Stammzellforschung

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13.04.2006 - STAMMZELLFORSCHUNG
Hoffen auch auf ethische Verträglichkeit
Von Klonen, Stammzelltherapie und Alternativen in Mäusehoden
Isabelle Bareither
Ostern für die Stammzellenforschung war
dieses Jahr schon Ende März. Prof. Gerd
Hasenfuß, Direktor der Abteilung Kardiologie
und Pneumologie des Uniklinikums
Göttingen, war mit einem Sack voller
Mäuse-Eier in den Schlagzeilen und könnte
damit zur Auferstehung der mit Klonforscher
Hwang gekreuzigten Stammzellenforschung
beitragen. Die Mediziner hatten ihre Studie
Kerntransfer beim Klonen
im Magazin Nature versteckt, doch die Eier
wurden zu früh entdeckt und ein auferlegtes Embargo gebrochen. Trotzdem, die
Göttinger Alternative zur embryonalen Stammzellenforschung ist alles andere als
ein Osterei.
Die Wissenschaftler gaben bekannt, in den Hoden von Mäusen Stammzellen
entdeckt zu haben, die sich – wie embryonale Stammzellen – in alle Zellen eines
Organismus ausbilden könnten. Aus den von erwachsenen Tieren stammenden
Zellen könne jedoch kein Embryo mehr entstehen, erklärt Hasenfuß, und es
werde auch keiner zerstört. Sollten diese Zellen auch in menschlichen
Hodensäcken gefunden werden, hätte die Stammzellenforschung einen neuen
Hoffnungsträger. Denn dann wäre das ethische Problem der Forschung an
menschlichen Embryonen sowie auch das medizinische Problem der bekannten
Abwehrreaktionen des Körpers gegen fremde Zellen gelöst.
Das vermeintliche Osterwunder könnte der Stammzellenforschung
nach all der vergangen Kritik, ethischer und medizinischer
Kreuzigungszüge, wieder Auftrieb geben. Mit Hwang hatten die
Apostel der menschlichen Würde zuletzt einen Sündenbock
gefunden, ein Gesicht für all ihre Zweifel an der
Stammzellforschung und dem damit verbundenen (Alp)traum des
Klonens. Der Südkoreaner Hwang Woo Suk, Ex-Pionier der
Klonforschung, hatte im Mai letzten Jahres vorgegeben, erstmals
menschliche Embryonen geklont und daraus Stammzellen
Gerd Hasenfuß
gewonnen zu haben. Um Weihnachten 2005 hatte er dann mit
seinem Geständnis der Fälschung nicht nur sich selbst sondern
auch ein Stück der Forschung zu Kreuze getragen.
Empörungen des Volkes und vieler Wissenschaftler über die Tagediebe der
Klonforschung, die sich schnellstmöglich über alle ethischen Grenzen hinweg
bereichern wollten, gehörten von nun an mehr denn je in alle Pressespiegel.
Überall suchten die Apostel nach Richtlinien, Grenzen und Geboten. Was das
Klonen von Menschen betrifft, war man sich einig. Die Stimme des Volkes hallte
in den großen Hallen der Politik wider. Die UNO, die Weltgesundheitsorganisation (WHO), die Gesetzgebung der meisten Länder, die Kirche –
selten war man sich so einig in einer Sache wie in einer moralischen Verneinung
des Klonens. Und auch die Medizin sprach sich mehrheitlich gegen das Klonen
aus. Man sei, so viele Wissenschaftler, sowieso noch nicht einmal im Ansatz dazu
fähig, einen Menschen nachzubauen.
„Thou shalt not clone!“ gebietet dann auch Dr.
Christof Tannert, Bioethiker beim
Max-Delbrueck-Centrum (MDC) und studierter
Theologe. Als Leiter der Arbeitsgruppe Bioethik und
Wissenschaftskommunikation beruft er sich mit dem
Ausruf im Stil alt-englischer Kirchensprache auf den
großen Denker Immanuel Kant und dessen
Autonomieaxiom des kategorischen Imperativs,
welches da lautet: „Handle so, dass du die Menschheit,
sowohl in deiner Person als in der Person eines jeden
Aus diesen Zellhaufen könnte
anderen, jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als
einmal Leben entstehen
Mittel brauchest“ (Immanuel Kant: Grundlegung der
Metaphysik der Sitten, 1785). Oder in den Worten
Tannerts: „ Die willkürliche Herstellung erbidentischer Menschen – das
reproduktive Klonen – verletzt die Autonomie eines Individuums und muss
deshalb moralisch geächtet und rechtlich verboten werden.“
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Abgesehen von den ethischen Problemen, sehen viele Wissenschaftler
unüberwindbare Schwierigkeiten für das Klonen aber auch bei der so genannten
Epigenetik. Epigenetische Mechanismen scheinen die Gene zu beeinflussen ohne
die DNA selbst zu verändern und bestimmen ob sie zur Ausprägung kommen oder
nicht. Dolly, das erste geklonte Schaf, entwickelte schon wenige Jahre nach
seiner Geburt Alterskrankheiten, die nicht bei seiner Erbgut-Spenderin gefunden
werden konnten. Das weltweit erste Säugetier, das aus der Körperzelle eines
erwachsenen Tieres geklont wurde, entstand durch die Methode des
Zellkerntransfers. Bei diesem Vorgehen wurde das Erbgut in Form von DNA aus
einer Körperzelle des Mutterschafes entnommen und in die Eizelle eines zweiten
Schafes eingesetzt, dem zuvor der Zellkern entfernt worden war. Die Eizelle
wurde dann in die Gebärmutter eines weiteren Schafes eingepflanzt. Da Dolly nur
die DNA ihrer „Mutter“ erhalten hatte– und bei dieser keine Alterskrankheiten
bekannt waren- konnten die Gene nicht der Grund sein für die Entwicklung der
Symptome.
Wissenschaftler nehmen an, dass subtile chemische Veränderungen am Genom
dafür verantwortlich sind, die allerdings nicht die DNA-Sequenz selbst betreffen.
Es scheint, dass epigenetische Marker für die Unterschiede zwischen Tochter- und
Mutterschaf verantwortlich sind. Epigentische Informationen (das griechische
Wort epi bedeutet auf, nach – oder auch „jenseits konventioneller Genetik“)
stecken in Proteinen und niedermolekularen Substanzen, welche die DNA
umgeben oder dort gebunden sind, z.B. den Methylisierungen der DNA. Methyl,
bestehend aus Wasser- und Kohlenstoffatomen, dockt an Gene an und hemmt sie
in steigendem Grade mit der Methylisierung. Aber auch andere Prozesse können
ein Gen zur Ausprägung bewegen oder es bezähmen. Allein auf Grund dieser
Mechanismen also scheint das Klonen schon nicht zu funktionieren.
Allgemein werden nach Angaben des Nationalen Ethikrates
(NER) bezogen auf die Methode des Kerntransfers,
durchschnittlich in höchstens vier Prozent der Fälle
Nachkommen in Tierversuchen geboren. Diese seien
zusätzlich oft missgebildet, Vitalität und Lebenserwartung
scheinen fragwürdig. Die Reprogammierungsfehler seien so
zahlreich und zufällig verteilt, dass eine Beherrschung oder
Korrektur ihrer Auswirkungen jedenfalls bis auf weiteres
Babys vom Fließband
unmöglich erscheint. Dabei bezieht sich der NER auf die
gibt es sobald nicht
Methode des Kerntransfers sowohl als auch auf die Methode
des Embryosplittings. In letzterem Falle wird die natürliche
Entstehung von eineiigen Zwillingen nachgeahmt. In einem sehr frühen Stadium
werden die Zellen gesplittet und so zwei Organismen mit identischer
Erbinformation erzeugt. Identische Mehrlinge können bei Tieren auch aus
Embryonalen Stammzellen (ES-Zellen) hergestellt werden. Dabei werden
ES-Zellen in fremde, behandelte Blastozysten – frühe Zellanhäufungen - injiziert.
Damit entstehen Organismen die allein die DNA der ES-Zellen besitzen.
Auf viel zu grossen Kinderschuhen stehend und mit dem schweren Rucksack
ethischer Diskussionen belastet, scheint der Weg des menschlichen Klons also
noch sehr weit, das Ziel vielleicht unerreichbar. Wie sieht es aber mit dem Klonen
für biomedizinische Forschungszwecke aus?
Christoph Tannert, Anhänger Immanuel Kants und Verfechter der
Menschenwürde, sieht das Autonomieprinzip bei der Gewinnung embryonaler
Stammzellen für das therapeutische Klonen nicht verletzt. Im Gegenteil könne
das Klonen zu biomedizinischen Zwecken sogar moralisch geboten sein, wenn es
dabei um zukünftige Heilverfahren gehe. Der Grund für seine deutliche
Unterscheidung basiert vor allem auf seiner Grenzziehung des Menschwerdens.
Und diese Frage scheint dann auch aller Diskussion Anfang und Ende. Ab wann ist
ein Mensch mensch? Tannert unterscheidet einen Embryo und damit einen
Menschen, von einem so genannten „Quasi-Embryo“, einer Vorstufe des mit der
Mutter verbundenen Embryos wie er etwa durch In-Vitro Fertilisation oder
Zellkernübertragung entsteht. Tatsächlich ist der Punkt der Einpflanzung des
Embryos in den Körper seiner Mutter und damit der hormonalen und emotionalen
Vernetzung für Tannert der Punkt an dem der Organismus zum Mensch wird.
Damit scheint Tannert seiner Berufung als evangelischer
Theologe zunächst nicht nachzukommen. Definiert doch die
Kirche die Entstehung menschlichen Lebens als den Augenblick,
in dem sich Samen und Ei vereinen, also den Punkt der
Zellkern-Verschmelzung. Schon im Stadium der ersten Zellteilung
besitze der Embryo die gleiche ethische Qualität wie ein Fetus in
der vorgerückten Schwangerschaft. Zwar lässt die Kirche bei
näherer Betrachtung für Forscher wie Tannert ein Hintertürchen
offen - es mangele zum jetzigen Zeitpunkt an Wissen um eine
ethische Bewertung aller Verfahren abzulehnen - doch
verbrauchende Embryonen Forschung wurde abgelehnt, und
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Tannert wäre damit doch zum Abtrünnigen stilisiert.
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Christof Tannert
Das Experten auf allen Ebenen und aus allen Richtungen die
Frage diskutieren, wann der Mensch zu dem wird was er ist, zeigt einmal mehr
wie viel der Mensch über sich selbst weiß. Es ist die existenzielle Frage des
Lebens und genau darum scheint die Diskussion die Herzen und Köpfe so vieler
zu entflammen. Mit ungewöhnlicher Leidenschaft plädieren Experten für ihre
Stellungen - und Einigungen werden selten erzielt.
Und auch die gesetzliche Lage spiegelt dies wider. Nach deutschem Gesetz gilt als
Embryo „bereits die befruchtete, entwicklungsfähige menschliche Eizelle vom
Zeitpunkt der Kernverschmelzung an, ferner jede einem Embryo entnommene
totipotente Zelle, die sich bei Vorliegen der dafür erforderlichen weiteren
Voraussetzungen zu teilen und zu einem Individuum zu entwickeln vermag“.
Totipotenz ist dabei die Fähigkeit zur Ganzheitsbildung eines Organismus. Ihr
gegenüber stehen pluripotente Zellen, die sich zu jedem Zelltyp eines
erwachsenen Organismus entwickeln können, im Gegensatz zu totipotenten
Zellen aber nicht mehr in der Lage sind, komplette Organismen zu bilden.
Auf Grund dieser Gesetzesvorlage wäre das Embryosplitting nicht erlaubt, die
Methode des Kerntransfers allerdings strittig. Europäische und internationale
Dokumente sind gleichermaßen offen. In einigen Ländern ist das Klonen für
biomedizinische Forschungszwecke zugelassen. In Großbritannien beispielsweise
dürfen Embryonen zu Forschungszwecken hergestellt werden. Allerdings ist die
Forschung auf die ersten 14 Tage der Entwicklung beschränkt. Andere Länder wie
Italien, Norwegen, Österreich oder die Schweiz haben das Klonen grundsätzlich
verboten. In Deutschland ist die Herstellung
von Embryonen nicht erlaubt, die Einführung
aus anderen Ländern sowie die Forschung
daran allerdings schon. Dies ist aus
ersichtlichen Gründen fragwürdig.
Der NER rät dann auch das Forschungsklonen in
Deutschland gegenwärtig nicht zuzulassen. Der
Grund dafür liege bei der angestrebten
Zweckerfüllung der erzeugten Embryonen.
Weder beim Klonen zu therapeutischen noch
wissenschaftlichen Zwecken würde angestrebt
werden, den Embryonen eine
Entwicklungschance zu geben. Sie würden
vielmehr zum Zwecke der Entwicklung neuer
Ab wann ist der Mensch mensch?
Behandlungsmethoden oder des
wissenschaftlichen Erkenntnisgewinnes kurz
nach ihrer Entstehung zerstört. Damit erfüllen diese beiden Zielsetzungen des
Klonens eindeutig den Tatbestand der „Instrumentalisierung menschlichen
Lebens“ und damit der Verletzung der Würde des Menschen. Auch die Hoffnung
auf die Entwicklung von neuen Therapiemöglichkeiten könne weder die
Herstellung und den Verbrauch menschlicher Embryonen für Forschungszwecke
noch die Instrumentalisierung und Gefährdung von Frauen bei der Eizellspende
legitimieren. Momentan liege die Erfolgsrate eingesetzter Eizellen bei unter 0.5 %
und die Immunverträglichkeit sei noch lange nicht bewiesen. Sollten sich
allerdings in der Forschung ethisch vertretbare Möglichkeiten ergeben,
Stammzellen auch ohne die Verwendung von Embryonen zu gewinnen, seien
solche Ansätze zu fördern.
Adulte Stammzellen, entnommen aus dem Gewebe ausgereifter Organismen,
scheinen die logische Konsequenz. Ihr großer Vorteil liegt, neben der ethischen
Vertretbarkeit darin, dass man bei ihrer Verwendung keine Abstoßungsreaktionen
des Immunsystems erwartet. Allerdings schienen sie sich bisher nicht in alle
Zellen eines Organismus entwickeln zu können. Dennoch sprachen sich viele
Wissenschaftler schon lange für die Verwendung adulter Stammzellen aus.
Tannert erstellte 2004 eine Delphi-Studie, worin er Wissenschaftler, Kliniker und
Begleitforscher zur Stammzelldebatte befragte. Die Forscher sprachen sich
mehrheitlich für eine Verstärkung der Forschung vor allem mit adulten
Stammzellen aus. Die Forschung mit embryonalen Stammzellen wurde
zurückhaltender beurteilt.
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Die Hoffnungen scheinen nun mit dem
Ostergeschenk der Göttinger Forscher bestätigt. Die
gefundenen spermatogonialen adulten Zellen
besitzen vermutlich die gewollte Pluripotenz – die
Fähigkeit sich in alle Zellen eines Organismus aus zu
bilden, aber nicht mehr in den Organismus selbst.
Nun sind die Forscher damit beschäftigt, die
entsprechenden Stammzellen beim Menschen zu
identifizieren. „Sollten die Ergebnisse am Menschen
bestätigt werden, wären gleichzeitig das
immunologische und das ethische Problem von
menschlichen embryonalen Stammzellen gelöst“
erklärt Hasenfuss. Das Verfahren könnte dann
allerdings vorerst nur bei Männern angewendet
werden. Immerhin sei aber auch eine
Weiterentwicklung denkbar. Im weiblichen
Stammzellen aus den Hoden von
Organismus hätte man ebenfalls Stammzellen
Mäusen
gefunden, die für die Produktion von Eizellen
verantwortlich sind. Außerdem könnten die Zellen
aus den Hoden theoretisch so verändert werden, dass auch Fremdspenden
verträglicher wären.
Und die Alternativen kommen nicht nur aus den Hodensäcken von Mäusen. Die
adulte Stammzelltherapie hat eine belebte Vergangenheit. So wurden adulte
Stammzellen schon aus Knochenmark, Fruchtwasser und dem Gehirn isoliert. Ein
italienisches Team hat z.B. Gehirnstammzellen (aus dem Riechhirn) von
erwachsenen Menschen isoliert, vermehrt, und als stabile Zell-Linien etabliert. Die
Stammzellen konnten sich dann zu drei verschiedenen Nervenzellen weiter
entwickeln. Die Forscher erhoffen sich völlig neue Perspektiven zur Behandlung
von Parkinson-, Alzheimer-, oder Huntington-Patienten.
Ob sich die Alternativen gegenüber den embryonalen Stammzellen etablieren
können, bleibt allerdings ab zu warten. Ihre Vorteile keinerlei ethischer
Konsequenzen und Immunverträglichkeit, stehen immer noch der größeren
Differenzierbarkeit embryonaler Stammzellen gegenüber. Sollten allerdings
Möglichkeiten wie die der gemauserten Stammzelle zu weiteren Erfolgen führen,
hätte die Forschung einen neuen Hoffnungsträger.
Mehr im Internet:
Alternative aus dem Hodensack
Tannert - Bioethik Diskurs
Bereich Humanmedizin, Uni Göttingen
Scienzz-Artikel zum Thema Epigenetik
Stammzellenproblematik
Klonen
http://www.scienzz.de/magazin/art6282.html
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