scienzz.com 1 von 4 http://www.scienzz.de/magazin/print70-6282.html 13.04.2006 - STAMMZELLFORSCHUNG Hoffen auch auf ethische Verträglichkeit Von Klonen, Stammzelltherapie und Alternativen in Mäusehoden Isabelle Bareither Ostern für die Stammzellenforschung war dieses Jahr schon Ende März. Prof. Gerd Hasenfuß, Direktor der Abteilung Kardiologie und Pneumologie des Uniklinikums Göttingen, war mit einem Sack voller Mäuse-Eier in den Schlagzeilen und könnte damit zur Auferstehung der mit Klonforscher Hwang gekreuzigten Stammzellenforschung beitragen. Die Mediziner hatten ihre Studie Kerntransfer beim Klonen im Magazin Nature versteckt, doch die Eier wurden zu früh entdeckt und ein auferlegtes Embargo gebrochen. Trotzdem, die Göttinger Alternative zur embryonalen Stammzellenforschung ist alles andere als ein Osterei. Die Wissenschaftler gaben bekannt, in den Hoden von Mäusen Stammzellen entdeckt zu haben, die sich – wie embryonale Stammzellen – in alle Zellen eines Organismus ausbilden könnten. Aus den von erwachsenen Tieren stammenden Zellen könne jedoch kein Embryo mehr entstehen, erklärt Hasenfuß, und es werde auch keiner zerstört. Sollten diese Zellen auch in menschlichen Hodensäcken gefunden werden, hätte die Stammzellenforschung einen neuen Hoffnungsträger. Denn dann wäre das ethische Problem der Forschung an menschlichen Embryonen sowie auch das medizinische Problem der bekannten Abwehrreaktionen des Körpers gegen fremde Zellen gelöst. Das vermeintliche Osterwunder könnte der Stammzellenforschung nach all der vergangen Kritik, ethischer und medizinischer Kreuzigungszüge, wieder Auftrieb geben. Mit Hwang hatten die Apostel der menschlichen Würde zuletzt einen Sündenbock gefunden, ein Gesicht für all ihre Zweifel an der Stammzellforschung und dem damit verbundenen (Alp)traum des Klonens. Der Südkoreaner Hwang Woo Suk, Ex-Pionier der Klonforschung, hatte im Mai letzten Jahres vorgegeben, erstmals menschliche Embryonen geklont und daraus Stammzellen Gerd Hasenfuß gewonnen zu haben. Um Weihnachten 2005 hatte er dann mit seinem Geständnis der Fälschung nicht nur sich selbst sondern auch ein Stück der Forschung zu Kreuze getragen. Empörungen des Volkes und vieler Wissenschaftler über die Tagediebe der Klonforschung, die sich schnellstmöglich über alle ethischen Grenzen hinweg bereichern wollten, gehörten von nun an mehr denn je in alle Pressespiegel. Überall suchten die Apostel nach Richtlinien, Grenzen und Geboten. Was das Klonen von Menschen betrifft, war man sich einig. Die Stimme des Volkes hallte in den großen Hallen der Politik wider. Die UNO, die Weltgesundheitsorganisation (WHO), die Gesetzgebung der meisten Länder, die Kirche – selten war man sich so einig in einer Sache wie in einer moralischen Verneinung des Klonens. Und auch die Medizin sprach sich mehrheitlich gegen das Klonen aus. Man sei, so viele Wissenschaftler, sowieso noch nicht einmal im Ansatz dazu fähig, einen Menschen nachzubauen. „Thou shalt not clone!“ gebietet dann auch Dr. Christof Tannert, Bioethiker beim Max-Delbrueck-Centrum (MDC) und studierter Theologe. Als Leiter der Arbeitsgruppe Bioethik und Wissenschaftskommunikation beruft er sich mit dem Ausruf im Stil alt-englischer Kirchensprache auf den großen Denker Immanuel Kant und dessen Autonomieaxiom des kategorischen Imperativs, welches da lautet: „Handle so, dass du die Menschheit, sowohl in deiner Person als in der Person eines jeden Aus diesen Zellhaufen könnte anderen, jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als einmal Leben entstehen Mittel brauchest“ (Immanuel Kant: Grundlegung der Metaphysik der Sitten, 1785). Oder in den Worten Tannerts: „ Die willkürliche Herstellung erbidentischer Menschen – das reproduktive Klonen – verletzt die Autonomie eines Individuums und muss deshalb moralisch geächtet und rechtlich verboten werden.“ 22.01.2008 15:56 scienzz.com 2 von 4 http://www.scienzz.de/magazin/print70-6282.html Abgesehen von den ethischen Problemen, sehen viele Wissenschaftler unüberwindbare Schwierigkeiten für das Klonen aber auch bei der so genannten Epigenetik. Epigenetische Mechanismen scheinen die Gene zu beeinflussen ohne die DNA selbst zu verändern und bestimmen ob sie zur Ausprägung kommen oder nicht. Dolly, das erste geklonte Schaf, entwickelte schon wenige Jahre nach seiner Geburt Alterskrankheiten, die nicht bei seiner Erbgut-Spenderin gefunden werden konnten. Das weltweit erste Säugetier, das aus der Körperzelle eines erwachsenen Tieres geklont wurde, entstand durch die Methode des Zellkerntransfers. Bei diesem Vorgehen wurde das Erbgut in Form von DNA aus einer Körperzelle des Mutterschafes entnommen und in die Eizelle eines zweiten Schafes eingesetzt, dem zuvor der Zellkern entfernt worden war. Die Eizelle wurde dann in die Gebärmutter eines weiteren Schafes eingepflanzt. Da Dolly nur die DNA ihrer „Mutter“ erhalten hatte– und bei dieser keine Alterskrankheiten bekannt waren- konnten die Gene nicht der Grund sein für die Entwicklung der Symptome. Wissenschaftler nehmen an, dass subtile chemische Veränderungen am Genom dafür verantwortlich sind, die allerdings nicht die DNA-Sequenz selbst betreffen. Es scheint, dass epigenetische Marker für die Unterschiede zwischen Tochter- und Mutterschaf verantwortlich sind. Epigentische Informationen (das griechische Wort epi bedeutet auf, nach – oder auch „jenseits konventioneller Genetik“) stecken in Proteinen und niedermolekularen Substanzen, welche die DNA umgeben oder dort gebunden sind, z.B. den Methylisierungen der DNA. Methyl, bestehend aus Wasser- und Kohlenstoffatomen, dockt an Gene an und hemmt sie in steigendem Grade mit der Methylisierung. Aber auch andere Prozesse können ein Gen zur Ausprägung bewegen oder es bezähmen. Allein auf Grund dieser Mechanismen also scheint das Klonen schon nicht zu funktionieren. Allgemein werden nach Angaben des Nationalen Ethikrates (NER) bezogen auf die Methode des Kerntransfers, durchschnittlich in höchstens vier Prozent der Fälle Nachkommen in Tierversuchen geboren. Diese seien zusätzlich oft missgebildet, Vitalität und Lebenserwartung scheinen fragwürdig. Die Reprogammierungsfehler seien so zahlreich und zufällig verteilt, dass eine Beherrschung oder Korrektur ihrer Auswirkungen jedenfalls bis auf weiteres Babys vom Fließband unmöglich erscheint. Dabei bezieht sich der NER auf die gibt es sobald nicht Methode des Kerntransfers sowohl als auch auf die Methode des Embryosplittings. In letzterem Falle wird die natürliche Entstehung von eineiigen Zwillingen nachgeahmt. In einem sehr frühen Stadium werden die Zellen gesplittet und so zwei Organismen mit identischer Erbinformation erzeugt. Identische Mehrlinge können bei Tieren auch aus Embryonalen Stammzellen (ES-Zellen) hergestellt werden. Dabei werden ES-Zellen in fremde, behandelte Blastozysten – frühe Zellanhäufungen - injiziert. Damit entstehen Organismen die allein die DNA der ES-Zellen besitzen. Auf viel zu grossen Kinderschuhen stehend und mit dem schweren Rucksack ethischer Diskussionen belastet, scheint der Weg des menschlichen Klons also noch sehr weit, das Ziel vielleicht unerreichbar. Wie sieht es aber mit dem Klonen für biomedizinische Forschungszwecke aus? Christoph Tannert, Anhänger Immanuel Kants und Verfechter der Menschenwürde, sieht das Autonomieprinzip bei der Gewinnung embryonaler Stammzellen für das therapeutische Klonen nicht verletzt. Im Gegenteil könne das Klonen zu biomedizinischen Zwecken sogar moralisch geboten sein, wenn es dabei um zukünftige Heilverfahren gehe. Der Grund für seine deutliche Unterscheidung basiert vor allem auf seiner Grenzziehung des Menschwerdens. Und diese Frage scheint dann auch aller Diskussion Anfang und Ende. Ab wann ist ein Mensch mensch? Tannert unterscheidet einen Embryo und damit einen Menschen, von einem so genannten „Quasi-Embryo“, einer Vorstufe des mit der Mutter verbundenen Embryos wie er etwa durch In-Vitro Fertilisation oder Zellkernübertragung entsteht. Tatsächlich ist der Punkt der Einpflanzung des Embryos in den Körper seiner Mutter und damit der hormonalen und emotionalen Vernetzung für Tannert der Punkt an dem der Organismus zum Mensch wird. Damit scheint Tannert seiner Berufung als evangelischer Theologe zunächst nicht nachzukommen. Definiert doch die Kirche die Entstehung menschlichen Lebens als den Augenblick, in dem sich Samen und Ei vereinen, also den Punkt der Zellkern-Verschmelzung. Schon im Stadium der ersten Zellteilung besitze der Embryo die gleiche ethische Qualität wie ein Fetus in der vorgerückten Schwangerschaft. Zwar lässt die Kirche bei näherer Betrachtung für Forscher wie Tannert ein Hintertürchen offen - es mangele zum jetzigen Zeitpunkt an Wissen um eine ethische Bewertung aller Verfahren abzulehnen - doch verbrauchende Embryonen Forschung wurde abgelehnt, und 22.01.2008 15:56 scienzz.com 3 von 4 Tannert wäre damit doch zum Abtrünnigen stilisiert. http://www.scienzz.de/magazin/print70-6282.html Christof Tannert Das Experten auf allen Ebenen und aus allen Richtungen die Frage diskutieren, wann der Mensch zu dem wird was er ist, zeigt einmal mehr wie viel der Mensch über sich selbst weiß. Es ist die existenzielle Frage des Lebens und genau darum scheint die Diskussion die Herzen und Köpfe so vieler zu entflammen. Mit ungewöhnlicher Leidenschaft plädieren Experten für ihre Stellungen - und Einigungen werden selten erzielt. Und auch die gesetzliche Lage spiegelt dies wider. Nach deutschem Gesetz gilt als Embryo „bereits die befruchtete, entwicklungsfähige menschliche Eizelle vom Zeitpunkt der Kernverschmelzung an, ferner jede einem Embryo entnommene totipotente Zelle, die sich bei Vorliegen der dafür erforderlichen weiteren Voraussetzungen zu teilen und zu einem Individuum zu entwickeln vermag“. Totipotenz ist dabei die Fähigkeit zur Ganzheitsbildung eines Organismus. Ihr gegenüber stehen pluripotente Zellen, die sich zu jedem Zelltyp eines erwachsenen Organismus entwickeln können, im Gegensatz zu totipotenten Zellen aber nicht mehr in der Lage sind, komplette Organismen zu bilden. Auf Grund dieser Gesetzesvorlage wäre das Embryosplitting nicht erlaubt, die Methode des Kerntransfers allerdings strittig. Europäische und internationale Dokumente sind gleichermaßen offen. In einigen Ländern ist das Klonen für biomedizinische Forschungszwecke zugelassen. In Großbritannien beispielsweise dürfen Embryonen zu Forschungszwecken hergestellt werden. Allerdings ist die Forschung auf die ersten 14 Tage der Entwicklung beschränkt. Andere Länder wie Italien, Norwegen, Österreich oder die Schweiz haben das Klonen grundsätzlich verboten. In Deutschland ist die Herstellung von Embryonen nicht erlaubt, die Einführung aus anderen Ländern sowie die Forschung daran allerdings schon. Dies ist aus ersichtlichen Gründen fragwürdig. Der NER rät dann auch das Forschungsklonen in Deutschland gegenwärtig nicht zuzulassen. Der Grund dafür liege bei der angestrebten Zweckerfüllung der erzeugten Embryonen. Weder beim Klonen zu therapeutischen noch wissenschaftlichen Zwecken würde angestrebt werden, den Embryonen eine Entwicklungschance zu geben. Sie würden vielmehr zum Zwecke der Entwicklung neuer Ab wann ist der Mensch mensch? Behandlungsmethoden oder des wissenschaftlichen Erkenntnisgewinnes kurz nach ihrer Entstehung zerstört. Damit erfüllen diese beiden Zielsetzungen des Klonens eindeutig den Tatbestand der „Instrumentalisierung menschlichen Lebens“ und damit der Verletzung der Würde des Menschen. Auch die Hoffnung auf die Entwicklung von neuen Therapiemöglichkeiten könne weder die Herstellung und den Verbrauch menschlicher Embryonen für Forschungszwecke noch die Instrumentalisierung und Gefährdung von Frauen bei der Eizellspende legitimieren. Momentan liege die Erfolgsrate eingesetzter Eizellen bei unter 0.5 % und die Immunverträglichkeit sei noch lange nicht bewiesen. Sollten sich allerdings in der Forschung ethisch vertretbare Möglichkeiten ergeben, Stammzellen auch ohne die Verwendung von Embryonen zu gewinnen, seien solche Ansätze zu fördern. Adulte Stammzellen, entnommen aus dem Gewebe ausgereifter Organismen, scheinen die logische Konsequenz. Ihr großer Vorteil liegt, neben der ethischen Vertretbarkeit darin, dass man bei ihrer Verwendung keine Abstoßungsreaktionen des Immunsystems erwartet. Allerdings schienen sie sich bisher nicht in alle Zellen eines Organismus entwickeln zu können. Dennoch sprachen sich viele Wissenschaftler schon lange für die Verwendung adulter Stammzellen aus. Tannert erstellte 2004 eine Delphi-Studie, worin er Wissenschaftler, Kliniker und Begleitforscher zur Stammzelldebatte befragte. Die Forscher sprachen sich mehrheitlich für eine Verstärkung der Forschung vor allem mit adulten Stammzellen aus. Die Forschung mit embryonalen Stammzellen wurde zurückhaltender beurteilt. 22.01.2008 15:56 scienzz.com 4 von 4 http://www.scienzz.de/magazin/print70-6282.html Die Hoffnungen scheinen nun mit dem Ostergeschenk der Göttinger Forscher bestätigt. Die gefundenen spermatogonialen adulten Zellen besitzen vermutlich die gewollte Pluripotenz – die Fähigkeit sich in alle Zellen eines Organismus aus zu bilden, aber nicht mehr in den Organismus selbst. Nun sind die Forscher damit beschäftigt, die entsprechenden Stammzellen beim Menschen zu identifizieren. „Sollten die Ergebnisse am Menschen bestätigt werden, wären gleichzeitig das immunologische und das ethische Problem von menschlichen embryonalen Stammzellen gelöst“ erklärt Hasenfuss. Das Verfahren könnte dann allerdings vorerst nur bei Männern angewendet werden. Immerhin sei aber auch eine Weiterentwicklung denkbar. Im weiblichen Stammzellen aus den Hoden von Organismus hätte man ebenfalls Stammzellen Mäusen gefunden, die für die Produktion von Eizellen verantwortlich sind. Außerdem könnten die Zellen aus den Hoden theoretisch so verändert werden, dass auch Fremdspenden verträglicher wären. Und die Alternativen kommen nicht nur aus den Hodensäcken von Mäusen. Die adulte Stammzelltherapie hat eine belebte Vergangenheit. So wurden adulte Stammzellen schon aus Knochenmark, Fruchtwasser und dem Gehirn isoliert. Ein italienisches Team hat z.B. Gehirnstammzellen (aus dem Riechhirn) von erwachsenen Menschen isoliert, vermehrt, und als stabile Zell-Linien etabliert. Die Stammzellen konnten sich dann zu drei verschiedenen Nervenzellen weiter entwickeln. Die Forscher erhoffen sich völlig neue Perspektiven zur Behandlung von Parkinson-, Alzheimer-, oder Huntington-Patienten. Ob sich die Alternativen gegenüber den embryonalen Stammzellen etablieren können, bleibt allerdings ab zu warten. Ihre Vorteile keinerlei ethischer Konsequenzen und Immunverträglichkeit, stehen immer noch der größeren Differenzierbarkeit embryonaler Stammzellen gegenüber. Sollten allerdings Möglichkeiten wie die der gemauserten Stammzelle zu weiteren Erfolgen führen, hätte die Forschung einen neuen Hoffnungsträger. Mehr im Internet: Alternative aus dem Hodensack Tannert - Bioethik Diskurs Bereich Humanmedizin, Uni Göttingen Scienzz-Artikel zum Thema Epigenetik Stammzellenproblematik Klonen http://www.scienzz.de/magazin/art6282.html 22.01.2008 15:56