Kostendeckende C-Milch: In einigen Fällen geht es

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Weil der Markt für C-Milch für viele offen ist, ist die Frage erlaubt, was es einen kostet, wenn er etwas mehr Milch produziert.
Kostendeckende C-Milch:
In einigen Fällen geht es
Die Dynamik am Milchmarkt fordert nicht nur die Nerven der Milchproduzenten,
sondern stellt auch neue Anforderungen ans betriebliche Rechnungswesen.
Die Frage «Welcher Preis für das C-Segment deckt auf meinem Betrieb die Zusatzkosten?» soll nicht mit einer Vollkosten-, sondern mit einer Grenzkostenrechnung
beantwortet werden. Die Resultate sind überraschend.
D
ie Segmentierung des
Milchmarkts wird von
den Milchabnehmern
unterschiedlich
umgesetzt.
ZMP, Nordostmilch, Lobag
und Prolait lassen ihren Produzenten bisher keine Wahl –
die Zusammensetzung des
Kontingents nach Segmenten
ist vorgegeben. Andere Abnehmer überlassen den Entscheid, C-Milch zu produzieren oder nicht, den Produzen-
ten. Diese Wahlfreiheit fordert
auch die Branchenorganisation Milch (BO Milch). Doch
wie berechnet man, ab welchem Preis sich die Lieferung
von C-Milch lohnt?
Sogar die viel gelobte Vollkostenrechnung liefert nur
Durchschnittswerte für die
gesamte Milchmenge und
damit nur die halbe Kostenwahrheit. Die Berechnung
von Durchschnittspreisen und
Durchschnittskosten für vorgegebene Lieferrechtszusammensetzungen (zum Beispiel
65% A-Segment, 25% B-Segment, 10% C-Segment) ist nur
dann hilfreich, wenn der Segmentenmix wirklich fix ist.
Wenn der Betriebsleiter aber
wählen kann, ob er das C-Segment beliefern will, muss er
differenzieren zwischen Zusatzmilch, die dank besserer
Auslastung bestehender Anla-
gen ohne bedeutende Mehrkosten produziert werden
kann, und Milchmengen, die
Erweiterungs- oder Neuinvestitionen notwendig machen. Die Betrachtung von
Durchschnitten liefert diese
Information nicht, das kann
einzig die Grenzkostenrechnung. Bloss: Sie wird in der
Landwirtschaft heute noch
nicht gelehrt.
Zum Glück ist die Grenzkostenrechnung nicht allzu
schwierig – sie ist viel weniger
aufwendig als die Vollkostenrechnung. Die Tabelle auf der
nächsten Seite zeigt anhand
eines Beispiels, wie eine
aussagekräftige Grenzkosten-
Grenzkosten | TIERHALTUNG 13
rechnung basierend auf einfachen Teilbudgets aussehen
kann. Das Beispiel ist selbstverständlich frei erfunden.
schinenkosten und die variablen Kosten steigen gegenüber Variante «Auslastung»
um weitere 6%.
Drei Varianten für
Mehrproduktion von Milch
Das vorgestellte Beispiel basiert auf folgenden Annahmen: Fritz Schweizer bewirtschaftet einen Betrieb mit
30 ha Ackerbau und Milchwirtschaft im Talgebiet. Er erwägt, zu seinem A-Lieferrecht
von 200 000 kg (=Istzustand)
zusätzliche Verträge zur Belieferung von B- und C-Lieferrechten abzuschliessen. Fritz
Schweizer hat sich drei Strategien zur Produktionsausdehnung ausgedacht:
Grenzkosten massiv
unter den Vollkosten
Das Ergebnis der Rechnung ist:
Die Grenzkosten (inkl. Entschädigung der Arbeit im Umfang von Fr. 20.–/Stunde) für
■ Variante Kraftfutter
Fritz Schweizer setzt pro Jahr
mehr Kraftfutter ein (10 t).
Dies bringt rund 20 000 kg
Mehrleistung, die Anzahl
Kühe bleibt gleich, es entsteht
keine Mehrarbeit und, neben
dem Kraftfutter auch keine
anderen zusätzlichen Kosten.
■ Variante Auslastung
Fritz Schweizer lastet seinen
bestehenden
abgeschriebenen Stall maximal aus. Er
kann zusätzlich zu seinen
30 Milchkühen 3 Kühe inkl.
Nachzucht mehr halten, ohne
investieren zu müssen. Dies
bringt ebenfalls 20 000 kg
Mehrleistung
(entspricht
10%) und erhöht die notwendige Futterfläche im selben
Mass. Fritz Schweizer nimmt
zudem an, dass die Arbeitsbelastung, die Maschinenkosten
und auch die variablen Kosten
um 5% steigen.
■ Variante Anbau
Fritz Schweizer baut an, nachdem er seinen Stall gemäss
Variante «Auslastung» schon
ausgelastet hat. Mit dem Anbau schafft er vier zusätzliche
Kuhplätze, was Fr. 80 000.–
kostet. Gegenüber der Variante «Auslastung» bringt dies
nochmals 30 000 kg (12,5%).
Die Arbeitsbelastung, die Ma-
Die Grenzkostenrechnung:
ein bewährtes Instrument aus der Industrie
Grenzkosten sind die Kosten, die
bei der Produktion von zusätzlichen Produktmengen (über das
aktuelle Produktionsniveau
hinaus) entstehen. Ausgeklammert wird dabei alles, was sich
zwischen den Varianten nicht
unterscheidet. Dies sind zum
Beispiel Kosten für Anlagen, die
auf dem Betrieb ohnehin schon
vorhanden sind. Man kann auch
berücksichtigen, dass bei der
Vergrösserung der Milchkuhherde der Arbeits- und Maschinenaufwand wohl zunimmt,
aber in geringerem Mass als die
Tierzahl.
In der Industrie ist die Anwendung der Grenzkostenrechnung
tägliches Brot. So verkauft beispielsweise ein Nahrungsmittelhersteller seine Teigwaren unter
einer eigenen Marke und kann
dank den hohen Preisen einen
guten Vollkostendeckungsgrad
realisieren. Da er aber noch freie
Produktionskapazitäten hat,
nimmt er zusätzlich Produktions-
«Die Grenzkosten
für 1 kg zusätzlich
produzierte Milch liegen
bei 33 Rp. bei Variante
Kraftfutter, bei 47 Rp.
bei Variante Auslastung
und bei 55 Rp.
bei Variante Anbau.»
ein zusätzlich produziertes Kilogramm Milch liegt bei 33
Rappen bei Variante Kraftfutter, bei 47 Rappen bei Variante
Auslastung und bei 55 Rappen
bei Variante Anbau. Ohne Entschädigung der Zusatzarbeit
liegen die Grenzkosten bei 33,
29 und 39 Rappen. Beim Vergleich zwischen den Grenzkosten und dem Preis für C-Milch
fällt damit auf: Die Grenzkosten auf dem Betrieb Schweizer sind tief – tiefer als die (hier
nicht berechneten) Vollkosten
jemals sein könnten.
Die
Vollkostenrechnung
hätte somit keinen Hinweis
auf die Möglichkeit einer kostengünstigen Produktionsausdehnung gegeben. Die Grenzkostenrechnung erlaubt eine
mengenmässig viel offensivere Produktionsstrategie, ohne
dass betriebswirtschaftliche
Risiken eingegangen werden
müssen.
Kraftfutterbasierte
Milch am billigsten
Die Grenzkosten der Varianten Kraftfutter und Auslastung liegen unter dem gestützten Preis des C-Segments, diejenigen der Variante Kraftfutter liegen gar im Bereich des ungestützten C-Preises. Die tiefen Grenzkosten
aufträge für Eigenmarken des
Grossverteilers zu massiv tieferen Preisen an. Da er dies ohne
zusätzliche Anlagen durchführen
kann, ist der Auftrag schon
gewinnbringend, sobald die
Arbeits- und Energiekosten
gedeckt sind. In diesem Fall
entsprechen seine Grenzkosten
den Arbeits- und Energiekosten.
Die Chancen und Gefahren
werden sofort klar: Ohne Aufwand für Entwicklung und
Vermarktung kann der Teigwarenhersteller mit minimalem
Risiko eine zusätzliche Marge
verdienen. Aber die Produkte
oder die Märkte müssen sauber
getrennt sein. Spätestens wenn
die Kunden der Markenteigwaren merken würden, dass die
Teigwaren mit Eigenmarke des
Grossverteilers gleich gut, aber
billiger sind und aus derselben
Fabrik stammen wie die teuren
Markenspezialitäten, schneidet
sich der Hersteller ins eigene
Fleisch.
Bild: Archiv die grüne
Bild: Martin Raaflaub
Nr. 6/2012 | die grüne
Für viele Landwirte dürfte es überraschend sein, dass sie zu relativ
tiefen Kosten etwas mehr Milch produzieren können.
14 TIERHALTUNG | Grenzkosten
Bild: Christian Guler
die grüne | Nr. 6/2012
Milchproduktion auf der Basis Weidehaltung ist im Normalfall die günstigste Variante, Zusatzmengen mit Kraftfutter können aber zu relativ
geringen Grenzkosten produziert werden. Die Rechnung nach dem unten stehenden Beispiel muss aber jeder Betrieb selber durchführen.
Variante
Ist-Zustand
Variante
Kraftfutter
Variante
Auslastung
Variante
Anbau
16,3 ha
gleich
+1,6 ha
+3,8 ha
0,7 ha
gleich
+0,1 ha
+0,2 ha
3 ha
gleich
+0,3 ha
+0,7 ha
Getreide und Raps
10 ha
gleich
–2 ha
–4,7 ha
Flächennutzung total
30 ha
30 ha
30 ha
30 ha
Milchkühe (GVE)
30
gleich
+3
+7
Nachzucht (GVE)
8
gleich
+0,8
+1,9
38
gleich
+3,8
+8,9
200 000 kg
+20 000 kg
+20 000 kg
+50 000 kg
DZ Tiere (RGVE-Beiträge, RAUS, BTS)
27 360 Fr.
gleich
+2736 Fr.
+6384 Fr.
Flächenabhängige DZ
37 800 Fr.
gleich
–1320 Fr.
–3080 Fr.
Tierverkäufe
20 000 Fr.
gleich
+2000 Fr.
+4667 Fr.
– 4000 Fr.
– 9333 Fr.
0
– 584 Fr.
– 1363 Fr.
Natur- und Kunstwiese intensiv
Naturwiese extensiv
Silomais
Total GVE
Milchproduktion total
Einnahmen (ohne Milcherlös)
Verringerung DB Ackerbau
Veränderung bei den Einnahmen (ohne Milch)
Ausgaben
Kraftfutter
20 000 Fr.
+6500 Fr.
+2000 Fr.
+4667 Fr.
Übrige Direktkosten Rindvieh
20 000 Fr.
gleich
+2000 Fr.
+4667 Fr.
Anteil Maschinenkosten
25 000 Fr.
gleich
+1250 Fr.
+2917 Fr.
Gebäudekosten inkl. Zins, Abschreibungen
20 000 Fr.
gleich
gleich
+6000 Fr.
Entschädigung eigener Arbeitsaufwand
70 000 Fr.
gleich
+3500 Fr.
+8167 Fr.
+6500 Fr.
+8750 Fr.
+26 418 Fr.
– 9334 Fr.
– 27 781 Fr.
20 000 kg
0.33 Rp.
20 000 kg
0.47 Rp.
50 000 kg
55 Rp.
0.33 Rp.
0.29 Rp.
0.39 Rp.
Veränderung beim Aufwand (Saldo)
Veränderungen Aufwand und Leistungen
Zusätzlich produzierte Milchmenge kg
Grenzkosten (Saldo Veränderungen/Zusatzmenge in Fr./kg Milch
Grenzkosten ohne Entschädigung Zusatzarbeit
Was kostet es, ein Kilogramm mehr Milch zu produzieren? Berechnung der Grenzkosten am Beispiel von drei Varianten bei
einem 30-ha-Betrieb mit 30 Milchkühen und 200 000 kg Milchkontingent: Die Grenzkosten auf dem Betrieb Schweizer sind
tiefer als die hier nicht berechneten Vollkosten jemals sein könnten. Die Grenzkostenrechnung erlaubt eine mengenmässig viel offensivere
Produktionsstrategie, ohne dass betriebswirtschaftliche Risiken eingegangen werden müssen.
Grenzkosten | TIERHALTUNG 15
Nr. 6/2012 | die grüne
deckenden Preisniveau durch
die Erlöse aus dem A-Kontingent vollständig gedeckt werden können. Auch die Direktzahlungen leisten das ihrige
für tiefe Grenzkosten.
Neu denken und neu rechnen müssen aber nicht nur die
Landwirte, sondern auch die
Milchverarbeiter. Wichtig sind
vor allem zwei Botschaften:
■ Nur ein kostendeckendes
Preisniveau im Inlandmarkt,
sprich A- und B-Segment, ermöglicht überhaupt die tiefen
Grenzkosten im C-Segment.
Ein hohes Preisniveau im Inlandmarkt liegt somit auch im
Interesse der Milchverarbeiter – zumindest von denjenigen, die auch ein Standbein
im Export haben.
■ Die absolut dichte Trennung der Marktsegmente ist
zentral. Es muss unbedingt
gewährleistet werden können, dass das billige C-Segment das Preisniveau im ASegment nicht erodiert. Alle
Partner müssen bei der Umsetzung der Segmentierung
fair und transparent zusammenarbeiten, sonst wird die
C-Milch immer einen unguten Beigeschmack behalten.
| Martin Raaflaub
der Variante Kraftfutter mögen viele überraschen. Sie haben ihren Grund darin, dass in
dieser Variante, ausser dem
Kraftfutter, keine anderen Zusatzkosten anfallen.
Bei den Kosten der Variante
Auslastung ist zu berücksichtigen, dass die zusätzliche Arbeit voll entschädigt wurde.
Auch falls der Milchpreis für
die Zusatzmenge genau 47 Rp.
beträgt und damit nur gerade
die errechneten Grenzkosten
deckt, hat Fritz Schweizer
trotzdem am Jahresschluss
mehr Geld in der Tasche als
bei der Basisvariante – er hat
aber auch mehr gearbeitet.
«Auch wenn der Milchpreis nur 47 Rp. beträgt,
hat Fritz Schweizer
am Jahresschluss mehr
Geld in der Tasche.»
Gratisarbeit verrichtet und bares Geld verloren hat er aber
erst, wenn der C-Preis unter
29 Rp./kg fällt.
Ins Gewicht fällt bei der Variante Auslastung zudem der
Wegfall des DBs Ackerbau aufgrund der Ausdehnung der
Futterfläche. Bei einem nicht
ackerfähigen Standort würde
sich die verdrängte Alternativnutzung der Landwirtschaftsfläche finanziell weniger stark auswirken. Das Resultat der Variante «Anbau»
zeigt dagegen: Bauliche Investitionen lohnen sich nur,
wenn Fritz Schweizer die zusätzliche Milch mindestens
im B-Segment absetzen kann.
Rappen/kg Milch
Wer will die Wahrheit wissen?
Ich bin mir bewusst: Was wir hier
schreiben, schadet dem Schweizer
Milchmarkt. Sollten die Milchbauern die in diesem Artikel aufgeführten Tatsachen nämlich
beherzigen, wird das Milchproblem noch grösser. Denn mehr
C-Milch zu Kosten von 33 Rappen
zu produzieren, ist alles andere,
als was der Milchmarkt jetzt brauchen kann. Wir haben auf der
Redaktion lange diskutiert, ob es
sinnvoll ist, die Zahlen in der
Tabelle links zu veröffentlichen.
Denn wenn ab jetzt jeder Milchbauer weiss, wie er rechnen muss,
damit er mit etwas mehr Kraftfutter zu etwas mehr Milch und viel
mehr Einkommen kommt, dann ist
das einzelbetrieblich zwar sinnvoll, aber für die ganze Branche
ist es ein Blödsinn.
Es ist auch ein Widerspruch
zu dem, was auch wir in der
«grünen» seit Längerem propagieren: Weg von der C-Milch,
denn Schweizer Qualitätsmilch für
Butter und Milchpulver für den
Weltmarkt zu produzieren ist –
erlauben Sie mir nochmals das
Wort – ein Blödsinn. Trotzdem:
Wenn es wenige tun und damit
profitieren, dann sollen zumindest
alle den gleichen Wissenstand
haben. Es ist nicht an uns, die
politischen Schlüsse zu ziehen.
Wir zeigen die ökonomische
Sichtweise auf Stufe Einzelbetrieb, rechnen soll dann jeder
selber, was unter den gegebenen
Rahmenbedingungen für ihn das
Sinnvollste ist.
Meine Empfehlung an die Entscheidungsträger ist einzig: Wenn
schon Segmentierung, dann richtig. Also alle Händler lassen den
Produzenten die echte Wahl
zwischen A-, B- und C-Milch.
Wenn das alle tun, dann darf der
C-Milchpreis ruhig auch im ungestützten Bereich unten sein,
also dort wo er sein muss.
Sollte es noch Produzenten
geben, die dann für 32 Rappen
produzieren wollen und können,
dann ist das wohl auch kein
Schaden. Aber solange die
C-Milch bei fast 40 Rappen ist,
werden wir das Problem auf kurz
oder lang nicht lösen.
| Stefan Kohler
Grafik: zVg
Hohes Inlandpreisniveau
ermöglicht Exporte
Auch im Schweizer Umfeld
kann profitabel für den Export
produziert werden, wenn die
Schweizer Milchproduzenten
scharf rechnen und die tieferen Milchpreise im C-Segment
nicht aus ideologischen Gründen von vornherein ablehnen.
Bedingung ist, dass die fixen
Kosten dank einem kosten-
Der Autor ist wissenschaftlicher
Mitarbeiter bei der Berner Fachhochschule HAFL in Zollikofen.
KOMMENTAR
Richtpreise der Branchenorganisation Milch Januar 2011 bis Februar 2012: In dieser Grafik wird
deutlich, wie gross der Unterschied beim gestützten und ungestützten Richtpreis für das C-Segment ist.
Der aus dem «Fonds Marktentlastung» genommene Beitrag für die Milchstützung sorgt dafür, dass der Preis
für das C-Segment für viele Betriebe deutlich über den Grenzkosten für die Milchproduktion liegt.
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