Vorlesung 2

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Alter und Kriminalität
Schwerpunkt offiziell registrierter Kriminalität:
Jugendalter
– Männer: Heranwachsende
– Frauen: Jugendliche
Alterskriminalität (> 60 Jahre)
– Schwerpunkt liegt auf einfachem Diebstahl (ähnlich der
Kinderkriminalität)
Kriminologie I WS 2006-2007
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Jugend und Kriminalität
Kinderkriminalität
Formale Definitionen
– Eintragungsfähigkeit Bundeszentralregister (ab relativer
Strafmündigkeit: Erziehungsregister, 14 Jahre)
– Eintragungsfähigkeit Polizeiliche Informationssysteme
(Baden-Württemberg beispw. PAD =
Personenauskunftsdatei): nicht gesetzlich festgelegt, 6-8
Jahre
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Inhaltliche Gesichtspunkte der Kinderkriminalität
Materielle Definition der Kinderkriminalität
Normative Bedingungen wirken sich aus auf (und
werden beeinflusst durch)
– äußeres Erscheinungsbild
– innere Vorgänge (Unrechtseinsicht et.)
– Wahrnehmung durch die Gesellschaft (und ihre
Institutionen)
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Entwicklung der Kinderkriminalität
Alle
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Einfacher Diebstahl
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180.000
160.000
140.000
120.000
100.000
80.000
60.000
40.000
20.000
0
Körperverletzung
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Jugendkriminalität
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Polizeilich registrierte deutsche Jugendliche Tatverdächtige und Verurteilte
(pro 100.000)
Tatverdächtige Jugendliche
Tatverdächtige HW
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8000
7000
6000
5000
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3000
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1000
0
Verurteilte Jugendliche
Verurteilte HW
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Junge Menschen als Täter und Opfer von Tötungsdelikten (pro 100.000)
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15
10
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0
Kindl. TV
Jugendl. Opfer
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Jugendl. TV
Heranw. Opfer
Heranw. TV
Kindl. Opfer
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Polizeilich registrierte deutsche Jugendliche Tatverdächtige und Verurteilte
(pro 100.000) Raubdelikte
300
250
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150
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Tatverdächtige Jugendliche
Tatverdächtige HW
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0
Verurteilte Jugendliche
Verurteilte HW
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Jährliche Prävalenzraten des Raubverdachts in den Geburtskohorten 1970, 1973, 1975, 1978
männlich/deutsch
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1970
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Erklärungen
Die Anzeigeneigung (kriminelle Reizbarkeit) hat
zugenommen
Prekäre (Risiko) Gruppen sind größer geworden
Informelle Kontrollen werden schwächer (Familie,
Nachbarschaft etc.)
Risiken (kriminelle Anreize) werden größer (beispw. neue
Medien)
Die Jugend hat sich verändert
Begehung von Straftaten in Gruppen hat zugenommen
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Gesellschaftliche Bedingungen und Jugendkriminalität
Neue Gelegenheiten und neue Risiken
Der Zerfall von Systemen informeller Kontrolle
Individualisierungstendenzen und
Modernisierungsverlierer
Die Zunahme prekärer (Risiko-) Gruppen
Der sozio-kulturelle Kontext der (Gross-)Stadt
 reduzierte Zugangschancen und Schattenwirtschaften
 Gettoisierung und Segregation
 Verlust von Akzeptanz und Legitimation
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Alterskriminalität
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Erklärung der Alterskriminalität
Theorie der Schwäche
– biologische Gründe
– (Ersatzhandlungen)
größere Toleranz alten Menschen gegenüber (weniger
Anzeigen)
höheres Maß an internen Kontrollen (und als Konsequenz
hieraus eine größere Konformitätsbereitschaft)
Theorie der Gelegenheiten
– Alterungsprozesse als "Ausgliederung" (Desozialisation) und
als Reduzierung der Teilnahme an (allen) sozialen Aktivitäten.
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FrauenKriminalität
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Tatverdächtige Insgesamt sowie Frauen
2.500.000
2.000.000
1.500.000
1.000.000
500.000
Insgesamt
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0
Weiblich
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Anteile weiblicher Tatverdächtiger 1987-2000
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23,5
23
22,5
22
21,5
21
20,5
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20
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Erklärung der Frauenkriminalität
Biologische und moralische Erklärungen (Theorie der Schwäche)
These der "Ritterlichkeit“
Theorie unterschiedlicher Sozialisation
Unterschiedliche Sozialkontrolle
unterschiedliche Gelegenheiten (bedingt durch unterschiedliche Integration in
das öffentliche bzw. Berufsleben)
Emanzipationsprozesse?
Unterwelt als Spiegelbild der Oberwelt (Diskriminierung und Machtgefälle)
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Gefährliche Klassen: Schicht und Kriminalität
Ausgangspunkt: offiziell registrierte Kriminalität
konzentriert sich auf untere soziale Schichten
– Schichtmodell und Klassenmodelle der Gesellschaft
19. Jahrhundert: Debatte über „Gefährliche Klassen“
– Lumpenproletariat
– Frage der Kontrolle (Einbindung) gesellschaftlicher
Gruppen
– Bindung durch Arbeit und Arbeitsmarkt
– Klassenstrafrecht und Klassenjustiz
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Amateure, Abenteurer,
Professionalität (crime as work)
und Organisierte Kriminalität
Verbrechen als Beruf
Sutherland: The Professional Thief
Schattenwelten und Schattenwirtschaften
Normen und Werte regulieren die
Schattenwirtschaften und damit verbundene
Berufsrollen (Dieb und Hehler, Zuhälter etc.)
Lerntheorien, Gelegenheitstheorien, ökonomische
Theorien
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Organisierte Kriminalität
Der Diskurs über organisierte Kriminalität und
Innere Sicherheit
Das OrgKG 1992
Geldwäsche, Gewinnabschöpfung und neue
Ermittlungsmethoden
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Definition Organisierter Kriminalität
Planmässige Begehung von Straftaten
Einzeln oder in Gesamtheit von erheblicher Bedeutung
Zwei oder mehr Beteiligte
auf längere oder unbestimmte Zeit
arbeitsteilig
gewerbliche/geschäftsähnliche Strukturen
unter Anwendung von Gewalt oder anderer zur Einschüchterung
geeigneter Mittel oder unter Einflussnahme auf Politik, Wirtschaft,
Verwaltung, Justiz
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Geschichte der Organisierten Kriminalität
17./18. Jahrhundert Räuber- und Gaunerbanden
19./20. Jahrhundert Grossstädtische Unterwelten
Berufs- Gewohnheitsverbrecher/Professionelle
Kriminalität
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Erklärung der Organisierten Kriminalität
Grossstadtmilieus
Anpassung und Rationalisierung
Entwicklung von Schwarzmärkten
Reaktion von Minderheiten („ethnische
Leiter“)
Theorie des „schwachen Staats“
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Ethnische Minoritäten und Kriminalität
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Ausländeranteile an Tatverdächtigen und Wohnbevölkerung
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Anteil Tatverdächtige
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Anteil Wohnbevölkerung
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Ausländerstatus und Tatverdacht
Asylbewerber
Ausbildung
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Arbeitnehmer
Illegal
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5
0
Touristen
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Raum und Kriminalität
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Räumliche Verteilungen
Grossstädte vs. Land
– Grossstädte (< 500.000) = ca. 18% der Einwohner, aber etwa
35% der registrierten Kriminalität
– Kleinstädte (40% der Einwohner, aber 20% der Kriminalität)
Industriestaaten vs Entwicklungsländer
Stadtteile (hot spots)
Unterschiede zwischen Grossstädten (beispw. München vs.
Hamburg)
– Hamburg: 16.168/100.000
– München: 9.263/100.000
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Erklärung der Unterschiede und Reaktionen
Chicago-Schule der Kriminologie
– Soziale Desorganisation
– Häufiger Wechsel der Personen/Haushalte
– Zusammenbruch informeller Sozialkontrolle
Zero-Tolerance Policing
– „Wehret den Anfängen“
– broken windows Prozess
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Was wird durch Polizeiliche Kriminalstatistiken gemessen?
Anzeigebereitschaft (Opfer ist „gate keeper“)
– Determinanten
» Deliktsschwere, ethnische Zugehörigkeit, Illegalität (beisp.
Illegale Immigranten, Drogenmärkte)
» Direkt beeinflussbar durch gesetzliche, vertragliche
Verpflichtungen (Geldwäsche, Versicherungen)
Kontrollintensität im Falle opferloser Delikte
– „proaktive“ Polizei (V-Leute, under cover policing, TÜ etc.)
– abhängig von Investitionen in Polizei und Verfahrensrecht
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„Selbstjustiz“/Informelle Erledigung von Straftaten
Selbständige Erledigung von Kriminalität beispw. durch
– Betriebsjustiz
– Öffentliche Verkehrsbetriebe (Erhöhter Fahrpreis)
– Familie
– Nachbarschaft
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Konsequenzen
Dunkelfeld der Kriminalität
Gesetz der konstanten Verhältnisse?
Alternative Messinstrumente
– Selbstberichtsbefragungen (Self reported delinquency
SRD)
– Opferbefragungen
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SRD Fragen
Die meisten Menschen tun in ihrem Leben
manchmal Dinge, die verboten sind, z.B. ohne
Fahrkarte im Bus fahren oder etwas stehlen. Wir
möchten gerne von Dir wissen, ob Du auch schon
einmal etwas Verbotenes getan hast.
Ich habe schon einmal
– einen ganzen Tag oder mehrere Tage die Schule
geschwänzt
– in einem Geschäft etwas gestohlen
– jemanden so geschlagen, dass er/sie verletzt war
oder blutete
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Freiburger SRD Studie
www.mpicc.de
– forschung/online publications and resources
– Oberwittler u.a.: Soziale Lebenslagen und Delinquenz von
Jugendlichen
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Freiburger SRD Studie
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Freiburger SRD Studie
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Freiburger SRD Studie
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Freiburger SRD Studie
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Selbstberichtsuntersuchungen
Beziehen sich ganz überwiegend
Auf junge Menschen
Werden häufig als Schuluntersuchungen durchgeführt
(Klassenbefragungen)
Basieren auf retrospektiven Fragen
Haben Sie …, Wie oft haben Sie in den
letzten 12 Monaten ….?
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Probleme retrospektiver Befragung
Erinnerung
Vergessen
Fehlerhafte Plazierung
Falsche Erinnerung der Häufigkeit
Verdrängung/Beschönigung
Von erheblicher Relevanz für die Erinnerung
Die jeweilige Bedeutung des Ereignisses
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Befunde aus Selbstberichtsforschungen
Kriminalität ist (bei Kindern und Jugendlichen) weit
verbreitet (Ubiquitätsthese; Normalitätsthese)
Die weite Verbreitung von Kriminalitätsbegehung ist
beschränkt auf triviale Delikte (Schwarzfahren, kleine
Diebstähle). Nahezu alle Jugendliche begehen
irgendwann einmal eine Straftat.
Für die meisten jungen Menschen bleibt es bei einer
oder einer gelegentlichen kleinen Straftat
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Befunde
Schwere Kriminalitätsbegehung sowie wiederholte und
mehrfache Deliktsbegehung sind selten.
Unterschiede zwischen den Geschlechtern bleiben
bestehen, wenn schwere Straftaten und wiederholte
Deliktsbegehung einbezogen werden (und auf triviale Delikte
verzichtet wird).
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Befunde
Das Dunkelfeld ist offensichtlich bei leichten Delikten
stärker ausgeprägt als bei schweren Delikten.
Die Ergebnisse aus Täterbefragungen lassen sich im
Bereich von schwerer Kriminalität mit denen der
Kriminalstatistik zur Deckung bringen.
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Befunde
Eine strikte Trennung zwischen Tätern und Nichttätern (oder
Tätern und Opfern) kann nicht durchgeführt werden
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Opferbefragungen
Fragestellungen
– Selbst erlittene Kriminalität
– Einstellungen
– insb. aber Kriminalitätsfurcht
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Opferbefragungen
Vorteile
– weniger sensible Fragen für die Befragten
» Ausnahme: Betrug, sexuelle Gewalt
Nachteile
– nur Deliktsbereiche mit individuellen Opfern
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Freiburger SRD Studie
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Freiburger SRD Studie
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Deutschland: Zweiter Periodischer Sicherheitsbericht
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Deutschland: Zweiter Periodischer Sicherheitsbericht
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Deutschland: Zweiter Periodischer Sicherheitsbericht
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Deutschland: Zweiter Periodischer Sicherheitsbericht
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International Crime Victims Survey (ICVS 2000)
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International Crime Victims Survey (ICVS 2000)
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International Crime Victims Survey (ICVS 2000)
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International Crime Victims Survey (ICVS 2000)
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International Crime Victims Survey (ICVS 2005)
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International Crime Victims Survey (ICVS 2005)
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Niederlande
Schaubild: Entwicklung der polizeilich registrierten Kriminalität (per
100.000) sowie der selbstberichteten (Opfer)Kriminalität (per 100) in
den Niederlanden
9000
40
8000
35
7000
30
6000
25
5000
20
4000
15
3000
10
2000
5
1000
0
0
19
80
19
81
19
82
19
83
19
84
19
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19
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88
19
89
19
90
19
91
19
92
19
93
19
93
19
94
19
95
19
96
19
97
19
98
45
Selbstberichtete Straftaten (Opfer) /100
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Polizeilich registrierte Taten/100.000
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USA
Grafik: Trends in Gewaltkriminalität in den USA (1973-2000) NCS-Daten /1000
14
12
10
8
6
4
2
Raub
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Vergewaltigung
99
19
97
19
95
19
93
19
91
19
89
19
87
19
85
19
83
19
81
19
79
19
77
19
75
19
19
73
0
Schwere Körperverletzung
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Normalität der Kriminalität
Kriminalität und ökonomische/kulturelle Leistungen
(Rechtswissenschaft, Arbeitsplätze, Versicherungen, Literatur)
Kriminalität als Schrittmacher für sozialen Wandel (beispielsweise
sexuelle Emanzipation, Gewerkschaften/Arbeiterbewegung)
Kriminalität macht Normen erst sichtbar (aus der Abweichung ergibt
sich erst der Inhalt und die Autorität der Norm)
Kriminalität als Voraussetzung für Integration einer Gesellschaft (die
konformen Gesellschaftsmitglieder solidarisieren sich gegen den
Abweichler)
Der Verbrecher ist notwendig als Projektionsobjekt für Triebwünsche
und dafür, daß dauerhafter Triebverzicht (und damit die Kanalisation
der Antriebskräfte in kulturelle Leistungen) ermöglicht wird.
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Kriminalitätstheorien
Soziologische Theorien
Psychologische Theorien
Ökonomische Theorien
Biologische Theorien
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Page 69
Soziologische Kriminalitätstheorien
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Page 70
Anomietheorie der Kriminalität
Durkheim
Merton
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Page 71
Mertons Anomietheorie
Gesellschaften zerfallen in eine kulturelle und in eine
soziale Struktur
– die kulturelle Struktur gibt an, welche Ziele in einer
Gesellschaft erreicht werden sollten und wie dies
geschehen sollte (Normen und Werte)
– die soziale Struktur entscheidet über die Möglichkeiten, die
Ziele tatsächlich zu erreichen: objektive Bedingungen des
Handelns
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Page 72
Anomietheorie
Sind kulturelle und soziale Strukturen nicht integriert,
dann entsteht
– für den einzelnen Menschen eine anomische Situation oder
Stress
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Page 73
Reaktion auf Anomie
Innovation: Die kulturellen Ziele werden beibehalten, die normativ
zugelassenen Wege werden ersetzt durch illegale oder illegitime
Mittel (Abweichung, Kriminalität).
Ritualismus: Die Werte und Ziele werden aufgegeben, die
zugelassenen institutionalisierten Mittel werden zum Eigenwert.
Rückzug aus der Gesellschaft. Sowohl Werte und Ziele als auch die
Mittel werden abgelehnt. Die Anpassung besteht darin, sich aus der
Gesellschaft auszugrenzen.
Rebellion: Sowohl Werte als auch Normen werden abgelehnt,
gleichzeitig wird versucht, die abgelehnten Werte und Normen
durch ein neues (gerechteres) System von Werten und Normen zu
ersetzen.
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Cloward/Ohlin: Anomie und Zugangschancen
Erweiterung der Anomietheorie kriminellen Verhaltens durch
Cloward/Ohlin
Ergänzt wird die Anomietheorie um die Zugangschancen zu
illegitimen Mitteln
Bei Merton enthält die Sozialstruktur implizit eine Annahme
zur Verteilung der Zugangschancen zu legitimen Mitteln,
– der Unterschicht diese legitimen Mittel weitgehend
verbaut sind.
Cloward/Ohlin stellen die Frage nach der Verteilung der
illegitimen Möglichkeiten. Rückgriff auf Theorie der
differentiellen Assoziation.
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Page 75
Theorie der differentiellen Assoziation
Theorie der differentiellen Assoziation:
– kriminelles Verhalten wird gelernt, wie jedes andere Verhalten
auch.
– Die hiermit verbundenen Annahmen betreffen:
– Kriminelles Verhalten wird in intimen Bezugsgruppen gelernt.
– Das, was gelernt wird, besteht nicht nur darin, wie man Diebstähle
oder andere kriminelle Verhaltensweisen begeht, sondern auch in
bestimmten Wertemustern, Einstellungen (die für bestimmte
professionelle Kriminalitätsbegehung bezeichnend sind).
– Der Zugang zu derartigen Gruppen ist unterschiedlich verteilt.
– Insoweit hängt die Begehung von Kriminalität davon ab, ob und
inwieweit man zu bestimmten Gruppen und damit Lernmöglichkeiten
Zugang bekommt.
Kriminologie I WS 2006-2007
Page 76
Theorieintegration
Integration der Theorie der differentiellen Assoziation
und der Anomietheorie
Typisierung verschiedener subkultureller
Anpassungsmuster:
– Die kriminelle Subkultur (die entsprechende Lern- und
Kontaktmöglichkeiten voraussetzt).
– Die Konfliktsubkultur (Banden).
– Die Rückzugssubkultur (Scheitern in jeder Hinsicht, d. h.
sowohl im legalen als auch im illegalen Bereich).
Kriminologie I WS 2006-2007
Page 77
Hauptgesichtspunkt der Anomietheorien
– Strukturell erzeugter „Stress“ führt zu Kriminalität (oder
anderen abweichenden „stresslösenden“
Verhaltensweisen)
– Politische Reaktion: Herstellung von Chancengleichheit,
Beseitigung von Armut (Politik der sechziger und siebziger
Jahre; war on poverty)
Kriminologie I WS 2006-2007
Page 78
Subkulturtheorien
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Cohens Kultur der Gang
Kulturtheorie männlicher Bandenkriminalität
– Ausgangspunkt: Mertons Analyse von kultureller und
sozialer Struktur
– männliche Jugendliche der Ghettos können bereits in der
Schule die von der Mittelschichtsgesellschaft gesetzten
Erwartungen nicht oder nur schwer erfüllen.
– Hieraus folgt individuelle Frustration.
– Zur Lösung der Frustration werden im Wege einer kollektiven
Reaktionsbildung die Mittelschichtsnormen und -werte
entwertet und durch eine andere Wertekultur ersetzt.
– Dies ist die Wertekultur der Bande.
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Millers Kulturkonflikttheorie
Die Subkultur der Bande das Produkt eines größeren subkulturellen
Kontextes.
Miller versteht die Jugendbande als Teil einer traditionsreichen
Subkultur (der Unterschicht, der Arbeiterklasse).
Die Verhaltensweisen, die als deviant oder kriminell bezeichnet
werden können, entstehen dabei aber nicht wie bei Merton oder
Cohen aus der Frustration oder der Anomie, sondern aus der
allgemeinen Motivation, mit subkulturellen Werten und Normen
konform zu bleiben. Die Kriminalität der Bande ist deshalb ein
Nebenprodukt subkultureller Normen, die mit denen der dominanten
Kultur im Widerspruch stehen.
Abweichung und Kriminalität sind damit kein Produkt einer
zielgerichteten Reaktion auf Mittelschichtsnormen, sondern der
Versuch, nach den in der Subkultur geltenden Normen zu leben.
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Subkulturelle Werte
– Schwierigkeiten mit dem Gesetz haben,
– Härte und Männlichkeit (gegenüber Weichheit und
Feigheit),
– Gerissenheit (gegenüber Beschränktheit, Gelderwerb durch
harte Arbeit),
– Risiko und Aufregung, Autonomie (gegenüber
Unterordnung und Autorität).
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Labeling Approach
Anomietheorien verweisen auf sozial bedingten Stress auf den
einzelnen, der somit zu Abweichung und kriminellem Verhalten
getrieben wird und keine eigenständigen Beiträge leistet.
Im Labeling Approach (oder Etikettierungsansatz) wird die einzelne
Person ebenfalls in den Mittelpunkt gerückt.
Hiermit wird dann auf Interaktionen (zwischen Personen oder zwischen
Personen und Institutionen) verwiesen.
Der labeling approach ist mit den Arbeiten von Becker verbunden (wie
wird man Jazzmusiker; wie wird man Haschischraucher).
Der labling approach wurde in den 60er Jahren auch in Deutschland
bzw. in Westeuropa rezipiert.
Der labeling approach ist methodisch mit qualitativen Verfahren
verbunden.
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Labeling Approach
Ausgangspunkt:
– die Normsetzung schafft die Voraussetzung für die
Möglichkeit des von ihnen abweichenden Verhaltens.
– Soziale Normen "verursachen" deshalb Abweichung bzw.
Kriminalität.
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Labeling approach
Die Bewerung einer Handlung als konform oder
abweichend erfordert:
– Ein Bewertungsschema (Norm)
– Ein Bewertungsvorgang: d. h. ein Interaktionsprozess,
in dessen Verlauf Menschen anderen Menschen die
Eigenschaft abweichend bzw. kriminell zuschreiben.
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Zuschreibungsprozess
1. Schritt: Verhalten (oder Abweichung)
2. Schritt: Interaktionsprozesse, Handelt es sich um eine
Abweichung; ist die betreffende Person ein Dieb?
3. Schritt: Zuschreibung in Form von
– Selbstzuschreibung, Identitätsveränderung
– Fremdzuschreibung, Rekonstruktion der Geschichte des
Individuums
– erleichtert durch Aktenführung (Jugendämter, Strafakten)
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Konsequenzen des labeling approach
Unterscheidung zwischen
– Primärabweichung
– Sekundärabweichung
Besondere Bedeutung für kriminelle Karriere
Besondere Bedeutung für Kriminalpolitik
–
–
–
–
Verhinderung von Sekundärkriminalität
Diversion
Non-Intervention
Reduzierung von Stigma, beispw.
Bundeszentralregistergesetz
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Stress oder Kontrolle?
Kriminalitätstheorien als Erklärung
– pathologischer Erscheinungen, die im Verlaufe von
Vergesellschaftungs- oder Sozialisationsprozessen auftreten.
Erklärung der Fehl- oder Nichtanpassung eines Menschen,
– verursacht durch sozialstrukturelle Pathologien, familiäre
Ausnahmesituationen oder persönlichkeitsspezifische Defizite
"Stresstheorien" fassen solche Ansätze zusammen, die
– von einem allgemein gesellschaftlichen Norm- und
Wertekonsensus ausgehen und
– die abweichende oder kriminelle Handlungen durch blockierte
Zugänge und dadurch ausgelösten Streß verursacht ansehen.
– Der Schwerpunkt in der Erklärung der Entstehung von
Konformität liegt auf der Erziehung und dem Prozess der
Norminternalisierung.
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Ausgangsfrage
Hobbes: Der Mensch ist des Menschen Wolf
Problem: Wie kann der Einzelne geschützt werden?
Schutz (innere Sicherheit) bietet allein der Staat (durch
äußeren Zwang)
Kriminalität wird verhindert durch äußeren Zwang
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Änderung der Ausgangsfrage
Aus der Fragestellung von Hobbes
„Warum verhalten sich Menschen konform?“
wird die Frage
„Warum verhalten sich Menschen abweichend?“
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Antwort der sozialstrukturellen Gesellschaftstheorie
Menschen verhalten sich konform, weil
– es ein konsentiertes Werte- und Normensystem gibt,
– das im Laufe der Sozialisation jeder Mensch, der
„normal“ erzogen wird, „internalisiert“.
– Insoweit kommen Erwartungen der Gesellschaft
(Normen) und Interessen des Einzelnen zur Deckung.
Konformität ist deshalb die Regel (und nicht
erklärungsbedürftig), Abweichung ist die Ausnahme
(und deshalb erklärungsbedürftig)
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Probleme
Werte- und Normkonsens ist zweifelhaft
– 1960er Jahre: Vietnamkrieg, Studentenunruhen,
Rassenunruhen in den USA
Was ist Norminternalisierung?
– Freudsches Konzept des Über-Ichs und des Gewissens als
Übernahme von Fremderwartungen (gesellschaftliche
Normen)
– Konsequenz: schlechtes Gewissen, aber keine
Verhinderung des Normbruchs
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Neues Interesse an Kontrolltheorien
Kontrolltheorie der Kriminalität (Hirschi)
Erklärungsbedürftig ist, warum sich der Einzelnen an die
Regeln hält
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Variable
Attachment: emotionale Bindung an relevante
andere (Eltern, peers)
Commitment: rationale Bindung über instrumentelle
Interessen (beispielsweise erworbener Status, der
nicht aufs Spiel gesetzt werden soll,
Karrierechancen, die man sich nicht verderben will)
Belief: Bindung aufgrund gemeinsamer geteilter
Werte und Normvorstellungen; Glaube an die
Legitimität der Ordnung und der Normen
Involvement: Bindung auf der Basis der faktischen
Teilnahme an den Institutionen der Gesellschaft
(beispielsweise durch Arbeit oder Ausbildung).
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Fortentwicklung der Kontrolltheorie
Hirschi/Gottfredson
– Allgemeine Kriminalitätstheorie
– Kriminalität ist Ausdruck mangelhafter
» Selbstkontrolle
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Was bedingt die Konformität mit Internationalem Recht?
 Führt die Ratifizierung der UNO Anto Folter Konvention
zu weniger Folter?
– Nur ganz schwache Korrelation zwischen Ratifizierung und
Ausmaß der Folter
 Demokratie und Folter?
– Voll ausgebildete Demokratien folgen Pflichten aus der
Konvention eher und zeigen nach Ratifizierung eine
Verbesserung der Praktiken
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Warum halten sich Staaten an Konventionen?
Der Staat als rationaler Akteur?
Direkte Sanktionen: ökonomische Sanktionen oder
humanitäre Intervention (Sicherheitsrat)
Informelle Sanktionen: Reputation und Scham
Konformität mit internationalem Recht reflektiert nationale
Interessen
Wahrnehmung von internationalem Recht als legitim und
gerecht
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Voraussetzungen für Konformität
 Politische Strukturen
– Ausmaß der politischen Beteiligung und der Gleichheit
 Systeme der Rechtfertigung von Anti-Folter Politik
– Entwickelt und unterstützt durch soziale und politische Eliten
– Ausschluss von Feindbildern, insb. das außergewöhnliche
Verbrechen, gefährliche Menschen
 Systeme der Organisation von Autorität
– Vorgesetztenverantwortlichkeit
 Kontrolle lokaler Dynamik von Folter
– Insb. Schutz von Gruppen mit niedrigem sozialem Status:
Obdachlose, Drogenabhängige
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Literatur
Hathaway, O.A.: Do Human Rights Treaties Make a
Difference? The Yale Law Journal 111(2002), S. 19352042.
Cole, W.M.: Sovereignty Relinquished? Explaining
Commitment to the International Human Rights
Convenants, 1966 – 1999. American Sociological Review
70(2005), S. 472-495.
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Psychologische Kriminalitätstheorien
Theorie der Psychodynamik (Freud)
Persönlichkeit gliedert sich in Es, Ich und Über-Ich
– Es: Triebe
– Ich: Person oder Persönlichkeit
– Über-Ich: Gewissen
Entwicklung der Psyche
– Ausbildung des Ich (und damit der Abgrenzung zu
anderen Personen)
– Ausbildung des Über-Ichs (gesellschaftliche Normen
und Erwartungen) Die Entwicklung von
– Ich und Über-Ich: Identifikationsprozesse (mit Mutter
und Vater)
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Psychodynamik und Abweichung
Abweichendes Verhalten entsteht als Folge von
Fehlentwicklungen in der Persönlichkeit
– neurotische Fehlentwicklungen: ein zu starkes ("tyrannisches")
Über-Ich (bedingt durch zu starke Identifikations- und
Unterwerfungsprozesse in der frühen Erziehung) läßt eine adäquate
Verarbeitung der Triebe nicht zu. Triebimpulse werden verdrängt
und aufgestaut. Verbrechen und Abweichungen werden dann zu
Symptomen (Beispiel: der Verbrecher aus Schuldgefühl).
– Psychopathische Entwicklungen (als Folge gestörter (fehlender)
Identifikation) führen zu Über-Ich-Defiziten, die eine angemessene
Kontrolle der Triebe und eine interne Steuerung des Menschen auf
der Basis der Repräsentanz gesellschaftlicher Erwartungen im ÜberIch nicht gewährleisten.
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Lerntheorien
Kriminelles Verhalten wird erlernt wie jedes andere
Verhalten (Sutherland)
Lernmechanismus der operanten Konditionierung
(Bekräftigungslernen)
– Problemverhalten wird aufgrund verstärkender
Verhaltenskonsequenzen erworben und verfestigt.
Hypothese: Eine Person wird dann antisoziales
Verhalten (kriminelles Verhalten) zeigen, wenn sie in
der Vergangenheit dafür bekräftigt/belohnt worden
ist und wenn aversive Konsequenzen das Verhalten
nicht unterdrückt haben.
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Lerntheorien
Erklärung erstmaligen Verhaltens/Erklärung seltenen
Verhaltens
– hier kann die Bekräftigung bzw. Verstärkung keine Rolle
spielen
Lerntheorie stellt heute auf eine Dreiteilung ab:
– Erwerb von Verhalten,
– Auslösung von Verhalten
– Stabilisierung von Verhalten.
Der Erwerb von Verhalten erfolgt durch
Beobachtungslernen.
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Eysencks Persönlichkeitstheorie der Kriminalität
Unterscheidung zwischen Extrovertierten und
Introvertierten
Beobachtung: Extrovertierte sind stärker mit Kriminalität belastet
Annahme: Kriminalität tritt eher bei extrovertierten
Personen auf
weil:
– Extrovertierte Menschen weniger Angst haben
– Angst eine Voraussetzung für Konditionierung darstellt
– Extrovertierte Menschen deshalb schwerer lernen, weil sie
weniger ängstlich sind
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Counter Strike
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Politik unter Zugzwang: Bürger fordern Verbot von Gewaltspielen
Das Erfurter Schulmassaker hat eine vehemente Diskussion über
die Rolle der Gewalt in den Medien ausgelöst. Killerspiele der Art,
wie sie Robert Steinhäuser suchtmäßig spielte, wurden entwickelt,
um Soldaten zum ungehemmten Töten zu drillen. Sie haben in
Kinderzimmern nichts zu suchen!
Das Schulmassaker in Erfurt und die berechtigte Wut der
Bevölkerung über die bisherige Untätigkeit der Politik haben eine
allgemeine Debatte über die Ursache der "Neuen Gewalt" ausgelöst.
Die Teilnahme von über 100000 Menschen am Erfurter
Gedenkgottesdienst für die Opfer am 3. Mai - eine der größten
Versammlungen in Deutschland seit der Wiedervereinigung machte deutlich, daß die Geduld der Bevölkerung zur Neige geht.
Eine Umfrage des Bonner dimap-Instituts ergab, daß 81% der
Bevölkerung ein Verbot von Gewaltvideos und brutalen
Computerspielen befürworten.
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StGB § 131 Gewaltdarstellung
(1) Wer Schriften (§ 11 Abs. 3), die grausame oder sonst unmenschliche
Gewalttätigkeiten gegen Menschen oder menschenähnliche Wesen in einer Art
schildern, die eine Verherrlichung oder Verharmlosung solcher Gewalttätigkeiten
ausdrückt oder die das Grausame oder Unmenschliche des Vorgangs in einer die
Menschenwürde verletzenden Weise darstellt,
1. verbreitet,
2. öffentlich ausstellt, anschlägt, vorführt oder sonst zugänglich macht,
3. einer Person unter achtzehn Jahren anbietet, überläßt oder zugänglich macht
oder
4. herstellt, bezieht, liefert, vorrätig hält, anbietet, ankündigt, anpreist, einzuführen
oder auszuführen unternimmt, um sie oder aus ihnen gewonnene Stücke im
Sinne der Nummern 1 bis 3 zu verwenden oder einem anderen eine solche
Verwendung zu ermöglichen,
wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.
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Beobachtungslernen
Massenmedien, Videospiele und Gewalt
Hypothesen
– „Konsum“ (Beobachtung) von Gewalt erzeugt
Gewalttätigkeit
– Keine Auswirkungen
– „Konsum“ von Gewalt führt zu weniger Gewalttätigkeit
Problem der Überprüfung
– Längsschnittfragestellung
– Labor- und Feldforschung
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Forschungsergebnisse
AMERICAN ACADEMY OF PEDIATRICS: Media Violence.
Pediatrics 108(2001), S. 1222-1226.
Anderson, C.A., Bushman, B.J.: The Effects of Media
Violence on Society. Science 295(2002), S. 2377-2379.
Media violence and aggression: 46 longitudinal samples
involving 4975 participants, 86 cross-sectional samples
involving 37,341 participants, 28 field experiment samples
involving 1976 participants, and 124 laboratory experiment
samples involving 7305 participants.
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Forschungsergebnisse
Anderson, C.A., Bushman, B.J.: The Effects of Media Violence on
Society. Science 295(2002), S. 2377-2379.
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Auslösung von Verhalten
Wahrnehmung von Gelegenheiten
Befehl und Gehorsam
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Das Milgram Experiment (1961)
Angeregt durch den Beginn des Strafverfahrens gegen Eichmann in Israel
Aufruf zur Teilnahme an einem Experiment über „Lernen, Gedächtnis und
Strafe“; 4,50 US$ für Teilnahme
Rollen: Lernender, Lehrer und Wissenschaftler, der das Experiment
überwacht
Der Lernende wird in einem Stuhl festgeschnallt und an Elektroden
angeschlossen
Vorgetäuscht wird zur Zuordnung der Rollen von Lernendem und Lehrer
eine Zufallsauswahl. Der Lernende wird allerdings immer von einem
Schauspieler gespielt.
Das Experiment besteht aus:
– Vorlesen von Begriffspaaren, die vom Lernenden wiederholt werden müssen
– Bei Fehlern muss der Lehrer Stromstöße versetzen
– Stromstöße reichen von 15 Volt bis 450 Volt (Lebensgefahr)
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Das Milgram Experiment
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Durchführung
30 Schalter von 15 - 450 Volt, markiert mit Hinweisen wie 15 Volt = leichter
Schock, 75 Volt = schmerzhaft bis 450 Volt = Lebensgefahr
Vor Beginn des Versuchs wurden die Versuchspersonen von einem
anwesenden Versuchsleiter, der als legitimierte Autoritätsfigur auftrat,
nochmals massiv darauf hingewiesen, wie wichtig die strikte Einhaltung
der Regeln sei
Der angebliche Schüler äußerte vor Beginn des Versuchs beiläufig, er habe
ein leichtes Herzleiden, wolle aber dennoch am Versuch teilnehmen
Das Opfer begann bei 75 Volt zu stöhnen, woraufhin viele
Versuchspersonen den Versuchsleiter vorsichtig baten, das Experiment zu
unterbrechen, was dieser jedoch mit barscher Kritik und Appellen an die
Männlichkeit seiner Versuchspersonen ablehnte
Bei 180 Volt bat dann der "Schüler" eindringlich, das Experiment
abzubrechen, da er die Schmerzen nicht mehr ertrage
Bei 300 Volt brüllte er um Hilfe, danach schwieg er
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Ergebnisse
The theory that only the most severe monsters on the
sadistic fringe of society would submit to such cruelty is
disclaimed
Two-thirds of this studies participants fall into the
category of ‘obedient' subjects, they represent ordinary
people drawn from the working, managerial, and
professional classes (Obedience to Authority)
Ultimately 65% of all of the "teachers" punished the
"learners" to the maximum 450 volts
No subject stopped before reaching 300 volts
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Literatur
Milgram, S.: Behavioral Study of Obedience. Journal of Abnormal
and Social Psychology 67(1963), S. 371-378.
Milgram, S.: Obedience to Authority; An Experimental View.
Harpercollins 1974.
Blass, Th.: The Milgram paradigm after 35 years: Some things we
now know about obedience to authority. Journal of Applied Social
Psychology 25 (1999), S. 955-978.
Blass, Th.: The Man Who Shocked the World", Psychology Today
(35)2002.
Blass, Th.: The Man Who Shocked the World: The Life and Legacy
of Stanley Milgram. Basic Books 2004.
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Stanford Prison Experiment 1971 (Zimbardo)
 Das Experiment
 24 junge Männer (Mittelschicht, psychisch unauffällig und
gesund)
– Per Zufall: 12 Gefängniswärter, 12 Gefangene
– Briefing der „Gefängniswärter“: Gewalt ist nicht erlaubt,
ansonsten die Vermittlung des Gefühls vollständiger
Kontrolle
– Das Experiment musste nach einigen Tagen abgebrochen
werden; sadistische und erniedrigende Behandlung von
Gefangenen war die Regel
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Ergebnisse des Stanford Prison Experiments
 Haney, C., Banks, W. C., Zimbardo, P. G.: Interpersonal
dynamics in a simulated prison. International Journal of
Criminology and Penology, 1(1973) 69-97.
– The experiment's results demonstrate the impressionability
and obedience of people when provided with a legitimizing
ideology and social and institutional support
– The results support situational attributions of behavior rather
than dispositional attribution: the situation caused the
participants' behavior rather than anything inherent in their
individual personalities
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Ansätze zur Erklärung von Holocaust, Folter etc.
Disposition vs. Situation
Erklärung durch:
Veränderungen des moralischen Bezugsrahmens
Aus dem Tötungs- (Folter)verbot wird ein Tötungs-/Foltergebot
Rechtfertigungssysteme
Vollkommener Ausschluss der Opfer aus dem moralischen
Bezugsrahmen
Dies erlaubt die Aussage: Ich töte/foltere, bin aber ein
anständiger Mensch geblieben
Veränderungen des moralischen Bezugsrahmens können
offensichtlich sehr schnell erfolgen
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Literatur zu Abu Ghraib
Fiske, S.T., Harris, L.T., Cuddy, A.J.: Why Ordinary People
Torture Enemy Prisoners. Science, 26. November 2004, Bd.
306, S. 1482-1483.
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Ökonomische Kriminalitätstheorien
Ökonomische Kriminalitätstheorien
Makro-ökonomische Ansätze
– Arbeitslosigkeit und Kriminalität ..\..\Links\Arbeit07.ppt
– Krisen und Kriminalität
– Preisentwicklung und Kriminalität
Rational Choice
– Handlung als Ergebnis von Nützlichkeitsabwägungen
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Ökonomische Kriminalitätstheorien
Wann treten Nützlichkeitskalkulationen auf?
Wie wird Nützlichkeit bewertet?
Grenznutzen und Grenzschaden
Einschränkungen der rational choice Erklärung
– Normen, normative Orientierung (normative Theorien)
– Routinen, routine activity approach
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Biologische Kriminalitätstheorien
Biologische Kriminalitätstheorien
Annahme: Kriminalität ist vererblich
Adoptions- und Zwillingsstudien
Genetische/molekularbiologische Forschung
Gehirnforschung
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Zwillingsstudien
Christiansen (1977)
– 3.586 Zwillingspaare
– In 900 Fällen fiel mindestens ein Zwilling kriminell auf
– bei 35,2% der eineiigen Zwillinge war auch der zweite Zwilling
kriminell auffällig
– bei 12,5% der zweieiigen Zwillinge waren beide auffällig
– eineiige Zwillinge sind offensichtlich einer gleichförmigen sozialen
Reaktion unterworfen
– aus den Verteilungen lässt sich folgern, dass annähernd zwei
Drittel der eineiigen Zwillinge unterschiedliche Verläufe im
Hinblick auf kriminelle Auffälligkeiten nahmen
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Adoptionsstudien
Hutchings/Mednick 1977 Untersuchung der Entwicklung adoptierter
Kinder
– Waren weder der leibliche Vater noch der Adoptivvater kriminell
auffällig
– Auffälligkeit adoptierter Kinder 10%
– War der biologische Vater nicht kriminell, aber der Adoptivvater
– Auffälligkeitsquote der Kinder 11%.
– Unauffälligkeit des Adoptivvaters und Auffälligkeit des
biologischen Vaters
– Auffälligkeitsquote der Kinder 22%
– Sowohl der biologische als auch der soziale Vater sind kriminell
auffällig
– Auffälligkeitsquote der Kinder 36%.
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Chromosomen-Anomalien
XYY anstatt XY
– Annahme erhöhter Gewalttätigkeit
– Basiert im Wesentlichen auf der Beobachtung, dass in
Gefängnispopulationen XYY in etwa 1-3% vorliegt, während
die Anomalie in der Bevölkerung bei unter 1% der Personen
auftritt
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Gehirnfunktionen und kindliche Entwicklung
 Child development in developing countries. Developmental
potential in the First 5 years for children in developing
countries. The Lancet 2007, 60-70.
 Gehirnfunktionen und damit das kognitive Potential werden durch
Umweltbedingungen stark beeinflusst
» Armut
» Ernährung
» Interaktionen/Stimulation
 Defizitäre kognitive Entwicklung korreliert stark mit schulischem und
beruflichem Erfolg
 Prekäre Rahmenbedingungen werden weiter „vererbt“
 Das Gehirn und seine Funktionen haben hohe Plastizität und sind
deshalb auch für Interventionen in späteren Lebensjahren
empfänglich
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Quelle: Pfeiffer, C., Wetzels, P., Enzmann, D.: Innerfamiliäre Gewalt gegen Kinder und Jugendliche und
ihre Auswirkungen. Forschungsberichte Nr. 80, Hannover 1999
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Auftreten von Kriminalität im Jugend- und Erwachsenenalter (%)
in Abhängigkeit von Misshandlung oder Vernachlässigung als Kind
Misshandelt
Kontrollgruppe
Jugendkriminalität
27,4
17,2
Erwachsenenkriminalität
41,6
32,5
Gewaltkriminalität
18,1
13,9
N
908
667
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Molekularbiologie
Neuropeptide (Botenstoffe im Zentralnervensystem),
insbesondere Oxytocin
Verstärkte Ausschüttung von Oxytocin führt zu
mehr Vertrauen in zwischenmenschlichen
Interaktionen
Stabilere Beziehungen/Bindungen
Euphorie
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Genetische Bedingungen
 Misshandelte Kinder mit einem MAOA (Monoamin
Oxidase A) Gen, das lediglich in geringem Ausmaß das
MAOA Enzym produziert, entwickeln häufiger
Verhaltensprobleme (insbesondere auch
Gewaltkriminalität) im späteren Leben
 Caspi, A., McClay, J., Mofitt, T.E., Mill, J., Judy Martin, J.,
Ian W. Craig, I.W., Alan Taylor, A., Poulton, R.: Role of
Genotype in the Cycle of Violence in Maltreated Children.
Science 297(2002), S. 851-854; Michael D. De Bellis,
M.D.: The Psychobiology of Neglect. Child Maltreatment
10(2005), S. 150-172.
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Page 134
Soziale Kontrolle
Soziale Kontrolle
Gesellschaftliche Institutionen/Systeme zur Erzeugung
und Erhaltung von Verhaltenskonformität
– Strafrechtliche Sozialkontrolle
– Allgemeine Sozialkontrolle
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Page 136
Soziale Kontrolle und Prävention
Primärprävention
– Prävention unerwünschten Verhaltens durch Erziehung etc.
Sekundärprävention
– Prävention durch Strafgesetze (Androhung von Strafe)
Tertiärprävention
– Prävention durch Rückfallverhütung
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Normgenese
Strafrechtsnormen als konsensualer Kern des
Normensystems
Strafrechtsnormen als Ausdruck von
– Gruppeninteressen
– Institutionellen Interessen
Probleme der Normgeneseforschung
– Seltenheit des Normsetzungsereignisses
– Komplexität von Normsetzungsprozessen
– Probleme des Datenzugangs
– Verknüpfung mit Normimplementation
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Bedingungen und Funktionen
Kriminalisierung und Entkriminalisierung
Überkriminalisierung
Überkriminalisierung und präventive Wirkungen des
Strafrechts
– Fragmentarischer Charakter des Strafrechts
– Straftat und Strafe als Ausnahmeerscheinungen
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Institutionen Strafrechtlicher Verhaltenskontrolle
Polizei
Staatsanwaltschaft
Gerichte
Soziale Dienste in der Justiz
Vollstreckungseinrichtungen, insbesondere
Strafvollzug
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Polizei
Rechtsgrundlagen polizeilichen Handelns
– Polizeigesetze der Länder
» Gefahrenabwehr und Aufrechterhaltung von Ordnung
» Ermessen
– Strafprozessordnung
» Polizisten als „Hilfsbeamte“ der Staatsanwaltschaft
» Ermittlungen bei Verdacht strafbarer Handlungen
» Legalitätsprinzip
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Sicherheit und Privatisierung
 Entstehung einer privaten Polizei (Sicherheitsgewerbe)
 2003 (Schutzdienste und Detekteien)
– Ca. 117.000 sozialversicherungspflichtig Angestellte
– Umsatz ca. 4 Milliarden €
 Erklärung
– Sicherheit(sgefühle)
– Zweifel an der Gewährleistung von Sicherheit durch die
Polizei
– Konzentration der Polizei auf schwere Kriminalität
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Grenzen der Privatisierung
Verfassungsrechtliche Schranken der Privatisierung
– Rechtsstaatsprinzip
– Grundrechtsschutz
– Demokratieprinzip
Zwang und Gewalt sind (außerhalb der individuellen Notrechte) nur als
staatlich ausgeübte Gewalt legitimierbar
Einsatz Privater
– strenge normative Anleitung
– oder eine zeitnahe und unmittelbare Kontrolle durch den Staat
 Alle Tätigkeiten, bei denen Gewalt (oder das Risiko des Einsatzes von Gewalt)
keine Rolle spielt, sind privatisierungsfähig
–
–
–
–
Notrufanlagen (Public Private Partnership)
Radarüberwachung
Überwachung des ruhenden Verkehrs
Objektschutz, Personenschutz
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Grafik: Anzahl öffentlicher und privater Polizei pro 100.000 der Wohnbevölkerung
in den Ländern der EU
600
488
500
440
400 362
394
344
300
318
275
200
100
75
109
379
375
320
236 233
193
477
304
276
217
310
256
201
143
121
132
152
184
135
160
76
69
19
Öffentliche Polizei/100.000
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G
an
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ch
en
la
nd
0
Private Polizei/100.000
Page 144
Tatverdacht
Entstehung des Tatverdachts
– Weitgehend Anzeigeerstatter, reaktive Orientierung der
Polizei
» >90% der Anzeigen resultieren aus Mitteilungen von Opfern
– Alltagstheorien und Kontrolle
– proaktive Methoden der Ermittlung
– verdachtsunabhängige Kontrollen (Schleierfahndung) im
Grenzraum
Kriminologie I WS 2006-2007
Page 145
Polizeiforschung
Untersuchungen über die Polizei
– Wie entsteht Tatverdacht
– Polizeiliche Ermittlungseffizienz
– Verhältnis Polizei und Gesellschaft/Minderheiten
– Übernahme von ethnischen Minderheiten in der Polizei
Untersuchungen für die Polizei
– Kriminalistik
Kriminologie I WS 2006-2007
Page 146
Ermittlungseffizienz
Grafik: Ermittlungseffizienz der Polizei in Abhängigkeit
von einem zu Beginn der Ermittlungen identifizierten
Tatverdächtigen (Einbruchsdiebstahl; Dölling 1999, S.52)
120
100
97
72
80
60
60
40
30
22
20
20
0
Aufklärung
Anklage
Tatverdächtiger bekannt
Kriminologie I WS 2006-2007
Verurteilung
Tatverdächtiger unbekannt
Page 147
Polizeiliche Kontrollstrategien
Community Policing
Zero tolerance
Kriminologie I WS 2006-2007
Page 148
Community Policing
 Dezentralisierung der Polizeiarbeit
– Statt zentralisiertem reaktivem Funkstreifendienst zurück
zur Fußstreife
– Lokale Prioritätensetzung in Stadtquartieren
 Problem-orientiertes polizeiliches Vorgehen
– Entstehungshintergründe analysieren (lokale Bedürfnisse)
– prinzipiell offenes Spektrum an Lösungen
 Bürgerorientierte Setzung von Handlungsprioritäten
– Intensivierung der Kontakte zu den Bürgern
– Betonung von Ordnungsproblemen und Sicherheitsgefühl
 Aktive Beteiligung der Bürger
– Neighborhood Watch
Kriminologie I WS 2006-2007
Page 149
Zero Tolerance
 Broken Windows Theorie
– Schwere Kriminalität ist eine Folge des Verlustes an informeller
Sozialkontrolle
– Erste Anzeichen sozialer Unordnung (Grafitti, Bettler, Müll auf der
Straße, „zerbrochene Fensterscheiben“ etc.) sind auch erste
Zeichen für den Rückzug informeller Sozialkontrolle
» Einwohner ziehen sich zurück und kümmern sich nicht mehr um
ihre Umwelt
» Potentielle Straftäter nehmen die Zeichen als Zeichen für fehlende
Kontrolle wahr
– Konsequenz:
» nachdrücklich dafür sorgen, dass die ersten Anzeichen nicht
entstehen
» Konzentration der Polizeiarbeit auf die Ordnung
 George L. Kelling, G.L., Wilson, J.Q.: Broken Windows. The police
and neighborhood safety. The Atlantic Monthly 249(1982), S. 29-38.
Kriminologie I WS 2006-2007
Page 150
Evaluation der Zero Tolerance Politik in New York
 Eingeführt 1993
 Zwischen 1990 und 1996: Rückgang schwerer
registrierter Kriminalität um 35%
 Entsprechender Rückgang der Kriminalität in demselben
Zeitraum in 17 der 25 größten amerikanischen Städte
und in 12 von 17 Industriestaaten
 Kontrollvariable:
–
–
–
–
Rückgang des Crack-Kokain Konsums
Rückgang der Arbeitslosigkeit
Demographischer Wandel
Wirtschaftlicher Aufschwung
Kriminologie I WS 2006-2007
Page 151
Zero Tolerance und Beschwerden
Graph: Index crimes and Complaints for Abuse of Police
Authority in New York 1993-1998
700000
3000
600000
2500
500000
2000
400000
1500
300000
1000
200000
500
100000
0
0
1993
1994
1995
Index Crimes
Kriminologie I WS 2006-2007
1996
1997
1998
Complaints
Page 152
Traditionelle Funktionen der Staatsanwaltschaft
Repräsentiert die rechtliche Dimension des
Ermittlungsverfahrens
» Ausgleich zwischen Effizienz und Rechtsstaat
» Kontrolle und Anleitung der Polizei
Neutralität im Ermittlungsverfahren
Gate-Keeper für Gericht und Kriminalstrafe; Anklagemonopol
 Ausnahmen:
» England: Polizei nimmt Funktionen der StA wahr; eine
StA besteht erst seit 1986
» Dänemark: Polizei übernimmt Anklagefunktion in
bestimmten Deliktsbereichen
Kriminologie I WS 2006-2007
Page 153
Wandel der Staatsanwaltschaft
Starke Zunahme der Straftaten und des
Fallaufkommens in den 1960er und 1970er Jahren
Komplexe und zeitaufwendige Verfahren der
Wirtschaftskriminalität
Tendenz zum Präventions- und Risikostrafrecht
Kriminologie I WS 2006-2007
Page 154
Entwicklungen in der Staatsanwaltschaft
Zunahme der Einstellungsentscheidungen
(Bagatelleinstellungen: §§153, 153a StPO)
Diversion: Verfahrensökonomie und
Entstigmatisierung
Verstärkte Einführung und Nutzung vereinfachter und
beschleunigter Verfahren (Strafbefehlsverfahren)
Verschiebung der de facto Strafzumessung auf die
Staatsanwaltschaft
Absprachen (deal)
Kriminologie I WS 2006-2007
Page 155
Veränderungen in der Praxis des Strafprozesses
Verlagerung des Schwerpunkts von der Hauptverhandlung auf das
(Vor-) Ermittlungsverfahren
Zunehmende Bedeutung der Eilanordnungen im Strafverfahren
Zunehmende Bedeutung von vorläufigen Massnahmen mit
erheblichem punitiven Charakter (Beispiel: Einfrieren von Konten,
vorläufiger Zugriff auf Vermögenswerte)
Wechsel von ante facto Kontrolle durch das Gericht hin zu
post facto Kontrollen
Richterliche Kontrolle verliert im Zusammenhang mit
neuen Ermittlungsmaßnahmen an Bedeutung
Kriminologie I WS 2006-2007
Page 156
Erledigungen von Strafverfahren
28,1
30
27,5
24,5
25
20
15
11,3
8,6
10
5
0
lage
k
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A
Kriminologie I WS 2006-2007
s t.
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st
Stra
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Bed
And
eres
Page 157
Struktur der Auflagen
100
90
80
70
60
50
40
30
20
10
0
95,7
Kriminologie I WS 2006-2007
Geldauflage
Gemeinnützige
Leistungen
Wiedergutmachung
Unterhalt
1,5
2,4
0,4
Page 158
Trends in Verfahrenserledigungen (%)
25
20
15
10
5
0
81
9
1
83
9
1
85
9
1
87
9
1
Anklage
Kriminologie I WS 2006-2007
89
9
1
Strafbefehl
91
9
1
93
9
1
§153
95
9
1
97
9
1
§153a
Page 159
Ungleichmäßigkeit in der Einstellung
18
16
16
14
12
10
11
9
9
8
12
11 11
10
9
7
8
6
4
12
5
5
2
0
% §153a
Kriminologie I WS 2006-2007
8
8
Baden-Wuerttemberg
Bayern
Berlin
Brandenburg
Bremen
Hamburg
Hessen
M.-Vorpommern
Niedersachsen
Nordrhein-W.
Rheinland P
Saarland
Sachsen
Sachsen-A.
Schleswig-H.
Page 160
Ungleichmäßigkeit
Ungleichmäßigkeit innerhalb Deliksgruppen
– beispw. Drogendelikte
– beispw. Diebstahl
Ungleichmäßigkeit zwischen Delikten
– beispw. Eigentums- vs. Wirtschaftsdelikte
Fragen:
– Soll Gleichmäßigkeit hergestellt werden?
– Wie kann Gleichmäßigkeit hergestellt werden?
Kriminologie I WS 2006-2007
Page 161
Kontrolle des Einstellungsermessens
Einführung von allgemeinen Richtlinien
(Einstellungsrichtlinien, vergleichbar sentencing
guidelines)
Kontrolle durch das Opfer
– beispw. “Klageerzwingungsverfahren“
– beispw. zwingende Wiedergutmachung in Frankreich
Interne Kontrollen
Begründungspflichten
Kriminologie I WS 2006-2007
Page 162
Gewaltenteilung
Dominanz des exekutiven Rechts
– Flexibilität und Informalität
– Marginalisierung der Gerichte
Das Gericht beschränkt sich im wesentlichen auf Fälle
der Verhängung von Freiheitsstrafe
Konventionelle Straftaten und die Straftaten der
konventionellen Gesellschaft fallen in die
Erledigungskompetenz der StA
Kriminologie I WS 2006-2007
Page 163
Gerichte und Richter
Fragestellungen
Wie entwickeln sich Sanktionsmuster?
Wodurch sind Strafzumessungsentscheidungen
bedingt?
Kriminologie I WS 2006-2007
Page 164
Strafzumessungsmodelle
Ermessen und Strafzumessung
– Unbeschränkt (vgl. beispw. Frankreich)
– begrenzt (Deutschland, Österreich)
– Richtlinien (Holland, USA, Schweden)
Individualisierung, Prognose und Sanktionen
– Abschaffung der Strafrestaussetzung
– Orientierung an „good time“
Three strikes and you are out: Strafzumessung nach BaseballRegeln
Kriminologie I WS 2006-2007
Page 165
Sanktionsmuster
Sanktionsmuster sind geprägt durch die normativen
Rahmenbedingungen
– §47 Geldstrafe hat Priorität über die kurze Freiheitsstrafe
– §56 Bewährung bei Freiheitsstrafen bis zu 2 Jahren
Kriminologie I WS 2006-2007
Page 166
Sanktionsmuster
Verteilung der Strafen in %
90
81,4
80
70
60
50
40
30
20
10
12,6
1,4
6
0
Freiheitsstrafe
Freiheitsstrafe Freiheisstrafe mit
o.Bew. > 2 Jahre
ohne Bew.
Bew.
Kriminologie I WS 2006-2007
Geldstrafe
Page 167
Gefangene pro 100.000 der Wohnbevölkerung (31. 3.) Alte Bundesländer
120
100
80
60
40
20
19
61
19
63
19
65
19
67
19
69
19
71
19
73
19
75
19
77
19
79
19
81
19
83
19
85
19
87
19
89
19
91
19
93
19
95
19
97
19
99
20
01
20
03
0
Kriminologie I WS 2006-2007
Page 168
Methodische Zugänge der Strafzumessungsforschung
Strafverfolgungsstatistiken
Fiktive Fälle
Strafakten
Teilnehmende Beobachtung
Kombinationen: Akten und Interviews
Kriminologie I WS 2006-2007
Page 169
Schwerer Raub: Erwachsenenstrafen (%kumuliert)
2004 (Strafrahmen 3 – 15 Jahre)
98
100
100
90
80
75
70
60
50
45
40
30
26
20
10
0
1
- 6 Monate
Kriminologie I WS 2006-2007
4
- 12
Monate
1-2 Jahre 2-3 Jahre 3-5 Jahre 5-10 Jahre
> 10
Jahre
Page 170
Strafzumessungsforschung
Befunde
– Strafe bleibt im unteren Drittel des Strafrahmens
– Strafe ist orientiert an „glatten Zahlen“
– Strafzumessung orientiert sich nicht an dem komplexen
Programm des §46 StGB, sondern an wenigen Faktoren
» Schwere
» Vorstrafen
– Strafzumessung entwickelt lokale Traditionen und damit
auch regionale Differenzen
Kriminologie I WS 2006-2007
Page 171
Vollstreckung
Geldstrafe
– Ersatzfreiheitsstrafe und gemeinnützige Arbeit
Bewährung
– Bewährungshilfe
Freiheitsstrafe
– Gefängnissystem
Kriminologie I WS 2006-2007
Page 172
Die Ökonomie der Strafe
Ökonomische Rahmenbedingungen
– Prinzip der Selektion
Kosten sowie Kosten-Nutzen-Analysen
– Was kostet das Strafrecht?
Kriminologie I WS 2006-2007
Page 173
Personal pro 100.000 der Bevölkerung
Richter
Österreich
Dänemark
Frankreich
Deutschland
Niederlande
Schweden
UK
Kriminologie I WS 2006-2007
StA
19,8
6,5
11
25,4
10
19,2
14,9
Polizei
2,6
10
2,2
7,5
3
7,9
4,1
Gefängnis
420
265
403
302
254
309
376
Insgesamt
45
566
80
424
43
493
43
532
95
408
94
477
82
521
Page 174
Kosten pro Einwohner in Euro
Kosten in Euro/Einwohner
Justiz
StA
Österreich
57
Dänemark
30
Frankreich
23
Deutschland
64
Niederlande
23
Schweden
33
Kriminologie I WS 2006-2007
Polizei
4
5
6
19
11
8
Gefängnis
203
117
132
137
151
119
Insgesamt
26
290
32
184
19
180
25
245
54
239
43
203
Page 175
Europäische Entwicklungen
EMRK
Europäische Anti-Folter Konvention
Konsequenzen
– Abschaffung der Todesstrafe
– Ausschluss von Körperstrafen
Minimum Standards (auch) für „community“
Sanktionen
Tampere 1999: Die Union als einheitliches Gebiet des
Rechts
Kriminologie I WS 2006-2007
Page 176
Gefängnis und Alternativen
 Kritik der Freiheitsstrafe und des Gefängnisses
– F. v. Liszt: Marburger Programm 1882, Der
Zweckgedanke im Strafrecht
 Gefängnis als „Schule des Verbrechens“
– Subkulturtheorien
– Prisonisierungstheorien
 Gefängnis als „totale Institution“ (Goffman, E.: Asyle.
Über die soziale Situation psychiatrischer Patienten
und anderer Insassen. Frankfurt 1972)
Kriminologie I WS 2006-2007
Page 177
Die Subkultur
Insassenkultur
– besondere Sprache
– besondere Normen
» Status
» Verhältnis zu Vollzugsstab
– Verhaltensweisen
» Schwarzmärkte in Vollzugsanstalten
– kollektive Einstellungen (beispielsweise gegenüber den
Vollzugsbeamten, der Strafjustiz)
Kriminologie I WS 2006-2007
Page 178
Prisonisierung
Begriff
– Anpassung und Gewöhnung an die Wertvorstellungen und Normen der
Subkultur
Clemmer
– unmittelbarer Zusammenhang zwischen dem Grad der Anpassung an die
Subkultur (Prisonisierung) und der Dauer des Aufenthalts im Gefängnis
– Clemmer, D. (1940) The prison community. New York.
Wheeler
– Anpassung folgt einem U-Verlauf: Anpassung an die Gefängnissubkultur ist am
Anfang der Haft recht schwach ausgeprägt, nimmt bis zur Mitte der Haft stark
zu, um sich dann vor der Entlassung wieder abzuschwächen
– Wheeler, S. (1961): Socialisation in Correctional Communities. In: American
Sociological Review. S. 697 – 712
Offene Fragen
– Hat das Gefängnis eine eigenständige Wirkung in Form von „Haftprägungen“
(Lerngelegenheiten in der sog. „Schule des Verbrechens“) oder wird die
Subkultur importiert (beispw. Gangs)
– Kann derartigen Prisonisierungsprozessen im Gefängnis entgegengewirkt
werden?
Kriminologie I WS 2006-2007
Page 179
Wirkungen des Gefängnisses
Unmittelbare Auswirkungen
Mittelbare Auswirkungen: Stigmatisierung und
Chancenverschlechterung
Besserung durch Behandlung
– Wirkungsforschung/Behandlungsforschung
– Problem fehlender kontrollierter Experimente
– Lange Zeit überschätzt
– Effekte partiell vorhanden, aber eher bescheiden
Auswirkungen auf die Nachbarschaft und
Wohnumgebung von Gefangenen und
Strafentlassenen
Kriminologie I WS 2006-2007
Page 180
Die Entwicklung von Alternativen zur Freiheitsstrafe
Gefängnis und Alternativen
zur Freiheitsstrafe
Finanzielle Strafen
Geldstrafe/Tagessatzgeldstrafe
Ziele
Diversion
(Teil) ausgesetzte Strafe
(Freiheitsstrafe)
Bewährung und Restaussetzung
Ziel: Rehabilitation
Gemeinnützige Arbeit
Community Sanktionen
Ziele: Überwachung
und Rehabilitierung
Restitution
Wiedergutmachung
Mediation
Ziele: Opferorientiert
Behandlungs-Sanktionen
Drogen
Sexualstraftäter
Ziele: Risikokontrolle/Rehabilitation
Gewinnabschöpfung
Elektronisch kontrollierter
Hausarrest
Ziele: Überwachung
Kombinationen von
Alternativen
Ziele: Überwachung
Disziplinierung
Sex-Offender-Notification
Sichtbare Strafarbeit
Sicherungsverwahrung
(Lebens) Lange Freiheitsstrafe
Ziele: Sicherung und
Risikokontrolle
Ziel: Sicherung/Prävention
Kriminologie I WS 2006-2007
Ziele: Opferschutz, Scham
Page 181
Wandel strafrechtlicher Sozialkontrolle
Von Todes- und Leibesstrafen zur Freiheitsstrafe
– abgeschlossen Ende des 19. Jahrhunderts
Von Freiheitsstrafe zu Kontroll- und Geldstrafen
– abgeschlossen Mitte des 20. Jahrhunderts
Erklärungen
– Elias: Zivilisierung von Gesellschaft und Macht
– Foucault: Perfektionierung der Kontrolle
Kriminologie I WS 2006-2007
Page 182
Der Prozess der Zivilisation
Entstehung von sozialen Abhängigkeiten und Vergrößerung der
Verletzlichkeit des Einzelnen
Zügelung von Aggressivität, Vordringen zivilisierten Verhaltens
und Selbstkontrolle
Veränderung der Psyche und der Gefühle
– Zurückhaltung bei Gewalttätigkeit und Ablehnung der (öffentlichen)
Zufügung von Schmerz und Leiden
Akte, die starke Gefühle auslösen oder demonstrieren, werden
weitgehend aus der Öffentlichkeit entfernt
Kriminologie I WS 2006-2007
Page 183
Kennzeichen moderner Strafe
Nicht öffentlich
Experten (Resozialisierung) vollstrecken die Strafe
Kosten-Nutzen orientiert
Risiko orientiert
Kriminologie I WS 2006-2007
Page 184
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