch
unrealistisch
unrealistisch
unrealistisch
unrealistisch
4. Welche Vor- und Nachteile haben die drei realistischsten Lösungen?
Vorteile der 1. Lösung:
________________________________________________________________
________________________________________________________________
________________________________________________________________
Nachteile der 1. Lösung:
________________________________________________________________
________________________________________________________________
________________________________________________________________
S43 Problemlöse-Training
401
Vorteile der 2. Lösung:
________________________________________________________________
________________________________________________________________
________________________________________________________________
Nachteile der 2. Lösung:
________________________________________________________________
________________________________________________________________
________________________________________________________________
Vorteile der 3. Lösung:
________________________________________________________________
________________________________________________________________
________________________________________________________________
Nachteile der 3. Lösung:
________________________________________________________________
________________________________________________________________
________________________________________________________________
5. Entscheide Dich nun für eine Lösung, die realistisch und gut umsetzbar ist und
möglichst viele Vorteile hat. Für welche Lösung hast Du Dich entschieden?
6. Plane jetzt die Umsetzung der Lösung. Wie willst Du vorgehen? Wann willst Du die
Lösung umsetzen? Brauchst Du Unterstützung bei der Umsetzung?
Mein Lösungsplan:
________________________________________________________________
________________________________________________________________
________________________________________________________________
Wann werde ich den Plan umsetzen? z.B.: Nächstes Wochenende werde ich meine
Eltern fragen, ob sie mein Taschengeld erhöhen können.
________________________________________________________________
________________________________________________________________
________________________________________________________________
S43 Problemlöse-Training
402
Wer kann mich bei der Umsetzung der Lösung unterstützen?
________________________________________________________________
________________________________________________________________
________________________________________________________________
________________________________________________________________
Welche Schwierigkeiten könnten sich ergeben?
________________________________________________________________
________________________________________________________________
________________________________________________________________
S43 Problemlöse-Training
403
Übungsbeispiele für das Problemlösetraining

Diskutiere mit Deinen Eltern, ob Du an Schultagen abends eine Stunde länger
wach bleiben darfst.

Diskutiere mit Deiner Familie die Möglichkeit, in der Sommerferien mit einigen
Mitschülern in ein Jugendcamp zu fahren, anstatt mit der gesamten Familie in
Urlaub zu fahren.

Versuche mit guten Argumenten eine Taschengelderhöhung durchzusetzen.

Du möchtest Dir ein neues T-Shirt kaufen, obwohl Dein Schrank schon voller
Klamotten ist.

Du willst am Wochenende auf die Party eines Freundes gehen, den Deine
Eltern nicht mögen.

Du möchtest gerne ein neues (teures) Hobby ausprobieren. Deine Eltern sind
dagegen, weil Du bislang die Lust für jedes Hobby nach wenigen Wochen
verloren hast und Deine Eltern die Kosten zu zahlen hatten.
S44 Übungsbeispiele Problemlöse-Training
404
Selbstsicheres Auftreten
Was ist das?
Die Fähigkeit sich in verschiedenen Situationen selbstsicher zu verhalten bedeutet:
… andere um einen Gefallen bitten können
… dass man weiß, wie man Kontakte zu anderen Jugendlichen/Erwachsenen knüpft
… Gefühle zeigen zu können – ohne sich dafür zu schämen
… dass man sich anderen Personen gegenüber respektvoll verhalten kann
… nein sagen zu können oder zu widersprechen, wenn man anderer Meinung ist
… dass man auch in schwierigen Situationen selbstsicher auftritt
… Kritik nicht persönlich nehmen
… dass man den anderen ausreden lässt, auch wenn es schwer fällt
… sich entschuldigen können, wenn man etwas falsch gemacht hat
… dass man seine Stärken gezielt einsetzen kann
… seine Schwächen und persönlichen Grenzen zu kennen
… Fehler eingestehen zu können
… dass man bei Provokationen einen „kühlen Kopf“ behält und nicht gleich zum
Gegenangriff übergeht
… sich durchsetzen zu können, ohne dabei aggressiv zu werden
… dass man bei Diskussionen respektvoll miteinander umgeht und den
Gesprächspartner nicht beleidigt oder angreift
… sich für seine Rechte einsetzen zu können
… sagen zu können, wenn man sich ungerecht behandelt fühlt
S45 Infoblatt Jugendlicher Selbstsicheres Auftreten und Unsicherheit
405
Unsicherheit sieht man einem an
Beispiele für unsicheres Verhalten

Man hat Schwierigkeiten ein Gespräch anzufangen oder ein Gespräch „in Gang
zu halten“

Man schämt sich, wenn man von einer fremden Person angesprochen wird und
weiß nicht, wie man reagieren soll

Man lernt auf einer Party jemanden kennen und weiß nicht, wie man sich
verhalten soll

Man findet jemanden attraktiv und weiß nicht, wie man ihn/sie ansprechen soll
ohne sich dabei zu blamieren

Man fühlt sich ungerecht behandelt und ist sich nicht sicher, was man dann
macht

Man wird kritisiert und weiß nicht, wie man darauf reagieren soll

Man möchte etwas einfordern, weiß aber nicht, wie man sein „Recht“
durchsetzt

Man wird von einem Jugendlichen provoziert und hat keine Ahnung, wie man
sich wehrt
S45 Infoblatt Jugendlicher Selbstsicheres Auftreten und Unsicherheit
406
Infoblatt für Eltern
Förderung sozialer Kompetenzen
Weshalb führen wir diesen Baustein durch?



Die Fähigkeit selbstsicher aufzutreten, Wünsche bzw. Forderungen
durchzusetzen, neue Kontakte zu knüpfen oder der angemessene Umgang mit
Kritik sind wichtige Fähigkeiten, die unter dem Oberbegriff „soziale
Kompetenzen“ zusammengefasst werden.
Den meisten Jugendlichen mit Selbstwertproblemen fällt es schwer, mit anderen
Jugendlichen in Kontakt zu treten, neue Freundschaften zu knüpfen, in einer
neuartigen Situation selbstsicher aufzutreten und diese souverän zu meistern.
Kritik wird oft persönlich genommen, als ungerecht empfunden und führt nicht
selten zu einer Selbstwertschwächung.
Auseinandersetzungen mit Eltern oder Gleichaltrigen eskalieren aufgrund der
mangelnden Konfliktlösekompetenzen schnell und enden oft in einem großen
Streit. Um dies zu verhindern, erlernen die Jugendlichen in diesem Baustein u.
a. Konflikte altersgerecht und aggressionsfrei zu lösen.
Was machen wir mit dem Jugendlichen?


Wir erarbeiten mit dem Jugendlichen grundlegende Regeln der
Gesprächsführung sowie der allgemeinen Kontaktaufnahme und verdeutlichen
anhand von Beispielen wichtige Aspekte selbstsicheren Verhaltens. In
verschiedenen Rollenspielen üben wir konkret Gespräche mit anderen zu
beginnen und fortzuführen und testen spielerisch unterschiedliche
Möglichkeiten der Kontaktaufnahme zu Gleichaltrigen aus.
Da viele Jugendliche Schwierigkeiten haben, sich im Gleichaltrigenverbund
durchzusetzen, liegt ein weiterer Schwerpunkt darin, Strategien des
angemessenen Durchsetzens einzuüben und die allgemeine Kritikfähigkeit zu
stärken.
Wie können Sie als Eltern Ihr Kind unterstützen?




Motivieren Sie Ihr Kind, die eigene Meinung zu sagen und sich für seine Rechte
einzusetzen.
Klären Sie Konflikte mit Ihrem Kind möglichst sachlich und lösungsorientiert.
Vermeiden Sie bei Auseinandersetzungen Moralisierungen und abwertende
Aussagen.
Wenn etwas nicht gut läuft, üben Sie konstruktive Kritik, d. h. sach- nicht
personenbezogen und möglichst konkret auf das Problem bezogen.
Erinnern Sie Ihr Kind bei Bedarf daran, die Regeln selbstsicheren Auftretens
sowie die Gesprächsregeln im Alltag anzuwenden. Achten Sie darauf, die
Regeln, wie z. B. den anderen ausreden lassen, ebenfalls einzuhalten.
S46 Infoblatt Eltern Förderung sozialer Kompetenzen
407
Cooles Auftreten – so klappt es!
TOP
FLOP
Freundlich auf Andere zugehen
Jemanden blöd anmachen
Wegschauen, wenn man mit Jemandem
redet (z. B. auf die eigenen Füße
schauen oder in die Luft gucken)
Den anderen „anstarren“
Den Anderen anschauen
Lässig stehen
Rumzappeln
Ein natürliches Lächeln
Grimassen ziehen
Laut lachen
Laut und deutlich sprechen
Den Anderen aussprechen lassen
Leise sprechen
Nuscheln
viele Füllwörter, wie äh, ah, mh beim
Sprechen verwenden
Jemanden im Gespräch immer wieder
unterbrechen
Den Mut haben, auch mal eine andere
Meinung zu haben und das auch zu
sagen
In Gesprächen auch mal Fragen stellen.
Wenn man etwas nicht verstanden hat
ruhig nachfragen.
Nicken, wenn man der gleichen
Meinung ist.
Keine eigene Meinung haben
„Ja-Sager“ oder „Nachäffer“
Gerade Körperhaltung einnehmen (z. B.
Rücken strecken, Arme locker am
Körper herunter hängen lassen,
Schultern entspannen, Kopf gerade
halten).
Ein buckeliger Rücken
Hände in den Hosentaschen
Hochgezogene Schultern
Hochnäsig den Kopf hochziehen oder
den Kopf hängen lassen
Stumm wie ein Fisch zuhören
Mitten im Gespräch mit einem anderen
Gesprächsthema anfangen
Den Anderen ohne Punkt und Komma
vollquatschen
S47 Cooles Auftreten – so klappt es
408
Wie lerne ich jemanden kennen ohne mich dabei zu blamieren?
Ausgangssituation:
Du möchtest einen Jugendlichen kennen lernen, den Du aus der Schule kennst, mit
dem Du aber bislang noch keinen Kontakt hattest.
Motiviere Dich, indem Du einen „Motivations-Gedanken“ formulierst!
Motiviere Dich, indem Du Dir z. B. sagst: „Ich finde Sandra cool, es wird Zeit, dass ich sie endlich
mal anspreche.“
Neutralisiere negative Gedanken!
Versuche alle Gedanken, die Dich verunsichern oder entmutigen, zu neutralisieren!
z. B. denke lieber „Sandra lernt gerne neue Leute kennen“ anstatt „Sandra findet mich bestimmt
total langweilig“
Versuche Dir ein genaues Bild von der Person zu machen
•
•
•
•
Beobachte die Person, um Dir ein Bild von ihr zu machen.
Hat er/sie einen besonderen Kleidungsstil oder ein besonderes Styling?
Mit wem ist er/sie, z. B. in der Schule, häufig zusammen? Kennst Du jemanden aus der
Clique?
Was weißt Du schon über ihn/sie, z. B. durch Mitschüler?
Überlege Dir, wie Du das Gespräch anfangen könntest





Nutze die gesammelten Informationen, um Dir Gesprächsthemen zu überlegen.
Du könntest etwas von Dir erzählen, z. B. in welche Klasse Du gehst, und nach
gemeinsamen Bekannten fragen.
Sag was Nettes zum Styling der Person, frage nach dem Musikgeschmack oder nach den
Hobbies.
Erzähle auch etwas von Dir.
Vertiefe Themen, wenn es passend ist.
S48 Kontakte knüpfen zu Gleichaltrigen
409
Selbstsicheres Verhalten in schwierigen Situationen
Versuche Dir zunächst einen Überblick über die
Situation zu verschaffen.
Was ist passiert?
Was macht oder sagt die Person?
Was könnte die Person von mir wollen?
Welches Gefühl habe ich dabei?
Mein erster Handlungsimpuls
Stopp!
Dem Handlungsimpuls nicht sofort folgen.
Überlege:
Wie könnte man die Situation auch noch
interpretieren?
Welches Gefühl habe ich, wenn ich die Situation
aus einer anderen Perspektive betrachte?
Was ist mein Plan?
Wie werde ich reagieren?
Überprüfe im Nachhinein, ob Deine Strategie
erfolgreich war!
Was könnte ich in einer ähnlichen Situation
besser machen?
S49 Selbstsicheres Verhalten in schwierigen Situationen
410
Beispiele:
Was ist passiert?
Was macht oder sagt die Person?
z. B. Ich werde gerade kritisiert oder ich werde
gerade provoziert.
Was könnte die Person von mir wollen?
z. B. Der will mich bestimmt blöd anmachen.
Welches Gefühl habe ich dabei?
z. B. Ich bin wütend.
Mein erster Handlungsimpuls
z. B. Dem werde ich es schon zeigen!
Stopp!
Dem Handlungsimpuls nicht sofort folgen.
z. B. „Der ist wahrscheinlich nur schlecht
gelaunt und lässt seine schlechte Laune an mir
aus.“
Überlege:
Wie könnte man die Situation auch noch
interpretieren?
Welches Gefühl habe ich, wenn ich die Situation z. B. Ich bin zwar immer noch wütend, aber
aus einer anderen Perspektive betrachte?
nicht mehr so sehr
Was ist mein Plan?





Wie werde ich reagieren?


Ruhig bleiben, tief durchatmen
kein „Gegenangriff“
keine Beleidigungen
mit klarer und deutlicher Stimme reden
Blickkontakt halten, aber nicht
anstarren
lockere Körperhaltung, damit der
andere die Situation nicht als „Angriff“
missversteht
seinen Standpunkt vertreten, ohne den
anderen dabei zu provozieren
Überprüfe im Nachhinein, ob Deine Strategie
erfolgreich war!
z. B. Ich habe ganz gut meine Meinung
vertreten können ohne dabei laut oder
aggressiv zu werden.
Was könnte ich in einer ähnlichen Situation
besser machen?
z. B. Ich will versuchen eine entspannte
Körperhaltung einzunehmen
S49 Selbstsicheres Verhalten in schwierigen Situationen
411
Wie hast Du es geschafft selbstsicher aufzutreten?
Datum
Situation
S50 Protokoll selbstsicheres Verhalten
412
Wie hast Du die Situation
gemeistert?
Wie reagierst Du normalerweise, wenn Dich jemand kritisiert?
Wirst Du laut oder aggressiv? Drohst Du dem anderen?
___________________________________________________________________
___________________________________________________________________
___________________________________________________________________
___________________________________________________________________
Schämst Du Dich, wenn Du kritisiert wirst?
o ja
o nein
Nimmst Du Kritik schnell persönlich?
o ja
o nein
Gibt es bestimmte Punkte, die häufig an Dir kritisiert werden? Wenn ja, welche sind
das?
___________________________________________________________________
___________________________________________________________________
___________________________________________________________________
Was könnte eine gute Strategie sein, um auf Kritik angemessen zu reagieren - ohne
gleich laut zu werden oder zum Gegenangriff überzugehen?
___________________________________________________________________
___________________________________________________________________
___________________________________________________________________
___________________________________________________________________
S51 Umgang mit Kritik
413
Keep cool, wenn Dich jemand kritisiert
&
Bleib fair, wenn Du jemanden kritisierst

Kritik sollte konkret sein. Nicht die Person als Ganzes kritisieren, sondern ein
bestimmtes (konkretes) Verhalten.

Keine Beleidigungen! Bleib' sachlich und fair.

Keine Bewertungen, wie „Das ist ja wieder typisch für Dich.“

Keine Anschuldigungen, wie „Immer kommst Du zu spät.“

Stelle Deinen Standpunkt klar. Es ist Dein gutes Recht, Deine Meinung
auszudrücken. Respektiere, dass auch jeder Andere das Recht hat, seine
Meinung zu äußern.

Nimm Kritik nicht persönlich. Wenn Du Dir nicht sicher bist, was genau
kritisiert wird, habe den Mut nachzufragen (z. B. „Wie meinst Du das?“ oder
„Habe ich richtig verstanden, dass ...“).

Bleib ruhig, wenn Kritik an Dir geübt wird. Lass Dir nicht anmerken, wenn Du
unsicher wirst oder Dich unwohl fühlst. Was genau wird kritisiert?

Wenn die Kritik gerechtfertigt ist und Du die Kritik akzeptieren kannst, mach'
einen Änderungsvorschlag.

Rechtfertige Dich nicht voreilig, sondern suche lieber nach einer guten
Lösung.

Wenn Du Dich durch die Kritik überrumpelt fühlst, kläre das Problem später.
Das ist besser, als Floskeln, wie „Ja, ich werde mich ändern“ zu benutzen.
S51 Umgang mit Kritik
414
Fair Play
Wie kann ich meine Wünsche durchsetzen ohne Streit?

Schau‘ den anderen an, wenn Du um etwas bittest

Sei freundlich, damit es nicht wie ein Angriff oder Streit aussieht
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Schrei‘ nicht
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Bleib‘ höflich, auch wenn Du Deinen Wunsch nicht sofort umsetzen kannst
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Keine Beleidigungen
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Keine Anschuldigungen, wie „Du verbietest mir immer...“ oder „Nie darf ich ...“
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„Ich will“ Äußerungen unbedingt vermeiden (z. B. „Ich will aber länger zur
Party.“)
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Keine „Erpressung“, um ein Ziel zu erreichen (z. B. „Wenn Du mir … nicht gibst,
dann mache ich …. auch nicht)
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Sage zuerst was Du möchtest und erkläre dann warum! Es ist sinnvoll, sich
vorher Argumente zu überlegen, da man während des Gespräches oft nicht mehr
die Gelegenheit hat, sich gute Argumente zu überlegen
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Nicht aggressiv oder unfair werden, wenn Du merkst, dass Du Dich nicht sofort
durchsetzen kannst
S52 Wünsche angemessen durchsetzen
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12 Lebenslauf
Mein Lebenslauf wird aus Gründen des Datenschutzes in der elektronischen Fassung
meiner Arbeit nicht veröffentlicht.
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