Behandlungsmöglichkeiten beim Nebenschilddrüsencarcinom Christine Geffcken Klinik für Allgemein- und Visceralchirurgie Schwerpunkt für endokrine und onkologische Chirurgie Diakoniekrankenhaus Henriettenstiftung gGmbH Hannover Inzidenz und Epidemiologie 1933: Erste Dokumentation eines hormonaktiven Parathyreoidacarcinomes in der Literatur durch Sainton und Millot Insgesamt nur ca. 1000 Patienten genauer beschrieben (Talat u. Schulte 2010) Nur wenige Zentren mit ausgedehnter diagnostischer und therapeutischer Erfahrung (Witteveen et al. 2010) Hormonaktive Nebenschilddrüsencarcinome unter 1% unter Patienten mit Hyperparathyreoidismus (Ruda et al. 2005) Inzidenz und Epidemiologie Hormoninaktive Nebenschilddrüsencarcinome besonders selten (Koea und Shaw 1999, Wilkins und Lewis 2009) Frauen und Männer gleich häufig betroffen Häufigkeitsgipfel 5.-6. Lebensjahrzehnt, vereinzelte Fälle auch bei Kindern/ Jugendlichen Lokalisation orthotop aber auch ektop (z. Bsp. Thymus) möglich (Sawady et al. 1989) Ätiologie und Pathogenese Ätiologie unbekannt (Bestrahlung des Halses wird diskutiert, keine Beweise) Auch reaktiv im Rahmen des sekundären Hyperparathyreoidismus möglich (17 Fälle beschrieben) (Khan et al. 2004) Auf molekularer Ebene: Onkogene „Cyclin D1“, „PRAD1“, „Retinoblastom-Gen“ oder „p53“-Tumorsupressorgen möglicherweise mitverantwortlich CDC73-Gen-Mutationen oft ursächlich für Nebenschilddrüsencarcinome: z. Bsp. i. R. v. • „Hyperparathyreoidismus-Kiefertumor-Syndrom“ („hyperparathyreoidism jaw tumor syndrome“, HPT-JT) autosomal-dominant vererbtes Syndrom mit klinisch führendem pHPT, davon 10-15% oft zystisch degenerierte Nebenschilddrüsencarcinome • Familiärer isolierter pHPT („familiar isolated Hyperparathyreoidism“, FIHPT) • Somatische Mutationen Diagnostik und Klinik Keine eindeutigen klinische oder laborchemische Kriterien Eher Verdachtsmomente, aber präoperativ nicht beweisend (Okamoto et al. 2009)! • Hoher Serumcalziumwert (>3,5 mmol/l) und • PTH-Spiegel (über 5facher Normwert bei normaler Nierenfunktion) (Shane 2001) • Palpabler Halstumor (DD Schilddrüsentumor) • Rekurrensparese • Ausgeprägte klinische Manifestationen (Kombination aus Knochen- und Nierenmanifestationen, ausgeprägtes Hypercalziämiesyndrom) Diagnostik und Klinik Hormoninaktive Carcinome werden erst als derber, klinisch maligner Tumor auffällig (Fang et al. 2011) Ultraschall (Größe, Echogenität, unscharfe Begrenzung) MIBI-Szintigraphie (Lymphknotenstatus, Fernmetastasen, Rezidivdiagnostik) Feinnadelaspirationsbiopsie KEIN diagnostischer Stellenwert Klassifikation und Pathologie Adenom Karzinom Gewicht 0,3-1 g >1,5 g (bis 30 g) Kapsel dünn, komplett dick, fibrös Supprimiertes Gewebe Ca. 50% selten Schnittfläche Homogen, rötlich-braun Grau-weißlich, irregulär lobuliert, fibröse Septen Intrazytoplasmatisches Fett Vermindert Meist fehlend Stromale Fettzellen Meist fehlend fehlend Histologie Homogener Tumor, keine Septen Septierter Tumor, Nekrosen, Verkalkungen Mitosen Selten >1/10 HPF >1/10 HPF Kapselinvasion fehlend in 2/3 d. F- Gefäßinvasion fehlend beweisend Somatische CDC73 (HRPT2) Mutation 0-4% 15-100% Lokalrezidiv i. d. R. nicht 2/3 d. F. in 3 J. Fernmetastasen keine In 1/3 d. F. Klassifikation und Pathologie Keine offiziell gültige TNM-Klassifikation Vorschläge zur Klassifikation von Shaha und Shah 1999 und Modifikation nach Talat und Schulte 2010 • Low risk (21%): Kapselinvasion, Weichteilinfiltration vs • High risk (79%): Gefäßinvasion, Nachbarorganinfiltration, Lymphknoten- und/ oder Fernmetastasen (Lunge, Knochen, Leber) Makroskopisch typisch derber, grauweißer, unscharf begrenzter Tumor mit dicker, fibröser Kapsel Mitoserate >1/10 HPF malignitätsverdächtig Beweisend für Malignität: Weichteilinvasion makroskopisch oder histologisch (Kapsel- oder Gefäßinvasion) Behandlungsmöglichkeiten Chirurgische Therapie Ziel: R0-Resektion Entfernung des Primärtumors, infiltrierter Gewebeanteile und befallener Lymphknoten Schnellschnittuntersuchung (cave: keine Biopsie) kein sicherer Malignitätsnachweis daher Entscheidung über Resektionsausmaß individuell durch Operateur Ersteingriff (bei geringstem Verdacht): Transcervicale, radikale en-bloc Resektion mit umgebendem Gewebe = Ipsilaterale Hemithyreoidektomie mit zentraler Halsdissektion als Minimaleingriff (Hundahl et al. 1999, Iacobone et al. 2004, Kirkby-Bott et al. 2005, Schulte et al. 2010) Behandlungsmöglichkeiten Chirurgische Therapie Bei eindeutiger, direkter Infiltration des N. laryngeus recurrens: ggf. Resektion (da Tumorkapseleröffnung signifikant die Lokalrezidivrate erhöht) Laterale Halsdissektion nur bei nachgewiesenem Tumorbefall (Fujimoto et al.1984, Schulte et al 2010) Auch bei ektoper Lage (vorderes Mediastinum o. ä.): radikale en-bloc Resektion, ggf. unter Mitnahme von Thymus (ggf. Sternotomie) Ggf. Multivisceralresektion (Ösophagus/ Trachea) falls mitbetroffen (bei Primäreingriff selten) Behandlungsmöglichkeiten Chirurgische Therapie Bei erst postoperativem Carcinomnachweis: • Komplettierungsoperation möglichst innerhalb der ersten 7 postoperativen Tage Bei laborchemisch persistierendem pHPT bzw. bei Nachweis einer ausgedehnten Gefäßinvasion • Komplettierungsoperationen nach dem 10 postoperativen Tag bedeuten deutlich erhöhte Morbidität • Laborchemisch „geheilte“ Patienten sollten kurzfristig überwacht werden Behandlungsmöglichkeiten Chirurgische Therapie Rezidiveingriff: • Ziel: lokale Radikalität und Reduktion der „endokrin wirksamen“ Tumormasse • Ggf. „Multivisceralresektionen“ • Auch bei vorliegender Fernmetastasierung können durch lokal radikale Resektionen langanhaltende, palliative Effekte erreicht werden Fernmetastasen: • Fernmetastasenresektion zur Prognoseverbesserung - Individuelle Überlegung (Koea u. Shaw 1999, Obara et al. 1993, Sandelin et al. 1994) • Optionen: Lungenmetastasen – VATS Lebermetastasen – Resektion, RFA, TACE Behandlungsmöglichkeiten Chirurgische Therapie Intraoperatives PTH-Monitoring • Grundsätzlich sinnvoll (sowohl bei Primär- als auch Rezidiveingriff) • Dokumentation der (vollständigen) „endokrin aktiven“ Tumorresektion • Vor lokaler Erweiterung des Primäreingriffs sollte eine Mehrdrüsenerkrankung durch Darstellung der restlichen Epithelkörperchen ausgeschlossen werden • Voraussage der Dauerheilung des PTH-Abfalls im Vergleich zum pHPT gutartiger Morphologie unsicher (Solorzano et al. 2007) Behandlungsmöglichkeiten Adjuvante Therapie Radiotherapie • Nutzen nicht bewiesen, daher keine generelle Empfehlung • Ggf. perkutane Radiotherapie bei fraglicher oder nicht zu erreichender lokaler R0Resektion zur Lokalrezidivrisikominimierung (Munson et al 2003, Busaidy et al. 2004, Fang u. Lal 2011) • Externe Radiatio zur Schmerztherapie inoperabler Knochenmetastasen Immunotherapie • Vereinzelte Erfolge durch Induktion der zellulären Tumorabwehr durch tumorpulsierte dendritische Zellen bzw. Anti-PTH-Immunotherapie (Schott et al. 2000, Betea et al. 2004, Fang u. Lal 2011) Chemotherapie • Wenn überhaupt nur kurzfristiger Erfolg, derzeit keine Empfehlung Witteveen et al. 2010) (Fang u. Lal 2011, Behandlungsmöglichkeiten Adjuvante Therapie Medikamentöse Therapie • Angriffspunkt metabolische Komplikationen – Hypercalciämiesymptomatik • Verschiedene Substanzklassen im Einsatz: Kalzitonin, Bisphosphonate, Mithramycin (Witteveen et al. 2010) • Von zunehmender Bedeutung Calciumsenker „Kalzimimetika“: Cinacalcet • Durch signifikante Senkung des Serumkalziumspiegel auch bei nicht resektablen Tumoren positive Beeinflussung des klinischen Verlaufes mgl. (Silverberg et al. 2007) Nachsorge Bei hormonaktiven Tumoren: Tumormarker Calcium und Parathormon Bei hormoninaktiven Tumoren: kein Tumormarker Keine einheitlichen Empfehlungen, je nach individuellem Risiko: • „High-risk“-Patienten: alle 3 Monate Laborkontrolle, alle 6 Monate Sono-Kontrolle • „Low-risk“-Patienten: alle 6 Monate Labor- und Sonokontrolle • Nach 1 Jahr rezidivfreiem Überleben: Verlängerung der Intervalle auf 6 bzw. 12 Monate • Bei sog. „atypischen Nebenschilddrüsenadenomen“: alle 12 Monate laborchemische Verlaufskontrolle empfohlen (aufgrund oft nicht ganz eindeutiger Histologie) Okamoto et al. 2009 Prognose Unabhängig von Ausdehnung des Ersteingriffs: Auftreten von • • • 60% Lokalrezidiv 30% Lymphknotenrezidiv 35% Versterben am Nebenschilddrüsencarcinom Koea et Shaw 1999: 5-Jahres-Überlebensrate bei ca. 50%, 10-Jahres-Überlebensrate 27% „Surveillance, Epidemiology an End Results“ (SEER)-Statistik (Lee et al. 2007): 10-Jahres-Überlebensrate 68% Negative Prognosefaktoren: • • • Alleinige Tumorexstirpation ohne weitere Maßnahmen (ohne Minimaleingriff) Vorliegen von Lymphknoten- und/ oder Fernmetastasen Vorliegen eines hormoninaktiven Tumors Talat u. Schulte 2010, Koea u. Shaw 1999, Schulte et al. 2010 Fazit Äußerst seltene Tumorentität Bei ausgeprägter Hypercalciämie und PTH-Erhöhung und ggf. deutlich vergrößertem Epithelkörperchen dran denken Bei geringstem intraoperativem Verdacht Durchführung der Minimaloperation: Radikale en-bloc Resektion mit ipsilateraler Hemithyreoidektomie und zentraler Halsdissektion Ziel bei Rezidivoperation lokale Radikalität Adjuvante Therapieoptionen aufgrund geringer Fallzahl wenig belegt Radiatio- oder Immunotherapie kann erwogen werden, Chemotherapie eher nicht Kontrolle der Hypercalciämiesymptomatik entscheidend (Cinacalcet-Therapie) 10-Jahres-Überlebensrate je nach Quelle 30-80% Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit und auf ein Wiedersehen im Oktober 2014 zum 3. Hannoveraner Herbstsymposium endokrine Chirurgie www.schilddruesenchirurgie-hannover.de