Institut für Mathematik Humboldt-Universität zu Berlin Dr. habil. Ilka Agricola März 2007 Elementargeometrie Beweis des Kongruenzsatzes WSW Im Beweis von Satz 14, S. 21, ist zum Schluss zu zeigen, dass die Länge einer Seite und die beiden daran anliegenden Winkel ein Dreieck vollständig bestimmen. In den Bezeichnungen des Buches: Seien die Seite a und die anliegenden Winkel β sowie γ gegeben. Es gilt nach Cosinus-Satz 1 1 cos β = (a2 + c2 − b2 ), cos γ = (a2 + b2 − c2 ). 2ac 2ab Es wird (ohne weitere Begründung) behauptet, dass dieses System aus zwei quadratischen Gleichungen für b und c die eindeutige Lösung b = a sin β , sin(β + γ) c = a sin γ sin(β + γ) hat. Da die Argumentation aber etwas subtil ist, geben wir sie hier an. Zunächst sind die beiden Ausdrücke für b und c sinnvoll, denn es ist 0 < β, γ < π/2, also 0 < β + γ < π; auf ]0, π[ ist die Sinus-Funktion aber strikt positiv, die Ausdrücke definieren also strikt positive Zahlen, wie es für Dreiecksseiten sein sollte. Es ist wenig erbaulich, das System direkt lösen zu wollen. Sinnvoller ist es, zu überprüfen, dass dies tatsächlich eine Lösung ist, und sich danach zu überlegen, dass es die einzige ist. Setzen wir die Formeln für b und c etwa in den Cosinus-Satz für cos β ein, so erhalten wir zunächst durch Ausmultiplizieren und Kürzen a2 sin2 γ sin2 (β + γ) + sin2 γ − sin2 β sin(β + γ) 2 a2 sin2 β a + . = cos β = − 2 2 2 2a sin γ 2 sin γ sin(β + γ) sin (β + γ) sin (β + γ) Wir verwenden nun das Additionstheorem für sin(β+γ), multiplizieren das entstehende Quadrat aus und klammern geschickt Terme der Gestalt 1 − cos2 oder 1 − sin2 aus, um sie durch die jeweils andere Winkelfunktion zu ersetzen, cos β = (sin β cos γ + sin γ cos β)2 + sin2 γ − sin2 β 2 sin γ sin(β + γ) = sin2 β cos2 γ + sin2 γ cos2 β + 2 sin β sin γ cos β cos γ + sin2 γ − sin2 β 2 sin γ sin(β + γ) = sin2 β(cos2 γ − 1) + sin2 γ cos2 β + 2 sin β sin γ cos β cos γ + sin2 γ 2 sin γ sin(β + γ) = − sin2 β sin2 γ + sin2 γ cos2 β + 2 sin β sin γ cos β cos γ + sin2 γ 2 sin γ sin(β + γ) = sin2 γ(1 − sin2 β) + sin2 γ cos2 β + 2 sin β sin γ cos β cos γ 2 sin γ sin(β + γ) = sin γ cos β + sin β cos γ 2 sin2 γ cos2 β + 2 sin β sin γ cos β cos γ = cos β · 2 sin γ sin(β + γ) sin(β + γ) Nach dem Additionstheorem ist der Bruch gleich Eins, b und c lösen tatsächlich die erste Gleichung unseres Gleichungssystems. Analog prüft man, dass sie auch die zweite Gleichung erfüllen. Nun zur Eindeutigkeit. Es ist gar nicht so schwierig, eine quadratische Gleichung für b und c herzuleiten. Das Gleichungssystem kann man nämlich äquivalent umformen zu 2ac cos β = a2 + c2 − b2 , 2ab cos γ = a2 + b2 − c2 . 1 (∗) Addiert man diese Relationen, so erhält man nach Kürzen a = b cos γ + c cos β, also b = a − c cos β . cos γ (∗∗) Dies setzt man in die erste Gleichung von (∗) ein, 2ac cos β = a2 + c2 − a2 c2 cos2 β 2ac cos β (a − c cos β)2 2 2 = a + c − − + . cos2 γ cos2 γ cos2 γ cos2 γ Ausfaktorisieren liefert 2ac cos β(1 − 1/ cos2 γ) = a2 (1 − 1/ cos2 γ) + c2 (1 − cos2 β/ cos2 γ), was äquivalent ist zu f (c) := c2 (cos2 γ − cos2 β) + 2ca cos β sin2 γ − a2 sin2 γ = 0. Dies ist die gesuchte quadratische Gleichung für c. Setzt man den Ausdruck für b aus (∗∗) stattdessen in die zweite Formel von (∗) ein, erhält man die gleiche quadratische Gleichung. Analog kann man (∗∗) auch nach c auflösen, c = (a−cos β)/ cos γ, und wieder in jede der beiden Gleichungen des Gleichungssystems einsetzen. Dies führt auf die quadratische Gleichung f˜(b) := b2 (cos2 β − cos2 γ) + 2ca cos β sin2 γ − a2 sin2 γ = 0. Jede dieser Gleichungen hat a priori zwei Lösungen, deren Vorzeichen man diskutieren müsste um letztendlich von vier möglichen Kombinationen genau eine auzuzeichnen. Ein genauerer Blick auf die Graphen der Funktionen f (c) und f˜(b) erspart einem dies: beides sind quadratische Funktionen, die sich nur im Vorzeichen des Koeffizienten bei b2 bzw. c2 unterscheiden. Gelte etwa cos2 γ − cos2 β > 0, dann ist f (c) eine nach oben geöffnete Parabel, die f (0) = −a2 sin2 γ < 0 erfüllt. Eine solche kann nur genau eine positive Nullstelle haben, diese ist c. Aus (∗∗) erhält man dann eindeutig b. Gilt stattdessen cos2 γ − cos2 β < 0, so argumentert man analog für f˜(b). 2