Functional Food - TA

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Zentrum für Technologiefolgen-Abschätzung beim
Schweizerischen Wissenschafts- und Technologierats
Technology Assessment Functional Food
Martina Menrad
Bärbel Hüsing
Klaus Menrad
Thomas Reiß
Sigrid Beer-Borst
Christoph Andreas Zenger
Juli 2000
Karlsruhe
Die vorliegende Studie wurde im Auftrag des Zentrums für TechnologiefolgenAbschätzung (TA) des Schweizerischen Wissenschafts- und Technologierats vom
Fraunhofer-Institut für Systemtechnik und Innovationsforschung (ISI), Karlsruhe,
Deutschland, durchgeführt.
Im Rahmen von Unteraufträgen wurde durch Frau Dipl. oec. troph. Sigrid BeerBorst ein Gutachten zu den gesellschaftlichen Aspekten von Functional Food und
von Herrn Dr. Christoph Zenger ein Gutachten zu den rechtlichen Fragen von
Functional Food erstellt, die in den vorliegenden Bericht integriert wurden.
Autorinnen und Autoren
des Berichts:
Dr. Klaus Menrad (Projektleitung bis zum 31.12.1999)
Dr. Thomas Reiß (Projektleitung seit 1.1.2000)
Dr. Bärbel Hüsing
Dr. Martina Menrad
Fraunhofer-Institut für Systemtechnik und
Innovationsforschung (ISI)
Breslauer Str. 48
D-76139 Karlsruhe
Dipl. oec. troph. (univ) Sigrid Beer-Borst
Projects in Nutritional Sciences (PRINS)
Lilienweg 64
CH-3098 Köniz
Dr. Christoph Andreas Zenger
Universität Bern
Programmleiter Weiterbildungsprogramm Gesundheitswesen
Sidlerstr. 6
CH-3001 Bern
Weitere Mitarbeiterinnen
am ISI:
Sekretariat:
cand. biol. Silke Sander
cand. Wi.-Ing. Yvonne Deffaa
Dipl.-Biol. Gregor Scheef
cand. biol. Stephanie Treß
Dipl.-Biol. Wigand Grabner
Ilse Gottschalg
Die verschiedenen Aspekte der vorliegenden Studie wurden von unterschiedlichen
Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen bearbeitet. Im Folgenden werden die
Hauptautoren und -autorinnen der einzelnen Kapitel dieses Berichtes aufgeführt:
1. Einführung in die Thematik und Zielsetzung der Studie
Klaus Menrad
2. Vorgehensweise und Methodik
Klaus Menrad, Martina Menrad, Sigrid Beer-Borst
3. Definition und Abgrenzung von Functional Food
Klaus Menrad, Bärbel Hüsing, Thomas Reiß
4. Stand und Perspektiven von Wissenschaft und Technik zur Bereitstellung und
Wirksamkeit von Functional Food
Martina Menrad, Bärbel Hüsing, Thomas Reiß
5. Potentiale von Functional Food zur Beeinflussung ernährungsabhängiger
Krankheiten
Martina Menrad, Klaus Menrad, Bärbel Hüsing
6. Wirtschaftliche Aspekte
Klaus Menrad, Thomas Reiß
7. Rechtliche Aspekte
Christoph Andreas Zenger, Klaus Menrad, Thomas Reiß
8. Gesellschaftliche Diskussion in der Schweiz
Sigrid Beer-Borst, Thomas Reiß
9. Zeithorizonte der zukünftigen Entwicklung
Martina Menrad, Klaus Menrad
10. Zusammenfassende Gesamtbeurteilung von Functional Food
Klaus Menrad, Bärbel Hüsing, Martina Menrad, Thomas Reiß, Sigrid BeerBorst, Christoph Andreas Zenger
11. Empfehlungen
Klaus Menrad, Bärbel Hüsing, Martina Menrad, Thomas Reiß, Sigrid BeerBorst, Christoph Andreas Zenger
Hinweise für den Leser und die Leserin
Das Ziel dieser Studie war die umfassende Aufarbeitung des Bereichs "Functional
Food" aus Sicht der Technologiefolgen-Abschätzung mit besonderer Schwerpunktsetzung auf der Situation in der Schweiz. Der vorliegende Bericht soll dabei sowohl
einen zusammenfassenden Überblick zu dieser Thematik vermitteln als auch Detailinformationen zu relevanten Teilbereichen liefern. Bei der Strukturierung des Berichtes wurde beiden Anforderungen Rechnung getragen. Dabei wurde darauf geachtet, dass die einzelnen Kapitel auch in sich die notwendigen Informationen für
eine umfassende Behandlung der jeweiligen Teilbereiche bereitstellen.
Eine zusammenfassende Gesamtbeurteilung aller TA-relevanten Aspekte von
Functional Food wird in Kapitel 10 gegeben. Darauf aufbauend werden in Kapitel 11 Handlungsempfehlungen abgeleitet. Detailinformationen zu verschiedenen
Teilbereichen von Functional Food werden in den Kapiteln 3 bis 9 des Berichtes
bereitgestellt. Die einzelnen Kapitel haben dabei die folgenden Schwerpunktsetzungen:
Kapitel 3:
Definition und Abgrenzung von Functional Food
Kapitel 4:
Stand von Wissenschaft und Technik, Wirksamkeit und Sicherheit
Kapitel 5:
Public Health-Aspekte: Auswirkungen auf den Gesundheitszustand der Bevölkerung
Kapitel 6:
Wirtschaftliche Fragen
Kapitel 7:
Rechtliche Situation
Kapitel 8:
Gesellschaftliche Diskussion in der Schweiz
Kapitel 9:
Zukünftige Entwicklung (Auswertung von Zukunftsstudien)
Inhaltsverzeichnis
Seite
Abbildungsverzeichnis ...........................................................................................viii
Tabellenverzeichnis ..................................................................................................ix
Zusammenfassung ..................................................................................................... I
Résumé ......................................................................................................................V
Summary ................................................................................................................. IX
1.
2.
3.
Einführung in die Thematik und Zielsetzung der Studie ...............................1
1.1
Einführung in Functional Food .........................................................1
1.2
Zielsetzung und Aufgabenstellung....................................................2
Vorgehensweise und Methodik .........................................................................5
2.1
Informationsbeschaffung und Sachstandanalyse...............................6
2.2
Charakterisierung der schweizerischen Situation..............................7
2.3
Integration und Bewertung..............................................................10
Definition und Abgrenzung von Functional Food.........................................13
3.1
Einführung.......................................................................................13
3.2
Situation in verschiedenen Ländern................................................14
3.3
Vergleich verschiedener Definitionen.............................................16
3.4
Arbeitsdefinition von Functional Food ...........................................18
ii
Seite
4.
Stand und Perspektiven von Wissenschaft und Technik zur
Bereitstellung und zur Wirksamkeit von Functional Food..........................21
4.1
Zielfunktionen von Functional Food...............................................21
4.1.1
Physiologie des Magen-Darm-Trakts..............................................21
4.1.2
Abwehr reaktiver Oxidantien..........................................................22
4.1.3
Herz-Kreislauf-System....................................................................23
4.1.4
Knochengesundheit .........................................................................23
4.1.5
Stoffwechsel von Makronährstoffen...............................................24
4.1.6
Wachstum, Entwicklung und Differenzierung................................26
4.1.7
Verhalten und Stimmung, geistige und körperliche
Leistungsfähigkeit ...........................................................................26
4.2
Potentiell relevante Inhaltsstoffe von Functional Food...................29
4.2.1
Probiotika ........................................................................................34
4.2.1.1
4.2.1.2
Definition und Funktion..................................................................34
Wirkung und Wirkungsmechanismus von Probiotika bei
der Krankheitsprophylaxe ...............................................................35
Sicherheitsaspekte ...........................................................................41
Herstellung, Gewinnung..................................................................43
Vorhandene Produkte ......................................................................46
Offene Fragen, Forschungsbedarf und sich abzeichnende
Entwicklungslinien..........................................................................47
4.2.1.3
4.2.1.4
4.2.1.5
4.2.1.6
4.2.2
Prebiotika.........................................................................................48
4.2.2.1
4.2.2.2
Definition und Funktion..................................................................48
Wirkungen und Wirkungsmechanismus von Prebiotika bei
der Krankheitsprophylaxe ...............................................................49
Sicherheitsaspekte ...........................................................................56
Herstellung, Gewinnung..................................................................56
Vorhandene Produkte ......................................................................58
Offene Fragen, Forschungsbedarf und sich abzeichnende
Entwicklungslinien..........................................................................60
4.2.2.3
4.2.2.4
4.2.2.5
4.2.2.6
4.2.3
Antioxidantien.................................................................................61
4.2.3.1
4.2.3.2
Definition und Funktion..................................................................61
Wirkungen und Wirkungsmechanismus von
Antioxidantien bei der Krankheitsprophylaxe.................................64
iii
Seite
4.2.3.3
4.2.3.4
4.2.3.5
4.2.3.6
Sicherheitsaspekte ...........................................................................70
Herstellung, Gewinnung..................................................................71
Vorhandene Produkte ......................................................................75
Offene Fragen, Forschungsbedarf und sich abzeichnende
Entwicklungslinien..........................................................................79
4.2.4
Sekundäre Pflanzeninhaltsstoffe .....................................................80
4.2.4.1
4.2.4.2
4.2.4.3
4.2.4.4
4.2.4.5
Definition und Funktion..................................................................80
Wirkungen und Wirkungsmechanismus von sekundären
Pflanzeninhaltsstoffen bei der Krankheitsprophylaxe .....................82
Sicherheitsaspekte ...........................................................................89
Vorhandene Produkte ......................................................................90
Offene Fragen und Forschungsbedarf.............................................93
4.2.5
Sonstige Wirkstoffgruppen..............................................................94
4.2.5.1
4.2.5.2
4.2.5.3
4.2.5.4
Strukturierte Lipide, mehrfach ungesättigte Fettsäuren,
Fettersatz- und -austauschstoffe ......................................................94
Bioaktive Peptide.............................................................................97
Mineralstoffe ...................................................................................98
Vitamine ........................................................................................100
4.3
Herstellung von Functional Food ..................................................102
4.3.1
Grundsätzliche Ansätze .................................................................102
4.3.2
Lebensmitteltechnologische Aspekte ............................................104
4.4
Nachweis der Wirksamkeit von Functional Food .........................107
4.4.1
Methoden zum Nachweis der Wirksamkeit von Functional
Food...............................................................................................108
4.4.2
Anforderungen an den wissenschaftlichen Nachweis der
Wirksamkeit von Functional Food ................................................110
4.4.3
Bewertung des derzeitigen Wissensstands zur Wirksamkeit
von Functional Food......................................................................112
4.4.4
Bedeutung des Wirksamkeitsnachweises für die
unternehmerische Praxis................................................................113
4.5
Sicherheitsaspekte .........................................................................113
4.6
Zusammenfassung.........................................................................118
iv
Seite
5.
6.
Potentiale von Functional Food zur Beeinflussung
ernährungsabhängiger Krankheiten............................................................123
5.1
Ernährungssituation in der Schweiz..............................................123
5.2
Übersicht über ernährungsabhängige Erkrankungen in der
Schweiz..........................................................................................125
5.3
Charakteristika ausgewählter ernährungsabhängiger
Erkrankungen................................................................................129
5.3.1
Herz-Kreislauf-Erkrankungen.......................................................130
5.3.2
Maligne Neubildungen (Krebs).....................................................134
5.3.3
Diabetes mellitus ...........................................................................139
5.3.4
Karies.............................................................................................140
5.3.5
Osteoporose ...................................................................................142
5.3.6
Übergewicht ..................................................................................144
5.3.7
Sonstige Krankheiten.....................................................................146
5.4
Zusammenfassende Betrachtung zum Beitrag von
Functional Food zu Public Health.................................................147
Wirtschaftliche Aspekte ................................................................................153
6.1
Markt für Functional Food ............................................................153
6.1.1
Generelle Marktentwicklung.........................................................153
6.1.1.1
6.1.1.2
6.1.1.3
6.1.1.4
6.1.1.5
Weltmarkt für Functional Food.....................................................153
Markt für Functional Food in USA...............................................155
Markt für Functional Food in Japan..............................................156
Markt für Functional Food in Europa............................................157
Wachstumsaussichten für Functional Food...................................159
6.2
Besonderheiten des Marktes für Lebensmittel in der
Schweiz..........................................................................................163
6.3
Markt für Functional Food in der Schweiz....................................164
6.3.1
Milchprodukte ...............................................................................166
6.3.2
Alkoholfreie Getränke ...................................................................172
6.3.3
Cerealien, Back- und Süßwaren....................................................175
v
Seite
7.
6.3.4
Sonstige Lebensmittel....................................................................179
6.4
Einflussfaktoren für zukünftige Marktentwicklung ......................181
6.4.1
Generelle Einflussfaktoren............................................................181
6.4.2
Bekanntheitsgrad von Functional Food.........................................182
6.4.3
Akzeptanz von Functional Food....................................................185
6.5
Anforderungen an erfolgreiche Akteure........................................187
6.6
Anforderungen an das Marketing von Functional Food................190
6.7
Zusammenfassende Bewertung.....................................................197
Rechtliche Aspekte .........................................................................................201
7.1
Überblick über Regelungen für Functional Food im
internationalen Rahmen.................................................................201
7.2
Kontrovers diskutierte Punkte .......................................................206
7.2.1
Regelungsbedarf............................................................................206
7.2.2
Regelungsgegenstand bzw. rechtliche Definition von
Functional Food.............................................................................206
7.2.3
Inhaltliche Ausrichtung der Regulierung ......................................208
7.2.4
Rolle der staatlichen Behörden und nichtstaatlicher
Instanzen........................................................................................213
7.3
Bestehende gesetzliche und untergesetzliche Regelungen
in der Schweiz mit Relevanz für Functional Food ........................214
7.3.1
Fehlen einer spezifischen Regelung für Functional Food .............214
7.3.2
Bedeutung der Zuordnung von Functional Food zur
Lebensmittel- oder Heilmittelgesetzgebung..................................216
7.3.3
Geltung und Reichweite der Lebensmittel- und der
Heilmittelgesetzgebung für Functional Food ................................217
7.3.4
Für Functional Food anwendbare Bestimmungen der
Lebensmittelgesetzgebung ............................................................225
7.3.5
Für Functional Food anwendbare Bestimmungen der
Heilmittelgesetzgebung.................................................................231
vi
Seite
8.
9.
7.4
Spielräume für die Regelung von Functional Food im
geltenden Verordnungs-, Gesetzes- und Verfassungsrecht...........235
7.4.1
Praxisänderungen innerhalb des geltenden
Verordnungsrechts.........................................................................236
7.4.2
Verordnungsänderungen innerhalb des geltenden
Gesetzesrechts ...............................................................................237
7.4.3
Gesetzesänderungen innerhalb des geltenden
Verfassungsrechts..........................................................................242
7.5
Zusammenfassung.........................................................................243
Gesellschaftliche Diskussion in der Schweiz................................................247
8.1
Beteiligungsverhalten der gesellschaftlichen Gruppen an
der Umfrage ...................................................................................247
8.2
Interessenlage verschiedener gesellschaftlicher
Gruppierungen...............................................................................250
8.2.1
Interessenvertretungen der Konsumenten.....................................250
8.2.2
Vertreter der Lebensmittel- und pharma zeutischen
Industrie.........................................................................................252
8.2.3
Handel............................................................................................255
8.2.4
Forschung und Wissenschaft.........................................................256
8.2.5
Private und öffentliche Institutionen im Gesundheitswesen.........259
8.2.6
Behördliche Institutionen..............................................................262
8.2.7
Politische Parteien.........................................................................263
8.3
Zusammenfassung.........................................................................264
Zeithorizonte der zukünftigen Entwicklung ................................................267
9.1
Zeitlicher Verlauf der Einführung von Functional Food...............270
9.1.1
Functional Food.............................................................................270
9.1.2
Rahmenbedingungen.....................................................................275
vii
Seite
9.2
Zeithorizonte von parallelen Entwicklungen mit Relevanz
für Functional Food .......................................................................278
9.3
Zusammenfassung.........................................................................282
10. Zusammenfassende Gesamtbeurteilung von Functional Food..................283
10.1
Definition und Abgrenzung von Functional Food.........................283
10.2
Stand und Perspektiven von Wissenschaft und Technik ...............284
10.3
Wirksamkeit und Sicherheit von Functional Food........................287
10.4
Wesentliche schweizerische Akteure im Bereich
Functional Food.............................................................................290
10.5
Wirtschaftliche Aspekte von Functional Food..............................291
10.6
Rechtliche Aspekte........................................................................295
10.7
Public Health-Effekte von Functional Food..................................298
10.8
Gesellschaftliche Aspekte .............................................................301
11. Empfehlungen.................................................................................................303
12. Literatur..........................................................................................................311
Anhang 1:
Gesetzliche Grundlagen..............................................................349
Anhang 2:
Mitglieder der Begleitgruppe .....................................................353
Anhang 3:
Befragte Experten........................................................................355
Anhang 4:
Antwortende Personen bzw. gesellschaftliche
Gruppierungen in der schriftlichen Befragung ........................357
viii
Abbildungsverzeichnis
Seite
Abbildung 2.1:
Struktur des Projektes "Technology Assessment
Functional Food"..........................................................................6
Abbildung 4.1:
Übersicht über verschiedene Typen von Bio markern,
die für die Messung von Effekten von Functional Food
eingesetzt werden können........................................................110
Abbildung 6.1:
Aufteilung von "funktionellen" (inklusive
angereicherten) Lebensmitteln auf Kontinente und
Segmente im Jahr 1996 ............................................................155
Abbildung 6.2:
Marktsegmentierung für Functional Food in Europa im
Jahr 1998 ..................................................................................158
Abbildung 6.3:
Segmente des Getränkemarktes mit Zusatznutzen...................173
Abbildung 6.4:
Zustimmung zur Anreicherung von Lebensmitteln mit
"funktionellen" Wirkstoffen im Jahr 1998 ...............................183
Abbildung 6.5:
Bewusstsein der amerikanischen Konsumenten über
den Zusammenhang zwischen bestimmten
Lebensmitteln und einer gesundheitsbewussten
Ernährung.................................................................................184
Abbildung 6.6:
Beurteilung von Functional Food in Deutschland im
Jahr 1998 ..................................................................................186
Abbildung 8.1:
Functional Food im Mittelpunkt der Interessen
verschiedener gesellschaftlicher Gruppierungen.....................248
ix
Tabellenverzeichnis
Seite
Tabelle 2.1:
Rücklaufstatistik nach gesellschaftlichen
Gruppierungen............................................................................10
Tabelle 2.2:
Rücklaufstatistik nach Antwortkategorien und
gesellschaftlichen Gruppierungen..............................................11
Tabelle 4.1:
Übersicht über Ansätze für Functional Food zur
Beeinflussung der Zielfunktion "Herz-KreislaufSystem".......................................................................................25
Tabelle 4.2:
Übersicht über Ansätze für Functional Food zur
Beeinflussung der Zielfunktion "Stoffwechsel von
Makronährstoffen".....................................................................27
Tabelle 4.3:
Übersicht über Ansätze für Functional Food zur
Beeinflussung der Zielfunktion "Wachstum,
Entwicklung und Differenzierung..............................................28
Tabelle 4.4:
Übersicht über Ansätze für Functional Food zur
Beeinflussung der Zielfunktion "Verhalten und
Stimmung, geistige und körperliche Leistungsfähigkeit"..........29
Tabelle 4.5:
Übersicht über Bestandteile von Functional Food und
ihre möglichen Wirkungen auf Körperfunktionen.....................32
Tabelle 4.6:
Postulierte und erwiesene Wirkungen von Probiotika ...............38
Tabelle 4.7:
Probiotische Bakterienarten und ihre Wirkungen......................39
Tabelle 4.8:
Übersicht über wünschenswerte Eigenschaften
probiotischer Mikroorganismen.................................................44
Tabelle 4.9:
Übersicht über ausgewählte, kommerziell erhältliche
probiotische Bakterienstämme ...................................................45
Tabelle 4.10:
Beispiele für auf dem Markt befindliche probiotische
Produkte (Stand Dezember 1999)..............................................47
Tabelle 4.11:
Eigenschaften von Nahrungsfasern allgemein im
Vergleich zu Inulin und Oligofructose im Hinblick auf
Funktionen im Verdauungstrakt.................................................50
Tabelle 4.12:
Oligosaccharide und selektive Förderung einzelner
Bakterienstämme........................................................................51
x
Seite
Tabelle 4.13:
Funktionelle Effekte von Prebiotika und potentielle
Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit ........................52
Tabelle 4.14:
Herstellung prebiotischer Oligosaccharide ................................58
Tabelle 4.15:
Beispiele für auf dem Markt befindliche Prebiotika
(Stand Dezember 1999)..............................................................59
Tabelle 4.16:
Antioxidantien, ihre Substrate und Wirkungsweise...................63
Tabelle 4.17:
Übersicht über die Art der wissenschaftlichen
Untersuchungen und jeweiligen Erkenntnisse zu den
Schutzwirkungen von Antioxidantien........................................65
Tabelle 4.18:
Überblick über Verfahren zur Herstellung von
Antioxidantien............................................................................72
Tabelle 4.19:
Beispiele für auf dem Markt befindliche Functional
Food mit Antioxidantien und Vitaminen in den USA
und Europa (Stand Dezember 1999) ..........................................76
Tabelle 4.20:
Beispiele für auf dem Markt befindliche Functional
Food mit Antioxidantien und Vitaminen in der Schweiz
(Stand Dezember 1999)..............................................................78
Tabelle 4.21:
Übersicht über sekundäre Pflanzeninhaltsstoffe und die
ihnen zugeschriebenen gesundheitlichen Wirkungen................82
Tabelle 4.22:
Beispiele für auf dem Markt befindliche Produkte mit
sekundären Pflanzeninhaltsstoffen in Nordamerika und
Europa (Stand Dezember 1999) ................................................91
Tabelle 4.23:
Beispiele für Produkte mit Pflanzenextrakten auf dem
Markt in der Schweiz (Stand Dezember 1999) ..........................93
Tabelle 4.24:
Übersicht über Fettersatz- und Fettaustauschstoffe ...................96
Tabelle 4.25:
Übersicht über mögliche Wirkungen bioaktiver
Proteine und Peptide...................................................................98
Tabelle 4.26:
Übersicht über Mineralstoffe, die als Bestandteile von
Functional Food in Betracht kommen........................................99
Tabelle 4.27:
Übersicht über Vitamine, die als Bestandteile von
Functional Food in Betracht kommen......................................100
Tabelle 4.28:
Übersicht über Lebensmitteltechnologien, die bei FuE
zu Functional Food und deren Herstellung angewendet
werden können.........................................................................106
xi
Seite
Tabelle 5.1:
Überblick über ernährungsabhängige Erkrankungen in
der Schweiz ..............................................................................126
Tabelle 5.2:
Potentiell verlorene Lebensjahre zwischen 1. und
70. Lebensjahr bei ernährungsabhängigen
Erkrankungen (Angaben bezogen auf das Jahr 1995)..............127
Tabelle 5.3:
Ausgaben im Gesundheitswesen in der Schweiz in
Mio. sFr. ...................................................................................128
Tabelle 5.4:
Mortalität bei Herz- Kreislauf-Erkrankungen (Stand
1995) ........................................................................................130
Tabelle 5.5:
Ansatzpunkte für Functional Food, die das Risiko von
Herz-Kreislauf-Erkrankungen verringern können...................133
Tabelle 5.6:
Überblick über Krebserkrankungen in der Schweiz.................137
Tabelle 5.7:
Prävalenz und Mortalität ernährungsabhängiger
Krankheiten in der Schweiz nach Geschlecht..........................138
Tabelle 6.1:
Wert des weltweiten Marktes für "funktionelle"
(inklusive angereicherter) Lebensmittel (in Mio. US$)...........154
Tabelle 6.2:
Marktanteil für probiotischen Joghurt in Europa im Jahr
1997..........................................................................................159
Tabelle 6.3:
Weltweit neu eingeführte Lebensmittel mit Angaben zu
gesundheitsrelevanten Produkteigenschaften...........................160
Tabelle 6.4:
Eigenschaften neu eingeführter Produkte in Europa von
1994 bis 1997 ...........................................................................161
Tabelle 6.5:
Abschätzung des Marktvolumens für Functional Food
in der Schweiz im Jahr 1999 ....................................................166
Tabelle 6.6:
Beispiele für in der Schweiz angebotene Milchprodukte
mit gesundheitsbezogenen Anpreisungen (Stand
Dezember 1999) .......................................................................168
Tabelle 6.7:
Beispiele für in der Schweiz angebotene Getränke mit
gesundheitsbezogenen Anpreisungen (Stand Dezember
1999) ........................................................................................174
Tabelle 6.8:
Beispiele von Cerealien, Back- und Süßwaren mit
gesundheitsbezogenen Anpreisungen in der Schweiz
(Stand Dezember 1999)............................................................177
xii
Seite
Tabelle 6.9:
Beispiele von sonstigen Lebensmitteln mit
gesundheitsbezogenen Anpreisungen in der Schweiz
(Stand Dezember 1999)............................................................180
Tabelle 6.10:
Bekanntheitsgrad von Functional Food in
verschiedenen Ländern im Jahr 1998.......................................182
Tabelle 6.11:
Wichtige Einflussfaktoren für den Erfolg von
Functional Food in den kommenden fünf Jahren.....................194
Tabelle 9.1:
Übersicht über ausgewertete Delphi-Studien...........................268
Tabelle 9.2:
Zeitraum der Verwirklichung für generelle Aussagen zu
Functional Food........................................................................272
Tabelle 9.3:
Zeitraum der Verwirklichung für Functional Food für
bestimmte Krankheiten bzw. Körperfunktionen......................273
Tabelle 9.4:
Zukünftige Marktentwicklung von Functional Food
nach Delphi-Studien.................................................................275
Tabelle 9.5:
Überblick über erwartete Zeiträume der Realisierung
von Zukunftsaussagen aus fünf Delphi-Studien zu den
Rahmenbedingungen der Entwicklung von Functional
Food .........................................................................................279
Tabelle 9.6:
Überblick über erwartete Zeiträume der Realisierung
von Zukunftsaussagen aus fünf Delphi-Studien zur
Prävention und Therapie ernährungsabhängiger
Erkrankungen...........................................................................281
Zusammenfassung
Unter Functional Food werden im Allgemeinen verarbeitete Lebensmittel verstanden, die nicht nur der Sättigung und Nährstoffzufuhr dienen, sondern dem Verbraucher einen Zusatznutzen versprechen, der in der Erhaltung bzw. Steigerung des körperlichen und seelischen Wohlbefindens sowie in der Verringerung des Risikos, an
ernährungsabhängigen Krankheiten zu erkranken, liegt. Die Wirkungen von Functional Food sollen von solchen Mengen ausgeübt werden, die normalen Verzehrgewohnheiten entsprechen. Functional Food scheinen erhebliche Potentiale für den
Erhalt und die Verbesserung der Gesundheit zu bergen und gleichzeitig der Lebensmittelindustrie neue Wachstumsmöglichkeiten zu eröffnen. Um diese Potentiale realisieren zu können, müssen geeignete Rahmenbedingungen und Voraussetzungen geschaffen werden. Die Wissensbasis für entsprechende Entscheidungen ist
derzeit noch gering. In diesem Bericht werden Stand und Perspektiven von Wissenschaft und Technik, Public-Health-Effekte, wirtschaftliche Aspekte, rechtliche Fragen sowie die gesellschaftliche Diskussion von Functional Food aufgearbeitet. Im
Mittelpunkt steht dabei die Situation in der Schweiz.
Functional Food enthalten bestimmte Inhaltsstoffe, die vor allem auf die Körperfunktionen Wachstum, Entwicklung und Differenzierung, Stoffwechsel von Makronährstoffen, Erhaltung der Knochengesundheit/Prävention von Osteoporose, Abwehr reaktiver Oxidantien, Herz-Kreislauf-System, Physiologie des Magen-DarmTrakts, sowie Verhalten und Stimmung, geistige und körperliche Leistungsfähigkeit
wirken. Die wichtigsten funktionellen Wirkstoffe sind derzeit Pro-, Pre- und Synbiotika, Antioxidantien, sekundäre Pflanzeninhaltsstoffe, strukturierte Lipide, mehrfach ungesättigte Fettsäuren, Fettersatz- und -austauschstoffe, bioaktive Peptide,
Nahrungsfasern, Vitamine und Mineralstoffe. Aktuell werden Functional Food vor
allem zur Prävention von Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Osteoporose sowie die
Beeinflussung der Magen-Darm-Gesundheit entwickelt.
Für die Herstellung von Functional Food kann ein breites Spektrum klassischer und
neuer Lebensmitteltechnologien genutzt werden. Gleichzeitig zeichnet sich ein Paradigmenwechsel in der Ernährungsforschung ab, indem die Wirkungen von Lebensmittelbestandteilen auf Körperfunktionen funktionell erforscht werden, und
dieses Wissen dazu genutzt wird, Qualitätseigenschaften von Lebensmitteln zu optimieren. Damit rückt die Ernährungsforschung enger an medizinische und pharmazeutische Forschungsarbeiten heran. Die forschungsintensiven Unternehmen der
Lebensmittelindustrie in der Schweiz sind auf diesen Paradigmenwechsel besser
vorbereitet als öffentliche Forschungseinrichtungen.
Die Analyse und Bewertung der Wirksamkeit und Sicherheit von Functional Food
sind zentrale Aspekte der aktuellen wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Diskussion. Die Industrie interessiert dabei vor allem, welche Anforderungen an den
2
wissenschaftlichen Nachweis der Wirksamkeit und Sicherheit eines Produktes gestellt werden, um seine besonderen gesundheitsfördernden Eigenschaften auch
werblich herausstellen zu dürfen. Hier besteht Forschungsbedarf zur Weiterentwicklung der Beurteilungsmethoden von Lebensmitteln und zur Aufklärung der
ihren Wirkungen zu Grunde liegenden Funktionen.
Die industrielle FuE-Landschaft im Bereich Functional Food ist in der Schweiz sehr
gut ausgebildet. Hierzu tragen vor allem die großen Unternehmen der Lebensmittelbzw. Life-Science-Industrie bei. Demgegenüber sind nur eine begrenzte Zahl öffentlicher Forschungseinrichtungen in diesem Bereich vertreten. Neue wissenschaftliche und technische Ansätze werden derzeit fast ausschließlich in der Ind ustrie angewendet. Somit zeichnet sich eine Know-how-Konzentrierung in der Ind ustrie ab. In der schweizerischen Hochschulausbildung existiert bisher kein Hauptstudiengang der Ernährungswissenschaften. An der ETH Zürich und an der Universität Lausanne gibt es einen Nachdiplomstudiengang für Ernährungswissenschaften.
Auch in der Medizinerausbildung ist Ernährung kein prüfungsrelevantes Fach. Die
für die Befassung mit Functional Food erforderliche Kombination von Medizin und
Ernährungswissenschaften wird somit vom wissenschaftlichen Ausbildungssystem
in der Schweiz derzeit nicht in erforderlichem Maße bereit gestellt.
Aufgrund unterschiedlicher Definitionen und Abgrenzungen ist eine zuverlässige
Marktabschätzung für Functional Food derzeit kaum möglich. Angaben zum Weltmarktsvolumen schwanken zwischen 10 Mrd. US$ und 22 Mrd. US$, wobei die
USA als wichtigster und dynamischster Markt einzuschätzen sind. Der europäische
Markt für Functional Food wird auf 1,4 bis 1,7 Mrd. US$ geschätzt. In der Schweiz
dürfte sich das Marktvolumen auf 250 bis 300 Mio. sFr. belaufen. Damit liegt sowohl in Europa als auch in der Schweiz der Marktanteil für Functional Food unter
1 % des Lebensmittelmarktes. Allerdings bietet der Markt für Functional Food interessante Wachstumschancen, die sowohl von den großen Lebensmittelkonzernen
als auch von kleinen und mittleren Lebensmittelunternehmen sowie Zulieferunternehmen genutzt werden können. Dabei dürfte es sich um einen nachhaltigen Trend
handeln, da zum einen Lebensmittelindustrie, -handel und Konsumenten sich für
dieses Segment interessieren und zum anderen dauerhafte gesellschaftliche Bedürfnisse und Entwicklungen (z. B. Verschiebung der Altersstruktur der Bevölkerung,
steigendes Interesse der Konsumenten für Fragen der Gesundheit und Ernährung)
Functional Food begünstigen. Ein Massenmarkt wird für Functional Food jedoch
auch zukünftig nicht erwartet, sondern eher ein Multinischenmarkt.
Functional Food bewegen sich in einer Übergangszone zwischen Lebensmitteln und
Heilmitteln. Diese Bereiche werden in der Schweiz traditionell getrennt geregelt
und unterliegen unterschiedlichen Regelungsregimes. Hierdurch entsteht eine Grauzone, in welcher große Unsicherheit herrscht. Die geltende Lebensmittel- und
Heilmittelgesetzgebung erlaubt es, alle Functional Food-Produkte zu erfassen. Aufgrund der unterschiedlichen inhaltlichen Anforderungen, Instanzen und Verfahren
3
für den Marktzugang von Produkten beider Gesetzgebungen, ist die Zuordnung von
Functional Food zu einem der beiden Regelungsregimes von großer praktischer
Bedeutung. Abgrenzungsprobleme stellen sich für Produkte mit Funktionen als
Mittel zur Prävention und/oder Gesundheitsförderung (Health Claims). Ihre Zuordnung hängt davon ab, ob ein Produkt zur Vorbeugung medizinisch definierter
Krankheiten oder Krankheitssymptome eingesetzt, gekennzeichnet oder angepriesen wird. In diesem Falle untersteht es der Heilmittelgesetzgebung, in allen übrigen
Fällen der Lebensmittelgesetzgebung. Diese Zuordnung wird derzeit in Einzelfallentscheidungen getroffen, wobei keine allgemein gültigen Kriterien vorliegen.
Auch in der gesellschaftlichen Diskussion spielt die rechtliche Regelung und die
Definition von Functional Food eine wesentliche Rolle. Die derzeit vorhandene
Unsicherheit erschwert dabei eine Einschätzung der Bedeutung dieser Produkte. Für
den künftigen gesellschaftlichen Umgang mit dem Thema Functional Food spielt
die Klärung von Regelungsfragen daher eine entscheidende Rolle.
Die wichtigsten ernährungsabhängigen Erkrankungen in der Schweiz sind HerzKreislauf-Erkrankungen, Krebs sowie verschiedene degenerative Erkrankungen.
Vergleicht man dieses Spektrum mit der Zielrichtung der angebotenen Produkte, so
zeigt sich, dass sich für wichtige ernährungsabhängige Erkrankungen wie z. B.
Krebs derzeit kaum Functional Food-Produkte in der Schweiz auf dem Markt befinden. Außerdem sind für wichtige Bevölkerungsgruppen, die z. T. Mangel- oder
Fehlernährungen aufweisen (wie z. B. ältere Menschen, Kinder und Jugendliche),
nur vereinzelte Functional Food-Produkte auf dem Markt.
Wenngleich Functional Food das Potential haben, im Rahmen einer gesunden, ausgewogenen Ernährung einen positiven Beitrag für die Gesundheit eines Individuums zu leisten, wird der gesamtgesellschaftliche Beitrag von Functional Food auf
die Kosten im Gesundheitswesen kurz- und mittelfristig als eher gering eingeschätzt. Gründe hierfür liegen im geringen Marktanteil von Functional Food sowie
dem Produktangebot, das nur teilweise auf die wichtigsten ernährungsabhängigen
Erkrankungen sowie Bevölkerungsgruppen mit Fehl- und Mangelernährung ausgerichtet ist. Zudem wird die Entwicklung vieler chronischer, ernährungsabhängiger
Erkrankungen durch ernährungsbedingte Risikofaktoren über einen relativ langen
Zeitraum beeinflusst. Ein abschließendes Urteil zu den langfristigen Wirkungen von
Functional Food auf das Auftreten ernährungsabhängiger Krankheiten und zu der
Kostenentwicklung im Gesundheitswesen in der Schweiz ist zum jetzigen Zeitpunkt
noch nicht möglich, da bislang zu vielen Einflussfaktoren nur bruchstückhafte Informationen vorliegen. Trotzdem zeichnet es sich bereits heute ab, dass Functional
Food nur ein Element unter mehreren sein werden, die zur Verbesserung des Ernä hrungs- und Gesundheitszustandes der Bevölkerung in der Schweiz beitragen können, und daher sinnvoll in ein Gesamtkonzept für eine ausgewogene Ernährung
eingebettet sein sollten.
4
Basierend auf den Ergebnissen dieser Untersuchung werden die folgenden Empfehlungen ausgesprochen:
•
Es wird empfohlen, die wissenschaftlichen Grundlagen zur Bewertung von
Funktion, Wirksamkeit und Sicherheit von Functional Food durch Unterstützung
entsprechender Forschungsarbeiten zu verbessern. Ebenso sollte die öffentliche
Forschungsinfrastruktur in diesem Bereich ausgebaut und die Ernährungsforschung gestärkt werden. Hierbei sollte insbesondere auf die Schnittstelle zw ischen Ernährung und Medizin Wert gelegt werden.
•
Um die künftige ökonomische Bedeutung von Functional Food besser einschätzen zu können, wird empfohlen, Untersuchungen zum Kauf- und Ernährungsverhalten bei Functional Food in der Schweiz zu initiieren.
•
Darüber hinaus sollte die Öffentlichkeit umfassend über das Thema Functional
Food und gesunde Ernährung informiert werden.
•
Um die derzeitige rechtliche Unsicherheit bezüglich Functional Food sowie die
Bewilligungs- und Kontrollpraxis zu verbessern, wird empfohlen, zwischen den
für die Lebensmittel- und für die Heilmittelkontrolle zuständigen Instanzen eine
effiziente Prozedur zur Klärung von Abgrenzungsproblemen einzurichten. Die
Öffentlichkeit sollte dabei regelmäßig über die geltende Rechtslage und die Zuordnung von Functional Food unterrichtet werden.
•
Weiterhin wird empfohlen, Functional Food nicht einem besonderen Regime im
Geltungsbereich der Lebensmittel- oder der Heilmittelgesetzgebung zu unterstellen, sondern diese Produkte aufgrund konkreter Merkmale differenziert zu erfassen. In der Lebensmittelverordnung sind die Sachbezeichnungen für Functional Food mit typischen Merkmalen festzulegen und für die entsprechenden
Gruppen die zulässigen Health Claims, die über Ernährungsanpreisungen (Nutrition Claims) hinausgehen und sich auf gesundheitsfördernde Wirkungen beziehen, allgemein zu umschreiben. Für Functional Food, die unter die Heilmittelgesetzgebung fallen, sind vereinfachte Registrierungsverfahren vorzusehen und die
zulässigen Health Claims, die nicht den Charakter von Arzneimittelanpreisungen
(Medical Claims) aufweisen, aber auf krankheitsverhütende Funktionen Bezug
nehmen, zu definieren.
5
Résumé
Par aliments fonctionnels (Functional Food) nous entendons communément des aliments préparés qui, au-delà de leur fonction purement alimentaire et nutritive, promettent aux consommateurs une utilité supplémentaire : le maintien, voire
l’amélioration du bien-être physique et psychique, ainsi que la diminution des risques de maladies liées à l’alimentation. Les effets des aliments fonctionnels doivent
provenir de quantités correspondant à des habitudes normales de consommation.
Les aliments fonctionnels semblent contenir un potentiel considérable dans le domaine du maintien et de l’amélioration de la santé, tout en offrant des possibilités
nouvelles de croissance pour l’industrie alimentaire. Afin d’exploiter ce potentiel, il
est nécessaire de créer un cadre et des conditions de réalisation adaptés. L’état actuel des connaissances nécessaires à la prise de décisions reste pour le moment relativement modeste. Dans le présent rapport sont présentés l’état et les perspectives
des sciences et techniques, les effets sur la Santé publique, les aspects économiques,
les questions juridiques, ainsi que les aspects socio-culturel concernant les aliments
fonctionnels. La situation de la Suisse se trouve au centre de cette étude.
Les aliments fonctionnels contiennent des substances qui agissent principalement
sur des fonctions du corps humain telles que la croissance, le développement et la
différenciation, le métabolisme macronutritiel, l’entretien osseux / prévention de
l’ostéoporose, la défense contre des oxydants réactifs, le système cardio-vasculaire,
la physiologie du système gastrique, ainsi que sur des facteurs mentaux et de comportement et les capacités intellectuelles et physiques. Les agents fonctionnels les
plus importants sont actuellement les probiotiques, prébiotiques et synbiotiques, les
antioxydants, des substances végétales secondaires, des lipides structurés, les acides
gras polyinsaturés, des matières grasses de substitution et de remplacement, des
peptides bio-actifs, les fibres alimentaires et les vitamines et minéraux. Actuellement, les aliments fonctionnels sont développés principalement pour la prévention
des maladies cardio-vasculaires, de l’ostéoporose et pour améliorer les fonctions
digestives.
Lors de la production d’aliments fonctionnels, il est possible de mettre en oeuvre
toute une palette de technologies alimentaires classiques et nouvelles. En même
temps, un changement de paradigme se profile dans la recherche nutritionnelle, à
travers l’étude fonctionnelle des effets d’éléments nutritionnels sur les fonctions du
corps humain, dont les résultats sont utilisés pour optimiser les qualités nutritionnelles des aliments. De cette manière la recherche nutritionnelle se rapproche
des travaux de recherche médicale et pharmaceutique. Les entreprises de l’industrie
alimentaire suisse, très actives dans le domaine de la recherche, se trouvent ainsi
mieux préparées à ce changement de paradigme que les institutions publiques de
recherche.
6
L’analyse et l’évaluation de l’efficacité et de la sécurité des aliments fonctionnels
sont au centre du débat scientifique et public actuel. L’industrie alimentaire
s’intéresse prioritairement à connaître le niveau d’exigence et de démonstration
scientifique de l’efficacité et de la sécurité d’un produit, qui conditionne
l’exploitation de caractéristiques bénéfiques pour la santé à des fins publicitaires. Là
précisément se fait sentir un réel besoin de recherche dans le développement de
méthodes d’évaluation de produits alimentaires et dans l’étude des fonctions qui
sont à la base de leurs actions.
Le paysage industriel de la recherche et du développement dans le domaine des
aliments fonctionnels est très bien développé en Suisse, grâce principalement aux
grandes entreprises de l’industrie alimentaire/life-science. En comparaison, le no mbre d’établissements publics de recherche dans ce domaine est limité. Des approches scientifiques et techniques nouvelles trouvent actuellement leurs applications
presque exclusivement dans la seule industrie. Une concentration de savoir-faire
dans l’industrie se profile. Dans les hautes écoles suisses, il n’existe pas pour le
moment de formation académique principale en nutrition humaine. L’Ecole polytechnique fédéral de Zürich et l’Université de Lausanne proposent une formation
postgrade en nutrition humaine. Dans le cadre de la formation des médecins, la nutrition humaine ne fait pas partie des épreuves. Le lien entre médecine et nutrition
humaine requis pour étudier les aliments fonctionnels n’est pas suffisamment fort
dans le système de formation suisse actuel.
En raison de définitions et de délimitations divergentes une estimation du marché
des aliments fonctionnels est difficile à l’heure actuelle. Les chiffres avancés pour
le volume commercial mondial oscillent entre 10 et 22 milliards de dollars US ; les
Etats-Unis étant à évaluer comme le marché le plus important et dynamique. Le
marché européen des aliments fonctionnels est estimé entre 1,4 et 1,7 milliards de
dollars US. Pour la Suisse, le volume commercial devrait se situer entre 250 et
300 millions de francs suisses. Ainsi, aussi bien en Europe qu’en Suisse, la part de
marché des aliments fonctionnels représente moins de 1 % du marché alimentaire.
Cependant, le marché des aliments fonctionnels offre des possibilités intéressantes
de croissance, qui pourraient être saisies par les grands trusts alimentaires, mais
aussi par les petites et moyennes entreprises et leurs fournisseurs. Il devrait s’agir
d’une tendance durable, puisque favorisée, d’une part, par l’intérêt que l’industrie et
le commerce alimentaires et les consommateurs portent à ce segment de marché, et,
d’autre part, par des besoins et des évolutions durables de la société (par exemple
les modifications de la structure de la pyramide des âges et l’intérêt croissant des
consommateurs pour des questions de santé et d’alimentation). Pour l’avenir, on ne
peut cependant s’attendre à un marché de masse, mais plutôt à un marché à niches
multiples.
Les aliments fonctionnels se situent dans une zone intermédiaire entre produits alimentaires et pharmaceutique. En Suisse, ces deux secteurs sont, traditionnellement,
7
réglementés séparément, et sont soumis à des régimes de réglementation différents.
D’où l’émergence d’une zone d’ombre où règne l’incertitude. La législation des
denrées alimentaires et celle des produits pharmaceutiques en vigueur permettent
d’inventorier tous les produits d’aliments fonctionnels. En raison de la différence
des exigences de fond, des instances et procédures d’autorisation de commercialisation de produits entre les deux types de législation, l’affiliation des aliments fonctionnels à l’un ou l’autre régime de réglementation présente des conséquences
d’ordre pratique significatives. Il se posent aussi des problèmes de délimitation pour
les produits à caractère préventif et/ou d’amélioration de l’état de santé (Health
Claims). Leur affiliation dépend de l’emploi, de l’étiquetage et du message publicitaire du produit ; s’ils s’articulent autour de la prévention de maladies ou de symptômes cliniquement définies, le produit est alors soumis à la législation pharmaceutique. Sinon, il est soumis à la législation alimentaire. Cette répartition est fait actuellement au cas par cas, et en absence de critères universellement valables.
Dans le débat public autour des aliments fonctionnels, leur réglementation juridique
et leur définition jouent un rôle majeur. L’actuelle incertitude rend difficile
l’évaluation de l’importance de ces produits. Dans le rapport futur de la société avec
le sujet des aliments fonctionnels, la clarification des questions de réglementation
jouera un rôle déterminant.
En Suisse, les maladies les plus fréquentes reliées à l’alimentation sont les maladies
cardio-vasculaires, les cancers et les maladies dégénératives. En comparant ce
spectre avec les visées des produits proposés, il s’avère que pour des maladies importantes telles que les cancers par exemple, il n’existe actuellement que très peu
d’aliments fonctionnels sur le marché suisse. Pareillement, pour des groupes de
population importants présentant parfois des carences nutritives ou des déséquilibres alimentaires (comme par exemple des personnes âgées, des enfants et des
adolescents), il n’existent que quelques produits isolés d’aliments fonctionnels sur
le marché.
Bien que les aliments fonctionnels offrent la possibilité d’avoir, dans le cadre d’une
alimentation saine et équilibrée, un effet positif sur la santé individuelle, l’apport
des aliments fonctionnels en matière de dépenses de Santé publique à court et à
moyen terme est évalué comme modeste. Les raisons sont à chercher dans
l’étroitesse de la part de marché et dans une gamme de produits proposés ne répondant que partiellement aux besoins liés aux maladies nutritionnelles les plus courantes et à certains groupes de la population pouvant présenter des carences et déséquilibres alimentaires. De plus, dans beaucoup de maladies chroniques nutritiodépendantes, l’influence des facteurs de risques conditionnés par l’alimentation
s’étale sur une durée relativement longue. Il est impossible pour l’heure de se prononcer définitivement sur les effets à long terme des aliments fonctionnels sur la
fréquence de maladies nutritiodépendantes et sur l’évolution des dépenses de Santé
publique en Suisse, puisque nous ne disposons sur un bon nombre de facteurs que
8
d’informations incomplètes. Cependant, on peut observer dès à présent que les aliments fonctionnels ne seront qu’un élément parmi d’autres à pouvoir contribuer à
une amélioration de l’état nutritionnel et de la santé de la population suisse, et que,
pour cette raison, ils devront être englobés dans un plus ample projet en faveur
d’une alimentation équilibrée.
Se référant aux résultats de cette étude, les recommandations suivantes peuvent être
prononcées :
•
Il est conseillé d’améliorer les bases scientifiques d’évaluation des fonctions, de
l’efficacité et de sécurité des aliments fonctionnels, en encourageant des travaux
de recherche adéquats. De même, il paraît nécessaire d’élargir l’infrastructure
publique de recherche dans ce domaine et de renforcer la recherche nutritionnelle. Sur ce dernier point, il importe de valoriser en priorité le recoupement
entre la médecine et la nutrition humaine.
•
Afin de pouvoir mieux évaluer l’impact économique futur des aliments fonctionnels, il est conseillé de lancer des études sur les habitudes d’achat et
d’alimentation des Suisses.
•
De plus, il importe d’informer largement le public au sujet des aliments fonctionnels et d’une alimentation saine.
•
Afin de lutter contre l’incertitude juridique actuelle et d’améliorer les procédures
d’autorisation et de contrôle, il est conseillé d’instaurer une procédure efficace
entre les instances de contrôle du ressort alimentaire et du ressort pharmaceutique permettant de traiter des cas marginaux. Le public devrait alors être tenu
régulièrement au courant de l’évolution de la situation légale et de la classification des aliments fonctionnels.
•
Par ailleurs, il est conseillé de ne pas soumettre les aliments fonctionnels à un
régime particulier dans le domaine d’application de la législation alimentaire ou
pharmaceutique, mais plutôt de recenser ces produits de façon différenciée à
l’aide de caractéristiques concrètes. Dans la législation des denrées alimentaires,
les dénominations des aliments fonctionnels sont à fixer d’après des caractéristiques typiques, et les assertions de santé (Health Claims) des catégories de produits correspondantes allant au-delà de l’assertion nutritionnelle (Nutrition
Claims) et proposant des effets bénéfiques sur la santé sont à circonscrire d’une
manière générique. Pour les aliments fonctionnels relevant de la législation
pharmaceutique, il est souhaitable de prévoir des procédures d’enregistrement
simplifiées et de définir l’admissibilité des assertions de santé (Health Claims)
sans caractère d’allégation médicale (Medical Claims) mais se référant à des
fonctions préventives de maladies.
9
Summary
In general, Functional Food is perceived as processed food which not only feeds
consumers, but promises additional benefits related to the preservation and improvement of physical and mental well-being as well as reducing the risk of falling
ill with nutrition-related diseases. These effects of Functional Food are achieved by
consuming quantities which correspond to normal consumption habits. Functional
Food seems to have high potentials to preserve and improve the health of consumers as well as to open new growth opportunities for the food industry. In order
to realise these potentials, it is necessary to create adequate framework conditions.
The knowledge base for such decisions is rather limited at present. Therefore the
present status and future perspectives in science and technology, public health effects, economic aspects, legal questions as well as the social debate concerning
Functional Food are presented in this report, focusing on the situation in Switzerland.
Functional Food contains specific ingredients, which have an effect on the metabolic functions growth, development and differentiation, metabolism of macro nutrients, preservation of bone health/prevention of osteoporosis, resistance to reactive
oxidative species, cardiovascular system, physiology of the gastrointestinal tract as
well as behaviour, mental and physical fitness. Currently, the most important functional ingredients are pro-, pre- and synbiotics, antioxidants, secondary plant metabolites, structured lipids, polyunsaturated fatty acids, fat replacers and substitutes,
bioactive peptides, fibres, vitamins and minerals. At present, Functional Food products are mainly developed to prevent cardiovascular diseases and osteoporosis as
well as to influence gastrointestinal health.
A wide range of traditional and new technologies can be used for the production of
Functional Food. At the same time a change of paradigm emerges in nutritional
science: the effects of food components on specific metabolic functions are analysed functionally in order to use this knowledge to optimise the quality characteristics of food. In this sense nutritional science is moving closer to medical and
pharmaceutical research. The R&D intensive companies of the food industry in
Switzerland are better prepared for this change of paradigm than public research
institutions.
The analysis and assessment of the efficacy and safety of Functional Food are major
aspects in the current scientific and social debate in this area. Industrial companies
are particularly interested in the requirements related to the scientific proof of efficacy and safety of a food product, which have to be fulfilled in order to use specific
health-supporting characteristics in advertising and marketing. There is substantial
need for research in this area in order to further develop the assessment methods of
10
food and to clarify the metabolic mechanisms which influence a specific function of
food products.
The industrial R&D landscape in the Functional Food area is well developed in
Switzerland, mainly due to the large food industry and life science companies. In
contrast, only few public research institutions are active in this area. Currently, new
scientific and technical approaches are used almost exclusively by industrial companies. Therefore, the problem of know-how concentration in industry might
emerge in future. At present, there is no opportunity to do master studies in nutritional science in Switzerland. A post-graduate course in human nutrition is offered
at the Swiss Federal Institute of Technology Zurich and the University of Lausanne.
In addition, nutrition is not an exam subject in the medical faculty. Therefore, the
combination of medical and nutritional knowledge which is required for dealing
with Functional Food is currently not offered to the necessary extent by the scientific education system in Switzerland.
Due to different definitions it is hardly possible to estimate the exact, current market
volume of Functional Food. Information concerning the global market volume
ranges between 10 bn. US$ and 22 bn. US$, with the USA being assumed as the
most important and dynamic market. The European market for Functional Food is
estimated at between 1.4 bn. US$ and 1.7 bn. US$. The respective market volume
in Switzerland might total around 250 m SFr. to 300 m SFr. This equals for a market share for Functional Food of less than 1 % of the total food and beverages market in Europe as well as in Switzerland. However, the market for Functional Food
offers interesting growth opportunities which can be used by multinational foodprocessing companies, small and medium-sized companies of the food industry as
well as food ingredient suppliers. It is assumed that Functional Food represents a
long-lasting trend since the food industry, food retailers and consumers are interested in this type of food and long-term social developments and needs (e. g. ageing
population, increasing interest of consumers in health and nutritional aspects) favour Functional Food. However, it is not expected that Functional Food will develop into a bulk market but will remain a multi-niche market.
Functional Food is positioned in a transitional zone between food and pharmaceuticals. In Switzerland, these areas are traditionally regulated by separate institutions
and are subject to different regulation regimes, so that a kind of "grey zone" with a
high level of uncertainty emerges. The existing legislation in the food and pharmaceutical area covers all Functional Food products. The classification of single Functional Food products to one of the two categories is of high practical relevance due
to the fact that the factual prerequisites, authorities and procedures related to market
entrance of products differ between these two legislation areas. Definition problems
exist for products with functions aiming to prevent nutrition-related diseases and/or
to support health ("health claims"). The classification of a specific product in this
field depends on whether the product is used, labelled or recommended for the pre-
11
vention of medically defined diseases or disease symptoms. In this case the product
is subject to pharmaceutical legislation, in all other cases it is subject to food legislation. Currently, this classification is based on case-by-case decisions for which no
generally valid criteria exist.
Legal aspects and the definition of Functional Food are major topics in the social
debate in Switzerland. The currently existing uncertainty in this respect complicates
the assessment of the relevance of these products. Therefore the clarification of legal questions plays a significant role for the future dealing with the topic Functional
Food in society.
In Switzerland, the most important nutrition-related diseases are cardiovascular diseases, cancer and several degenerative diseases. If this spectrum of diseases is compared with the target functions of offered products, it can be seen that hardly any
Functional Food products are currently available on the market in Switzerland for
important nutrition-related diseases (like e. g. cancer). Furthermore, only very few
Functional Food products are available for important population groups which
partly show nutritional deficiencies or malnutrition (like e. g. elderly people, children and teenagers).
Although Functional Food has the potential to contribute positively to the health of
an individual, the influence of Functional Food on the public healthcare costs in the
short and medium term is considered as being rather limited. Reasons for this assessment are the small market share of Functional Food as well as the product range
available on the market which is only partly focused on the most important nutrition-related diseases and population groups with nutritional deficiencies and malnutrition. In addition, the development of most chronic, nutrition-based diseases is
influenced by food-related risk factors over a rather long period of time. Therefore
it is not possible at this moment to assess definitely the long-term effects of Functional Food on the incidence of nutrition-related diseases and the cost development
in the healthcare system in Switzerland, since only fragmentary information is
available for most of the influential factors. Nevertheless, it can be assumed at present that Functional Food will be only one of several elements which might contribute towards improving the nutrition and health status of the population in Switzerland. Therefore, Functional Food should be embedded in a senseful way in a comprehensive plan for well-balanced nutrition in Switzerland.
12
Based on the results of this study, the following recommendations are made:
•
It is recommended to support research activities aiming to improve the scientific
basis for assessment of function, efficacy and safety of Functional Food. In addition, research infrastructure in public institutions should be improved in this area.
Nutritional research activities should be strengthened in Switzerland, with particular focus on the interface between nutrition and medicine.
•
In order to better assess the future economic relevance of Functional Food, it is
recommended to initiate research projects to analyse the purchasing and nutrition
behaviour related to Functional Food in Switzerland.
•
Furthermore, the public should be informed comprehensively about Functional
Food and health-related nutrition.
•
In order to remove the current uncertainty concerning regulation as well as the
practice of market approval and control of Functional Food it is recommended to
establish an effective procedure to clarify definition problems between the
authorities which are responsible for control activities in the food and pharmaceutical area. In this context the public should be regularly informed about the
legal status and classification of Functional Food.
•
It is also recommended to conceive Functional Food with the help of precise
characteristics in a differentiated way but to avoid to establish a specific directive
for this type of food within the existing food and pharmaceutical legislation. It is
necessary to define the valid nomenclature of Functional Food with the help of
typical characteristics within the existing food directive. In addition, the allowed
health claims (which go beyond nutrition claims and refer to health-supporting
effects) should be indicated in a general way for the defined groups of Functional
Food. It is recommended to use simplified registration procedures for Functional
Food which is covered by pharmaceutical legislation and to define the allowed
health claims which do not have the character of medical claims, but refer to disease-preventing functions.
13
1.
Einführung in die Thematik und Zielsetzung der
Studie
1.1
Einführung in Functional Food
Derzeit erleben Lebensmittelprodukte einen Boom, die nicht nur der Sättigung und
der Nährstoffzufuhr dienen, sondern dem Konsumenten einen Zusatznutzen versprechen, der in der Steigerung des körperlichen und seelischen Wohlbefindens
liegt. Eine allgemein akzeptierte Abgrenzung und Definition dieser Produkte liegt
bisher noch nicht vor, als Sammelbegriff hat sich Functional Food eingebürgert.
Functional Food sollen Bestandteile enthalten, die eine oder mehrere Körperfunktionen so beeinflussen, dass davon positive Wirkungen ausgehen können (Goldberg
1994).
Functional Food sollen bestimmten ernährungsabhängigen Erkrankungen vorbeugen, ihr Auftreten verzögern oder ihren Verlauf günstig beeinflussen können. Beispiele für diese Krankheiten umfassen Herz-Kreislauf-Erkrankungen, verschiedene
Krebsformen, Kohlenhydratstoffwechselstörungen wie z. B. Diabetes sowie Erkrankungen, die vor allem im Alter auftreten: Osteoporose, grauer Star und Arthritis
(Harkki und Miller 1998). Ernährungsabhängige Erkrankungen sind ein wichtiger
Kostenfaktor im Gesundheitswesen und tragen beispielsweise in Deutschland zu
knapp einem Drittel aller Kosten im Gesundheitswesen bei (Kohlmeier et al. 1993).
Functional Food als Bestandteil einer richtigen oder gesunden Ernährung beinhalten
prinzipiell die Möglichkeit, zur Verringerung und Prävention ernährungsabhängiger
Erkrankungen beizutragen und damit positive Public Health-Effekte bewirken zu
können. Somit scheint es sich bei Functional Food um eine Entwicklung zu ha ndeln, von der einzelne Konsumenten bzw. Patienten, die Lebensmittelwirtschaft und
die Gesellschaft gleichermaßen profitieren können.
Diesen erwarteten positiven Effekten stehen jedoch auch kritische Einschätzungen
gegenüber. Die europäische Lebensmittelwirtschaft weist beispielsweise darauf hin,
dass in den USA und Japan in den letzten Jahren gute Rahmenbedingungen und
Voraussetzungen für die Vermarktung von Functional Food geschaffen worden
seien, indem öffentliche Forschungsprogramme zur Untersuchung der wissenschaftlichen Grundlagen der Funktionen und gesundheitlichen Wirkungen von
Functional Food aufgelegt wurden und gleichzeitig gesetzlich geregelt worden sei,
wie mit den Gesundheitswirkungen von Functional Food geworben werden dürfe.
Die Rahmenbedingungen in Europa werden im Vergleich hierzu ungünstiger eingeschätzt und entsprechende gesetzliche Regelungen befänden sich erst noch in der
14
Entwicklung. Organisationen, die Konsumenten- und Patienteninteressen vertreten,
befürchten eine Täuschung und Irreführung der Konsumenten, Unternehmensvertreter eine Begünstigung unlauteren Wettbewerbs, wenn mit Gesundheitsaussagen
für Functional Food uneingeschränkt geworben werden dürfe. Diese Bedenken berufen sich auf die Einschätzung von Ernährungs- und Gesundheitswissenschaftlern,
die die Wirksamkeit und Unbedenklichkeit von Functional Food derzeit als wissenschaftlich nicht ausreichend abgesichert erachten oder diesen Lebensmitteltyp als
überhaupt unnötig ansehen.
Eine der zentralen strittigen Fragen ist, welche Anforderungen an die wissenschaftliche Fundierung und den Nachweis der Wirksamkeit und Unbedenklichkeit der
Functional Food vor ihrer Vermarktung zu stellen sind. Sollen hierbei ähnlich wie
bei Heilmitteln klinische Prüfungen und Zulassungsverfahren als Voraussetzung für
eine Vermarktung von Functional Food gefordert werden? Falls die Entwicklung in
diese Richtung geht, auf welche Weise kann dann die traditionell wenig fo rschungsintensive Lebensmittelindustrie diesen Anforderungen überhaupt gerecht
werden?
Insgesamt stellt sich Functional Food als eine Entwicklung an der Schnittstelle zwischen Ernährung und Medizin dar, die erhebliche Potentiale für den Erhalt und die
Verbesserung der individuellen und kollektiven Gesundheit zu bergen scheint und
zudem einem wichtigen Wirtschaftszweig Wachstumsmöglichkeiten bieten könnte.
Um diese Potentiale tatsächlich realisieren zu können, müssen jedoch geeignete
Rahmenbedingungen und Voraussetzungen vorliegen, die offenbar erst noch geschaffen werden müssen. Gleichzeitig scheint die Wissensbasis, auf der derartige
Entscheidungen getroffen werden könnten, nicht auszureichen. Insbesondere liegen
widersprüchliche Aussagen über die Wirksamkeit von Functional Food vor.
Die Ernährungsindustrie ist der viertgrößte Industriezweig in der Schweiz. Wichtige
internationale Lebensmittelkonzerne mit Interesse an Functional Food haben ihren
Hauptsitz in der Schweiz. Milchprodukte bilden ein wichtiges Marktsegment innerhalb der schweizerischen Lebensmittelindustrie. Probiotische Sauermilchprodukte
als Functional Food haben auch in der Schweiz bereits beträchtliche Marktanteile
erzielt. Somit sind schon alleine aus wirtschaftlichen Erwägungen Functional Food
ein wichtiges Thema für die Schweiz. Hinzu kommen die skizzierten medizinischen, ernährungsphysiologischen, rechtlichen und gesellschaftlichen Aspekte.
1.2
Zielsetzung und Aufgabenstellung
Ziel des Projektes ist es, die Thematik Functional Food unter Technology Assessment-Gesichtspunkten umfassend aufzuarbeiten und in einem Bericht zusammenzufassen, der wissenschaftlichen Ansprüchen genügt. Dieser Bericht soll als Basis zur
15
Information einer breiteren Öffentlichkeit dienen, Empfehlungen zum weiteren
Umgang mit diesem Thema geben und Maßnahmen vorschlagen, wie diese Thematik breiter in der Öffentlichkeit diskutiert werden kann. Damit soll das Projekt auch
einen Beitrag zur Diskussion einer möglichen Änderung der für Functional Food
relevanten rechtlichen Rahmenbedingungen in der Schweiz leisten.
Dabei soll untersucht werden,
•
inwieweit Functional Food das Potential einlösen können, zum Erhalt und zur
Steigerung der individuellen Gesundheit beizutragen,
•
ob Functional Food geeignet sind, der schweizerischen Lebensmittelindustrie
günstige Entwicklungsmöglichkeiten zu eröffnen,
•
welche Auswirkungen sie auf die Kosten im schweizerischen Gesundheitswesen
haben können,
•
welche Auffassungen verschiedene gesellschaftliche Gruppen und Akteure gegenüber Functional Food vertreten,
•
welche Rahmenbedingungen und Voraussetzungen in der Schweiz erfüllt sein
sollten, damit die positiven Wirkungen von Functional Food entfaltet, mögliche
schädliche Wirkungen aber vermieden werden können,
•
welcher Handlungsbedarf sich daraus in der Schweiz ergibt und
•
welche Empfehlungen sich für die weitere Vorgehensweise in der Schweiz ableiten lassen.
Um im Sinne einer probleminduzierten Technologiefolgenabschätzung eine vergleichende Gegenüberstellung unterschiedlicher Optionen vornehmen zu können,
wäre es eigentlich erforderlich, nicht nur Functional Food, sondern auch die Vie lzahl alternativer Entwicklungspfade, die zur Steigerung und zum Erhalt des körperlichen und seelischen Wohlbefindens beitragen können, systematisch aufzuarbeiten.
Im begrenzten Rahmen dieses Projektes war dies jedoch nicht erschöpfend und
durchgängig möglich. Entsprechende Informationen zu alternativen Optionen wurden jedoch, soweit möglich, miterhoben, um damit eine Grundlage für Empfehlungen zu legen, ob und in welcher Weise weiterführende Arbeiten und Diskussionsprozesse in der Schweiz alternative Optionen zu Functional Food aufgreifen sollten.
Zu Functional Food liegen in der internationalen Fachliteratur bereits zahlreiche
aktuelle Publikationen vor. Im Mittelpunkt stehen dabei zumeist der Stand von Wissenschaft und Technik, Marktfragen und rechtliche Regelungen, wohingegen die
Wirksamkeit dieser Lebensmittel, ihre Auswirkungen auf die Kosten im Gesundheitswesen sowie gesellschaftliche Fragen weniger thematisiert werden. Außerdem
werden in der Regel nur einzelne Gruppen von Functional Food behandelt, auf eine
Gesamtschau aber häufig verzichtet. Generell handelt es sich bei den vorliegenden
Untersuchungen zumeist um retrospektive, technik- oder ökonomiezentrierte Ansät-
16
ze, die in der Regel nicht auf die spezifischen Verhältnisse in der Schweiz ausgerichtet sind. Vor diesem Hintergrund war es das erklärte Ziel des Projektes, konzeptionell über die vorliegenden Untersuchungen zu Functional Food hinauszugehen, indem
•
vorliegende Ergebnisse von Untersuchungen zur Technikvorausschau mit einbezogen werden,
•
eine umfassende Bewertung der Themenstellung Functional Food vorgenommen
wird, wobei insbesondere auch Wirksamkeitsfragen, Public Health-Effekte und
gesellschaftliche Fragen berücksichtigt werden,
•
deutlich zwischen schweizspezifischen und international wirksamen Einflussfaktoren und Bewertungen unterschieden wird.
17
2.
Vorgehensweise und Methodik
Um den konzeptionellen Zielsetzungen des Projektes, der Berücksichtigung der
Technikvorausschau und der Differenzierung zwischen schweizspezifischen sowie
international wirksamen Einflussfaktoren und Bewertungen, gerecht zu werden,
gliedert sich das Projekt in vier Teile:
Der 1. Projektteil umfasst die Beschaffung, Systematisierung und Aufarbeitung der
relevanten Informationen sowie die Technikvorausschau. Im 2. Projektteil wurden
die schweizspezifischen Aspekte herausgearbeitet. Im 3. Projektteil erfolgte eine
Integration und Gesamtbewertung der einzelnen Untersuchungslinien und die Herausarbeitung der schweizspezifischen, generellen und international wirksamen Einflussfaktoren und Bewertungen. Daraus wurden im 4. Projektteil Handlungsempfehlungen für die Schweiz abgeleitet.
Insgesamt umfasst das Projekt sieben Untersuchungslinien:
•
Definition und Abgrenzung von Functional Food,
•
Stand und Perspektiven von Wissenschaft und Technik zur Bereitstellung von
Functional Food,
•
Stand und Perspektiven von Wissenschaft und Technik zur Wirksamkeit von
Functional Food,
•
Auswirkungen von Functional Food auf die Kosten im Gesundheitswesen (Public Health-Aspekte),
•
Ökonomische Aspekte,
•
Rechtliche Aspekte,
•
Gesellschaftliche Aspekte.
Die Struktur des Projektes ist in Abbildung 2.1 dargestellt.
Das Projekt wurde von einer Begleitgruppe aus Wissenschaft, Industrie, Ernä hrungsberatung, Verbraucherverbänden und Administration begleitet, deren Besetzung in Anhang 2 wiedergegeben wird. Das Projektteam berichtete in halbtägigen
Sitzungen im März 1999, August 1999, Dezember 1999 und April 2000 über den
jeweiligen Stand des Projektes auf der Basis von zuvor erstellten Arbeitspapieren
und diskutierte die vorläufigen Ergebnisse mit der Begleitgruppe. Auf der letzten
Sitzung im April 2000 wurde der Entwurf des Endberichts besprochen.
18
Abbildung 2.1:
Struktur des Projektes "Technology Assessment Functional
Food"
Analyselinien
Definition
Wissenschaftlich/
technische
Aspekte
Wirksamkeit
Public Health
Aspekte
Ökonomische
Aspekte
Rechtliche
Aspekte
Gesellschaftliche
Aspekte
Informationsbeschaffung und Sachstandanalyse
Charakterisierung der Schweizerischen Situation und Sicht Schweizerischer Akteure
Integration der Analyselinien und Gesamtbewertung
Empfehlungen
2.1
Informationsbeschaffung und Sachstandanalyse
Für den ersten Projektteil, die Sachstandanalyse, wurde die relevante Fachliteratur,
aktuelle graue Literatur und Statistiken zur Lebensmittelindustrie bzw. zum Lebensmittelmarkt durch manuelle und Online-Literaturrecherchen identifiziert, beschafft und ausgewertet.
Zur Abschätzung künftiger Entwicklungstrends von Functional Food wurden im
Rahmen der Sachstandanalyse auch Untersuchungen zur Technikvorausschau ausgewertet. Als einer der besten methodischen Ansätze hierfür hat sich in den letzten
Jahren international die Delphi-Methode etabliert. Das spezifische Charakteristikum
des Delphi-Verfahrens sind zwei sogenannte "Runden" (Cuhls und Blind 1998a, b).
Von Fachkommissionen erarbeitete Zukunftsthesen werden in Form eines Fragebogens einer großen Anzahl an Experten – dies sind in der Regel ausgewiesene Wissenschaftler in Hochschulen, außeruniversitären Forschungseinrichtungen, der Industrie sowie Behörden – zur Bewertung vorgelegt. Dabei wird der jeweilige Expertenstatus für jede einzelne Zukunftsthese durch eine Selbsteinschätzung des einzelnen Experten abgefragt. Die schriftlichen Antworten der Befragten, die sich
19
selbst als ausreichend kenntnisreich einschätzen, werden statistisch ausgewertet und
denselben Personen noch einmal zugeschickt. In dieser zweiten Runde sollen die
Experten ihre Antworten unter dem Einfluss der Einschätzungen ihrer Fachkollegen
noch einmal überdenken und ihre Meinung ändern – oder auch nicht. Das DelphiVerfahren nutzt dabei auf der einen Seite gruppendynamische Prozesse, gewährleistet aber auf der anderen Seite Anonymität. Dies hat den Vorteil, dass sich Meinungsführer nicht einfach durchsetzen, wie dies z. B. bei verbalen Gruppendiskussionen häufig der Fall ist. Im Delphi-Verfahren werden zunächst einmal alle Antworten gleich gewichtet und es gibt ein Feedback auf schriftlichem Wege (zur Methode siehe insbesondere Häder und Häder 1995; Seeger 1979; Wechsler 1978;
Becker 1974; Kerksieck 1972).
Da spezifische Delphi-Befragungen zur zukünftigen wissenschaftlich-technischen
Entwicklung in der Schweiz nicht vorliegen, wurden Informationen über die mögliche künftige Entwicklung von Functional Food, den Rahmenbedingungen der Entwicklung sowie alternativer Möglichkeiten der Prävention und Therapie ernä hrungsabhängiger Erkrankungen durch die Auswertung der jeweils aktuellsten verfügbaren Delphi-Studien aus Deutschland (BMFT 1993, Cuhls et al. 1998, Menrad
et al. 1999), Italien (Menrad et al. 1999), Japan (NISTEP 1997) sowie Großbritannien gewonnen (Loveridge et al. 1995), die zwischen 1993 und 1997 durchgeführt
wurden. Ein Überblick über die Charakteristika der ausgewerteten DelphiBefragungen wird in Kapitel 9 gegeben.
Die Literatur- und Delphi-Analysen wurden durch Informationen ergänzt, die im
Rahmen der Experteninterviews für die folgenden Projektteile gewonnen wurden.
2.2
Charakterisierung der schweizerischen Situation
Im Mittelpunkt des zweiten Projektteiles stand die Charakterisierung der schweizerischen Situation und die Bewertung der Problematik durch schweizerische Akteure. Hierzu wurden einerseits leitfadengestützte persönliche Interviews mit
40 Experten aus 16 unterschiedlichen Organisationen in der Schweiz durchgeführt,
die in Anhang 3 wiedergegeben sind. Zum anderen wurden schriftliche Stellungnahmen in einem breiten Kreis betroffener gesellschaftlicher Gruppen in der
Schweiz eingeholt.
Zur Erfassung des Meinungsspektrums wurde eine rein qualitative Erhebungsmethode gewählt. Mitte Mai 1999 wurde eine nicht repräsentative Stichprobe von insgesamt 307 Schweizer Personen und Institutionen (sog. Akteure) der folgenden
20
gesellschaftlichen Gruppierungen1 schriftlich um eine Stellungnahme zum Thema
Functional Food gebeten:
•
Interessenvertretungen der Konsumenten
•
Produzenten und Produzentenvereinigungen
•
Groß- und Einzelhandel sowie Handelsverbände
•
Forschung und Wissenschaft (Grundlagen- und angewandte Forschung)
•
Private und öffentliche Institutionen im Gesundheitswesen
•
Behörden (Gesetzgebungs- und Kontrollinstanzen)
•
Politische Parteien
•
Medien
Die Zusammenstellung der Liste relevanter Akteure berücksichtigte Nennungen
durch das Zentrum für Technologiefolgen-Abschätzung (TA) des Schweizerischen
Wissenschafts- und Technologierates, Mitglieder der Begleitgruppe und persönliche
Kontakte, Internetrecherchen, Literatur- und Presseauswertungen, sowie Auswertungen vorhandener Adressenverzeichnisse.
In einem Anschreiben wurden die ausgewählten Akteure über den Auftraggeber, die
Projektleitung und Projektgruppe sowie Hintergrund, Zielsetzung und Ablauf des
Projektes Functional Food informiert. Sie wurden gebeten, dem ISI eine schriftliche
Stellungnahme zum Thema Functional Food aus der Sicht ihrer Institution zuzustellen, um die von ihnen vertretenen Standpunkte und Interessen zur Problematik
in das Projekt einzubringen. Es wurde ebenfalls darüber informiert, dass die Ergebnisse der Auswertung der eingehenden Stellungnahmen in die Sachstandsanalyse,
die Bewertung und die Empfehlungen des Abschlussberichtes des Projektes einfließen werden. Das Zentrum Technologiefolgen-Abschätzung des Schweizerischen
Wissenschafts- und Technologierates fügte dem Anschreiben ein Empfehlungsschreiben mit der Bitte um Beteiligung an der Umfrage bei.
Die angesprochenen Akteure wurden gebeten, sich bei der Erarbeitung ihrer Stellungnahme an den folgenden bewusst offen formulierten Fragen zu orientieren, sofern diese für ihre Institution von Relevanz sind:
•
Sind Functional Food ein relevantes Thema für Ihre Institution? Warum? Was
versteht Ihre Organisation unter Functional Food? Können Sie Beispiele für typ ische Produkte geben, die in der Schweiz erhältlich sind?
•
In welcher Weise und in welchem Umfang hat sich Ihre Institution bereits mit
dem Thema Functional Food beschäftigt?
1 Einzelne Akteure können prinzipiell mehreren Gruppierungen zugeordnet werden.
21
•
Welche Zielsetzung verfolgt Ihre Organisation bezüglich Functional Food? Welches sind hierbei die wichtigsten Aspekte für Ihre Institution?
•
Zu welchen (Zwischen-)Ergebnissen und Einschätzungen ist Ihre Organisation
bislang gekommen? Warum? Welche Gesichtspunkte hat Ihre Institution noch
nicht abschließend beurteilt oder beurteilen können?
•
In welcher Weise will sich Ihre Organisation in Zukunft mit dem Thema Functional Food befassen?
•
Wie schätzt Ihre Organisation die derzeitige und zukünftige Bedeutung von
Functional Food ein?
•
Welchen Informations- und Handlungsbedarf sieht Ihre Organisation?
•
Welche Maßnahmen erscheinen aus Sicht Ihrer Organisation notwendig bzw.
geeignet, um die gesellschaftliche Auseinandersetzung über Functional Food in
der Schweiz zu fördern?
Anfang Juli 1999, nach ca. 8 Wochen, wurde ein Erinnerungsschreiben an jene
Akteure versandt, von denen noch keine Antwort eingegangen war. Der Rücklauf
der Antworten wurde Mitte Oktober 1999 abgeschlossen.
Die Auswertung der eingegangenen Sendungen erfolgte unter Berücksichtigung
folgender Antwortkategorien:
(1) Keine Stellungnahme, jedoch kurze begründete Absage.
(2) Weiterleitung der Unterlagen oder Empfehlung eines geeigneten Ansprechpartners zur Stellungnahme.
(3) Detaillierte Stellungnahme.
Rücklaufstatistik der schriftlichen Befragung
Es wurden 307 Akteure in allen Landesteilen der Schweiz und im Fürstentum
Liechtenstein angeschrieben. Insgesamt gingen 178 Antwortschreiben ein, was einer guten Antwortrate von 58 % entspricht. Die Namen der antwortenden Personen
und Institutionen sind in Anhang 4 aufgeführt. Tabelle 2.1 gibt eine Übersicht der
Zugehörigkeit der Antwortenden zu den einzelnen gesellschaftlichen Gruppierungen. Vertreter aller angeschriebenen Gruppierungen haben auf die Bitte zu einer
schriftlichen Stellungnahme reagiert. Der prozentuale Anteil der Antworten durch
Vertreter der einzelnen Gruppierungen entspricht im Wesentlichen dem des Versandes.
22
Tabelle 2.1:
Rücklaufstatistik nach gesellschaftlichen Gruppierungen
Anzahl
Anteil
Angeschrieben total (inkl. Weiterleitungen)
307
100 %
Antworten total
178
58 %
Interessenvertretungen der Konsumenten
20
11 %
Produzenten und Produzentenvereinigungen
19
11 %
8
5%
Forschung und Wissenschaft
(Grundlagen- und angewandte Forschung)
46
26 %
Private und öffentliche Institutionen im
Gesundheitswesen
54
30 %
Behörden (Gesetzgebungs- und Kontrollinstanzen)
25
14 %
Politische Parteien
4
2%
Medien
2
1%
Von 178 Antworten (= 100 %):
Groß- und Einzelhandel sowie Handelsverbände
Tabelle 2.2 zeigt die detaillierte Rücklaufstatistik nach Antwortkategorien und gesellschaftlichen Gruppierungen. Bezogen auf das Total von 178 Antworten, gaben
52 Akteure (29 %) keine Stellungnahme ab, 39 (22 %) leiteten die Unterlagen intern
oder extern weiter oder empfahlen einen geeigneteren Ansprechpartner, und 87
(49 %) nahmen ausführlich Stellung. Auch die begründeten Absagen und Weiterleitungen lieferten wichtige Hinweise auf die aktuelle Situation und das in der
Schweiz vorherrschende Meinungsbild im Bereich Functional Food.
2.3
Integration und Bewertung
Im dritten Projektteil wurden die in den beiden ersten Projektteilen erhobenen Informationen systematisiert, integriert und bewertet. Auf dieser Basis wurden Empfehlungen für den künftigen Umgang mit Functional Food in der Schweiz formuliert.
Tabelle 2.2:
Rücklaufstatistik nach Antwortkategorien und gesellschaftlichen Gruppierungen
Rücklauf nach Antwortkategorie 1)
Gesellschaftliche Gruppierungen
Gesamtzahl Antworten
1
Anzahl
3
Anteil Anzahl Anteil Anzahl
Anteil
20
6
30 %
2
10 %
12
60 %
Produzenten und Produzentenvereinigungen
19
3
16 %
2
10 %
14
74 %
Groß- und Einzelhandel sowie Handelsverbände
8
1
12.5 %
1
12.5 %
6
75 %
Forschung und Wissenschaft (Grundlagen- und angewandte Forschung)
46
18
39 %
5
11 %
23
50 %
Private und öffentliche Institutionen im Gesundheitswesen
54
13
24 %
18
33 %
23
43 %
Behörden (Gesetzgebungs- und Kontrollinstanzen)
25
9
36 %
10
40 %
6
24 %
Politische Parteien
4
1
25 %
0
0%
3
75 %
Medien
2
1
50 %
1
50 %
0
0%
178
52
29 %
39
22 %
87
49 %
1
2
3
Keine Stellungnahme, jedoch kurze begründete Absage.
Weiterleitung der Unterlagen oder Empfehlung eines geeigneten Ansprechpartners zur Stellungnahme.
Detaillierte Stellungnahme.
23
Interessenvertretungen der Konsumenten
Anteil von Gesamtrücklauf
1)
2
25
3.
Definition und Abgrenzung von Functional Food
3.1
Einführung
Bislang existiert keine einheitliche, eindeutige und allgemein anerkannte Definition
und Abgrenzung (zu den herkömmlichen Lebensmitteln) von Functional Food. In
der internationalen Fachliteratur sind zahlreiche Termini für Functional Food im
Gebrauch (z. B. nutraceuticals, designer foods, healthy foods, pharmafoods, hypernutrious foods), die oftmals synonym verwendet werden. Einige Autoren unterscheiden allerdings auch zwischen diesen Begriffen und versuchen Abgrenzungen
vorzunehmen.
Eine Übereinstimmung aller bestehenden Definitionen zu Functional Food besteht
darin, dass ein solches Produkt einen zusätzlichen Nutzen für den Konsumenten
aufweisen soll, der über die reine Sättigung, die Zufuhr von Nährstoffen und die
Befriedigung von Genuss und Geschmack hinausgeht. Dieser Zusatznutzen besteht
in einer Verbesserung des individuellen Gesundheitszustandes oder des Wohlbefindens bzw. in einer Verringerung des Risikos, an bestimmten Krankheiten zu erkranken.
Eine sehr breite Definition wird von Goldberg (1994) gegeben: Functional Food
kann generell jedes Lebensmittel sein, das zusätzlich zu seinem ernährungsphysiologischen Wert einen positiven Einfluss auf die Gesundheit eines Individuums, dessen physische Leistungsfähigkeit oder dessen Gemütszustand ausübt. Es handelt
sich um ein Lebensmittel (nicht um eine Kapsel, Tablette oder Pulver), das aus natürlich vorkommenden Inhaltsstoffen besteht. Es kann und soll als Teil der normalen Kost verzehrt werden. Es hat eine bestimmte Funktion im Hinblick auf die Regulation spezifischer Körperfunktionen, wie z. B. Verbesserung der biologischen
Abwehrfähigkeit, Prävention ernährungsabhängiger Erkrankungen, Rekonvaleszenz
von bestimmten Erkrankungen, Einflüsse auf die physische und mentale Verfassung
oder Verlangsamung des Alterungsprozesses. Dieser Definition zufolge könnten
sämtliche Lebensmittel, die nachweislich einen positiven Einfluss auf den Stoffwechsel ausüben, zu Functional Food gezählt werden, wobei nicht zwischen unbehandelten und verarbeiteten Lebensmitteln unterschieden wird (Groeneveld 1998b).
26
3.2
Situation in verschiedenen Ländern
Als bislang einziges Land hat Japan eine rechtsverbindliche Definition des Begriffes Functional Food in der Gesetzgebung verankert (Groeneveld 1998b). Sie werden dort als Kategorie "Food of Specific Health Use" (FOSHU) geführt. Das Ministry of Health and Welfare versteht darunter verarbeitete Lebensmittel mit Zutaten,
die in Ergänzung zu den ernährungsphysiologischen Eigenschaften spezifische
Körperfunktionen anregen. Des weiteren müssen diese Lebensmittel "echte" Lebensmittel sein, d. h. keine Tabletten, Kapseln oder Pulver. Sie müssen aus natürlich vorkommenden Zutaten stammen und können bzw. sollen als Teil der täglichen
Kost verzehrt werden (Groeneveld 1998b). Weitgehend identisch zu der japanischen Sichtweise ist die Definition, die von der Australia and New Zealand Food
Authority gegeben wird (Pascal 1996, Groeneveld 1998b).
Das in den USA vorherrschende Begriffsverständnis zu Functional Food wird durch
die Definition des Institute of Medicine der National Academy of Sciences verdeutlicht: Functional Food sind solche, bei denen die Konzentrationen von einem oder
mehreren Inhaltsstoffen modifiziert sind, um ihren Beitrag zu einer gesunden Ernährung zu verbessern. Laut dieser Festlegung könnten zwar viele nährstoffmodifizierte (z. B. fettreduzierte) Produkte zu Functional Food gezählt werden, nicht aber
Lebensmittel mit hohen natürlichen Konzentrationen an gesundheitlich bedeutsamen Inhaltsstoffen (Glinsmann 1996). Darüber hinaus besteht in den USA die Te ndenz, auch sogenanntes designer food zu den Functional Food zu zählen, also beispielsweise Fettersatzstoffe wie Olestra (Groeneveld 1998b).
Das kanadische Bureau of Nutrition Science definiert Functional Food als solche,
die im Erscheinungsbild gewöhnlichen Lebensmitteln gleichen, als Teil der normalen Ernährung verzehrt werden und über die Nährstofffunktion hinaus einen nachgewiesenen physiologischen Nutzen haben und/oder das Risiko einer chronischen
Erkrankung reduzieren. Eine deutliche Abgrenzung wird gegenüber solchen Substanzen vorgenommen, die zwar aus Lebensmittelinhaltsstoffen produziert, aber in
Form von Tabletten oder Pulvern verkauft und nicht mit der gewöhnlichen Nahrung
aufgenommen werden. Diese Substanzen werden als nutraceuticals bezeichnet
(Glinsmann 1997).
In Europa wurde im Rahmen einer von der Europäischen Kommission geförderten
und vom International Life Science Institute (ILSI), Brüssel, koordinierten konzertierten Aktion (FUFOSE-Projekt) von 1995 bis 1998 ein auf wissenschaftlichen
Erkenntnissen beruhender Ansatz für Functional Food entwickelt. Allerdings fassen
die an diesem Projekt beteiligten Wissenschaftler Functional Food eher als ein
Konzept, weniger als eine wohldefinierte Gruppe von Lebensmitteln auf. Daher
wird eine Arbeitsdefinition gegenüber einer festen Definition bevorzugt (Diplock
et al. 1999). Dieser Arbeitsdefinition zufolge können Lebensmittel als Functional
Food angesehen werden, wenn hinreichend bewiesen ist, dass sie eine oder mehrere
27
Körperfunktionen so beeinflussen, dass davon positive Wirkungen auf den Gesundheitszustand und das Wohlbefinden und/oder auf die Verringerung des Erkrankungsrisikos ausgehen. Functional Food müssen Lebensmittel sein, und die Wirkungen müssen von solchen Mengen ausgeübt werden, die normalen Verzehrsgewohnheiten entsprechen. Sie sind keine Pillen oder Kapseln, sondern Bestandteil
einer normalen Ernährungsweise (Diplock et al. 1999). Lebensmittel können auch
als Functional Food angesehen werden, wenn sie einen Lebensmittelbestandteil (sei
es ein Nährstoff oder nicht) enthalten, der eine oder mehrere Körperfunktionen so
beeinflusst, dass davon positive Wirkungen ausgehen oder der physiologische oder
psychologische Effekte hervorruft, die über die Nährstoffzufuhr hinausgehen (Roberfroid 1998ab, b). Darunter können auch Lebensmittel gefasst werden, aus denen
ein oder mehrere potentiell schädliche Bestandteile auf technologischem Wege
entfernt worden sind (Diplock et al. 1999).
Im Rahmen des FUFOSE-Projektes wurden fünf verschiedene Ansätze definiert, die
verfolgt werden können, um Lebensmittel "funktionell" zu machen (Roberfroid
1998ab, b):
(1) Entfernung eines Lebensmittelbestandteils, der unerwünschte Effekte ausübt,
(2) Erhöhung der Konzentration eines natürlichen, bereits enthaltenen Lebensmittelbestandteils auf Werte, die die erwarteten Wirkungen auslösen,
(3) Zusatz von Stoffen, die in den meisten Lebensmitteln normalerweise nicht
vorkommen,
(4) Substitution eines Lebensmittelbestandteiles, dessen (übermäßiger) Verzehr
unerwünschte Effekte hat durch einen ernährungsphysiologisch günstiger beurteilten Bestandteil,
(5) Verbesserung der Bioverfügbarkeit von Lebensmittelinhaltsstoffen, die günstige Wirkungen ausüben.
Der Begriff Functional Food bzw. funktionelles Lebensmittel ist im Schweizerischen Lebensmittelrecht (LMG, LMV) derzeit nicht existent (Brügger 1999, vgl.
auch Kap. 7). Trotzdem können solche Produkte in der Schweiz auf den Markt gebracht werden, sofern sie hinsichtlich Zusammensetzung, Verwendungszweck und
Kennzeichnung (die auch die Anpreisungen beinhaltet) dem Gesundheits- und Tä uschungsschutz Rechnung tragen. Demgegenüber sind "Speziallebensmittel" in der
Schweiz definiert als Lebensmittel, "die aufgrund ihrer Zusammensetzung oder des
besonderen Verfahrens ihrer Herstellung entweder a) den besonderen Ernährungsbedürfnissen von Menschen entsprechen, welche aus gesundheitlichen Gründen
eine andersartige Kost benötigen oder b) dazu beitragen, bestimmte ernährungsphysiologische Wirkungen zu erzielen" (Brügger 1999). Derzeit sind 19 "Speziallebensmittel" in der Schweiz definiert (z. B. eiweißarme Lebensmittel, glutenfreie
Lebensmittel).
28
3.3
Vergleich verschiedener Definitionen
Beim Vergleich der Definitionen fallen z. T. deutliche Unterschiede auf, die an den
Extrembeispielen Japan und USA am eindruckvollsten erläutert werden können.
Die Definitionen der anderen Nationen siedeln sich zwischen diesen Extrempolen
an. In Japan müssen Inhaltsstoffe von Functional Food natürlichen Ursprungs sein,
während in den USA synthetisch hergestellte Ingredienzien ebenfalls Bestandteil
von Functional Food sein können. Offenbar basieren die verschiedenen Sichtweisen
auf der geographische Herkunft sowie dem damit verbundenen kulturellen Verständnis für Lebensmittel. In Ostasien ist die Bevölkerung aus Tradition mit dem
Gedanken vertraut, dass bestimmte Lebensmittel positiv auf die Gesundheit wirken,
und in einigen Fällen sogar therapeutisch genutzt werden können. Vor diesem Hintergrund ist es verständlich, dass das Vertrauen in natürliche Heilsubstanzen in
Asien sehr ausgeprägt ist.
Im Gegensatz dazu entwickelte sich in den USA der Trend zu Functional Food aus
der Fitnesswelle heraus. So gelten dort beispielsweise isotonische Sportgetränke als
erste Vorläufer von Functional Food. Des weiteren erfreuen sich in den USA seit
den siebziger Jahren auch hochdosierte Mineral- und Vitaminpräparate, die als Tabletten oder Dragees zusätzlich zur Nahrung verzehrt werden, großer Beliebtheit
(Glinsmann 1996). Somit ist in der US-amerikanischen Bevölkerung das Verständnis verankert, dass synthetische Produkte, die zusätzlich zur Nahrung verzehrt werden, einer gesunden Ernährung zuträglich sind. Dieser Sichtweise folgend können
in den USA im Gegensatz zu Japan auch synthetisch hergestellte Inhaltsstoffe Bestandteil von Functional Food sein (Groeneveld 1998b).
Den verschiedenen Definitionen folgend, handelt es sich bei Functional Food um
Produkte, die – ebenso wie Nahrungsergänzungen und diätetische Lebensmittel –
im Grenzbereich zwischen Lebensmitteln und Pharmazeutika anzusiedeln sind, aber
diesen gegenüber abgrenzbar sind. Nahrungsergänzungen sind Produkte, die in
Form von Kapseln, Tabletten, Pulvern oder Trinkampullen angeboten werden. Sie
enthalten meist einen oder mehrere Inhaltsstoffe (z. B. Vitamine oder Mineralstoffe)
in konzentrierter Form. Allerdings darf in der Tagesportion höchstens der Tagesbedarf an diesen Stoffen enthalten sein. Aufgrund der "Darreichungsform" sollten aber
Functional Food relativ deutlich von Nahrungsergänzungen abgrenzbar sein, da sie
gerade nicht als Tabletten, Kapseln oder Pulver vorliegen sollten. Ebenso können
Functional Food vom Konzept her von Medical Food, welches nur unter ärztlicher
Aufsicht verzehrt werden darf (Hasler 1996, Murthy 1997) und diätetischen Lebensmitteln unterschieden werden, die den speziellen medizinischen Ernährungsbedürfnissen im Krankheitsfall entsprechen (Murthy 1997), während Functional Food
der Prävention ernährungsabhängiger Krankheiten dienen sollen.
Obwohl aus ökonomischen und rechtlichen Gründen eine international abgestimmte
und vergleichbare Definition und Abgrenzung von Functional Food notwendig er-
29
scheint, bereiten vor allem die folgenden Punkte Schwierigkeiten bei der eindeut igen Abgrenzung dieser Lebensmittel (Groeneveld 1998b):
•
Handelt es sich bei Functional Food ausschließlich um verarbeitete Lebensmittel
oder können auch unbehandelte (nicht verarbeitete) Lebensmittel dazugezählt
werden?
•
Welche Wirkstoffe werden berücksichtigt? Sollen nur natürlicherweise vorkommende Inhaltsstoffe berücksichtigt werden und dürfen diese modifiziert werden?
Können weitere Substanzen zugesetzt werden? Dürfen diese synthetischen Ursprungs sein?
•
Wie können Functional Food von angereicherten Lebensmitteln unterschieden
werden?
Ein wichtiges Kriterium für die Definition und Abgrenzung von Functional Food
scheint zu sein, dass deren spezifischer gesundheitlicher Nutzen definiert und auch
angepriesen wird. Lebensmitteln, denen von Natur aus ein größerer gesundheitlicher Nutzen innewohnt als andere oder mit spezifisch ernährungsphysiologisch
nützlichen Stoffen angereicherte Lebensmittel sind zwar z. T. schon seit Jahrzehnten bekannt und auf dem Markt, doch wurden nur in Einzelfällen die gesundheitsbezogenen Wirkungen explizit angepriesen (z. B. jodiertes und fluoridiertes Kochsalz). Demgegenüber wird bei den in den letzten Jahren in den Markt eingeführten
Functional Food die jeweilige gesundheitliche Wirkung auf der Verpackung und in
zusätzlichen Informationsmaßnahmen deutlich hervorgehoben und dem Kons umenten bekannt gemacht.
Aufgrund der Schwierigkeiten, die bei der Definition und Abgrenzung von Functional Food bestehen, wird es möglicherweise erforderlich sein, verschiedene Kategorien von Functional Food zu unterscheiden, wie dies beispielsweise auch bei der
Definition von neuartigen Lebensmitteln (Novel Food) der Fall war. In 1999 hat
sich eine Arbeitsgruppe des Europarates konstituiert, die sich unter anderem mit
Fragen der Definition und Abgrenzung von Functional Food befassen wird. Des
weiteren beschäftigt sich eine Arbeitsgruppe der Eidgenössischen Ernährungskommission mit dieser Fragestellung. Nach den Ergebnissen der schriftlichen Befragung
relevanter Akteure sowie den persönlichen Interviews scheinen sich eine Mehrzahl
der Fachleute in der Schweiz der im Rahmen des FUFOSE-Projekts erarbeiteten
Arbeitsdefinition im groben anzuschließen – auch wenn nahezu von allen Befragten
Änderungen im Detail angemerkt werden.
30
3.4
Arbeitsdefinition von Functional Food
Für die TA Functional Food wird in Anlehnung an das FUFOSE-Projekt die fo lgende Arbeitsdefinition für Functional Food genutzt und auf verarbeitete Lebensmittel eingeschränkt:
Lebensmittel können dann als Functional Food angesehen werden, wenn hinreichend bewiesen ist, dass sie eine oder mehrere Körperfunktionen so beeinflussen,
dass davon positive Wirkungen auf den Gesundheitszustand und das Wohlbefinden
und/oder die Verringerung des Erkrankungsrisikos ausgehen. Weiterhin gehören
solche Lebensmittel zu Functional Food, die einen Bestandteil enthalten, der Körperfunktionen so beeinflusst, dass positive Wirkungen davon ausgehen oder der
physiologische oder psychologische Effekte hervorruft, die über die Nährstoffzufuhr
hinausgehen. Auch Lebensmittel, aus denen potentiell schädliche Bestandteile auf
technischem Wege entfernt wurden, sind Functional Food.
Grundsätzlich müssen Functional Food verarbeitete Lebensmittel sein, deren Wirkungen von solchen Mengen ausgeübt werden, die normalen Verzehrgewohnheiten
entsprechen. Sie sind keine Pillen oder Kapseln, sondern Bestandteil einer normalen Ernährungsweise.
Im Rahmen dieser breiten Arbeitsdefinition von Functional Food können Schwerpunkte aus unterschlichen Sichtweisen gesetzt werden, die je nach Akteursgruppe
deutlich differieren:
Aus Sicht der Wissenschaft (vgl. Kap. 4) steht die Wirksamkeit und Wirkungsweise
von Functional Food und deren Nachweis in entsprechenden Versuchen und
Testreihen im Mittelpunkt. Ein weiterer essentieller wissenschaftlicher Aspekt ist
die Sicherheit und Unbedenklichkeit von Functional Food.
Aus Sicht der Gesetzgebung bzw. des Gesetzesvollzugs (vgl. Kap. 7) geht es vor
allem um die Frage, welche Anforderungen an die Sicherheit von Functional Food
sowie an ihre Kennzeichnungen und Anpreisungen gestellt werden müssen. Eine
gegebenenfalls erforderliche rechtliche Definition von Functional Food wäre nicht
an naturwissenschaftliche, sozialwissenschaftliche, ökonomische oder andere Definitionen gebunden, sondern wäre vielmehr eine Rechtsfrage und würde rechtlich
autonom festgesetzt (Kap. 7).
Aus der wirtschaftlichen Perspektive (vgl. Kap. 6) sind für die Vermarktung von
Functional Food die Wahrnehmungen und das Verhalten der Konsumenten gege nüber diesen Lebensmitteln entscheidend. Aus Sicht des Marketing geht es dabei
vorrangig darum, Konsumenten dazu bewegen zu können, entsprechende Produkte
zu kaufen. Dabei Fragen der Wirksamkeit von Functional Food und deren Nachweis
31
nur einer von mehreren Aspekten. Aus Sicht der Industrie wäre somit eine Erweiterung des Katalogs zulässiger Anpreisungen wünschenswert.
In der vorliegenden TA-Studie Functional Food werden alle drei Schwerpunktsetzungen berücksichtigt, ohne dass dabei die anderen Sichtweisen negiert werden
können. Dies bedingt, dass je nach Kontext unter dem Begriff Functional Food verschiedene Nuancierungen subsummiert werden können. Die vorgestellte breite Arbeitsdefinition von Functional Food bildet den für diese Vorgehensweise geeigneten
Rahmen. Eine eigenständige Definition von Functional Food erscheint für diese
Untersuchung nicht erforderlich.
33
4.
Stand und Perspektiven von Wissenschaft und
Technik zur Bereitstellung und zur Wirksamkeit von
Functional Food
4.1
Zielfunktionen von Functional Food
Functional Food sollen Effekte ausüben, die das Wohlbefinden und den Gesundheitszustand derjenigen, die diese Lebensmittel verzehren, positiv beeinflussen.
Dabei ist die Beeinflussung folgender Zielfunktionen durch Lebensmittel von besonderem Interesse (Bellisle et al. 1998b, Roberfroid 1998ac, Diplock et al. 1999):
•
Physiologie des Magen-Darm-Trakts,
•
Abwehr reaktiver Oxidantien,
•
Herz-Kreislauf-System,
•
Knochengesundheit,
•
Stoffwechsel von Makronährstoffen,
•
Wachstum, Entwicklung und Differenzierung,
•
Verhalten und Stimmung, geistige und körperliche Leistungsfähigkeit.
In den folgenden Abschnitten werden diese Zielfunktionen näher beschrieben und
dargelegt, welche Bestandteile von Functional Food auf die jeweiligen Zielfunktionen wirken sollen.
4.1.1
Physiologie des Magen-Darm-Trakts
In der Ernährung kommt dem Magen-Darm-Trakt eine sehr große Bedeutung zu, da
er die Schnittstelle zwischen der Ernährung und den lebenserhaltenden Stoffwechselprozessen und Körperfunktionen bildet. Einerseits stellt er eine Barriere für
Krankheitserreger dar, die mit der Nahrung aufgenommen werden. Zum anderen
wird hier die Nahrung in ihre Bestandteile zerlegt und die Nährstoffe resorbiert. An
diesen Funktionen des Magen-Darm-Trakts sind die Darmflora, das gastrointestinale Immunsystem und die Darmschleimhaut wesentlich beteiligt. Werden die normalen Funktionen des Magen-Darm-Trakts gestört, können daraus Krankheiten wie
z. B. Magen-Darm-Infektionen, Verdauungsbeschwerden und Verstopfung, entzündliche Darmerkrankungen, Lebensmittelallergien und Darmkrebs entstehen
(Salminen et al. 1998). Inwieweit und in welcher Form Lebensmittelinhaltsstoffe in
34
die Steuerung der Barrierefunktion des Magen-Darm-Epithels eingreifen und dadurch die Nahrungsaufnahme und -verwertung beeinflussen, ist Gegenstand der
aktuellen Forschung.
Functional Food, die auf die Physiologie des Magen-Darm-Trakts abzielen, entha lten Probiotika, Prebiotika (vgl. Kap. 4.2.1 und 4.2.2) oder eine Kombination aus
Pro- und Prebiotika (sogenannte Synbiotika). Dabei sollen folgende Funktionen
durch die Pro-, Pre- oder Synbiotika beeinflusst werden (Salminen et al. 1998, Diplock et al. 1999, van Loo et al. 1999):
•
Optimale Darmtätigkeit und Stuhlbildung, beispielsweise ablesbar an der Stuhlbeschaffenheit, am Stuhlgewicht, der Häufigkeit des Stuhlgangs und der Verweilzeit der Faeces im Darm.
•
Zusammensetzung der Darmflora. Die Zusammensetzung der Darmflora hat
möglicherweise einen Einfluss auf Krankheiten wie Magen-Darm-Infektionen,
Verstopfung, Reizkolon2, entzündliche Darmerkrankungen und Darmkrebs.
•
Kontrolle der Immunfunktionen des Darms. Die Immun- und Schutzfunktionen
des Darms werden wesentlich über das gut associated lymphoid tissue (GALT)
vermittelt. Dabei spielt die Darmflora bei der Anregung lokaler und systemischer
spezifischer Immunantworten eine wichtige Rolle.
•
Kontrolle von Fermentationsprodukten. Beim Abbau von Nahrungsbestandteilen
durch die Darmflora entstehen Fermentationsprodukte, insbesondere kurzkettige
Fettsäuren wie Butyrat, Acetat und Propionat, die für die Darmgesundheit wichtig sind.
4.1.2
Abwehr reaktiver Oxidantien
Aerobe Organismen kommen unweigerlich mit reaktiven oxidativen Substanzen
(Prooxidantien) in Kontakt, die biologische Makromoleküle wie DNA, Lipide und
Proteine schädigen können. Zur Abwehr schädigender oxidativer Substanzen verfügt der menschliche Organismus über mehrere verschiedene Schutzmechanismen
(vgl. Kap. 4.2.3, Tab. 4.16). Wenn das ausgewogene Verhältnisses von oxidativen
Substanzen und antioxidativen Schutzsystemen gestört ist, können oxidative Schädigungen an der Entstehung bzw. am Fortschreiten bestimmter Krankheiten ursächlich beteiligt sein. Zu diesen Krankheiten zählen u. a. Krebs, Herz-KreislaufErkrankungen, grauer Star (Katarakt), altersabhängige Makuladegeneration, rheumatoide Arthritis sowie mehrere neurodegenerative Erkrankungen. Darüber hinaus
sind Pro- und Antioxidantien möglicherweise auch an der Regulation der Gene x2 Reizkolon (irritable bowel syndrome) ist die Bezeichnung für ein Syndrom aus Stuhlregulationsstörungen infolge gestörter Darmmotilität bzw. –sekretion mit krampfartigen Bauchschmerzen,
Durchfall und Verstopfung, Völlegefühl und Blähungen. Es wird den psychosomatischen Erkrankungen zugerechnet, da es häufig anfallartig in Belastungssituationen auftritt.
35
pression beteiligt und haben einen Einfluss auf Funktionen des Immunsystems (Diplock et al. 1998, 1999).
Epidemiologische Untersuchungen weisen darauf hin, dass die in der Nahrung enthaltenen Antioxidantien die Abwehr reaktiver oxidativer Substanzen unterstützen
und damit zur Prävention der oben genannten Krankheiten beitragen. Die Zielfunktion für Antioxidantien in Functional Food ist der Erhalt der strukturellen und funktionellen Aktivität biologischer Makromoleküle, wie z. B. DNA, mehrfach ungesättigte Fettsäuren und Lipoproteine sowie Proteine.
4.1.3
Herz-Kreislauf-System
Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems stellen in den meisten Industrieländern
die häufigste Todesursache dar und haben somit höchste gesundheitspolitische Bedeutung (vgl. Kap. 5). An der Krankheitsentstehung sind unter anderem Störungen
des Lipoproteinstoffwechsels, eine erhöhte Neigung zu Blutgerinnseln, Bluthochdruck, Schädigungen der Blutgefäße durch Bestandteile des Immunsystems und ein
erhöhter Homocysteinspiegel beteiligt (Hornstra et al. 1998). Eine Übersicht über
die wichtigsten Zielfunktionen und die sie möglicherweise beeinflussenden Lebensmittelbestandteile gibt Tabelle 4.1.
4.1.4
Knochengesundheit
Eine weitere Zielfunktion von Functional Food ist die Erhaltung der Knochengesundheit. Entscheidend für die Knochengesundheit ist der Aufbau einer maximalen
Knochenmasse und die Erhaltung eines aktiven Knochenumbaus mit zunehmendem
Alter (WHO 1990). Der Knochenaufbau überwiegt bis zur Mitte des dritten Lebensjahrzehnts, ab dem vierten Lebensjahrzehnt ist die Knochenresorption größer
als die -neubildung. Kennzeichen einer schlechten Knochengesundheit sind die
starke Verminderung der Knochenmasse und schadhafte Veränderungen der Knochenstruktur (Osteoporose). Neben vielen verschiedenen Risikofaktoren (vgl.
Kap. 5) hat die Ernährung unbestritten einen bedeutenden Einfluss bei der Entwicklung der Osteoporose. Insbesondere Calcium und Vitamin D sind wichtige
Faktoren für die Knochenbildung (Kohlmeier et al. 1993).
Functional Food zur Erhaltung der Knochengesundheit zielen auf Risikogruppen,
bei denen der tägliche Calciumbedarf erhöht ist, wie z. B. bei Frauen in der
Schwangerschaft und Stillzeit sowie bei Frauen nach den Wechseljahren. Eine Zielgruppe stellen aber auch Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene dar, bei denen
die ausreichende Zufuhr von Calcium und Vitamin D entscheidend für den Aufbau
einer maximalen Knochendichte ist, was wesentlich zur Prävention der Osteoporose
im Alter beiträgt.
36
4.1.5
Stoffwechsel von Makronährstoffen
Der Stoffwechsel der Makronährstoffe Kohlenhydrate, Proteine und Fette spielt für
die Gesundheit des Menschen eine große Rolle, da eine gesunde Ernährung auf den
Energiebedarf des Organismus abgestimmt sein und die Makronährstoffe in einem
ausgewogenen Verhältnis bereitstellen muss. In den Industrieländern ist allerdings
ein Ungleichgewicht zwischen dem Bedarf nach Makronährstoffen und ihrer Zufuhr
festzustellen – man isst "zu viel, zu fett, zu süß". Damit verknüpft sind mehrere
chronische Erkrankungen wie Übergewicht, nicht-Insulin-abhängiger Diabetes
mellitus und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Ansätze für präventiv wirkende Functional Food liegen darin, den Erhalt eines angemessenen Körpergewichts zu unterstützen, die Regulierung des Blutzuckerspiegels zu erleichtern und zur Regulierung
der Blutfettwerte beizutragen (Saris et al. 1998, Tab. 4.2).
Darüber hinaus spielt der Stoffwechsel von Makronährstoffen eine wesentliche
Rolle bei Personen, die körperliche Hochleistungen erbringen (z. B. Hochleistungssportler) und häufig Schwierigkeiten haben, mit einer "normalen" Kost ihren hohen
Nährstoff- und Flüssigkeitsbedarf zu decken (Tab. 4.2, Brouns 1997, Brouns und
Kovacs 1997).
Tabelle 4.1:
Übersicht über Ansätze für Functional Food zur Beeinflussung der Zielfunktion "Herz-Kreislauf-System"
Kontrolle des Homocysteinspiegels
•
•
•
•
•
Kalium
n-3 mehrfach ungesättigte Fettsäuren
Folsäure
Vitamin B6
Vitamin B12
Produktbeispiele
•
•
•
•
•
Lebensmittel mit verändertem Fettsäuremuster (geringer Gehalt an gesättigten und trans-Fettsäuren,
hoher Gehalt an Linolensäure, Ölsäure)
Margarine Benecol
Cerealien auf Haferbasis
Olestra, Simplesse
Prebiotika
•
Lebensmittel mit verändertem Fettsäuremuster
•
Lebensmittel mit verändertem Fettsäuremuster
•
Produkte mit verringerter Energiedichte, lightProdukte
• Salzersatzstoff Cardia
• Lebensmittel mit verändertem Fettsäuremuster
Quelle: Eigene Zusammenstellung nach Daten aus Diplock et al. 1999, Hornstra et al. 1998
37
Beispiele für potentiell relevante Bestandteile
von Functional Food
•
gesättigte
Fettsäuren, trans-Fettsäuren, einLipoprotein-Homöostase
fach und mehrfach ungesättigte Fettsäuren
(MUFAs, PUFAs)
• bestimmte Phytosterole und -stanole
• wasserlösliche Nahrungsfasern
• Fettersatz- und –austauschstoffe
• Inulin, Oligofructose
• Sojaproteine
• Knoblauch
• Tocotrienole
Vermeidung der Schädigung von Arterien • bestimmte Antioxidantien
• n-3 mehrfach ungesättigte Fettsäuren (Beund Endothel
standteile von Fischöl)
•
bestimmte Antioxidantien
Kontrolle der Thromboseneigung
• n-3 mehrfach ungesättigte Fettsäuren (Bestandteile von Fischöl)
• Linolensäure
• Makronährstoffe
Kontrolle des Bluthochdrucks
Zielfunktion
38
4.1.6
Wachstum, Entwicklung und Differenzierung
Die Ernährung des sich im Mutterleib entwickelnden Kindes, des Säuglings sowie
des heranwachsenden Kindes ist für das Wachstum und die geistige und körperliche
Entwicklung des Kindes von großer Bedeutung. Neben diesen kurzfristig zu beobachtenden Wirkungen gibt es aber auch zunehmend Hinweise darauf, dass die Art
der Ernährung in bestimmten Phasen der frühen Kindheit mit dem Auftreten chronischer Erkrankungen im Erwachsenenalter korreliert3 ist (Barker 1994). Zu diesen
Erkrankungen zählen beispielsweise Übergewicht, Diabetes (Kolb und Pozzilli
1999), Bluthochdruck (Langley-Evans 1999), erhöhter Cholesterinspiegel im Blut
und Osteoporose. Die Zusammenhänge zwischen der Art der Ernährung in bestimmten Phasen der Entwicklung und dem Auftreten von Krankheiten zu einem
späteren Zeitpunkt aufzuklären, wäre für entsprechende Präventionsstrategien von
sehr großer Bedeutung (Koletzko et al. 1998).
Functional Food können auf die Zielgruppe der schwangeren, stillenden oder sich
von Schwangerschaft und Stillzeit erholenden Frauen abgestimmt sein und durch
ihre Zusammensetzung zu einer optimalen Versorgung der Frau selber bzw. des von
ihr ernährten Kindes (Fötus, Säugling) beitragen. Von besonderem Interesse ist die
Versorgung mit Folsäure vor der Empfängnis und in den ersten Schwangerschaft swochen, um das Risiko schwerer Neuralrohrdefekte (Spina bifida, Anenzephalie)
beim Embryo zu senken (Butterworth und Bendich 1996, Tab. 4.3).
4.1.7
Verhalten und Stimmung, geistige und körperliche Leistungsfähigkeit
Zu Functional Food gehören nicht nur Lebensmittel, die die Gesundheit erhalten
und das Risiko einer Krankheit verringern sollen, sondern auch Lebensmittel, die
zur Steigerung des Wohlbefindens beitragen sollen. In die letztere Kategorie fallen
Lebensmittel, die das Verhalten, den Gemütszustand und die Stimmung sowie die
geistige und körperliche Leistungsfähigkeit beeinflussen sollen. Tabelle 4.4 gibt
eine Übersicht über die wichtigsten Zielfunktionen und Lebensmittelbestandteile,
die dies bewirken könnten.
3 Dieses Phänomen wird als metabolic programming bezeichnet.
Tabelle 4.2:
Übersicht über Ansätze für Functional Food zur Beeinflussung der Zielfunktion "Stoffwechsel von Makronährstoffen"
Zielfunktion
Beispiele für relevante Bestandteile
von Functional Food
•
Produkte mit verringerter Energiedichte, lightProdukte
• Olestra, Salatrim, Litesse
•
Lebensmittel mit einem niedrigen glykämischen
Index4
•
Lebensmittel mit einem niedrigen glykämischen
Index
•
Lebensmittel mit verändertem Fettsäuremuster
•
Lebensmittel mit verändertem Fettsäuremuster
39
Erhalt des angemessenen Körpergewichts, • verändertes Kohlenhydrat: Fettverhältnis
der Körperzusammensetzung und der
Körperfettverteilung
• Fettersatz- und -austauschstoffe, Fette mit
reduziertem Energiegehalt
• Polysaccharide pflanzlicher Zellwände, resistente Stärke, Oligosaccharide, Nahrungsfasern
Kontrolle des Blutzuckerspiegels und der • Polysaccharide pflanzlicher Zellwände, resiInsulinsensitivität
stente Stärke, Oligosaccharide, Nahrungsfasern
• lösliche viskose Nahrungsfasern
• verringerter Gehalt an gesättigten Fettsäuren
• Mikronährstoffe und Mineralstoffe (Niacin,
Chrom, Vanadium, Magnesium)
Kontrolle des Triacylglycerinstoffwech• n-3 mehrfach ungesättigte Fettsäuren (PUsels/der Blutfettwerte
FAs), n-6 PUFAs
• einfach ungesättigte Fettsäuren
Optimale Leistungsfähigkeit während
• Kreatin, Koffein, L-Carnitin, spezielle Amikörperlicher Aktivität
nosäuren
• Vitamine, und Mineralstoffe
• Kohlenhydrate mit hohem und niedrigem
glykämischen Index
Produktbeispiele
•
Lebensmittel, die speziell auf die Bedürfnisse von
Hochleistungssportlern zugeschnitten sind
• Isotonische Getränke, Energiegetränke
Quelle: Eigene Zusammenstellung nach Daten aus Diplock et al. 1999, Saris et al. 1998
4 Der glykämische Index ist ein Maß dafür, wie schnell und wie gut Kohlenhydrate, die in der Nahrung enthalten sind, während der Verdauung freigesetzt werden
und den Blutzuckerspiegel erhöhen.
Tabelle 4.3:
Übersicht über Ansätze für Functional Food zur Beeinflussung der Zielfunktion "Wachstum, Entwicklung und Differenzierung
Zielfunktion
Beispiele für relevante Bestandteile
von Functional Food
Anpassungen des mütterlichen Stoffwechsels
während Schwangerschaft und Stillzeit
Folsäure, mehrfach ungesättigte Fettsäuren
(PUFA‘s), Eisen, Zink, Jod, Energiegehalt
Entwicklung des Fötus
Wachstum und Entwicklung im Säuglings-,
Kleinkindes- und Kindesalter
Produktbeispiele
Lebensmittel, die speziell auf die Ernährungsbedürfnisse von Schwangeren, Stillenden oder sich
von Schwangerschaft und Stillzeit erholenden
Frauen abgestimmt sind
Lebensmittel, die speziell auf die Ernährungsbedürfnisse von Säuglingen, Kleinkindern und
Kindern abgestimmt sind
Wachstum
•
Wachstumsfaktoren, Aminosäuren, ungesät- •
tigte Fettsäuren
Säuglingsnahrung (Muttermilchersatzprodukte) mit entsprechenden Zusätzen
•
Entwicklung und Reifung des Verdauungssystems
•
Pre- und Probiotika, Ganglioside, hochmo- •
lekulare Glycoproteine, Gallensalz-aktivierte
Lipase
Säuglingsnahrung (Muttermilchersatzprodukte) mit entsprechenden Zusätzen
•
Entwicklung des Immunsystems
•
Antioxidative Vitamine, Spurenelemente,
Fettsäuren, Arginin, Nukleotide, reduzierter
Antigengehalt der Nahrung
•
Knochenaufbau
•
Calcium, Phosphor, Magnesium, Vitamine
D und K, Spurenelemente Fluor, Bor Zink,
Quelle: Eigene Zusammenstellung nach Daten aus Koletzko et al. 1998, Diplock et al. 1999
•
Hypoallergene Säuglings- und Kleinkindernahrung
40
•
41
Tabelle 4.4:
Übersicht über Ansätze für Functional Food zur Beeinflussung der
Zielfunktion "Verhalten und Stimmung, geistige und körperliche
Leistungsfähigkeit"
Zielfunktion
Hunger, Appetit
und Sättigung
Beispiele für potentiell relevante Bestandteile von Functional
Food
•
Protein
•
Fettersatz- und •
austauschstoffe, strukturierte
Lipide, bestimmte Fettsäuren
Zuckerersatz- und austauschstoffe
Geschmacksverstärker
•
•
•
Geistige
Leistungsfähigkeit
Stimmung und
Lebhaftigkeit
Umgang mit Stress
Produktbeispiele
•
•
•
•
•
•
•
•
Glucose (Traubenzucker)
Koffein
B-Vitamine
Cholin
Alkohol
Kohlenhydrate
Kohlenhydrat/ProteinVerhältnis
Tyrosin, Tryptophan
•
•
•
Alkohol
Kohlenhydrate
Saccharose
•
•
•
•
Produkte mit verändertem
Makronährstoffverhältnis
Produkte mit verringerter
Energiedichte, lightProdukte
appetitanregende Lebensmittel
Lebensmittel mit belebender Wirkung
Lebensmittel mit belebender oder beruhigender
Wirkung
Lebensmittel zur Überwindung des Jet-lags
Quelle: Eigene Zusammenstellung nach Daten aus Bellisle et al. 1998a, Diplock
et al. 1999
4.2
Potentiell relevante Inhaltsstoffe von Functional Food
Dem Konzept von Functional Food liegt zugrunde, dass diese Lebensmittel bestimmte Inhaltsstoffe enthalten, die auf Körperfunktionen wirken und dadurch zum
Erhalt der Gesundheit, zur Prävention von Krankheiten und zur Steigerung des
Wohlbefindens beitragen sollen. In den folgenden Kapiteln wird ein Überblick über
die wichtigsten Inhaltsstoffe von Functional Food gegeben, die Gegenstand der aktuellen Forschung und Entwicklung sind und bei denen eine Wirkung auf bestimmte
Körperfunktionen nachgewiesen oder postuliert wird. Es gibt allerdings keine ver-
42
bindliche Zusammenfassung einzelner Inhaltsstoffe zu international einheitlichen
Gruppen, sondern es existieren viele verschiedene Klassifikationen. Als Klassifikationsmerkmale, die teilweise innerhalb eines Klassifikationsschemas parallel angewendet werden, können zum Beispiel herangezogen werden:
•
die chemische Struktur (z. B. Peptide und Proteine, Zuckeralkohole, mehrfach
ungesättigte Fettsäuren),
•
physiologische Wirkungen (z. B. Entfaltung antioxidativer, antimutagener oder
antikarzinogener Wirkungen),
•
die Herkunft der Inhaltsstoffe (z. B. Phytochemikalien), oder
•
Wirkungsmechanismus der Inhaltsstoffe (z. B. Beeinflussung oxidativer Prozesse).
In Japan werden die gesundheitsfördernden Inhaltsstoffe von Functional Food –
vorrangig aufgrund ihrer chemischen Struktur – in 12 Klassen eingeteilt: Nahrungsfasern, Oligosaccharide, Zuckeralkohole, Peptide und Proteine, Glykoside, Alkohole, Isoprenoide und Vitamine, Cholin, Milchsäurebakterien, Mineralstoffe, mehrfach ungesättigte Fettsäuren, andere (u. a. Phytochemikalien, Antioxidantien) (Ichikawa 1994). Eine auf den Wirkungsmechanismen basierende Einteilung umfasst
folgende Gruppen (Glinsmann 1996):
•
Substanzen, die oxidative Prozesse beeinflussen,
•
Substanzen, die antimutagene oder antikarzinogene Wirkungen entfalten,
•
bioaktive Substanzen, die der Verbreitung von bakteriellen und viralen Infektionen entgegenwirken,
•
Nahrungsfasern, Pre- und Probiotika, die gastrointestinale Funktionen beeinflussen,
•
Immun- und Entzündungsmodulatoren,
•
neuroregulatorische Substanzen,
•
Substanzen mit hormonellem Charakter (Phytoöstrogene),
•
blutdrucksenkende Substanzen,
•
Substanzen mit cholesterinsenkender Wirkung sowie
•
Nahrungskomponenten mit verringertem allergenem Potential.
Für diese TA-Studie werden die wichtigsten Inhaltsstoffe von Functional Food zu
folgenden Gruppen zusammengefasst und näher beschrieben:
•
Probiotika,
•
Prebiotika,
•
Antioxidantien,
43
•
sekundäre Pflanzeninhaltsstoffe,
•
strukturierte Lipide, mehrfach ungesättigte Fettsäuren, Fettersatz- und austauschstoffe,
•
bioaktive Peptide,
•
Mineralstoffe (Mengen- und Spurenelemente),
•
Vitamine.
Tabelle 4.5 gibt eine Übersicht zu Wirkungen auf Körperfunktionen, die diesen
Gruppen zugeschrieben werden.
Tabelle 4.5:
Übersicht über Bestandteile von Functional Food und ihre möglichen Wirkungen auf Körperfunktionen
Abwehr
schädigender
Oxida ntien
Herz-KreislaufSystem
Knochengesundheit
Darmtätigkeit, Stuhlbildung
•
Darmflora
•
Immunfunktionen des Darms
•
Kontrolle Fermentationsprodukte
•
•
Prävention oxidativer Schädigungen
•
•
•
•
•
Prävention von Blutgefäßschädigungen
•
•
Verringerung der Thromboseneigung
•
•
Kontrolle Homocysteinspiegel
•
•
Erhöhung des Steroidspiegels im Blut
Senkung Bluthochdruck
Andere
•
Erhöhung von Calciumangebot und -verfügbarkeit
Lipoprotein-Homöostase
Mineralstoffe
Bioaktive
Peptide
sekundäre
Pflanzeninhaltsstoffe
strukturierte Lipide, PUFAs1,
Fettersatzstoffe
Antioxidantien
44
MagenDarm-Trakt
Zielorgane und -funktion
Probiotika und
Prebiotika
Bestandteile von Functional Food
•
•
•
•
•
Fortsetzung Tabelle 4.5:
Verhalten,
Stimmung,
körperliche
und geistige
Leistungsfähigkeit
•
Blutzuckerspiegel, Insulinsensitivität
•
Triacylglycerinstoffwechsel
•
Versorgung von Mutter und Kind während Schwangerschaft und Stillzeit
•
Wachstum
•
Entwicklung des Immunsystems
Andere
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
Knochenaufbau
Hunger, Appetit, Sättigung
Mineralstoffe
•
•
körperliche Hochleistung
Entwicklung und Reifung des Verdauungssystems
Bioaktive
Peptide
strukturierte Lipide, PUFAs,
Fettersatzstoffe
sekundäre Pfla nzeninhaltsstoffe
Antioxidantien
Körpergewicht
•
•
•
•
•
•
•
Geistige Leistungsfähigkeit
•
Stimmung, Lebhaftigkeit
•
Stressbewältigung
•
1 PUFA: polyunsaturated fatty acids
Quelle: Eigene Zusammenstellung von Daten aus Bellisle et al. 1998b, Diplock et al. 1999
45
Wachstum,
Entwicklung
und
Differenzierung
Stoffwechsel
von Makr onährstoffen
Zielorgane und -funktion
Probiotika und
Prebiotika
Bestandteile von Functional Food
4.2.1
Probiotika
4.2.1.1
Definition und Funktion
Für Probiotika wurden verschiedene Definitionen veröffentlicht. Es handelt sich bei
Probiotika um lebende Rein- oder Mischkulturen von Mikroorganismen, die, wenn
sie von Tier oder Mensch verzehrt werden, günstige Wirkungen entfalten, indem sie
entweder direkt wirken oder die Eigenschaften der endogenen Mikroflora im Magen-Darmtrakt beeinflussen (Fuller 1992, Havenaar und Huis in’t Veld 1992). Salminen et al. (1998) definieren Probiotika als Lebensmittelbestandteil aus lebenden
Mikroorganismen, der die Gesundheit günstig beeinflusst, und Brassart und Schiffrin (1997) weisen darauf hin, dass das probiotische Konzept die regelmäßige Aufnahme lebender Mikroorganismen mit der Nahrung umfasst, die mit der Mikroflora
des Darms in Wechselwirkung treten und deren Funktionen verbessern.
Werden Probiotika in Kombination mit Prebiotika (s. Kap. 4.2.2) verabreicht,
spricht man von sogenannten Synbiotika (Gibson und Roberfroid 1995). Das Gemisch von Probiotika und Prebiotika soll den Wirt günstig beeinflussen, indem das
Überleben und die Ansiedlung von Probiotika im Magen-Darm-Trakt durch selektive Förderung des Wachstums und/oder der Stoffwechselaktivität einer oder mehrerer gesundheitsfördernder Mikroorganismen begünstigt und dadurch das Wohlbefinden des Wirts verbessert wird (Gibson und Roberfroid 1995, Salminen et al.
1998).
Bei Probiotika handelt es sich meistens um Lactobacillen (Milchsäurebakterien), die
seit langem in der Herstellung fermentierter Milchprodukte eingesetzt werden,
GRAS 5-Status haben und von denen man annimmt, es handele sich um nützliche
und wünschenswerte Bestandteile der menschlichen Mikroflora (Tannock 1997).
Einige probiotische Produkte enthalten auch Bifidobakterien, Enterokokken, Streptokokken, Propionibakterien und Hefe-Stämme (z. B. Saccharomyces) (Lee und
Salminen 1995, Hamilton-Miller et al. 1999).
Neben technologischen Eigenschaften wie hoher Fermentationsfähigkeit, gutem
Aroma- und Säureprofil sowie der Persistenz der Bakterien während der Verarbeitung und Lagerung müssen Probiotika Eigenschaften aufweisen, die gesundheitliche
Wirkungen auf den Wirtsorganismus ausüben. Dazu gehören das Überleben der
Passage durch das saure Milieu des Magens und durch den oberen oder unteren
Darmtrakt, die Resistenz gegenüber Gallensäften sowie die Fähigkeit, sich im Darm
anzusiedeln (z. B. durch Anheftung an Darmzellen) und sich dabei gegenüber anderen Mikroorganismen durchzusetzen (z. B. durch die Ausscheidung antimikrobieller
5 GRAS: generally recognised as safe
47
Substanzen oder die Unterdrückung des Wachstums pathogener Organismen), eine
Immunmodulation zu bewirken oder antigenotoxische Aktivitäten zu entfalten.
Darüber hinaus müssen die Mikroorganismen sicher für den menschlichen Verzehr
sein. Daher sollten sie idealerweise vom Menschen isoliert worden sein, müssen
eindeutig identifiziert und charakterisiert und nicht humanpathogen sein.
4.2.1.2
Wirkung und Wirkungsmechanismus von Probiotika bei der
Krankheitsprophylaxe
Probiotika sollen ihre Wirkung im Magen-Darm-Trakt ausüben. Dem MagenDarm-Trakt kommt eine sehr große Bedeutung in der Ernährung zu. Zum einen
stellt er eine Barriere für Krankheitserreger dar, die mit der Nahrung aufgenommen
werden. Zum anderen wird hier die Nahrung in ihre Bestandteile zerlegt und die
Nährstoffe resorbiert. An den Funktionen dieser Schnittstelle zwischen der Nahrungsaufnahme und den lebenserhaltenden Stoffwechselprozessen und Körperfunktionen sind die Darmflora, das gastrointestinale Immunsystem und die Darmschleimhaut wesentlich beteiligt. Werden die normalen Funktionen des MagenDarm-Trakts gestört, können daraus z. B. Magen-Darm-Infektionen, Verdauungsbeschwerden und Verstopfung, entzündliche Darmerkrankungen (z. B. Crohn’sche
Krankheit, Ulzerative Colitis), Lebensmittelallergien und Darmkrebs resultieren
(Salminen et al. 1998). Inwieweit und in welcher Form Probiotika in die Steuerung
der Barrierefunktion des Magen-Darm-Epithels eingreifen und dadurch die Nahrungsaufnahme und -verwertung beeinflussen, ist Gegenstand der aktuellen Forschung.
Der Probiotika-Verzehr soll auf zahlreiche Gesundheitsstörungen und Krankheiten,
die mit der Magen-Darm-Funktion verknüpft sind, eine positive Wirkung ausüben.
Hierzu zählen beispielsweise (Tab. 4.6):
•
Immunmodulation; Mechanismen der immunmodulierenden Wirkung von Probiotika,
•
Linderung von Symptomen der Lactoseintoleranz,
•
Reduzierung der Aktivität von Helicobacter pylori,
•
Prävention bzw. Milderung des Verlaufs von bakteriellen und viralen MagenDarm-Infektionen,
•
Unterstützung der Wiederbesiedlung des Darms nach Antibiotikabehandlung,
•
Vorbeugung und Linderung von Funktionsstörungen des Darms, die mit
Strahlentherapie verbunden sind,
•
Linderung bei Verstopfung und Blähungen,
•
Prävention bzw. Linderung von Vaginitis,
•
Prävention bzw. Linderung von entzündlichen Dickdarmerkrankungen (Kolitis),
48
•
günstige Beeinflussung der Blutfettwerte,
•
Prävention von Darmkrebs,
•
Prävention alkoholinduzierter Leberschädigung.
Es bestehen noch große Kenntnislücken über die Mechanismen, über die Probiotika
diese Effekte ausüben können. Folgende Mechanismen werden diskutiert (Scheinbach 1998):
•
Stimulation des Immunsystems,
•
Verdrängung pathogener Organismen von Bindungsstellen an der Darmschleimhaut,
•
Produktion von Säuren, Peroxiden oder Bacteriocinen6, durch die pathogene
bzw. der Gesundheit abträgliche Mikroorganismen negativ beeinflusst werden,
•
Kompetition um Substrate,
•
Abbau von Xenobiotika und Prokarzinogenen.
Während es Hinweise aus in vitro-Experimenten und aus Untersuchungen an Tie rmodellen gibt, dass diese Mechanismen zur Wirkungsweise von Probiotika beitragen, liegen nur wenige Daten aus Studien am Menschen vor. Viele dieser Studien
weisen zudem methodische Schwächen auf, die ihre Aussagekraft und Reproduzierbarkeit einschränken (Scheinbach 1998). Angesichts dieser Ausgangslage werden folgende Anforderungen an klinische Studien zur Wirkung von Probiotika gestellt (z. B. Lee und Salminen 1995, Salminen und Saxelin 1996, Taylor und Williams 1998, Hamilton-Miller und Gibson 1999):
•
Es sollten placebo-kontrollierte, randomisierte Doppelblindstudien an Menschen
durchgeführt werden.
•
Die Studien müssen sorgfältig konzipiert sein. Hierzu gehört beispielsweise
− eine sorgfältige, der Zielsetzung der Studie angemessene Auswahl der Endpunkte sowie
− eine hinreichend große Versuchsgruppe, hinreichend häufige Probenahme,
hinreichend lange Studiendauer, um statistisch signifikante Ergebnisse erarbeiten zu können.
− Es sollten ausschließlich eingehend beschriebene, klar definierte probiotische Arten und Stämme verwendet werden.
− Es sollten ausschließlich definierte, standardisierte und auch anderen Forschergruppen zugängliche Testzubereitungen, die den Versuchspersonen
verabreicht werden, verwendet werden.
6 Bakteriocine sind Stoffwechselprodukte von Bakterien, die nur auf gleiche oder nahestehende
Bakterienarten antibiotisch wirken (Roche Lexikon Medizin 1998).
49
−
Die Studien sollten Aussagen über Dosis-Wirkungs-Zusammenhänge zulassen.
•
Jeder probiotische Stamm und jedes damit hergestellte Produkt sollte einzeln
getestet werden. Die Übertragung von Daten, die an einem bestimmten probiotischen Stamm gewonnen wurden, selbst auf nahe verwandte Arten ist unzulässig.
•
Die Ergebnisse sollten durch verschiedene, voneinander unabhängige Forschergruppen bestätigt werden.
•
Die Studienergebnisse sollten in anerkannten, internationalen peer-reviewed
Fachzeitschriften publiziert werden.
Um die Qualität künftiger klinischer Studien zu gesundheitlichen Wirkungen von
Probiotika zu erhöhen, ist vorgeschlagen worden, entsprechende Richtlinien zu erarbeiten (Hamilton-Miller und Gibson 1999).
Legt man die Anforderung zugrunde, dass gesundheitliche Wirkungen am Menschen nachgewiesen und zudem von mindestens zwei Gruppen unabhängig voneinander gezeigt worden sein müssen, gelten nur wenige der den Probiotika zugeschriebenen Wirkungen als wissenschaftlich hinreichend abgesichert (Tab. 4.6).
Hierzu zählen:
•
Linderung von Symptomen der Lactoseintoleranz,
•
Steigerung der Aktivität von Immunreaktionen (immune enhancement),
•
Verkürzung der Dauer von Rotavirus-Durchfallerkrankungen,
•
Verringerung der Mutagenität und bakterieller Enzymaktivitäten in Faeces,
•
Reduzierung der Aktivität von Helicobacter pylori.
50
Postulierte Wirkungen / Forschungsbedarf
Nachgewiesene7
Wirkungen
Tabelle 4.6:
Postulierte und erwiesene Wirkungen von Probiotika
Gesundheitliche Wirkungen von Probiotika
Linderung von Symptomen der Lactoseintoleranz
Steigerung der Aktivität von Immunreaktionen
(immune enhancement)
Verkürzung der Dauer von RotavirusDurchfallerkrankungen
Verringerung der Mutagenität und bakterieller Enzymaktivitäten in Faeces
Reduzierung der Aktivität von Helicobacter pylori
Regulation der Darmbewegung; Linderung von
Verstopfung und Blähungen
Immunmodulation; Mechanismen der immunmodulierenden Wirkung
Prävention bzw. Linderung von Salmonella- und
Shigella-Infektionen
Prävention von Darmkrebs
Prävention bzw. Linderung von entzündlichen
Dickdarmerkrankungen
Vorbeugung und Linderung von mit Strahlentherapie verbundenen Funktionsstörungen des Darms
Prävention alkoholinduzierter Leberschädigung
Prävention bzw. Linderung von Vaginitis
Behandlung von Lebensmittelallergien
Verwendung als Adjuvans 8 für Impfstoffe
Stabilisierung der Darmflora
Wiederbesiedlung des Darms nach Antibiotikabehandlung
Mechanismen der Beeinflussung der Darmflora
durch Probiotika
Mechanismen der kompetitiven Exklusion
verbesserte Ausnutzung der Nahrungsenergie
(durch Bildung kurzkettiger Fettsäuren und deren
Verstoffwechselung)
Biosynthese von Vitaminen
Produktion von Verdauungsenzymen
Abbau von Xenobiotika und Prokarzinogenen
Hypercholesterinämie, Mechanismen der Senkung
des Cholesterinspiegels
Quelle
Mc Donough et al. 1987
Schiffrin et al. 1995, 1997
Saavedra et al. 1994
Shornikova et al. 1997
Ling et al. 1994
Pedrosa et al. 1995
Michetti et al. 1999
Goldin 1998
Kaila et al. 1992
Perdigon et al. 1990
Reddy 1998
Goldin 1998
Salminen et al. 1998
Nanji et al. 1994
Goldin 1998
Majamaa und Isolauri 1997
Isolauri et al. 1995
Goldin 1998
Siitonen et al. 1990
Salminen et al. 1998
Salminen et al. 1998
Gibson und Williams 1999
Gibson und Williams 1999
Gibson und Williams 1999
Gibson und Williams 1999
Taylor und Williams 1998
7 Der jeweilige Effekt wurde in mindestens zwei klinischen Studien am Menschen durch verschiedene Forschergruppen gezeigt (Salminen et al. 1998).
8 In Arzneimittelpräparaten ein selbst unwirksamer, aber die Wirkung der anderen Komponenten
fördernder Bestandteil.
51
Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die gesundheitlichen Wirkungen nicht für Probiotika generell, sondern jeweils nur für einen oder wenige Stämme nachgewiesen
sind, die Effekte also strikt stammspezifisch sind (Tab. 4.7).
Tabelle 4.7:
Probiotische Bakterienarten und ihre Wirkungen
Wirkung
Linderung von Lactoseintoleranz
Bakterienart 1
Lb. acidophilus
Stimulation/Modulation des Immunsystems
Lb. acidophilus, Lb. johnsonii, Lb. casei
Lb. plantarum, Lb. rhamnosus
Prophylaxe von Rotavirus Diarrhöe
Lb. rhamnosus, Bif. bifidum, Bif. lactis
Prophylaxe von Diarrhöe (viral oder bei
Lb. acidophilus, Lb. rhamnosus, Lb. reuteri,
Chemotherapie und Antibiotika Behandlung) Bif. bifidum, Bif. lactis
Anti-Helicobacter Aktivität
Lb. johnsonii, Lb. acidophilus
Antikanzerogene Wirkung
Lb. acidophlius, Lb. casei, Lb. gasseri, Lb.
plantarum, Bif. infantis, Bif. adolescentis,
Bif. longum, Bif. lactis, Bif. bifidum
1 Die Effekte wurden nur für bestimme Stämme dieser Bakterienarten gezeigt
Quelle: Zusammenstellung nach Angaben von Adachi 1992, Lee und Salminen
1995, Tannock 1995, Lee et al. 1999, Saavedra und Abi-Hanna 1999
Gut untersucht und durch klinische Studien belegt ist die Wirkung auf MagenDarminfektionen von Lactobacillus rhamnosus GG, Bifidobacterium lactis, Bifidobacterium Bb12 sowie Bifidobacterium bifidum (Haschke et al. 1998, Saavedra
et al. 1994, Salminen et al. 1996, Vaughan und Mollet 1999) und die Modulation
des Immunsystems durch Lactobacillus johnsonii La1 und Lactobacillus rhamnosus
GG (Schiffrin et al. 1995, Schiffrin et al. 1997, Salminen et al. 1996). In jüngsten
klinischen Studien zu Lactobacillus johnsonii La1 konnte eine Reduzierung der
Aktivität von Helicobacter pylori9 gezeigt werden (Coconnier et al. 1998, Michetti
et al. 1999).
Auch zur Lactoseintoleranz liegen mehrere klinische Studien für verschiedene
Stämme von Lactobacillus acidophilus vor (Lin et al. 1991, Martini et al. 1991,
Mustapha et al. 1997). Dabei konnte gezeigt werden, dass die Wirksamkeit wesentlich von der Toleranz der Stämme gegenüber Galle und Säuren und nicht so sehr
von deren Lactasegehalt abhängt. Bakterien, die sehr instabil gegenüber Säuren sind
wie z. B. die klassischen Joghurtkulturen Lactobacillus bulgaricus oder Streptococcus thermophilus, lysieren bei der Magenpassage, setzen das Lactaseenzym frei und
9 Helicobacter pylori: gramnegatives Stäbchenbakterium, das durch die Infektion der Magenschleimhaut bei der Entstehung der Gastritis und anderer gastro-intestinaler Erkrankungen beteiligt ist.
52
wirken auf diese Weise einer späten Verstoffwechselung der Lactose im Colon entgegen. Zur Linderung der Lactoseintoleranz sind daher nur probiotische Stämme
geeignet, die bereits im oberen Verdauungstrakt in geringen Anteilen lysiert werden, von denen aber dennoch zur Entfaltung anderer probiotischer Wirkungen eine
ausreichend große Zahl das Colon lebend erreicht.
Ein wesentliches Kriterium für die Wirksamkeit probiotischer Lebensmittel ist die
Aufnahme gesundheitlich relevanter Mengen an probiotischen Mikroorganismen
mit einer normalen Verzehrsmenge dieses Lebensmittels. Schätzungen zufolge besteht die normale Darmflora aus etwa 1010 Mikroorganismen pro Gramm Darminhalt, so dass im Dickdarm (Colon) mindestens 1012 lebende Mikroorganismen vorhanden sind. Diese sind etwa 400 verschiedenen Arten zuzuordnen, wobei jedoch
30-40 verschiedene Arten etwa 90 % der Mikroorganismenflora eines Individuums
ausmachen (Tannock 1997). Um überhaupt einen günstigen Einfluss auf die endogene Darmflora ausüben zu können, ist vorgeschlagen worden, täglich mindestens
108 -109 lebenden Zellen eines probiotischen Stammes aufzunehmen. Dies bedeutet,
dass das probiotische Lebensmittel als "therapeutisches Minimum" mindestens
106 lebende Zellen pro Gramm oder Milliliter enthalten muss, wenn die erforderliche Bakterienmenge mit üblichen Verzehrsmengen beispielsweise von Milchprodukten aufgenommen werden soll.
Allerdings gibt es für diese Dosierempfehlung noch keine gesicherte wissenschaftliche Basis: zum einen sind bisher keine klinischen Studien am Menschen durchgeführt worden, aus denen sich Dosis-Wirkungsbeziehungen direkt ableiten ließen
(Hamilton-Miller und Gibson 1999). Es gibt lediglich Hinweise, dass messbare
physiologische Effekte (wie z. B. Verringerung der Inzidenz, Dauer und Schwere
von Durchfallerkrankungen, Linderung der Symptome der Lactoseintoleranz) eher
mit hohen Aufnahmemengen (109 -1011 probiotische Bakterien/Tag) korreliert waren
(Sanders 1999). Zum anderen geht die oben genannte Dosierempfehlung von der
Annahme aus, dass die Lebendzellzahl ein geeignetes Maß für die "physiologisch
wirksame Dosis" von Probiotika ist. Dies ist aber nicht notwendigerweise der Fall,
da die physiologisch aktiven Bestandteile zum Teil für einen bestimmten Effekt
durchaus Zellwandkomponenten, bestimmte Enzymaktivitäten, Fermentationsprodukte o. ä. sein könnten (Sanders 1999).
Das Konzept Probiotika wird von manchen Experten auch kritisch bewertet. Folgende Punkte, die gleichzeitig Forschungsbedarf signalisieren werden dabei angeführt (Meile 1998, Scheinbach 1998, Teuber 1998, Tumuola et al. 1999):
•
Die Darmflora ist taxonomisch – bei individuellen Unterschieden – noch nicht
genügend charakterisiert bzw. charakterisierbar und die qualitative und quantitative Verteilung der Mikroorganismen im Intestinaltrakt ist noch nicht ausreichend geklärt.
53
•
Teilweise wurden Bakterienstämme falsch klassifiziert.
•
Viele Bakterienarten der Darmflora sind im Labor nicht züchtbar und daher nicht
einzuordnen in ihrer Wirkung auf Prozesse im Körper und Wechselwirkungen
mit anderen Mikroorganismen.
•
Die metabolischen Aktivitäten probiotischer Bakterien sollten innerhalb des
Körpers studiert werden und nicht nur am Tiermodell.
•
Ergebnisse aus in vitro-Studien sind nicht generell auf eine Situation in vivo
übertragbar (z. B. bei Verwendung sehr hoher Konzentrationen an Probiotika).
•
Die bislang vorliegende Datenbasis zu gesundheitlichen Wirkungen von Probiotika wird als ungenügend empfunden: Durch die Durchführung der Studien in
verschiedenen Lebensformen (z. B. Tier, Mensch) oder die Verabreichung verschiedener probiotischer Substanzen (z. B. Joghurt, Milch, Pulver) und Komb inationen ist die Vergleichbarkeit und Übertragbarkeit der Ergebnisse erschwert.
4.2.1.3
Sicherheitsaspekte
Aufgrund der langjährigen Erfahrungen, die mit der Verwendung von Milchsäurebakterien als Starterkulturen für fermentierte Lebensmittel bestehen, gelten Milchsäurebakterien als Lebensmittelbestandteil als unbedenklich und haben GRASStatus (generally recognized as safe). Vereinzelt sind jedoch Krankheitsfälle (Bakterämie, Endokarditis) aufgetreten, bei denen auch Milchsäurebakterien isoliert
werden konnten (Aguirre und Collins 1993, Adams 1999). Eine nähere Untersuchung dieser Fälle ergab jedoch, dass sie nur selten auftreten und zudem weitere
prädisponierende Faktoren, wie z. B. Immunschwäche, erforderlich sind. Daher
gelten die bisher als Probiotika eingesetzten Stämme als sicher (Goldin 1998). Eine
Ausnahme stellen ggf. Enterokokken dar, die häufiger als andere Milchsäurebakterien an einem infektiösen Geschehen beteiligt zu sein scheinen, so dass nicht eindeutig geklärt ist, inwieweit sie als unbedenklich einzustufen sind (Kneifel 1996).
Enterokokken wirken zudem als Plasmidsammler und Pasmidverteiler und können
Antibiotikaresistenzen unter anderen Arten verbreiten (Perreten et al. 1997). Auch
für neue probiotische Stämme kann die Unbedenklichkeit nicht ohne weiteres angenommen werden.
Für bestimmte Bevölkerungsgruppen, wie z. B. Kinder, Schwangere, Ältere, Immungeschwächte oder Personen mit bestimmten Vorerkrankungen ist eine gesundheitliche Gefährdung denkbar, jedoch eher unwahrscheinlich. Mögliche Risiken bei
der Gabe von Probiotika könnten in Fällen von mikrobiellen Infektionen bestehen,
die zu Blutvergiftung, Endokarditis oder lokalen Infektionen führen. Darüber hinaus
könnte ein Risiko von Probiotika auch in schädigenden Stoffwechselaktivitäten
bestehen wie z. B. übermäßiger Verstoffwechselung von Gallensalzen oder Medikamenten oder Bildung von krebserregenden Metaboliten. Schließlich könnten auch
54
unkontrollierte Entzündungsreaktionen durch die Gabe von Probiotika ausgelöst
werden (Havenaar und Spanhaak 1994).
Für die Sicherheitsbewertung von Probiotika gibt es keine verbindlichen Richtlinien. Es ist vorgeschlagen worden, folgende Aspekte in eine Sicherheitsbewertung
einzubeziehen und sich zudem an der Novel-Food-Richtlinie zu orientieren (Lee
und Salminen 1995, Young 1998):
•
Risiko einer mikrobiellen Invasion (Infektiosität),
•
Toxikologische Untersuchung, einschließlich der Entstehung schädlicher Stoffwechselprodukte im Darm,
•
Abbau der Darmschleimhaut,
•
Epidemiologische Daten, Hinweise auf sichere Verwendung, insbesondere in
eher gefährdeten Personengruppen wie z. B. Kinder, Schwangere, Ältere,
•
Aufnahmemenge,
•
Anwendungsbereich,
•
Anwesenheit antinutritiver Faktoren,
•
Auswirkungen möglicher Veränderungen der Darmflora,
•
Einfluss auf Stoffwechselwege.
Verschiedentlich wurden kommerziell erhältliche Probiotika auf die darin enthaltenen Stämme und Lebendzellzahlen untersucht (z. B. Tamime und Marshall 1997,
Hamilton-Miller et al. 1999, Schillinger 1999). Dabei wurde festgestellt, dass einige
Produkte andere Stämme als die von den Herstellern angegebenen enthielten, und
dass teilweise so niedrige Lebendzellzahlen festgestellt wurden, dass ein therapeut ischer Nutzen der Produkte in Frage zu stellen ist. Darüber hinaus wurden Diskrepanzen zwischen der tatsächlichen Kennzeichnung der Produkte sowie generellen
Anforderungen10, die aus Konsumentensicht an eine Kennzeichnung zu stellen
sind, festgestellt. Diese Befunde lassen sich dahingehend interpretieren, dass
•
falsche oder fehlerhafte Bezeichnungen des verwendeten Stammes sowie eine
unzureichende mikrobiologische Qualität des Produktes als Indikatoren für ein
unzureichendes Qualitätsmanagement sowie nicht ausreichende wissenschaftliche und lebensmitteltechnologische Kompetenz bei den Herstellern der Starterkultur bzw. des probiotischen Produktes zu werten sind,
10 Aus Konsumentensicht sollten probiotische Produkte Angaben zu folgenden Punkten aufweisen:
Hinweis auf die Anwesenheit lebender Bakterien; genaue und korrekte Bezeichnung der enthaltenen Bakterien; Zahlenangaben zu den enthaltenen Bakterienarten in Einheiten, die sowohl mikrobiologisch korrekt als auch für Konsumenten verständlich sind; die Mindestaufnahmemenge,
die zur Erzielung des erwünschten gesundheitlichen Effektes erforderlich ist; sowie der genaue
Gehalt zum Zeitpunkt des Kaufs (Hamilton-Miller et al. 1999).
55
•
es die bisherige Praxis der Kennzeichnung probiotischer Produkte aufgrund der
zu konstatierenden Fehler und Lücken dem Konsumenten nicht erlaubt, wirksame von unwirksamen Produkten zu unterscheiden und eine gezielte Auswahl von
Produkten zu treffen, die seinen Bedürfnissen entsprechen,
•
Überwachungsbehörden kaum auf eine Verbesserung der Kennzeichnungspraxis
probiotischer Produkte hinwirken können, da sie konform mit der Rechtslage zur
Lebensmittelkennzeichnung ist (Hamilton-Miller et al. 1999).
4.2.1.4
Herstellung, Gewinnung
Mikroorganismen, wie z. B. Lactobazillen oder Bifidobakterien, die zur Herstellung
probiotischer Produkte verwendet werden, können aus dem menschlichen Gastrointestinaltrakt oder auch aus menschlichen Faeces gewonnen werden. Nach der Isolierung werden die Mikroorganismen über Subkulturen in geeigneten Nährmedien
vermehrt oder lebend bei konstanter Temperatur kultiviert und konserviert. Einmal
isolierte Bakterienstämme reproduzieren sich auf diese Weise über viele Jahre (Lee
et al. 1999, Nestlé 1999a). Aus der Vielzahl isolierter Mikroorganismen werden für
die Herstellung probiotischer Produkte solche Mikroorganismen verwendet, die den
Anforderungen in folgenden Bereichen genügen (Mattila-Sandholm und Salminen
1998):
•
technologische Aspekte,
•
gesundheitliche Wirkungen,
•
Sicherheit.
Tabelle 4.8 gibt eine Übersicht über wünschenswerte Eigenschaften probiotischer
Mikroorganismen. Nicht alle derzeit auf dem Markt befindlichen probiotischen
Kulturen bzw. Produkte erfüllen allerdings diese Anforderungen. So weist Tannock
(1997) darauf hin, dass bei der Auswahl probiotischer Kulturen in der Vergange nheit überwiegend technologische Kriterien im Vordergrund standen, während Informationen über die funktionellen Eigenschaften der Kulturen (d. h. Prozesse im
Darm günstig zu beeinflussen) weitgehend fehlten. Es wurden und werden daher
auch Stämme als Probiotika eingesetzt und als solche verkauft, welche die Verarbeitung und Lagerung bzw. die Bedingungen des Magen-Darm-Trakts nicht in ausreichenden Keimzahlen überleben (Goldin 1998) oder die keine spezifischen gesundheitsfördernden Eigenschaften aufweisen, die über diejenigen "normaler"
Milchsäurebakterien hinausgehen.
56
Tabelle 4.8:
Übersicht über wünschenswerte Eigenschaften probiotischer Mikroorganismen
Technologische Eigenschaften und Stabilität
•
hohe Produktivität während der Fermentation
•
Phagenresistenz
•
Fähigkeit, dem Produkt während und nach der Fermentation die gewünschten Geschmackseigenschaften und Aromaprofile zu verleihen
•
Erhalt eines guten Säureprofils während der Lagerung;
•
Fähigkeit, Verarbeitung und Lagerung in hohen Keimzahlen zu überleben und dabei die
probiotischen Eigenschaften beizubehalten
•
Stabilität nach Gefriertrocknung oder anderen Trocknungsmethoden
Gesundheitliche Wirkungen und klinische Eigenschaften
Grundsätzliche Fähigkeit, den Darm lebend zu erreichen, sich dort anzusiedeln und die
Zusammensetzung bzw. Aktivität der endogenen Darmflora zu beeinflussen
•
Resistenz gegenüber Säure und Galle
•
Anheftungsfähigkeit an menschliche Darmzellen
•
Produktion antimikrobieller Substanzen
•
Antagonistische Wirkung gegenüber kariogenen und pathogenen Bakterien
•
gesundheitliche Wirkungen klinisch belegt
•
für die gesundheitlichen Effekte ist eine Dosis-Wirkungs-Beziehung belegt
Sicherheit
•
Sicher für den menschlichen Verzehr
•
Herkunft aus dem menschlichen Körper
•
Korrekte Stamm-Identifizierung
•
hohe Produktivität während der Fermentation, um das Wachstum unerwünschter Mikroorganismen zu unterdrücken
Quelle: Eigene Zusammenstellung nach Lee und Salminen 1995, Salminen et al.
1996, Knorr 1998
Mittlerweile sind zahlreiche erfolgreiche probiotische Stämme im Hinblick auf ihre
funktionellen Eigenschaften charakterisiert worden, woraus Selektionskriterien für
neue probiotische Stämme abgeleitet werden können. Entsprechende in vitroTestsysteme sind etabliert, doch zeigt sich, dass stets eine Kombination von verschiedenen Tests erforderlich ist, um Probiotika gezielt für bestimmte Anwendungen auszuwählen. Darüber hinaus erwiesen sich bestimmte gesundheitliche Effekte
als stammspezifisch, so dass selbst nahe verwandte Stämme in Bezug auf diese Ei-
57
genschaften sehr unterschiedlich sein können. Dies weist darauf hin, dass Stämme
jeweils einzeln auf ihre Eigenschaften und Wirkungen untersucht werden müssen
und dass es unzulässig ist, einem Stamm Eigenschaften zuzuschreiben, wenn diese
nur an einem anderen Stamm nachgewiesen wurden (Mattila-Sandholm und Salminen 1998). Eine Übersicht über ausgewählte, kommerziell erhältliche probiotische
Bakterienstämme gibt Tabelle 4.9.
Tabelle 4.9:
Übersicht über ausgewählte, kommerziell erhältliche probiotische
Bakterienstämme
Stamm
Hersteller
Bifidobacterium longum BB536
Morinaga Milk Industries, Japan
Bifidobacterium sp. Bb-12 *
Christian Hansen, Dänemark
Enterococcus faecium "causido"
Lactobacillus acidophilus La 5
MD Foods
Christian Hansen, Dänemark
Lactobacillus acidophilus L-1
MONA
Lactobacillus acidophilus NCFB 1748
Arla, Schweden
Lactobacillus acidophilus NCFM
Rhone-Poulenc (Rhodia), Wisconsin, USA
Lactobacillus rhamnosus GG (ATCC
53103) *
Valio, Finnland
Lactobacillus casei YIT9018 (Shirota) *
Lactobacillus johnsonii LC-1 *
Yakult, Japan
Nestlé, Schweiz
Lactobacillus plantarum 299V *
ProViva, Finnland
Lactobacillus reuteri 1063 *
BioGaia Biologics, North Carolina, USA
Lactococcus lactis L1A
Norrmejerier
* die Stämme gelten als gut untersucht
Quelle: Kneifel 1996, Sanders 1998
Probiotische Mikroorganismen werden überwiegend in fermentierten Milchprodukten eingesetzt (s. Kap. 4.1.1.5). Viele probiotische Mikroorganismen vermehren
sich jedoch in Milch zu langsam, um eine ausreichende Säuerung und Konservierung der Milch in kurzer Zeit (20 bis 24 Stunden) zu erreichen. Der Säuerungsprozess wird daher meist beschleunigt, indem der Milch zusammen mit den probiotischen Kulturen traditionelle Joghurtkulturen wie z. B Streptococcus thermophilus
zugesetzt werden. Eine weitere technologische Schwierigkeit gegenüber der traditionellen Joghurtproduktion stellt die Sauerstoffempfindlichkeit von Bifidobakterien
(obligat anaerob) und Lactobacillen (microaerophil) dar. Bei der Produktion und
Verpackung muss auf einen minimalen Kontakt der Bakterienkulturen und des fermentierten Produkts mit Sauerstoff geachtet werden, um eine hohe Überlebensrate
58
der erwünschten Bakterienstämmen im Produkte zu erreichen (Svensson 1999,
Nestlé 1997).
Joghurtpulver mit probiotischen Bakterien lässt sich durch Sprüh- oder Gefrie rtrocknung von probiotischem Joghurt herstellen. Dabei ist die Gefriertrocknung
schonender für die Bakterien als die kostengünstigere Sprühtrocknung. In bestimmen Fällen kann durch das Zumischen von probiotischen Bakterienkulturen als gefriergetrocknetes Pulver eine höhere Keimzahl im Produkt erreicht werden (de Vrese 1997).
Bei der Herstellung probiotischer Süßwaren, ergibt sich die grundsätzliche Schwierigkeit, dass die Keimzahlen im Produkt höher liegen sollten als 106 lebende Bakterien pro Gramm, da die Portionsgrößen in der Regel sehr klein sind. Darüber hinaus
besteht die Grundmatrix von Süßwaren aus Zucker, Fett und einem geringen Wassergehalt und stellt damit für das Wachstum probiotischer Bakterienkulturen ein
ungeeignetes Milieu dar (de Vrese 1997).
4.2.1.5
Vorhandene Produkte
Probiotika werden in verschiedenen Formen kommerziell angeboten (Young 1998,
Sanders 1998): am häufigsten sind sie Bestandteil von fermentierten Milchprodukten, vor allem von Joghurt und Sauermilchprodukten, gefolgt von Milchdrinks und
probiotischem Quark. Vereinzelt werden sie aber auch in anderen fermentierten
Lebensmitteln (z. B. Wurst, Sauerkraut), als Milchpulver für Säuglings- und Kindernahrung oder in angelsächsischen Ländern als Süßwaren (z. B. gefrorene Dessertprodukte, Cookies) angeboten (s. Kap. 6). Tabelle 4.10 gibt einen Überblick
über derzeit auf dem schweizerischen Markt angebotene probiotische Produkte.
Neben den mulinationalen Konzernen Nestlé und Danone, sind die schweizerischen
Firmen Emmi AG und Swiss Dairy Food sowie die Handelskette Migros mit probiotischen Milchprodukten auf dem Markt vertreten. Die Firma Nestlé, die mit ihrem LC 1 Joghurt zunächst in Frankreich und Deutschland, dann 1995 in der
Schweiz, das erste probiotische Produkt auf den Markt brachte, dominiert den
Markt für probiotische Sauermilchprodukte (vgl. Kap. 6.3.1).
Neben probiotischen Milch- und Sauermilchprodukten sind gefriergetrocknete Probiotika-Kulturen als Nahrungsergänzungsmittel, meist in Tablettenform, im Handel.
In einigen Ländern werden Probiotika zur Behebung bestimmter Gesundheitsstörungen, wie z. B. Durchfallerkrankungen, angeboten (Hamilton-Miller et al. 1999).
Gefriergetrocknete Probiotika-Kulturen bieten den Vorteil, dass mit geringen Aufnahmemengen hohe Konzentrationen der probiotischen Kulturen verabreicht werden können. Demgegenüber muss bei probiotischen Milchprodukten täglich eine
ausreichend große Menge verzehrt werden (s. Kap. 4.2.1.2) um wirksame Mengen
der Probiotika aufzunehmen. Andererseits stellen fermentierte Milchprodukte ernährungsphysiologisch wertvolle Lebensmittel mit hoher Nährstoffdichte dar: sie
59
enthalten z. B. hochwertiges Protein, Calcium, Vitamine und weitere möglicherweise gesundheitsfördernde Inhaltsstoffe wie antimikrobielle Fermentationsprodukte,
physiologisch aktive Peptide und Proteine, antikarzinogene Substanzen (Sanders
1999).
Tabelle 4.10:
Beispiele für auf dem Markt befindliche probiotische Produkte
(Stand Dezember 1999)
Danone (F)
Produktename bzw.
Sachbezeichnung
Actimel Casei
Danone (F)
Actimel Cholesterol Control
Danone (F)
Actimel Orange Milch-Drink
Emmi AG
Actifit
Migros
Pro Bifidus-Joghurt
Nestlé
LC 1-Go
Lactobacillus johnsonii La1
Nestlé
LC 1-Drink
Lactobacillus johnsonii La1
Nestlé
LC 1-Joghurt
Lactobacillus johnsonii La1
Nestlé
LC 1-Quark
Lactobacillus johnsonii La1
Nestlé
LC 1 Petit Suisse
Nestlé
Junior Milk Bifidus BL
Lactobacillus johnsonii La1
Bifidobacterium lactis BL,, Eisen,
Zink, Jod
Nestlé
Beba 2 Bifidus BL
Bifidobacterium lactis BL
Swiss Dairy Food
Symbalance
Lactobacillus johnsonii, L. reuteri, L. casei, Raftilose
Hersteller/Vertrieb
4.2.1.6
Inhaltsstoff
Lactobacillus casei
Lactobacillus johnsonii,
Oligofructose
Lactobacillus casei
Lactobacillus Gorbach und Goldin, Oligofructose
Offene Fragen, Forschungsbedarf und sich abzeichnende Entwicklungslinien
In Bezug auf die Produktentwicklung zeichnen sich für Probiotika folgende Trends
ab:
•
Erweiterung des Spektrums probiotischer Milchprodukte von Joghurt, Sauermilchprodukten und Milchdrinks um Quark, Käse (Daigle et al. 1999) u. a.,
•
Entwicklung von Probiotika, die spezifisch für bestimmte Darmabschnitte, für
bestimmte Krankheiten oder für bestimmte Personen-/Altersgruppen sind,
•
Erschließung anderer Lebensmittelsegmente als Milchprodukte,
•
Einsatz von Mischkulturen von Probiotika.
60
Im Bereich der Forschung sind vor allem folgende Fragen zu klären:
•
Zusammensetzung, Dynamik und Funktionen der "normalen" Darmflora: Fortschritte bei molekularbiologischen Techniken und die Verbesserung aufwendiger
Biopsiemethoden ermöglichen dabei sowohl eine schnelle und genaue Taxonomie als auch das Studium der Dynamik und der Funktion von Darmbakterien,
•
Wirkungsmechanismen von Probiotika,
•
Isolierung, Charakterisierung und Entwicklung neuer probiotischer Stämme und
Mischkulturen,
•
Evaluierung des Einsatzes der Gentechnik zur Optimierung bestimmter Eigenschaften probiotischer Stämme,
•
Nachweis der Wirksamkeit von Probiotika bei den bisher nicht hinreichend bewiesenen gesundheitlichen Wirkungen (vgl. Tab. 4.6) in sorgfältig konzipierten
klinischen Studien am Menschen; Langzeitstudien, um die Wirkungsdauer von
Probiotika abschätzen zu können,
•
Entwicklung und Validierung von Biomarkern für klinische Studien,
•
technologische Aspekte.
4.2.2
Prebiotika
4.2.2.1
Definition und Funktion
Gibson und Roberfroid (1995) definierten Prebiotika als nichtverdaulichen Lebensmittelbestandteil, der sich durch selektive Stimulation des Wachstums und/oder
der Aktivität einer oder einer beschränkten Anzahl von Bakterienarten des Dickdarms nützlich auf den Menschen auswirkt und so dessen Gesundheit verbessert. In
einer neueren Definition auf Grundlage des von der Europäischen Union geförderten ENDO-Projects (European project on non-digestible oligosaccharides, DGXII
AIRII-CT94-1095) wird unter einem prebiotischen Effekt, die durch Lebensmittel
angeregte Steigerung der Zahl und/oder der Aktivität von überwiegend Bifidobakterien und Lactobacillen im menschlichen Darm verstanden. Der Gesundheitsaspekt
wurde aus der Definition entfernt, da bislang keine Informationen vorliegen, die
diesen Aspekt unterstützen (Van Loo et al. 1999).
Prebiotika unterscheiden sich von Probiotika dadurch, dass es sich bei Prebiotika
um nicht-lebende Lebensmittelbestandteile handelt, während in Probiotika lebende
Bakterienkulturen verwendet werden, die den Prozess der Nahrungsaufnahme und
Verdauung überleben müssen, um im Dickdarm ihre positive Wirkung zu entfalten.
Da das Überleben der Bakterienkulturen im oberen Verdauungstrakt sowie das rasche Verschwinden mit der Nahrung zugeführter Lactbacillen und Bifidobakterien
61
aus dem Stuhl kritische Aspekte von probiotischen Produkten sind, stellen Prebiotika eine Alternative zur Stimulierung potentiell günstiger Bakterienstämme im
Dickdarm dar. Darüber hinaus können Prebiotika auch mit Probiotika zu so genannten Synbiotika kombiniert werden (Gibson und Roberfroid 1995).
Nach Gibson und Roberfroid (1995) muss ein Lebensmittelbestandteil folgende
Voraussetzungen erfüllen, um als prebiotisch eingestuft werden zu können:
•
Dickdarm-Nahrung: keine Hydrolyse oder Absorption im oberen Verdauungstrakt.
•
Selektive Fermentation: Substrat für eine beschränkte Anzahl nützlicher Bakterienkulturen im Dickdarm, deren Wachstum stimuliert oder deren Stoffwechsel
aktiviert wird.
•
Ausgewogene Mikroflora: durch die Wirkung prebiotischer Lebensmittelb estandteile wird die Mikroflora im Dickdarm in Richtung einer für die Gesundheit
günstigeren Zusammensetzung verschoben; d. h. potentiell gesundheitsfördernde
Bakterien (speziell Lactobacillen, Bifidobakterien) werden dominant.
•
Systemische Effekte: nach der Resorption der Fermentationsprodukte aus dem
mikrobiellen Stoffwechsel (v. a. kurzkettige Fettsäuren) werden durch deren
metabolische Verwertung in Zielgeweben11 (Darmepithelzellen, periphere Gewebe) günstige Effekte auf die menschliche Gesundheit erzielt.
Bislang konnten nichtverdauliche Oligosaccharide und das Polysaccharid Inulin als
Inhaltsstoffe mit prebiotischer Wirkung identifiziert werden. Nichtverdauliche Oligosaccharide lagen auch der Entwicklung des prebiotischen Konzepts zugrunde
(Gibson und Roberfroid 1995). Bei diesen handelt es sich um Kohlenhydrate, die
aus zwei bis maximal zehn Einheiten bestehen und die aufgrund ihrer Bindungsform durch Enzyme des oberen Verdauungstrakts (Saccharase, Maltase, Isomaltase,
Lactase, α-Amylase) nicht abgebaut werden können. Sie erreichen den Dickdarm
praktisch unverdaut und werden dort von der Mikroflora fermentiert und zur Energiegewinnung herangezogen. Entsprechendes gilt für das Polysaccharid Inulin, das
natürlich in hohen Konzentrationen in Chicorée, Knoblauch, Zwiebel, Artischocke
und Spargel vorkommt. Der Polymerisationsgrad von Inulin schwankt und kann
über 50 Zuckereinheiten liegen.
4.2.2.2
Wirkungen und Wirkungsmechanismus von Prebiotika bei der
Krankheitsprophylaxe
Prebiotika sind eine Gruppe nicht-verdaulicher Kohlenhydrate (Oligosaccharide
und Polysaccharide), die einen spezifischen Einfluss auf die Darmflora ausüben.
11 Da jede kurzkettige Fettsäure den Stoffwechsel in anderer Weise beeinflusst, sind Art und Ve rhältnis der produzierten Fettsäuren von entscheidender Bedeutung.
62
Als nicht-verdauliche Komponenten unserer Nahrung gehören sie zur Gruppe der
Nahrungsfasern12. Einige der in der Literatur diskutierten Eigenschaften und Mechanismen von Prebiotika sind daher grundlegende Eigenschaften von Nahrungsfasern, die auch bei nicht-prebiotischen Nahrungsfasern nachweisbar sind. Dies betrifft sowohl die Produktion kurzkettiger Fettsäuren wie auch den Effekt der Stuhlgewichtserhöhung. Auch liegt beispielsweise eine Vielzahl Studien zu den Cholesterin senkenden Effekten der ß-Glucane des Hafers und anderer hoch viskoser
Nahrungsfasern vor (Wood und Beer 1998, Jenkins et al. 1998, Anderson und Hanna 1999). In Tabelle 4.11 sind Unterschiede und Gemeinsamkeiten von Nahrungsfasern allgemein und den prebiotisch wirkenden Nahrungsfasern Inulin und Oligofructose im Hinblick auf wichtige Funktionen im Verdauungstrakt dargestellt.
Tabelle 4.11:
Eigenschaften von Nahrungsfasern allgemein im Vergleich zu Inulin und Oligofructose im Hinblick auf Funktionen im Verdauungstrakt
Eigenschaft
Löslichkeit in Wasser
Verdaulichkeit der Substanz
Viskosität
Adsorption oder Bindung
von Gallensäuren
Fermentierbarkeit
Nahrungsfasern
Inulin und Oligofructose
bestimmte Polysaccharide
in Wasser löslich
sind in Wasser löslich
im Dünndarm überwiegend unverdaulich
z. T. hohe Viskosität benicht viskos
stimmter Polysaccharide in
Wasser
einige Nahrungsfasern binscheinen keine Gallensäuren
den oder adsorbieren Galle n- zu binden
säuren und steigern ihre Ausscheidung
Polysaccharide mit hoher
sehr gut fermentierbar
Wasserbindungs-Kapazität
sind fermentierbar
Quelle: Schneemann 1999
Zu den Wirkungen von prebiotischen Lebensmittelbestandteilen existieren insbesondere für Fructo-Oligosaccharide zahlreiche Studien, die sich mit den funktionellen Effekten auf die Mikroflora im Dickdarm, den Fettstoffwechsel und die Verfügbarkeit von Mineralien befassen. Bislang liegt jedoch nur eine eindeutige Evi12 Unter Nahrungsfasern werden im Allgemeinen pflanzliche Zellwandbestandteile verstanden, die
in solchen Bindungsformen vorliegen, dass sie in Magen und Dünndarm nicht enzymatisch abgebaut werden können und daher auch keine im Dünndarm resorbierbaren Monomere liefern.
Die Definition der Nahrungsfasern ist international nicht einheitlich. In England ist der Begriff
auf Nicht-Stärke-Polysaccharide (NSP) und Lignin, ein Abkömmling des Phenylpropans, eingeschränkt. NSP beinhalten die Gruppen der Cellulosen, Hemicellulosen und Pektin. Seit 1976
zählen zu den NSP auch 'gums', wie z. B. Galactomannane oder Alginate. In Amerika wird der
Begriff Complex Carbohydrates verwendet. Er beinhaltet neben den NSP auch resistente Stärke
(WCRF und AICR 1997).
63
denz zum bifidogenen Effekt von Fructo-Oligosacchariden und GalactoOligosacchariden vor (Roberfroid et al. 1998, Ito et al. 1993). Das Ausmaß des bifidogenen Effekts von Inulin und Fructo-Oligosacchariden wird dabei, wie mehrere
Studien zeigen, stärker von der Größe der Ausgangspopulation der Bifidobakterien
bestimmt, als von der Höhe der täglichen Dosierung (für Referenzen siehe Roberfroid und Delzenne 1998, Rao 1999).
Die Förderung günstiger Bakterienstämme ist intensiv bei Fructo-Oligosacchariden
und Galacto-Oligosacchariden untersucht worden. Bei den übrigen Oligosacchariden haben erste Studien eine positive Wirkung auf die Darmgesundheit wie auch
eine selektive Fermentation durch Bifidobakterien und Lactobacillen gezeigt
(Tab. 4.12). Weitere Untersuchungen zur Bestätigung dieser Effekte sind jedoch
unabdingbar.
Tabelle 4.12:
Oligosaccharide und selektive Förderung einzelner Bakterienstämme
Klasse
Wirkung auf
Quellen
Fructo-Oligosaccharide
Bifidobakterien
Roberfroid und Delzenne 1998
Gibson und Roberfroid 1995
Galacto-Oligosaccharide
Bifidobakterien
Lactobacillen
Matsumoto et al. 1993
Smart 1993
Ito et al. 1990, 1993
Gibson und Fuller 1998
Lactulose
Bifidobakterien
Lactobacillen
Tamura et al. 1993
Modler et al. 1990
Lactosucrose
Bifidobakterien
Crittenden und Playne 1996
Isomalto-Oligosaccharide
Bifidobakterien
Kaneko et al. 1994
Kohmoto et al. 1988
Gentio-Oligosaccharide
Bifidobakterien
Lactobacillen
Nakakuki et al. 1991
Sojabohnen-Oligosaccharide
Bifidobakterien
Hayakawa et al. 1990
Saito et al. 1992
Oku 1994
Xylo-Oligosaccharide
Bifidobakterien
Modler 1994
Über die selektive Förderung von bestimmen Bakterienstämmen hinaus wurden in
mehreren Untersuchungen Effekte auf die menschliche Gesundheit abgeleitet, die
jedoch bislang noch nicht in voneinander unabhängigen Studien beim Menschen
bestätigt werden konnten. Hier besteht weiterhin erheblicher Forschungsbedarf.
Tabelle 4.13 gibt einen Überblick über funktionelle Effekte und potentielle Vorteile
von Prebiotika für die menschliche Gesundheit.
64
Tabelle 4.13:
Funktionelle Effekte von Prebiotika und potentielle Auswirkungen
auf die menschliche Gesundheit
Funktionelle Effekte
•
•
•
•
Auswirkungen auf die Gesundheit
Veränderung der Mikroflora im Dic kdarm
•
Erleichterung bei Verstopfung
•
Verminderung des Risikos von Darminfektionen
Modulation des Lipidstoffwechsels
und/oder der Insulinämie
•
Wiederherstellung der InsulinEmpfindlichkeit
•
Verminderung von Atheriosklerose und
des Risikos kardiovaskulärer Erkrankungen
•
Verminderung des Risikos von nichtInsulin-abhängigem Diabetes mellituts
(NIDDM)
•
Verminderung des Osteoporoserisikos
•
Verbesserung der maximalen Knochendichte
•
Verminderung des Darmkrebsrisikos
Verbesserte Bioverfügbarkeit von Ca2+
Sonstige
Quelle: Roberfroid und Delzenne 1998
Veränderung der Mikroflora im Dickdarm
Prebiotische Nahrungsfasern wirken, wie andere Substanzen, die über eine schnelle
Fermentation zu einer Erhöhung der Bakterienbiomasse führen, über erhöhte
Stuhlmenge und -häufigkeit sowie schnelleren Darmtransit der Verstopfung entgegen. Der Präventionseffekt von Prebiotika bei infektiösen Verdauungskrankheiten
liegt vor allem in der Verhinderung des Wachstums schädlicher Bakterien durch
Stimulation des Wachstums potentiell günstiger Mikroorganismen (Gibson 1998).
Aber auch direkte hemmende Wirkungen durch Blockierung von Bindungsstellen
pathogener Erreger sind möglich und werden weiter untersucht (Zopf und Roth
1996). Darüber hinaus wird durch die Produktion kurzkettiger Fettsäuren aus der
Fermentation der Oligosaccharide der pH-Wert im Darm gesenkt und so ein ungünstiges Milieu für das Wachstum anderer Bakterien geschaffen.
Menge und Verhältnis der produzierten Fettsäuren sind sowohl substratabhängig
wie auch bakterienspezifisch. So sind in einer nahrungsfaserreichen Diät die Anteile
an Propionat und Butyrat erhöht, während eine stärkereiche Diät zur überwiegenden
Produktion von Acetat führt (Anderson und Hanna 1999). In vitro Fermentationsstudien deuten darauf hin, dass Inulin und Fructo-Oligosaccharide die Acetat- und
Butyrat-Produktion, Galacto-Oligosaccharide die Acetat- und Propionat-Produktion
sowie Xylo-Oligosaccharide ausschließlich die Acetat-Produktion erhöhen (Camp-
65
bell et al. 1997, Djouzi und Andrieux 1997). Die Bedeutung des Verhältnisses produzierter Fettsäuren liegt in der unterschiedlichen Verwertung der einzelnen Fettsäuren im Stoffwechsel. Acetat trägt als Energielieferant und Ausgangssubstanz für
die Cholesterinsynthese zur Stimulation der Cholesterinsynthese bei, während Propionat dieselbe hemmt (Anderson und Hanna 1999). Unter den kurzkettigen Fettsäuren ist insbesondere Butyrat für die Aufrechterhaltung einer intakten Darmschleimhaut von Bedeutung. Ein Ansteigen der Butyratkonzentration im Dickdarm
führt zum verstärkten Aufbau der Darmschleimhaut und damit verbunden zu einer
stärkeren Durchblutung der Schleimhaut (Roberfroid und Delzenne 1998). Bifidobakterien produzieren jedoch kein Butyrat (Van Loo et al. 1999).
Verbesserung der Calciumverfügbarkeit
Der Präventionseffekt für Osteoporose wird aus der verbesserten Verfügbarkeit von
Calcium, insbesondere der erhöhten Absorptionsrate hergeleitet (Gibson 1998). In
Ratten konnte gezeigt werden, dass eine Supplementierung der Diät mit 5 % bis
20 % Fructo-Oligosacchariden die Calcium- und Magnesium-Absorption wie auch
die Eisen- und Zink-Bilanz verbessern (Demigné et al. 1989, Levrat et al. 1991,
Delzenne et al. 1995, Ohta et al. 1995). Verschiedene Tiermodelle deuten darauf
hin, dass erhöhte Calcium-Absorptionsraten auf Vorgänge im Dickdarm zurückzuführen sind und in einer höheren Knochendichte resultieren (Van Loo et al. 1999).
Für den Wirkungsmechanismus wurden folgende Hypothesen formuliert (Roberfroid und Delzenne 1998):
•
Osmotischer Effekt: durch den osmotischen Effekt nichtverdaulicher Kohlenhydrate wird Wasser in den Dickdarm transferiert, wodurch die Löslichkeit der Mineralstoffe zunimmt,
•
Säuerung des Dickdarminhalts durch die Fermentation und Produktion von kur zkettigen Fettsäuren sowie Bildung von löslichen Calcium- und Magnesiumsalzen
mit diesen Säuren,
•
Hypertrophie der Dickdarmwand.
In in-vivo Studien beim Menschen konnten positive Effekte auf Absorption und
Bilanz von Calcium bestätigt werden und das unabhängig von der Calciumzufuhr
und ohne die Ausscheidung über den Harn zu verändern (Coudray et al. 1997; van
den Heuvel et al. 1998). Keine Effekte wurden dagegen bei Magnesium, Eisen und
Zink festgestellt (Roberfroid und Delzenne 1998).
66
Auswirkungen auf den Fettstoffwechsel
Die Einflüsse von Prebiotika auf den Fettstoffwechsel betreffen im Wesentlichen
eine Senkung des Cholesterin- und/oder des Triglycerid 13-Plasmaspiegels und ein
erhöhtes HDL/LDL14 Cholesterin Verhältnis. Es wird daher eine Verminderung des
Arteriosklerose-Risikos vermutet. Die Auswirkungen auf den Fettstoffwechsel sind
intensiv bei Ratten untersucht worden, wobei unter den relevanten Parametern, die
LDL-Fraktion bei einer Inulin-Supplementierung am stärksten gesenkt wurde (Roberfroid und Delzenne 1998). Ein Rückgang des LDL-Cholesterins konnte bislang
nur in je einer Studie bei Patienten mit nicht-Insulin-abhängiger diabetischer Stoffwechsellage bzw. bei Patienten mit erhöhten Blutcholesterinwerten bestätigt werden
(Yamashita et al. 1984; Davidson und Maki 1999).
Als Wirkungsmechanismus für die Senkung des Serumcholesterins stehen bislang
zwei Erklärungsansätze zur Verfügung. Lösliche Nahrungsfasern mit hoher Viskosität binden Gallensäuren, verhindern so deren Rückresorption im Dünndarm und
führen zu einer höheren Ausscheidung von Gallensäuren im Stuhl. Bei verminderter
Rückresorption der Gallensäuren stehen in der Leber jedoch weniger Gallensäuren
zur Rekonjugierung und erneuten Ausscheidung über die Galle zur Verfügung. Infolgedessen kommt es in der Leber zu einer beschleunigten Umwandlung von
Cholesterin in Gallensäuren. Da die Umwandlung in Gallensäuren die de novo
Synthese von Cholesterin übersteigt, sinkt der Blutcholesterinspiegel (Anderson
und Hanna 1999, Rehner und Daniel 1999). Oligosaccharide wie FructoOligosaccharide oder Galacto-Oligosaccharide, aber auch Inulin sind jedoch niederviskos (vgl. Tab. 4.11). Eine Beeinflussung des Fettstoffwechsels über eine erhöhte Bindung von Gallensäuren erscheint daher für diese Komponenten fraglich.
Eine zweite Hypothese, wonach das im Dickdarm gebildete Fermentationsprodukt
Propionat die Biosynthese von Cholesterin und Fettsäuren in der Leber senkt, ist
bislang nur in in vitro Studien und im Tierexperiment bestätigt worden (Demignè
et al. 1995, Wright et al. 1990, Thacker et al. 1981). Beim Menschen liegt bislang
nur eine Studie vor, in der kurzkettige Fettsäuren rektal injiziert wurden (Wolever
et al. 1989). Es ist fraglich, ob über eine Nahrungsaufnahme von prebiotischen Nahrungsfasern im menschlichen Dickdarm durch Fermentation ausreichende Mengen
an Propionat gebildet werden können, um einen entsprechenden cholesterinsenkenden Effekt zu erzielen.
13 Lipidunterklasse: Neutralfette, die mit 3 Molekülen gleicher oder – meist – verschiedener Fettsäuren pro Glycerinmolekül verestert sind.
14 HDL: high density lipoprotein. Lipoproteine hoher Dichte, dessen Vorläufer in Leber und Darmepithel entstehen und die im Blut durch Aufnahme von Lipiden und Apoproteinen zu sphärischen Molekülen reifen. LDL: low density lipoprotein. Lipoproteine geringer Dichte. Sie enthalten ca. 80 % des Serumcholesterins. Höhere HDL-Werte scheinen mit geringerem Risiko arteriosklerotischer Gefäßerkrankungen einherzugehen, während ein geringes HDL/LDL Konzentrations-Verhältnis dieses Risiko erhöht.
67
Der Rückgang der Triglycerid-Konzentration wird auf die Verringerung der de novo
Synthese von Fettsäuren in der Leber durch Hemmung lipogener Enzyme zurückgeführt (Delzenne und Kok 1998). Die Wirkung auf den Trigylceridspiegel konnte
bislang aber nur in einer Studie beim Menschen bestätigt werden. Während der
Inulin-Aufnahme wurden erhöhte Cholesterin Konzentrationen im Stuhl gefunden
(Canzi et al. 1995). Dieser Effekt wird auf die Fähigkeit der Bifidobakterien und
Lactbacillen zurückgeführt, aus fermentierten Produkten Cholesterin zu entfernen
(Tungland 1998).
Die zur Zeit vorliegenden Daten zur Beeinflussung des Fettstoffwechsels durch
Prebiotika sind insgesamt inkonsistent und Hinweise für eine positive Veränderung
liegen nur für Inulin und Oligofructose und nicht für andere prebiotische Inhaltsstoffe vor (Van Loo et al. 1999).
Frühere Untersuchungen zum Polysaccharid Inulin haben bestätigt, dass es nicht
glykämisch wirkt und daher zu einer verbesserten Glucosetoleranz und InsulinEmpfindlichkeit beiträgt. Inulin wird nicht, wie seine monomeren Komponenten
Fructose und Glucose, während der Verdauung abgebaut und im Dünndarm absorbiert. Es trägt daher nicht zur Erhöhung des Blutglucosespiegels oder auch der Erhöhung des Insulinspiegels im Blut bei. Inulin ist daher für Ernährung bei Diabetes,
insbesondere bei nicht-Insulin-abhängigem Diabetes mellitus (NIDDM) geeignet
(Tungland 1998).
Risikominderung bei Dickdarmkrebs
Darmkrebs beim Menschen wird von einer Reihe karzinogener bzw. kokarzinogener Komponenten verursacht, die alle mikrobiellen Ursprungs sind (Gibson und Fuller 1998). Prebiotika führen zu einer verminderten Anhäufung dieser
Komponenten im Darm einerseits durch das erhöhte Stuhlgewicht (Verdünnungseffekt), andererseits durch die erhöhte Stuhlfrequenz und den schnelleren Darmtransit. Darüber hinaus ist eine Veränderung der Aktivität von Enzymen, die bei der
Kanzerogenese beteiligt sind (z. B. Azoreductase, Nitroreductase und ßGlucuronidase), möglich (Rowland 1996). In verschiedenen Tierstudien konnte bei
einer Diät mit Fructo-Oligosacchariden eine signifikante Verminderung der Inzidenz von so genannten anomalen "Kryptenzellen" festgestellt werden. Diese werden
durch Dickdarmkarzinogene wie Azoxymethan oder Dimethylhydrazin verursacht
(Reddy et al. 1997, Rowland et al. 1998). Darüber hinaus führten Inulingaben bei
Ratten mit menschlicher Darmflora zur Stimulation der Produktion von
Sulphomucin und zur Reduktion von Sialomucin (Fontaine et al. 1996). Beide Effekte werden mit einem reduziertem Darmkrebsrisiko in Verbindung gebracht (Cassidy et al. 1990).
Ein weiterer protektiver Effekt durch die Aufrechterhaltung einer intakten Darmschleimhaut wird der kurzkettigen Fettsäure Butyrat zugeschrieben, die im Fer-
68
mentationsprozess aus Prebiotika und anderen Nahrungsfasern gebildet wird. In
normalen Kryptenzellen fördert Butyrat die Zellproliferation, reduziert Zelldifferenzierungsprozesse und unterdrückt den programmierten Zelltod (Apoptose), während
in anomalen Zellen die Zellteilungsrate reduziert und die Expression mutierter Tumorsuppressorgene verhindert wird. Auf diese Weise wird ein Schutz vor der Progression des Tumors erreicht. Darüber hinaus könnten durch Prebiotika die Stoffwechselwege schädlicher Mikroorganismen wie Clostridien und/oder Bakteroiden
von proteolytischer in Richtung saccharolytischer Fermentation verändert werden
(Gibson und Fuller 1998).
4.2.2.3
Sicherheitsaspekte
Einige neue Prebiotika, die auf den Markt der Europäischen Gemeinschaft kommen,
fallen unter die Novel Food Verordnung. Sie werden gemäß dieser auf Sicherheitsund Ernährungsaspekte untersucht und bewertet. Prebiotika des Fructosyl-Typs
werden aufgrund ihres natürlichen Vorkommens in Früchten, Gemüse und Getreide
als natürliche Lebensmittelinhaltsstoffe klassifiziert und sind als Novel Food Inhaltsstoff freigegeben (Salminen et al. 1998). In ähnlicher Weise sind Prebiotika des
Galactosyl-Typs in den Niederlanden als Novel Food Inhaltsstoff freigegeben wo rden (Staatscourant 1996).
Wie alle nichtverdaulichen Kohlenhydrate, die osmotische Eigenschaften haben und
im Dickdarm umfassend fermentiert werden, können die bislang identifizierten Prebiotika Darmbeschwerden oder auch bei sehr hohen Dosierungen laxative Wirkungen hervorrufen (Roberfroid und Delzenne 1998). In einer Studie zu den Auswirkungen von Inulin (18 g/Tag im Vergleich zu einer normalen Aufnahmemenge von
4 g/Tag) bei Männern und Frauen mit erhöhtem Cholesterinspiegel wurden als Nebeneffekt einer Inulindiät leichte Verdauungsbeschwerden festgestellt, die jedoch in
Wirkung und Ausmaß den Effekten bei Zufuhr anderer löslicher Nahrungsfasern
entsprach (Davidson und Maki 1999). Bei hohen Dosierungen haben nicht verdauliche Kohlenhydrate abführende Wirkung. Mit größeren Verdauungsbeschwerden ist
einerseits bei täglichem Verzehr von 30 g Inulin in einer einzigen Gabe zu rechnen
und andererseits wenn nicht verdauliche Kohlenhydrate in flüssigen Lebensmitteln
aufgenommen werden. Das Beschwerderisiko verringert sich, wenn die gesamte
Menge nicht verdaulicher Kohlenhydrate auf mehrere Gaben pro Tag verteilt wird
und darüber hinaus, wenn Lebensmittel mit nicht verdaulichen Kohlenhydraten als
Bestandteil einer kompletten Mahlzeit konsumiert werden (Roberfroid und Delzenne 1998).
4.2.2.4
Herstellung, Gewinnung
Nicht-verdauliche Oligosaccharide werden entweder durch Heißwasserextraktion
aus Pflanzen (z. B. Chicorée, Sojabohnen, Mais) gewonnen, gefolgt von einer mög-
69
lichen enzymatischen Hydrolyse der extrahierten Moleküle oder sie werden durch
Synthese aus Disacchariden (z. B. Saccharose, Lactose) mit Hilfe von spezifischen
Transferasen hergestellt (Tab. 4.14) (Palcic 1999, Niness 1999).
Lactulose wird bislang zu 90 % im pharmazeutischen Bereich eingesetzt. Es liegt
mit einer geschätzten Produktion im Jahr 1995 von 20.000 t vor GalactoOligosacchariden und Fructo-Oligosacchariden, die mit einer Produktion von
15.000 t bzw. 12.000 t weltweit für die Herstellung prebiotischer Lebensmittel am
bedeutendsten sind. In Europa werden Lactulose von den Firmen Solvay, Milei
GmbH (Deutschland), Laevosun (Österreich) und Inalco SPA (Italien) hergestellt,
während Galacto-Oligosaccharide von der niederländischen Firma Borculo Whey
Products unter dem Handelsnamen TOS-Syrup  angeboten werden. Das FructoOligosaccharid Inulin-Oligofructose wird von der belgischen Südzuckertochter
Orafti hergestellt und unter dem Handelsnamen RAFTILOSE angeboten. Das aus
Chicorée extrahierte Inulin enthält neben Polysacchariden auch FructoOligosaccharide und wird von Orafti als RAFTILINE vermarktet. Ebenfalls in
Belgien wird das Inulin-Produkt "Fibruline" von der Firma Cosucra produziert und
hauptsächlich als Fettersatzstoff eingesetzt. Das niederländische Unternehmen Consun-Sensus extrahiert Inulin aus Chicorée und bietet Inulin als Lebensmittelzusatzstoff für die Lebensmittelindustrie in Pulverform unter den Handelsnamen Frutafit-Inulin und Frutafit-TEX sowie als Sirup mit dem Namen Frutasun an. Transfructosylierte Fructo-Oligosaccharide werden schließlich noch von der Firma Trinova in der Schweiz und von Beghin-Meiji Industries, einem Jointventure der japanischen Firma Meiji Seika Kaisha mit dem französischen Zuckerproduzenten Be ghin Say, in Frankreich unter dem Handelsnamen Actilight angeboten. Alle übrigen
Oligosaccharide werden bislang ausschließlich in Japan hergestellt (Crittenden und
Playne 1996).
70
Tabelle 4.14:
Herstellung prebiotischer Oligosaccharide
Klasse
FructoOligosaccharide
Ausgangsprodukt
Herstellungsprozess
Saccharose
Transfructosylierung mit ß-Fructofuranosidase
Inulin
Extraktion aus Chicorée;
Enzymatische Hydrolyse mit Inulinase
GalactoOligosaccharide
Lactose
Transgalactosylierung mit ß-Galactosidase
Lactulose
Lactose
Lactosucrose
Lactose + Saccharose
Alkalische Isomerisierung; Glucoseeinheit
wird zu Fructose konvertiert
Transfructosylierung mit ß-Fructofuranosidase
IsomaltoOligosaccharide
Stärke
Konversion zu Maltose durch α-Amylase
und ß-Amylase
Transglycosylierung mit α-Glucosidase
GentioOligosaccharide
Stärke
Enzymatische oder saure Hydrolyse
Enzymatische Transglycosylierung
SojabohnenOligosaccharide
Sojabohnen-Molke
Direkte Extraktion
XyloOligosaccharide
Xylan (aus Maiskolben)
Enzymatische Hydrolyse mit Endo-1,4-ßXylanase
Quelle: Crittenden und Playne 1996
4.2.2.5
Vorhandene Produkte
In Tabelle 4.15 sind Beispiele von prebiotischen Produkten zusammengefasst, die
aktuell in Europa auf dem Markt sind. Unter den Oligosacchariden werden FructoOligosaccharide und Galacto-Oligosaccharide auf dem europäischen Markt am hä ufigsten in Produkte integriert. In der Schweiz werden zunehmend Produkte mit prebiotischen Inhaltsstoffen angeboten. So lancierte Novartis Consumer Health Ende
1999 unter dem Namen "AVIVA" einige Lebensmittel mit FructoOligosacchariden, die Firmen Nestlé, Swiss Dairy Food und Migros haben prebiotische Milch- und Sauermilchprodukte in ihrer Produktpalette, während Bio-Familia
sein Angebot an Cerealien durch Frühstücksflocken mit prebiotischen Inhaltsstoffen
ergänzt.
71
Tabelle 4.15:
Beispiele für auf dem Markt befindliche Prebiotika (Stand Deze mber 1999)
Produktename bzw. Sachbezeichnung
Inhaltsstoff
Borculo Whey
(Niederlande)
Fibre spirit
Galacto-Oligosaccharide
Borculo Whey
(Niederlande)
Get up well
Galacto-Oligosaccharide
Borculo Whey
(Niederlande)
Synbeast
Galacto-Oligosaccharide
Suntory Ltd. (Australien)
Bikkle
Xylo-Oligosaccharide
The Calpis Food Industry
Co. (Australien)
OligoCC
Sojabohnen-Oligosaccharide
Novartis Consumer Health
(Schweiz)
AVIVA Digestive Balance:
Instant Schokoladegetränk
Fructo-Oligosaccharide
Hersteller/Vertrieb
Alkoholfreie Getränke
Milch- und Sauermilchprodukte
Borculo Whey
(Niederlande)
Megakid
Galacto-Oligosaccharide
Emmi AG
4-Plus-Joghurt
Fructo-Oligosaccharide
(Inulin)
Migros (Schweiz)
Actilife Glace
Fructo-Oligosaccharide
Migros (Schweiz)
Slimline Frischkäse
Fructo-Oligosaccharide
(Inulin, Oligofructose)
Mona (Niederlande)
Fysiq
Fructo-Oligosaccharide
Nestlé (Schweiz)
Petit Suisse LC1 mit Oligofructose
Fructo-Oligosaccharide
Nutritia (Belgien)
Fyos
Fructo-Oligosaccharide
Swiss Dairy Food (Schweiz)
Symbalance
Fructo-Oligosaccharide
Yakult (Japan)
Bifiel
Galacto-Oligosaccharide
Bio-Familia (Schweiz)
a.c.e. balance
Fructo-Oligosaccharide
(Inulin)
Novartis Consumer Health
(Schweiz)
AVIVA Digestive Balance:
Biscuits
Cerealienmischung
Fructo-Oligosaccharide
Backwaren, Cerealien
72
Bislang werden prebiotische Inhaltsstoffe in Getränken, Milch- und Sauermilchprodukten wie auch Backwaren und Cerealien integriert. Daneben können Prebiotika
aber auch in folgenden Produktbereichen eingesetzt werden:
•
Süßwaren und Konfekt
•
Eiscreme und Gelees
•
Brotaufstriche (Marmeladen, Konfitüre)
•
Babymilchnahrung
4.2.2.6
Offene Fragen, Forschungsbedarf und sich abzeichnende Entwicklungslinien
Dem Einsatz von Prebiotika in der Ernährung und damit zusammenhängend der
Prävention verschiedener Krankheiten mit Hilfe von Prebiotika in Functional Food
steht noch eine Reihe offener Fragen entgegen, die in weitergehender Forschung
untersucht werden müssen. Bislang noch nicht eindeutig geklärt ist die Höhe der
Dosierung von Prebiotika und der Dosis-Wirkungs-Zusammenhang. Hierbei sollte
besonderes Augenmerk auf niedrige Dosierungen gelegt werden, um die möglichen
unerwünschten Nebeneffekte auf die Verdauung zu unterbinden. Darüber hinaus ist
die Persistenz des bifidogenen Effekts bei Einhaltung und nach Absetzen einer prebiotikahaltigen Diät noch nicht geklärt.
Ein weiterer wichtiger Aspekt sind die postulierten Auswirkungen von Prebiotika
auf die menschliche Gesundheit. Bisher werden Effekte auf verschiedene Krankheitsbilder aus den funktionellen Effekten der Prebiotika abgeleitet oder wurden in
Tierversuchen untersucht (vgl. Kap. 4.1.2.2). Auf Grundlage der daraus entwickelten Hypothesen sollten sich jetzt Interventionsstudien zur Bestätigung dieser Gesundheitseffekte beim Menschen anschließen. Beispielsweise sollte der Einfluss
von Prebiotika auf den Calciumstoffwechsel weiter geklärt werden. In der Krebsforschung sollte der inhibitorische Effekt von Prebiotika auf anomale Kryptenze llen, die als Marker für ein erhöhtes Dickdarmkrebsrisiko herangezogen werden
können, näher untersucht werden (Roberfroid 1998a). Auch scheint aus Tierversuchen der synbiotische Ansatz, also die Kombination von Prebiotika mit Probiotika,
vielversprechender im Hinblick auf eine positive Beeinflussung der Dickdarmflora
und bedarf weiterer Untersuchung beim Menschen (Gallaher et al. 1996; Rowland
et al. 1998).
Für die praktische Anwendung von Prebiotika sind darüber hinaus der Einbau von
Oligosacchariden in geeignete Lebensmittel ("food vehicles") sowie technologische
Aspekte wie gute Konservierungs- und Trocken-Eigenschaften der Oligosaccharide
oder die Regulierung der Viskosität von Bedeutung.
73
Da der Markt für Oligosaccharide in den letzten Jahren expandiert, ist auch mit der
Entwicklung weiterer prebiotischer Oligosaccharide zu rechnen. Als potentiell prebiotisch werden bereits folgende Oligosaccharide eingestuft: α-GlucoOligosaccharide (Djouzi et al. 1995), Lacto-Neotrehalose (Fujita et al. 1995), Hetero-Oligosaccharide (Gallaher et al. 1996). Von Interesse ist auch die enzymatische
Synthese von "Designer"-Molekülen mit multiplen Funktionen/Aktivitäten (z. B.
Blockierung der Bindungsstellen pathogener Bakterien). Nicht zuletzt wird aber die
Entwicklung synbiotischer Produkte einer der Haupttrends in diesem Bereich darstellen.
4.2.3
Antioxidantien
4.2.3.1
Definition und Funktion
Antioxidantien sind Substanzen, die in geringen Konzentrationen – verglichen mit
derjenigen eines oxidierbaren Substrats – die Oxidation eines Substrats signifikant
verzögern oder verhindern (Halliwell 1996). Antioxidantien deaktivieren reaktive
Sauerstoff- und Stickstoff-Spezies (Prooxidantien), die andernfalls durch Oxidation
wichtiger biologischer Makromoleküle wie DNA, Proteine und Lipide pathobiochemische Mechanismen auslösen und so zur Entstehung verschiedener Krankhe iten beitragen. Prooxidantien15 führen beispielsweise zu einer oxidativen Schädigung der DNA beim Menschen mit einer täglichen Rate von 104 Treffern pro Zelle
(WCRF und AICR 1997).
Die meisten, aber nicht alle Schädigungen werden von internen Überwachungs- und
Reparatursystemen korrigiert (WCRF und AICR 1997). Neben körpereigenen Abwehrmechanismen spielen auch Antioxidantien, die mit der Nahrung aufgenommen
werden, bei der Verhinderung und/oder Unterbrechung oxidativer Kettenreaktionen
eine wichtige Rolle. Hierzu zählen insbesondere (Ramarathnam et al. 1995, Halliwell 1996):
•
Vitamin E. Vitamin E ist enthalten in pflanzlichen Ölen und Weizenkeimen,
Nüssen, Samen und grünen Blattgemüsen (Kitts 1997).
15 Prooxidantien sind entweder freie Radikale (Moleküle mit einem ungepaarten Elektron) oder
andere reaktive Komponenten, die in der Lage sind Biomoleküle zu oxidieren. Sie werden im
Körper z. B. durch Strahlungseinflüsse, exogene Toxine, bei der Reaktion körpereigener Moleküle (z. B. Adrenalin oder Dopamin) mit Sauerstoff oder auch als Nebenprodukte bei der körpereigenen Abwehr durch Phagozyten gebildet. Zu den wichtigsten Prooxidantien gehören: Peroxyl-Radikale (ROO•), Hydroxyl-Radikale (OH•), Stickoxid-Radikale (NO•), Superoxid-Anion1
Radikale (O2•¯), Singlet-Sauerstoff ( O2), Peroxynitrit (ONOO¯) und Wasserstoffperoxid (H2 O2)
(Diplock et al. 1998).
74
•
Vitamin C. Reich an Vitamin C sind Zitrusfrüchte, Gemüsepaprika, Kartoffeln
und anderes Obst und Gemüse.
•
Carotinoide16. Gute Lieferanten von Carotinoiden sind gelbe und orangefarbige
Obst- und Gemüsesorten sowie dunkelgrünes Blattgemüse (z. B. Karotte, Paprika, Mango, Aprikose, Spinat). Neben dem Hauptcarotinoid Beta-Carotin sind
weitere Carotinoide im Hinblick auf Functional Food von Interesse. Dies sind
Lycopin (Tomaten), Lutein (Spinat, Brokkoli, Mais), Zeaxanthin (Mais), αCarotin (Karotten, Avocado) sowie β-Cryptoxanthin (Zitrusfrüchte) (Astorg
1997, WCRF und AICR 1997).
•
Flavonoide16 . Flavonoide ist ein Sammelbegriff für polyphenolische Antioxidantien mit den Untergruppen Flavanole, Flavonole, Flavanone, Flavone, Isoflavone und Anthocyanidine. Sie sind in Obst und Gemüse sowie einigen Getränken (Rotwein, grüner und schwarzer Tee sowie Fruchtsäfte) enthalten. Die Bioverfügbarkeit von Flavonoiden ist meist begrenzt (Peterson und Dwyer 1998).
•
Phenole16 . Neben Flavonoiden sind noch andere phenolische Substanzen als Antioxidantien interessant, so zum Beispiel Zimtsäurederivate, Bestandteile des
Olivenöls und Bestandteile aus Gewürzpflanzen wie Rosmarin, Oregano, Minze
und Thymian.
Die Antioxidantien unterscheiden sich in der Wirkung hinsichtlich ihrer Spezifität
und Effektivität gegenüber den verschiedenen Prooxidantien. Tabelle 4.16 gibt einen Überblick über endogene und mit der Nahrung zugeführte Antioxidantien, ihre
Substratspezifität und Wirkungsweise. Unter den mit der Nahrung zugeführten Antioxidantien wirkt Vitamin C als leistungsstärkstes und am wenigsten toxisches natürliches Antioxidans. Vitamin C kann neben der Deaktivierung verschiedener reaktiver Spezies (Tab. 4.16) Tocopherol (Vitamin E) aus dem Tocopheroxyl-Radikal
regenerieren. Allerdings kann Vitamin C in Anwesenheit freier Eisen oder KupferIonen auch als Prooxidans wirken (Halliwell 1996).
Vitamin E und Carotinoide gehören zur Gruppe lipophiler Antioxidantien. Die
Hauptfunktion von Vitamin E ist die Verhinderung der Kettenreaktion der LipidPeroxidation in Membranen und Lipoproteinen, während Carotinoide in Lipoproteinen wie LDL (low density lipoprotein) und HDL (high density lipoprotein) vorhanden sind und die effektivsten natürlich vorkommenden Gegenspieler von Singlet-Sauerstoffen sind. Flavonoide wirken aktiv gegen Peroxyl-, Hydroxyl- sowie
Superoxid-Anion-Radikale (Halliwell 1996, Diplock et al. 1999).
16 Die über antioxidative Effekte hinausgehenden Wirkungen dieser Substanzgruppen werden in
Kapitel 4.2.4 diskutiert.
75
Tabelle 4.16:
Antioxidantien, ihre Substrate und Wirkungsweise
Gruppe
Antioxidans
Substrat
Antioxidantien aus der Nahrung
1
lipophile
Vitamine
Physikalische Deaktivierung
durch Energietransfer
Carotinoide
Vitamin E (αTocopherol)
hydrophile
Vitamine
O2
ROO•
Chemische Deaktivierung
ROO•
Deaktivierung zu Hydroperoxiden und Tocopheroxyl-Radikal
O2 •¯
Starkes Reduktionsmittel
1
Vitamin C
Bindung freier Metalle
O2
H2 O2
OH
•
Regeneriert Vitamin E aus dem
Tocopheroxyl-Radikal
O2 •¯
Polyphenole
Flavonoide
ROO•
OH•
Körpereigene Abwehrmechanismen
Wirkungsweise
Enzyme zur Detoxifikation
Deaktivierung durch Bildung von
Phenoxy-Radikalen
SuperoxidDismutase
(SOD)
O2 •¯
katalysiert Umwandlung der
Radikale in H2 O2 und O2
Catalase
H2 O2
katalysiert die Zersetzung in
Wasser und O2
GlutathionPeroxidase (Seabhängig)
H2 O2
katalysiert die Reduktion von
H2 O2 zu Wasser; Cofaktor ist
reduziertes Glutathion (GSH)
Enzyme zum
Wiederherstellen Glutathion
endogener Anti- Reductase
oxidantien
katalysiert die Reaktion von
oxidiertes
NADPH+H + und GSSG zu reduGlutathion
ziertem Glutathion (GSH) und
(GSSG)
NADP
Metallbindende
Proteine
(freie Metallionen katalysieren
die Bildung von
OH•)
Ferritin
Eisen
Eisenspeicherung in Milz, Leber
und Darmschleimhaut
Transferrin
Eisen
Eisenspeicherung und Transport
im Blut
Caeruloplasmin
Kupfer
Kupferspeicherung und Transport im Blut
Quelle: Eigene Zusammenstellung nach Diplock et al. 1999 und Halliwell 1996
76
4.2.3.2
Wirkungen und Wirkungsmechanismus von Antioxidantien bei de r
Krankheitsprophylaxe
Dass oxidative Prozesse bei der Entstehung von Krankheiten wie Arteriosklerose,
Krebs und verschiedenen degenerativen Erkrankungen eine Rolle spielen, ist gut
belegt. In Modellsystemen lässt sich die Schutzwirkung von Antioxidantien nachweisen, wobei die Vitamine C und E sowie bestimmte Carotinoide intensiv untersucht sind (Kitts 1997, Decker 1998). Epidemiologische Studien zeigen, dass ein
regelmäßiger Verzehr einer obst- und gemüsereichen Kost das Erkrankungs- und
Mortalitätsrisiko senkt (Steinmetz und Potter 1996, Gaziano 2000,). Dabei stützt der
größte Teil der epidemiologischen Studien die Hypothese, dass die Vitamine C und
E sowie Beta-Carotin zur Senkung des Erkrankungsrisikos beitragen können, doch
ist eine eindeutige Zuordnung der positiven Effekte zu bestimmten bioaktiven Bestandteilen (oder auch Kombinationen einzelner Substanzen) von Obst und Gemüse
aufgrund der verfügbaren Daten noch nicht möglich.
Daten aus dem 1987 durchgeführten National Health Interview Survey in den USA
zeigen eine enge Korrelation zwischen der Zufuhr an Carotinoiden bzw. Vitamin C
und dem Verzehr von Gemüse und Früchten (Ziegler et al. 1992). Diese Antioxidantien können daher, auch wenn schlüssige Nachweise für ihre positiven Effekte
bislang ausstehen, als Marker für das gesundheitsfördernde Potential der unzähligen
Bestandteile von Obst und Gemüse dienen.
Bisher sind nur wenige Antioxidantien eingehend bezüglich ihrer Wirkungsweise
untersucht worden (Vitamin E, Vitamin C und Beta-Carotin). Über andere Antioxidantien, beispielsweise einzelne Flavonoide oder andere Carotinoide außer BetaCarotin, liegen eher nur punktuelle Informationen vor, obwohl diese Substanzen
möglicherweise eine größere biologische Wirksamkeit aufweisen als die bisher eingehend charakterisierten Antioxidantien. Tabelle 4.17 gibt einen Überblick über den
Erkenntnisstand zu Schutzwirkungen von Antioxidantien bei verschiedenen Krankheiten. Neben den gesundheitspolitisch bedeutsamen Krankheiten wie HerzKreislauf-Erkrankungen und Krebs, gibt es Hinweise zu Schutzeffekten von Antioxidantien bei Katarakt und altersbedingter Makuladegeneration. Darüber hinaus
wird eine mögliche Schutzwirkung bei Parkinsonscher und Alzheimerscher Krankheit, Diabetes, rheumatoider Arthritis sowie chronisch obstruktiven Lungenerkrankungen vermutet, da bei diesen Erkrankungen ebenfalls Prooxidantien eine Rolle
bei der Krankheitsentstehung spielen. (Diplock et al. 1999).
Tabelle 4.17:
Übersicht über die Art der wissenschaftlichen Untersuchungen und jeweiligen Erkenntnisse zu den Schutzwirkungen
von Antioxidantien
Rolle von reaktiven oxidativen Substanzen bei der
Krankheitsentstehung
Schutzeffekte von Antioxidantien
in vitro, in vivo
in epidemiologischen Studien
in Interventionsstudien
intermediäre
Endpunkte
Krankheit
Oxidation von LDL ist
ein Risikofaktor bei der
Entstehung von Vorstufen der Arteriosklerose,
die wiederum ein Risikofaktor für HerzKreislauf-Erkrankungen
ist.
•
Antioxidantien, am
effektivsten Vitamin E,
hemmen die Oxidation
von LDL
•
Schutzeffekt für Vitamin E am besten
belegt (in drei großen epidemiologischen Studien), gefolgt von Vitamin C.
•
Vitamin E und Vitamin C scheinen
synergistisch zu wirken.
•
Auch Carotinoide scheinen Schutzeffekte zu haben, aber keine Aussage über
einzelne Carotinoide möglich, da zuwenig Daten.
•
Vielversprechende Hinweise auf
Schutzeffekte von Flavonoiden, aber nur
fragmentarische Informationen verfügbar.
•
•
Bisher nur Vitamin E
mit geeigneten intermediären Endpunkten untersucht, dabei Schutzwirkung festgestellt.
Andere Antioxidantien
nur anhand ihres Effektes auf die Lipidperoxidation untersucht, aber
dieser intermediäre Endpunkt ist noch nicht validiert.
•
Bisher nur wenige Studien mit Vitamin E, zeigen Schutzeffekte.
•
Beta-Carotin erhöhte
sogar das Risiko in bestimmten Risikogruppen
(starke Raucher, Asbestarbeiter)
•
Zur Zeit laufen noch
mehrere große ACEStudien.
77
Herz-Kreislauf-Erkrankungen
Arteriosklerose
•
Krankheit/Tod
als Endpunkt
Fortsetzung Tabelle 4.17:
Rolle von reaktiven oxidativen Substanzen bei der
Krankheitsentstehung
Schutzeffekte von Antioxidantien
in vitro, in vivo
in epidemiologischen Studien
in Interventionsstudien
intermediäre
Endpunkte
Krankheit
Oxidative Schädigung
von DNA oder von Enzymen, die Karzinogene
entgiften, dadurch Beitrag zur Krebsinitiation
Verringerung der oxidativen Schädigungen
durch Wegfangen der
oxidativen Substanzen.
Katarakt
altersbedingte
Makuladegeneration
•
•
Carotinoide beeinflussen
über ihre antioxidative
Wirkung hinaus inter•
zelluläre Signalprozesse
und spielen daher bei der
Regulation von Zell•
wachstum eine Rolle.
•
Proteine der Augenlinse
werden oxidativ geschädigt, fallen aus und trüben die Linse.
•
In vitro schützen Carotinoide, Vitamin E und C
die Augenproteine vor
oxidativer Schädigung
•
•
oxidative Schädigung
des gelben Flecks
•
Lutein und Zeaxanthin
•
als Hauptpigmente des
gelben Flecks verringern
Photooxidation
Regelmäßiger Verzehr von Obst und
Gemüse senkt das Krebsrisiko (128 von
156 Studien), insbesondere von Lungen-, Pankreas- und Magenkrebs, gefolgt von Mund-, Speiseröhren-, Gebärmutterhalskrebs.
•
Präkanzeröse Läsionen
•
als Biomarker: Schutzeffekte von Beta-Carotin
bei Vorstufen von
Mund-, Magen- und Gebärmutterhalskrebs.
Ungeklärt, welche bioaktiven Obst- und
Gemüsebestandteile hauptsächlich zur
Risikominderung beitragen.
•
Studien mit anderen
intermediären Biomarkern: Resultate schwierig zu beurteilen.
•
k. A.
•
k. A.
Hinweise aus Fragebögen zu Verzehrs - •
gewohnheiten, dass Lutein- und
Zeaxanthinreiche Kost (z. B. Spinat) das
AMD-Risiko verringert
k .A.
•
k. A.
Vitamin E und C haben gewisse Effekte,
die aber geringer sind als Obst- und
Gemüseverzehr. Konsistenteste Ergebnisse für Beta-Carotin und Lungen- und
Magenkrebs.
9 von 10 epidemiologischen Studien
zeigen, dass insbesondere Vitamin C
und E mit verringertem Kataraktrisiko
korreliert sind.
Quelle: Eigene Zusammenstellung von Daten aus Diplock et al. 1998
ATBC- und CARETStudie: erhöhtes Sterblichkeits- und Erkrankungsrisiko in Hochrisikogruppen, die mit BetaCarotin supplementiert
wurden!
78
•
Krebs
•
Krankheit/Tod
als Endpunkt
79
Für die Entstehung von Arteriosklerose und die Entwicklung koronarer Herzerkrankungen ist oxidiertes LDL 17 einer der wichtigsten Risikofaktoren. Nach aktuellen
Studienergebnissen gilt als gesichert, dass durch Vitamin E, als lipophilem Antioxidans, die Entstehung und Progression der Arteriosklerose verringert wird. Es wurde
nicht nur eine inverse Beziehung zwischen der Tocopherol-Konzentration in den
LDL und dem Ausmaß koronarer Arterienerkrankungen festgestellt (Regnström
et al. 1996), sondern auch belegt, dass Vitamin E die Bildung von oxidiertem LDL
nachhaltig reduziert (Raven et al. 1993). Ein Schutzeffekt der LDL vor Oxidation
war dabei bereits mit niedrigen Dosen zu erzielen (Jain et al. 1996). Zwei prospektive Kohortenstudien in den USA (Nurses‘ Health Study, Health Professional’s
Follow-up Study) bestätigen eine Verminderung des Risikos koronarer Herzerkrankungen durch Vitamin E. Zugleich zeigte sich in beiden Studien eine Erfolgsabhä ngigkeit von der Dauer der Zufuhr (Stampfer et al. 1993, Rimm et al. 1993). Verschiedene Studien weisen darauf hin, dass sich der Wirkungsgrad von Vitamin E in
der Prävention von Herz-Kreislauf-Erkrankungen durch gleichzeitige Suppleme ntierung mit Vitamin C erhöhen lässt (Maiorino et al. 1989, Losonczy et al. 1996).
Ein möglicher Mechanismus hierfür könnte in der Fähigkeit von Vitamin C liegen,
Vitamin E aus dem Tocopheroxyl-Radikal zu regenerieren (vgl. Tab. 4.16).
Wie epidemiologische Daten und eine prospektive Populationsstudie belegen, ist
ein defizitär niedriger Vitamin C-Plasmaspiegel mit einem deutlich erhöhten Infarktrisiko verbunden (Simon 1992, Nyssönen et al. 1997). Jedoch konnten weder
die Nurses‘ Health Study (Stampfer et al. 1993) noch die Physicians‘ Health Study
(Rimm et al. 1993) einen messbaren Beitrag von Vitamin C zur Prävention von
Herz-Kreislauf-Erkrankungen nachweisen. Allerdings lag bei den Probanden beider
Studien die Zufuhr von Vitamin C aus der Nahrung und durch Supplementierung
deutlich (<1,5 fach) über den Zufuhrempfehlungen der USA18. Ausgeprägte Präventionseffekte sind offenbar nur bei niedrigen Vitamin C-Plasmaspiegeln zu erwarten. In Interventionsstudien wirkte Vitamin C cholesterin- und triglyceridsenkend, wenn die Ausgangswerte im mittleren und höheren Bereich lagen (Hemilä
1992). Darüber hinaus schützt es die LDL-Fraktion vor Oxidation (Retsky et al.
1993).
Im Gegensatz zu Vitamin E und C konnten für Beta-Carotin keine protektiven Effekte bei kardiovaskulären Erkrankungen nachgewiesen werden. Zwar wurden in
epidemiologischen Studien hohe Korrelationen zwischen niedrigem Beta-CarotinPlasmaspiegel und dem Risiko koronarer Herzerkrankungen gefunden (Gey 1992,
Kardinaal et al. 1993), jedoch kein Schutzeffekt von Beta-Carotin bei der Oxidation
der LDL festgestellt (Raven et al. 1993, Regnström et al. 1996). So zeigte auch eine
17 Oxidiertes LDL (low density lipoprotein) entsteht durch Radikaleinwirkung. Es wird über die
Rezeptoren nicht mehr aufgenommen, aber von Makrophagen verstärkt phagozytiert und lagert
sich unter Schaumzellenbildung in der Gefäßintima ab.
18 RDA (Recommended Dietary Allowance): 60 mg/Tag Vitamin C.
80
langjährige Supplementierung von Beta-Carotin (50 mg/2. Tag) 19 in der Physician’s
Health Study keinen Einfluss auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen, während in der
CARET-Studie (Beta-Carotin, Retinol Efficacy Trial), deren Teilnehmer (starke
Raucher und Asbestarbeiter) mit Beta-Carotin (30 mg/Tag) und Vitamin A
(25.000 i.E.) supplementiert wurden, sogar ein Anstieg der Sterberate an HerzKreislauf-Erkrankungen um 26 % zu verzeichnen war (Omenn et al. 1996).
Eine große Anzahl epidemiologischer Studien belegt ein verringertes Krebsrisiko
bei hohem und regelmäßigem Konsum von Obst und Gemüse (Block et al. 1992).
Aufgrund der Vielzahl und Komplexität von Antioxidantien und anderer biologisch
aktiver Substanzen in Obst und Gemüse, zeigen diese Studien jedoch nicht, ob und
in welchen Ausmaß sich der Schutzeffekt von Obst und Gemüse auf einzelne Antioxidantien beziehen lässt. Durch Bestimmung der Blutplasmaspiegel in epidemiologischen Studien sowie in Interventionsstudien (z. B. Physicians' Health Study
(PHS); ATBC Cancer Prevention Study; Beta-Carotene and Retinol Efficacy Trial
(CARET); Women's Health Study (WHS); Interventionsstudien in Linxian, China),
in denen einzelne oder kombinierte Antioxidantien in definierten Dosierungen als
Supplemente verabreicht wurden, wurde daher versucht, Schutzeffekte auf bestimmte Antioxidantien zu beziehen. Es ergaben sich Hinweise auf eine Wirksamkeit von Vitamin E bei Dickdarmkrebs, Tumoren im Mund- und Rachenbereich und
bei Ösophaguskrebs (Bostick et al. 1993, Gridley et al. 1992, Blot et al. 1993).
Für Vitamin C, das hochwirksam gegen die Bildung von kanzerogenen Nitrosaminen ist, wurden starke und konsistente Schutzeffekte bei Tumoren im Magen,
Ösophagus und in Mund und Speiseröhre gefunden (Block 1992). Weitere Erkenntnisse zeigen, dass Vitamin C in hohen Konzentrationen in der Magenschleimhaut
vorkommt und ebenfalls hoch konzentriert in das Magenlumen ausgeschüttet wird.
Bei Anazidität und Infektionen mit Helicobacter pylori20 kommt es zu stark erniedrigten Vitamin C-Plasmakonzentrationen, die auch durch Vitamin C-Supplementierung nicht wesentlich beeinflusst werden. Erst nach erfolgreicher Bekämpfung von Helicobacter kann Vitamin C im Magen physiologisch wirksam werden
(Schorah et al. 1991).
Verschiedene Studien zeigen einen konsistenten Zusammenhang zwischen BetaCarotin-Plasmawerten und dem Krebsrisiko (Eichholzer und Stähelin 1994). Hohe
Korrelationen wurden insbesondere für Lungen- und Magenkrebs gefunden (van
Poppel und Goldbohm 1995). In zwei großen Interventionsstudien (ATBC und
CARET) war eine Supplementierung jedoch wider Erwarten mit einer Erhöhung der
Sterblichkeit und des Erkrankungsrisikos verbunden (ATBC Cancer Prevention
19 DGE-Empfehlung (Deutsche Gesellschaft für Ernährung): 2 mg/Tag ß-Carotin
20 Anazidität: Fehlen freier Salzsäure im Magensaft. Helicobacter pylori: gramnegative Stäbchenbakterien, die die Typ B Gastritis induzieren. Beide Faktoren stehen mit der Entwicklung von
Magenkrebs im Zusammenhang.
81
Study Group 1994, Omenn et al. 1996). Da die Teilnehmer beider Studien aus
Hochrisikogruppen (starke Raucher, Asbestarbeiter) stammten, die sich mögliche rweise bereits in einem präkanzerogenen Stadium bei der Entwicklung von Lunge nkrebs befanden, hatte das Studiendesign jedoch eher einen therapeutischen als einen
präventiven Charakter. Eine Supplementierung hoher Dosierungen an BetaCarotinen bei diesen Risikogruppen ist dennoch nicht angeraten (Diplock et al.
1999). Unter Experten setzt sich vermehrt die Meinung durch, dass in Bezug auf die
antikanzerogenen Eigenschaften von Carotinoiden, Carotinoidgemische und nicht
Einzelstoffe untersucht werden sollten.
Die Differenzen zwischen positiven Effekten bei Konsum von Obst und Gemüse
aus epidemiologischen Studien und Effekten, die bei Supplementierung verschiedener Antioxidantien in Interventionsstudien erzielt wurden, zeigen die Grenzen einer
quasipharmakologischen Intervention: Die Komponenten der Supplemente sind,
was die Höhe der Zufuhr einerseits wie auch die exakte chemische Struktur andererseits betrifft, in der Regel nicht mit denen einer an antioxidativen Inhaltsstoffen
vergleichbaren Diät aus Obst und Gemüse identisch. Darüber hinaus ist es auch
möglich, dass andere Inhaltsstoffe als die bisher untersuchten die eigentlich bioaktiven Substanzen sind. Daher richten sich aktuelle Forschungsarbeiten unter anderem
auf das Carotin-Isomer Lycopin und Flavonoide. Lycopin war in der EURAMICStudie (European community multicenter study on antioxidants, mycardial infarction and breast cancer) mit einem verminderten Herzinfarktrisiko verbunden
(Kohlmeier et al. 1997). Die Fähigkeit von Lycopin den Cholesterin-Stoffwechsel
zu modulieren wurde auch in Zellkultur und einer kleineren klinischen Studie untersucht (Clinton 1998). Für Flavonoide konnte in vitro gezeigt werden, dass sie ein
starkes antioxidatives Potential haben (Rechkemmer 1999). In zwei Interventionsstudien mit hohen Flavonoidkonzentrationen in der Nahrung konnte eine Erhöhung
der antioxidativen Kapazität im Blutplasma nachgewiesen werden (Cao et al. 1998,
Young et al. 1999).
Antioxidantien erscheinen nützlich zur Verbesserung des Wohlbefindens, bei Alterungsprozessen und bei einfachen Stress-Situationen. Es gibt viele Hinweise, dass
Antioxidantien einen Beitrag zur Verminderung der Toxizität von freien Radikalen
bei der Erzeugung chronischer Krankheiten leisten und damit zur Risikominderung
bei der Entstehung dieser Krankheiten beitragen. Der Anspruch, durch Supplementierung der Nahrung mit Antioxidantien die Entstehung von Krankheiten zu verhindern, ist bisher nicht nachgewiesen und erscheint zum derzeitigen Zeitpunkt ve rfehlt.
Supplemente, die eine Mischung von Antioxidantien in physiologischer Menge enthalten, wie sie auch in einer ausgewogenen Diät vorkommt, können in besonderen
Situationen (z. B. Mangelernährung, altersbedingte Ernährungsprobleme oder Appetitmangel) und für bestimmte Risikogruppen (z. B. Senioren, Raucher und Personen mit erhöhtem chronischen Alkoholkonsum, Flugpersonal) für die Gesundheit
82
förderlich sein und Defizite ausgleichen. Es erscheint jedoch wesentlich darauf hinzuweisen, dass kein formuliertes Supplement der Komplexität einer Mischung aus
Mikronährstoffen gleicht, die mit dem Verzehr von pflanzlichen Lebensmitteln erreicht wird. Functional Food, die Antioxidantien beinhalten, sollten daher ihr
Hauptaugenmerk auf die optimale Versorgung mit diesen Komponenten richten und
den dadurch erzielbaren Effekt auf Wohlbefinden und Gesundheit.
4.2.3.3
Sicherheitsaspekte
Zur Toleranz und Sicherheit von Vitamin C beim Menschen liegen zahlreiche Untersuchungen und Reviews vor. Die Absorption von Vitamin C, die Konzentration
in Geweben, die Stoffwechselwege, an denen Ascorbat beteiligt ist, wie auch die
Ausscheidung über die Nieren unterliegen homöostatischen Mechanismen. So ist
der Anteil an absorbiertem Vitamin C umgekehrt proportional zur Höhe der Zufuhr
(Diplock et al. 1998). Die Vielzahl der Studien zeigt, dass Vitamin C sicher und frei
von Nebenwirkungen bis zu einer Zufuhr von 600 mg/Tag21. ist (Bendich 1997).
Auch bei sehr hohen Supplementierungen bis 2.000 mg/Tag konnten keinen kons istenten Nebenwirkungen festgestellt werden
Für Vitamin E weisen mehrere kontrollierte Doppelblind-Studien beim Menschen
lediglich eine äußerst geringe Toxizität mit keinen gleichbleibenden, nachteiligen
Effekten aus. Nebeneffekte waren selbst bei hohen oralen Dosierungen von
3,2 g/Tag gering und entsprechend gilt eine Dosierung bis zu 1.000 mg/Tag als unbedenklich und nebenwirkungsfrei. Vorsicht ist lediglich bei Personen mit Vitamin K-Mangel geboten. Hier können hohe Gaben von Vitamin E zu einer Verschärfung der Mangel-Situation und des damit verbundenen Blutgerinnungsdefekts
führen. In Tierstudien konnte darüber hinaus gezeigt werden, dass Vitamin E weder
mutagen, karzinogen noch teratogen wirkt.
Das gegenwärtige Wissen zur Toxizität von Carotinoiden bezieht sich fast ausschließlich auf Arbeiten bei Beta-Carotin. Die Ergebnisse lassen sich nicht ohne
weiteres auf andere Carotinoide übertragen, da Absorption, Aufnahme und Verteilung in den Geweben beispielsweise völlig unterschiedlich sein können. Die Verwendung von Beta-Carotin als Farbstoff in der Lebensmittel- und Kosmetikind ustrie hat bereits frühzeitig zu ausführlichen toxikologischen Untersuchungen geführt
(Bagdon et al. 1960, Heywood et al. 1985). In zahlreichen Tierversuchen konnten
keine Schädigungen von Embryonen wie auch keine karzinogenen Wirkungen festgestellt werden. Die Supplementierung von Beta-Carotin mit gemäßigten Mengen
zwischen 6 und 15 mg/Tag erscheint daher im Allgemeinen als sicher. Eine Ausnahme bildet die Risikogruppe der starken Raucher. Zwei Interventionsstudien
21 Die offiziellen Zufuhrempfehlungen nach RDA (Recommended Dietary Allowance) liegen für
Vitamin C bei 60 mg/Tag, für Vitamin E bei 10 mg/Tag (α-Tocopheroläquivalent).
83
zeigten hier, dass die Verabreichung hoher Beta-Carotin-Dosen in Form von Supplementen das Krebsrisiko sogar noch erhöht, statt es wie eigentlich erwartet zu
senken (ATBC Cancer Prevention Study Group 1994, Omenn et al. 1996, Astorg
1997, Omenn 1998).
Es gibt nur wenige Studien zur Toxikologie von Flavonoiden mit teilweise kontroversen Ergebnissen. Einerseits konnte bei Zellkultur-Studien in vitro sowohl eine
hohe Zytotoxizität wie auch mutagene Effekte nachgewiesen werden (Babich et al.
1993; Sugimura et al. 1977). Auf der anderen Seite wurden bei Studien an Ratten
und Mäusen in vivo keine schädigenden bzw. sogar antimutagene Effekte gefunden
(National Toxicological Program 1992; Savric et al. 1990; Savric 1994). Der Konsum des Flavonoids Quercetin beispielsweise scheint in einer normalen Diät keine
gesundheitlichen Probleme zu verursachen. Möglicherweise liegt die Ursache der
widersprüchlichen Ergebnisse zwischen in vitro und in vivo Studien in der geringen
Bioverfügbarkeit des Flavonoids im menschlichen Körper. Da toxikologische Effekte für die bisher wenig erforschten Flavonoide nicht ganz auszuschließen sind,
besteht hier noch Forschungsbedarf (Diplock et al. 1998).
4.2.3.4
Herstellung, Gewinnung
Herstellungsverfahren
Für die Produktion von Antioxidantien stehen der Industrie mehrere Verfahren zur
Verfügung. Neben der Extraktion der Substanzen aus natürlichen Quellen gibt es
chemisch-technische und biotechnologische Produktionsverfahren. Letztere ersetzen durch enzymatische oder mikrobiologische Stufen chemische Prozess-Schritte,
die bisher unter hohem Druck, Temperatur und damit hohem Energieaufwand oder
mit umweltschädigenden Lösungsmitteln ablaufen. Durch integrierte Verfahren
können außerdem Produktionsreststoffe vermieden werden. Die relativen Vorteile
beider Verfahren ergeben sich aus der Optimierung technischer, wirtschaftlicher
und ökologischer Faktoren und sind von den jeweils aktuellen Rahmenbedingungen
(z. B. Rohstoffkosten, technische Entwicklungen, politische Auflagen) abhängig. In
der Regel werden biotechnologische Verfahren erst bei deutlichen Kostenvorteilen
gegenüber bereits etablierten chemisch-technischen Verfahren eingesetzt, da bei
letzteren Zuverlässigkeit und Produktqualität nachgewiesen und der Entwicklungsaufwand bereits geleistet ist (Prognos 1999).
Auch gentechnische Methoden können zur Herstellung von Antioxidantien eingesetzt werden. Ansatzpunkte hierfür sind die Anreicherung oder das Einbringen von
Antioxidantien in pflanzliche (z. B. Beta-Carotin-Reis (Ye et al. 2000)) oder tierische Ausgangsprodukte. Daneben ermöglichen gentechnische Methoden durch die
Steigerung der Ausbeute oder die Erschließung neuer Stoffwechselwege auch die
Optimierung biotechnologischer Verfahren.
84
Eine Zusammenstellung bekannter Verfahren zur Produktion von Antioxidantien
zeigt Tabelle 4.18. Vitamin A bzw. Beta-Carotine werden bislang hauptsächlich
chemisch synthetisiert. Zur Isolation und Extraktion von Beta-Carotin aus natürlichen Quellen stehen einerseits Pflanzen mit hohen Beta-Carotin-Gehalten wie Karotten oder Alfalfa zur Verfügung, andererseits Carotinoid produzierende Algen aus
maritimer Kultur. Die Extraktion des Beta-Carotins aus Karotten erfolgt aus Sorten
mit fünfmal höherem Carotin-Gehalt als bei handelsüblichen Karotten. Nach einem
Trocknungs- und Mahlvorgang wird Beta-Carotin mit Hilfe von Hexan extrahiert.
Das nach der Evaporation von Hexan verbleibende Konzentrat wird überwiegend
als Farbstoff in der Lebensmittelindustrie eingesetzt. Aufgrund der geringen BetaCarotin-Gehalte in den Ausgangssubstanzen sind die Kosten der Extraktion sehr
hoch und der Preis für "natürliches" Beta-Carotin liegt bis zum Fünffachen über
dem chemisch synthetisierter Produkte (Nonomura 1990).
Eine Alternative stellt die Produktion und Extraktion von Beta-Carotin aus maritimen Algenkulturen dar. In der einzelligen Alge Dunaliella salina werden unter
Produktionsbedingungen mit hoher Lichtintensität sowie hohem Salz- und niedrigen
Nährstoffgehalten hohe Mengen an Beta-Carotin akkumuliert. Die kommerzielle
Beta-Carotin-Produktion aus Dunaliella salina wird bereits in Australien, Israel und
den USA in extensiven oder semi-intensiven Produktionsverfahren betrieben. Der
Produktionsprozess gliedert sich in Kultur, Ernte, Entwässerung und Extraktion.
Die Kosten des Prozesses liegen in ähnlicher Größenordnung wie bei der BetaCarotin-Gewinnung aus Karotten. Eine Erhöhung der Algen-Produktivität wird aber
in absehbarer Zeit zu Kostenreduktionen führen (Nonomura 1990, Ben-Amotz
1998).
Tabelle 4.18:
Klasse
Überblick über Verfahren zur Herstellung von Antioxidantien
Chemisch-technische
Synthese
Biotechnologische
Isolation/Extraktion
Fermentation (mikro- aus natürlichen Que lbiell/enzymatisch)
len
Vitamin A
angewandt
in der Entwicklung
möglich
Beta-Carotin
angewandt
möglich
angewandt
Vitamin C
angewandt
angewandt
k.A.
Vitamin E
angewandt
angewandt
angewandt
Flavonoide
angewandt
möglich
k.A.
Schließlich kann Beta-Carotin noch über mikrobielle Fermentation hergestellt werden, doch sind die Marktanteile aus diesem Produktionsverfahren bislang sehr gering. Neue Entwicklungen bieten darüber hinaus die Möglichkeit der erfolgreichen
Synthese von Carotinoiden in Bakterien (z. B. Escherichia coli) oder Hefe. Mit Hilfe gentechnischer Methoden ist die Synthese strukturell unterschiedlicher Caroti-
85
noide (z. B. Lycopene, Beta-Carotin, Zeaxanthin) möglich. Für einen industriellen
Einsatz ist jedoch ein genaueres Verständnis der Parameter die das Wachstum in
Fermentern bestimmen nötig. Auch der Extraktions- und Reinigungsprozess muss
noch optimiert werden (Sandmann et al. 1999).
Vitamin C wird industriell überwiegend mit dem 1934 von Reichstein entwickelten
chemisch-technischen Verfahren aus Glucose hergestellt. Das Verfahren gliedert
sich in sechs Schritte, von denen ein Schritt – die Umwandlung von D-Sorbit in LSorbose – bereits durch Fermentation erfolgt. Die mehrstufige und komplexe
Reichstein-Synthese ist ein kostenintensives Verfahren. Es besteht daher von Seiten
der Hersteller ein reges Interesse an der Entwicklung alternativer Herstellungsmethoden für Vitamin C (Prognos 1999). Einige biotechnologische Verfahren sind
bereits in der Anwendung. Dabei werden Teilschritte der Reichstein-Synthese durch
biotechnische Pfade ersetzt. In dem von Ning et al. (Beijing Pharmaceutical Plant,
US-Patent 4935359, 1990) entwickelten Verfahren werden drei chemischtechnische Schritte zur Überführung der L-Sorbose in 2-Keto-L-Gulonsäure durch
eine einstufige Fermentation mit einer Mischkultur aus Gluconobacter oxydans und
Bacillus megaterium ersetzt. Ein weiteres alternatives Verfahren stellt die mikrobielle Synthese von Vitamin C aus Glucose mit Hilfe eines einzigen Produktionsstammes dar. Dieses Verfahren soll eine Senkung der Produktionskosten gegenüber
der Reichstein-Synthese um 50 % ermöglichen (Genencor 1998).
In großtechnischen Anlagen wurde Vitamin E bislang überwiegend chemisch synthetisiert. Das dabei entstehende D, L-a-Tocopherol liegt jedoch in seiner Wirksamkeit unter dem aus natürlichen Quellen isolierten a-Tocopherol22. Industriell
wird natürliches Vitamin E aus dem ?-Tocopherol der Sojabohnen gewonnen. Zur
Gewinnung des Rohöls werden Sojabohnen gequetscht und extrahiert. Das Rohöl
durchläuft mehrere Reinigungsschritte, in denen Lecithin und andere Phospholipide,
freie Fettsäuren, Chorophyll und andere Farb- oder Geruchskomponenten entfernt
werden. Das destillierte Öl stellt den Rohstoff für die Produktion von natürlichem
a-Tocopherol dar, das durch Methylierung aus ?-Tocopherol entsteht (Clark 1998).
Die Vitamin E-Produktion aus Soja ist bislang gegenüber der chemischen Synthese
aufwendiger, schlechter kontrollierbar und daher kostenintensiver. Durch Steigerung der Tocopherol-Gehalte in Sojabohnen oder durch Einbringen und Aktivierung
des für die Methylierung verantwortlichen Enzyms in Sojabohnen könnte sich jedoch die Effizienz dieses Verfahrens langfristig steigern lassen.
Zur Herstellung von Flavonoiden stehen sowohl chemische Synthese-Verfahren wie
auch Produktionsverfahren auf Fermentationsbasis zur Verfügung.
22 Das chemisch synthetisierte D,L-α-Tocopherol liegt in einem Gemisch aus acht α-TocopherolIsomeren mit unterschiedlicher biologischer Aktivität vor. D. h. in einem Gemisch liegen nur ein
Achtel der Moleküle in der biologisch aktivsten Form vor.
86
Einsatz von Antioxidantien in Lebensmitteln
Antioxidantien können auf zweifache Weise von Nutzen in der menschlichen Ernährung sein. Erstens besitzen sie die Fähigkeit, Lebensmittel vor oxidativem Verderb während der Verarbeitung und Lagerung zu schützen23. Dies ist insofern von
Relevanz, da nach dem mikrobiellem Verderb die Oxidation die zweithäufigste Ursache des Lebensmittelverderbs ist. Zweitens können sie, indem sie als Teil der
Nahrung aufgenommen werden, ihr antioxidatives Potential im menschlichen Körper (in vivo) entfalten. Es ist daher von großer Wichtigkeit sicherzustellen, dass
Antioxidantien ihre biologische Aktivität während der Verarbeitung und Lagerung
von Lebensmitteln nicht verlieren.
Strategien zum Schutz von Antioxidantien wie Vitamin C und E sowie Beta-Carotin
sind in der Lebensmittelindustrie lange etabliert, doch dürfte fallweise eine Modifizierung des Herstellverfahrens erforderlich werden (Lindley 1998). Im einzelnen
sind Strukturintegrität des Produkts, Feuchtigkeitsgehalt, Temperatur, die Minimierung des Sauerstoffgehalts, wie auch der Schutz vor Licht und Strahlung wichtige
Determinanten in technologischen Prozessen zum Schutz von Antioxidantien (Diplock et al. 1998).
Viele dieser Faktoren beeinflussen nicht nur den Schutz vor oxidativer Schädigung,
sondern auch die Bioverfügbarkeit der Antioxidantien. So steigt bei Lebensmitteln
in zerkleinerter Form zwar die Angriffsfläche für oxidative Zerstörung an, jedoch
nimmt gleichzeitig auch die Bioverfügbarkeit der in Liposomen oder Zellmembranen eingeschlossenen Antioxidantien zu (Rodriguez und Irwin 1972). Eine ähnliche
Ambivalenz zeigt sich bei der thermischen Behandlung von Lebensmitteln: während eine kurzzeitige Erhitzung Oxidasen inaktiviert und durch Aufschluss der Lebensmittelstrukturen zur Erhöhung der Bioverfügbarkeit führt, kann eine längere
Erhitzung zu nahezu vollständigem Verlust der Antioxidantien führen (Onyewu
1985; Unilever 1995) oder, durch Veränderungen der chemischen Struktur, zu
schlechterer Absorption (z. B. trans zu cis Isomerisierung bei Beta-Carotin) (Ra nhota et al. 1995; Gaziano et al. 1995).
Da die Oxidation nie vollständig vermieden werden kann, ist es wichtig jene Antioxidantien zu identifizieren, die wesentlich für die Gesundheit sind und ebenfalls
die Form in der sie benötigt werden. Dies bedeutet einen verstärkten Bedarf an Forschung auf dem Gebiet der Bioverfügbarkeit und Bioaktivität von Antioxidantien
(Diplock et al. 1998).
23 In der Natur werden Tocopherole bevorzugt von ölbildenden Pflanzen als natürliche Antioxidantien synthetisiert, um ein Ranzigwerden ungesättigter Fette und Öle zu verhindern. In der Lebensmittelindustrie wird Vitamin E ebenfalls zum Schutz ungesättigter Fettsäuren vor Oxidation
entsprechenden Lebensmitteln zugesetzt. Vitamin C wird häufig in Wurstwaren verwendet, zur
Minderung der toxischen Wirkung von Nitrosaminen.
87
4.2.3.5
Vorhandene Produkte
In Tabelle 4.19 sind Beispiele von Functional Food zusammengestellt, die in den
USA und Europa auf dem Markt sind und antioxidativ wirkende Vitamine bzw.
andere Antioxidantien enthalten. Dabei wird deutlich, dass Produkte mit Antioxidantien in allen für Functional Food relevanten Segmenten des Lebensmittelmarktes
präsent sind. Dies gilt beispielsweise für alkoholfreie Getränke, bei denen insbesondere der Zusatz der Vitamine A, C, E (in Kombination oder einzeln) eine wichtige
Rolle spielt (Tab. 4.19). Dabei sind sowohl multinationale Unternehmen als auch
kleine und mittelständisch orientierte Unternehmen (mit eher nationaler Ausrichtung) in dieser Hinsicht aktiv. Demgegenüber ist bei Süßwaren der Zusatz antioxidativ wirksamer Substanzen eher ein Geschäftsfeld großer Unternehmen aus den
USA (Tab. 4.19). Neben dem Zusatz der Vitamine A, C, E spielen insbesondere
noch Carotinoide eine wichtige Rolle, von denen vor allem Beta-Carotin zahlreichen Lebensmitteln zugesetzt wird, ohne dass seine spezifischen zugeschriebenen
Wirkungen hervorgehoben werden. Neben Beta-Carotin bringen weltweit führende
Zulieferbetriebe der Lebensmittelindustrie (z. B. Roche, BASF) auch zunehmend
weitere Carotinoide auf den Markt (Tab. 4.19).
Auch in der Schweiz sind eine Reihe von Functional Food auf dem Markt (vor allem Milchverarbeitungsprodukte, alkoholfreie Getränke und Cerealien), die mit
antioxidativ wirkenden Vitaminen oder anderen Wirkstoffen, denen dieselben Eigenschaften zugeschrieben werden, versetzt sind (Tab. 4.20). Als Anbieter treten
vorrangig solche Unternehmen in Erscheinung, die auf den jeweiligen Teilmärkten
eine größere Bedeutung haben. Daneben ist insbesondere noch Migros mit Produkten seiner Functional Food Dachmarke "Actilife" vertreten:
Tabelle 4.19:
Beispiele für auf dem Markt befindliche Functional Food mit Antioxidantien und Vitaminen in den USA und Europa
(Stand Dezember 1999)
Produkttyp
Getränke
Inhaltsstoff
Vitamin A, C, E
ACE Drink
Groeneveld 1998 a, b
Strauch GmbH & Co KG (D)
Odina ACE
Hasler 1998
Wild (D)
Frucht-GemüseMischgetränk
Bussien 1998
Tropicana Products (USA)
Pure Premium Plus
Hollingsworth 1997
Vitamin A
Campbell Soup Company (USA)
Splash / V8 Splash
Pszczola 1998a, b; Hasler 1998
Vitamin C
Tropicana Products (USA)
Plus
Sloan und Stiedemann 1997
Wild (D)
TOM
European Dairy Magazine 1998
Campbell Soup Company (USA)
Splash / V8 Splash
Pszczola 1998a, b; Hasler 1998
Wild (D)
TOM
European Dairy Magazine 1998
Urbacher (D)
E*Vita
Groeneveld 1998 a, b
Beta-Carotin
Campbell Soup Company (USA)
Splash / V8 Splash
Pszczola 1998a, b; Hasler 1998
Flavonoide / Grüner Tee
Urbacher (D)
E*Vita
Groeneveld 1998 a, b
Folsäure
Asda (UK)
Family of Milk
Byrne 1997
Vitamin E
Land O' Lakes (USA)
Plus 3
Sanders 1998
88
Müller (D)
Vitamin E
Milchprodukte
Produktname bzw.
Quelle
Sachbezeichnung
Balneario y Aguas de Solan de Cabras Bio-Solan
Hasler 1998
(ESP)
Hersteller
Fortsetzung Tabelle 4.19:
Produkttyp
Süßwaren
Inhaltsstoff
Vitamin C
Produktname bzw.
Quelle
Sachbezeichnung
Hasler 1998
M&M/Mars Sports Nutrition Division VO2 Max Bar
(USA)
Hersteller
Vitamin E
M&M/Mars Sports Nutrition Division VO2 Max Bar
(USA)
Hasler 1998
Isoflavone
SoyLife (USA)
Klont 1998
Beta-Carotin
M&M/Mars Sports Nutrition Division VO2 Max Bar
(USA)
Cerealien
Isoflavone
SoyLife (USA)
[Weizenflocken-Müsli] Klont 1998
Sonstige
Lebensmittel
Vitamin A, C, E
Iglo (D)
Vivactiv
Groeneveld 1998 a, b
Vitamin C
Watson Food Corp. (USA)
Vitamin C
Pszczola 1998a, b
Vitamin E
BonEE-Best Eggs (CAN)
Century Acres Eggs (USA)
NaturEgg
Eggstasy Eggs
Hasler 1998
Hasler 1998
Global Palm Products (USA)
CAROTINO
World of Ingredients 1998
Pilgrims Pride (USA)
EggsPlus
Hasler 1998
Roche (USA)
Global Palm Products
Roche (USA)
Roche (USA)
Beta-Carotin 7% CSW Klont 1998
CAROTINO
World of Ingredients 1998
Klont 1998
Canthaxanthin 10%
CSW/N
Power Pasta
Klont 1998
BASF Health & Nutrition (DEN)
Lucarotin
BASF Health & Nutrition 1999
Isoflavone
SoyLife (USA)
[Suppen]
Klont 1998
Tocotrienole, Tocopherols
Eastman Chemicals (USA)
[Lemi-Ingredient]
Pszczola 1998a, b
Hasler 1998
89
Beta-Carotin / Canthaxanthin
[Pudding]
Tabelle 4.20:
Beispiele für auf dem Markt befindliche Functional Food mit Ant ioxidantien und Vitaminen in der Schweiz (Stand Dezember 1999)
Hersteller/
Vertrieb
Produktname bzw.
Sachbezeichnung
Inhaltsstoff
Milchprodukte
Emmi AG
4-Plus Joghurt
Vitamine C+E, D, Folsäure, Inulin
Emmi AG
Energy Milk
Vitamine, B1, B2, B6, D, E, Calc ium, Nahrungsfasern
Migros
Actilife Glace (verschiedene
Geschmacksrichtungen oder
Variationen)
Oligofructose, Vitamine C, E, Beta-Carotin, Grüntee-Extrakt
Swiss Dairy Food
Aloe-Vera-Joghurt
Vitamin E, C, Aloe Vera
Coop
ACE-Drink
Vitamine A, C, E;
Nahrungsfasern
Migros
Actilife Breakfast ACE
Vitamine A, C, E, Omega-3Fettsäure
Migros
Actilife Rosso C+E+Mg+Ca
Vitamine C, E, Magnesium, Calc ium
Migros
Rivella
Actilife Sun Di
Bodyguard
Vitamine B, C, E, Nahrungsfasern
Vitamine A, C, E
Alkoholfreie Getränke
Cerealien, Back- und Süßwaren
Bio-Familia AG
Vitamine A, C, E
Kelloggs
a.c.e. balance (Frühstücksflocken)
All-Bran Flakes
Kelloggs
All-Bran Plus
Vitamine B1, B6, B12, C, E, Folsäure, Eisen, Calcium, Nahrungsfasern
Migros
Actilife ACE-Knuspermüsli
Provitamin A, Vitamine C, E
Migros
Actilife Toffee Pfirsich ACE
Vitamine A, C, E
Morga
Val Farella (Teigwaren)
Beta-Carotin, Vitamin E; Omega3-Fettsäuren
Novartis Consumer
Health
AVIVA Cholesterol Control:
Cerealienmischung
Vitamine E und C, Hafer ßGlucane, Isoflavone aus Soja
Novartis Consumer
Health
AVIVA Cholesterol Control:
Getreideriegel
Vitamine E und C, Hafer ßGlucane, Isoflavone aus Soja
Novartis Consumer
Health
AVIVA Cholesterol Control:
Biscuits
Vitamine E und C, Hafer ßGlucane, Isoflavone aus Soja
Vitamine B1, B6, B12, C, E, Folsäure, Eisen, Nahrungsfasern
91
4.2.3.6
Offene Fragen, Forschungsbedarf und sich abzeichnende Entwicklungslinien
Ein erster Fragenkomplex umfasst die oxidativen Prozesse im Organismus, denen
Antioxidantien entgegenwirken sollen:
Welche Prooxidantien sind maßgeblich an der Entstehung von Krebs oder Arteriosklerose beteiligt? Welche der oxidativen Prozesse führen zu den entscheidenden
Veränderungen der DNA und damit zu Schädigungen? Welche der verschiedenen
oxidativen Schädigungen sind im Initiationsprozess der Kanzerogenese entsche idend? Was ist die relative Bedeutung von Protein- und Lipid-Veränderungen im
arteriosklerotischen Prozess?
Durch die Klärung dieser Fragen sollte ebenfalls deutlich werden, welche Antioxidantien an der Kontrolle dieser Prozesse maßgeblich beteiligt sind. Darüber hinaus
muss geklärt werden, ob der antioxidative Effekt der Substanz in diesen Prozessen
und für die Erhaltung der Gesundheit die entscheidende Rolle spielt oder ob darüber
hinaus andere, nicht-antioxidative Funktionen wesentlich sind.
Forschungsbedarf besteht auch bei der Frage, inwieweit Synergien oder Antagonismen zwischen Antioxidantien oder zwischen Antioxidantien und anderen Lebensmittelkomponenten bestehen.
Zur Durchführung und Interpretation der Ergebnisse von epidemiologischen und
Interventionsstudien ist es angezeigt, ein besonderes Augenmerk in der Forschung
auf die Aufklärung der Bioverfügbarkeit von Antioxidantien aus der Nahrung zu
richten.
•
Welche Faktoren beeinflussen die Absorption, Verteilung und die Aufnahme von
Antioxidantien in Körpergewebe?
•
Welchen Einfluss haben Antioxidantien auf Stoffwechselprozesse?
•
Wie werden Antioxidantien selbst verstoffwechselt und welche Interaktionen
bestehen zwischen verschiedenen Lebensmittelkomponenten?
Um das Ausmaß der Schädigungen freier Radikale beim Menschen in vivo und die
modifizierenden Effekte von Antioxidantien abschätzen zu können, sind brauchbare, präzise Biomarker notwendig. Besonderes Augenmerk ist dabei auf die Validierung von Biomarkern mit intermediären Endpunkten zu richten.
Anschließend können in prospektiven Studien beim Menschen die Rolle und das
Ausmaß des gesundheitlichen Nutzens von Antioxidantien sowie die Höhe optimaler Zufuhrmengen in der menschlichen Ernährung untersucht werden.
92
4.2.4
Sekundäre Pflanzeninhaltsstoffe
4.2.4.1
Definition und Funktion
Pflanzen enthalten neben den sogenannten primären Pflanzeninhaltsstoffen (im Wesentlichen Kohlenhydrate, Eiweiße und Fette) auch sekundäre Pflanzeninhaltsstoffe 24. Mit diesem Begriff werden Substanzen zusammengefasst, die nicht zur molekularen Grundausstattung (Primärstoffwechsel) der Pflanzenzelle gehören, sondern
nur in ganz bestimmten Geweben oder Organen und in ganz bestimmten Entwicklungsstadien gebildet werden. Sie dienen der Pflanze unter anderem als Farbstoffe,
Wachstumsregulatoren und als Abwehrstoffe gegen Pflanzenschädlinge. Bisher sind
etwa 30.000 sekundäre Pflanzeninhaltsstoffe bekannt, von denen etwa 5.000 bis
10.000 in der menschlichen Nahrung vorkommen. Mit einer gemischten Kost werden täglich etwa 1,5 g sekundäre Pflanzeninhaltsstoffe verzehrt, bei einer vegetarischen Ernährungsweise deutlich mehr. Aufgrund ihrer pharmakologischen Wirkung
werden einige sekundäre Pflanzeninhaltsstoffe als Inhaltsstoffe von Phytopharmaka
genutzt. Im Hinblick auf die Wirkung der sekundären Pflanzeninhaltsstoffe wird
oftmals der Begriff "bioaktive Substanzen" synonym gebraucht. Unter bioaktiven
Substanzen sind letztlich Substanzen aus Pflanzen mit einer pharmakologischen
oder auch präventiven Wirkung zu verstehen.
Sekundäre Pflanzeninhaltsstoffe lassen sich anhand ihrer chemischen Struktur oder
anhand ihrer pharmakologischen Wirkung unterteilen. Die von uns gewählte Gruppierung basiert auf einer Einteilung von Watzl und Leitzmann (1995) sowie des
World Cancer Research Fund und des American Institute for Cancer Research
(WCRF und AICR 1997). Unter den sekundären Pflanzeninhaltsstoffe sind folgende
Gruppen in der Ernährung von Bedeutung:
•
Carotinoide: (vgl. Kap. 4.2.3.1) gelbe bis rotviolette, fettlösliche, hochungesättigte Polyenfarbstoffe pflanzlicher Herkunft. In gelben und orangefarbigen Obstund Gemüsesorten sowie dunkelgrünem Blattgemüse (z. B. Spinat). Hauptcarotinoid ist Beta-Carotin. Weitere Carotinoide: Lycopin (Tomaten), Lutein (Spinat,
Brokkoli, Mais), Zeaxanthin (Mais), α-Carotin (Karotten) sowie βCryptoxanthin (Zitrusfrüchte) (Astorg 1997).
•
Phytosterine: natürliche Abkömmlinge des Sterins (z. B. ß-Sitosterin, Stigmasterin, Campesterin). Ähnlicher Aufbau wie Cholesterin mit jedoch nahezu entgegengesetzter Wirkung; Vorkommen hauptsächlich in fettreichen Samen wie
Sonnenblumenkernen, Sesamsamen, Sojabohnen, auch in Baumrinde.
24 Für diesen Bericht wird die Bezeichnung "sekundäre Pflanzeninhaltsstoffe" gewählt. Üblich ist
sonst auch der Begriff "sekundäre Pflanzenstoffe" (vgl. z. B. Mohr und Schopfer 1992, S. 285ff).
93
•
Saponine: stark bitter schmeckende Stoffe, die Komplexe mit Proteinen und Lipiden bilden. Sie werden nur in geringen Mengen vom Körper aufgenommen
und wirken überwiegend im Magen-Darm-Trakt. Häufiges Vorkommen in Hülsenfrüchten (Gehalte in Sojabohnen: 5 % der TS 25).
•
Glucosinolate: Scharf schmeckende Aromastoffe, die Senf, Meerrettich, Kohl
und anderen Gemüsen den typischen Geschmack verleihen; Bioaktive Verbindungen (u. a. Isothiocyanate, Thiocyanate, Indole) werden erst beim Zerkleinern
des Gemüses frei.
•
Polyphenole: (vgl. auch Kap. 4.1.3.1) Verschiedene Verbindungen wie Pheno lsäuren, Hydroxyzimtsäuren, Flavonoide (z. B. Katechine, Isoflavonoide), Tannine (Ellagsäure, Kaffeesäure). Vorkommen überwiegend in Randschichten von
Gemüse, Obst, Getreide und anderen Samen; sie färben die Pflanzen gelb und rot
bis violett (z. B. Zwiebeln, Kirschen, Rotkohl). Vorkommen der Katechinderivate von Flavonoiden auch in Kaffee und Tee.
•
Protease-Inhibitoren: In Getreide und allen Hülsenfrüchten, besonders in Sojabohnen; machen in einheimischen Getreidearten 5 % bis 10 % des wasserlöslichen Eiweißes aus; hemmen eiweißspaltende Enzyme.
•
Terpene (Monoterpene, Diterpene, Sesquiterpene): Aromatische, ätherische Öle;
Vorkommen in vielen Pflanzen, z. B. Limonen in Zitronen, Menthol in Minze,
Carvon in Kümmel.
•
Phytoöstrogene: Vorkommen überwiegend in Sojabohnen, in Getreiden und in
geringeren Mengen in Gemüse; Gehalte in der Pflanze sind abhängig vom Ort
des Anbaus und dem Zeitpunkt der Ernte; pflanzliche Hormone ähneln in Aufbau und Wirkung den Östrogenen des menschlichen Organismus; Hauptgruppen:
Isoflavonoide, Lignane und Coumestane.
•
Sulfide: Schwefelhaltige Verbindungen, vor allem in Knoblauch, Zwiebeln und
Lauch; geben den Gemüsen das scharfe Aroma; bioaktive Verbindungen entstehen erst, wenn das Gemüse zerkleinert wird 26.
•
Phytinsäure: Vorkommen überwiegend in den Randschichten von Getreide, Hülsenfrüchten und Ölsaaten sowie in Nüssen; dienen als Phosphorspeicher. Gehalte
in % der TS: Getreide (0,1-2), Gemüse (0,01-0,1), Sesamsamen (5,4), Erdnüsse
(1,9), Sojabohnen (1,4).
25 TS: Trockensubstanz.
26 Bei Verletzung des Gewebes von Knoblauchzehen wird aus Alliin durch das Enzym Alliinase
zunächst Allicin gebildet. Aus ihm entstehen in hydrolytischen und Umlagerungsreaktionen eine
ganze Reihe bioaktiver schwefelhaltiger Verbindungen (Watzl 1996).
94
4.2.4.2
Wirkungen und Wirkungsmechanismus von sekundären Pflanzeninhaltsstoffen bei der Krankheitsprophylaxe
Als Bestandteil der Nahrung können sekundäre Pflanzeninhaltsstoffe sowohl gesundheitsfördernde als auch gesundheitsschädliche Wirkungen ausüben. In der Ernährungsforschung lag der Schwerpunkt der Arbeiten zu sekundären Pflanzeninhaltsstoffen zunächst auf den gesundheitsschädlichen Wirkungen dieser sogenannten "antinutritiven Substanzen". Erst seit wenigen Jahren erkennt man zunehmend
die gesundheitsfördernden Wirkungen sekundärer Pflanzeninhaltsstoffe. Fehlen sie
in der Ernährung, kommt es zwar nicht zu akuten Mangelerscheinungen, doch erhöht sich vermutlich langfristig das Risiko für bestimmte Krankheiten wie z. B.
bestimmte Krebsarten und Herz-Kreislauf-Erkrankungen (Watzl und Leitzmann
1995).
Tabelle 4.21:
Übersicht über sekundäre Pflanzeninhaltsstoffe und die ihnen zugeschriebenen gesundheitlichen Wirkungen
Carotinoide
Phytosterine
Saponine
Glucosinolate
Polyphenole
Protease-Inhibitoren
Monoterpene
Phytoöstrogene
Sulfide
Phytinsäure
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
blutzuckerregulierend
•
•
•
•
•
•
•
cholesterinsenkend
blutdruckregulierend
entzündungshemmend
immunmodulierend
antithrombotisch
antioxidativ
antimikrobiell
Sekundäre
Pflanzeninhaltsstoffe
antikanzerogen
Zugeschriebene Wirkung
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
Quelle: Watzl 1996
Tabelle 4.21 gibt einen Überblick über die vermuteten gesundheitlichen Wirkungen
sekundärer Pflanzeninhaltsstoffe. Die beschriebenen Zusammenhänge sind nicht in
dem Sinne zu interpretieren, dass dies alle möglichen gesundheitsbezogenen Wirkungen der jeweiligen Stoffe einer Gruppe darstellt. Außerdem ist bei diesem Überblick noch nicht berücksichtigt, ob die Wirkungen in vitro oder in vivo zu beobachten sind. Dies ist jedoch bei sekundären Pflanzeninhaltsstoffen insofern von Be-
95
deutung, da über ihre Stoffwechselwege im Körper nur wenig bekannt ist und daher
auch nicht von festgestellten Bioaktivitäten in vitro auf entsprechende Aktivitäten
im menschlichen Körper geschlossen werden kann.
Die Interpretation der vorliegenden Daten zu den gesundheitsbezogenen Wirkungen
sekundärer Pflanzeninhaltsstoffen ist problematischer, als dies bei anderen Wirkstoffgruppen der Fall ist. Erstens sind bislang nur wenige Studien beim Menschen
durchgeführt worden und ein Wirkungsnachweis beim Menschen steht noch aus.
Der Wirkungszusammenhang zwischen sekundärem Pflanzennährstoff und gesundheitlichem Effekt wird überwiegend aus experimentellen Tierstudien abgeleitet, in
denen definierte Mengen dieser Komponenten in bestimmten zeitlichen Intervallen
verabreicht wurden. Diese Bedingungen sind nicht auf eine normale menschliche
Ernährung übertragbar. Zweitens ist es schwierig, die Aufnahme dieser Stoffe zu
bestimmen, da die Gehalte in den meisten Lebensmitteln noch nicht ausreichend gut
analysiert sind. Darüber hinaus können die Konzentrationen sekundärer Pflanzeninhaltsstoffe in den Pflanzen in Abhängigkeit von genetischen Formen, Wachstum,
Lagerbedingungen und auch Verarbeitungsmethoden schwanken.
Nachfolgend wird die in der wissenschaftlichen Literatur diskutierte Wirkungsweise
wichtiger Stoffgruppen dargestellt. Aufgrund der hohen Anzahl unterschiedlicher
Gruppen und des breitgefächerten Wirkungsspektrums sekundärer Pflanzeninhaltsstoffe können im Rahmen dieser Untersuchung nicht alle der in Tabelle 4.21 aufgeführten Stoffgruppen detailliert diskutiert werden. Daher werden Phytoöstrogene
schwerpunktmäßig behandelt. Unter den sekundären Pflanzenwirkstoffen gehören
Phytoöstrogene und Carotinoide zu den am besten untersuchten Stoffgruppen. Die
gesundheitlich relevanten Wirkungen der Carotinoide beruhen im Wesentlichen auf
deren antioxidativen Eigenschaften und sind im Kapitel 4.2.3 ausführlicher beschrieben. Sulfide stellen aufgrund ihres breiten Wirkungsspektrums unter den sekundären Pflanzeninhaltsstoffen eine der interessantesten Gruppen dar.
Carotinoide
Neben den antioxidativen Eigenschaften, die bereits in Kapitel 4.2.3 näher dargestellt wurden, beeinflussen Carotinoide die interzelluläre Kommunikation über die
sogenannte "gap-junction"27. Durch Zusammenbruch der interzellulären Kommunikation werden Tumorzellen im transformierten, wuchernden Stadium gehalten, da
der Austausch mit Faktoren, die das Wachstum kontrollieren, unterbrochen ist. Carotinoide aktivieren bzw. reaktivieren den Informationsaustausch zwischen den
Zellen über die "gap-junction" und hemmen so die weitere Entwicklung der
krebsinduzierten Zelle (Wolf 1992, Bertram 1993).
27 Als "gap junction" wird der elektronenmikroskopisch erkennbare, schmale Spalt zwischen zwei
Zellen bezeichnet, über den durch Austausch kleinerer Moleküle ein Informationsaustausch zwischen den Zellen möglich ist.
96
Phytosterine
In Populationsstudien mit Sitosterin, das aus Baumrinde gewonnen und anschließend verestert wurde, konnte eine Reduzierung des Gesamtcholesterins wie auch
der LDL-Fraktion nachgewiesen werden (Miettinen et al. 1995, Heinemann et al.
1986). Nach dem Absetzen der Sitosterin-Diät stiegen die Cholesterinwerte wieder
auf das Ausgangsniveau an. Die cholesterinsenkende Wirkung von Phytosterinen
beruht auf der Herabsetzung der Cholesterinresorption. Es wird vermutet, dass
Phytosterine aufgrund ihrer chemisch ähnlichen Struktur zu Cholesterin, das Cholesterin aus den Mizellen verdrängen, über die es aus dem Darm aufgenommen wird
(Ling und Jones 1995).
Eine Veresterung der Phytosterine ist notwendig, um ihre Fettlöslichkeit zu erhöhen
(Sierksma et al. 1999). In Studien zwischen veresterten und nicht veresterten Sterinen konnte kein statistisch gesicherter Unterschied in Bezug auf den cholesterinsenkenden Effekt nachgewiesen werden. Veresterte Sterine hatten jedoch einen höheren dosisabhängigen Effekt auf die Reduzierung von Carotinoiden im Blutplasma
als freie Sterine (Thurnham 1999).
Saponine
Experimentelle Studien zeigen, dass Saponine die Proliferationsrate von Darmzellen reduzieren und das Wachstum und die Rate der DNA-Synthese verschiedener
Tumorzellen vermindern. Der zu Grunde liegende antikarzinogene Mechanismus
wird in der Fähigkeit vermutet, Gallensäuren und Cholesterin zu binden (WCRF
und AICR 1997). Die Resorptionsquoten für Saponine in vivo sind entscheidend für
die Aussagekraft von Studien. Hierzu liegen jedoch noch keine Daten vor.
Mit der Bindung von Gallensäuren im Darm sind gleichzeitig cholesterinsenkende
Eigenschaften der Saponine verbunden. Die gebildeten Mizellen sind zu groß, um
die Darmwand zu passieren. Dadurch wird die Rückresorption von Gallensäuren
vermindert und ihre Ausscheidung über den Stuhl erhöht. In der Leber kommt es in
Folge zu einer erhöhten Neusynthese von Gallensäuren aus Cholesterin (vgl.
Kap. 4.2.2.2).
Glucosinolate
Unter den funktionellen Gruppen der Glucosinolate wurden für Indol-3-Carbinol
verschiedene Stoffwechselwege in Verbindung mit Krebs im Allgemeinen und
Hormon-abhängigen Tumoren im Besonderen vorgeschlagen. Wie Studien bei
Ratten und eine klinische Studie beim Menschen zeigen, scheinen Indole in sehr
hohen Dosierungen den Östrogenstoffwechsel zu beeinflussen und eine Verschiebung der Östradiol-Produktion zu einer Form mit geringerer östrogener Aktivität zu
bewirken (Michnovicz und Bradlow 1990). Damit könnten sie gegen Östrogenabhängige Tumore wie Brustkrebs schützen. Im Übrigen wird die Rolle der Glucosinulate in der Karzinogenese sehr widersprüchlich diskutiert. In verschiedenen
97
experimentellen Studien bei Tieren wurden sowohl tumorhemmende wie auch fördernde Effekte gefunden (WCRF und AICR 1997).
Die Glucosinolatmetabolite Isothiozyanat und Thiozyanat wirken antimikrobiell.
Therapeutisch wirksame Konzentrationen dieser Wirkstoffe lassen sich in den
Harnwegen nach Verzehr von Garten- und Kapuzinerkresse oder Meerrettichwurzeln feststellen (Watzl 1996).
Polyphenole und Flavonoide
Die antikanzerogenen Effekte der Polyphenole wurden bislang in verschiedenen
experimentellen Tierstudien untersucht. Dabei konnte gezeigt werden, dass Ellagsäure, Kaffeesäure und Ferulasäure die chemische Induktion von Lungentumoren
hemmen (Castonguay 1993). Ellagsäure hemmt auch chemisch-induzierte Oesophagustumore sowie die Promotion von Hautkrebs bei örtlicher Anwendung (Barch
und Fox 1989; Daniel und Stoner 1991). Die antikanzerogenen Wirkungsmechanismen liegen in der Erhöhung der Aktivität von Phase II-konjugierten Enzymen
sowie in der Hemmung von N-Nitrosierungsreaktionen durch das Abfangen von
Nitrit. Ellagsäure interagiert auch mit dem Karcinogen Benzpyren im Verdauungstrakt und reduziert dabei dessen Bioverfügbarkeit (Stavric et al. 1992).
Flavonoide haben antioxidative Eigenschaften, die sich positiv auf verschiedene,
durch Prooxidantien ausgelöste pathobiochemische Vorgänge auswirken können
(vgl. Kap. 4.1.3). Darüber hinaus konnte für Flavonoide gezeigt werden, dass sie
den pumpen-gesteuerten Abfluss verschiedener Karzinogene aus den Zellen steigern (Phang et al. 1993). Auch Quercetin hemmt die Aktivität verschiedener Karzinogene und Tumorpromotoren (Leighton et al. 1993). Möglicherweise interagiert
Quercetin mit spezifischen Karzinogenen im Verdauungstrakt und reduziert hierbei
deren Bioverfügbarkeit (Stavric et al. 1992). Eine Reihe experimenteller Studien in
vitro und bei Tieren kommt jedoch zu widersprüchlichen Ergebnissen, was die Effekte auf die Karzinogenese betrifft (WCRF und AICR 1997). Aufgrund dessen ist
ein abschließendes Urteil für die gesundheitlich relevanten Wirkungen von Flavonoiden in der Krebsprävention derzeit nicht möglich.
Protease-Inhibitoren
Protease-Inhibitoren hemmen die Aktivität der körpereigenen eiweißspaltenden
Enzyme (Proteasen) und beugen daher Gewebsschädigungen vor, die durch überschießende Wirkung von Proteasen zustande kommen.
Terpene
Im Tierversuch wurden für das Monoterpen Limonen antikanzerogene Eigenscha ften nachgewiesen (Watzl 1996). In einer klinischen Studie wurde D-Limonen bereits auf seine Eignung für den Einsatz in der Krebstherapie hin untersucht (Vigushin et al. 1998). Die antikanzerogenen Eigenschaften von Terpenen beruhen auf
einem Eingriff in die gestörte Regulation des Zellwachstums von Tumorzellen, in-
98
dem sie zu einer verringerten Bildung zellwachstumsfördernder Substanzen führen
(Gould et al. 1994).
Phytoöstrogene
Phytoöstrogene umfassen die Stoffgruppen Isoflavone, Coumestan und Lignane
(Kurzer und Xu 1997). Auch das von verschiedenen Fusarium Spezies gebildete
Mykotoxin Zearalenone und seine Derivate sind Phytoöstrogene, die meist in Brot
und getreidehaltigen Produkten wie Frühstückscerealien (Müsli) oder anderen Getreidegerichten vorkommen (Kardinaal et al. 1997).
Untersuchungen zum Stoffwechsel der Phytoöstrogene sind aufgrund ihrer Komplexität sehr schwierig. Allein Isoflavone kommen in 15 verschiedenen chemischen
Formen in Lebensmitteln, hauptsächlich Sojabohnen, vor. Isoflavone können verschiedenen Stoffklassen zugeordnet werden. Sie gehören zu Flavonoiden (Antioxidantien) und sind Teil der Polyphenole. Die wichtigsten unkonjugierten Formen
von Isoflavon sind Daidzein und Genistein. Die konjugierten Formen in glucosidischer Bindung – Daidzin und Genistin – haben keine östrogene Aktivität28. Coumestrol kommt in Leguminosen vor, mit hohen Konzentrationen in Luzerne und
Klee, geringeren in Bohnen und Erbsen. Sie sind vor allem im Bereich der Tierfütterung/Tiergesundheit von Bedeutung. Lignane, die dritte Stoffgruppe der Isoflavone, ist weit verbreitet im Lignin der pflanzlichen Zellwände. Besonders hohe
Konzentrationen findet man in Leinsaat. Während der Fermentation durch Darmbakterien werden Glucose- und Methylgruppen entfernt; die dabei entstehenden
Diphenole sind dem Östradiol strukturell ähnlich.
Phytoöstrogene sind strukturell ähnlich zu Östradiol und gelten einerseits als
schwache Östrogene, da sie an Östrogen-Rezeptoren binden können, andererseits
haben sie antiöstrogenen Charakter, da sie mit Östradiol um die Rezeptorstellen
konkurrieren, dabei aber keine volle östrogene Reaktion hervorrufen. Sie werden
daher teilweise auch "Pseudo-Östrogene" genannt. Die Bindungsaffinität von Genestein und Daidzein ist 100 bzw. 1.000mal schwächer als von Östadiol. Unter den
Phytoöstrogenen weist Coumestrol die höchste Bindungsaffinität auf: sie ist nur 10
bis 20mal schwächer als bei Östradiol (Bingham et al. 1998).
In verschiedenen Populationsstudien konnte beobachtet werden, dass Vegetarier
und Asiaten eine niedrige Inzidenz an Hormon-assoziierten Erkrankungen wie
Brustkrebs, Prostatakrebs, Wechseljahresymptome oder Osteoporose haben, gleic hzeitig aber eine relativ hohe Konzentration an Phytoöstrogenen mit dem Harn aus28 Es existieren keine Untersuchungen zur Absorption von konjugierten bzw. unkonjugierten
Isoflavonen. Während allgemein angenommen wird, dass Glycoside nicht absorbiert werden
können, werden strukturverwandte Flavonoide wie z. B. Quercetin in konjugierter Form besser
absorbiert als in nicht-konjugierter (Panganga und Rice Evans 1997). Nach der Absorption im
Darm werden Isoflavone rekonjugiert (mit Sulfaten und Gucuroniden), dann über Harn oder
Galle ausgeschieden.
99
scheiden (Adlercreutz et al. 1982, 1986, 1991). Die physiologische Wirkung von
Phytoöstrogenen, die zum Schutz vor Brustkrebs 29 beitragen, ist bislang nicht eindeutig geklärt. Ein möglicher Faktor im Wirkungsmechanismus sind Geschlecht shormon-bindende Globuline (SHBG). Durch Bindung von Östrogen an das Transportprotein SHGB wird die Konzentration freien Östradiols im Plasma gesteuert.
Die Konzentration von SHGB, dessen Synthese beim Menschen durch Phytoöstrogene induziert wird (Watzl und Leitzmann 1995) ist gewichtsabhängig (Prentice
et al. 1990). Eine nahrungsfaserreiche, fettarme Ernährung war in verschiedenen
Interventionsstudien mit reduzierten Östrogenkonzentrationen verbunden (Bingham
et al. 1998). Eine Ernährung mit nahr ungsfaserreichen Lebensmitteln, die eine
Quelle des Phytoöstrogens Lignan darstellen, ist positiv mit einem späten Eintritt
der Menarche assoziiert (Arts et al. 1992). In kontrollierten Interventionsstudien mit
Lignan-Supplementierung wurden aber keine konsistenten Effekte auf SerumÖstrogene nachgewiesen. Eine Schutzwirkung bei der Entstehung von Brustkrebs
könnte auch der Verlängerung der Follikelphase des Menstruationszyklus um zwei
bis drei Tage zukommen: Durch Phytoöstrogene wird dabei die GonadotropinProduktion soweit unterdrückt, dass über die Jahre eine insgesamt geringere Östradiol Exposition in der Gelbkörperphase besteht (Cassidy et al. 1994, 1995; Henderson et al. 1985).
Unter den Phytoöstrogenen haben Isoflavone darüber hinaus antikanzerogene Effekte, die nicht mit den antiöstrogenen Eigenschaften verbunden sind (Bingham
et al. 1998). So hemmt Genistein das Enzym Tyrosin-Kinase und damit indirekt das
Wachstum vieler Zelllinien. Es wirkt außerdem als Antioxidans, bewirkt in einze lnen Zelllinien einen programmierten Zelltod (Apoptose) und hemmt darüber hinaus
die Bildung neuer Blutgefäße in den Tumorgeweben (Angiogenese).
Untersuchungen zu den Wirkungen von Phytoöstrogenen beim Krankheitsbild der
Osteoporose sind bislang hauptsächlich in Tiermodellen durchgeführt worden.
Doch konnte in einer Studie beim Menschen gezeigt werden, dass Sojabohnenprotein die Knochendichte über kurze Zeit erhöht hat (Erdmann et al. 1996).
Für das Isoflavon Daidzein gibt es Hinweise, dass es die Absorption von Alkohol
im Magen verzögert und so das Verlangen nach Alkohol unterdrückt. Daidzein wäre demnach eine potentiell geeignete Substanz bei der Behandlung von Alkoholismus.
In vielen Studien wurde der cholesterinsenkende Effekt von Sojaprotein, respektive
von Isoflavonen als aktiven Komponenten, gezeigt. Der günstige Effekt auf den
Cholesterinstoffwechsel betraf dabei nicht nur eine Verringerung des Gesamtchole29 Die hormonbedingten Risikofaktoren bei der Entwicklung von Brustkrebs sind: früher Eintritt
der Menarche, später Eintritt der Menopause, hohes Erstgebärendenalter und bei postmenopausalen Frauen erhöhte Konzentrationen freien Östradiols im Plasma.
100
sterins und der LDL-Cholesterin-Fraktion, sondern auch eine Erhöhung der HDLFraktion (s. Fußnote 14) (Burke et al. 1996). Der genaue Wirkungsmechanismus ist
noch nicht bekannt, jedoch konnte in Tierstudien und beim Menschen eine erhöhte
LDL-Rezeptor Aktivität nach dem Konsum von Sojaprotein nachgewiesen werden,
die auf eine Interaktion von Isoflavonen und dem LDL-Rezeptor zurückgeführt
wird (Potter 1996, Baum et al. 1998). Amerikanische Lebensmittelhersteller dürfen
seit Oktober 1999 auf Senkung des Risikos einer Herzerkrankung durch Sojaeiweiß
hinweisen.
Sulfide
In der Stoffgruppe der Sulfide ist Knoblauch das Lebensmittel, das besonders viele
dieser bioaktiven Verbindungen enthält. Sein therapeutischer Nutzen war bereits in
frühen Kulturen Indiens, Chinas und Ägyptens bekannt.
Die therapeutischen Wirkungen von Knoblauch wurden in verschiedenen Studien
beim Menschen auf der ganzen Welt untersucht. In zwei Metaanalysen zu den
Auswirkungen von Knoblauch auf die Lipidkonzentration im Blutplasma konnte
eine signifikante Abnahme an Gesamtcholesterin und Triglyceriden auf den Verzehr von hohen Mengen getrockneten oder frischen Knoblauchs zurückgeführt werden (Warshafsky et al. 1993; Silagy und Neil 1994).
Die antithrombotischen Wirkungen von Knoblauch zeigen sich in einer Senkung
des Blutgerinnungsfaktors Fibrinogen im Plasma und der Thrombozytenaggregation. Zusätzlich wird die Aktivität des gewebespezifischen Plasminogenaktivators
erhöht, der durch Umwandlung von Plasminogen in das fibrinauflösende Plasmin
für die Auflösung von Blutgerinnseln verantwortlich ist (Harenberg et al. 1988). Zu
den antimikrobiellen Eigenschaften liegen nur wenige in vivo Studien beim Menschen vor. Therapeutische Effekte wurden gegen Cryptococci, Mycobacteria und
Candida gefunden, Herpes simplex und Influenza Viren werden durch Knoblauch
in vitro inaktiviert (Davis et al. 1990; Tsai et al. 1985). Immunmodulierende Eige nschaften von Knoblauch und die für die immunologische Abwehrmechanismen verantwortlichen Proteine und komplexe Kohlenhydrate wurden in den vergangenen
Jahren in verschiedenen Labors untersucht (Kandil et al. 1987; Brosche und Platt
1993; Morioka et al. 1993).
Phytinsäure
In experimentellen Versuchen bei Ratten wurde eine enge Korrelation zwischen
Phytinsäure und Eisengehalten im Stuhl gefunden. Freies Eisen im Stuhl wird von
Phytinsäure gebunden (Chelatbildung) und dadurch die Produktion freier Radikale
(ROS) gehemmt/vermindert 30. Phytinsäure kommt in vergleichsweise hohen Kon30 Freie Eisenionen katalysieren die Bildung von Hydroxylradikalen und führen damit zu oxidativer
Schädigung der DNA. So wurde bei Ratten eine erhöhte Tumorinzidenz im Dickdarm bei erhöhter Eisenaufnahme gefunden. Ein hoher Ferretinspiegel im Blut wird als Indikator für eine hohe
Eisenaufnahme angesehen.
101
zentrationen in den Randschichten von Getreide oder in Sesamsamen vor, was die
signifikant niedrige Produktion freier Radikale im Colon bei einer an Nahrungsfasern reichen Diät gegenüber einer Diät mit hohem Fettanteil erklären könnte (Owen
1999). Bei suboptimaler Eisenversorgung ist die Eisenbindung der Phytinsäure jedoch negativ zu beurteilen, da hierdurch die Bioverfügbarkeit von Eisen erniedrigt
wird.
4.2.4.3
Sicherheitsaspekte
Durch Phytoöstrogene hervorgerufene Gesundheitsschäden beziehen sich bislang
im Wesentlichen auf Befunde bei Tieren: Unfruchtbarkeit bei Schafen durch Isoflavonoide, unterdrückter Östrogen-Zyklus bei weiblichen Ratten und verändertes Sexualverhalten bei männlichen Tieren durch Coumestrol sowie hemmende Effekte
auf die Geschlechtsentwicklung und die Fruchtbarkeit bei Nagern und Schweinen.
Beim Menschen wurden bislang keine negativen Effekte durch hohen Konsum von
Phytoöstrogenen beobachtet. Dies gilt auch für Asien, wo Phytoöstrogene im Vergleich zu Europa mit einem deutlich höheren Anteil mit der täglichen Nahrung aufgenommen werden. Allerdings wurden bislang auch noch keine systematischen
Studien zu dieser Fragestellung durchgeführt und es ist insbesondere bei Säuglingen
und Kindern unklar, welche langfristigen Auswirkungen auf die Gesundheit hohe
Aufnahmen von Phytoöstrogenen haben. Für das Phytoöstrogen Zearalenone gibt es
Hinweise, dass die chronische Aufnahme dieses Mykotoxins nachteilige Effekte auf
Reproduktion und Leberfunktion hat und zur Tumorbildung bei Brust, Uterus, Prostata und Leber beiträgt. Ein kontinuierliches Screening von Getreide und Getreideprodukten auf Zearalenone ist daher angezeigt (Kardinaal et al. 1997).
Für eine fundierte Risikoabschätzung sind mehr Informationen über den Zusammenhang zwischen Verzehrsmenge spezifischer Komponenten und der biologisch
relevanten Wirkung nötig. Darüber hinaus ist zu bedenken, dass die Effekte verschiedener Phytoöstrogene nicht additiv sind, da jede Substanz einen anderen
Stoffwechselprozess durchläuft.
Ungeklärte Risiken bestehen auch bei Monoterpenen. Eine einmalige Aufnahme
von 20 g Limonen hat beim Menschen zwar keine akuten toxischen Wirkungen
hervorgerufen (Birt und Bresnick 1991), jedoch hat die Verabreichung hoher Konzentrationen an Limonen bei Ratten zur Auslösung von Nierenkrebs geführt (Hart
und Whysner 1994).
Unter Sicherheitsaspekten muss auch das allergene Potential sekundärer Pflanzeninhaltsstoffe beachtet werden. Dies gilt insbesondere für Monoterpene, unter
denen viele allergene Varianten bekannt sind.
102
Saponine galten bis vor kurzem wegen ihrer hämolytischen Wirkung ausschließlich
als gesundheitsschädlich. In einer in vitro Studie mit menschlichen Erythrozyten
wurden bei Steroid-Saponine höhere hämolytische Aktivitäten gegenüber TriterpenSaponinen festgestellt (Santos et al. 1997). Unerwünschte Wirkungen können auch
bei Protease-Inhibitoren auftreten. Eine hohe Aufnahme von Phytinsäure kann die
Mineralstoffresorption beeinträchtigen.
Als kritisch bei der Anreicherung von Lebensmitteln mit sekundären Pflanzeninhaltsstoffen könnten sich auch mögliche Interaktionen mit Arzneimitteln erweisen.
So ist beispielsweise bekannt, dass eine gemeinsame Einnahme von Grapefruitsaft
und Cyclosporin den Plasmaspiegel von Cyclosporin erhöht, da durch Grapefruitsaft Enzymsysteme gehemmt werden, die Cyclosporin metabolisieren (Heilmann und Merfort 1998).
4.2.4.4
Vorhandene Produkte
Wie in Tabelle 4.22 aufgeführt, sind nach Literaturangaben eine ganze Reihe von
Lebensmitteln in Nordamerika und Europa auf dem Markt, die sekundäre Pflanzeninhaltsstoffe enthalten, denen eine besondere gesundheitsbezogenen Wirkung
zugeschrieben wird und die dem Konsumenten auch mitgeteilt wird. Auch in Japan
und anderen asiatischen Ländern sind entsprechende Produkte auf dem Markt (Burke 1997, Byrne 1997, Hasler 1998), doch wurden diese in Tabelle 4.22 nicht berücksichtigt, da die asiatischen Ernährungsgewohnheiten kaum mit denen in der
Schweiz vergleichbar sind.
Als wichtigste Produktgruppe, denen sekundäre Pflanzeninhaltsstoffe zur Erzielung
einer bestimmten physiologischen Wirkung zugesetzt werden, sind alkoholfreie
Getränke und Milchmischgetränke anzusehen (Tab. 4.22). Dabei wird deutlich, dass
sowohl große multinationale Unternehmen als auch kleine Anbieter in diesem Bereich aktiv sind. Die zugesetzten Pflanzenextrakte umfassen eine große Bandbreite
verschiedener Inhaltsstoffe, da je nach Getränk, Zielgruppe und anderen marketingrelevanten Parametern verschiedenartige Wirkungen erzielt werden sollen. Neben
dem Getränkemarkt spielt der Zusatz sekundärer Pflanzeninhaltsstoffe noch eine
gewisse Rolle bei Cerealien und Süßwaren (Tab. 4.22), wobei hier in USA und Europa eher größere Unternehmen aktiv sind.
Tabelle 4.22:
Beispiele für auf dem Markt befindliche Produkte mit sekundären Pflanzeninhaltsstoffen in Nordamerika und Europa
(Stand Dezember 1999)
Produkttyp
Stoffklasse
Getränke
Mono-/Triterpene
angegebener
Inhaltsstoff
Limetten
Ginseng
Grüner Tee
Alkaloide
Melisse, Salbei
Schwarzer Pfeffer
Koffein
Guarana
Merziger (D)
South Beach Beverages (USA)
United States Beverages (USA)
Energy Brands (USA)
Coca Cola & Schweppes Beverages (CCSB)
New Drinks Company (F)
North Pole Beverages (USA)
EnerGusto
Pacific World Trade (USA)
Urbacher (D)
Fürstiana (D)
Pacific Food Group (USA)
Rabenhorst (D)
New Drinks Company (F)
Merziger (D)
Thunderhead (USA)
Red Bull (Ö)
South Beach Beverages (USA)
Produktename bzw.
Sachbezeichnung
Orange & Co
SoBe Wellness Drink
Phat Boy
Go Go Beverage
Oasis Revitliser
Energade
Gong
E=MC2 Think Drink
Gusto Original
Gusto Lemonade
Gusto Gingkola
DRACO Ginseng Beer
E*Vita
Teefresh
Echinacea
Good Night
Devil
Orange & Co
Java Johnny
Power Horse
SoBe Wellness Drink
Quelle
Groeneveld 1998 a, b
Charlet 1998, Hasler 1998
Charlet 1998
Hasler 1998
Retail Business 1997
Hasler 1998
Hilliam 1997
Retail Business 1997
103
Polyphenole
Hersteller
Charlet 1998
Groeneveld 1998 a, b
Coussement 1997
Klont 1998
Groeneveld 1998 a, b
Hasler 1998
Groeneveld 1998 a, b
Hilliam 1997
Hilliam 1997
Charlet 1998, Hasler 1998
Fortsetzung Tabelle 4.22:
Produkttyp
Milchprodukte
Stoffklasse
Monoterpene
Polyphenole
Polyphenole
Isoflavone
Süßwaren
Isoflavone
Sonstige Le- Triterpene
bensmittel
Isoflavone
Carotinoide
Koffein, Guarana
Pfefferminze, Kamille, Salbei
Weißdorn
Melisse
Polyphenole
Produktename bzw.
Sachbezeichnung
Coca Cola & Schweppes Bever- Oasis Revitliser
ages (CCSB)
Energade
Multipower (UK)
Red Kick
EnerGusto
Gusto Original
Gusto Lemonade
Gusto Gingkola
Pepsi Cola (USA)
Josta Cola
Energy Brands (USA)
Go Go Beverage
MZO Oldenburger (D)
Pep Milch
Hersteller
Müller (D)
Dreyer's (USA)
Weizenkleie
Isoflavone
Isoflavone
Gingko
Pillsbury Co. (USA)
Kellogg Company (USA)
SoyLife (USA)
SoyLife (USA)
Warner-Lambert (USA)
Isoflavone
Schouten USA Inc. (USA)
Beta-Carotin
Carotinoide
SoyLife (USA)
BASF Health & Nutrition
(DEN)
Global Palm Products
Pro Cult mit "Gesundheitskräutern"
Edy's Grand Ice Cream
Green Tea
Häagen-Dasz Green Tea
All-Bran
[Weizenflocken-Müsli]
[Pudding]
Quanterra Mental
Sharpness
SoyLife [Sojabohnenextrakt]
[Suppen]
Lucarotin
CAROTINO [Salatöl]
Quelle
Retail Business 1997
Retail Business 1997
Retail Business 1997
Hasler 1998
Hasler 1998
Byrne 1997, Groeneveld
1998 a, b
Groeneveld 1998 a, b
Hollingsworth 1998
Hollingsworth 1998
Burke 1997
Klont 1998
Klont 1998
Nature Biotechnology 1998
Haumann 1997
Klont 1998
BASF Health & Nutrition
1999
World of Ingredients 1998
104
Cerealien
angegebener
Inhaltsstoff
105
Auch in der Schweiz sind bereits einzelne Functional Food erhältlich, denen Pfla nzenextrakte zugesetzt werden, mit denen bestimmte gesundheitsbezogenen Wirkungen, die dem Konsumenten auch mitgeteilt werden, verknüpft werden. Entsprechende Lebensmittel sind insbesondere bei Milchverarbeitungsprodukten, alkoho lfreien Getränken, Teig- und Süßwaren zu finden (Tab. 4.23). Insbesondere Migros
hat unter seiner Functional Food-Dachmarke "Actilife" mehrere Produkte mit zugesetzten sekundären Pflanzeninhaltsstoffen auf den Markt gebracht.
Tabelle 4.23:
Beispiele für Produkte mit Pflanzenextrakten auf dem Markt in der
Schweiz (Stand Dezember 1999)
Hersteller/
Vertrieb
Produktname bzw.
Sachbezeichnung
Inhaltsstoff
Milchprodukte
Migros
Grüntee-Joghurt
Grüner Tee
Migros
Actilife Glace (verschiedene Geschmacksrichtungen oder Variationen)
Oligofructose, Vitamine C, E, Beta-Carotin, Grüntee-Extrakt
Swiss Dairy Food
Aloe-Vera-Joghurt
Vitamin E, C, Aloe Vera
Alkoholfreie Getränke
Migros
Actilife Tafelwasser Green Tee
Grüntee-Extrakt
Rivella
Rivella grün (Tafelgetränke)
Grüntee-Extrakt
Cerealien, Back- und Süßwaren
Migros
Actilife Toffee Grapefruit Grüntee Grüntee-Extrakt
Morga
Val Farella (Teigwaren)
Beta-Carotin, Vitamin E; Omega3-Fettsäuren
Novartis Consumer
Health
AVIVA Cholesterol Control: Cerealienmischung
Isoflavone aus Soja, Vitamine E
und C, Hafer ß-Glucane
Novartis Consumer
Health
AVIVA Cholesterol Control: Getreideriegel
Isoflavone aus Soja, Vitamine E
und C, Hafer ß-Glucane
Novartis Consumer
Health
AVIVA Cholesterol Control: Biscuits
Isoflavone aus Soja, Vitamine E
und C, Hafer ß-Glucane
4.2.4.5
Offene Fragen und Forschungsbedarf
Um die gesundheitlichen Wirkungen sekundärer Pflanzeninhaltsstoffe besser beurteilen zu können, muss der derzeitige Wissensstand noch in folgenden Bereichen
erweitert werden (Watzl 1996):
106
•
Entwicklung von Nachweismethoden für bestimmte sekundäre Pflanzeninhaltsstoffe und insbesondere ihre biologisch aktiven Formen in Pflanzen, Lebensmitteln, Körperflüssigkeiten und Geweben,
•
Beeinflussung von Gehalt und Wirksamkeit sekundärer Pflanzeninhaltsstoffe
durch Anbaubedingungen, Erntezeitpunkt, Verarbeitung in Industrie und Haushalt,
•
Bioverfügbarkeit und deren Beeinflussung,
•
biologische Wirkungen einzelner sekundärer Pflanzeninhaltsstoffe und deren
ursächliche Beteiligung an der Entstehung bzw. Prävention von Krankheiten,
•
Identifizierung der hauptsächlich wirksamen Komponenten in dem in Obst und
Gemüse vorliegenden Gemisch vieler verschiedener sekundärer Pflanzeninhaltsstoffe,
•
Entwicklung und Validierung geeigneter Biomarker und intermediärer Endpunkte,
•
epidemiologische Untersuchungen und Interventionsstudien über die Zusammenhänge zwischen der Aufnahme an einzelnen sekundären Pflanzeninhaltsstoffen und der Häufigkeit des Auftretens bestimmter Krankheiten.
4.2.5
Sonstige Wirkstoffgruppen
4.2.5.1
Strukturierte Lipide, mehrfach ungesättigte Fettsäuren, Fettersatzund -austauschstoffe
"Fett ist wegen seiner hohen Energiedichte, der schlechten Regulierung der Fettbilanz beim Menschen, des ungünstigen Einflusses bestimmter Fettsäuren auf die
Cholesterinkonzentration im Plasma und aufgrund epidemiologisch festgestellter
Beziehungen zwischen fettreicher Ernährung und Krebs seit vielen Jahren ein problematischer Nährstoff" (Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) 1996). Nach
den Richtlinien der DGE sollte die Energiezufuhr aus der Nahrung in Form von Fett
nur 30 % betragen. Wie aus den Verbrauchsdaten des Vierten Schweizerischen Ernährungsberichts (1998) zu entnehmen ist, ist in der Schweiz der tägliche Fettverbrauch pro Person zwischen 1979 und 1995 zwar um knapp 18 g zurückgegangen,
liegt jedoch mit einem Anteil von 38 % an der Energiezufuhr immer noch über den
DGE-Empfehlungen. Darüber hinaus entspricht auch die Verteilung der aufgenommenen Fettsäuren auf gesättigte, einfach ungesättigte und mehrfach ungesättigte Fettsäuren mit einem Verhältnis von 2,3:2,1:1 nicht den Zufuhrempfehlungen
von 1:1:1.
107
Aufgrund dieser Erkenntnisse werden Strategien verfolgt, die darauf abzielen, zum
einen den Anteil an Fett an der gesamten Energiezufuhr zu senken und zum anderen
die Art der aufgenommenen Fettsäuren zu beeinflussen. Um den Fettanteil zu senken, werden Fettersatz- und Fettaustauschstoffe entwickelt. Je nach Definition und
Abgrenzung von Functional Food werden sie von einigen Autoren zu Bestandteilen
von Functional Food gezählt, von anderen nicht.
Bei Fettersatzstoffen handelt es sich um Produkte, die aus Fettsäuren hergestellt
werden, aber einen verringerten Energiegehalt aufweisen. Fettaustauschstoffe sind
dagegen Produkte auf Protein- oder Kohlenhydratbasis, die zwar eine fettähnliche
Konsistenz aufweisen, aber keine Fettsäuren enthalten und sich in ihren physikalischen Eigenschaften von Fetten und Fettersatzstoffen unterscheiden. Tabelle 4.24
gibt eine Übersicht über Fettersatz- und Fettaustauschstoffe. Inwieweit Fettersatzund Fettaustauschstoffe tatsächlich zu einer verringerten Energie- und Fettaufnahme
und zu einer dauerhaften Verringerung des Körpergewichts beitragen können, ist
umstritten (Lawton 1998).
Darüber hinaus wird die Strategie verfolgt, die Zufuhr wünschenswerter Fettsäuren
mit der Nahrung zu erhöhen. Allerdings besteht noch Forschungsbedarf, die Rolle
einzelner Fettsäuren als Risikofaktoren bei der Entstehung ernährungsabhängiger
Krankheiten weiter aufzuklären (Koshla und Sundram 1996). Von besonderem Interesse sind
•
n-3 und n-6 ungesättigte Fettsäuren. Langkettige mehrfach ungesättigte Fettsäuren sind wichtige strukturelle Bestandteile von biologischen Membranen. Außerdem sind sie Vorläufer hormonähnlicher Substanzen, sogenannter Eicosanoide,
zu denen Prostaglandine, Thromboxane und Leukotriene gehören. Diese Eicosanoide sind an Stoffwechselprozessen wie Thrombose, Arteriosklerose, Entzündungen und Störungen der Immunantwort beteiligt, die bei der Entstehung verschiedener Krankheiten eine Rolle spielen. Wichtige Vertreter dieser langkettigen mehrfach ungesättigten Fettsäuren sind Docosapentaensäure (DPA), Docosahexaensäure (DHA) und Eicosapentaensäure (EPA). DHA ist an der frühkindlichen Entwicklung des Gehirns beteiligt, und EPA spielt bei der Regulation entzündlicher Immunprozesse und des Blutdrucks eine wichtige Rolle (Muggli
1997, Linko und Hayakawa 1996, Shahidi und Wanasundara 1998). Die Hauptquelle für DHA und EPA sind Fischöle, doch wird auch das Potential alternativer
Herstellungsmethoden ausgelotet (Certik et al. 1998, Becker und Kyle 1998).
Ernährungsphysiologisch wichtig ist ein ausgewogenes Verhältnis der n-3 und n6 ungesättigten Fettsäuren, das insbesondere durch eine Erhöhung der Zufuhr
von n-3 langkettigen ungesättigten Fettsäuren erreicht werden soll.
•
Lebensmittel mit verändertem Fettsäuremuster. Durch Züchtung spezieller Ölpflanzen, durch Umesterung von Nahrungsfetten und durch strukturierte Triglyceride kann das Fettsäuremuster von Lebensmitteln verändert werden.
Tabelle 4.24:
Übersicht über Fettersatz- und Fettaustauschstoffe
Fettaustauschstoffe auf
Kohlenhydrat- oder
Proteinbasis
Caprenin
Mittelkettige
Triglyceride
Betapol
Eigenschaften
Bemerkungen
brennwertreduzierter Fettersatzstoff (17 kJ/g); besteht
aus 2 kurzkettigen und 1 langkettigen Fettsäure, die mit
Glycerin verestert sind
brennwertreduziertes Kakaobuttersubstitut (21 kJ/g);
wird bei der Herstellung von Schokoladenüberzügen
von Süßwaren, Nüssen und Früchten verwendet
Fettsäuren mit weniger als 12 C-Atomen; etwas kalor ienärmer als normale Fette und Öle (29 kJ/g statt
38 kJ/g)
Humanmilchfettersatz
in USA und Japan zugelassener Fettersatzstoff mit GRASStatus.
Olestra,
Prolestra,
Olean
brennwertreduzierter, da nicht verdaulicher Fettersatzstoff
Polydextrose
brennwertreduzierter Fettaustauschstoff (17 kJ/g)
Modifizierte
Stärken, z. B.
Oatrim
Prebiotika, z. B.
Frutafit -Inulin
Simplesse
in Japan zugelassen, in USA wegen cholesterin-erhöhender
Wirkung Zulassung widerrufen.
Resorption im Darm erfolgt anders als bei Fetten mit langkettigen Fettsäuren; besonders für Patienten mit Fettresorptionsstörungen geeignet.
wird in Muttermilchersatzprodukten zur Säuglingsernährung
verwendet.
in USA nur für gewerbliche Herstellung von frittierten Produkten zugelassen; Verwendung kennzeichnungspflichtig;
Verzehr wirkt sich negativ auf die Verfügbarkeit von fettlöslichen Vitaminen und Carotinoiden aus.
wird in der EU in der gewerblichen Lebensmittelherstellung
verwendet.
Fettersatzstoff auf Haferstärkebasis, Energiegehalt von in USA Verwendung für pasteurisierte Käseprodukte und
1 kcal/g, kann zusammen mit löslichen Nahrungsfasern Backwaren.
eingesetzt werden und soll dadurch zusätzlich den
Serumcholesterinspiegel senken.
Nichtverdauliche Kohlenhydrate mit strukturverändern- Verwendung in Milchprodukten, Backwaren
den Eigenschaften
mikropartikuliertes Protein als brennwertreduzierter
Fettaustauschstoff (ca. 17 kJ/g)
Quelle: Eigene Zusammenstellung von Daten aus Mukherjee 1998
108
SaccharosePolyester
Strukturierte Triglyceride
Produkt- Handelsname
gruppe
Produkt
Salatrim
109
4.2.5.2
Bioaktive Peptide
In der Nahrung enthaltene Eiweiße können bioaktive Peptide liefern, die bei der
Verarbeitung oder Verdauung aus den Nahrungseiweißen freigesetzt werden. Eine
gut untersuchte Quelle für bioaktive Peptide sind Milchproteine, aber auch andere
tierische sowie pflanzliche Proteine kommen als Lieferanten für bioaktive Proteine
und Peptide in Frage. Die freigesetzten bioaktiven Peptide können hormonähnliche,
regulierende oder auch antimikrobielle Wirkungen entfalten. Eine Übersicht über
mögliche Wirkungen bioaktiver Proteine und Peptide gibt Tabelle 4.25.
Hinweise auf diese Wirkungen stammen überwiegend aus in vitro-Experimenten
oder Fütterungsversuchen mit Versuchstieren. Ob ähnliche biologische Wirkungen
auch im Menschen auftreten, muss noch untersucht werden. Derzeit werden ge ntechnisch veränderte Tiere entwickelt, deren Milch in ihrer Zusammensetzung so
verändert ist, dass sie als Functional Food in der menschlichen Ernährung dienen
kann (Koletzko et al. 1998, Whitelaw 1999).
Um das Potential bioaktiver Peptide und Proteine für die menschliche Gesundheit
auszuschöpfen, wird Forschungsbedarf auf folgenden Gebieten gesehen (Korhonen
et al. 1998, Meisel 1997):
•
Einfluss konventioneller und neuer Verarbeitungstechnologien auf die Bioaktivität
•
Untersuchung der Bioaktivität von Proteinen, die nur geringe Anteile am Milch-,
Ei-, Gemüse-, Getreide- und Obst-Protein haben.
•
Bestimmung der technologischen Eigenschaften von bioaktiven Proteinen, z. B.
Lactoferrin, Antikörper, Eiproteine und bioaktive Peptide.
•
Untersuchung der Wechselwirkungen zwischen bioaktiven Proteinen und Peptiden mit anderen Lebensmittelbestandteilen während der Verarbeitung, und Ermittlung der Auswirkungen auf die Bioaktivität.
•
Einfluss konventioneller und neuer Verarbeitungstechnologien auf die Bioaktivität.
•
Entwicklung neuer Fraktionierungs- und Reinigungsmethoden für bioaktive
Proteine und Peptide.
•
Herstellung bioaktiver Proteine in transgenen Organismen und Untersuchung
ihrer biologischen Wirksamkeit und Sicherheit.
•
Untersuchung der gesundheitlichen Wirkungen bioaktiver Proteine und Peptide
alleine und als Bestandteil von Functional Food in Interventionsstudien an Versuchstieren und am Menschen.
110
Tabelle 4.25:
Übersicht über mögliche Wirkungen bioaktiver Proteine und Peptide
Protein/Peptid
Caseine
Herkunft
Milchprotein
β-Lactoglobulin
Milchprotein
α-Lactalbumin
Milchprotein
Glycomacropeptid
Lactoferrin
Milchprotein
Lactoperoxidase
Lysozym
Casomorphine,
Lactorphine
Lactoferroxine,
Casoxine
Casokinine
Milchprotein
Milch- und Eiprotein
Peptide aus verschiedenen
Milchproteinen
Peptide aus verschiedenen
Milchproteinen
Peptide aus den Milchprote inen α- und β-Casein
Peptide aus den Milchprote inen k-Casein, Transferrin
Peptide aus den Milchprote inen α- und β-Casein
Peptid aus dem Milchprotein
Lactoferrin
Eiprotein
Eiprotein
Casoplateline
Phosphopeptide
Lactoferricin
Ovotransferrin
Ovomucoid,
Ovoinhibitor, Fic ininhibitor
Orexine
Milchprotein
Funktion, Bioaktivität
Ionencarrier (Calcium, Phosphat, Eisen, Zink, Kupfer), Vorläufer für bioaktive Peptide
Retinolcarrier, bindet Fettsäuren,
möglicherweise Antioxidans
Calciumcarrier, immunmodulierend,
antikarzinogen
antiviral, fördert das Wachstum von
Bifidobakterien, anticariogen
antimikrobiell, antioxidativ, immunmodulierend, Eisenabsorption, antikarzinogen
antimikrobiell
antimikrobiell
Opioidagonisten
Opioidantagonisten
blutdrucksenkend
antithrombotisch
Mineralstoffcarrier
antimikrobiell
bindet Metallionen
hemmen verschiedene eiweißabbauende Enzyme
Peptidhormone für die Steuerung von
Hunger und Sättigung
Quelle: Meisel 1997, Korhonen et al. 1998
4.2.5.3
Mineralstoffe
Mineralstoffe sind im Gegensatz zu den organischen Makronährstoffen – Kohlenhydrate, Lipide und Proteine – anorganische Nährstoffe, die im Körper umgesetzt
werden und wichtige biochemische Effekte ausüben. Sie werden nach dem erfor-
111
derlichen Tagesbedarf quantitativ unterteilt in Mengenelemente (Tagesbedarf
>100 mg) und Spurenelemente (Tagesbedarf <100 mg). Zu den wichtigsten Mengenelementen zählen Calcium, Phosphor, Magnesium, Schwefel, Natrium, Kalium
und Chlor. Essentielle Spurenelemente sind Eisen, Zink, Kupfer, Mangan, Selen,
Molybdän, Jod, Kobalt, Chrom und Fluor (Rehner und Daniel 1999). Tabelle 4.26
gibt eine Übersicht über Mineralstoffe, die als Bestandteile von Functional Food in
Betracht kommen (Reilly 1996, 1998).
Mengenelemente
Tabelle 4.26:
Mineralstoffe
Funktion
Calcium
beteiligt an Knochenstoffwechsel
und -mineralisation;
Reizübermittlung;
Stabilisierung von Biomembranen;
Signaltransfer;
enzymatische Katalyse
enzymatische Katalyse
Hauptkation des Extrazellulärraumes;
Bioelektrizität;
Osmoregulation
wichtig für energiereiche Verbindungen, Zahn- u. Knochenhartsubstanz.
Sauerstofftransport;
Elektronentransfer
Mineralisierung der Zahnhartsubstanz
Schilddrüsenhormone
Bestandteil antioxidativer Enzyme;
essentiell für Schilddrüsenfunktion;
wichtig für männliche Fertilität;
Bestandteil regulativer Enzyme
enzymatische Katalyse;
Stabilisierung biologischer Membranen;
Speicherung von Insulin;
antioxidative Eigenschaften
Magnesium
Natrium
Phosphor
Eisen
Fluor
Spurenelemente
Übersicht über Mineralstoffe, die als Bestandteile von Functional
Food in Betracht kommen
Jod
Selen
Zink
korrelierte Krankheit
Osteoporose
Magnesiummangel-Tetanie
Bluthochdruck
Osteoporose
Anämie
Karies
Struma
Hypogonadismus, Milz-, Lebervergrößerung, Hyperkeratosen, Dermatitis, Anorexie
112
4.2.5.4
Vitamine
Vitamine sind lebensnotwendige Nahrungsbestandteile, deren Nichtzufuhr Mange lerscheinungen auslöst. Sie sind nur aus äußeren Quellen bzw. unter dem Einfluss
von Milieufaktoren (z. B. Darmflora) zugänglich und müssen mit der Nahrung bedarfsgerecht zugeführt werden. Vitaminmangelkrankheiten treten in Folge ungenügender Zufuhr oder Resorption, Störung von Darmflora oder Metabolismus, Ant ivitamin-Einwirkung oder bei gesteigertem Verbrauch auf. Krankheitserscheinungen
bei einem Überangebot an Vitaminen treten nur bei den stark speicherbaren Vitaminen A u. D auf. Tabelle 4.27 gibt eine Überblick über fett- und wasserlösliche
Vitamine und ihre Funktion.
Tabelle 4.27:
Übersicht über Vitamine, die als Bestandteile von Functional Food
in Betracht kommen
Vitamin
Funktion
fettlöslich
A (Retinol)
An Keratinisierung und Biosynthese der
Glykoproteine und Glykolipide beteiligt;
Beteiligung am Sehvorgang;
greift in Aufbau und Funktionserhaltung
von Haut und Schleimhäuten ein;
wichtig für ein intaktes Immunsystem.
D (Calciferol) Calcium- und Phosphorstoffwechsel;
beeinflusst die Mineralisierung der Knochen und Zähne.
E (Tocopherol) Schutz ungesättigter Fettsäuren und von
Vitamin A vor Oxidation (Antioxidans).
K
AntihämorrhagischesVitamin;
Coenzymfunktion bei Biosynthese der
Gerinnungsfaktoren.
wasserlöslich
B1 (Thiamin)
In der Coenzymform Thiamindiphosphat
an wichtigen Reaktionen im Kohlenhydratstoffwechsel beteiligt;
wichtig für das Nervensystem.
B2 (Riboflavin) Baustein der Falvinnucleotide; Riboflavinhaltige Coenzyme katalysieren Redoxreaktionen;
am Fett-, Kohlenhydrat-, Eiweißstoffwechsel beteiligt.
Schädigung bei
Mangelversorgung
Epithelschäden an Haut
und Schleimhäuten,
Nachtblindheit
Mineralisationsstörungen, Rachitis, Osteomalazie
Veränderung der Enzymaktivität
Verminderung von
Prothrombin und Gerinnungsfaktoren VII
und IX mit Blutungsneigung
Magen-DarmBeschwerden, Appetitlosigkeit, Wasserhaushaltsstörung, neurologische Symptome
Ektodermschäden (u.a.
Linsentrübung), neurovegetative und urogenitale Störungen
113
Fortsetzung Tabelle 4.27:
Vitamin
B6 (Pyridoxin)
Funktion
Als Phosphat wirksam;
als Coenzym zahlreicher Enzyme am
Aminosäureaufbau und -umsatz beteiligt;
wichtig im Eiweißstoffwechsel und für das
Nervensystem.
B12
Als Coenzym, z. T. unter Folsäure(Cobalamin)
Beteiligung, am Fett-, Kohlenhydrat- und
Nucleinsäure-Stoffwechsel wesentlich
beteiligt;
unentbehrlich für die Bildung der roten
Blutkörperchen und die Nervenzellfunktion;
essentieller Wachstumsfaktor für bestimmte Mikroorganismen.
H (Biotin)
Wirksam als Wachstumsfaktor;
Coenzym im Tricarbonsäurezyklus und
bei Fettsäuresynthese
Folsäure
Nimmt eine zentrale Stellung bei der
Zellteilung ein; wichtig u. a. für Biosynthese der Nucleinsäuren und als Coenzym;
an der Neubildung von Körperzellen
– besonders rote und weiße Blutzellen –
beteiligt; verhindert gewisse Formen von
Anämie.
Niacin
Wichtig für am Energieumsatz beteiligte
Enzyme in den Zellen;
für Herzfunktion und zentrales Nervensystem.
Pantothensäure Coenzym-A-Baustein (Pantethein);
wichtig beim Abbau von Fetten, Kohle nhydraten und Aminosäuren sowie beim
Aufbau von Fettsäuren und bestimmten
Hormonen.
C (AscorbinVerbessert die Eisenaufnahme aus der
säure)
Nahrung;
wichtig für die Bildung und Funktionserhaltung von Bindegewebe und Knochen;
stimuliert körpereigene Abwehrkräfte.
Schädigung bei
Mangelversorgung
Pigmentstörungen,
Dermatitis, Anämie
Anämie, Rückenmarkerkrankung, selten
symptomatische Psychose
Dermatitis
Blutbildungsstörungen,
Schwangerschaftskomplikationen, Störungen
in der Embryonalentwicklung (z. B. Neuralrohrdefekt)
Dermatitis, neurologische Störungen, Enzephalopathie
schlechte Wundheilung, unkoordinierte
Bewegungsabläufe
Skorbut, psychische
Veränderungen
114
4.3
Herstellung von Functional Food
4.3.1
Grundsätzliche Ansätze
Um ein Lebensmittel "funktionell" zu machen, können fünf verschiedene Ansätze
verfolgt werden (Roberfroid 1998ab, b):
(1) Entfernung eines Lebensmittelbestandteils, der unerwünschte Effekte ausübt,
(2) Erhöhung der Konzentration eines natürlichen Lebensmittelbestandteils auf
Werte, die die erwarteten Wirkungen auslösen,
(3) Zusatz von Stoffen, die in den meisten Lebensmitteln normalerweise nicht
vorkommen,
(4) Substitution eines Lebensmittelbestandteiles, dessen (übermäßiger) Verzehr
unerwünschte Effekte hat durch einen ernährungsphysiologisch günstiger beurteilten Bestandteil,
(5) Verbesserung der Bioverfügbarkeit von Lebensmittelinhaltsstoffen, die günstige Wirkungen ausüben.
Lebensmittelbestandteile, die unerwünschte Wirkungen ausüben, können beispielsweise allergene Proteine, antinutritive Substanzen oder Substanzen, die von bestimmten Personengruppen nicht vertragen werden (z. B. Lactose in Milch), sein.
Die Entfernung oder Veränderung dieser Inhaltsstoffe aus den pflanzlichen oder
tierischen Lebensmittelrohstoffen durch züchterische Maßnahmen befindet sich in
der Entwicklung wobei auch gentechnische Ansätze verfolgt werden (Whitelaw
1999, Jost et al. 1999, Astwood und Fuchs 1996, Nakamura und Matsuda 1996).
Stand der Technik ist die Beseitigung von Lebensmittelbestandteilen mit unerwünschter Wirkung durch lebensmitteltechnologische Maßnahmen. So werden beispielsweise allergene Proteine durch Säurehydrolyse oder Enzymeinwirkung zu
weniger allergenen Peptiden abgebaut. Diese Verfahren finden z. B. bei der Herstellung hypoallergener Säuglingsnahrung Anwendung.
Um die Verzehrsmenge eines natürlichen Lebensmittelbestandteils (z. B. Vitamin E) zu erhö hen, werden verschiedene Strategien verfolgt. Die gezielte Auswahl
von Lebensmitteln für die tägliche Kost, die natürlicherweise reich an den gewünschten Bestandteilen sind, ist eine Möglichkeit. Eine weitere Strategie besteht
in der entsprechenden Veränderung der Rezeptur verarbeiteter Lebensmittel (im
Falle von Vitamin E beispielsweise Ersatz tierischer Öle und Fette durch pflanzliche Öle). Darüber hinaus ist es möglich, Extrakte und Konzentrate von Lebensmitteln und Lebensmittelrohstoffen herzustellen, die natürlicherweise hohe Gehalte an
den erwünschten Substanzen aufweisen, und diese Extrakte und Konzentrate dann
anderen Lebensmitteln zuzusetzen. Anstelle der Isolierung aus natürlichen Quellen
115
kann der erwünschte Lebensmittelbestandteil auch synthetisiert werden (chemische
Synthese oder Biosynthese).
Die Konzentration der gewünschten Substanz kann schließlich auch durch züchterische Maßnahmen erhöht werden, wie dies z. B. für die Änderung des Fettsäuremusters bei Ölpflanzen (Kinney 1996, Miflin et al. 1999), die Erhöhung des Eisengehalts bei Reis (Goto et al. 1999) oder jüngst für die Erhöhung des Vitamin EGehalts in der Modellpflanze Arabidopsis thaliana gezeigt wurde (Grusak 1999).
Dabei wird sowohl versucht, die Konzentration in Lebensmittelrohstoffen, die
schon natürlicherweise reich an den entsprechenden Substanzen sind, noch weiter
zu erhöhen, als auch die entsprechenden Substanzen in häufig verzehrte Lebensmittel einzubringen, in denen diese Substanzen natürlicherweise nicht vorkommen.
Ein vielbeachtetes aktuelles Beispiel ist der Einbau des Biosyntheseweges für BetaCarotin in das Endosperm von Reis, das normalerweise carotinoidfrei ist (Ye et al.
2000).
Damit besteht ein fließender Übergang zu dem Ansatz, Functional Food durch den
Zusatz von Stoffen herzustellen, die in den meisten Lebensmitteln normalerweise
nicht vorkommen. Hierzu zählen beispielsweise auch Lebensmittel mit strukturierten Fetten oder Margarinen, die Phytosterine aus Baumrinde enthalten.
Bei der Substitution ernährungsphysiologisch ungünstiger Lebensmittelbestandteile
durch günstigere werden meist Makronährstoffe wie Fette oder Kohlenhydrate ersetzt. Ersetzt werden sie durch Fettersatz- und Fettaustauschstoffe, prebiotische
Fructane oder durch Fette mit günstigerer Fettsäurezusammensetzung bzw. durch
Zuckerersatz- und Zuckeraustauschstoffe.
Die Bioverfügbarkeit von Inhaltsstoffen von Functional Food ist von großer
Bedeutung dafür, dass sie ihre biologischen Wirkungen überhaupt entfalten können.
Prinzipiell kann die Bioverfügbarkeit durch eine Vielzahl von Faktoren sowohl
positiv als auch negativ beeinflusst werden. Welche dies sind, kann nur für die
jeweilige Substanz untersucht und entschieden werden. Die Verfügbarkeit von
Mineralstoffen kann beispielsweise durch Anreicherungsschritte, die Entfernung
von Inhibitoren und die Komplexbildung mit anderen Lebensmittelinhaltsstoffen
bei der Verarbeitung positiv, durch Oxidation und Ausfällung unlöslicher
Verbindungen hingegen negativ beeinflußt werden (Watzke 1998). Bei der
Verbesserung der Bioverfügbarkeit kommt auch delivery systems (z. B. Liposomen,
Mikroverkapselungen, spezielle Emulsionen, kontrollierte Wirkstofffreisetzung
(controlled release)), wie sie aus der Pharmakologie bekannt sind, Bedeutung zu.
116
4.3.2
Lebensmitteltechnologische Aspekte
Bei der Herstellung von Functional Food ergeben sich lebensmitteltechnologische
Herausforderungen, die sich hauptsächlich drei Bereichen zuordnen lassen (Diplock
et al. 1999):
12. Die Gewinnung neuer Functional Food-Bestandteile.
13. Die Optimierung der Menge, Zusammensetzung, Bioverfügbarkeit und Wirksamkeit von Functional Food-Bestandteilen sowohl in Lebensmittelrohstoffen
als auch in Lebensmitteln.
14. Die Kontrolle und Überwachung der Menge und Wirksamkeit der Functional
Food-Bestandteile sowohl in Lebensmittelrohstoffen als auch in Lebensmitteln.
Herausforderungen bei der Gewinnung von Functional Food-Bestandteilen ergeben
sich zum einen daraus, Verfahren zu ihrer Gewinnung aus traditionell verwendeten
Rohmaterialien zu entwickeln und zu optimieren. Zum anderen geht es darum, neue
Rohmaterialien als Quellen für die Functional Food-Bestandteile zu erschließen, die
Bestandteile durch de novo-Synthese zu produzieren oder Lebensmittelbestandteile
so zu modifizieren, dass sie neue bzw. veränderte Funktionalitäten aufweisen. Hierzu gehört beispielsweise die Erhöhung des Gehaltes an bestimmten sekundären
Pflanzeninhaltsstoffen, z. B. Antioxidantien, in Nahrungspflanzen mit Hilfe der
Gentechnik (z. B. Grusak 1999). Darüber hinaus werden neue, teilweise exotische
Rohstoffe auf ihre Gehalte an ernährungsphysiologisch günstigen Substanzen (z. B.
PUFAs in Algen, Phytosterine und -sterole in Baumrinde) gescreent.
Wenn diese neuen Quellen nicht direkt zum Verzehr geeignet sind, lassen sich die
entsprechenden Inhaltsstoffe möglicherweise mit Hilfe der Gentechnik in bekannten
Lebensmittelrohstoffen herstellen. Bei Prebiotika besteht beispielsweise ein Interesse daran, nicht-verdauliche Oligosaccharide aus anderen Quellen als Inulin zu gewinnen, wie zum Beispiel durch die "Aufwertung" kohlenhydratreicher Abfallbzw. Nebenprodukte. Da die Wirkung dieser Oligosaccharide substanzspezifisch
sein dürfte, ist ebenfalls von Interesse, neue Funktionalitäten und Spezifitäten durch
technische Modifikationen (z. B. Transglycosilierungen, gesteuerten enzymatischen
Abbau, Extraktion, Fraktionierung, chemische und physikalische Behandlung) zu
erzeugen. Für die Gewinnung bioaktiver Peptide aus Milch oder Pflanzen müssen
Verfahren zur Proteinhydrolyse und zur nachfolgenden Auftrennung und Reinigung
der Peptide entwickelt werden (Diplock et al. 1999).
Das Beispiel der sekundären Pflanzeninhaltsstoffe zeigt, dass in Lebensmitteln wie
Obst und Gemüse eine Vielzahl verschiedener Substanzen vorliegt, wobei mehrere
dieser Substanzen eine bestimmte Zielfunktion unterschiedlich effektiv beeinflussen
können oder eine einzelne Substanz auf verschiedene Zielfunktionen wirkt. Hier ist
es erforderlich, diejenigen Lebensmittelbestandteile zu identifizieren, die zur Modulation der gewünschten Zielfunktion am meisten beitragen. Dann kann der betref-
117
fende Bestandteil durch geeignete Aufarbeitungsverfahren angereichert bzw. von
unerwünschten Begleitsubstanzen abgetrennt oder aber seine Konzentration durch
konventionelle züchterische oder gentechnische Veränderung des Ausgangsmaterials erhöht werden. Zur Optimierung gehört weiterhin die Verbesserung der Biove rfügbarkeit, die Verbesserung von Eigenschaften, die Geruch, Geschmack, Aussehen
und Verarbeitbarkeit bestimmen (z. B. Entfernung des Fischölgeschmacks aus
PUFA-Präparationen), die Erhöhung der Haltbarkeit, sowie der Erhalt der Wirksamkeit während der Verarbeitung, Lagerung und Zubereitung.
Functional Food können nur dann eine gesundheitliche Wirkung entfalten, wenn die
relevanten Inhaltsstoffe bis zum Verzehr in ausreichenden Konzentrationen in wirksamer und bioverfügbarer Form vorliegen. Dies ist bei den bisher auf dem Markt
befindlichen Functional Food nicht immer erfüllt – so gibt es beispielsweise Hinweise, dass einige probiotische Produkte nach Verarbeitung und Lagerung zu wenige lebensfähige Zellen enthalten, um überhaupt einen messbaren Effekt auf die
Darmflora ausüben zu können (Goldin 1998). Die Oxidation von PUFAs und Antioxidantien während der Lebensmittelverarbeitung und -lagerung ist ein lange bekanntes Problem in der Lebensmitteltechnologie (Decker 1998, Lindley 1998). Damit ergibt sich als eine neue Herausforderung für Lebensmittelproduktion und überwachung, Methoden zu entwickeln und zu implementieren, mit denen der Einfluss von Lebensmittelzusammensetzung, -verarbeitung und -lagerung auf die Konzentration der wirksamen Functional Food kontrolliert werden kann. Dies erfordert
einen Know-how-Austausch mit der Ernährungsforschung. Darüber hinaus muss
auch die Sicherheit und Unbedenklichkeit der – teilweise neuartigen – Functional
Food sichergestellt werden und die Wechselwirkung mit anderen Lebensmittelbestandteilen berücksichtigt werden.
Insgesamt kann ein breites Spektrum verschiedenster Lebensmitteltechnologien bei
der Herstellung von Functional Food zum Einsatz kommen, die von traditionellen
und etablierten Techniken über moderne, teilweise aus dem Pharmabereich stammende bis hin zu neuartigen Technologien reichen (Tab. 4.28).
118
Tabelle 4.28:
Technologien
delivery systems
(Liposomen, Mikroverkapselung,
Emulsionen)
Enzymatische
Prozesse
Extraktion, Fraktionierung, chromatographische
Trennverfahren
Fermentationen
Gentechnik
High-throughputScreening
Übersicht über Lebensmitteltechnologien, die bei FuE zu Functional Food und deren Herstellung angewendet werden können
Anwendungsbeispiele
•
Kontrollierte Freisetzung von funktionellen Inhaltsstoffen (z. B.
bioaktive Peptide) an bestimmten Orten im menschlichen Körper
•
Verbesserung der Bioverfügbarkeit
•
Erhöhte Lebensfähigkeit von Probiotika durch Mikroverkapselung
•
bessere Stabilität im Produkt, keine Wechselwirkungen
•
Gesteuerter Abbau von Inulin zu Fructooligosacchariden (Prebiotika)
•
Herstellung von Prebiotika durch Transglycosylierung
•
Herstellung von Prebiotika mit anderen biologischen Eigenschaften durch enzymatische Modifikation
•
Herstellung strukturierter Lipide
•
Herstellung bioaktiver Peptide
•
Herstellung bestimmter bioaktiver Peptide aus Milch
•
Herstellung bestimmter Milchfraktionen mit definiertem Mineralstoffgehalt und Bioverfügbarkeit
•
Herstellung neuer Prebiotika aus pflanzlichem Zellwandmaterial
•
Entfernung antinutritiver Substanzen
•
Anreicherung mit Vitaminen
•
Verbesserung der Bioverfügbarkeit
•
Fermentative Herstellung von Vitaminen, PUFAs, sekundären
Pflanzeninhaltsstoffen
•
Gentechnisch veränderte Pflanzen mit verändertem Fettsäuremuster, erhöhtem Vitamin E-Gehalt, erhöhtem Gehalt an bestimmten
sekundären Pflanzeninhaltsstoffen
•
Probiotische Mikroorganismen mit gentechnisch veränderten Eigenschaften (z. B verbesserte Ansiedlungsfähigkeit im Darm, erhöhte Magensäureresistenz)
•
Suche nach sekundären Pflanzeninhaltsstoffen mit interessanten
biologischen Aktivitäten
Hochdruckbehand- •
lung, Ultraschallbehandlung, high
•
intensity electric
field pulse techno- •
logy
•
Steigerung der Ausbeute bei der Isolierung sekundärer Pfla nzeninhaltsstoffe aus pflanzlichem Material
Selektive Veränderung der Zusammensetzung von Lebensmitteln
Gefriertrocknung von Probiotika bei gleichzeitigem Erhalt ihrer
Lebensfähigkeit
Herstellung probiotikahaltiger Produkte ohne Beeinträchtigung
der Lebensfähigkeit der Probiotika
119
Fortsetzung Tabelle 4.28:
Technologien
Konventionelles
Screening
Anwendungsbeispiele
•
Suche nach unkonventionellen Lebensmittelrohstoffen als Quelle
für relevante Bestandteile von Functional Food
•
Suche nach neuen Probiotika
Membrantrennprozesse
•
Entwicklung von Membrantrennverfahren zur schonenden, qualitätserhaltenden Raffination von Ölen und Fetten
Überkritische
Kohlendioxidbehandlung
Verpackung unter
kontrollierter und
modifizierter
Atmosphäre
•
Schonende und abfallarme Isolierung funktioneller Inhaltsstoffe
•
Erhalt der antioxidativen Eigenschaften von Antioxidantien
Quelle: Eigene Zusammenstellung von Informationen aus Diplock et al. 1999,
Knorr 1998
4.4
Nachweis der Wirksamkeit von Functional Food
An Functional Food ist dahingehend Kritik geäußert worden, dass ihnen Wirkungen
auf die menschliche Gesundheit zugeschrieben würden, die sie gar nicht besäßen.
Dies bedeute zum einen eine Irreführung und Täuschung der Konsumenten, stelle
zum anderen aber auch das gesamte Konzept von Functional Food, einen Beitrag
zum Erhalt und zur Verbesserung der Gesundheit von Individuen und der Gesellschaft zu leisten, in Frage. Umgekehrt ergibt sich daraus die Frage, wie denn die
Wirksamkeit von Functional Food überhaupt nachgewiesen werden kann und inwieweit dies bereits erfolgt ist. Eng damit verknüpft ist auch die Frage, welche wissenschaftlichen Belege für die Wirksamkeit von Functional Food erbracht worden
sein müssen, um diese Wirkungen auch werblich herausstellen zu dürfen, ohne den
Konsumenten zu täuschen und irrezuführen (s. hierzu auch Kap. 7). Im folgenden
wird daher dargestellt,
•
mit welchen Methoden die Wirksamkeit von Functional Food nachgewiesen
werden kann,
•
welche Kriterien anzulegen sind, um den wissenschaftlichen Beleg der Wirksamkeit zu bewerten, und
•
wie anhand dieser Kriterien der derzeitige Stand des Wissens zur Wirksamkeit
von Functional Food zu bewerten ist.
120
4.4.1
Methoden zum Nachweis der Wirksamkeit von Functional
Food
Um die Wirksamkeit eines Bestandteils von Functional Food zu belegen, muss im
Menschen gezeigt werden, dass eine bestimmte Körperfunktion, die am Erhalt der
Gesundheit bzw. an der Verringerung des Erkrankungsrisikos für eine bestimmte
Krankheit ursächlich beteiligt ist, durch den betreffenden Bestandteil eines Functional Food so beeinflusst wird, dass dies zum Erhalt der Gesundheit bzw. zur Verringerung des Erkrankungsrisikos führt.
Bei der Führung dieses Nachweises können relevante Daten auf verschiedenen
biologischen Organisationsebenen erhoben werden: auf der Ebene von Molekülen,
auf subzellulärer oder zellulärer Ebene, in Geweben, Organen, auf der Ebene des
Individuums oder auf der Ebene von Populationen (Bevölkerungsgruppen). Diese
Untersuchungen können am Menschen bzw. an menschlichem Probenmaterial oder
an Versuchstieren und Modellsystemen durchgeführt werden. Bei diesen Daten
kann es sich um biologische und biochemische Daten, epidemiologische Daten und
um Resultate von Interventionsstudien31 handeln (Diplock et al. 1999).
In der Ernährungsforschung wurden viele epidemiologische Studien und Intervent ionsstudien so durchgeführt, dass lediglich der Verzehr eines Lebensmittelbestandteils beispielsweise durch Verzehrsprotokolle oder Fragebögen erhoben und mit
einem teilweise schlecht definierten Endpunkt (z. B. verbessertem Gesundhe itszustand) korreliert wurde. Diese eher deskriptive Vorgehensweise wird zunehmend
dadurch ergänzt bzw. ersetzt, dass nach den Stoffwechselvorgängen und Wirkungsmechanismen, die den beobachteten Phänomenen zugrunde liegen, gefragt
wird. Hierzu sind sogenannte Biomarker erforderlich. Man kann drei Typen von
Biomarkern unterscheiden (Abb. 4.1):
•
Biomarker, die darüber Auskunft geben, in welchem Maße der jeweilige Lebensmittelbestandteil verzehrt wurde. Dies können beispielsweise die Konze ntrationen der betreffenden Substanz im Serum, Harn, in den Feaces oder im Gewebe sein. Diese Marker geben einen gewissen Hinweis auf die Bioverfügbarkeit, sind aber kein definitiver Beweis dafür.
•
Biomarker, die die Zielfunktion oder biologische Wirkung betreffen. Hierzu
zählen beispielsweise Änderungen in der Konzentration oder Aktivität be-
31 In ernährungs-epidemiologischen Studien können die Ernährungsgewohnheiten über einen Fragebogen oder ein Interview erhoben werden. Zusätzlich bzw. ersatzweise können auch biologische Daten (Biomarker) erhoben werden, die die aktuelle und vergangene Versorgung mit dem
relevanten Stoff wiederspiegeln. Bei Interventionsstudien verzehren die Studienteilnehmer über
einen definierten Zeitraum bestimmte Mengen der zu untersuchenden Substanzen bzw. Lebensmittel, wobei der Einfluss dieser Substanzen bzw. Lebensmittel auf bestimmte biologische Funktionen bzw. den Gesundheitszustand untersucht wird.
121
stimmter Stoffwechselprodukte, Proteine oder Enzyme (z. B. Botenstoff Serotonin als Marker für die Aufnahme der Aminosäure Tryptophan (vgl. Tab. 4.4),
verringerter Plasma-Homocysteinspiegel als Reaktion auf die Zufuhr von Folsäure mit der Nahrung (vgl. Tab. 4.1)).
•
Biomarker, die sich auf einen geeigneten intermediären Endpunkt, eine Steigerung des Wohlbefindens oder die Verringerung des Erkrankungsrisikos beziehen.
Dies ist z. B. die Messung eines biologischen Prozesses, der direkt mit dem Endpunkt verknüpft ist (z. B. Ausmaß der Arterienverengung als Marker für HerzKreislauf-Erkrankungen).
Bei der Konzeption entsprechender Untersuchungen ist es wichtig, geeignete und
aussagekräftige Biomarker auszuwählen, die der Fragestellung angepasst sind. Diese Biomarker sollten idealerweise folgende Kriterien erfüllen:
•
Praktikabilität. Mit den Biomarkern sollten mit einer möglichst einfachen und
unkomplizierte Methodik Ereignisse bzw. Zustände gemessen werden, die relativ
zeitnah zur Intervention auftreten. Außerdem muss die Messung in leicht zugänglichem Probenmaterial erfolgen können, möglichst minimal-invasiv sein
und ethisch zu rechtfertigen. Dies können künftig evtl. auch Marker sein, die sich
durch neue Erkenntnisse und Techniken in der Molekularbiologie (z. B. chipbasierte Gendiagnostik) ergeben. Teilweise können dynamische Messungen von
Kinetiken besser geeignet sein als statische/Gleichgewichtsmessungen.
•
Validität, d. h. von belastbarer Aussagekraft. Der gewählte Biomarker muss eindeutig mit dem zu untersuchenden Phänomen in ursächlichem Zusammenhang
stehen. Generell sind Biomarker um so aussagekräftiger (spezifischer, quantitative Aussagen möglich), je näher sie an dem eigentlich interessierenden Vo rgang/Zustand sind.
•
Reproduzierbarkeit. Die Verwendung eines Biomarkers in verschiedenen Arbeitsgruppen sollte mit derselben Methodik in demselben Untersuchungsmaterial
dieselben Ergebnisse liefern.
•
Sensitivität und Spezifität. Der Biomarker sollte sensitiv und spezifisch sein,
d. h., die Zahl der falsch positiven und falsch negativen Ergebnisse sollte gering
sein.
122
Abbildung 4.1:
Übersicht über verschiedene Typen von Biomarkern, die für die
Messung von Effekten von Functional Food eingesetzt werden
können
Quelle: Diplock et al. 1999
4.4.2
Anforderungen an den wissenschaftlichen Nachweis der Wirksamkeit von Functional Food
Im Rahmen der konzertierten EU-Aktion Functional Food Science in Europe
(FUFOSE) wurden Anforderungen formuliert, die aus wissenschaftlicher Sicht erfüllt sein müssen, um die Wirksamkeit eines bestimmten Lebensmittelinhaltsstoffs
als eindeutig belegt anzusehen (Diplock et al. 1998, Hornstra et al. 1998). Zu den
generellen Anforderungen gehört, dass der wissenschaftliche Nachweis für die
Wirksamkeit
•
in sich konsistent ist,
•
allgemein akzeptierten Anforderungen der Wissenschaft an die statistische Absicherung und die biologische Signifikanz genügt,
•
dass ein plausibler Zusammenhang zwischen Intervention und Ergebnis besteht,
•
die relevanten wissenschaftlichen Erkenntnisse auf verschiedenen Untersuchungen fußen (z. B. wissenschaftliche Literatur, in vitro-Studien, Untersuchungen an
Tiermodellen, klinische Studien und epidemiologische Studien), also auch Untersuchungen am Menschen einschließen.
Diesen generellen Forderungen hat sich auch der Europäische Dachverband der
Lebensmittel- und Getränkeindustrie (CIAA) in einem Entwurf für einen Code of
Practice für die Werbung mit gesundheitlichen Anpreisungen angeschlossen (CIAA
1999). Diese allgemeinen Anforderungen wurden durch folgenden Kriterienkatalog
konkretisiert (Diplock et al. 1998, Hornstra et al. 1998):
(1)
Es muss wissenschaftlich plausibel und belastbar belegt sein, dass die in epidemiologischen Studien identifizierten Risikofaktoren bzw. -indikatoren we-
123
sentlich zur Beeinträchtigung des Wohlbefindens und der Gesundheit und zur
Entstehung der betreffenden Krankheit beitragen. Bestandteile der Nahrung
müssen auf biologische Funktionen und biochemische Prozesse bei der
Krankheitsentstehung präventiv bzw. risikomindernd einwirken. Entsprechende Erkenntnisse sollten aus in vitro-Untersuchungen, aus Untersuchungen von Zellkulturen, aus in vitro/ex vivo-Modellen und aus Untersuchungen
an Tiermodellen stammen. Dies bedeutet beispielsweise für Antioxidantien
als Bestandteile von Functional Food, dass freie Radikale nachweislich an der
Beeinträchtigung des Wohlbefindens und der Gesundheit und an der Entstehung der betreffenden Krankheit beteiligt sein müssen, und dass belegt sein
muss, dass Antioxidantien aus der Nahrung in vitro sowie in Tiermodellen die
schädigende Wirkung freier Radikale verringern (vgl. Tab. 4.17).
(2)
Es muss retrospektive epidemiologische Daten geben, die statistisch belastbar
belegen, dass der Verzehr (oder besser noch die Serumkonzentration) einzelner, bestimmter Lebensmittelkomponenten umgekehrt mit dem Auftreten von
Risikofaktoren bzw. -indikatoren, der Sterblichkeit bzw. dem Erkrankungsrisiko für eine bestimmte Krankheit korreliert ist.
(3)
Es muss prospektive, statistisch abgesicherte epidemiologische Daten geben,
die belegen, dass der Verzehr (oder besser noch die Serumkonzentration) einzelner, bestimmter Lebensmittelkomponenten umgekehrt mit dem Auftreten
von Risikofaktoren bzw. -indikatoren, der Sterblichkeit bzw. dem Erkrankungsrisiko für eine bestimmte Krankheit korreliert ist. Dabei können sowohl
intermediäre Endpunkte, sofern für sie klar gezeigt wurde, dass sie die spätere
Krankheit sicher vorhersagen, als auch endgültige Endpunkte verwendet werden.
(4)
Es muss statistisch abgesicherte Daten an großen Kollektiven aus Interventionsstudien am Menschen geben, die
− belegen, dass ein erhöhter Verzehr der betreffenden Lebensmittelkomponente mit einer Verbesserung des Wohlbefindens oder der Gesundheit oder
einem verringerten Erkrankungsrisiko korreliert ist,
− anhand von Kenngrößen der gemessenen Biomarker Rückschlüsse auf die
optimale Zufuhrmenge der betreffenden Lebensmittelkomponente zulassen.
(5)
Es muss eindeutig belegt sein, dass die Intervention mit der betreffenden Lebensmittelkomponente sicher ist. Dafür müssen auch Daten erhoben werden,
die diese Aussage für alle Gruppen der Bevölkerung zulassen, einschließlich
derer, die ein Verhalten aufweisen, das das Risiko für die betreffende Krankheit erhöht.
124
4.4.3
Bewertung des derzeitigen Wissensstands zur Wirksamkeit
von Functional Food
Im Rahmen des FUFOSE-Projekts wurde der derzeitige Stand des Wissens zu
Functional Food bzw. relevanten Bestandteilen anhand der in Kapitel 4.4.2 aufgeführten Kriterien bewertet. Die sehr differenzierten Einzelergebnisse dieser Bewertung sind Bellisle et al. (1998b) zu entnehmen. Verallgemeinernd lässt sich folgendes festhalten:
Idealerweise stammen Erkenntnisse über die Wirksamkeit relevanter Inhaltsstoffe
von Functional Food sowohl aus epidemiologischen Studien, aus in vitroUntersuchungen und Untersuchungen an Tiermodellen, sowie aus Interventionsstudien am Menschen. Dies ist aber für die einzelnen Gruppen von relevanten Inhaltsstoffen von Functional Food in unterschiedlichem Maße gegeben: so ist die Wirksamkeit bestimmter Antioxidantien, das Risiko bestimmter Krebsarten zu verringern, durch biologische Daten auf der molekularen, subzellulären und zellulären
Ebene sehr gut abgesichert und weniger gut durch epidemiologische Untersuchungen auf der Ebene von Populationen, wohingegen der Nachweis in klinischen Interventionsstudien bisher nicht gelang. Umgekehrt sind Wirkungen von Nahrungsfasern in epidemiologischen und Interventionsstudien besser belegt als auf der biologischen Ebene (Diplock et al. 1999). Auch für Probiotika fehlen noch belastbare
biologische Daten über den Wirkungsmechanismus.
Bisher sind nur wenige Komponenten von Functional Food eingehend untersucht
worden – beispielsweise bei den Antioxidantien sind dies Vitamin E, Vitamin C
und Beta-Carotin, während eher punktuelle Informationen über andere Antioxidantien, beispielsweise einzelne Flavonoide oder andere Carotinoide als Beta-Carotin,
vorliegen, obwohl diese Substanzen möglicherweise eine größere biologische Wirksamkeit aufweisen als die bisher eingehend charakterisierten Antioxidantien.
Insbesondere epidemiologische Untersuchungen und Interventionsstudien ergeben
ein verwirrendes Bild und widersprüchliche Ergebnisse, die schwierig zu vergle ichen und zu bewerten sind. Hierzu tragen folgende Faktoren bei:
•
Teilweise wird von Ergebnissen in bestimmten Populationen oder Risikogruppen
auf andere Populationen oder die allgemeine Bevölkerung geschlossen, wobei
diese Übertragbarkeit aber nicht gegeben oder zumindest fraglich ist.
•
In einigen Interventionsstudien wird aus Kostengründen ein Gemisch von Substanzen verabreicht, was die Interpretation der Ergebnisse, d. h. die Zuordnung
bestimmter Effekte zu bestimmten Substanzen, erschwert.
•
Die Aussagekraft vieler bisheriger epidemiologischer Beobachtungsstudien ist
dadurch eingeschränkt, dass lediglich der Verzehr eines Lebensmittelbestandteils
(z. B. durch Verzehrsprotokolle oder Fragebögen) erhoben und mit einem – teilweise schlecht definierten – Endpunkt (z. B. verbesserter Gesundheitszustand)
125
korreliert wurde. Die dabei zugrunde liegenden Stoffwechselvorgänge und Wirkungsmechanismen wurden dabei kaum anhand entsprechender Biomarker ve rfolgt (Abb. 4.1). Hier zeichnet sich nunmehr ein Paradigmenwechsel in der Ernährungsforschung ab, bei dem die frühere, eher deskriptive Vorgehensweise
zunehmend durch eine mechanistische, nach den Ursachen und Wirkungen der
beobachteten Phänomene fragende Wissenschaft ergänzt bzw. ersetzt wird.
•
Die Aussagekraft vieler bisheriger Studien ist dadurch eingeschränkt, dass keine,
nicht validierte oder der eigentlichen Fragestellung nicht angemessene Biomarker verwendet wurden.
•
Die Aussagekraft vieler bisheriger Studien ist dadurch eingeschränkt, dass unterschiedliche Messmethoden und Biomarker verwendet wurden, was die Vergleichbarkeit erschwert, zumal deren Reproduzierbarkeit oft nicht in wünschenswertem Maße gegeben ist: so werden innerhalb desselben Probenmaterials
mit verschiedenen Messmethoden unterschiedliche Ergebnisse erzielt, oder andere Arbeitsgruppen können bei Verwendung derselben Methoden und desselben
Probenmaterials die Ergebnisse nicht reproduzieren.
4.4.4
Bedeutung des Wirksamkeitsnachweises für die unternehmerische Praxis
In Kapitel 4.4.2 wurden Anforderungen an den wissenschaftlichen Nachweis der
Wirksamkeit von Functional Food dargestellt, wie sie von der Wissenschaft formuliert worden sind (Bellisle et al. 1998b). Für Unternehmen, die Functional Food
entwickeln und vermarkten wollen, ist vor allem von Interesse, welche Anforderungen an den wissenschaftlichen Nachweis der Wirksamkeit ihres Produktes gestellt
werden, um die besonderen gesundheitsfördernden Eigenschaften des Lebensmittels
auch werblich herausstellen zu dürfen (claims). Inwieweit dabei der in Kapitel 4.4.2
skizzierte Kriterienkatalog zur Anwendung kommen sollte bzw. müsste, ist derzeit
noch eine offene Frage. Die rechtlichen Aspekte der Anforderungen an und die Zuverlässigkeit von Health Claims werden in Kapitel 7 diskutiert.
4.5
Sicherheitsaspekte
Functional Food müssen wie alle anderen Lebensmittel auch sicher und unbedenklich sein. Damit stellen sich für die Produktionsüberwachung und Qualitätskontrolle
ähnliche Herausforderungen wie für konventionelle Lebensmittel, um die Abwesenheit toxischer Substanzen und die hygienische Unbedenklichkeit sicherzustellen.
Allerdings gibt es auch einige Sicherheitsaspekte, die bei bestimmten Functional
Food stärker zum Tragen kommen können als bei konventionellen Lebensmitteln.
Im Folgenden wird ein Überblick über sicherheitsrelevante Aspekte von Functional
126
Food gegeben und anhand von Beispielen erläutert. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass Functional Food eine sehr heterogene Produktgruppe darstellen, wobei einzelne sicherheitsrelevante Aspekte nur auf aufgewählte Produkte bzw. Inhaltsstoffe, auf andere jedoch nicht zutreffen. Eine Wichtung der Relevanz der einzelnen Aspekte war im Rahmen dieser TA-Studie nicht möglich.
Nebenwirkungen von relevanten Inhaltsstoffen von Functional Food
Einige Substanzen, die als Bestandteile von Functional Food von Interesse sind,
können unter bestimmten Umständen der Gesundheit abträgliche Wirkungen entfalten. So ist beispielsweise von Prebiotika bekannt, dass sie in hoher Dosierung
abführend wirken und Verdauungsbeschwerden hervorrufen können. Für den Fettaustauschstoff Olestra ist bekannt, dass er die Aufnahme von fettlöslichen Vitaminen und Carotinoiden aus der Nahrung beeinträchtigt.
Der Gesundheit abträgliche Wirkungen könnten beispielsweise auch bei Flavono iden und anderen sekundären Pflanzeninhaltsstoffen (Diplock et al. 1998), bei Phytinsäure und Phytoöstrogenen (Kardinaal et al. 1997, Kurzer und Xu 1997) gegeben
sein. Für einige Flavonoide sind beispielsweise in vitro cytotoxische, mutationsauslösende oder krebserregende Eigenschaften beobachtet worden. Bei der Supplementierung von Beta-Carotin mit hoher Dosierung wurde in Interventionsstudien –
unerwarteterweise – ein erhöhtes Lungenkrebsrisiko in Hochrisikogruppen beobachtet (ATBC Cancer Prevention Study Group 1994, Omenn 1998), was Anlass zu
der Befürchtung gibt, dass andere Carotinoide als Beta-Carotin eventuell auch unter
bestimmten Umständen ähnliche unerwünschte Effekte haben. Inwieweit in vitro
beobachtete Effekte auch in vivo relevant sind, ggf. nur in bestimmten Geweben,
bei bestimmten Konzentrationen oder in bestimmten Risikogruppen kann beim derzeitigen Wissensstand noch nicht abschließend entschieden werden.
Pathogenität
Probiotika bestehen aus lebenden Mikroorganismenkulturen. Dabei stellt sich
grundsätzlich die Frage, ob die so verabreichten Mikroorganismen für den Menschen pathogen sein können. Viele Probiotika bestehen aus Milchsäurebakterien,
die seit langem in der Herstellung fermentierter Lebensmittel eingesetzt werden und
als sicher gelten (sog. GRAS-Status). Zwar gibt es vereinzelte Berichte über gesundheitliche Schädigungen, die bestimmte Lactobacillen verursacht haben (Aquirre und Collins 1993), doch sind diese Ereignisse selten und scheinen auf besondere
Risikogruppen beschränkt zu sein. Inwieweit die Sicherheit für andere Organismengruppen wie Bifidobakterien, Enterokokken, Propionibakterien und Hefen, die
ebenfalls in einigen Probiotikaprodukten enthalten sind, uneingeschränkt gegeben
ist, bedarf aber noch der Überprüfung (Lee und Salminen 1995). Zwar gibt es keine
127
verbindlichen Richtlinien für derartige Sicherheitsuntersuchungen, doch sind Prüfkriterien vorgeschlagen worden (Lee und Salminen 1995, Salminen et al. 1996).
Schonende Lebensmittelverarbeitung
Aufgrund von Konsumentenwünschen nach möglichst "natürlichen", wenig verarbeiteten, aber dennoch haltbaren und leicht zuzubereitenden Lebensmitteln gibt es
in der Lebensmittelherstellung einen Trend zu besonders schonenden Verarbeitungsverfahren (minimal processing, invisible processing), bei denen verschiedene
Konservierungs- und Verarbeitungstechniken zum Einsatz kommen, die für sich
alleine meist nicht zur Haltbarmachung der Lebensmittel ausreichend wären. Dieser
Effekt wird erst durch eine geeignete Kombination verschiedener Verfahren erzielt.
Für viele Functional Food werden schonende, ggf. auch neuartige Verarbeitungsund Konservierungsverfahren von großer Bedeutung sein, um die relevanten Inhaltsstoffe (z. B. Antioxidantien, Probiotika) in ihrer bioaktiven Form zu erhalten
(Knorr 1998). Daraus ergibt sich die Notwendigkeit zu überprüfen, ob die hygienische Unbedenklichkeit der Produkte gewährleistet ist, und ob durch das Herstellungsverfahren möglicherweise Substanzen entstehen oder nicht abgetrennt werden,
die der Gesundheit abträglich sind.
Allergenität
Es besteht die Möglichkeit, dass relevante Inhaltsstoffe von Functional Food als
Allergene wirken und bei bestimmten Konsumenten Lebensmittelallergien auslösen.
Veränderung der Bioaktivität
Es ist möglich, dass sich die Bioaktivität der relevanten Inhaltsstoffe verändert und
die Wirksamkeit dadurch erhöht bzw. erniedrigt wird. Hierfür kommen zahlreiche
Ursachen in Frage, wie z. B. die Wechselwirkung mit anderen Lebensmittelkomponenten oder Bestandteilen der Nahrung, externe Einflüsse während Verarbeitung
und Lagerung und die Art der Herstellungsweise. So kann beispielsweise aufgrund
unterschiedlicher Verarbeitung oder Glykosilierung die Wirksamkeit bioaktiver
Proteine unterschiedlich sein, je nachdem, ob sie aus Proteinquellen isoliert oder in
gentechnisch veränderten Bakterien, Säugerzellen oder Nutztieren hergestellt werden.
Wechselwirkungen mit anderen Lebensmittelkomponenten
Durch Wechselwirkungen mit anderen Lebensmittelkomponenten oder anderen
Bestandteilen der Nahrung kann die Bioverfügbarkeit der relevanten Inhaltsstoffe
von Functional Food, ihre Wirksamkeit sowie ihre biologische Wirkung beeinflusst
128
werden. In diesem Zusammenhang ist auch die Auswahl geeigneter Lebensmittel
als Träger für funktionelle Inhaltsstoffe von Bedeutung. In den Experten-Interviews
wurde von einigen Wissenschaftlern betont, dass es aufgrund dieser Wechselwirkungen zwischen Inhaltsstoff und Lebensmittelmatrix nicht zulässig sei, von Experimenten mit einem bestimmten Lebensmittel auf das Verhalten (Wirksamkeit, Sicherheit) desselben Inhaltsstoffs in einem anderen Lebensmittel zu schließen, sondern dass dieser Nachweis für jedes Lebensmittel einzeln zu führen sei. Dies wird
beispielsweise auch in den Niederlanden im Rahmen der dort implementierten
Selbstverpflichtungen (s. Kap. 7.5.2) gefordert (Voedingscentrum 1998).
Langzeiteffekte
Aus Praktikabilitäts- und Kostengründen sollen Aufschlüsse über Wirksamkeit und
Sicherheit von Inhaltsstoffen von Functional Food anhand von Biomarkern und
intermediären Endpunkten innerhalb eines überschaubaren Zeitraums gewonnen
werden. Dieser Zeitraum ist möglicherweise zu kurz, um Langzeiteffekte einschließlich synergistischer Effekte mit anderen Nahrungsbestandteilen der Functional Food zu erfassen, über die bisher kaum etwas bekannt ist. Dies macht möglicherweise ein Post-Marketing-Monitoring erforderlich.
Effekte in bestimmten Bevölkerungsgruppen
Es ist möglich, dass bestimmte Inhaltsstoffe von Functional Food in bestimmten
Bevölkerungsgruppen positive gesundheitliche Wirkungen entfalten, in anderen
Gruppen hingegen wirkungslos sind oder sogar negative gesundheitliche Wirkungen haben, wie dies beispielsweise für die Beeinflussung der Lungenkrebshäufigkeit durch Beta-Carotin gezeigt wurde. Während es für einige Lebensmittelbestandteile bzw. biologische Wirkungen bereits Hinweise gibt, dass bestimmte Bevölkerungsgruppen möglicherweise negativ beeinflusst werden könnten und dies
vor der Vermarktung des entsprechenden Functional Food abzuprüfen wäre, kann
für andere Bestandteile ein Post-Marketing-Monitoring erforderlich sein, um entsprechende Hinweise zu erhalten.
Unerwünschte indirekte Effekte
Wenn bestimmte Inhaltsstoffe von Functional Food selbst zwar toxikologisch unbedenklich sind, so ist es doch möglich, dass sie unerwünschte indirekte Effekte haben. Sie könnten beispielsweise die Bioverfügbarkeit anderer Nahrungsbestandteile,
wie z. B. Vitamine oder Mineralstoffe, beeinflussen, so dass es zu Unter- oder
Überversorgungen mit den entsprechenden Substanzen kommen kann. So ist beispielsweise für den Fettersatzstoff Olestra bekannt, dass er die Aufnahme von fettlöslichen Vitaminen und Carotinoiden aus der Nahrung beeinträchtigt und zu Verdauungsbeschwerden mit starkem Stuhldrang führen kann (Kelly et al. 1998).
129
Auswirkungen auf das Ernährungsverhalten
In Abhängigkeit von der Produktkonzeption und den individuellen Verhaltensweisen können möglicherweise gegenteilige Effekte als die eigentlich beabsichtigten
auftreten: Aus Interventionsstudien mit light-Produkten liegen widersprüchliche
Ergebnisse vor, doch ist nicht auszuschließen, dass von den brennwertreduzierten
Produkten mehr verzehrt wird, so dass letztlich die Energieaufnahme nicht, wie
eigentlich beabsichtigt, verringert wird (Lawton 1998). Des öfteren ist auch die Befürchtung geäußert worden, dass Functional Food letztlich nicht zu einer gesünderen Ernährung beitragen und im Rahmen einer ausgewogenen Ernährung kons umiert werden, sondern von den Konsumenten zur Kompensation von gesundheitsschädlichen Verhaltens- und Ernährungsweisen verwendet würden und das Wissen
über eine gesunde Ernährungsweise dadurch verloren ginge. Befürchtet wird auch,
dass es bei einzelnen Konsumentengruppen zu Unausgewogenheiten in der Nahrung käme, wenn viele Functional Food-Produkte mit unterschiedlichen Eigenschaften unkoordiniert verzehrt würden, wirksame Substanzen durch einen hohen
Verzehr einzelner Produkte in zu hohen Mengen aufgenommen würden oder wenn
häufig verzehrte Produkte mit Inhaltsstoffen angereichert würden, die deren "klassische", allgemein bekannte Nährstoffzusammensetzung deutlich verändern – so
könnte beispielsweise die Anreicherung von – bisher fettarmen – Brot mit speziellen Fettsäuren und Lipiden den Gesamtfettverzehr möglicherweise in nicht wünschenswertem Maße steigern.
Weil es für die allermeisten Lebensmittel eine langjährige Erfahrung über den sicheren Umgang mit ihnen gibt, unterliegen Lebensmittel nach der schweizerischen
Gesetzgebung keiner systematischen Sicherheitsüberprüfung, ehe sie auf den Markt
gebracht werden (keine Vormarktkontrolle (vgl. Kap. 7)). Dagegen ist die
Nachmarktkontrolle weiter entwickelt als bei Heilmitteln. Eine Einzelbewilligung
ist dagegen für neuartige Lebensmittel erforderlich.
Je nach der Einordnung von Functional Food als neuartige oder nicht neuartige Lebensmittel sind somit vor oder nach der Marktzulassung Sicherheits- und Qualitätsüberprüfungen erforderlich. In diesem Zusammenhang besteht grundsätzlich
Bedarf, das methodische Instrumentarium zur Sicherheitsbewertung von Lebensmitteln und Lebensmittelinhaltsstoffen weiterzuentwickeln. Dies gilt in verstärktem
Maße, wenn Functional Food nach dem Heilmittelgesetz zugelassen werden müssen. So sind beispielsweise toxikologische Prüfungen, wie sie für Lebensmittelzusatzstoffe und Pharmaka üblich sind, auf Lebensmittel nicht ohne weiteres anwendbar. Darüber hinaus erschwert es die komplexe Zusammensetzung von Lebensmitteln, Test- und Kontrolldiäten so zusammenzustellen, dass die beobachteten Effekte
eindeutig den zu testenden Substanzen zuzuweisen sind (Jonas 1996). Auch sind
Protokolle für klinische Prüfungen aus dem Pharmabereich nicht unmittelbar auf die
Untersuchung von Functional Food anwendbar, sondern bedürfen einer entsprechenden Modifizierung und Anpassung (Diplock et al. 1999).
130
4.6
Zusammenfassung
Dem Konzept von Functional Food liegt zugrunde, dass diese Produkte Inhaltsstoffe enthalten, die auf Körperfunktionen wirken und dadurch zum Erhalt der Gesundheit, zur Prävention von Krankheiten und zur Steigerung des Wohlbefindens beitragen. Die Zielfunktionen von Functional Food betreffen dabei die Physiologie des
Magen-Darm-Trakts, die Abwehr reaktiver Oxidantien, die Erhaltung der Knochengesundheit/Prävention von Osteoporose, das Herz-Kreislauf-System, den Stoffwechsel von Makronährstoffen, Vorgänge bei Wachstum, Entwicklung und Differenzierung sowie den Bereich des Verhaltens, der Stimmung und der geistigen und
körperlichen Leistungsfähigkeit.
Als funktionelle Inhaltsstoffe zur Beeinflussung dieser Zielfunktionen sind insbesondere Pro-, Pre- und Synbiotika, Antioxidantien, sekundäre Pflanzeninhaltsstoffe,
strukturierte Lipide, mehrfach ungesättigte Fettsäuren, Fettersatz- und -austauschstoffe, bioaktive Peptide sowie Mineralstoffe (Mengen- und Spurenelemente) von
Interesse. Einzelne Inhaltsstoffe können durchaus auf verschiedene Zielfunktionen
wirken, und meist haben mehrere verschiedene Inhaltsstoffe Wirkungen auf eine
bestimmte Zielfunktion.
Pro- und Prebiotika wirken überwiegend durch Beeinflussung der endogenen Mikroflora des Magen-Darm-Trakts. Während in Probiotika lebende Bakterienkulturen
(v. a. Lactobacillen, Bifidobakterien) verwendet werden, handelt es sich bei Prebiotika um nichtverdauliche Oligo- oder Polysaccharide, die das Wachstum von Lactobacillen oder Bifidobakterien im Dickdarm selektiv fördern. Synbiotika stellen
eine Kombination aus Pro- und Prebiotika dar. Für Pro- und Prebiotika werden eine
Vielzahl von gesundheitlichen Wirkungen diskutiert, die jedoch vielfach noch nicht
in mehreren unabhängigen Studien beim Menschen nachgewiesen wurden. Als gesicherte Effekte von Probiotika gelten die Linderung von Symptomen der Lactoseintoleranz, die Steigerung der Aktivität von Immunreaktionen, die Verkürzung
der Dauer von Rotavirus-Durchfallerkrankungen, die Verringerung bakterieller Enzymaktivitäten und der Mutagenität in Faeces, wie auch die Prävention des Wiederauftretens von oberflächlichem Blasenkrebs. Bei Prebiotika ist die selektive Förderung bestimmter Bakterienstämme zweifelsfrei nachgewiesen.
Bei Antioxidantien handelt es sich um Substanzen, die die Oxidation von biologisch
wichtigen Makromolekülen durch reaktive Sauerstoff- oder Stickstoffspezies verzögern oder verhindern. Diese Oxidationsprozesse können zu kardiovaskulären Erkrankungen, Krebs oder verschiedenen degenerativen Erkrankungen führen. Zu den
mit der Nahrung aufgenommenen Antioxidantien gehören Carotinoide, die Vitamine C und E sowie Flavonoide und andere phenolische Substanzen. Unter den Antioxidantien sind bislang nur die Vitamine C und E sowie Beta-Carotin eingehend
untersucht worden. Als gesichert und in Interventionsstudien belegt, gilt der
Schutzeffekt von Vitamin E bei kardiovaskulären Erkrankungen. Synergieeffekte
131
scheint es bei gemeinsamer Supplementierung von Vitamin C und E zu geben. Die
Schutzeffekte von Gemüse und Obst bei Krebs sind in vielen epidemiologischen
Untersuchungen belegt, jedoch gibt es bislang nur Hinweise auf die Wirksamkeit
von Beta-Carotin, Vitamin C und E in der Krebsprävention. In zwei Interventionsstudien zu Beta-Carotin mit Teilnehmern aus Hochrisikogruppen (Raucher, Asbestarbeiter) war dagegen sogar ein Anstieg der Krebssterblichkeit zu verzeichnen.
Unter den ca. 30.000 bekannten sekundären Pflanzeninhaltsstoffen sind folgende
Gruppen im Hinblick auf positive gesundheitliche Effekte und den Einsatz in Functional Food interessant: Carotinoide, Phytosterine, Saponine, Glucosinolate, Polyphenole, Protease-Inhibitoren, Terpene, Phytoöstrogene, Sulfide und Phytinsäure.
Das Wirkungsspektrum der sekundären Pflanzeninhaltsstoffe ist breit und umfasst
neben antikanzerogenen, antimikrobiellen, antioxidativen, antithrombotischen und
entzündungshemmenden Wirkungen auch regulierende Effekte auf Blutdruck und
Blutzuckerspiegel sowie cholesterinsenkende Effekte. Intensiver untersucht sind
antioxidative und antikanzerogene Eigenschaften von Carotinoiden und Phytoöstrogenen. Auch zu antimikrobiellen Eigenschaften von Sulfiden, antioxidativen Wirkungen von Flavonoiden und cholesterinsenkenden Effekten von Phytosterinen liegen Studien beim Menschen vor. Die beobachteten Effekte sekundärer Pflanzeninhaltsstoffe sind erste Hinweise für ihr Potential zur Förderung der menschlichen
Gesundheit. Gesicherte Nachweise in Form von epidemiologischen und Intervent ionsstudien stehen jedoch noch aus.
Fettersatz- und Fettaustauschstoffe dienen dazu den Anteil von Fett an der Gesamtenergiezufuhr zu senken. Dabei sind Fettersatzstoffe Produkte, die aus Fettsäuren
hergestellt werden, jedoch einen geringeren Energiegehalt aufweisen, während Fettaustauschstoffe Produkte auf Protein- oder Kohlenhydratbasis sind, die eine fettähnliche Konsistenz aufweisen. Ein weiterer Ansatz ist die Erhöhung wünschenswerter Fettsäuren in der Nahrung, wie z. B langkettige, mehrfach ungesättigte Fettsäuren. Bioaktive Peptide aus in der Nahrung enthaltenen Eiweißen können hormonähnliche, regulierende oder auch antimikrobielle Wirkungen entfalten. Hinweise
auf diese Wirkungen stammen jedoch überwiegend aus in vitro Experimenten. Darüber hinaus kommen auch Mineralstoffe für den Einsatz in Functional Food in Betracht. Calcium ist beispielsweise ein wichtiger Bestandteil in einer Ernährung zur
Prävention von Osteoporose.
Um strengen Anforderungen an den wissenschaftlichen Nachweis der Wirksamkeit
von Functional Food zu genügen, müssen statistisch abgesicherte Daten aus verschiedenen Modellsystemen, aus retrospektiven und prospektiven epidemiologischen Untersuchungen sowie aus Interventionsstudien am Menschen vorliegen.
Bisher sind nur wenige Bestandteile von Functional Food auf allen diesen Ebenen
untersucht worden. Ein Teil der vorliegenden Informationen ist zudem sehr schwierig zu bewerten bzw. wenig aussagekräftig, da die zugrunde liegenden Untersuchungen methodische Mängel oder Unzulänglichkeiten aufweisen.
132
Aus Defiziten beim Wirksamkeitsnachweis von Functional Food-Inhaltsstoffen
ergibt sich die Notwendigkeit in weitergehender Forschung bestehende Kenntnislücken zu den Wirkungen zu schließen. Weiterhin ist es erforderlich, zur Verme idung methodischer Mängel und Unzulänglichkeiten die den Effekten zugrunde liegenden Stoffwechselvorgänge und Wirkungsmechanismen zu untersuchen und zu
berücksichtigen. Dies erfordert die Verwendung validierter Biomarker und intermediärer, validierter Endpunkte. Die Ernährungsforschung rückt damit von der Methodik und Vorgehensweise näher an medizinische und pharmazeutische Forschungsarbeiten heran.
Neben den Anforderungen zum Nachweis der Wirksamkeit unterliegen Functional
Food wie alle Lebensmittel auch Sicherheitsanforderungen. Über die hygienische
Unbedenklichkeit und die Abwesenheit toxischer Substanzen hinaus sind die Nebenwirkungen von relevanten Functional Food-Inhaltsstoffen zu klären. Dies
schließt auch eine Prüfung der verwendeten Inhaltsstoffe auf Pathogenität, Allergenität und Veränderung der Bioverfügbarkeit durch Verarbeitungsprozesse oder andere Lebensmittelkomponenten mit ein.
Bei der Herstellung von Functional Food werden verschiedene Ansätze verfolgt.
Hierzu zählen die Entfernung eines Lebensmittelbestandteils, der unerwünschte
Effekte ausübt; die Erhöhung der Konzentration eines natürlichen Lebensmittelbestandteils auf Werte, die die erwarteten Wirkungen auslösen; der Zusatz von Stoffen, die in den meisten Lebensmitteln normalerweise nicht vorkommen; die Substitution eines Lebensmittelbestandteiles, dessen (übermäßiger) Verzehr unerwünschte Effekte hat, durch einen ernährungsphysiologisch günstiger beurteilten
Bestandteil; sowie die Verbesserung der Bioverfügbarkeit von Lebensmittelinhaltsstoffen, die günstige Wirkungen ausüben. Insgesamt kann ein breites Spektrum ve rschiedenster Lebensmitteltechnologien bei der Herstellung von Functional Food
zum Einsatz kommen, die von traditionellen und etablierten Techniken über moderne, teilweise aus dem Pharmabereich stammende bis hin zu neuartigen Technologien reichen. Technologische Herausforderungen stellen die Gewinnung neuer Functional Food-Bestandteile, die Optimierung der Menge, Zusammensetzung und
Wirksamkeit von Functional Food-Bestandteilen und die Kontrolle und Überwachung von Menge und Wirksamkeit während Herstellung, Verarbeitung und Lagerung dar.
Für Unternehmen, die Functional Food entwickeln und vermarkten wollen, ist vor
allem von Interesse, welche Anforderungen an den wissenschaftlichen Nachweis
der Wirksamkeit und Sicherheit ihres Produktes gestellt werden, um die besonderen
gesundheitsfördernden Eigenschaften des Lebensmittels auch werblich anpreisen zu
dürfen (claims). Inwieweit und in welchem Umfang dabei der oben skizzierte Kriterienkatalog zur Anwendung kommen sollte bzw. müsste und in welchem Maße Sicherheitsaspekte zu untersuchen sind, ist derzeit noch eine offene Frage. Allerdings
besteht grundlegender Forschungsbedarf, um die Methoden zur Beurteilung von
133
Lebensmitteln weiterzuentwickeln, da die bei der Bewertung von Lebensmittelzusatzstoffen und in der Prüfung von Arzneimitteln bewährten Methoden auf komplexe (funktionelle) Lebensmittel nur bedingt anwendbar sind.
135
5.
Potentiale von Functional Food zur Beeinflussung
ernährungsabhängiger Krankheiten
Die Ernährung hat einen entscheidenden Einfluss auf die menschliche Gesundheit
und das Wohlbefinden. Während Unterernährung und Mikronährstoffmangel in
westlichen Industriegesellschaften keine entscheidende Rolle mehr spielen, hat in
den letzten Jahrzehnten die Bedeutung von – meist chronischen – Krankheiten zugenommen, die durch die Ernährung beeinflusst werden. Die hierfür verwendete
Bezeichnung "ernährungsabhängige Erkrankungen" legt nahe, dass diese Krankheiten durch eine "richtige" Ernährung vermeidbar oder nach Auftreten der Erkrankungen ursächlich oder symptomatisch durch eine Umstellung der Ernährung behandelbar sind (Müller und Erbersdobler 1996). Functional Food sollen dem Auftreten bestimmter ernährungsabhängiger Erkrankungen vorbeugen, ihr Auftreten
verzögern oder ihren Verlauf günstig beeinflussen. Durch ihre (postulierte) präve ntive Wirkung können Functional Food daher nicht nur dem Einzelnen dienen, sie
werden darüber hinaus von den Befürwortern als geeignet angesehen, die Häufigkeit und Schwere ernährungsabhängiger Erkrankungen in der Gesamtbevölkerung
zu verringern und damit zur Senkung der Kosten im Gesundheitswesen beizutragen.
Im Abschnitt 5.1 wird zunächst dargestellt, wie der Ernährungszustand der Bevö lkerung in der Schweiz zu bewerten ist. Im folgenden Abschnitt wird auf die wichtigsten ernährungsabhängigen Erkrankungen und deren Kosten für das Gesundheitswesen in der Schweiz eingegangen. Anschließend werden in Abschnitt 5.3 die
Risikofaktoren für ausgewählte ernährungsabhängige Krankheiten dargestellt und
Ansatzpunkte für eine Prävention durch Functional Food aufgezeigt. Damit diese
Lebensmittel positive Public Health-Effekte entfalten können, müssen bestimmte
Voraussetzungen erfüllt sein. Inwiefern sie in der Schweiz bereits realisiert bzw. in
Zukunft realisierbar sind, wird im abschließenden Abschnitt 5.4 diskutiert.
5.1
Ernährungssituation in der Schweiz
Die Ernährungssituation der Bevölkerung in der Schweiz wird jährlich durch Nahrungsbilanzen ermittelt und die Ergebnisse in unregelmäßigen Abständen ersche inenden Ernährungsberichten des Bundesamtes für Gesundheit veröffentlicht. Zur
Charakterisierung der aktuellen Ernährungssituation der Bevölkerung in der
Schweiz werden folgende Größen verwendet (Vierter Schweizerischer Ernährungsbericht 1998):
136
•
Verbrauch an Lebensmitteln. Anhand von Nahrungsmittelbilanz32 und Milchstatistik des Schweizerischen Bauernverbands sowie der Schweizerischen Getränkestatistik werden Pro-Kopf-Verbrauchsmengen an Lebensmitteln berechnet.
•
Angenäherte Verzehrsmengen. Auf Grundlage der Verbrauchszahlen wird der
angenäherte Pro-Kopf-Verzehr geschätzt. Nicht verzehrbare Anteile, Zubereitungsverluste, technische Verarbeitungs- und Lagerungsverluste sowie nicht verzehrbare Salz-, Essig- und Ölmengen werden bei der Verzehrsschätzung berücksichtigt.
•
Verbrauch und angenäherter Verzehr an Nahrungsinhaltsstoffen. Aus dem Verbrauch bzw. dem angenäherten Verzehr von Lebensmittelmengen pro Kopf der
Bevölkerung wird die Zufuhr an Energie und Nährstoffen berechnet.
Aufgrund der Ergebnisse dieser Erhebungen lässt sich die Ernährungssituation erwachsener Frauen und Männer aller Altersgruppen in der Schweiz folgendermaßen
charakterisieren (Lüthy und Eichholzer 1998):
•
zu hoher Fettanteil (38 %) an der Gesamtenergiezufuhr,
•
zu geringer Anteil ungesättigter Fettsäuren an der Fettzufuhr,
•
zu niedrige Zufuhr an komplexen Kohlenhydraten33,
•
ausreichende Zufuhr an Proteinen,
•
unzureichende Zinkversorgung; bei Frauen zusätzlich unzureichende Calciumund Eisenversorgung,
•
marginale Defizite bei den B-Vitaminen (B1, B2, B6), und in bestimmten Bevölkerungsgruppen für die Vitamine A (inkl. Beta-Carotin) D, C und Folsäure.
Aus ernährungsphysiologischer Sicht wäre es daher wünschenswert, die mit der
Nahrung aufgenommene Energiemenge besser dem Energiebedarf anzupassen, den
Fettkonsum, insbesondere den von gesättigten Fettsäuren zu reduzieren, weniger
Salz und Alkohol zu sich zu nehmen und außerdem die Zufuhr an komplexen Kohlenhydraten zu erhöhen (Müller und Erbersdobler 1996, Walker 1997).
Außerdem gibt es signifikante individuelle, geschlechts-assoziierte, regionale und
gruppenspezifische bzw. sozioökonomische Unterschiede im Ernährungsverhalten.
Im Durchschnitt kommt die Ernährungsweise von Frauen der wünschenswerten
Ernährung näher als die von Männern. Auch Senioren und Menschen mit hohem
Bildungsniveau ernähren sich gesünder. Risikogruppen, deren Ernährungsverhalten
32 Die Nahrungsmittelbilanz wird nach folgender Formel berechnet: Produktion ± Veränderung der
Vorratsveränderungen – Export + Importe (Vierter Schweizerischer Ernährungsbericht 1998).
33 Der in den USA gebräuchliche Begriff "komplexe Kohlenhydrate" (complex carbohydrates) wird
synonym zu dem Begriff "Nahrungsfasern" verwendet. Komplexe Kohlenhydrate beinhalten neben Nicht-Stärke-Polysacchariden und Lignin auch resistente Stärke.
137
zum Teil erheblich von den Ernährungsempfehlungen abweicht, sind Jugendliche,
Personen mit niedrigem Einkommen und Bildungsniveau, Ausländer und Hochbetagte. Zusammenfassend weisen die bisher durchgeführten Untersuchungen bei verschiedenen schweizerischen Bevölkerungsgruppen auf die Existenz von Ernä hrungsunterschieden hin, die in der Prävention ernährungsabhängiger Krankheiten
von Bedeutung sind (Lüthy und Eichholzer 1998).
5.2
Übersicht über ernährungsabhängige Erkrankungen in
der Schweiz
Durch zahlreiche, weltweit durchgeführte epidemiologische Untersuchungen ist es
belegt, dass die Häufigkeit des Auftretens bestimmter – meist chronischer – Krankheiten mit der Ernährungsweise in enger Beziehung steht bzw. dass eine ausgewogene Ernährung bei der Prävention dieser Krankheiten eine wichtige Rolle spielt.
Im folgenden wird dargestellt, welche dieser Krankheiten in der Schweiz von besonderer Bedeutung sind.
Ernährungsabhängige Erkrankungen lassen sich folgendermaßen charakterisieren
(Henke et al. 1986):
•
(Mit-)Verursachen einer Erkrankung durch Ernährungsgewohnheiten, einschließlich Prävention der Erkrankung durch Vermeidung von Fehlernährung
(z. B. Übergewicht, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, bösartige Tumoren),
•
Beeinflussung des Verlaufs einer bereits bestehenden Erkrankung durch Einha ltung einer Diät (z. B. Niereninsuffizienz),
•
Behandlung einer Erkrankung durch Ernährungsmaßnahmen (z. B. Phenylketonurie),
•
Deckung des physiologischen Bedarfs durch vollwertige Ernährung, Verme idung von Mangelerkrankungen (z. B. Struma),
•
Verursachung von Erkrankungen durch Nahrungszusatzstoffe
kontaminanten (z. B. Lebensmittelinfektionen).
oder
-
138
Tabelle 5.1:
Überblick über ernährungsabhängige Erkrankungen in der Schweiz
Inzidenz
Herz-Kreislauf-Erkrankungen
Bösartige Neubildungen, gesamt
- darunter ernährungsabhängig
Diabetes mellitus
Alkoholismus
Alkoholische Leberzirrhose
Bauchspeicheldrüsenerkrankungen
31.500
1
1:
2:
3:
4:
5:
6:
7:
8:
9:
10:
Todesfälle
1995 3
26.183
15.328
9.531
1.732
267
569
83
4
132.000 5
2,0 Zähne(12 Jahre)
22,3 Zähne (35 bis
44 Jahre) 6
Karies
Lebensmittelinfektionen
Osteoporose
Struma
Übergewicht
Anämien
Alle ernährungsabhängigen Erkrankungen
Alle Todesursachen
2
Prävalenz
10.987 7
10.300 bis 12.000
8
40
9
2.125.000
140.000 10
38.405
63.387
Inzidenz: Anzahl der Neuerkrankungen pro Kalenderjahr und Bevölkerungseinheit
Prävalenz: Anzahl erkrankter Personen
Anzahl Gestorbener im Jahr 1995 (Bundesamt für Statistik 1995)
Schätzungen aufgrund der Daten aus 6 kantonalen/regionalen Krebsregistern 1987
(Stähelin 1991)
Anzahl schweizerischer Diabetiker 1989: Hochrechnung aus 680 Arztpraxen (Institut
für medizinische Information und Statistik (IMS), Bachmann, 1989)
Anzahl kariöser Zähne für die Jahre 1987 bis 1989 (Marthaler 1993)
Anzahl gemeldeter Infektionskrankheiten1989 (Schwab 1991)
Jährliche Inzidenz der proximalen Oberschenkelhalsfraktur für alle Altersklassen für
das Jahr 1995 (Berechnung nach Lüthy und Eichholzer 1998)
Schätzung für das Jahr 1995 nach Angaben der schweizerischen Gesundheitsbefragung 1992-93
Schätzung für das Jahr 1995 (nach Brubacher und Trümpi 1991)
Auf ernährungsabhängige Krankheiten sind 1995 etwa 38.400 Todesfälle zurückzuführen (Tab. 5.1). Dies entspricht mehr als 60 % aller Sterbefälle in der Schweiz.
Dieser Wert liegt damit knapp unter den Angaben aus der Bundesrepublik
Deutschland, wo etwa zwei Drittel der Sterbefälle auf ernährungsabhängige Krankheiten zurückführbar sind (Kohlmeier et al. 1993). Zu den Todesfällen bei ernä h-
139
rungsabhängigen Krankheiten tragen vor allem Herz-Kreislauf-Erkrankungen (mehr
als 26.000 Sterbefälle) und bösartige Neubildungen (Krebs) mit über
15.000 Verstorbenen bei, gefolgt von Diabetes mellitus und alkoholischer Leberzirrhose (Tab. 5.1). Neben der Sterbehäufigkeit spielt auch noch das Sterbealter eine
Rolle: Krankheiten, die bereits in frühem Alter zum Tode führen, sind anders zu
bewerten als Krankheiten, die in hohem Alter zum Tode führen. Dieser Sachverhalt
wird mit der Maßzahl der vorzeitig verlorenen Lebensjahre ausgedrückt, die die
Sterbehäufigkeit und das Sterbealter kombiniert. Ernährungsabhängige Krankheiten
haben einen Anteil von mindestens 30 % an den verlorenen Lebensjahren
(Tab. 5.2). Auch bei dieser Kennziffer entfällt ein erheblicher Anteil auf HerzKreislauf-Erkrankungen und Krebs (z. B. Brustkrebs), da diese oftmals bereits im
mittleren Alter den Tod zur Folge haben können.
Tabelle 5.2:
Krankheiten
Potentiell verlorene Lebensjahre zwischen 1. und 70. Lebensjahr
bei ernährungsabhängigen Erkrankungen (Angaben bezogen auf
das Jahr 1995)
Männer
Anteil
Anzahl
(%)
Frauen
Anteil
Anzahl
(%)
Gesamt
Anteil
Anzahl
(%)
Herz-Kreislauf29.057
16,6
9.939
11,5
38.996
14,9
Erkrankungen
Krebs
Magen
1.728
1,0
880
1,0
2.608
1,0
Dickdarm
2.160
1,2
1.453
1,7
3.613
1,4
1
Lunge
9.238
5,3
3.568
4,1
12.806
4,9
Brust
18
0,0
9.995
11,6
10.013
3,8
Prostata
1.270
0,7
0
0,0
1.270
0,5
Gebärmutter
0
0,0
1.133
1,3
1.133
0,4
Diabetes
1.495
0,9
810
0,9
2.305
0,9
Leberzirrhose
4.233
2,4
1.750
2,0
5.983
2,3
Alle Erkrankungen
49.199
28,1
29.528
34,2
78.727
30,1
ernährungsabhängig
Alle Todesursachen
175.218 100,0
86.405
100,0 261.623
100,0
1
Der dominierende Faktor für die Entstehung der Mehrheit aller Lungentumore ist das
Zigarettenrauchen. Zusammenhänge zwischen Ernährungsfaktoren und dem Lungenkrebsrisiko haben ihre Bedeutung vor allem in der Prävention (Kohlmeier et al. 1993).
Quelle: Bundesamt für Statistik-CH, Sektion Gesundheit 1999
Angaben zur Inzidenz und Prävalenz sind nur für wenige ernährungsabhängige
Krankheiten in der Schweiz verfügbar (Tab. 5.1). Insbesondere für Herz-KreislaufErkrankungen und ernährungsabhängige Krebsarten liegen kaum Zahlen zu Neuer-
140
krankungen vor. Darüber hinaus ist die Datenbasis für die Erhebung oder Berechnung dieser Maßzahlen unterschiedlich, was bei der Interpretation der Zahlen berücksichtigt werden muss. Zwar zeigt sich für das Krankheitsbild Übergewicht mit
einem Anteil von ca. 30 % Betroffener in der schweizerischen Bevölkerung ein sehr
starker Verbreitungsgrad, die direkten Folgen des Übergewichts sind jedoch meist
weniger gravierend als dies z. B. bei Osteoporose oder Diabetes der Fall ist34. Diese
Krankheiten weisen ebenfalls eine relativ starke Verbreitung auf und gehen insbesondere im hohen Alter mit einer z. T. erheblichen, dauerhaften Beeinträchtigung
der Lebensqualität einher.
Für die Schweiz liegen keine spezifischen Angaben über die Höhe der Kosten ernährungsabhängiger Krankheiten vor. In Deutschland kann nahezu ein Drittel aller
Kosten im Gesundheitswesen (30,3 %) auf ernährungsabhängige Krankheiten zurückgeführt werden. Die direkten Kosten machten dabei im Jahr 1990 mit
47,2 Mrd. DM 56,6 % der Gesamtkosten aus (Kohlmeier et al. 1993). Die direkten
Kosten des Gesundheitswesens in der Schweiz sind in Tabelle 5.3 dargestellt. Nach
Schätzungen des Bundesamtes für Statistik betragen die direkten Kosten im Jahr
1997 ca. 38 Mrd. sFr.; davon entfallen 48 % auf stationäre Versorgungs-, 34 % auf
ambulante Behandlungsleistungen und 11 % auf Arzneimittelkosten. Die Ausgaben
für staatliche Präventionsmaßnahmen und für die Verwaltung von Krankenkassen,
Unfallversicherung und öffentlichem Gesundheitswesen umfassten mit
2,6 Mrd. sFr. rund 7 % der Kosten im Gesundheitswesen. Die Kosten im Gesundheitswesen sind seit 1985 kontinuierlich angestiegen, wobei die Kostenanteile für
die einzelnen Leistungsbereiche sich nur geringfügig verändert haben.
Tabelle 5.3:
Ausgaben im Gesundheitswesen in der Schweiz in Mio. sFr.
Art der Leistung
Stationäre Behandlung
1985
8.668
1992
15.960
1993
16.504
1994
16.759
1995
16.959
1996
17.769
1997 1
18.078
Ambulante Behandlung
6.143
10.153
10.275
11.048
11.710
12.409
12.999
Arzneimittel
2.311
3.342
3.570
3.704
3.923
4.099
4.274
2
Prävention
222
635
657
590
657
672
641
Verwaltung
Gesamt
1.040
18.385
1.630
31.719
1.707
32.713
1.717
33.817
1.801
35.050
2.011
36.960
2.005
37.997
1 Provisorische Schätzungen
2 Ab 1991, incl. Ausgaben für den Schulgesundheitsdienst; ab 1994, ohne die Ausgaben
der Krankenkassen
Quelle: Bundesamt für Statistik-CH 1999a
34 Übergewicht ist jedoch als Risikofaktor mit vielen z. T. lebensbedrohlichen Krankheiten assoziiert. Nähere Angaben dazu siehe Kapitel 5.3.6.
141
Bei den Kosten ernährungsabhängiger Krankheiten, werden direkte und indirekte
Kosten unterschieden. Zu den direkten Kosten werden die Kosten für Prävention
und Behandlung von Krankheiten sowie für Rehabilitations- und Pflegemaßnahmen
gezählt. Indirekte Kosten stellen den monetär bewerteten Ressourcenverlust infolge
von Krankheit, Invalidität und/oder vorzeitigem Tod dar. Hierfür wird das Ausmaß
des Verlustes an Produktionsfaktoren durch den Verlust an menschlicher Arbeitskraft durch Morbidität oder Mortalität ermittelt. Darunter fallen sowohl die verminderte Funktionserfüllung durch Arbeitsunfähigkeit, wie auch Berufswechsel oder
verminderte Aufstiegschancen. In diesem Zusammenhang sind Kosten daher im
Sinne von Opportunitätskosten zu verstehen (Henke et al. 1986).
Im Nachbarstaat Deutschland entstehen hohe indirekte Kosten insbesondere durch
Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebserkrankungen, Alkoholismus und chronische
Lebererkrankungen (Kohlmeier et al. 1993). Ähnliches gilt auch für die Schweiz.
So konnten in einer ökonomischen Studie zu ischämischen Herzerkrankungen in der
Schweiz rund 53 % der Gesamtkosten von 2,1 Mrd. sFr. im Jahr 1993 indirekten
Kosten durch frühzeitigen Tod, Behinderung und Krankheit zugerechnet werden
(Sagmeister et al. 1997).
Für die Schweiz ist eine abnehmende Gesamtsterblichkeit in der Bevölkerung zu
verzeichnen, die alle Altersklassen und beide Geschlechter betrifft. Unter den ernährungsabhängigen Krankheiten ist seit den 60er Jahren ein deutlicher Rückgang
bei der Mortalität von Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu verzeichnen, und zwar wie
in anderen europäischen Ländern bei Frauen ausgeprägter als bei Männern. Ebenso
ist eine Abnahme der Krebssterblichkeit in den letzen Jahren zu verzeichnen, die
besonders jüngere Altersgruppen und Männer betrifft (Lüthy und Eichholzer 1998,
Levi et al. 1997).
5.3
Charakteristika ausgewählter ernährungsabhängiger Erkrankungen
Die folgenden Abschnitte enthalten eine Beschreibung ausgewählter ernährungsabhängiger Erkrankungen. Als Auswahlkriterien wurden zum einen die Höhe der
durch diese Krankheiten verursachten Kosten, zum anderen die Höhe von Inzidenz
und Mortalität bei den verschiedenen Erkrankungen herangezogen. Des weiteren
war die Rolle einer Einzelerkrankung (z. B. Übergewicht) als Risikofaktor bei der
Entstehung weiterer Erkrankungen von Bedeutung.
142
5.3.1
Herz-Kreislauf-Erkrankungen
Zu den ernährungsabhängigen Herz-Kreislauf-Erkrankungen zählen Hypertonie 35,
Herzkrankheiten sowie Erkrankungen der Hirngefäße. Im Jahr 1995 wurden über
26.000 Todesfälle in der Schweiz registriert, die auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen
zurückzuführen waren (Tab. 5.4). Obgleich die Mortalitätsraten bei diesen Krankheiten in den letzten Jahren rückläufig sind, stellen Erkrankungen des HerzKreislauf-Systems in der Schweiz mit einem Anteil von 41% an allen Todesfällen
nach wie vor die häufigste Todesursache dar und haben damit höchste gesundheitspolitische Bedeutung.
Unter den Herz-Kreislauf-Erkrankungen verursachten ischämische Herzkrankheiten
mit etwa 2,1 Mrd. sFr. im Jahr 1993 in der Schweiz die höchsten Kosten. Bluthochdruck steht in direktem Zusammenhang mit einem erhöhten Arterioskleroserisiko
und damit koronaren Herzerkrankungen. Die Prävalenz von Hypertonie ist sowohl
alters- wie auch geschlechtsabhängig: sie steigt mit zunehmendem Alter und wird in
der MONICA-Studienpopulation der Kantone Waadt und Freiburg im Jahr 1992/93
mit 16,8 % bei Männern häufiger festgestellt gegenüber 8,4 % bei Frauen. Im Vergleich zur Erhebung von 1984/85 ist damit eine signifikante Zunahme der Prävalenz
überhöhter Blutdruckwerte um 4,6 % zu verzeichnen (Lüthy und Eichholzer 1998).
Tabelle 5.4:
Mortalität bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen (Stand 1995)
Krankheiten
Herz-KreislaufErkrankungen, gesamt
Herzkrankheiten
- ischämische Herzk.
Erkrankungen der
Hirngefäße
Alle Todesursachen
1
Anzahl der
Todesfälle
Potentiell verlorene Lebensjahre
Mortalität
Frauen Männer
1
Männer
Frauen Männer
Frauen
12.056
14.127
29.057
9.939
317,6
187,1
9.066
5.924
10.007
5.284
24.225
15.720
7.247
3.018
240,0
156,6
133,4
71,3
2.078
3.130
3.195
2.000
53,6
41,0
31.621
31.766
175.218
86.405
846,6
489,9
Gestorbene pro 100.000 Einwohner: altersstandardisiert auf die "Neue Europäische
Standardbevölkerung"
Quelle: Bundesamt für Statistik-CH, Sektion Gesundheit 1999
35 Koronare Herzerkrankungen stehen in enger Beziehung zu systolischem und diastolischem Blutdruck. Der Blutdruck gilt als erhöht, wenn die Grenzen von 140 mm/Hg systolisch und
90 mm/Hg diastolisch überschritten werden, bei Werten über 160/95 mm/Hg spricht man von
Hypertonie (Roche Lexikon Medizin 1998).
143
Die Ursachen von Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind multifaktoriell, wobei viele
der Risikofaktoren durch diätetische Maßnahmen beeinflusst werden können. Ein
wichtiger Indikator für das Risiko einer koronaren Herzkrankheit ist das Verhältnis
von LDL zu HDL-Cholesterin36 im Blut (Hoffmeister et al. 1992). Epidemiologische Untersuchungen konnten eine Risikoerhöhung für Herz-KreislaufErkrankungen bei folgenden ernährungsbeeinflussten Faktoren nachweisen: Übergewicht, ein erhöhter Konsum gesättigter Fettsäuren, ein hoher Natriumkonsum
(Hypertonie), sowie ein hoher Cholesterin bzw. LDL-Cholesterinspiegel. Jedoch
kann insgesamt nur das Auftreten von ca. 50 % der Herz-Kreislauf-Erkrankungen
durch diese Risikofaktoren erklärt werden (Hornstra et al. 1998).
Demgegenüber wirken ein Reihe von Ernährungsfaktoren risikosenkend auf HerzKreislauf-Erkrankungen: ein hoher Konsum an n-6 und n-3 mehrfach ungesättigten
Fettsäuren sowie an einfach ungesättigten Fettsäuren senkt im Vergleich zu gesättigten Fettsäuren den Serumcholesterinwert37. Eine Schutzfunktion gegen koronare
Herzerkrankungen konnte bei hohen Konzentrationen an HDL-Cholesterin bzw.
einem niedrigen LDL-/HDL-Cholesterin Verhältnis festgestellt werden (Hornstra
et al. 1998). In einer britischen Studie wird davon ausgegangen, dass eine Senkung
des Cholesterinspiegels um 10 % durch diätetische Maßnahmen zu einer Vermind erung der Sterbefälle bei koronaren Herzerkrankungen um 10 % bis 25 % führen
kann (Law et al. 1994).
Antioxidantien wie α-Tocopherol (Vitamin E) oder Ascorbinsäure (Vitamin C)
könnten durch die Verhinderung der Oxidation von LDL eine kritische Rolle in der
Prävention spielen (vgl. Kapitel 4.2.3). In verschiedenen epidemiologischen Studien
konnte eine signifikante Verringerung der koronaren Herzerkrankungen durch Supplementierung mit Vitamin E festgestellt werden (Diplock et al. 1998). Auch zeigte
sich ein synergistischer Effekt bei gemeinsamer Supplementierung von Vitamin C
und E. Die Schutzwirkung war hier signifikant höher als nur bei Gabe von Vitamin E oder keiner Supplementierung (Losonczy et al. 1996).
Die Ursachen primärer Hypertonie, die etwa 90 % aller Hochdruckerkrankungen
ausmacht, sind vielfältig und haben eine starke genetische Komponente. Unter den
Risikofaktoren stehen folgende mit der Ernährung im Zusammenhang: Übergewicht, hoher Natriumkonsum, hoher Alkoholkonsum, geringer Kalium- und Calciumgehalt der Nahrung, hoher Konsum tierischer Produkte (Kohlmeier et al. 1993).
Die Behandlung von Hypertonie führt zu einem Rückgang an Fällen mit koronarer
Herzerkrankungen, wohingegen ein erhöhter Blutdruck das Risiko für Arteriosklerose erhöht (Hornstra et al. 1998).
36 LDL: low density lipoproteins. HDL: high density lipoproteins. Bei einem LDL/HDL-Quotient
über 5 ist von einem hohen Arterioskleroserisiko auszugehen.
37 n-6 Fettsäuren senken den Gesamt- und LDL-Cholesterinspiegel, n-3 Fettsäuren nur den Trigyceridspiegel.
144
Ernährungsempfehlungen zur Prävention von Herz-Kreislauf-Erkrankungen betreffen insbesondere bei Bestehen von Übergewicht eine Reduktion des Gesamtfettverzehrs, vor allem des Konsums gesättigter Fettsäuren, idealerweise durch Erhöhung
des Obst- und Gemüseverzehrs und des Konsums mehrfach ungesättigter Fettsäuren, wie sie beispielsweise in pflanzlichen Ölen und auch Fisch vorkommen. Bei
Bestehen von Bluthochdruck sollten salzsensitive Personen zusätzlich eine salzarme
Diät einhalten. In der Prävention sollte zudem auf eine reduzierte Energiezufuhr bei
vermehrter körperlicher Aktivität geachtet werden.
Bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen ergeben sich damit die folgenden Ansatzpunkte
für Functional Food (Tab. 5.5):
•
den Cholesterinspiegel modulierende Produkte
•
cholesterinarme Produkte,
•
Reduktion des Fettgehalts und somit der Energiedichte in Lebensmitteln,
•
Ersatz von gesättigten durch ungesättigte Fettsäuren (besonders in Fischöl vorkommende n-3 und n-6 Fettsäuren),
•
Anreicherung mit Antioxidantien.
145
Tabelle 5.5:
Kontrolle
Verringerung von Geder HoKontrolle des fäßschädigungen, Beeinmocystein- Blut-hochdrucks flussung der Blutgerin nWerte
selbildung
Regulierung der Blutfettwerte
(Lipoprotein-Homöostase)
Zielfunktion
Ansatzpunkte für Functional Food, die das Risiko von HerzKreislauf-Erkrankungen verringern können
Beispiele für Functional Food auf
dem Weltmarkt
Relevante Lebensmittelbestandteile
verringerter Gehalt an gesättigten Fettsäuren
erhöhter Gehalt an einfach und mehrfach ungesättigten Fettsäuren
verringerter Gehalt an trans-Fettsäuren
Anreicherung mit bestimmten Phytosterolen und Phytostanolen
Öle und Fette mit verändertem Fettsäuremuster;
(transgene) Ölpflanzen mit verändertem Fettsäuremuster/Monsanto
Margarine: Benecol/Raisio; Take
Control/Unilever
Anreicherung mit löslichen Nahrungs- Cerealien: AVIVA Cholesterol Control/Novartis Consumer Health;
fasern (z. B. Hafer β-Glucanen, PreJoghurt und Milchdrinks: Actimel
biotika, Gerstenahrungsfasern)
Cholesterol Control/Danone, Gaio/MD
Foods, Fysic/Mona;
Margarine: Actiline/Vandemoortele,
Meylip
Sojaproteine
Fleischersatzprodukte auf Sojabasis,
Sojamilch-Drinks, Frühstückscerealien
Fettersatzstoffe
Salatrim/Cultor
Anreicherung mit bestimmten Antioxidantien (z. B. Vitamin E, C und
sekundären Pflanzenstoffen)
Anreicherung mit n-3 mehrfach ungesättigten Fettsäuren (PUFA) (Synthese
oder Isolierung aus natürlichen Quellen/Roche Vitamins, BASF Health und
Nutrition, Martek Bio-science)
Tiefkühlgemüse Vivactiv/Iglo,
Müsliriegel Vibativ/Viva
Süßwaren, verschiedene Kaugummis
angereicherte Eier, Backwaren, Margarine
Verringerung des Gesamtenergiegehalts
Anreicherung mit n-3 mehrfach ungesättigten Fettsäuren aus Fischöl
s. o.
Kochsalzrestriktion
Anreicherung mit Folsäure, Vitamin
B6, Vitamin B12 (Herstellung von
Methyl-Tetrahydro-folat durch BASF
Health und Nutrition)
mit Folsäure angereichertes Mehl in
USA, Schweiz
Quelle: Diplock et al. 1998, eigene Recherchen
146
5.3.2
Maligne Neubildungen (Krebs)
Maligne Neubildungen stellen mit einem Anteil von 24 % an allen Todesfällen die
zweithäufigste Todesursache in der Schweiz dar. Insgesamt sterben pro Jahr knapp
16.000 Personen an Krebs, wobei für die Jahre 1990 bis 1994 absolut eine Zunahme
der Krebstodesfälle um 2,4 % zu den vorangegangenen fünf Jahren festzustellen
war. Diese Entwicklung ist jedoch auf das erhöhte Durchschnittsalter der Bevölkerung zurückführbar. Altersstandardisierte Krebsraten nahmen für Frauen und Männer demgegenüber ab.
Unter den malignen Tumoren ist Brustkrebs mit 21 % die häufigste Krebsform bei
der Frau. Allein 1995 starben in der Schweiz 1.554 Frauen an Brustkrebs. Bei Lungenkrebs variieren die Inzidenz- und Mortalitätsraten nach Geschlecht und Altersgruppe. 1995 wurden 2.549 Lungenkrebstodesfälle registriert, dies sind 16 % aller
Krebstodesfälle insgesamt. Männer erkranken mit einem Anteil von nahezu 23 %
häufiger als Frauen, und in der Altersklasse von 65 bis 84 Jahren liegt die Lunge nkrebsmortalität beim Mann nahezu viermal so hoch wie bei Frauen der entsprechenden Altersklasse. Nachdem sich die Lungenkrebsmortalität bei Männern zwischen 1951 und 1980 mehr als verdoppelt hat, ist seit Beginn der 80er Jahre ein
Rückgang der Sterblichkeit festzustellen, der auf junge und mittlere Altersgruppen
zurückgeht (Levi und La Vecchia 1993). Mit 624 bzw. 588 Todesfällen bei Männern und Frauen im Jahr 1995 und einem Anteil von knapp 8 % zählen bösartige
Neubildungen des Dickdarms ebenfalls zu den wichtigen malignen Tumoren. Die
Inzidenz- und Mortalitätsraten sind jedoch beim Darmkrebs wie auch bei anderen
Krebskrankheiten des Verdauungstrakts rückläufig. Inzidenz und Mortalität der
übrigen malignen Tumore in der Schweiz sind aus Tabelle 5.6 ersichtlich.
Für die Schweiz werden keine den Krebserkrankungen zurechenbaren Kosten in der
Gesundheitsstatistik ausgewiesen. Eine retrospektive Studie zu Hospitalisierungskosten anhand von VESKA38 Statistiken berechnete für die stationäre Behandlung
von Brustkrebs Kosten von 169 Mio. sFr. im Jahr 1992 (Lippuner et al. 1997). Ergebnisse aus der Bundesrepublik Deutschland zeigen vergleichsweise geringe Kosten für maligne Neubildungen. Direkte Kosten werden vor allem durch stationäre
Behandlungen verursacht und betragen knapp ein Zehntel der direkten Kosten von
Herz-Kreislauf-Erkrankungen (Kohlmeier et al. 1993). Wesentlich höher sind dagegen die indirekten Kosten von Krebs zu veranschlagen, die zu über 60 % durch
Mortalität verursacht werden.
Für folgende Krebsarten wurde ein Zusammenhang mit Ernährungsfaktoren festgestellt: Bauchspeicheldrüse, Brustdrüse, Darm, Gebärmutter, Kehlkopf, Leber,
38 VESKA: Vereinigung Schweizerischer Krankenhäuser
147
Lunge 39, Magen, Mundhöhle und Rachen, Prostata sowie Speiseröhre (Tab. 5.6).
Alle malignen Tumore weisen bei unterschiedlicher Ätiologie, Pathogenese und
Therapie folgende Gemeinsamkeiten auf:
1. Wachstum körpereigenen Gewebes, das den Regelmechanismen der Zellteilung
und -differenzierung des Ursprungsgewebes nicht mehr gehorcht,
2. Invasives Wachstum durch Infiltration in das benachbarte Gewebe,
3. Metastatisches Wachstum durch Absiedeln über Lymph- und Blutbahnen in
andere Gewebe und Organe.
Die Kanzerogenese läuft in drei Stufen ab. Während der ersten Stufe (Initiation)
werden irreversible Veränderungen am genetischen Material einer Zelle hervorgerufen, die in der zweiten Stufe (Promotion) reversibel und wiederholt stimuliert werden und in der dritten Stufe (Progression) zur klinischen Ausbildung des Tumors
führen.
Die Ergebnisse einer Vielzahl von Studien weisen auf einen Zusammenhang zwischen Fettverzehr und der Entstehung einiger maligner Tumore hin, insbesondere
von Brustkrebs bei Frauen nach den Wechseljahren. Für die Entstehung von Magenkrebs werden kanzerogene N-Nitrosoverbindungen u.a. verantwortlich gemacht
(National Research Council 1989). Diese können unter den Bedingungen des Magens aus Nitraten und Nitrit, die mit sekundären Aminen reagieren, gebildet werden. Beeinflusst werden diese Reaktionen durch verschiedene Faktoren wie z. B.
den pH-Wert des Magens oder auch Vitamin C oder E, die die Bildung von NNitrosoverbindungen hemmen. Begünstigend für Nitrosierungsreaktionen wirken
daneben hohe Salzkonzentrationen, indem sie die Magenschleimhaut empfindlicher
machen oder eine atropische Gastritis induzieren. Der epidemiologische Nachweis
für diese Hypothese ist jedoch noch nicht erbracht.
Ein starker Alkoholkonsum wird als kanzerogener Faktor mit vielen Krebserkrankungen in Verbindung gebracht (Tab. 5.6), allerdings fehlen bislang eindeutige
Nachweise für einen kausalen Zusammenhang. In einigen Untersuchungen konnten
stimulierende Effekte von Alkohol während der Initiationsphase nachgewiesen
werden (Grubbs et al. 1988, Singletary et al. 1990, Singletary et al. 1991).
Neben diesen Faktoren sind auch Substanzen mit antikanzerogener Wirkung gefunden worden, die die Krebsentstehung in verschiedenen Phasen günstig beeinflussen
könnten (Tab. 5.6). Die Schutzwirkungen von Carotinoiden sind in zahlreichen Studien untersucht worden. Dabei wird die tumorpräventive Wirkung von Carotinoiden
deren Fähigkeit zugeschrieben, Zellmembran- und DNS-schädigende Peroxy39 Der dominierende Faktor für die Entstehung der Mehrheit aller Lungentumore ist das Zigarettenrauchen. Zusammenhänge zwischen Ernährungsfaktoren und dem Lungenkrebsrisiko haben ihre
Bedeutung vor allem in der Prävention (Kohlmeier et al. 1993).
148
Radikale und Singlet-Sauerstoff abzufangen. In Bezug auf eine Reduktion des
Krebsrisikos bei bösartigen Neubildungen der Lunge wird die Wirkung der Carotinoide allerdings kontrovers diskutiert (vgl. Kapitel 4.2.3). Jüngste Untersuchungen
konnten eine Erhöhung der Lungenkrebsinzidenz nach hoher Beta-Carotin-Zufuhr
bei starken Rauchern feststellen (ATBC Cancer Prevention Study Group 1994,
Omenn et al. 1996).
Ebenfalls antioxidativ wirken die Vitamine C und E. So konnten signifikante
Schutzeffekte bei hohem Vitamin-C-Konsum auf der Basis einer Fall-KontrollStudie für das Speiseröhrenkarzinom festgestellt werden (Mettlin et al. 1981). Eine
suboptimale Versorgung mit Selen führt zur Abnahme des antioxidativen Potentials.
Des Weiteren sind die fettlöslichen Vitamine A und D sowie Folsäure und Vitamin B6 essentielle Mikronährstoffe für die Zelldifferenzierung, die die Zelle vor
Tumorinitiation und -promotion schützen können (Stähelin 1996).
Die Wirkung von Nahrungsfasern bei der Darmkanzerogenese wird in der Senkung
kanzerogener Verbindungen im Stuhl bei Erhöhung des Stuhlvolumens vermutet
(Kohlmeier et al. 1993). Prospektive Studien erbrachten jedoch keinen Hinweis
darauf, dass Nahrungsfasern einen wesentlichen Schutzeffekt gegenüber Darmkrebs
ausüben (Fuchs et al. 1999).
Eine gesunde Lebensweise und Ernährung kann wesentlich zur Tumorprävention
beitragen. Aus ernährungsepidemiologischer Sicht sind folgende Faktoren von Bedeutung (Kohlmeier et al. 1993, Deutsche Gesellschaft für Ernährung 1996):
•
•
•
•
•
•
Vermeiden von Übergewicht,
Senkung des Fettverzehrs auf weniger als 30 % der Gesamtenergie, Ersatz von
tierischen durch pflanzliche Fette,
Steigerung des Verzehrs von Lebensmitteln, die reich an Nahrungsfasern sind,
optimale Zufuhr von Vitaminen, Carotinoiden und Mineralstoffen (Mengen- und
Spurenelemente) durch häufigen Verzehr von z. B. frischem Obst und Gemüse,
nur mäßiger Alkoholkonsum,
Kochsalzzufuhr und Verzehr geräucherter Lebensmittel senken.
Tabelle 5.6:
Bösartige
Neubildungen
der / des
Überblick über Krebserkrankungen in der Schweiz
Inzidenz 1987
(Anzahl 31.500)
Anteil in %
Männer Frauen
Todesfälle 1995
Männer
Frauen
-
27
9
1.554
Lunge
18
4
1.949
600
Prostata
11
-
1.305
Darms
10
9
624
588
Magens
5
3
402
284
Gebärmutter
-
10
Speiseröhre
2
Bauchspeicheldrüse
Mundhöhle
Kehlkopfes
Leber
2
2
213
267
89
384
436
234
86
300
71
12
124
Risiko
mindernde Faktoren
Carotinoide
Gemüse
Obst, Gemüse
frisches Gemüse
Starker Alkoholkonsum
Starker Alkoholkonsum
Starker Alkoholkonsum
Quellen: Stähelin 1991; Kohlmeier et al. 1993; Bundesamt für Statistik-CH, Sektion Gesundheit 1999
149
Brustdrüse
Mortalität pro
100.000 Einwohner Risiko
(Stand 1995)
erhöhende Faktoren
Männer Frauen
Nahrungsfette
0,2
32,4
Alkoholkonsum
Rauchen
Nahrungsfette
53,6
13,2
Cholesterin
Übergewicht
33,6
Nahrungsfette
Tierische Fette, Fleisch
Alkoholkonsum
16,9
9,9
Cholesterin
Gesamtenergie
Gepökelte Lebensmittel (bes.
10,8
4,7
Fisch)
2,7
Übergewicht
Alkoholkonsum in Kombination mit starkem Rauchen
Tabelle 5.7:
Prävalenz und Mortalität ernährungsabhängiger Krankheiten in der Schweiz nach Geschlecht
Krankheiten
Prävalenz
Männer
39 %
Struma
Anämien
Quelle: Bundesamt für Statistik-CH, Sektion Gesundheit 1999
Männer
Risiko erhöhende
Faktoren
Frauen
677
208
418
46
1.055
59
151
37
8
32
Übergewicht
Alkohol
Alkohol
150
Diabetes mellitus
Alkoholismus
Alkoholische Leberzirrhose
Bauchspeicheldrüsenerkrankungen
Karies
Osteoporose
Lebensmittelinfektionen
Übergewicht
Frauen
Mortalität
(Anzahl Gestorbener 1995)
22 %
151
Ansatzpunkte für Functional Food bei malignen Neubildungen ergeben sich vor
allem daraus, dass bei der Krebsentstehung oxidative Schädigungen von Proteinen
und Erbsubstanz (DNA) sowie Änderungen der Genaktivität von Bedeutung sind.
Daher sind vor allem Lebensmittelbestandteile Gegenstand der Forschung, die
Schädigungen der Struktur und Funktion der Erbsubstanz verringern und körpereigene Reparatur- und Schutzmechanismen (z. B. durch das Immunsystem) fördern.
Hierzu zählen Antioxidantien (insbesondere Vitamin E, Vitamin C, Carotinoide)
sowie zahlreiche sekundäre Pflanzenstoffe (z. B. Flavonoide, Sulfide). Auch das
Potential von Pro- und Prebiotika, das Immunsystem zu stimulieren und ggf. Darmkrebs vorzubeugen, wird noch erforscht.
5.3.3
Diabetes mellitus
Der Diabetes mellitus ist die häufigste Stoffwechselerkrankung der Welt, bei der es
durch unzureichende Insulinproduktion der Bauchspeicheldrüse zu einer Erhöhung
des Blutzuckerspiegels kommt (Stryer 1991). Es werden zwei Formen von Diabetes
unterschieden: insulinabhängiger Diabetes mellitus, der durch Zerstörung der insulinproduzierenden Zellen entsteht und durch genetische und infektiöse Faktoren
bedingt ist. Daneben gibt es den nichtinsulinabhängigen Diabetes mellitus, der auch
als "Altersdiabetes" bezeichnet wird, da er sich überwiegend in der zweiten Lebenshälfte bei übergewichtigen Personen manifestiert. An dieser Form des Diabetes
leiden etwa 94 % der Diabetiker einer schweizerischen Bergbevölkerung (Teuscher
et al. 1991). Er basiert auf einem relativen Ins ulinmangel, verursacht durch periphere Insulinresistenz.
1995 starben in der Schweiz 1.732 Menschen an den Folgen des Diabetes mellitus
(Tab. 5.1). Diabetes ist damit nach Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Tumoren, Unfä llen und Erkrankungen der Atmungsorgane eine der häufigsten Todesursachen in der
Schweiz (Bundesamt für Statistik 1999). Nachdem die Diabetesmortalität 1964 mit
26/100.000 Einwohnern einen Gipfel erreichte – möglicherweise bedingt durch Einführung einer empfindlicheren Diabetes-Diagnostik und damit einhergehend einer
häufigeren Diagnosestellung – fällt die Diabetes-spezifische Mortalität seither kontinuierlich ab. 1995 betrug die altersstandardisierte Sterbeziffer 17,7 und 15,1 (pro
100.000 Personen) für Männer bzw. Frauen (Bundesamt für Statistik 1999). Es liegen relativ spärliche Daten zur Diabetesprävalenz in der Schweiz vor. Nach Erhebungen in Arztpraxen hat sich die Diabetes-Häufigkeit für insulin- und nichtinsulinbedürftige Diabetiker von 23,3 je 1.000 Einwohner im Jahr 1975 auf 19,9 je
1.000 Einwohner im Jahr 1989 nicht wesentlich verändert (Teuscher et al. 1991).
Anhand von Medikamentenverkäufen wurde für die Jahre 1985 bis 1990 eine Prävalenzrate insulinabhängiger Diabetiker zwischen 3,76 und 4,68/1.000 Einwohner
ermittelt (Jirovec et al. 1993).
152
Die Kostenwirkungen von Diabetes mellitus auf das Gesundheitswesen sind gekennzeichnet durch hohe direkte Kosten, die durch fortlaufende medikamentöse
Therapie, ambulante Kontrolluntersuchungen und stationäre Aufenthalte entstehen.
Ein Indiz dafür ist der Umstand, dass Diabetes die dritthäufigste Ursache für ambulante ärztliche Konsultationen in der Schweiz ist (Teuscher et al. 1991).
Zahlreiche Studien haben den engen Zusammenhang zwischen der Entstehung von
nichtinsulinabhängigem Diabetes mellitus ("Altersdiabetes") und steigendem Körpergewicht belegt (West 1978, Colditz et al. 1990, Cassano et al. 1992, Collins et al.
1994): Mit zunehmendem Body-Maß-Index (BMI) 40 steigt das relative Risiko, am
nichtinsulinabhängigen Diabetes mellitus zu erkranken, unabhängig von der familiären Prädisposition. Everhart et al. (1992) zeigten in ihrer Untersuchung, dass mit
zunehmender Dauer des Übergewichts die Diabetesinzidenz deutlich zunimmt.
Ebenso ist ein Mangel an körperlicher Aktivität, unabhängig vom Körpergewicht,
mit einem erhöhten Diabetesrisiko verbunden (Helmrich et al. 1991). Folgende Ernährungsfaktoren können die diabetische Stoffwechsellage beeinflussen: Nahrungsfasern durch Modifikation der glykämischen Reaktion nach der Nahrungsaufnahme,
exzessiver Alkoholkonsum durch Hervorrufen einer Insulinresistenz (Kohlmeier
et al. 1993) sowie Chrommangel durch Reduktion der Glucosetoleranz (Mertz
1993).
Die Primärprävention bei nichtinsulinabhängigem Diabetes mellitus liegt in der
Vermeidung von Übergewicht und regelmäßiger körperlicher Aktivität. Bei bereits
Erkrankten kommen neben einer Gewichtsreduktion diätetische Maßnahmen zum
Tragen. Ansatzpunkte für Functional Food bei Diabetes liegen somit in Lebensmitteln, die die Reduktion des Übergewichts unterstützen (vgl. Kap. 5.3.7), sowie in
Lebensmitteln, die aufgrund ihrer Zusammensetzung die Regulierung des Blutzukkerwertes unterstützen. Hierzu zählen Lebensmittel mit einem niedrigen glykämischen Index, wie z. Β. Lebensmittel mit einem verringertem Gehalt an gesättigten
Fettsäuren, Lebensmittel, die reich an nichtverdaulichen Kohlenhydraten sind, Lebensmittel, die Zellwandpolysaccharide enthalten, die durch "Einkapselung" der
Nahrungskohlenhydrate deren Zugänglichkeit und damit Verdaulichkeit verlangsamen, sowie Lebensmittel, die lösliche, viskose Faser- und Ballaststoffe enthalten
(Diplock et al. 1999).
5.3.4
Karies
Karies ist eine durch organische Säuren bakteriellen Ursprungs hervorgerufene lokale Demineralisierung der Zähne, die zu einer Zerstörung der Hartsubstanz der
Zähne führen kann. In der Pathogenese spielen neben individuellen Einflussfaktoren
40 BMI: Körpergewicht (kg) / Körpergröße, quadriert (m2 )
153
wie Speichelzusammensetzung oder Zahnmineralisierungsstatus, die Mikroflora
und insbesondere Ernährungseinflüsse eine entscheidende Rolle.
Die Prävalenz von Karies wird an der durchschnittlichen Zahl durch Karies geschädigter Zähne pro Gebiss gemessen. In der Schweiz betrug die Anzahl der an Karies
erkrankten Zähne in den Jahren 1987 bis 1989 bei Zwölfjährigen 2,0, bei 35- bis 44jährigen 22,3 Zähne. Seit 1963 sind die Kariesschäden bei der Jugend um 75 % zurückgegangen (Marthaler 1993). Die unter dem europäischen Durchschnitt liegende
Erkrankungsrate bei Kindern spiegelt die Effekte von Präventionsmaßnahmen (Fluoridierung von Trinkwasser und Salz, Gesundheitserziehung) in der Schweiz wider.
Der Erfolg der Präventionsmaßnahmen in der Schweiz beruht dabei weitgehend auf
der Kombination des mehrfachen Einsatzes von Fluoriden (Marthaler et al. 1996).
Bei den Ernährungsfaktoren stehen fermentierbare Kohlenhydrate und besonders
Saccharose (Haushaltszucker) an erster Stelle (National Research Council 1989).
Diese werden von Karies verursachenden Bakterien in Polysaccharide und Zahnplaque umgewandelt. Der enzymatische Abbau der Polysaccharide führt zu Säurenbildung und pH-Wert-Absenkungen und dadurch zur Herauslösung anorganischer
Salze aus dem Zahnhartgewebe. Daher ist für die Kariesentstehung nicht nur Ausmaß und Häufigkeit des Zuckerkonsums an sich, sondern auch die Zusammensetzung der Lebensmittel von Bedeutung. So werden niedrige pH-Werte in Lebensmitteln wie Erfrischungsgetränken durch die Absenkung des Speichel-pH für Kariesentstehung verantwortlich gemacht (Shaw 1987, Asher und Read 1987), während
Käse oder Erdnüsse den pH-Wert im Mund erhöhen und daher eher eine schützende
Wirkung haben (Geddes et al. 1977, Jensen und Schachtele 1983). Den gleichen
schützenden Effekt haben nahrungsfaserreiche Lebensmittel, da bei diesen durch
die erhöhte Kauarbeit der Speichelfluss angeregt wird (Krasse 1982). Auch der
Austausch von Saccharose durch Xylitol führt zu einer Verminderung von Karies
(Scheinin et al. 1975a, b). Den effektivsten Schutzfaktor vor Karies stellt Fluorid
dar. Sein Schutzmechanismus liegt in der Remineralisierung demineralisierter Zähne sowie in antimikrobiellen Effekten (Silverstone 1984, Shaw 1987).
Zur Kariesprophylaxe gibt es eine Vielzahl individueller Maßnahmen im Bereich
der Ernährung: Reduktion von Menge und Häufigkeit des Konsums zuckerhaltiger
Lebensmittel, Einsatz von Zuckeraustauschstoffen, lokale Fluorapplikation (Salz,
Trinkwasser, Zahncreme, Tabletten). Ansatzpunkte für Functional Food zur Kariesprophylaxe sind:
•
Substitution von Zucker durch Xylitol oder andere Zuckerersatzstoffe: entsprechende Lebensmittel (speziell Süßwaren und Kaugummis) befinden sich in großer Zahl auf dem Markt,
•
Fluoridierung von Kochsalz.
154
5.3.5
Osteoporose
Osteoporose ist charakterisiert durch eine Verminderung des Anteil von Knoche ngewebe im Knochen, d. h. die mineralische Knochendichte geht zurück, der Knochen wird brüchig und anfällig für Frakturen (WHO 1990). Es werden zwei Arten
von Osteoporose unterschieden: Die primäre Osteoporose (Typ I) tritt bei Frauen
nach den Wechseljahren auf, während Typ II als "senile Osteoporose" bezeichnet
wird und beide Geschlechter betreffen kann. Das Hauptaugenmerk wird bislang auf
den Verlust des Calciums aus den Knochen, die damit verbundene geringere Knochenfestigkeit und daraus entstehende Frakturen gerichtet. Der Verlust von Knochencalcium ist jedoch mit der Ablagerung des Calciums in anderen Geweben verbunden41. Osteoporose ist somit ein Marker für einen schlechten Gesundheitszustand (Kruger und Horrobin 1997).
Die Prävalenz der Osteoporose wird bisher in der Schweiz statistisch nicht erfasst
und kann nur aufgrund der Inzidenz von typischen Knochenfrakturen wie z. B. der
Oberschenkelhalsfraktur geschätzt werden. Da eine Osteoporose aber nicht
zwangsläufig zu einer Fraktur führt, wird damit die Häufigkeit der Osteoporose
unterschätzt. In der Schweiz beträgt die jährliche Inzidenz der proximalen Oberschenkelhalsfraktur für alle Altersklassen und beide Geschlechter 145 bis 170 pro
100.000 Einwohner, bei über 50-jährigen 388 und bei über 65-jährigen 825. Die
Anzahl osteoporotischer Frakturen nimmt kontinuierlich zu, insbesondere wegen
der steigenden Lebenserwartung (Lüthy und Eichholzer 1998). Nach Statistiken der
VESKA (Vereinigung der Schweizer Krankenhäuser) starben 1992 4,6 % der weiblichen und 8,5 % der männlichen Patienten an den Folgen osteoporotischer Oberschenkelhalsfraktur. Zudem bleiben 30 % der Patienten mit Obersche nkelhalsfraktur dauerhaft pflegebedürftig (Jensen und Bagger 1982).
Zu den Kosten für Osteoporose liegen retrospektive Berechnungen der Hospitalisierungskosten in der Schweiz vor. Die Anzahl der Krankenhaustage, bedingt durch
Osteoporose und dadurch verursachte Frakturen, wird für das Jahr 1992 auf
701.472 Tage geschätzt. Bei einem durchschnittlichen Kostensatz von 845 sFr. betragen die Hospitalisierungskosten somit 594 Mio. sFr. für das schweizerische Gesundheitswesen (Lippuner et al. 1997). Nach Untersuchungen in den USA umfassen
Hospitalisierungskosten rund 44 % der direkten Kosten bei Oberschenkelhalsfrakturen (Praemer et al. 1992).
41 Die Ablagerung von Calciumsalzen (als Phosphat, Carbonat) in kalkaufnehmenden Körpergeweben sowie in Hohlräumen durch Ausfällung des in allen Körperflüssigkeiten vorhandenen Calc iums erfolgt physiologisch bei der Knochenbildung, krankhaft bei Gewebsstörungen und - bei
Abnahme des Gewebs-pH - bei Hyperkalzämie; z. B. bei Arteriosklerose (Roche Lexikon Medizin 1998).
155
Primäre Osteoporosen machen über 90 % aller Osteoporosen aus und sind auf eine
Vielzahl von Faktoren zurückführbar (Herold 1990): Alter, Geschlecht, familiäre
Belastung, Menopause, körperliche Inaktivität sowie Rauchen sind einige Risikofaktoren, die in epidemiologischen und klinischen Studien gefunden wurden (Sle menda et al. 1989, Burnand 1991, Hansen et al. 1991).
Daneben gibt es ernährungsabhängige Faktoren, die die Osteoporose beeinflussen.
Von großer Bedeutung für den Knochenaufbau ist die Höhe der Calciumaufnahme.
Zahlreiche klinische Studien konnten eine positive Korrelation zwischen Calciumaufnahme und Knochenmasse zeigen (Kohlmeier et al. 1993). Von entscheidender
Bedeutung ist eine ausreichende Calciumzufuhr in den ersten dreißig Lebensjahren,
um eine maximale Knochendichte zu erreichen, damit die späteren Folgen des altersbedingten Knochenabbaus gering bleiben. Nach den Wechseljahren wird Calc ium aus der Knochensubstanz herausgelöst (Nordin et al. 1996). Eine Calciumsupplementierung kann diesem Knochenschwund vorbeugen oder ihn verzögern (Reid
1993).
Neben der Calciumaufnahme wirken sich andere Ernährungsfaktoren über die Veränderung der Calciumresorption oder -exkretion auf die Calciumbilanz eines Menschen aus. Einen korrigierenden Einfluss auf die mangelhafte Calciumabsorption
bei Frauen nach den Wechseljahren hat Vitamin D (Nordin et al. 1996). Weiterhin
gibt es Hinweise, dass sich chronischer Alkoholmissbrauch über vielfältige Ernä hrungsstörungen negativ auf Calciumabsorption und Knochenstatus auswirkt (Kohlmeier et al. 1993). Eine Steigerung der Calciumausscheidung wird bei erhöhtem
Konsum von Koffein, Salz und tierischem Eiweiß festgestellt (Heaney und Recker
1982, Hu et al. 1993, Nordin et al. 1996). Die Verfügbarkeit des Calciums kann
durch einen hohen Nahrungsfaseranteil in der Nahrung sinken, da diese mit Calcium Chelate bilden (Ismail-Beigi et al. 1977). Schließlich ist die ausreichende Versorgung des Knochens mit Vitamin K von Bedeutung. Bei einem Drittel der Menschen ist eine genetisch bedingte Empfindlichkeit des Knochens auf einen VitaminK-Mangel zu erwarten (Saupe et al. 1993). Bei Frauen nach den Wechseljahren
konnte der vermehrte Calciumverlust durch ein Vitamin-K-Supplement normalisiert
werden (Knapen et al. 1989).
In den letzten Jahren rückt die Rolle essentieller Fettsäuren im CalciumStoffwechsel immer mehr in den Blickpunkt. Es konnte gezeigt werden, dass essentielle Fettsäuren – teilweise über eine Steigerung der Vitamin-D-Wirkung – die
Calciumabsorption im Darm erhöhen, die Calciumexkretion über den Urin senken
sowie die Calciumablagerung im Knochen steigern und damit die Knochenfestigkeit verbessern können (Kruger und Horrobin 1997, Schlemmer et al. 1999, KaasAnnese 2000).
In der Osteoporoseprophylaxe wird bereits in der Knochenbildungsphase (bis zum
30. Lebensjahr) die Aufnahme ausreichender Mengen Calcium empfohlen, um da-
156
durch die maximale Ausbildung der Knochendichte zu erreichen. Des weiteren wird
empfohlen, übermäßigen Genuss von Lebensmitteln, die sich negativ auf die Calciumresorption auswirken (z. B. Kaffee, Salz, tierisches Eiweiß, Nahrungsfasern) zu
vermeiden.
Ansatzpunkte für Functional Food zur Osteoporoseprophylaxe liegen in der Anreicherung von Lebensmitteln mit Calcium sowie in der Vitamin K- bzw. Vitamin DSupplementierung. Weltweit befinden sich die unterschiedlichsten Produkte auf
dem Markt, die vor allem mit Calcium – allein, in spezieller, die Bioverfügbarkeit
verbessernder Formulierung, oder in Kombination mit anderen Nährstoffen und
funktionellen Inhaltsstoffen – angereichert sind. Es gibt entsprechend aufbereitete
Milch, Joghurts, Eiscreme, nichtalkoholische Getränke, Reis, Kaugummi, SnackRiegel, Kekse und Pasta. Teilweise richten sie sich speziell an Risikogruppen wie
Frauen nach den Wechseljahren oder Senioren.
5.3.6
Übergewicht
Übergewicht ist durch das Überschreiten eines bestimmten Body-Maß-Indexes
(BMI) definiert. Dieser bewertet das Körpergewicht im Verhältnis zur Körpergröße
und ist in seinen Grenzwerten abhängig von der Altersgruppe (National Research
Council 1989) 42.
Das Übergewicht ist von besonderer Bedeutung, da es sich auf die Entstehung und
den Verlauf einer Vielzahl von Erkrankungen auswirkt. Zu den leichteren Gesundheitsproblemen, die mit Übergewicht assoziiert sind, gehören Atembeschwerden,
chronische Beschwerden an Muskeln und Skelett, Hautprobleme sowie Unfruchtbarkeit. Ernstere, z. T. lebensbedrohliche Gesundheitsprobleme stellen kardiovaskuläre Erkrankungen (Hypertonie, Schlaganfall und koronare Herzkrankheit), Ins ulinresistenz (NIDDM), Brust-, Gebärmutter- und Dickdarmkrebs sowie Gallenwegserkrankungen dar (WHO 1998).
Bei der Häufigkeit des Übergewichts zeigen sich geschlechts- und altersspezifische
Unterschiede. Ergebnisse der schweizerischen Gesundheitsbefragung 1992/93
stellten bei 39 % der Männer und 22 % der Frauen Übergewicht fest (BMI > 25)
(Tab. 5.6), wobei schweres Übergewicht (BMI > 30) ebenfalls mit 6 % gegenüber
4 % bei Männern häufiger als bei Frauen auftritt. Der Anteil Übergewichtiger
nimmt mit dem Alter zu und zwar bei Frauen und Männern in gleichem Ausmaß
(Eichholzer et al. 1999).
42 Die Grenzwerte für leichtes Übergewicht liegen bei Frauen bei einem BMI zwischen 24 bis
<29 kg/m² und bei Männern zwischen 25 und <30 kg/m². Liegt der BMI über diesen Grenzwerten liegt starkes Übergewicht (Adipositas) vor.
157
Zu den Kosten des Übergewichts liegen in der Schweiz keine Angaben vor. In der
Bundesrepublik Deutschland wurden 0,8 % der Gesamtkosten ernährungsabhängiger Erkrankungen dem Übergewicht zugerechnet, wobei Kosten der durch Übergewicht entstehenden Folgekrankheiten aufgrund der Datenlage nicht mit einbezogen
werden konnten (Kohlmeier et al. 1993). In den USA wurden die direkten und indirekten Kosten des Übergewichts auf 5,5 % bis 7,8 % der gesamten Ausgaben im
Gesundheitswesen geschätzt (Colditz 1992).
Der Entstehung von Übergewicht liegt eine gestörte Energiebilanz zugrunde, d. h.
die Energieaufnahme ist zu hoch und/oder der Energieverbrauch zu gering. In jüngster Zeit hat sich die These erhärtet, dass eine ausgeglichene Energiebilanz eine
ausgeglichene Makronährstoffbilanz voraussetzt. Während sich die Oxidation von
Kohlenhydraten und Protein der jeweiligen Aufnahme anpasst (Autoregulation),
fördert eine gesteigerte Fettaufnahme nicht in gleichem Maße die Fettoxidation (Saris et al. 1998). Das Nahrungsfett wird nur zu einem geringen Teil nach der Nahrungsaufnahme oxidiert. Dagegen kann es bei einem Überschreiten des Bedarfs
unter geringem energetischem Aufwand aus dem Darm zum Fettgewebe transportiert, in Triglyceride umgewandelt und gespeichert werden. Neben der Gesamtenergiezufuhr ist die Gesamtfettaufnahme sowie die Zufuhr an einzelnen Fettsäuregruppen somit von entscheidender Bedeutung für die Entstehung von Übergewicht.
Eine wichtige Bedeutung in der Prävention und Behandlung von Übergewicht
kommt der Regulation der Nahrungsaufnahme zu. In mehreren Studien konnte ein
Zusammenhang zwischen dem Verhältnis von Kohlenhydraten und Fett zur Nahrungsaufnahme gefunden werden. Eine Diät mit hohem Fettgehalt untergräbt dabei
die Fähigkeit des Körpers, die Energieaufnahme in Anpassung an den Bedarf zu
regulieren (Saris et al. 1998). Demgegenüber sind Kohlenhydrate als Inhibitoren der
Nahrungsaufnahme in der Diskussion (Flatt 1996). Für die Prävention von Übergewicht wird eine ausgeglichene Ernährung mit geringer Energiedichte (viel Gemüse,
Früchte, Getreide) und insbesondere reduzierter Fettzufuhr empfohlen. Darüber
hinaus wird auf die Bedeutung der körperlichen Aktivität hingewiesen.
Functional Food, die auf die Vermeidung bzw. Behandlung von Übergewicht abzielen, können an folgenden Punkten ansetzen:
•
Reduktion von Fettgehalt und/oder Energiedichte bestimmter Lebensmittel,
•
Verwendung von Fettersatz- und Fettaustauschstoffen,
•
Veränderung des Verhältnisses von Fett zu Kohlenhydraten,
•
Lebensmittel mit einem niedrigen glykämischen Index (z. B. mit hohem Anteil
an komplexen Kohlenhydraten),
•
Verwendung "geschützter" Fette oder Kohlenhydrate, die nicht oder nur teilweise verdaut bzw. absorbiert werden,
158
•
Beeinflussung der energieverbrauchenden Thermogenese durch Nahrungsbestandteile, wie z. B. Koffein und andere Methylxanthine oder Gewürzbestandteile (z. B. Ingwer, Chili, Senf),
•
Beeinflussung von Hunger, Appetit und Sättigung (z. B. durch Peptidhormone
wie Orexine).
5.3.7
Sonstige Krankheiten
Als "Struma" wird eine sicht- und tastbare Vergrößerung der Schilddrüse bezeichnet, die vor allem durch Jodmangel in der Nahrung hervorgerufen wird. Die
Schweiz ist ein bekanntes ausgeprägtes Jodmangelgebiet. Bis 1922 wurden Empfehlungen für die täglich Jodzufuhr weit unterschritten. Seit 1922 wurde kantonsweise Jodsalz eingeführt und der Jodidgehalt von anfangs 3,75 mg/kg auf 15 mg/kg
im Jahr 1980 stufenweise erhöht. Vor diesem Hintergrund ist die Strumaprävalenz
kontinuierlich zurückgegangen. 1912 wurde bei 8 % der Schüler der Stadt Bern ein
Kropf Grad 2 oder 3 festgestellt, 1988 fiel die Prävalenzrate gegen Null (Bürgi
1998). Zur Strumaprophylaxe dient zum einen der vermehrte Verzehr jodhaltiger
Lebensmittel (z. B. Seefisch), vor allem jedoch die Verwendung von jodiertem
Speisesalz, wie es in der Schweiz vorgeschrieben ist.
In der Gruppe der Lebensmittelinfektionen werden verschiedene Erreger von infektiösen Magen-Darm-Erkrankungen zusammengefasst (Cholera, Typhus, Salmone lleninfektionen, Zoonosen, Helminthosen). Sie stellen insbesondere für Risikogruppen eine z. T. lebensbedrohliche Erkrankung dar. 1999 wurden in der Schweiz über
10.000 durch Lebensmittel verursachte Infektionen registriert, wobei die meisten
auf Campylobacter- und Salmonelleninfektionen zurückgehen. Da die Infektionen
im wesentlichen durch die in Lebensmitteln oder Wasser enthaltenen Krankheitserreger hervorgerufen werden, richtet sich das Hauptaugenmerk bei der Prävention
auf die Produktion und den Vertrieb hygienisch einwandfreier Lebensmittel. Diesem Sachverhalt wird in der Schweiz durch ein dichtes Netz amtlicher Laboratorien
Rechnung getragen, die mit den Mitteln der Inspektion und Analytik den Gesundheitsschutz des Konsumenten wahrnehmen. Neue Verhaltensmuster und Konzepte
in Bezug auf die Lebensmittelsicherheit zu etablieren ist das Ziel der neuen Hygieneverordnung (Eidgenössisches Department des Innern 1995), die im Gegensatz zur
alten Gesetzgebung die Eigenkontrolle und Eigenverantwortung der Lebensmittelproduzenten und -verarbeiter betont (Baumgartner und Schwab 1998).
Neben direkten toxischen Effekten nach dem Verzehr ungenießbarer oder verdorbener Lebensmittel rücken in den letzten Jahren vermehrt individuelle Überempfindlichkeitsreaktionen (Allergien) auf bestimmte Lebensmittel, bzw. Lebensmittelinhaltsstoffe in den Vordergrund des öffentlichen Interesses. Bei einer Lebensmittelallergie handelt es sich um eine Immunreaktion des Körpers auf nicht-
159
toxische Lebensmittelinhaltsstoffe. Internationalen Schätzungen zufolge liegt die
Prävalenz von Lebensmittelallergien in der Bevölkerung bei ca. 1-2 %. Bei den Lebensmittelallergenen handelt es sich fast ausschließlich um Proteine, die stabil gegenüber Hitze- und Säureeinflüssen, resistent gegenüber Verdauung, Proteo- und
Hydrolyse sowie wasserlöslich sind (Bruijnzeel-Koomen C. et al. 1995). Zu allergieauslösenden Lebensmitteln zählen: tierische Lebensmittel (z. B. Schalentiere,
Eier, Fisch, Milch), Leguminosen (z. B. Erdnüsse, Sojabohnen), Nüsse (z. B. Haselnuss, Paranuss, Walnuss), Obst (z. B. Kernobst, Steinfrüchte, exotische Früchte),
Gemüse (z. B. Sellerie, Tomaten), Kräuter (z. B. Petersilie) und Getreide (z. B.
Weizen). Die Entwicklung einer Lebensmittelallergie wird von verschiedenen Faktoren beeinflusst: u. a. spielen Grad und Häufigkeit der Exposition, genetische Disposition und Lebensalter, Kreuzreaktivität bei Pollenallergie sowie eine gestörte
Physiologie des Gastro-Intestialbereichs durch Alkohol-, Tabakkonsum oder Medikamente eine Rolle (Zunft 1991). Die Therapie einer Lebensmittelallergie besteht
vorrangig im Meiden der verursachenden Allergene oder im Denaturieren hitzelabiler Allergene (Fischer et al. 1993).
5.4
Zusammenfassende Betrachtung zum Beitrag von Functional Food zu Public Health
Aus den Ausführungen zu den ernährungsabhängigen Erkrankungen in Kapitel 5.3
ist ersichtlich, dass der ursächliche Zusammenhang zwischen den Erkrankungen
und den damit korrelierten ernährungsabhängigen Risikofaktoren oftmals nicht geklärt oder eindeutig wissenschaftlich nachgewiesen ist. Das gilt ebenfalls für eine
Vielzahl von Faktoren, denen eine Schutzwirkung zugeschrieben wird. Bei einer
Vielzahl von Nahrungsbestandteilen, die sich negativ oder positiv auf die Entstehung von ernährungsabhängigen Krankheiten auswirken, sind die Wirkmechanismen, die spezifischen Wirkstoffe bzw. Einzelkomponenten noch nicht bekannt. So
ist beispielsweise noch nicht geklärt, welche Komponenten in Obst und Gemüse die
Schutzwirkung bei bestimmten Krebsarten bewirken. Auch ist unklar, ob sich die
Schutzwirkung in diesen Fällen auf Einzelkomponenten reduzieren lässt oder ob das
Zusammenwirken verschiedener Komponenten in den Lebensmitteln von Bedeutung ist. Ferner ist zu bedenken, dass selbst starke und konsistente Assoziationen
zwischen bestimmten Lebensmitteln und Erkrankungen in epidemiologischen Studien noch keinen Beweis für einen kausalen Wirkungszusammenhang darstellen.
Ernährungsabhängige Krankheiten verursachen in der Schweiz rund 60 % der jährlichen Sterbefälle. Der Anteil der durch diese Krankheiten vorzeitig verlorenen Lebensjahre liegt bei über 30 %. Auch wenn exakte Zahlen oder Schätzungen für die
Schweiz nicht vorliegen, kann aus den Informationen zur Prävalenz und Inzidenz
ernährungsabhängiger Krankheiten und Kostenschätzungen in anderen westlichen
Industrieländern (z. B. etwa 30 % aller Kosten im Gesundheitswesen in Deutsch-
160
land entfallen auf diese Krankheiten) geschlossen werden, dass ernährungsabhängige Krankheiten auch in der Schweiz zu einem erheblichen Anteil zu den Kosten im
Gesundheitswesen beitragen. Falls Functional Food daher tatsächlich positive Public Health-Effekte bewirken könnten, hätte dies eine erhebliche gesundheitspolitische Bedeutung.
Aufgrund der Unsicherheiten bzw. fehlenden wissenschaftlichen Grundlagen bezüglich des Zusammenhangs zwischen Ernährungsverhalten, relevanten Inhaltsstoffen der Nahrung und dem Auftreten ernährungsabhängiger Krankheiten lassen sich
keine quantitativ unterlegbaren Berechnungen anstellen, welchen Beitrag Functional Food zur Kostensenkung im Gesundheitswesen in der Schweiz zum derzeitigen
Zeitpunkt leisten können.
Es lassen sich allerdings die prinzipiellen Voraussetzungen ableiten, unter denen
positive Public Health-Effekte von Functional Food überhaupt erwartet werden
können. Dazu müssen Functional Food verfügbar sein, die auf die wichtigsten ernährungsabhängigen Krankheiten in der Schweiz abzielen und wirksam sind, d. h.
effektiv zur Prävention oder Linderung der entsprechenden Krankheit beitragen.
Zudem dürfen die Functional Food-Produkte keine direkten oder indirekten, der
Gesundheit abträglichen Wirkungen aufweisen. Daneben muss gewährleistet sein,
dass die Functional Food auch tatsächlich von denjenigen Konsumenten und Bevö lkerungsgruppen verzehrt werden, bei denen dies aus gesundheitlicher Sicht no twendig bzw. empfehlenswert wäre. Dies impliziert, dass die Konsumenten den individuellen Nutzen, den ihnen das jeweilige Produkt bieten kann, überhaupt erkennen, dass das Produkt für sie regelmäßig und zu akzeptablen Konditionen zugänglich ist, dass sie das Produkt akzeptieren und auch tatsächlich kaufen, dass keine
Verwechselungsgefahr mit ähnlichen, "konventionellen" Lebensmitteln besteht, und
dass die Zielgruppen es in der gebotenen Menge und Regelmäßigkeit verzehren.
Schließlich muss sich die präventive Wirkung von Functional Food mit Alternativen bzw. etablierten Ansätzen zur Vermeidung ernährungsabhängiger Krankheiten
messen. Stehen verschiedene Optionen zur Erreichung dieses Zieles zur Verfügung,
so ist dann auch zu fragen, welche der Alternativen am effizientesten zur Zielerreichung beitragen können.
Die wichtigsten ernährungsabhängigen Erkrankungen in der Schweiz sind HerzKreislauf-Krankheiten, Krebs sowie verschiedene degenerative Erkrankungen. Derzeit haben in der Schweiz lediglich Pro- und Prebiotika sowie die Anreicherung mit
bestimmten Vitaminen (z. B. A, C, E) und Mineralstoffen sowie der Zusatz von
Omega-3 Fettsäuren eine gewisse Marktbedeutung erlangt (vgl. Kap. 6). Vergleicht
man das Spektrum der wichtigsten ernährungsabhängigen Erkrankungen mit den
wissenschaftlich belegten Wirkungen der auf dem Markt befindlichen Functional
Food-Produkte in der Schweiz, so zeigt sich, dass sich für wichtige ernährungsabhängige Erkrankungen wie z. B Krebs derzeit kaum Functional Food-Produkte in
der Schweiz auf dem Markt befinden. Auch wenn sich die befragten Experten ins-
161
besondere der Unternehmen bezüglich der zukünftigen Entwicklungen relativ bedeckt hielten, deuten die verfügbaren Informationen zu den zukünftigen ProduktPipelines der Industrie für Functional Food darauf hin, dass sich an dieser Situation
mittelfristig, d. h. im Zeitraum von drei bis fünf Jahren, voraussichtlich wenig ändern wird, da die meisten Unternehmen an den bereits bekannten Wirkstoffen forschen.
Skepsis ist auch in der Frage angebracht, ob Functional Food überhaupt diejenigen
Bevölkerungsgruppen in der Schweiz erreichen werden, bei denen dies aus gesundheitlicher Sicht notwendig bzw. empfehlenswert wäre. Diejenigen Konsumentengruppen, die durch Functional Food angesprochen werden (vgl. Kap. 6), sind nicht
notwendigerweise diejenigen, die dieser Lebensmittel aus Ernährungssicht tatsächlich bedürfen. Hier können die anvisierten Zielgruppen und Marketinginteressen der
Unternehmen deutlich von Public Health-Zielen abweichen. Eine der wichtigsten
Zielgruppen für mögliche positive Public Health-Effekte von Functional Food wären ältere Menschen, da gerade dort die gesundheitspolitisch relevanten Erkrankungen verstärkt auftreten und diese Personengruppe in Zukunft überproportional zunehmen wird. Außerdem wurden bei einem Teil dieser Personen in der Schweiz
Mangel- oder Fehlernährungen festgestellt. Daher könnten die angestrebten präve ntiven Wirkungen von Functional Food gerade bei älteren Menschen besonders zum
Tragen kommen. Diese Zielgruppe wird bisher jedoch von Functional Food kaum
erreicht, noch hat sie einen hohen Stellenwert bei den in der Industrie verfolgten
Marketingstrategien (vgl. Kap. 6). Ein ähnliches, wenn auch nicht so deutlich ausgeprägtes Missverhältnis ergibt sich bei der Zielgruppen Kinder und Jugendliche
sowie ausländische Personen, die nach den vorliegenden Informationen zum Ernä hrungsverhalten z. T. Fehlernährungen aufweisen, für die aber nur in eingeschränktem Maße spezielle Functional Food-Produkte auf dem Markt sind.
Darüber hinaus ist wahrscheinlich, dass die subjektive Wahrnehmung des Kons umenten, welche Functional Food seiner Gesundheit zuträglich sind, von dem objektiven Bedarf deutlich abweicht, so dass es trotz – oder gerade durch – den Verzehr
von Functional Food zu Über-, Unter- oder Fehlversorgungen mit bestimmten Lebensmittelinhaltsstoffen kommen kann, über deren Langzeitwirkungen und Interaktionen bisher nur unzureichende Kenntnisse bestehen. Der Kenntnisstand ist auch
gering in der Frage, in welcher Regelmäßigkeit und über welche Zeiträume Functional Food verzehrt werden müssen, um tatsächlich präventive Wirkungen entfa lten zu können. Wissenschaftler vermuten aber, dass hierfür in den meisten Fällen
ein regelmäßiger, langfristiger (d. h. über viele Jahre) und bedarfsangepasster Verzehr erforderlich sein wird. Angesichts der Tatsache, dass es bisher nur bei einem
geringen Prozentsatz der Konsumenten gelingt, das Ernährungsverhalten dauerhaft
zu ändern, erscheinen Zweifel angebracht, ob Konsumenten überhaupt dazu motiviert werden können, bestimmte Functional Food zu einem regelmäßigen Bestandteil ihrer Ernährung zu machen, zumal wenn eine positive Rückkopplung zwischen
162
Verzehr und Wirkung in vielen Fällen nicht unmittelbar und deutlich erkennbar
gegeben sein dürfte.
Während auf Individuumsebene Functional Food durchaus das Potential haben, im
Rahmen einer gesunden, ausgewogenen Ernährung einen positiven Beitrag für die
Gesundheit zu leisten, wird der gesamtgesellschaftliche Beitrag von Functional
Food auf die Kosten im Gesundheitswesen in der Schweiz kurz- und mittelfristig als
eher gering eingeschätzt. Gründe hierfür liegen neben den bereits oben genannten
Aspekten im derzeit noch geringen Marktanteil von etwa 1 % des Lebensmittel- und
Getränkemarktes, was bedeutet, dass diese Lebensmittel von einem zu geringen
Bevölkerungsanteil verzehrt werden, um einen gesundheitspolitisch bedeutsamen
positiven Effekt zu bewirken. Darüber hinaus wird die Entwicklung vieler chronischer, ernährungsabhängiger Erkrankungen durch ernährungsbedingte Risikofaktoren über einen relativ langen Zeitraum beeinflusst. Auswirkungen von Functional
Food und einer gesünderen Ernährungsweise auf die Insidenz und Prävalenz ernä hrungsabhängiger Krankheiten werden sich daher auch eher lang- als kurzfristig einstellen.
Zusammenfassend kann somit festgestellt werden, dass das aktuelle Angebot an
Functional Food in der Schweiz kaum positive Public Health-Effekte mit sich bringen dürfte. Inwiefern sich dies in den kommenden drei bis fünf Jahren ändern wird,
kann nicht mit abschließender Sicherheit abgeschätzt werden, doch lassen die –
allerdings relativ rudimentären – Informationen zu den zukünftigen Forschungsaktivitäten der Unternehmen und dem zu erwartenden Marktangebot den Schluss zu,
dass sich an dieser Situation nichts grundlegend ändern wird. Bei dieser Bewertung
muss allerdings auch berücksichtigt werden, dass alle bisherigen Strategien zur
Förderung einer gesunden bzw. gesünderen Ernährungsweise nur eingeschränkt
erfolgreich waren. Somit sind alle Ansätze, die zu einem gesünderen Ernährungsverhalten beitragen, grundsätzlich wünschenswert. In diesem Zusammenhang war
ein größerer Teil der befragten Experten der Meinung, dass Functional Food eine
Berechtigung im Rahmen einer ausgewogenen, gesundheitsorientierten Ernä hrungsweise haben würden, diese aber nicht ersetzen könnten. Außerdem wurde die
Möglichkeit gesehen, dass durch Functional Food eine ausgewogene, gesunde Ernährung stärker in das Blickfeld der Öffentlichkeit gerückt werden könnte. Eine
Minderheit der interviewten Experten hielt Functional Food allerdings auch für
überflüssig.
Auch wenn ein abschließendes Urteil zum langfristigen Stellenwert von Functional
Food bei den Bemühungen um eine Senkung der Kosten im Gesundheitswesen aufgrund der oftmals noch nicht geklärten wissenschaftlichen Kausalzusammenhänge
von Nahrungskomponenten, Ernährungsverhalten und dem Auftreten ernährungsabhängiger Krankheiten in der Schweiz derzeit nicht gefällt werden kann, zeichnet
sich bereits zum jetzigen Zeitpunkt ab, dass Functional Food lediglich ein Element
unter mehreren anderen sein dürften, die zu einer Verbesserung des Ernährungsund Gesundheitszustandes der Bevölkerung eingesetzt werden können. Aus diesem
163
Grunde haben Functional Food in dieser Hinsicht eher komplementären als ausschließlichen Charakter. Dies bedeutet, dass sich über einen längeren Zeitraum
Functional Food, die generellen Bemühungen um eine ausgewogene, gesundheitsbewusste Ernährung, alternative Präventionsmöglichkeiten für ernährungsabhängige
Krankheiten und die Bemühungen um eine Verbesserung der Diagnostik und Therapie dieser Krankheiten parallel nebeneinander entwickeln werden (vgl. Kap. 9).
Dabei liegen über die Effizienz oder komplementären Vorteile von Functional Food
sowie mögliche unerwünschte oder sogar kontraproduktive Wirkungen auf Public
Health-Aspekte im Vergleich zu möglichen Alternativen keine Daten vor. Aber
bereits aus dem bis heute beobachtbaren Verhalten der Lebensmittelindustrie in der
Schweiz wird deutlich, dass deren Interessen und Vorgehensweise nur teilweise mit
Public Health-Zielen bzw. -Anforderungen zur Deckung zu bringen sind. Dies ist
auch wenig verwunderlich, da sich ein Unternehmen primär an dem Ziel der
Markterschließung, Ansprache geeigneter und kaufkräftiger Zielgruppen und der
Gewinnerzielung orientiert, und Public Health-Aspekte dabei eher am Rande Berücksichtigung finden.
Darüber hinaus legen Erkenntnisse über das Verhalten und Ernährungswissen von
Konsumenten in der Schweiz nahe, dass Beratungs-, Informations- und Aktivierungskonzepte erforderlich sind, die den Konsumenten dazu befähigen, Entsche idungen über eine seinen Bedürfnissen angepasste, gesündere Ernährungsweise –
mit oder ohne Functional Food – zu treffen. Somit werden sich eventuell vorhandene positive Public Health-Effekte von Functional Food nicht von alleine einstellen,
sondern nur, wenn sie herbeigeführt und in ein Gesamtkonzept für eine ausgewogene, gesundheitsbezogene Ernährung sinnvoll eingebettet werden. Hier ergibt sich
für die Zukunft Handlungsbedarf, entsprechende Konzepte unter Einbezug von
Wissenschaft, Industrie, Gesundheitspolitik und Konsumentenvertretern zu entwikkeln und in der Schweiz umzusetzen.
165
6.
Wirtschaftliche Aspekte
6.1
Markt für Functional Food
Bei der Analyse des Marktes für Functional Food ergibt sich die besondere Schwierigkeit, dass die aus verschiedenen Untersuchungen vorliegenden Angaben zum
Marktvolumen und dessen Entwicklung sehr stark differieren. Dies dürfte im Wesentlichen auf die unterschiedlichen Definitionen von Functional Food zurückzuführen sein, die nicht nur zwischen den verschiedenen Regionen differieren, sondern z. B. auch von Nahrungsergänzungsmitteln nur schwer abgegrenzt werden
können. Aus diesem Grunde ergibt sich in Einzelfällen die Situation, dass die verfügbaren Daten über das Marktvolumen von Functional Food z. B. in den USA je
nach Quelle um eine Zehnerpotenz voneinander abweichen (vgl. z. B. Gilmore
1998, Hasler 1998, Sloarn und Wiedemann 1997). Trotz dieser Hindernisse wird im
Folgenden versucht, wichtige Tendenzen der Struktur und Entwicklung des Marktes
für Functional Food darzustellen. Dabei wird im Allgemeinen die Definition und
Abgrenzung für Functional Food übernommen, die die Autoren der jeweiligen Untersuchung verwendet haben, nicht zuletzt auch deshalb, da in den wenigsten Untersuchungen Details zur verwendeten Abgrenzung angegeben sind.
6.1.1
Generelle Marktentwicklung
Im folgenden Abschnitt wird ein Überblick über die Größe, Entwicklung und
Struktur des Marktes für Functional Food weltweit und in den wichtigsten Märkten
USA, Japan und Europa gegeben. Anschließend wird auf die Entwicklung der
wichtigsten Teilsegmente von Functional Food in der Schweiz eingegangen.
6.1.1.1
Weltmarkt für Functional Food
Aufgrund der unterschiedlichen Definitionen und Abgrenzungen von Functional
Food differieren die Angaben zu dem gegenwärtigen Weltmarktvolumen deutlich.
Falls man eine Marktabgrenzung vornimmt, die sich vorwiegend an solchen Lebensmitteln orientiert, denen bestimmte Stoffe mit einem zusätzlichen Nutzen für
die Gesundheit zugesetzt worden sind bzw. diese enthalten (und diese Eigenschaft
wird dem Konsumenten auch mitgeteilt), so kann derzeit etwa von einem Weltmarktvolumen in Höhe von etwa 10 Mrd. US$ (Byrne 1997) bis 22 Mrd. US$
(Gilmore 1998) ausgegangen werden. Nach einer Untersuchung des britischen
Marktforschungsinstituts Datamonitor wuchs der weltweite Markt für "funktione l-
166
le", angereicherte Lebensmittel sowie diätetische Ergänzungsmittel von etwa
15 Mrd. US$ im Jahr 1992 auf 21,7 Mrd. US$ im Jahr 1996. Dies entspricht einem
jährlichen Marktwachstum von mehr als 9 %. Als weltweit wichtigster Markt für
Functional Food können die USA angesehen werden mit einem Marktvolumen von
8,8 Mrd. US$ im Jahr 1996 gefolgt von Asien und Europa. In Asien gilt Japan als
der wichtigste Markt für Functional Food. Die Wachstumsraten für Functional Food
waren in den untersuchten Jahren in den USA höher als in Europa und Asien
(Tab. 6.1).
Tabelle 6.1:
Wert des weltweiten Marktes für "funktionelle" (inklusive angereicherter) Lebensmittel (in Mio. US$)
1992
1993
1994
1995
1996
Durchschnittliche
jährliche Wachstumsrate
USA
7.021
7.676
8.627
9.553
11.069
12,1 %
Davon:
Funktionelle und
angereicherte
Lebensmittel
5.442
6.003
6.773
7.543
8.857
12,9 %
Davon:
Diätetische Ergänzungsmittel
1.578
1.673
1.855
2.011
2.212
8,8 %
Asien
5.235
5.412
5.853
6.241
6.734
6,5 %
Europa
3.056
3.316
3.352
3.605
3.897
6,5 %
15.312
16.404
17.832
19.399
21.700
Insgesamt
Quelle: Gilmore 1998
Innerhalb des Weltmarktes für Functional Food (einschließlich diätetische Ergä nzungsmittel) dominieren alkoholfreie Getränke und Milchprodukte, auf die fast
60 % der weltweiten Verkäufe entfallen (Abb. 6.1). Eine deutlich geringere Bedeutung haben Back- und Süßwaren sowie Frühstückscerealien mit jeweils etwa 6 %
bis 7 % Verkaufsanteil. Entsprechend den verschiedenartigen Ernährungsgewohnheiten unterscheidet sich die Bedeutung der verschiedenen Bereiche von Functional
Food deutlich zwischen den USA, Asien und Europa. Während die USA weitgehend der Struktur auf dem Weltmarkt folgen, haben in Asien insbesondere alkoho lfreie Getränke (mit fast 44 % Anteil) eine überproportionale Bedeutung zulasten
insbesondere von Süßwaren, Frühstückscerealien und Brotaufstrichen. Demgegenüber werden in Europa insbesondere Milchprodukte und Brotaufstriche mit "funk-
167
tionellem Zusatznutzen" überproportional häufig verzehrt (im Vergleich zum
Weltmaßstab) zu Lasten von alkoholfreien Getränken (Abb. 6.1).
Abbildung 6.1:
Aufteilung von "funktionellen" (inklusive angereicherten) Lebensmitteln auf Kontinente und Segmente im Jahr 1996
100%
24,0%
80%
33,5%
32,2%
43,7%
29,0%
60%
24,0%
21,1%
6,7%
40%
7,3%
6,1%
6,4%
20%
3,8%
25,3%
8,0%
7,8%
7,8%
4,0%
8,0%
Alkoholfreie Getränke
Milchprodukte
Backwaren
Süßwaren
Frühstückscerealien
Brotaufstriche
andere Lebensmittel
7,0%
8,0%
4,6%
8,0%
3,4%
18,9%
22,2%
Welt
USA
14,9%
16,0%
Asien
Europa
0%
Quelle: Gilmore 1998
Nach einer Untersuchung des britischen Marktforschungsinstituts Leatherhead umfasste der Markt für "funktionelle" Milchprodukte in 13 westlichen Ländern im Jahr
1998 4,1 Mrd. US$ und soll in fünf Jahren auf über 5,3 Mrd. US$ ansteigen. Davon
entfallen 69 % auf Trinkmilch, 27 % auf probiotischen oder sonstigen "funktionellen" Joghurt und 4 % auf fermentierte Milchgetränke (Hilliam 1999b). Bei diesen
Zahlen sind allerdings "funktionelle" Milchprodukte in Japan nicht enthalten, da
dort der größte Teil der angebotenen Milchprodukte mit probiotischen Kulturen
oder bestimmten Vitaminen bzw. Mineralstoffen versetzt ist, und allein für dieses
Land ein Marktvolumen von knapp 22 Mrd. US$ für diese Produkte festgestellt
wurde.
6.1.1.2
Markt für Functional Food in USA
In den USA sind Milchprodukte und alkoholfreie Getränke die beiden wichtigsten
Marktsegmente bei Functional Food. In den letzten Jahren hat insbesondere die
Zahl neuer Produkte mit "Health Claims", die in Beziehung zur Ca-Anreicherung
stehen, sehr stark zugenommen (Dornblaser 1997). In diesem Bereich sind auch
168
mehrere große Getränkeanbieter mit Produkten vertreten. Wichtige weitere Produktsegmente sind mit Vitaminen angereicherte Getränke, mit Nahrungsfasern ve rsetzte Lebensmittel sowie Produkte mit cholesterinsenkender Wirkung (Hasler
1998). Interessanterweise scheint der Markt für probiotische Milchprodukte in den
USA keine herausragende Rolle zu spielen – wie dies in Europa der Fall ist – da
entsprechende Marktabschätzungen eher von einer untergeordneten Bedeutung dieses Segmentes in den USA ausgehen (Sanders 1998, Hilliam 1998ab).
Eine nicht zu unterschätzende Rolle für die Marktentwicklung von Functional Food
in den USA spielen darüber hinaus die Trends auf dem Markt für Nahrungsergä nzungsmittel (Dietary Supplements), da viele "wirksame" Substanzen zuerst auf diesem Marktsegment eingeführt werden. Da in den USA die Konsumenten in deutlich
größerem Ausmaß diese Produkte konsumieren als in Europa, machen auf diese
Weise viele Konsumenten in den USA bereits Bekanntschaft mit "wirksamen" Inhaltsstoffen, noch bevor diese bei Lebensmitteln eingesetzt werden. Dies wird durch
eine umfangreiche Konsumentenaufklärung und gezielte Werbung für neue Wirkstoffe unterstützt, so dass die durchgeführten Marketingmaßnahmen bei Supplementen indirekt den Weg für den Einsatz der Wirkstoffe bei Functional Food bereiten. Generell wird für den Markt für Nahrungsergänzungsmittel in den USA ein
starkes Wachstum erwartet, das insbesondere dem hohen Bekanntheits- und Vertrauensgrad dieser Produkte in der Bevölkerung, der Markteinführung neuer Wirkstoffe sowie dem Auftreten großer internationaler Anbieter zugeschrieben wird
(Kühn 1997).
6.1.1.3
Markt für Functional Food in Japan
Japan ist das Land mit der längsten Tradition für Functional Food, da dort bereits
seit Anfang der 80er-Jahre entsprechende Produkte auf dem Markt sind. Ende der
90er-Jahre waren in Japan etwa 300 Unternehmen aktiv, die Forschungs- und Entwicklungsarbeiten bei Functional Food vorantreiben (Hasler 1998). Das Marktvolumen für Functional Food wird auf 3,5 Mrd. US$ geschätzt (Young 1996). Seit
1993 haben etwa 108 Produkte den FOSHU-Status erhalten (Parliamentary Office
for Science and Technology 1998). Die wichtigste Produktgruppe in Japan sind
Getränke mit "funktionellen" Eigenschaften mit einem Verkaufsvolumen von knapp
1,6 Mrd. US$. Der Marktführer in diesem Bereich ist Otsuka Pharmaceuticals, das
mit zwei Health Drinks ("Pocari Sweat", "Fibe Mini") einen Umsatz von etwa
1 Mrd. US$ erzielt und damit das umsatzstärkste Unternehmen bei Functional Food
in Japan darstellt (Hasler 1998).
Der Zusatz lebender Bakterien mit erwarteten gesundheitsfördernden Wirkungen
(z. B. probiotische Kulturen) ist sehr populär in Japan. Eines der bekanntesten Produkte mit probiotischen Eigenschaften ist "Yakult" von Yakult Honsha, das das
Bakterium Lactobacillus casei Shirota enthält. Yakult wird als das weltweit am
meisten verkaufte Functional Food angesehen und wurde 1997 in 16 Ländern etwa
169
16 Mio. Mal pro Tag verkauft. Insgesamt trägt Yakult etwa zu einem Viertel zu den
Gesamtumsätzen von Yakult Honsha in Höhe von 1,6 Mrd. US$ bei. Neben Yakult
haben andere probiotische Getränke (wie z. B. "Lactia" von Coca Cola, "Bikkle"
von Suntory) sehr großen Erfolg in Japan (Hasler 1998). Außerdem gibt es in Japan
einen sehr schnell wachsenden Markt für Getränke mit zugesetzten Nahrungsfasern.
6.1.1.4
Markt für Functional Food in Europa
Die am Beginn dieses Kapitels angesprochene Schwierigkeit der exakten Abschätzung des Marktvolumens für Functional Food gilt auch für Europa. Das Marktvolumen für Functional Food in Europa wird auf etwa 1,4 bis 2,0 Mrd. US$ geschätzt
(Kutter 1998, Leatherhead 1998, Lebensmittelzeitung 1999g). Das in Tabelle 6.1
ausgewiesene Marktvolumen ist nicht unmittelbar mit dem vorgehend genannten
vergleichbar, da in der Untersuchung, die Tabelle 6.1 zu Grunde liegt auch diätetische Ergänzungsmittel enthalten sind.
Die Bedeutung verschiedener Produktgruppen variiert zwischen den verschiedenen
Untersuchungen ebenfalls, oftmals bedingt durch die unterschiedlichen Abgrenzungen von Functional Food. Im Allgemeinen werden allerdings Milchprodukte (insbesondere Joghurt mit probiotischen Kulturen, andere Milchverarbeitungsprodukte
sowie Trinkmilch) als die bei weitem wichtigste Produktgruppe angesehen. Danach
folgen Cerealien, Getreide- und Backwaren, wohingegen europaweit alkoholfreien
Getränken, Süßwaren oder sonstigen Produktgruppen eine eher untergeordnete Bedeutung zukommt (Abb. 6.2). Die in den Abbildungen 6.1 und 6.2 dargestellte
Verteilung ist nicht unmittelbar vergleichbar, da in Abbildung 6.1 noch angereicherte Lebensmittel und diätetische Ergänzungsmittel enthalten sind, was in Abbildung 6.2 nicht der Fall ist. Außerdem liegen den Abbildungen unterschiedliche Erhebungszeiträume (1996 bzw. 1998) zugrunde.
170
Abbildung 6.2:
Marktsegmentierung für Functional Food in Europa im Jahr
1998
andere Milchprodukte
25%
Milch
10%
Joghurt
30%
Frühstücksflocken
11%
Sportdrinks
4%
Süsswaren
4%
Getreide, Backwaren
10%
Fruchtsäfte, Softdrinks
6%
Quelle: BioGaia Facts 27/98 zitiert in Lebensmittelzeitung 1999g
Innerhalb Europas variiert die Bedeutung von Functional Food von Land zu Land
deutlich. Falls man eine relativ enge Definition zugrunde legt (und nur solche Lebensmittel berücksichtigt, die spezifische "Anpreisungen" auf der Verpackung oder
in der Werbung machen), war 1998 der deutsche Markt mit einem Volumen von
406 Mio. US$ am größten gefolgt von Frankreich (326 Mio. US$) und Großbritannien (283 Mio. US$). Die wichtigsten Produktgruppen in Deutschland waren probiotische Joghurts und fermentierte Milch-Drinks, mit den Vitaminen ACE angereicherte Getränke sowie Kaugummis mit zahnpflegenden Eigenschaften. In Frankreich wird der Markt für Functional Food dominiert von probiotischen Joghurts, mit
Nahrungsfasern angereicherte Frühstückscerealien sowie diätetischen Backwaren.
Wichtige Produktgruppen in Großbritannien sind ebenfalls probiotische Milchprodukte sowie Frühstückscerealien (Hilliam 1999a).
171
Tabelle 6.2:
Marktanteil für probiotischen Joghurt in Europa im Jahr 1997
Land
Marktanteil
Dänemark
Deutschland
Großbritannien
Frankreich
Spanien
Belgien
Niederlande
Finnland
Schweden
Alle Länder
20 %
13 %
13 %
11 %
10 %
6%
6%
5%
5%
10 %
Schweiz 1)
10 %
1)
Marktanteil bezogen auf 1998 (Angaben von Unternehmensvertretern)
Quelle: Verändert nach Hilliam 1998a
Der europäische Markt für Functional Food wird zu etwa zwei Dritteln durch
Milchprodukte dominiert, was insbesondere auf den Erfolg von probiotischem Joghurt zurückzuführen ist. Bei einer Marktuntersuchung in neun europäischen Lä ndern wurde für das Jahr 1997 ein durchschnittlicher 10 %iger Marktanteil für probiotischen Joghurt festgestellt (Hilliam 1998a). Die höchsten Marktanteile wurden
dabei in Dänemark (20 %), Deutschland (13 %) Großbritannien (13 %) und Frankreich (11 %) registriert (Tab. 6.2). Unterdurchschnittliche Marktanteile sind insbesondere in den Benelux-Staaten und Skandinavien festzustellen. Von Unterne hmensvertretern wurde der Marktanteil von probiotischen Sauermilchprodukten auf
10 % des Schweizerischen Joghurtmarktes im Jahr 1998 geschätzt. Die erfolgreic hsten Marken bei probiotischen Milchprodukten in Europa sind derzeit – was die
Produktneueinführungen und Absatzzahlen anbelangt – Nestlé’s LC 1, die ActimelLinie von Danone sowie Yakult-Milchgetränke des japanischen Unternehmens Yakult Honsha (Heasman und Mellentin 1999). In diesem Zusammenhang ist bemerkenswert, dass die Markteinführung von Yakult im Jahr 1994 in Europa ein wesentlicher Anstoß für europäische Milchproduzenten war, sich intensiver mit den
Möglichkeiten "funktioneller" Milchprodukte zu befassen.
6.1.1.5
Wachstumsaussichten für Functional Food
Generell werden die Wachstumsaussichten für Functional Food sehr optimistisch
eingeschätzt, wobei es ähnlich wie bei dem derzeitigen Marktvolumen deutliche
Unterschiede über die zu erwartenden Wachstumsraten gibt. Nach Angaben von
172
PA-Technology soll das Weltmarktvolumen für Functional Food bis zum Jahr 2000
auf etwa 15 Mrd. US$ ansteigen (Byrne 1997). Nach Schätzungen von Novartis soll
sich der Weltmarkt für Functional Food bis zum Jahr 2002 auf 23 Mrd. US$ verdoppeln und bis 2010 auf 37 Mrd. $ expandieren (Hofmann 1999). Es gibt allerdings auch Schätzungen, nach denen das Marktpotential für Functional Food bis zu
5 % des globalen Lebensmittelmarktes umfassen soll, was einem Volumen von
mehr als 100 Mrd. US$ entsprechen würde. Als ein wesentlicher Grund für das erwartete Marktwachstum werden die Aktivitäten großer multinationaler Lebensmittelkonzerne gesehen, die z. T. in den letzten Jahren begonnen haben, erste Produkte
auf den Markt zu bringen. So haben z. B. Kellogg, Nestlé und Monsanto eigene
Geschäftseinheiten geschaffen mit dem Ziel, Functional Food und Nahrungsergä nzungsmittel zu entwickeln und zu vermarkten (Dwyer 1997). Ähnliches gilt für den
Schweizerischen Life-Science-Konzern Novartis.
Da neu eingeführte Produkte die zukünftige Marktentwicklung in erheblichem Maße beeinflussen, erlaubt deren Analyse ebenfalls Aussagen über kurz- bis mittelfristige Trends auf den untersuchten Märkten. In Tabelle 6.3 ist die Entwicklung der
in den Jahren 1995 bis 1997 weltweit neu eingeführten Lebensmittel dargestellt, die
ernährungsbezogene Aussagen machen. Dabei wird das Abebben der "Light"-Welle
sowie von Produkten mit verringertem Fett- oder Salzgehalt sehr deutlich.
Tabelle 6.3:
Weltweit neu eingeführte Lebensmittel mit Angaben zu gesundheitsrelevanten Produkteigenschaften
Jahr
Produkteigenschaften
1995
Reduzierter/geringer Kaloriengehalt
Reduzierter/geringer Fettgehalt
Natürlich
Reduzierter/geringer Kochsalzgehalt
Keine Zusatz-/Konservierungsstoffe
Geringer/kein Cholesteringehalt
Zugesetzter/hoher Nahrungsfasergehalt
Reduzierter/geringer Saccharosegehalt
Zugesetzter/hoher Calciumgehalt
Aus biologischem Landbau
Produktneueinführungen insgesamt
Quelle: New Product News 1998
1.161
1.914
407
205
167
163
40
422
21
538
nicht angegeben
1996
1997
776
2.076
645
171
143
223
12
373
35
645
742
1.405
587
87
142
106
33
78
28
505
13.266
12.398
173
Auch in Europa wird bei Functional Food von einer stark steigenden Markttendenz
ausgegangen, doch herrscht unter den Experten Uneinigkeit über das Ausmaß des
Marktwachstums. Bei einer Befragung von Fachleuten aus Industrieunternehmen in
EU-Ländern Anfang des Jahres 1998 gingen etwa 49 % der Befragten davon aus,
dass Functional Food innerhalb der nächsten fünf Jahre zwischen 5 % und 10 % des
europäischen Lebensmittelmarktes umfassen könnte, wohingegen etwa 41 % der
Ansicht waren, dass die Marktpenetration von Functional Food bei maximal 5 %
des EU-Lebensmittelmarktes liegen dürfte. Doch selbst dies wird von dem Projektteam als eine relativ optimistische und eher unrealistische Schätzung angesehen, da
ein 5 %-Marktanteil am europäischen Lebensmittelmarkt einem monetären
Marktvolumen von etwa 35 Mrd. US$ entsprechen würde und die weiteren Prognosen deutlich unter dieser Marke liegen. Berücksichtigt man die sonstigen vorliege nden Prognosen, erscheint es als wahrscheinlich, dass der Markt für Functional Food
bis in fünf Jahren auf etwa 2,5 bis 3,5 Mrd. US$ in Europa anwachsen wird. Dabei
dürften die Marktchancen in den nordeuropäischen Ländern deutlich höher liegen
als im südlichen Europa.
Bei den Neuprodukteinführungen ist auf dem europäischen Markt ein ähnlicher
Trend zu verzeichnen wie auf dem Weltmarkt, da mit speziellen Zusatzstoffen angereicherte Produkte zunehmend an Bedeutung gewinnen. Von diesen neuen "functional and fortified" Innovationen entfallen die meisten auf Saucen und Brotaufstriche (74 % aller neuen Produkte von 1994 bis 1997 bei dieser Warengruppe) sowie
Soft Drinks (69 %) (Tab. 6.4). Demgegenüber entfallen bei Molkereiprodukten,
Backwaren und Cerealien sowie Süßwaren nur etwa ein Drittel auf diese Kategorie.
Tabelle 6.4:
Eigenschaften neu eingeführter Produkte in Europa von 1994 bis
1997
Neue Produkte
in Kategorie
Soft Drinks
Molkereiprodukte
Backwaren und Cerealien
Süßwaren
Saucen und Brotaufstriche
Snacks
Andere Lebensmittel
"reduziert" oder "functional" und
"light" in %
"angereichert" in %
n. a.
31
26
66
10
29
42
69
39
31
31
74
n. a.
20
allgemein
"gesund" in %
31
30
43
3
16
71
38
Die Zahl der neu eingeführten Produkte in den jeweiligen Kategorien wird in der Veröffentlichung
nicht angegeben.
Quelle: Datamonitor 1997
174
Die überwiegende Mehrzahl der befragten Experten in der Schweiz vertrat die Ansicht, dass es sich bei Functional Food um eine dauerhafte Entwicklung handeln
dürfte, die einen signifikanten Einfluss auf den Lebensmittelmarkt in den kommenden fünf bis zehn Jahren ausüben dürfte. Allerdings war keiner der Gesprächspartner in der Lage oder willens, eine Schätzung zu den erwarteten Wachstumsraten für
Functional Food in den kommenden Jahren abzugeben. Von mehreren Interviewten
wurde jedoch die erhebliche strategische Bedeutung von Functional Food für die
Lebensmittelindustrie und den -handel betont, da sie eines der wenigen Segmente
des Lebensmittelmarktes darstellen, die in Zukunft deutlich überdurchschnittliche
Wachstumsraten erwarten lassen.
Als wesentliche Argumente für die steigende Bedeutung von Functional Food wurden in den Interviews die folgenden Punkte angeführt:
•
Eine steigende Zahl von Konsumenten würden sich mehr für den Zusammenhang zwischen Ernährung und Gesundheit interessieren und suchten nach Wegen, um ihre Gesundheit auf möglichst natürlichem Wege positiv zu beeinflussen. Das Ziel dieser Konsumenten sei es, neben der reinen Nährstoffzufuhr mit
der Ernährung etwas für ihre Gesundheit und das Wohlbefinden zu tun.
•
Regierungen und staatliche Institutionen sind über die Verschiebungen in der
Altersstruktur der Bevölkerung und den damit verbundenen Tendenzen zur Erhöhung der Kosten im Gesundheitswesen besorgt. Daher stehen sie Möglichkeiten, die der Prävention von Krankheiten dienen können (wie z. B. Functional
Food), aufgeschlossen gegenüber.
•
In den letzten Jahren seien wesentliche Erkenntnisfortschritte in den Ernä hrungswissenschaften gemacht worden, die z. B. ganz neuartige Erkenntnisse für
den Zusammenhang zwischen Ernährung, bestimmten Biomarkern und dem
Entstehen bzw. die Prävention von Krankheiten bieten würden. Diese neuen
wissenschaftlichen Erkenntnisse seien noch kaum in entsprechende Produkte
umgesetzt worden.
•
Der Lebensmittelhandel sieht sich weitgehend stagnierenden Märkten für Lebensmittel in den westlichen Ländern ausgesetzt und suche nach neuen Wegen,
um Wachstum und höhere Margen, und sei es auch nur in Nischenbereichen, zu
erzielen.
•
Lebensmittelverarbeitende Unternehmen würden ebenfalls nach Wachstumsmöglichkeiten auf stagnierenden Lebensmittelmärkten und Chancen für innovative Produkte suchen, um höhere Gewinnmargen zu erzielen.
175
6.2
Besonderheiten des Marktes für Lebensmittel in der
Schweiz
Die Lebensmittelindustrie ist mit mehr als 53.000 Beschäftigten im Jahr 1995 der
viertgrößte Industriezweig in der Schweiz. Von den fast 3.200 Arbeitsstätten haben
allerdings nur neun mehr als 500 Mitarbeiter. Mit Nestlé hat zwar das weltweit
größte Lebensmittelunternehmen seine Konzernzentrale und neun Produktionsstätten in der Schweiz, jedoch ist die Mehrzahl der Unternehmen dieses Industriezweigs eher klein- oder mittelständig strukturiert (Bundesamt für Statistik 1998). In
den letzten Jahren überstiegen die Importe von Lebensmitteln und Getränken in die
Schweiz die entsprechenden Exporte in der Regel um den Faktor zwei bis drei.
Mit einem Volumen von etwa 36,5 Mrd. sFr. lag der Detailhandelsumsatz mit Lebensmitteln (einschließlich Getränke und Tabakwaren) in der Schweiz im Jahr 1998
etwa 1,1 % höher als im Vorjahr (Coop 1999, Migros 1999). Als wesentlicher
Grund für den Verbrauchsanstieg wird ein deutlicher Rückgang der Arbeitslosigkeit
angenommen. In den vorangegangenen Jahren hatte das monetäre Marktvolumen
bei Lebensmitteln in der Schweiz eher stagniert oder war in einzelnen Jahren auch
leicht zurückgegangen. Wie die Haushaltserhebungen des Bundesamtes für Statistik
für das Jahr 1992 ausweisen, geben die Haushalte von Selbständigen mit knapp
1.000 sFr. pro Monat für Lebensmittel deutlich mehr aus als Rentnerhaushalte (ca.
570 sFr. pro Monat). Die Arbeitnehmerhaushalte liegen mit monatlichen Ausgaben
von etwa 810 sFr. zwischen diesen beiden Gruppen (Bundesamt für Statistik 1999).
Ein Teil der Unterschiede in den Ausgaben ist auf eine unterschiedliche Haushaltsgröße zurückzuführen, die bei Selbstständigen und Arbeitnehmerhaushalten höher
liegt als bei Rentnerhaushalten. Bezieht man die Ausgaben für Lebensmittel der
verschiedenen Haushaltstypen auf deren Gesamtausgaben, so ergeben sich deutlich
geringere Unterschiede zwischen den betrachteten Gruppen: Rentnerhaushalte gaben im Jahr 1992 etwa 13,6 % ihres verfügbaren Einkommens, Selbstständige 11 %
und Arbeitnehmerhaushalte 10,6 % für Lebensmittel, Getränke und Tabakwaren aus
(Bundesamt für Statistik 1999).
Ein Spezifikum auf dem Lebensmittelmarkt der Schweiz ist die starke Stellung einzelner Handelsunternehmen und der von ihnen produzierten Handelsmarken. Nach
einer Untersuchung der Rabobank hatten im Jahr 1992 die drei größten Handelsunternehmen in der Schweiz weltweit den höchsten Marktanteil. Dies geht einher mit
einer deutlich über dem europäischen Durchschnitt liegenden Bedeutung von Handelsmarken, die in demselben Jahr bei 30 % lag (Heijbroek et al. 1995). Nach einer
Untersuchung von A. C. Nielsen ist seit Anfang der 90er-Jahre die Bedeutung von
Handelsmarken in der Schweiz noch gestiegen und hat im Jahr 1998 fast 42 % erreicht (Lebensmittelzeitung 1999c).
Die relativ starke Konzentration im Lebensmitteleinzelhandel in der Schweiz ist im
Wesentlichen auf die Migros- und Coop-Gruppe zurückzuführen. Da beiden Unter-
176
nehmen als Anbieter bzw. Distributionsweg von Functional Food eine große Bedeutung zukommt, werden im Folgenden kurz einige spezifische Charakteristika
von ihnen dargestellt.
Der Migros-Konzern erreichte im Jahr 1998 einen konsolidierten Gesamtumsatz
von 18,2 Mrd. sFr. und war damit das größte Handelsunternehmen in der Schweiz.
Im Jahr 1998 erzielte Migros einen Lebensmittelumsatz von 8,8 Mrd. sFr. (Migros
2000). Dies entsprach einem Marktanteil von 24,2 % des Lebensmittelmarktes. Für
Functional Food ist von besonderer Bedeutung, dass das Unternehmen unter dem
Namen "Actilife" eine Dachmarke ins Leben gerufen hat, unter deren Label eine
ganze Reihe von Produkten mit proklamiertem gesundheitlichen Zusatznutzen in
den Markt eingeführt wurden. Neben den Produkten unter dem "Actilife"-Label hat
Migros noch weitere Produkte mit "funktionellen" Eigenschaften im Angebot (Abschnitte 6.3.1 bis 6.3.4). Dies ist insofern von besonderer Bedeutung, da der größte
Teil des Umsatzes von Migros mit den eigenen Marken erzielt wird.
Im Jahr 1998 erreichte die Coop-Gruppe einen konsolidierten Gesamtumsatz in
Höhe von 12,3 Mrd. sFr. Davon entfielen etwa 7,3 Mrd. sFr. auf den Lebensmittelbereich. Nach eigenen Angaben entsprach dies einem Marktanteil von 20 % des
gesamten Lebensmittelmarktes in der Schweiz (Coop 1999). Gegenüber dem Vorjahr ist der Marktanteil von Coop damit um 0,3 Prozentpunkte gestiegen. Die wichtigsten Produktgruppen der Lebensmittelverkäufe von Coop umfassen Fleischwaren
(18 %), Molkereiprodukte (15 %), Obst und Gemüse (14 %), Getränke (13 %) sowie Backwaren (7 %). Ein besonderer Erfolg waren die seit etwa fünf Jahren vertriebenen "ökologischen" Eigenmarken des Unternehmens, die unter der Linie "C oop Naturaplan" angeboten werden, mit denen 1998 mehr als 380 Mio. sFr. umgesetzt wurden (Lebensmittelzeitung 1999a). Coop Schweiz führt zurzeit keine eigene
Produktlinie bei Functional Food.
6.3
Markt für Functional Food in der Schweiz
In der Schweiz werden nach Literaturangaben über 100 verschiedene Produkte und
Produktvarianten angeboten, die einen gesundheitlichen Zusatznutzen versprechen
(Frei 1999, Schwenk 1998). Diese reichen von Vitaminplus-Gummidrops über
cholesterinsenkendes Brot bis hin zu verdauungsunterstützendem Vanilleeis. In der
Regel wird von "steigenden Marktanteilen", "großen Markterfolgen" und ähnlichen
Attributen im Zusammenhang mit Functional Food gesprochen, doch den genauen
effektiven Verbrauch zu verfolgen und bestimmen ist – wie bei den anderen Lebensmitteln – auch bei Functional Food sehr schwierig. Aus diesem Grunde werden
im Folgenden die aus Literaturangaben oder den Expertengesprächen verfügbaren
Informationen für die wichtigsten Produktsegmente zusammengestellt und bei Be-
177
darf durch vergleichende Betrachtungen aus anderen Ländern ergänzt (Abschnitte
6.3.1 bis 6.3.4).
Nach Literaturangaben und Informationen aus den Stellungnahmen steigt der Umsatz von Functional Food in der Schweiz derzeit jährlich um etwa 20 %. Bei der
Interpretation dieser Wachstumsrate – die zu den höchsten im Lebensmittelmarkt
gehört – ist allerdings das geringe Marktvolumen von Functional Food zu berücksichtigen. Auch wenn diesbezügliche exakte Angaben für die Schweiz nach Auskunft der befragten Experten nicht vorliegen, so kann doch davon ausgegangen
werden, dass Functional Food derzeit weniger als 1 % des Lebensmittelmarktes in
der Schweiz umfassen dürfte. Keiner der befragten Experten aus Industrie, Wissenschaft und Konsumentenverbänden war allerdings in der Lage, das Marktvolumen
für Functional Food in der Schweiz exakt zu quantifizieren oder eine entsprechende
Schätzung abzugeben. Die in Tabelle 6.5 erstellte Schätzung des Marktvolumens
für Functional Food im Jahr 1999 basiert auf singulären Angaben einzelner oder
mehrerer Interviewpartner, die durch statistische Angaben ergänzt wurden. In diesem Sinne sind die errechneten bzw. durch das Projektteam geschätzten Zahlen als
"bestmögliche Näherung" und nicht als statistisch exakt erhobene Daten zu interpretieren.
Trotz dieser Einschränkungen kann davon ausgegangen werden, dass das monetäre
Marktvolumen für Functional Food in der Schweiz im Jahr 1999 kaum über
300 Mio. sFr. liegen dürfte (Tab. 6.5). Dies würde einem Anteil von etwa 0,8 % des
Lebensmittelmarktes der Schweiz entsprechen. Vorliegende Marktschätzungen über
die aktuelle Bedeutung von Functional Food sowohl in Europa als auch Deutschland liegen zumeist signifikant unter der Marke von 0,5 % des Lebensmittelmarktes. Bezieht man z. B. das geschätzte Marktvolumen von Functional Food in
Deutschland in Höhe von 406 Mio. US$ auf den gesamten Umsatz des Lebensmitteleinzelhandels in Höhe von 133,5 Mrd. US$ (im Jahr 1998) (Bundesministerium
für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten 1999), so errechnet sich ein Marktanteil
von 0,3 % für Functional Food in Deutschland. Aufgrund der hohen Bedeutung von
Handelsmarken in der Schweiz und den starken Aktivitäten führender Handelskonzerne bei Functional Food – die z. B. in Deutschland bei weitem nicht in diesem
Ausmaß festzustellen sind – ist der höhere Marktanteil von Functional Food in der
Schweiz erklärbar.
178
Tabelle 6.5:
Abschätzung des Marktvolumens für Functional Food in der
Schweiz im Jahr 1999
geschätztes Marktvolumen
in Mio. sFr.
Produktbereich
Migros: Molkereiprodukte 1)
50
1)
Migros: Kolonialwaren
60
Vertriebskanäle ohne Migros
pro-, pre- oder synbiotischer Joghurt2)
probiotische Drinks
2)
"funktionelle" Milchmischgetränke
25
2)
sonstige Produktgruppen3)
insgesamt
1)
2)
3)
40
25
50 - 100
250 – 300
Angaben des Unternehmens
Berechnungen ISI nach Angaben der Unternehmen
Schätzung ISI nach Angaben der Unternehmen
6.3.1
Milchprodukte
Der Markt für Milch und Milchprodukte in der Schweiz ist von rückläufigen Verbrauchstendenzen gekennzeichnet. So nahm der Pro-Kopf-Verbrauch an Konsummilch in den letzten zehn Jahren um 19 kg ab. Von der im Jahr 1997/98 produzie rten Verkehrsmilchmenge von mehr als 3 Mio. t wurden 49 % zu Käse, 14 % zu
Konsum- und Kaffeerahm, 12 % zu Butter und 3 % zu Joghurt verarbeitet. Bezogen
auf Frischmilchäquivalente wurde etwa 32 % der in der Schweiz produzierten
Milch exportiert, überwiegend in Form von Käse. Die Importe an Milchprodukten
(insbesondere verschiedene Käsesorten und Butter) lagen – bezogen auf
Frischmilchäquivalente – in der Größenordnung von 20 % der inländischen Produktion. 1998 wurden in der Schweiz 91 kg Milch und Milchmischgetränke pro
Kopf verbraucht; inklusive Joghurt lag der Pro-Kopf-Verbrauch bei etwa 109 kg
(Schweizerischer Bauernverband 1999).
Die Preise für Milch und Milchprodukte liegen in der Schweiz deutlich höher als in
anderen europäischen Ländern. Während ein Liter Milch in der Schweiz durchschnittlich rund 1,60 sFr. kostet, liegt der Preis im angrenzenden Ausland unter der
Marke von 1 sFr. (Ruppelt 1999b). Aufgrund der Änderung der Schweizer Agrarmarktpolitik – speziell auch im Milchsektor – wird für die kommenden Jahre eine
deutliche Absenkung der Erzeugerpreise für Milch aber auch der Preise für Verarbeitungsprodukte aus Milch erwartet, die auch bereits eingesetzt hat.
179
Der Pro-Kopf-Verbrauch von Rahm- und Milchglacen stagniert in der Schweiz seit
Beginn der 90er-Jahre bei etwa 7,7 Liter. Anfang der 90er-Jahre wurde bei einer
stagnierenden inländischen Produktion von etwa 51 Mio. Litern knapp
700. Mio. sFr. umgesetzt. Wichtige Produzenten sind Migros (13 Mio. Liter), Coop
(6 Mio. Liter Eigenmarken und 3 Mio. Liter Fremdmarken), Pierrot-Lusso AG
(10 Mio. Liter), die Nestlé-Tochter Frisco-Findus (10 Mio. Liter) und Mövenpick
mit einem Produktionsvolumen von 5 Mio. Litern (Cash 1995). Obwohl jährlich
eine ganze Reihe neuer Artikel auf den Markt gebracht werden, haben sich die
Marktanteile zwischen den einzelnen Herstellern in den letzten Jahren nur geringfügig verändert. Dies gilt auch für die bevorzugten Geschmacksrichtungen, die zu drei
Vierteln von den Klassikern Vanille, Erdbeere, Mokka und Schokolade dominiert
werden (Cash 1995).
Zu der Entwicklung und der derzeitigen Bedeutung von "funktionellen" Milchprodukten in der Schweiz liegen keine umfassenden statistischen Informationen vor.
Nach Angaben verschiedener Interviewpartner umfassen "funktionelle Milchprodukte" im Wesentlichen mit probiotischen Kulturen (und z. T. noch weiteren Wirkstoffen) angereicherten Joghurt bzw. Sauermilchprodukte, probiotische MilchDrinks sowie mit Vitaminen und Mineralstoffen angereicherte Milchmischgetränke.
Aus den vorliegenden Veröffentlichungen und Informationen der interviewten Experten kann geschlossen werden, dass – ähnlich wie in anderen europäischen Lä ndern – auch in der Schweiz probiotische Milchprodukte in den letzten Jahren einen
beachtlichen Markterfolg erreicht haben. Für das Jahr 1998 wurde der Marktanteil
von probiotischem Joghurt und Sauermilchprodukten auf etwa 10 % des Joghur tmarktes in der Schweiz geschätzt. Die verkauften Mengen seien dabei von 1996
(mit etwa 3.700 t) bis 1997 mit etwa 6.200 t stark gestiegen. Im Jahr 1998 sank die
verkaufte Menge leicht auf 6.000 t und im folgenden Jahr 1999 weiter auf etwa
5.500 t.
In den letzten zwei Jahren sind daneben probiotische Milch-Drinks deutlich in der
Konsumentengunst gestiegen. Nach Auskunft von zwei Marketingexperten milchverarbeitender Unternehmen sind im Jahr 1998 etwa 2.500 t flüssiger probiotischer
Milchprodukte in der Schweiz verkauft worden. Daneben sind mit Vitaminen und
Mineralstoffen angereicherte Milchmischgetränke deutlich in der Konsumentengunst gestiegen. Im Vergleich zu 1997 erreichten Milchmischgetränke und JoghurtDrinks im Jahr 1998 einen 15 % Anstieg ihres Marktvolumens (Ruppelt 1999b).
Ähnliche Entwicklungen sind auch in anderen europäischen Ländern (z. B. in
Deutschland) zu verzeichnen.
Im Rahmen der durchgeführten Interviews machte keiner der Experten detaillierte
Angaben zu dem monetären Marktvolumen "funktioneller" Milchprodukte in der
Schweiz. Basierend auf den in verschiedenen Gesprächen gemachten Volumen- und
Preisangaben schätzte das Projektteam das monetäre Marktvolumen "funktioneller"
Milchprodukte in der Schweiz auf etwa 140 Mio. sFr. (inkl. Migros) im Jahr 1999.
180
Davon entfallen etwa 40 Mio. sFr. auf pro-, pre- oder synbiotischen Joghurt bzw.
Sauermilchprodukte und jeweils etwa 25 Mio. sFr. auf probiotische Drinks und
"funktionelle Milchmischgetränke. Nach eigenen Angaben erreichen die Verkäufe
von Migros bei "funktionellen" Milchprodukten 50 Mio. sFr. (Tab. 6.5).
Tabelle 6.6:
Beispiele für in der Schweiz angebotene Milchprodukte mit gesundheitsbezogenen Anpreisungen (Stand Dezember 1999)
Unternehmen
Coop
Produktbezeichnung
Sport Milk
"Funktionelle" Inhaltsstoffe
Vitamine A, D, B1, B2, B6, B12,
Folsäure, Pantothensaure, Niacin,
Biotin, Magnesium, Calcium
Danone (F)
Actimel Casei
Lactobacillus casei
Danone (F)
Actimel Cholesterol Control L. johnsonii, Oligofructose
(Joghurt)
Danone (F)
Emmi AG
Actimel Orange Milch-Drink Lactobacillus casei
Actifit(Milchmischgetränk) Lactobacillus Gorbach und Goldin,
Oligofructose
Emmi AG
4-Plus Joghurt
Vitamine C, E, D, Folsäure, Inulin
Emmi AG
Energy Milk
Vitamine, B1, B2, B6, D, E, Calc ium, Nahrungsfasern
Migros
ProbioPlus
Synbiotika
Migros
Pro Bifidus-Joghurt
Probiotika
Migros
Migros
Grüntee-Joghurt
Slimline Frischkäse
Grüner Tee
Inulin, Oligofructose
Migros
Actilife Glace (verschiedene
Geschmacksrichtungen oder
Variationen: z. B. Himbeer
Glace, Orange-Karotte
Glace, Vanille Glace, Grüntee Glace)
LC 1-Joghurt
In verschiedenen Geschmacksrichtungen
LC 1-Quark
In verschiedenen Geschmacksrichtungen
Oligofructose, Vitamin C, E, BetaCarotin, Grüntee-Extrakt
Nestlé
LC 1
Lactobacillus johnsonii La1
Nestlé
Petit Suisse
Junior Milk Bifidus
Nestlé
Beba 2 Bifidus B
Nestlé
Nestlé
Lactobacillus johnsonii La1
Lactobacillus johnsonii La1
Bifidobacterium lactis, Eisen, Zink,
Jod
Bifidobacterium lactis
181
Fortsetzung Tabelle 6.6:
Unternehmen
Novartis Consumer
Health
Produktbezeichnung
AVIVA Bone Support (Instant-Schokoladengetränk)
"Funktionelle" Inhaltsstoffe
Milchcalcium, Zink, Magnesium,
Vitamin D3
Novartis Consumer
Health
Nahrungsfasern
Swiss Dairy Food
AVIVA Digestive Balance
(Instant-Schokoladengetränk)
Symbalance (Milch-Drink)
Swiss Dairy Food
Aloe-Vera-Joghurt
Vitamine E, C, Aloe Vera
Lactobacillus johnsonii, L. reuteri,
L. casei, Raftilose
In der Schweiz sind eine ganze Reihe von Milchprodukten mit gesundheitsbezogenen Anpreisungen auf dem Markt (Tab. 6.6). Anbieter sind zum einen große multinationale Milchkonzerne wie Nestlé oder Danone, die ihre Produkte mit probiotischen Kulturen auch in der Schweiz anbieten, große nationale Milchproduzenten
wie Swiss Dairy Food oder die Emmi-Gruppe sowie – als relative Besonderheit der
Schweiz im Vergleich zu anderen europäischen Ländern – große Handelsketten wie
Migros und Coop.
In Europa übernahm Nestlé eine Pionierrolle bei Functional Food. Nach vierjähriger
Arbeit im Forschungszentrum Vers-chez-les-Blancs wurde der probiotische Joghurt
LC 1 im Jahr 1994 erstmals auf den Markt gebracht. Den zugesetzten probiotischen
Milchsäurebakterienstamm (Lactobacillus johnsonii La1) hatten die Forscher aus
mehr als 4.000 verschiedenen Bakterienstämmen ausselektiert (Schwenk 1998). In
der Schweiz, wo der 150 g-Becher seit Juni 1995 angeboten wird (Jung 1996), war
LC 1 ein relativ schneller Markterfolg beschieden: in den ersten Monaten nach
Markteinführung soll ein Marktanteil von 20 % erreicht worden sein (Cash 1998).
Dies ist umso erstaunlicher, da LC 1-Joghurt etwa ein Fünftel teurer als herkömmlicher Joghurt angeboten wird (Ruppelt 1999a). Der empfohlene Verkaufspreis von
LC 1 in der Schweiz lag bei etwa 1 sFr. für Natur- und 1,10 sFr. für Fruchtjoghurt.
Nach Informationen des Marktforschungsunternehmens Nielsen erreichte im Januar/Februar 1996 Nestlé's LC 1 einen Marktanteil von 82 % des schweizerischen
Marktes für probiotische Milchprodukte (Jung 1996). Der Markterfolg von LC 1
wurde durch eine intensive Werbe- und Informationskampagne unterstützt. Nach
Auskunft der befragten Experten, die sich auf eine Marktstudie von IHA stützen,
soll Nestlé's LC 1 über 80 % Marktanteil unter den angebotenen probiotischen Sauermilchprodukten in der Schweiz in den zurückliegenden drei Jahren erreicht haben.
Im Jahr 1996 brachte die Emmi AG, Luzern, den mit Pro- und Prebiotika angereicherte Actifit-Drink auf den Markt, der in vier Produktvarianten angeboten wurde.
Bereits kurz nach der Markteinführung erfreuten sich diese Produkte regen Zuspruchs, so dass z. B. im Jahr 1997 mehr als 1 Mio. Flaschen pro Monat verkauft
wurden (European Dairy Magazine 1997). Zwischen 1996 und 1997 hat sich der
182
Absatz der Actifit-Linie nach Angaben des Unternehmens mehr als verdoppelt (Lebensmittelzeitung 1998a). Inzwischen verkauft das Unternehmen pro Jahr etwa
20 Mio. Flaschen des synbiotischen Milch-Drinks (Schwenk 1998). Nach Informationen der Interviewpartner hatte Emmi einen Marktanteil von etwa 50 % bei synbiotischen Milch-Drinks im Jahr 1999. Außerdem sei Migros bei diesen Produkten
stark vertreten. Entsprechend den Angaben des Geschäftführers von Emmi Frischprodukten sei der Milch-Drink Actifit nicht nur in der Schweiz sehr erfolgreich in
den Markt eingeführt worden, sondern werde auch zunehmend exportiert. In
Deutschland übertreffen die Verkäufe des unter der Bezeichnung "Emmifit" angebotenen Milch-Drinks bereits die in der Schweiz. Außerdem wird dieses Produkt
noch nach Österreich, Portugal, Griechenland und Israel exportiert bzw. in Lizenz
gefertigt (Poldervaart 1999).
Neben dem Actifit-Drink brachte Emmi im März 1998 eine mit Vitaminen, Nahrungsfasern und Calcium angereicherte "Energy Milk" auf den Markt, die drei Monate nach der Markteinführung bereits die deutliche Marktführerschaft bei
Milchmischgetränken übernahm (Lebensmittelzeitung 1999d). Energy Milk war das
erfolgreichste Innovationsprodukt auf dem Lebensmittelmarkt in der Schweiz. Anstelle der erwarteten Verkaufsmenge von 10 Mio. Verkaufseinheiten wird für 1999
der doppelte Absatz erwartet. Allein im Juni 1999 seien 2,3 Mio. Packungen der
Energy Milk verkauft worden. Zwischen Mai 1998 und April 1999 habe der Umsatz
dieses Produktes über 16 Mio. sFr. betragen. Dies entspreche einem Marktanteil
von 62 % (Exklusiv Migros) bei Milchmischgetränken (Poldervaart 1999). Ein
Grund für den Markterfolg der Energy Milk wird in der sehr trendhaft angelegten
Werbekampagne für dieses Produkt mit einem in der Schweiz besonders bei Jugendlichen bekannten Diskjockey sowie die Platzierung des Produkts als "Trendgetränk" gesehen (Knuchel 1999). Zwar haben Milchmischgetränke derzeit nur einen
geringen Marktanteil (etwa 2 %) am Konsummilchverbrauch in der Schweiz (Lebensmittelzeitung 1998a), doch sieht das Unternehmen in diesem Feld erhebliche
Wachstumschancen. Aufgrund des großen Markterfolges soll diese Produkt auch
ins europäische Ausland (z. B. Deutschland) exportiert werden.
Im Herbst 1999 hat Emmi einen neuen "ernährungsbilanzierten" Joghurt unter der
Bezeichnung "4 plus" auf den Markt gebracht, "dessen Fett- und Eiweißgehalt optimal auf den Verbrauch des Körpers abgestimmt sein soll". Dieses Produkt wurde
gemeinsam mit Ernährungsberaterinnen entwickelt. Für diesen 4 plus-Joghurt hat
Emmi vier "Gesundheitsbotschaften" ausgewählt: An erster Stelle steht das sogenannte "Body control", das dem Wellnessbedürfnis der Konsumenten entgege nkommen soll. Als zweites werde eine optimale Kohlehydratkonzentration angestrebt, was durch eine Reduzierung des Milchfettgehaltes sowie die Vermeidung
von kristallinem Zucker erreicht werden soll. Zudem sei der Joghurt mit allen lebenswichtigen Vitaminen angereichert. Der Zusatz von Lactobacillus Gorbach und
Goldin und Nahrungsfasern fördere zudem die Verdauung. Der 4 plus-Joghurt von
183
Emmi ist preislich deutlich höher positioniert als konventioneller Joghurt und kostet
etwas mehr als Nestlé's LC 1.
Die Emmi Gruppe setzte im Jahr 1998 etwa 697 Mio. sFr. um (Lebensmittelzeitung
1999d). Für 1999 wird ein Umsatz auf rund 950 Mio. sFr. erwartet (Lebensmittelzeitung 1999j). Hauptumsatzträger mit einem Volumen von mehr als 300 Mio. sFr.
waren im Jahr 1998 verschiedene Käsesorten. Damit ist die Emmi AG der führende
Käsehersteller in der Schweiz (European Dairy Magazine 1997). Daneben werden
noch Milchprodukte (wie z. B. Joghurt), Butter, Trinkmilch und Milchpulver produziert. Für 1999 wurde ein Umsatz von rund 200 Mio. sFr. mit Milchfrischprodukten erwartet (Lebensmittelzeitung 1999j).
Neben Emmi brachte die Swiss Dairy Food im Herbst 1995 eine neue probiotische
Produktlinie mit dem Namen "Symbalance" (in verschiedenen Geschmacksvarianten) auf den Markt (European Dairy Magazine 1996). Dieser Joghurt enthält neben
anderen probiotischen Kulturen u. a. Lactobacillus reuteri, für den Swiss Dairy
Food einen exklusiven Nutzungsvertrag für die Schweiz mit dem schwedischen
Biotechnologieunternehmen BioGaia abgeschlossen hat. Der Verkaufspreis lag in
der Einführungsphase bei etwa 1,10 sFr. für Frucht- und 1,05 sFr. für Naturjoghurt
für den 150 g-Becher (Jung 1996). Mit dem Slogan "Symbalance fördert Ihr natürliches Gleichgewicht" versuchte Swiss Dairy Food durch TV-Werbung und Verkaufsfördermaßnahmen die gesamte Familie als Zielgruppe für diese Produkt anzusprechen. Nach Aussage eines Interviewpartners habe Swiss Dairy Food allerdings
bei weitem nicht die finanziellen Mittel für Verkaufsfördermaßnahmen für Symbalance zur Verfügung gehabt wie dies z. B. bei Nestlé für die Markteinführung von
LC 1 der Fall gewesen sei. Im Januar/Februar 1996 erreichte Symbalance – nach
Informationen des Marktforschungsinstituts Nielsen – einen Marktanteil von 7 %
des Marktes für probiotischen Joghurt und Sauermilchprodukte in der Schweiz
(Jung 1996). Nach Aussagen verschiedener Interviewpartner ist der Marktanteil von
Symbalance-Joghurt auch in den kommenden Jahren nicht erheblich über diese
Marke gestiegen. Als ein wesentlicher Grund dafür wurde angesehen, dass es Swiss
Dairy Food nicht gelungen sei, eine Listung für Symbalance-Joghurt bei Coop zu
erreichen. In den letzten beiden Jahren sei zudem die Werbung für dieses Produkt
nahezu eingestellt worden. Aufgrund der unter den Erwartungen des Unternehmens
liegenden Absatzzahlen hat sich Swiss Dairy Food im Jahr 1999 entschlossen, den
Symbalance-Joghurt vom Schweizer Markt zu nehmen. Symbalance-Produkte werden allerdings noch in Japan in Lizenz gefertigt (European Dairy Magazine 1996).
Demgegenüber hat Swiss Dairy Food noch einen probiotischen Milch-Drink auf
dem Schweizerischen Markt, der als Sechserpack mit je 2,2 cl Fläschchen angeboten wird. Diese Milch-Drinks sind fünf probiotische Kulturen (u. a. Lactobacillus
reuteri, Bifido-Bakterien, Lactobacillus casei) sowie Inulin zugesetzt. Nach Aussagen von Interviewpartnern profitiert der probiotische Milch-Drink von Swiss Dairy
184
Food von der generellen Aufwärtsbewegung dieses Marktsegments in der Schweiz
in den letzten Jahren.
Die Toni-Gruppe wurde im Jahr 1993 als Zusammenschluss von fünf regionalen
Milchgenossenschaften (Bern, Basel, Waadt, Winterthur, Neuenburg) gegründet
und stellte im Jahr 1996 das größte Molkereiunternehmen der Schweiz mit einem
Umsatz von mehr als 1,8 Mrd. sFr und mehr als 2. 000 Beschäftigten dar (European
Dairy Magazine 1996). Rückwirkend zum 1. Januar 1999 hat sich die Toni AG und
die Säntis Milch AG zur Swiss Dairy Food AG zusammengeschlossen. Dieses neue
Unternehmen wird etwa 2,3 Mrd. sFr. umsetzen und rund 60 % der Schweizerischen Milch vermarkten (MilchNet-News 1999).
Seit Herbst 1999 bietet Novartis Consumer Health unter der Dachmarke AVIVA
eine Reihe von Produkten in der Schweiz an, die nach Angaben des Unternehmens
"eine wissenschaftlich nachgewiesene gesundheitserhaltende Wirkung haben" (Novartis 1999). Darunter befinden sich zwei Instant-Schokoladengetränke, die zum
einen durch Zusatz von Milchcalcium, Zink, Magnesium und Vitamin D3 die Erhaltung der Knochenmasse unterstützen sollen, zum anderen durch Anreicherung
mit löslichen Nahrungsfasern die Darmtätigkeit unterstützen sollen (Tab. 6.6).
6.3.2
Alkoholfreie Getränke
Neben Milchprodukten findet man auch auf dem Getränkemarkt Produkte, die neben der Zufuhr von Flüssigkeit einen gesundheitlichen Zusatznutzen für den Konsumenten proklamieren. Die Palette an Getränken mit Zusatznutzen ("Functional
Drinks") ist extrem breit, da dazu im Grunde alle mit Wirkstoffen angereicherten
Getränke zählen (Abb. 6.3). Dies bezieht sich nicht nur auf den Zusatz von bestimmten Stoffen zum Zwecke der Gesundheitsförderung sondern auch zur Erzielung eines bestimmten Erlebnisgefühles oder die Befriedigung der Bedürfnisse spezifischer Zielgruppen (z. B. Senioren, Sportler). Als Wirkstoffe mit spezifischem
Gesundheitsnutzen kommen vorrangig die bereits seit langem eingesetzten Vitamine (z. B. Vitamin A, B, C, E), Mineralstoffe und Nahrungsfasern zum Einsatz
(Klont 1999). Demgegenüber werden spezifisch entwickelte Wirkstoffe, die auf
eine ganz bestimmte Krankheit zugeschnitten sind und deren Wirksamkeit in wissenschaftlichen Untersuchungen nachgewiesen wurden, bislang noch kaum ve rwendet.
185
A
HC
A
EP
A/
DH
Funktionelle
Wirkstoffe
Sp
ort
ler
10
Sen
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n
g
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on
Segmente des Getränkemarktes mit Zusatznutzen
Osteop
orose
Abbildung 6.3:
Jahreszeit
Vitamine
Zielgruppe
Gesundheitsnutzen
Wellness
Situation
Quelle: Döhler zitiert in Klont 1999
Der Markt für alkoholfreie Getränke in der Schweiz ist von Stagnationstendenzen
gekennzeichnet. So war z. B. bei einem gleich bleibenden monetären Marktvolumen von etwa 800 Mio. sFr. der Gesamtkonsum von Süßgetränken in der Schweiz
im Jahr 1998 rückläufig. Vergleichbare Tendenzen findet man auch auf anderen
Segmenten des Marktes für alkoholfreie Getränke.
Ähnlich wie in anderen europäischen Ländern sind auch in der Schweiz eine Reihe
von alkoholfreien Getränken auf dem Markt, die einen gesundheitsbezogenen Zusatznutzen versprechen. Dabei handelt es sich vor allem um Getränke, die mit Vitaminen, Pflanzenextrakten und z. T. auch Mineralstoffen oder anderen Substanzen
angereichert werden (Tab. 6.7). Wichtige Akteure in diesem Feld sind Migros, die
eine ganze Reihe mit verschiedenen Substanzen angereicherte alkoholfreie Getränke anbieten, sowie Rivella, die mit "Bodyguard" ein typisches ACE-Fruchtsaftgetränk auf den Markt gebracht hat. Bei der Rivella AG, Rothrist, handelt es sich
um den zweitgrößten schweizerischen Getränkeproduzenten mit einem Umsatz von
111 Mio. sFr. im Jahr 1998 (Rivella 1999a). Mit "Rivella grün" wurde von demselben Unternehmen im Sommer 1999 ein neuer Soft Drink angeboten, der mit Grün-
186
tee-Extrakten angereichert ist (Rivella 1999b). Im Herbst 1999 brachte außerdem
Novartis Consumer Health einen Orangensaft auf den Schweizer Markt, der durch
Zusatz von Milchcalcium, Zink, Magnesium und Vitamin D3 die Erhaltung der
Knochenmasse unterstützen soll (Tab. 6.7). Daneben spielen noch die Anbieter
isotonischer Sport-Drinks (z. B. Novartis Consumer Health mit "Isostar") sowie von
Energy Drinks (wie z. B. "Red Bull") eine Rolle auf dem Markt von Getränken mit
einem besonderen Zusatznutzen.
Tabelle 6.7:
Beispiele für in der Schweiz angebotene Getränke mit gesundheitsbezogenen Anpreisungen (Stand Dezember 1999)
Unternehmen
Produktbezeichnung
"Funktionelle" Inhaltsstoffe
Coop
ACE-Drink
Vitamine A, C, E, Nahrungsfasern
Migros
Actilife Breakfast ACE
Vitamine A, C, E, Omega-3Fettsäure
Migros
Actilife Rosso C+E+Mg+Ca
Vitamine C, E, Magnesium, Calcium
Migros
Actilife Sun Di
Vitamine B, C, E, Nahrungsfasern
Migros
Actilife Tafelwasser, Green Tee Grüntee-Extrakt
Novartis Consumer
Health
AVIVA Bone Support (Orangensaft)
Milchcalcium, Zink, Magnesium,
Vitamin D3
Rivella
Bodyguard
Vitamine A, C, E
Rivella
Rivella grün (Tafelgetränke)
Grüntee-Extrakt
In verschiedenen Stellungnahmen zu der schriftlichen Befragung wurde auf den
beachtlichen Markterfolg von ACE-Drinks in der Schweiz verwiesen. In den durchgeführten Interviews und den vorliegenden Literaturstellen konnten allerdings keine
Angaben zu dem Marktvolumen von ACE- oder anderen "Health" Drinks in der
Schweiz ermittelt werden. Die befragten Experten gingen allerdings von einer zunehmenden Bedeutung von ACE-Drinks und insbesondere Getränken, die mit
Pflanzenextrakten angereichert werden, in der Schweiz aus. Da "Health" Drinks
auch in anderen europäischen Ländern ein bedeutendes Segment des Functional
Food-Marktes darstellen, wird im Folgenden ein kurzer Blick auf die Entwicklung
in Deutschland geworfen, da sich daraus möglicherweise interessante Parallelen für
die Schweizerische Situation ableiten lassen.
187
In Deutschland wird der gesamte Markt für Getränke mit Zusatznutzen (z. B. Tee-,
Kaffeegetränke, Energy Drinks, Wasser mit besonderen Zusätzen) auf etwa 5,5 %
des Marktes für alkoholfreie Getränke (mit einem monetären Marktvolumen von
etwa 12,2 Mrd. DM) im Jahr 1998 geschätzt (Vongehr 1999). Dabei konnten Ene rgy Drinks in den letzten Jahren deutliche Umsatzzuwächse verbuchen, wohingegen
der Verbrauch von Sportgetränken nach einem steilen Anstieg Anfang der 90erJahre seit etwa zwei Jahren in Deutschland deutlich zurückgeht (Lebensmittelze itung 1999b).
Demgegenüber erfreuen sich ACE-Getränke in Deutschland bereits seit mehreren
Jahren eines deutlichen Marktwachstums. Entgegen dem allgemeinen Trend bei
alkoholfreien Getränken konnten kohlensäurehaltige und stille Getränke mit Vitaminzusätzen im Jahr 1998 mit einem Plus von 72 % auf knapp 68 Mio. Liter sehr
stark zulegen (Vongehr 1999). Von dem gesamten Konsum an alkoholfreien Getränken entspricht dies allerdings erst einem Anteil von knapp 0,6 %. Demgege nüber liegt das monetäre Marktvolumen mit einem Umsatz von 129 Mio. DM im
Jahr 1998 bei etwas über 1 % des Marktes für alkoholfreie Getränke in Deutschland
(Lebensmittelzeitung 1999b). Der relativ große Markterfolg von ACE-Getränken
wird von Marktexperten im Wesentlichen darauf zurückgeführt, dass die deutschen
Konsumenten relativ gut über den Zusatznutzen der Vitamine A, C und E Bescheid
wissen, ohne dass dafür ein hoher Erklärungsaufwand betrieben werden müsste.
6.3.3
Cerealien, Back- und Süßwaren
Mit Ausnahme von Großbritannien und Belgien ist der Verzehr von Dauerbackwaren in Europa stagnierend oder rückläufig. Demgegenüber haben Cerealien aufgrund veränderter Eßgewohnheiten (z. B. häufigeren Zwischenmahlzeiten) sowie
zunehmendem Gesundheitsbewusstseins in den letzten Jahren in Europa einen
deutlichen Verbrauchsanstieg zu verzeichnen. Auch für die kommenden Jahre wird
ein steigender Konsum erwartet (Klont 1998).
Im Jahr 1998 wurden in der Schweiz 27.350 t Dauerbackwaren aus einheimischer
Produktion konsumiert. Gegenüber dem Vorjahr stieg die Verbrauchsmenge inländischer Produzenten damit um 5,6 %. Auch im Export konnten die Hersteller von
Dauerbackwaren in der Schweiz deutliche Zuwächse verzeichnen, da sich dieser
von 10.631 t im Jahr 1997 auf 13.600 t im Folgejahr deutlich erhöht hat (Lebensmittelzeitung 1999). Insgesamt befriedigen schweizerische Produzenten allerdings
nur etwa die Hälfte des einheimischen Marktes für Dauerbackwaren. Im Jahr 1997
wurden etwa 30.000 t Dauerbackwaren (dies entsprach 54 % des Verzehrsvolumens) importiert (Lebensmittelzeitung 1998c). Bei Süßwaren sind in der Schweiz
demgegenüber eher Sättigungstendenzen – oder in einzelnen Produktsegmenten
auch Verbrauchsreduktionen – zu erkennen. Dies gilt z. B. für den Tafelmarkt bei
188
Schokolade, der gegenüber 1997 einen Rückgang auf ein Marktvolumen von etwa
240 Mio. sFr. im Jahr 1998 zu verzeichnen hatte (Lebensmittelzeitung 1999e).
Auf dem Markt für Cerealien, Back- und Süßwaren in der Schweiz sind eine ganze
Reihe von Produkten vertreten, die einen gesundheitlichen Zusatznutzen versprechen (Tab. 6.8). Diese betreffen zunächst einmal Frühstückscerealien und Müslis,
die überwiegend mit Vitaminen oder Mineralstoffen angereichert werden. Diese
Produktgruppe erreichte 1998 gegenüber dem Vorjahr einen 12 %igen Anstieg ihres
Marktvolumens (Ruppelt 1999b). Als Anbieter treten große multinationale Konzerne wie Kelloggs, bedeutende Handelsunternehmen (Migros, Coop) sowie kleinere
spezialisierte Unternehmen auf.
Zur letztgenannten Gruppe zählt die Bio-Familia AG, die seit 1997 angereichertes
Müsli für das Functional Food-Segment liefert. Bio-Familia hat sich auf den Cerealien- und Kindernahrungsmarkt spezialisiert und ist nach Angaben aus den Experteninterviews in der Schweiz Marktführer in diesem Segment. Im Jahr 1997 startete
das Unternehmen mit einer mit Vitaminen und Mineralstoffen angereicherten Cerealienmischung unter dem Namen "c. m. plus". Als ursprüngliche Zielgruppe dieses Produkts seien Frauen ab etwa 20 bis 25 Jahren anvisiert worden, doch zeige
sich, dass zu erheblichen Anteilen auch Kinder und Männer c. m. plus essen. Im
Jahr 1998 wurden mehr als eine Million Beutel dieses Müslis verkauft, was einer
Produktionsmenge von fast 600 t entspricht. Nach Angaben des Unternehmens hatte
"c. m. plus einen sensationellen Markterfolg" (Lebensmittelzeitung 1999f) und war
im Jahr 1999 eines der drei am häufigsten verkauften Müslis in der Schweiz. An
diesen Erfolg möchte Bio-Familia mit dem seit Januar 1999 auf dem Schweizer
Markt erhältlichen Knuspermüsli "a. c. e. balance" anknüpfen, das mit den Vitaminen A, C und E angereichert ist. Mit diesem werde derzeit etwa ein Drittel des Umsatzes von c. m. plus erzielt. Zielgruppen für dieses Müsli seien Kinder und Erwachsene bis etwa 40 Jahre. Außerdem sei dieses Müsli für Getreide-, Nuss- und
Milch-Allergiker geeignet.
Im Herbst 1999 hat Novartis Consumer Health unter der Dachmarke AVIVA eine
Reihe von Functional Food-Produkten auf den Markt in der Schweiz gebracht, die
auf die drei "Gesundheitsfelder" Cholesterol-Control, Knochengesundheit und Verdauung abzielen. Für all diese Bereiche sind auch bereits Kekse, Getreidemischungen oder Riegel (Tab. 6.8) entwickelt worden, die nach Aussagen des Unternehmens "durch eine einzigartige Kombination von Inhaltsstoffen eine wissenschaftlich
nachgewiesene gesundheitserhaltende Wirkung ausüben" (Novartis 1999). Im Vergleich zu konventionellen Lebensmitteln werden AVIVA-Produkte etwa um den
Faktor 3 bis 4 teurer angeboten.
189
Tabelle 6.8:
Unternehmen
Beispiele von Cerealien, Back- und Süßwaren mit gesundheitsbezogenen Anpreisungen in der Schweiz (Stand Dezember 1999)
Produktbezeichnung
"Funktionelle" Inhaltsstoffe
Alimarca
Mehlmischung mit Omega-3-Fettsäuren
Omega-3-Fettsäure
Bio-Familia AG
a. c. e. balance (Frühstücksflocken)
Vitamine A, C, E, Inulin
Bio-Familia AG
c. m. plus (Frühstücksflocken)
Vitamin D, Calcium, Magnesium
Coop
Corn Flakes
Vitamine B1, B2, Niacin, B6,
Folsäure, B12
Kelloggs
All-Bran Flakes
Vitamine B1, B6, B12, C, E,
Folsäure, Eisen, Nahrungsfasern
Kelloggs
All-Bran Plus
Vitamine B1, B6, B12, C, E,
Folsäure, Eisen, Calcium, Nahrungsfasern
Kelloggs
Optima Fruit & Fibre
Nahrungsfasern
Kelloggs
Special K
Vitamine B1, B6, B12, C, Folsäure, Eisen
Migros
Actilife Provitamin A, Vitamine C +
E (knusprige Getreidemischung)
Vitamin A, C, E
Migros
Actilife Fit Flakes
Vitamine, Eisen
Migros
Actilife Kinderbiscuit + Vitamine
Vitamine
Migros
Actilife Toffee Grapefruit Grüntee
Grüntee-Extrakt
Migros
Actilife Toffee Orange/Karotte
Vitamine, Pflanzenextrakte
Migros
Actilife Toffee Pfirsich ACE
Vitamine A, C, E
Migros
Actilife Verdauungsgebäck
Nahrungsfasern
Morga
Val Farella (Teigwaren)
Beta-Carotin, Vitamin E; Omega-3-Fettsäuren
Nestlé
Clusters
Vitamine, Eisen
Novartis Consumer Health
AVIVA Cholesterol Control (Getreidemischung)
Hafer-Betaglucane, Isoflavone,
Vitamin C, E
190
Fortsetzung Tabelle 6.8:
Unternehmen
Produktbezeichnung
"Funktionelle" Inhaltsstoffe
Novartis Consumer Health
AVIVA Cholesterol Control (Getreideriegel)
Novartis Consumer Health
AVIVA Cholesterol Control (Kekse) Hafer-Betaglucane, Isoflavone,
Vitamine C, E
Novartis Consumer Health
AVIVA Bone Support (Riegel)
Milchcalcium, Zink, Magnesium,
Vitamin D3
Novartis Consumer Health
AVIVA Digestive Balance (Getreidemischung)
Nahrungsfasern
Novartis Consumer Health
AVIVA Digestive Balance (Kekse)
Nahrungsfasern
Unilever
Panactif (Brotmischung)
Calcium, Nahrungsfasern
Hafer-Betaglucane, Isoflavone,
Vitamin C, E
Eine weitere Produktgruppe, die insbesondere nach den Aussagen in einzelnen
Stellungnahmen zu der schriftlichen Befragung eine relativ hohe Bedeutung in der
Schweiz zukommt, sind mit Zusatzstoffen angereicherte Mehlmischungen und das
daraus hergestellte Brot. In einzelnen Stellungnahmen und Artikeln wird von einem
"überragenden" Markterfolg dieser Produkte gesprochen, ohne diesen allerdings
näher zu quantifizieren. Dazu waren auch die befragten Experten nicht in der Lage.
Als wichtigste Produkte wurden von diesen Brote, die mit Folsäure und spezifischen Nahrungsfasern angereichert sind, sowie Brote mit Zusatz von Omega-3Fettsäuren genannt.
Die Firma Alimarca, Burgdorf, vertreibt seit Februar 1999 als erstes Unternehmen
in der Schweiz eine mit Omega-3-Fettsäuren angereicherte Mehlmischung
(Tab. 6.8). Gemäß Deklaration sollen zwei Scheiben des damit gebackenen Brotes
etwa 35 % des Tagesbedarfs an Omega-3-Fettsäuren decken, mit denen die schweizerische Bevölkerung oft unterversorgt ist (Brun 1999). Obwohl das Produkt erst
seit relativ kurzer Zeit auf dem Markt ist, hat das daraus hergestellte Brot bereits
eine beachtliche Marktbedeutung erlangt, wie neben den Literaturangaben (Brun
1999) auch einige der eingegangenen schriftlichen Stellungnahmen bestätigen. Damit folgt die Schweiz dem Beispiel anderer europäischer Länder wie z. B.
Deutschland, wo neben mit Omega-3-Fettsäuren auch mit Nahrungsfasern, mit Prebiotika und Calcium angereicherte Brote auf dem Markt sind.
Eine steigende Bedeutung wird darüber hinaus auch für Müsliriegel mit spezifischem Gesundheitsnutzen prognostiziert (O’Carroll 1999). Entsprechende Produkte
191
sind ebenfalls schon vereinzelt auf dem Schweizerischen Markt erhältlich
(Tab. 6.8).
6.3.4
Sonstige Lebensmittel
Neben den bereits analysierten Marktsegmenten findet man einzelne Produkte mit
gesundheitsfördernden Eigenschaften in nahezu allen Bereichen des Lebensmittelmarktes. Oftmals werden allerdings die spezifischen Gesundheitswirkungen nicht
besonders herausgestellt, so dass solche Produkte in Marktuntersuchungen zu
Functional Food zumeist nicht enthalten sind. Außerdem bestehen gesetzliche Beschränkungen zur Anpreisung bestimmter Wirkungen. Deshalb erreichen die relevanten Produkte häufig auch nur ein begrenztes Absatzvolumen.
Bei Margarine, Speiseölen und Streichfette sind in der Schweiz derzeit zwar nur
eine begrenzte Zahl an Produkten mit proklamiertem Gesundheitsnutzen auf dem
Markt (Tab. 6.9), doch werden einzelnen in der Entwicklung oder Markteinführung
befindlichen Produkten günstige Wachstumsaussichten bescheinigt. Dies gilt insbesondere für pflanzliche Fette, die zur Gruppe der Sterine gehören, und cholesterinsenkend wirken sollen (vgl. Kap. 4.2.4). Besonders weit fortgeschritten in diesem
Segment ist das finnische Unternehmen Raisio Oy, das bereits seit 1995 in Skandinavien eine cholesterinsenkende Margarine unter dem Markennamen "Benecol"
vertreibt. Im Jahr 1997 ging Raisio eine Kooperation mit dem US-Konsumgüterund Pharmakonzern Johnson & Johnson ein mit dem Ziel, eine ganze Familie solcher Produkte in den USA, Kanada und Mexiko auf den Markt zu bringen. Die ursprünglich vorgesehene Strategie, Produkte, die die wirksamen Phytosterine enthalten, als Nahrungsergänzungsmittel in den USA zu vermarkten, wurden nach Interventionen der Zulassungsbehörde FDA dahingehend geändert, dass seit Beginn
des Jahres 1999 erste Benecol-Margarinevarianten in Testmärkten in den USA verkauft werden (Raisio Group 1999b). Im März 1998 wurde die Zusammenarbeit von
Raisio und Johnson & Johnson auch auf die Vermarktung von Benecol in Europa
und Japan ausgedehnt (Raisio Group 1999a).
Der niederländisch/britische Lebensmittelkonzern Unilever hat eine Klage gegen
die Vermarktung von Benecol in den Niederlanden angestrengt, da Unilever die
Rechte der eigenen "Becel"-Margarine gefährdet sieht (Raisio Group 1999c). Im
Oktober 1999 musste Johnson & Johnson den zuvor in den Niederlanden eingeführten "Benecol"-Brotaufstrich wieder vom Markt nehmen, da dessen Zulassung
beim Gesundheitsministerium nicht beantragt worden war und bei Verzehr von
cholesterinsenkender Margarine zusammen mit "Benecol" nachteilige Auswirkungen auf die Gesundheit des Konsumentens nicht auszuschließen sind (Lebensmittelzeitung 1999i).
192
Die Unilever-Tochter Lipton-Sais hat im Sommer 1999 eine Margarine unter dem
Markennamen "Becel-Proactiv" in der Schweiz in den Markt eingeführt, die eine
cholesterinsenkende Wirkung hat (Tab. 6.9). Außerdem bietet Swiss Dairy Food
eine Butterzubereitung (Spread) mit 63 % Butter sowie Zusatz von Rapsöl (als Träger von kurzkettigen Omega-3-Fettsäuren) und Leinöl (enthält α-Linolensäure) an.
Für diese Butterzubereitung werden keine speziellen Claims erhoben, doch wird auf
der Packung vermerkt, dass sie mit Omega-3-Fettsäuren angereichert ist (Tab. 6.9).
Daneben werden insbesondere von Migros unter der Dachmarke "Actilife" zusätzliche Produkte vertrieben, die einen gesundheitlichen Zusatznutzen versprechen. Ein
Beispiel dafür ist eine mit Omega-3-Fettsäuren, Vitaminen und Nahrungsfasern
angereicherte Gemüsemischung oder Omega-3-Eier, die cholesterinsenkend wirken
sollen (Tab. 6.9). Nach Aussage des Unternehmens erzielt Migros mit Omega-3Eiern einen jährlichen Umsatz von 1,5 Mio. sFr. Omega-3-Eier werden auch von
Coop angeboten. Die von der Unilever-Tochter Pierrot-Lusso angebotene Tiefkühlgemüsemischung "Vivactiv", die mit Vitaminen und Nahrungsfasern angereichert
ist, will deren Geschäftsführer "nur im weitesten Sinn als Functional Food verstanden" wissen (Schär 1999), da die Konsumenten kaum bereit seien, dafür einen besonderen Preis zu bezahlen.
Tabelle 6.9:
Unternehmen
Beispiele von sonstigen Lebensmitteln mit gesundheitsbezogenen
Anpreisungen in der Schweiz (Stand Dezember 1999)
Produktbezeichnung
"Funktionelle" Inhaltsstoffe
Coop
Omega-3-Eier
Omega-3-Fettsäuren
Migros
"Actilife" Gemüsemischungen
Omega-3-Fettsäuren, Nahrungsfasern, Vitamine
Migros
Vital Omega-3-DHA Eier
Omega-3-Fettsäuren
Lipton-Sais
(Unilever)
Becel-Proactiv
Pflanzensterine, Vitamin E
Lipton-Sais
(Unilever)
Becel-Sonnenblumenöl
Vitamin A, D, E
Pierrot-Lusso
(Unilever)
Vivactiv-Tiefkühlgemüse
Vitamine, Nahrungsfasern
Swiss Dairy
Food
Omega-3-Butter (Butterzubereitung)
Omega-3-Fettsäure, Leinöl
Ein wichtiger Zulieferer für Lebensmittelunternehmen, die Functional Food auf den
Markt bringen wollen, stellt die Multiforsa AG, Steinhausen, dar, die auf der Basis
193
von Weizenkeimen ein patentrechtlich geschütztes Produkt ("Biogerm") anbietet,
das in einer ganzen Reihe von Lebensmittelprodukten (z. B. Joghurt, Teigwaren,
Cerealien, Müsliriegel) eingesetzt werden kann. Aufgrund der natürlichen Inhaltsstoffe des Weizenkeimes (z. B. hoher Gehalt an Vitamin B1, B6, E, Folsäure sowie
einer Reihe von Mineralstoffen) kommt dieses Produkt den Anforderungen an
Functional Food entgegen (Lebensmittelzeitung 1999h).
6.4
Einflussfaktoren für zukünftige Marktentwicklung
Für die zukünftige Entwicklung des Marktes für Functional Food sind nicht nur die
unmittelbar auf dieses Marktsegment wirkenden Einflussfaktoren, sondern zum
einen alle diejenigen Parameter relevant, die die Nachfrage nach Lebensmitteln generell beeinflussen, zum anderen aber auch diejenigen sozioökonomischen Faktoren, die das Angebot und das Nachfrageverhalten nach Functional Food indirekt
mitbestimmen. Aus diesem Grunde werden im Folgenden diese beiden Gruppen
kurz analysiert. Anschließend wird auf den Bekanntheitsgrad und die Akzeptanz
von Functional Food eingegangen.
6.4.1
Generelle Einflussfaktoren
Nach Aussagen von Marktforschern gewinnen bei den Konsumenten in der Schweiz
die folgenden Aspekte steigende Bedeutung beim Kauf von Lebensmitteln (Ruppelt
1999b):
•
Bequemlichkeit (Convenience, Fun Food)
•
Gesundheit (Wellness, Functional Food, Natural Food)
•
Geschmack (Frische, Geschmack, Ethnic Food)
•
Qualität der Produkte
•
Verantwortung für Umwelt und Entwicklungsländer
Neben den generellen Einflussfaktoren des Kaufverhaltens von Lebensmitteln haben für die zukünftige Marktentwicklung von Functional Food auch alle diejenigen
sozioökonomischen Faktoren und Entwicklungen eine Bedeutung, die das Angebot
und die Nachfrage nach diesen Produkten bestimmen. In diesem Zusammenhang
werden vorrangig die folgenden Aspekte genannt (Klont und Mannion 1998):
•
Die Wahrnehmung und die wissenschaftliche Fundierung des Zusammenhangs
zwischen Ernährung und Gesundheit ist in den meisten europäischen Ländern
im Steigen begriffen.
194
•
Verschiebungen in der Altersstruktur der Bevölkerung führen zu einer steige nden Nachfrage nach Leistungen des Gesundheitswesens, die begleitet werden
von Kostensenkungsbestrebungen in diesem Bereich.
•
In den meisten Ländern in Europa sind die Konsumenten interessiert an Fragen,
die Ernährung und Gesundheit betreffen, und werden dies auch in Zukunft sein.
•
Einzelne Konsumentengruppen sind von den Ergebnissen der konventionellen
Schulmedizin enttäuscht und wenden sich mehr und mehr Präventionsstrategien,
der Selbstmedikation und der alternativen Medizin zu.
•
(Bio-)technologische Ansätze ermöglichen die verstärkte Entwicklung von
Functional Food.
•
Es gibt Anzeichen dafür, dass in Zukunft gesundheitsbezogene Aussagen in
größerem Umfang als in der Vergangenheit beim Marketing von Functional
Food verwendet werden können43.
6.4.2
Bekanntheitsgrad von Functional Food
Nach einer Befragung des britischen Markt- und Meinungsforschungsinstitutes
Leatherhead Association ist der Begriff "Funktionelle Lebensmittel" bzw. Functional Food bei Hausfrauen in Europa noch relativ unbekannt. In Deutschland geben
nur 26 % der Befragten an, diesen Begriff zu kennen, verglichen mit 20 % in Großbritannien und 10 % in Frankreich (Tab. 6.10). Trotz dieses relativ geringen Bekanntheitsgrades wird das Konzept, Lebensmittel mit gesundheitsfördernden Inhaltsstoffen anzureichern, von der Mehrzahl der Konsumenten befürwortet. Dies
zeigt sich sehr deutlich in einer entsprechenden Zustimmungsrate von über 55 % in
jedem der drei befragten Länder (Abb. 6.4). Bei dieser Befragung wurde eine besonders hohe Zustimmung für Inhaltsstoffe natürlichen Ursprungs festgestellt (Hilliam 1999a). Allerdings wurden auch gewisse Bedenken hinsichtlich der Möglichkeit einer Überdosierung zugefügter Wirkstoffe geäußert sowie die Notwendigkeit
der Anreicherung bei einer gesunden, ausgewogenen Ernährungsweise hinterfragt.
Tabelle 6.10:
Bekanntheitsgrad von Functional Food in verschiedenen Ländern
im Jahr 1998
Ausdruck "Functional
Food" bekannt
Zahl der Befragten
ja
nein/weiß nicht
Großbritannien
Frankreich
Deutschland
203
20 %
80 %
199
10 %
90 %
202
26 %
74 %
Quelle: Hilliam 1999a
43 Sofern entsprechende gesetzliche Regelungen getroffen werden.
195
Innerhalb der verschiedenen Wirkstoffklassen wird der höchste Bekanntheitsgrad
bei den eher traditionellen Vitaminen und Mineralstoffen (insbesondere Calcium
und Eisen) registriert. Dies gilt auch für ungesättigte Fettsäuren (in Großbritannien
und Deutschland), Nahrungsfasern (in Frankreich und Großbritannien) sowie Bifidobakterien/Lactobacillus johnsonii in Frankreich (Hilliam 1999a). Auch Omega-3Öle und Fettsäuren verfügen über einen gewissen Bekanntheitsgrad in den drei untersuchten Ländern, wohingegen neuere Inhaltsstoffe wie Choline, Phytoöstrogene
oder Prebiotika nur wenig bekannt sind.
Abbildung 6.4:
Zustimmung zur Anreicherung von Lebensmitteln mit "funktionellen" Wirkstoffen im Jahr 1998
100%
90%
21%
23%
30%
80%
70%
20%
60%
48%
50%
Starke Zustimmung
Zustimmung
36%
Unentschieden
29%
40%
Ablehnung oder
starke Ablehnung
30%
20%
17%
23%
28%
10%
14%
11%
Großbritannien
Frankreich
0%
Deutschland
Quelle: Hilliam 1999a
Ähnlich wie die Anreicherung von Lebensmitteln erzielt auch das Konzept Functional Food hohe Zustimmungsraten in entsprechenden Umfragen. Bei einer Befragung von Hausfrauen in Großbritannien, Frankreich und Deutschland konnten sich
mehr als drei Viertel aller Befragten einen Kauf solcher Lebensmittel vorstellen
(Hilliam 1999a). Mehr als die Hälfte stimmten auch der Aussage zu, dass Functional Food ihren Gesundheitszustand verbessern würden.
Auch in den USA, in denen Functional Food und Nahrungsergänzungsmittel in größerem Umfang als in Europa auf dem Markt sind, sind diese Begriffe einem Großteil der Konsumenten nicht bekannt. Nach der im Jahr 1996 durchgeführten "National Study of Public Attitudes and Actions toward Shopping and Eating", bei der
eine repräsentative Stichprobe von mehr als 2.000 Konsumenten befragt wurde,
gaben mehr als 80 % der Befragten an, den Begriff "Nutraceuticals" nicht zu ken-
196
nen. Den Ausdruck "Functional Food" haben mehr als die Hälfte der Bevölkerung
(51 %) noch nicht gehört, wohingegen etwa ein Drittel angaben, sehr gut oder gut
über "funktionelle" Lebensmittel informiert zu sein (Gilbert 1997).
Trotz des geringen Bekanntheitsgrades der Begriffe "Functional Food" und "Nutraceuticals" sind sich Konsumenten durchaus der Bedeutung spezifischer Lebensmittel für eine gesundheitsbewusste Ernährung oder der Reduktion eines bestimmten
Krankheitsrisikos bewusst. Dies zeigt sich auch in der oben zitierten Konsumentenbefragung in den USA, bei der 82 % der Befragten über den Zusammenhang zwischen Brokkoliverzehr und Krebsprävention gehört hatten gefolgt von den "funktionellen" Wirkungen von Sojaprodukten und Tomaten (Abb. 6.5). Von Seiten der
angesprochenen Körperfunktionen oder Krankheiten sind Käufer von Functional
Food am meisten an Produkten interessiert, die das Immunsystem anregen, oder der
Verhinderung von Krebs dienen (Gilbert 1997).
Abbildung 6.5:
Bewusstsein der amerikanischen Konsumenten über den Zusammenhang zwischen bestimmten Lebensmitteln und einer gesundheitsbewussten Ernährung
Brokoli und Prävention
von Krebs
21%
Ginseng und Energie
10%
25%
Sojaprodukte und
Verringerung des
Cholesteringehaltes
5%
18%
Ginko und Gedächtnis
5%
17%
Sojaprodukte und
Prävention von Krebs
5%
16%
Funktionelle Lebensmittel
4%
19%
Tomaten/Sauce und
Prävention von Krebs
5%
Phytochemikalien in
Obst und Gemüse
3%
1%
Nutraceuticals
0%
5%
39%
22%
35%
29%
29%
48%
29%
49%
28%
51%
26%
18%
51%
24%
11%
53%
22%
64%
13%
10%
viel gehört
Quelle: Gilbert 1997
17%
80%
20%
30%
40%
etwas gehört
50%
60%
70%
wenig gehört
80%
90%
unbekannt
100%
197
6.4.3
Akzeptanz von Functional Food
Spezifische, öffentlich zugängliche Untersuchungen zur Akzeptanz von Functional
Food in der Schweiz liegen nicht vor. Da allerdings z. B. bei Befragungen zum Einsatz der Gentechnik in der Lebensmittelproduktion und -verarbeitung gewisse Parallelen zwischen der Situation in der Schweiz und Deutschland festzustellen sind,
werden im Folgenden einige Informationen zu den diesbezüglichen Erkenntnissen
in Deutschland vermittelt, da diese interessante Anregungen für die Schweiz zu
geben vermögen.
Im Gegensatz zum Einsatz der Gentechnik bei der Lebensmittelproduktion und
-verarbeitung scheinen deutsche Konsumenten gegenüber Functional Food deutlich
positiver eingestellt zu sein. Nach einer repräsentativen Befragung der GfKMarktforschung im Jahr 1998 halten 38 % der Befragten Vitaminzusätze für "sehr
nützlich", weitere 36 % für "eher nützlich" (Abb. 6.6). Eine ähnliche Zustimmung
erfahren Mineralstoffe (Mengenelemente), bei denen 29 % der Befragten eine Aufstockung über das naturgegebene Maß hinaus für "sehr nützlich" und 45 % für "eher
nützlich" einstufen. Bei weiteren Zusatzstoffen wie Spurenelementen oder Carotinoiden nimmt die Zustimmung etwas ab. Den erst seit relativ kurzer Zeit durchgeführten Zusatz probiotischer Kulturen empfindet etwa jeder Fünfte als "sehr nützlich". Ebenso viele halten dies allerdings auch für "eher überflüssig". Bei Flavono iden kehrt sich das Zustimmungsmuster weitgehend um, da nur 5 % diese Stoffgruppe für "sehr nützlich" und 14 % für "eher nützlich" ansieht, obwohl von wissenschaftlicher Seite den Flavonoiden ein großes gesundheitsförderndes Potential
zugeschrieben wird, das auf verschiedene Krankheiten wirkt. Die geringe Zustimmungsrate für Flavonoide in der Bevölkerung sollte nicht im Sinne einer weitgehenden Ablehnung interpretiert werden, sondern dürfte eher darauf zurückzuführen
sein, dass der Begriff und die damit verknüpften gesundheitlichen Wirkungen weitgehend unbekannt sind, was sich auch in der Befragung der GfK zeigt.
198
Abbildung 6.6:
Beurteilung von Functional Food in Deutschland im Jahr 1998
% aller Befragten halten Anreicherung mit folgenden Zusatzstoffen für
sinnvoll/nützlich
100%
5%
17%
90%
20%
17%
29%
80%
sehr nützlich
14%
38%
eher nützlich
70%
43%
60%
50%
36%
30%
41%
eher überflüssig
45%
36%
20%
40%
22%
30%
20%
10%
0%
21%
sehr überflüssig
20%
7%
16%
6%
4%
Vitamine
16%
8%
31%
8%
5%
5%
11%
11%
Mineralstoffe
Spurenelemente
Probiotische
Kulturen
18%
Carotinoide
kenne den
Zusatz nicht
Flavonoide
Quelle: GfK-Marktforschung zitiert in Lebensmittelzeitung 1998b
In der Schweiz bestätigten die befragten Experten die aus Bevölkerungsumfragen
anderer Länder vorliegenden Erkenntnisse eines relativ geringen Bekanntheitsgrades von Functional Food sowie der hohen Akzeptanz insbesondere für länger bekannte "funktionelle" Wirkstoffe. Bei neueren Wirkstoffen wird vermutet, dass die
Akzeptanz auch in der Schweiz etwas tiefer liegt, da bei unbekannten Produkten
Konsumenten dazu tendieren, eher die Risiken als die Vorteile zu sehen.
Nach Auskunft mehrerer der befragten Experten würde ein erheblicher Teil der Bevölkerung in der Schweiz dazu neigen, Functional Food und gentechnisch veränderte Lebensmittel mehr oder weniger gleichzusetzen. Dies sei insofern kein Widerspruch zu den festgestellten hohen Akzeptanzraten für einzelne Wirkstoffe, da diese
oft nicht unter dem Überbegriff "Functional Food" subsummiert werden. Langfristig sei diese Einordnung von Functional Food in der Nähe der Gentechnik als eine
gewisse Gefahr für deren wirtschaftlichen Erfolg anzusehen, da die Anwendung
gentechnischer Methoden und Verfahren in der Lebensmittelproduktion und -verarbeitung in der Schweiz von der Mehrzahl der Bevölkerung abgelehnt werde.
Functional Food, die aus gentechnisch veränderten Pflanzen hergestellt werden,
dürften nach Einschätzung der befragten Experten eine "sehr schwere Anlaufzeit" in
der Schweiz haben, auch wenn deutliche Vorteile für den Konsumenten damit ve rbunden seien. Es sei anzunehmen, dass die Produzenten bei solchen Produkten ve rsuchen würden, einen anderen Aspekt in der Information in den Vordergrund zu
199
stellen und die gentechnische Komponente in der Kommunikation weitgehend zu
vermeiden.
6.5
Anforderungen an erfolgreiche Akteure
Auf dem europäischen Markt für Functional Food sind derzeit im wesentlichen einige multinationale Lebensmittelkonzerne, spezialisierte Nischenanbieter mit mittelständischem Charakter sowie einzelne Discounter (mit Handelsmarken) vertreten.
Bislang gibt es allerdings nur vereinzelte international vermarktete Produkte mit
gesundheitsfördernden Eigenschaften, die überwiegend von multinationalen Lebensmittelkonzernen vertrieben werden. In der Regel haben auch nur diese Unternehmen die Ressourcen, die für aufwendige eigene FuE-Arbeiten, die Markteinführung neuer Produkte in bislang noch nicht existierenden Segmenten sowie die notwendigen Marketingmaßnahmen zur Sicherstellung des dauerhaften Markterfolgs
erforderlich sind.
Wie die bereits seit einigen Jahren existierenden Produktsegmente probiotische
Milchprodukte und ACE-Drinks zeigen, folgen diesen "Trendsettern" in der Regel
kleine und mittelständische Unternehmen nach, die einen erfolgreichen Produkttrend nachahmen und eigene Produkte auf den Markt bringen. Eine solche
Strategie ist für viele mittelständische Unternehmen durchaus Erfolg versprechend
und wirtschaftlich profitabel, da oftmals die Investitionen für die notwendige Produktentwicklung und -vermarktung sich in einem begrenzten Rahmen bewegen und
bei entsprechendem Marktwachstum in relativ kurzer Zeit wieder hereingespielt
werden können. Einige der in der Schweiz bei Functional Food aktiven mittelständischen Unternehmen, insbesondere im Getränke- und Cerealiensektor, schlagen
eine ähnliche Strategie ein.
Damit kleine und mittelständische Unternehmen der Lebensmittelindustrie, die in
der Regel nur sehr begrenzte eigene FuE-Arbeiten betreiben, innovative Produkte
auf den Markt bringen können, sind sie auf entsprechende Angebote der Zulieferindustrie angewiesen. Auch im Bereich von Functional Food kommt der Zulieferindustrie eine wichtige Rolle für die zukünftige Marktentwicklung und der Entwicklung neuer Produkte zu. In der Schweiz sind einige Unternehmen sowohl mit multinationalen als auch mittelständischem Charakter tätig, die einen Schwerpunkt ihrer
Aktivitäten auf "funktionelle" Wirkstoffe legen. Aufgrund des begrenzten Volumens des Marktes in der Schweiz sind diese Zulieferunternehmen mehr oder weniger stark international ausgerichtet. Dies hat zur Folge, dass diese Unternehmen bei
der Entwicklung ihrer Wirkstoffe internationale Kooperationen mit den weltweit
führenden Experten auf einem bestimmten Gebiet eingehen und die spezifischen
Interessen der Lebensmittelindustrie in der Schweiz nur in begrenztem Maße Eingang in die Geschäftsaktivitäten dieser Unternehmen finden.
200
Neben großen Lebensmittelkonzernen haben in den letzten Jahren auch zunehmend
Pharma- und Biotechnologieunternehmen versucht, auf dem Markt für Functional
Food Fuß zu fassen. Ein Beispiel dafür ist Novartis, das im Januar 1998 die weltweiten Rechte für ein aus Pflanzen gewonnenes Sterol von dem Biotechnologieunternehmen Forbes Medi-Tech erwarb. Novartis Consumer Health hat unter dem
Markennamen AVIVA im Jahr 1999 bereits einige Functional Food-Produkte in
den Schweizer Markt eingeführt, die auch international vermarktet werden sollen.
Ein anderes Beispiel ist Johnson & Johnson, das im Sommer 1997 eine Partne rschaft mit dem finnischen Unternehmen Raisio einging, die Benecol, ein cholesterinsenkendes Pflanzenfett herstellen, um dieses in den USA zu vermarkten. Daneben haben von den international tätigen Unternehmen der Pharma- und Agrochemieindustrie z. B. auch noch Monsanto, Abbott Laboratories, DuPont, Warner La mbert oder American Home Products in den letzten Jahren in den Bereich Nahrungsergänzungsstoffe und Functional Food investiert (Brower 1998). Dasselbe gilt auch
für eine Reihe kleinerer Biotechnologieunternehmen, wie z. B. Genzyme Transgenics, PPL Therapeutics, Pharming, Martek Biosciences oder Interneuron.
Von den europäischen "Life-Sciene-Unternehmen" hat im Jahr 1999 insbesondere
die BASF AG angekündigt, ihr Angebot an "funktionellen" Lebensmittelzusatzstoffen durch eine Reihe von Neuentwicklungen zu verbreitern und erheblich auszudehnen (Hofmann 1999). Außerdem ist die Roche AG, bereits derzeit der Weltmarktführer bei Vitaminen, an einem Ausbau der Aktivitäten im Bereich Nahrungsergänzungs- und Lebensmittelzusatzstoffe interessiert.
Ein eindrucksvolles Beispiel für das erfolgreiche Agieren eines wissenschaftsbasierten Biotechnologieunternehmens im Bereich Functional Food liefert das schwedische Biotechnologieunternehmen BioGaia, das die von ihm entwickelte probiotische Starterkultur Lactobacillus reuteri sehr erfolgreich vermarktet. Seit seiner
Gründung im Jahr 1990 hat BioGaia etwa 20 Mio. US$ in Forschungs- und Entwicklungsarbeiten für diese Starterkultur investiert. Das Unternehmen besitzt die
weltweiten Patente für eine ganze Familie probiotischer Milchsäurebakterien, die an
Lizenzpartner exklusiv für ein bestimmtes Anwendungsfeld (z. B. Joghurt) und ein
definiertes Gebiet vergeben werden. Lizenzpartner von BioGaia umfassen derzeit
Gesellschaften wie Stoneyfield Farms (einer der Marktführer für Bioprodukte in
den USA), Swiss Dairy Food in der Schweiz, bedeutende Hersteller von Milchprodukten in Skandinavien sowie Produzenten von Nahrungsergänzungsmitteln in den
USA (Heasman und Mellentin 1999). Die Symbalance-Linie von Swiss Dairy Food,
die im Jahr 1995 auf den Markt in der Schweiz gebracht wurde, enthält u. a. die von
BioGaia entwickelte probiotische Kultur Lactobacillus reuteri.
Von den befragten Experten wurden keine forschungsorientierten Biotechnologieunternehmen in der Schweiz genannt, die sich in hohem Maße auf die Entwicklung
von Inhaltsstoffen für Functional Food konzentrieren. Eine gezielte Entwicklungsund Vermarktungsstrategie für "funktionell" wirksame Lebensmittelinhaltsstoffe –
201
wie am Beispiel BioGaia beschrieben – wird nach den derzeit vorliegenden Erkenntnissen von keinem Schweizerischen Biotechnologieunternehmen angestrebt
und durchgeführt, obgleich dieses Feld als zukunftsträchtig und kommerziell aussichtsreich erscheint.
Ein wesentlicher Grund für das wachsende Engagement von Pharma- und Biotechnologieunternehmen im Markt für Functional Food ist zum einen in den fallenden
Margen auf dem Pharmamarkt – nicht zuletzt aufgrund der weltweit steigenden
Bemühungen um eine Kostenbegrenzung im Gesundheitswesen – aber auch in den
deutlich geringeren Investitionsvolumina und der kürzeren Zeit bis zur Markteinführung bei Nahrungsergänzungsmitteln und Functional Food zu sehen. Während
bei Pharmazeutika oftmals mit zehn Jahren Zeitdauer und einem erforderlichen Investitionsvolumen von 300 bis 600 Mio. US$ gerechnet wird, bis ein Präparat auf
dem Markt ist, liegt diese Zeitspanne bei Nahrungsergänzungsmitteln in der Größenordnung von ein bis drei Jahren und einem Investitionsvolumen von maximal
einigen 10 Mio. US$. In der Literatur wird sogar über einzelne Beispiele berichtet,
in denen in weniger als zehn Monaten ein Wirkstoff entwickelt und auf den Markt
eingeführt wurde (Brower 1998).
Von den befragten Experten in der Schweiz wurde die Einschätzung geteilt, dass in
Zukunft auch zunehmend Unternehmen der pharmazeutischen Industrie Functional
Food als interessantes Geschäftsfeld entdecken würden. Kritisch wurde allerdings
angemerkt, dass bei vielen dieser Unternehmen Functional Food ein Spin-off der
Aktivitäten zur pharmazeutischen Wirkstoffsuche sei und viele Pharmaunternehmen
die Einschätzung hätten, dass sie die bereits vorliegenden Daten für einen bestimmten Wirkstoff auch im Lebensmittelbereich einsetzen könnten. Diese Vorgehensweise wurde allerdings von der Mehrzahl der befragten Experten als nur bedingt erfolgsversprechend angesehen, da es notwendig sei, die Besonderheiten des
Lebensmittelmarktes zu kennen und zu berücksichtigen. So sei z. B. ein gesunder
Konsument – und auf den ziele Functional Food im allgemeinen ab – nur mit besonderen Anstrengungen von der Notwendigkeit einer Prävention für eine möglicherweise in der Zukunft auftretenden Krankheit zu überzeugen. Daher vertraten
die meisten der befragten Experten die Auffassung, dass die gängige Vorgehensweise eines pharmazeutischen Unternehmens, die Krankheit in den Mittelpunkt zu
stellen, ein relativ hohes Risiko auf dem Markt für Lebensmittel beinhalten würde.
Aufgrund dieser Besonderheiten des Lebensmittelmarktes äußerten mehrere der
befragten Experten die Einschätzung, dass viele Unternehmen der pharmazeutischen Industrie zwar versuchen würden, bei Functional Food Fuß zu fassen, aber
auch relativ schnell dieses Bestreben wieder aufgeben würden, nicht zuletzt auch
deshalb, da die meisten Pharmaunternehmen deutlich höhere Gewinnmargen als
10 % erwarten, die bei Functional Food nach Experteneinschätzung maximal erzielbar erscheinen.
202
Führende Hersteller von Lebensmittelzusatzstoffen setzen zwar auf "seriöse" wissenschaftliche Studien, um den gesundheitlichen Nutzen der Wirkstoffe zu belegen,
scheuen aber in der Regel die aufwendigen klinischen Untersuchungen, die für die
Zulassung von Pharmazeutika verlangt werden. Damit sind zu einen hohen Teil
auch die geringeren Kosten bis zur Markteinführung zu erklären, da bei Nahrungsergänzungsmitteln – im Gegensatz zu Pharmazeutika – die klinische Wirksamkeit in
der Regel nicht nachgewiesen werden muss und daher nur relativ geringe Kosten
für klinische Studien anfallen.
6.6
Anforderungen an das Marketing von Functional Food
Mit Ausnahme von probiotischen Milchprodukten, bei denen internationale Markenartikel und -familien von großen multinationalen Lebensmittelkonzernen (vo rrangig Nestlé und Danone) auf den Markt gebracht wurden, verlief die Marktentwicklung bei Functional Food in Europa bislang eher fragmentarisch. Dies zeigt
sich zum Beispiel daran, dass viele Marken zumeist nur in einem oder wenigen europäischen Ländern eingeführt wurden. Außerdem wurden sowohl von Marktführern als auch von spezialisierten Nischenanbietern in der Regel nur einzelne Produkte aber kaum abgerundete Markenfamilien auf den Markt gebracht (Hilliam
1999a).
Ähnlich wie bei Lebensmitteln im Allgemeinen ist der Markt für Functional Food –
trotz seines registrierten Wachstums – durch eine hohe Rate an Fehlschlägen neu
eingeführter Produkte gekennzeichnet. Dies gilt insbesondere für Großbritannien,
wo selbst die Functional Food-Produkte einzelner bekannter Markenartikelhersteller
nur begrenzte Zeit auf dem Markt überleben konnten. Dasselbe trifft auch für das
niederländische Molkereiunternehmen Campina zu, das seine probiotische VifitLinie wieder von dem deutschen Markt nahm, da die erwarteten Umsätze nicht zu
realisieren waren (Hilliam 1999a). Auch auf dem Markt für Functional Food in der
Schweiz gibt es mit dem Symbalance-Joghurt von Swiss Dairy Food bereits ein
erstes Beispiel für Produkte, die wieder vom Markt genommen wurden. Diese Be ispiele zeigen, dass selbst bei einer erfolgreichen Markteinführung von Functional
Food in der Regel ein nachhaltiger Markterfolg erforderlich ist, um die Ausgaben
für FuE, Markteinführung und Marketing der Produkte hereinzuspielen und darüber
hinaus zusätzliche Gewinne zu erzielen.
Der Markt für Functional Food kann aufgrund der Vielzahl der angesprochenen
Segmente und Produkte nicht als ein einzelner, in sich homogener Markt verstanden
werden. Von Seiten der angesprochenen Zielgruppen ist er – deutlich vereinfachend
- charakterisiert durch eher überdurchschnittlich gebildete Personen mit überdurchschnittlichem Einkommen, die sich für Fragen einer gesunden Ernährung stark interessieren. Dies zeigt sich in einigen Studien zu typischen Konsumenten von "N u-
203
traceuticals" in den USA, wo in der Regel eher gut ausgebildete Konsumenten mit
überdurchschnittlichem Einkommen im Alter von 35 bis 55 Jahren angesprochen
werden, die an Gesundheitsfragen generell interessiert sind (Childs 1997). In den
USA sind Frauen eher von dem Konzept von Functional Food überzeugt als Männer.
Die aus den USA vorliegenden Erkenntnisse zur Käuferstruktur von Functional
Food wurden von den befragten Experten in der Schweiz weitgehend bestätigt.
Nach Aussage mehrerer Interviewpartner sei der "typische Käufer von Functional
Food" weiblich, zwischen 30 und 50 Jahre alt und verfüge über eine eher überdurchschnittliche Schulbildung. Im Allgemeinen würden diese Personen sich sehr
stark für Ernährung, Gesundheitsfragen und Aspekte des Wohlbefindens interessieren und würden oftmals bereits über ein hohes Informationsniveau in dieser Hinsicht verfügen. Männer seien in der Regel deutlich weniger ansprechbar für Functional Food, was zumeist auf den eher sporadischen Einkauf und das geringe Wissen zurückzuführen sei. Interessanterweise würden Männer allerdings sehr häufig
Functional Food-Produkte verzehren, wenn ihnen diese von ihren Frauen empfohlen
und serviert würden.
Einigkeit bestand bei den befragten Experten ferner darin, dass Functional FoodProdukte immer auf gesunde Konsumenten abzielen, die etwas zur Prävention von
Krankheiten oder generell für ihre Gesundheit tun wollen. Bereits erkrankte Personen seien definitiv nicht die Zielgruppe für Functional Food, sondern diese sollten
sich in die Behandlung eines Arztes begeben. Allerdings könnten in Einzelfällen
spezifische Functional Food die Therapie einer ernährungsbeeinflussten Krankheit
unterstützen.
Je nach Produkt und Marketingstrategie differiert die angesprochene Zielgruppe für
Functional Food deutlich: z. B. sind einzelne Produkte stark auf Jugendliche ausgerichtet, wohingegen andere gezielt Männer in mittleren Jahren ansprechen sollen. In
den Interviews wurde allerdings am Beispiel verschiedener Produkte aufgezeigt,
dass die tatsächlichen Käufer bereits länger auf dem Markt befindlicher Functional
Food-Produkte deutlich von der ursprünglich anvisierten Zielgruppe abweichen
können und die betreffenden Unternehmen darauf durch eine Anpassung ihrer Marketingstrategie reagieren.
Von der Mehrzahl der befragten Experten wurde der Umstand kritisiert, dass wic htige Zielgruppen, bei denen Functional Food eine deutliche Verbesserung des Gesundheitszustandes bewirken könnte, nur sehr begrenzt erreicht werden. Dies gelte
z. B. für ältere Menschen, die – v. a. wenn sie in ihrer Mobilität eingeschränkt sind
– oftmals an deutlichen Fehlernährungen leiden. Für diese Zielgruppe würden bislang kaum spezifisch konzipierte Functional Food von Seiten der Lebensmittelindustrie angeboten. Auch bei ausländischen Mitbürgern sind in der Schweiz z. T. Fehloder Mangelernährungen festzustellen. Für diese Personen wurden bisher noch
204
kaum an deren Ernährungsgewohnheiten angepasste Functional Food-Produkte in
den Markt eingeführt. Bei Jugendlichen würde das reine Gesundheitsargument
kaum zum Kauf von Functional Food ermuntern, doch hätten trendig aufgemachte
Produkte durchaus Erfolg bei dieser Zielgruppe. Nach Einschätzung der befragten
Experten haben Functional Food bei Kindern – noch mehr als bei Erwachsenen –
nur dann eine Chance, wenn sie gut schmecken würden. Bislang würden allerdings
nur vereinzelt Functional Food-Produkte für diese Zielgruppe angeboten.
Falls man den Markt für Functional Food weiter differenziert, dann stellt er sich als
ein "Multi-Nischen-Markt" dar, der neben demographischen und psychografischen
Segmentierungskriterien auch den Krankheitsstatus oder das Risiko, an einer bestimmten Krankheit zu erkranken, mit einschließt. Bei einer Zielgruppenuntersuchung in den USA wurden die folgenden sechs psychografischen Käufergruppen für
Functional Food unterschieden (Gilbert 1997):
•
"Manager", die gesundheitsfördernde Lebensmittel auswählen, weil sie sich davon einen unmittelbaren Nutzen versprechen. Diese Gruppe umfasst etwa die
Hälfte aller Kaufinteressenten und ist auch überdurchschnittlich häufig bereit,
ihre Ernährungsgewohnheiten aus Gesundheitserwägungen dauerhaft zu ändern.
•
"Investoren" sind sich der langfristigen Wirkungen ihres Ernährungsverhaltens
auf die Gesundheit bewusst und überdurchschnittlich häufig bereit, präventive
Maßnahmen im Bereich der Ernährung aufzugreifen, obwohl aktuell kein spezifisches Krankheitsrisiko droht. Die Bedeutung dieser Gruppe wurde auf etwa
25 % geschätzt.
•
"Healer" sind aus medizinischen Gründen auf eine gesundheitsbewusste Ernä hrung umgeschwenkt – oftmals auf Anraten ihres Arztes. Häufig sind die Mitglieder dieser Gruppe gezwungen, bestimmte strenge Diätvorschriften einzuhalten, da sie entweder aktuell an einer bestimmten Krankheit leiden oder ernsteren Gesundheitsschädigungen vorgebeugt werden soll. Diese Gruppe umfasst
etwa 8 % aller Kaufinteressenten von Functional Food.
•
"Strauchler" können sich nicht dauerhaft für eine gesundheitsbewusste Ernä hrung entscheiden, sondern wählen nur fallweise gesundheitsfördernde Lebensmittel aus. Diese Gruppe umfasst etwa 13 % aller Kaufinteressierten und ist
überdurchschnittlich empfänglich für Werbe- und PR-Botschaften, die eine
schnelle gesundheitsbezogene Wirkung versprechen.
•
"Disziplinierte" sind unter hohen Aufwand und Opfern bereit, sich gesundheit sbewusst zu ernähren. Diese Zielgruppe ist überdurchschnittlich häufig bereit,
neue Produkte mit gesundheitsbezogenem Nutzen auszuprobieren, umfasst allerdings nur etwa 1 % aller Kaufinteressierten mit abnehmender Bedeutung.
•
Die "Unmotivierten" gründen ihre Kaufentscheidung nur in Einzelfällen auf Gesundheitsargumente, sondern zeigen eine höhere Präferenz für guten Geschmack
der Produkte und Gewichtsreduktion.
205
In den USA wurde im letzten Jahrzehnt der Markt für gesundheitsfördernde Produkte von den Zielgruppen "Investoren" und "Healers" dominiert, die insbesondere
fettarme Produkte und Lebensmittel, die Herz-Kreislauf-Erkrankungen vorbeugen,
nachfragen. Für die Zukunft wird eine Dominanz der Zielgruppe "Manager" erwartet, die sich stärker an den unmittelbar erkennbaren Nutzen einer gesundheitsbewussten Ernährung orientiert (Gilbert 1997).
Obgleich einige generelle Trends (wie z. B. steigende Ausgaben für das Gesundheitswesen, zunehmendes Gesundheitsbewusstsein der Bevölkerung, Verschiebungen in der Alterspyramide) das Marketing von Functional Food unterstützen, zeigen
Beispiele der auf dem Markt befindlichen Produkte die besondere Herausforderungen, denen sich insbesondere Unternehmen ausgesetzt sehen, die als Pioniere ein
neues Segment erschließen. Dies beginnt mit den deutlichen Einschränkungen des
Gesetzgebers in Bezug auf gesundheits- und krankheitsbezogene Aussagen, die es
einem Unternehmen oftmals nicht erlauben, die spezifischen Vorzüge eines Produktes klar herauszustellen. Außerdem ist es in der Regel nicht einfach, die Vorzüge eines bestimmten "funktionellen" Produktes den Konsumenten zu kommunizieren, da diese oftmals mit den wissenschaftlich/technischen Grundlagen wenig vertraut sind und die benutzten Fachtermini kaum kennen. Zudem besteht oftmals von
wissenschaftlicher Seite Uneinigkeit darüber, welche spezifischen Wirkungen einem bestimmten Inhaltsstoff zugeschrieben werden können und wie sicher die Informationslage für diesbezügliche Aussagen sind. Von Unternehmensseite wird
zudem der Umstand als ein wesentlicher Hemmnisfaktor genannt, dass bestimmte
Gesundheitswirkungen nicht von offizieller (staatlicher) Seite anerkannt werden
können, obwohl die Konsumenten von den gesundheitlichen Vorzügen von Functional Food überzeugt sind (Food Focus 1997).
Bei einer Befragung von Unternehmen, die in der EU auf dem Gebiet von Functional Food tätig sind, wurden im Wesentlichen die Information der Konsumenten, ein
guter Geschmack der Produkte sowie der Nachweis von deren Wirksamkeit als wesentliche Erfolgsfaktoren für das Marketing genannt (Tab. 6.11). Danach folgen mit
Aspekten wie Unterstützung durch staatliche Behörden oder Mediziner sowie einer
Harmonisierung der Rechtslage eher unternehmensexterne Faktoren. Diese Einschätzung ist insofern bemerkenswert, dass es sich bei den zuerst genannten
Aspekten um produkt- und marketingrelevante Faktoren handelt, die von den einzelnen Unternehmen weitgehend eigenständig gestaltet werden können, in der öffentlichen Diskussion von Seiten der Industrie allerdings häufig der Eindruck erweckt wird, dass der Erfolg von Functional Food eher von externen Faktoren –
vorrangig der Rechtslage – abhängig sei.
206
Tabelle 6.11:
Wichtige Einflussfaktoren für den Erfolg von Functional Food in
den kommenden fünf Jahren
Einflussfaktor
Anteil "sehr wichtig" und "wichtig"
Information der Konsumenten
96 %
Geschmack vergleichbar mit herkömmlichen
Produkten
89 %
Nachweis der Wirksamkeit
86 %
Harmonisierung der "Health Claims" in EU
80 %
Unterstützung durch Mediziner
79 %
Unterstützung durch staatliche Behörden
73 %
Natürliche Quelle der Inhaltsstoffe
65 %
Preisaufschlag gegenüber herkömmlichen
Produkten
62 %
Industry Codes of practice
57 %
Allianzen/Joint Ventures
48 %
Quelle: Hilliam 1998a
Die befragten Experten in der Schweiz äußerten übereinstimmend die Überzeugung,
dass besondere Maßnahmen zur Information der Konsumenten und Meinungsbildner (z. B. Mediziner, Ernährungsberaterinnen) für den Erfolg von Functional Food
erforderlich sind. Hinsichtlich der dafür verfügbaren finanziellen Mittel und den
eingesetzten Instrumenten bestehen allerdings deutliche Unterschiede zwischen
international tätigen Lebensmittelunternehmen, kleinen und mittelständischen Unternehmen der Lebensmittelindustrie sowie Handelsunternehmen, die Functional
Food anbieten. Während bei ersteren in der Regel ein relativ hohes Werbebudget
(insbesondere bei Produktneueinführungen) zur Verfügung steht und damit ein differenziertes Set an Informations- und Kommunikationsmaßnahmen (z. B. Print;
TV-Werbung; Aktionen mit bekannten Personen oder an Verkaufsstellen; Broschüren und Schriftstücke zur Konsumenteninformation; Konsumententelefone; Veranstaltung von Kongressen oder Workshops; Direct Mailing an oder Besuche von
Meinungsbildnern; Veröffentlichungen in wissenschaftlichen Fachzeitschriften)
eingesetzt werden kann, beschränken sich kleine und mittelständische Unternehmen
in der Regel auf Werbung in Zeitschriften (TV-Werbung wird wegen hoher Kosten
und Streuverluste von kleinen und mittelständischen Unternehmen relativ selten
207
eingesetzt), Broschüren/Schriftstücke zur Konsumenteninformation, Artikel in Konsumentenzeitschriften und Verpackungsinformationen. Ähnlich verfahren Handelsunternehmen, die Functional Food anbieten, da diese in der Regel als eher preisaggressive Anbieter auftreten und – nach Aussage eines interviewten Experten – aufgrund des begrenzten Marktvolumens für Functional Food keine aufwendige Werbekampagne zu vertreten sei.
Für die Positionierung von Functional Food am Markt wurden physische (z. B. Erhaltung der eigenen Gesundheit oder der von Familienmitgliedern), emotionale,
soziale und finanzielle Aspekte sowie das Wohlbefinden der Konsumenten als essentiell herausgestellt. In diesem Zusammenhang wird auch betont, dass ein deutlicher Preisaufschlag im Vergleich zu "herkömmlichen" Lebensmitteln nur bei einer
konsequenten Qualitätsstrategie und nachweisbaren einmaligem Charakter des Produktes erzielt werden kann (Childs 1997).
Diese Einschätzung wurde auch von den befragten Experten in der Schweiz bestätigt. Nach übereinstimmenden Angaben dürften für die Mehrzahl der in der Schweiz
auf dem Markt befindlichen Functional Food Preisaufschläge in der Größenordnung
von 10 % bis maximal 30 % gegenüber herkömmlichen Lebensmitteln erzielbar
sein. Als Gründe für diese Einschätzung wurden genannt, dass oftmals nur SoftClaims verwendet würden und bei kaum einem der Produkte ein definierter Gesundheitsnutzen klar nachgewiesen sei. Die Einschätzung der befragten Experten
deckt sich damit weitgehend mit dem in den letzten Jahren feststellbaren Preisabstand zwischen Functional Food und herkömmlichen Lebensmitteln in der Schweiz,
da insbesondere probiotische Milchprodukte, Functional Drinks und "funktionelle"
Cerealien maximal um ein Drittel teurer angeboten werden als herkömmliche Produkte. Chancen für erheblich höhere Preisaufschläge werden von den befragten Experten allerdings für Produkte gesehen, die den Cholesteringehalt im Blut deutlich
senken können.
Für den Markterfolg von Functional Food ist es daneben erforderlich, insbesondere
volumenstarke Absatzkanäle wie den Lebensmitteleinzelhandel oder Konsumentenmärkte zu bedienen. Dies sind auch die wichtigsten Distributionswege für Functional Food in der Schweiz. Eine solche Absatzstrategie schließt nicht aus, Spezia lvertriebsformen (wie z. B. Reformhäuser, Apotheken) mit einer spezifischen Produktvariante zu beliefern. Eine solche Doppelstrategie wurde z. B. von Novartis
Consumer Health bei der Distribution von AVIVA gewählt, die sowohl im Lebensmitteleinzelhandel als auch in Drogerien und Apotheken eingeführt wurden.
Außerdem sollte bei der Ausgestaltung der Distribution von Functional Food darauf
geachtet werden, dass diese auch für "Impulskäufe" der Konsumenten, insbesondere
in der Produkteinführungsphase zur Verfügung stehen (Childs 1997).
Insbesondere kleine und mittelständische Unternehmen der Lebensmittelindustrie
merkten an, dass es angesichts der bestehenden Handelsstruktur in der Schweiz sehr
208
schwierig sei, ein Listing für neue Produkte in den Regalen des Lebensmitteleinze lhandels zu bekommen: Migros komme aufgrund seiner Preispolitik und der hohen
Bedeutung von Eigenmarken als Distributionskanal für innovative Produkte kleiner
Unternehmen nur sehr eingeschränkt in Frage. Dasselbe gelte für preisaggressive
Discounter (wie z. B. Denner). Als wichtigster Handelspartner auch für kleine Lebensmittelunternehmen bleibe in der Regel Coop, doch würde es oftmals nicht gelingen, dort ein Listing für neue Produkte zu bekommen. In diesem Falle bleibe als
Alternative der Vertrieb neuer Produkte über kleinere Lebensmittelketten, doch sei
dies mit erhöhten Aufwendungen und begrenzten Absatzchancen (aufgrund der geringeren Distribution) verbunden.
Wie verschiedene Untersuchungen aus den USA belegen, gelten generelle Erfolgsfaktoren für den Absatz von Lebensmitteln auch für das Marketing von Functional
Food. Dies gilt insbesondere für den Geschmack der Produkte (vor allem bei
Milchprodukten und Getränken ist ein guter Geschmack und verschiedene Geschmacksvarianten entscheidend für den Absatzerfolg), deren Convieniencecharakter (z. B. leichte Zubereitungsmöglichkeit, individuelle Verpackungsformen)
sowie den wahrgenommenen "Wert" der Produkte bei den Konsumenten. Die
"funktionelle" Komponente von Lebensmitteln wird in der Regel als "qualitätssteigernd" bei interessierten Konsumenten angesehen, ist aber nur in Ausnahmefällen
das allein kaufentscheidende Argument (Childs 1997).
Die in den USA ermittelten Erfolgsfaktoren für das Marketing von Functional Food
wurden von schweizerischen Experten weitgehend bestätigt. Übereinstimmend waren sie der Meinung, dass der Geschmack der Produkte, ihr Convieniencecharakter
sowie eine gewisse Produktvielfalt auch bei Functional Food gegeben sein müssen,
da die Konsumenten in der Schweiz im Allgemeinen nicht bereit seien, größere
Kompromisse bei diesen Produkteigenschaften einzugehen. Daneben sind nach Einschätzung der befragten Experten noch die Verpackung und das äußere Ersche inungsbild der Produkte, der Werbeauftritt und die -botschaft sowie das generelle
Image des Unternehmens entscheidend für den Markterfolg von Functional Food,
wenn auch mit geringerer Relevanz als die zuerst genannten Faktoren.
Uneinigkeit bestand bei den befragten Experten in der Schweiz hinsichtlich der
Wichtigkeit des Gesundheitswertes für die Kaufentscheidung von Konsumenten bei
Functional Food. Zwar würden etwa 80 % der Konsumenten in der Schweiz in Umfragen den Gesundheitswert als wichtig für den Kauf von Lebensmitteln nennen,
doch würde nur eine deutliche Minderheit (entsprechende Schätzungen lagen in der
Größenordnung von 5 % bis 10 % der Konsumenten) Lebensmittel primär nach
dem Gesundheitsnutzen auswählen. Je nach Strategie der befragten Unternehmen
wurde dieser Sachverhalt von den befragten Experten unterschiedlich interpretiert.
Die Vertreter von Unternehmen, die primär auf die präventive Wirkung von Functional Food abzielen und diese Botschaft auch in der Werbung und Konsumenteninformation herausheben, sahen den nachgewiesenen Gesundheitswert von Functional
209
Food als den entscheidenden Kaufparameter, für den die Konsumenten auch bereit
seien, deutlich höhere Preise im Vergleich zu konventionellen Lebensmitteln zu
akzeptieren. Im Gegensatz dazu vertraten die Repräsentanten von Unternehmen, die
primär auf die "breite Masse" der Lebensmittelkäufer abzielen, die Auffassung, dass
die Art des Lebensmittels und dessen generelle Eigenschaften entscheidend seien
für den Markterfolg bei Functional Food und dass dem Gesundheitswert dabei
höchstens die Rolle eines "added value" zukomme, für den die Konsumenten nur in
sehr begrenztem Maße bereit seien, höhere Preise zu akzeptieren. Diese Auffassung
wurde insbesondere von den befragten Vertretern der milchverarbeitenden Industrie
sowie kleiner und mittelständischer Unternehmen geäußert.
6.7
Zusammenfassende Bewertung
Das Marktvolumen für Functional Food lässt sich aufgrund der stark differierenden
Definitionen und Abgrenzungen nicht exakt bestimmen. Legt man eine Abgrenzung
zugrunde, bei denen Lebensmitteln Stoffe mit einem zusätzlichen Nutzen für die
Gesundheit zugesetzt worden sind (und dies wird den Konsumenten auch mitgeteilt), so kann von einem Weltmarktvolumen in Höhe von etwa 10 Mrd. US$ bis
22 Mrd. US$ ausgegangen werden. Als wichtigster und am schnellsten wachsender
Markt werden die USA angesehen, auf die etwa die Hälfte des Weltmarktes entfa llen. In Asien haben Functional Food in Japan eine längere Tradition, was sich auch
in einem entsprechenden Marktvolumen von etwa 3,5 Mrd. US$ niederschlägt.
In Europa wird der Markt für Functional Food auf 1,4 bis 1,7 Mrd. US$ geschätzt.
Davon entfallen etwa 400 Mio. US$ auf Deutschland, gefolgt von Frankreich und
Großbritannien. Basierend auf Unternehmensangaben wurde das Marktvolumen
von Functional Food in der Schweiz auf etwa 250 bis 300 Mio. sFr. (im Jahr 1999)
geschätzt. Damit liegt sowohl in Europa als auch in der Schweiz der Marktanteil
von Functional Food unter 1 % der gesamten Verkäufe der Lebensmittel- und Getränkeindustrie. Generell werden die Wachstumsaussichten für Functional Food
sehr optimistisch eingeschätzt, wobei sowohl in der Literatur als auch in den durchgeführten Experteninterviews ein 5 %iger Marktanteil für Functional Food als die
"Grenzen des Wachstums" angesehen werden. Dies beinhaltet zwar ein erhebliches
Wachstumspotential gegenüber der derzeitigen Situation, doch dürften damit Functional Food zumindest in der überschaubaren Zukunft ein deutlicher Nischencharakter zukommen.
Etwa zwei Drittel des Marktes für Functional Food in Europa entfallen auf pro-,
pre- oder synbiotische Milchprodukte. In der Schweiz hat diese Produktgruppe in
den letzten Jahren ein eindrucksvolles Marktwachstum auf ein geschätztes Verkaufsvolumen von 140 Mio. sFr. im Jahr 1999 zu verzeichnen. Bei den sonstigen
Segmenten des Lebensmittelmarktes, bei denen Functional Food eine Rolle spielen,
210
fehlen quantitative Angaben zu dem Marktvolumen in der Schweiz weitgehend.
Aufgrund der Informationen in den Experteninterviews und den auf dem Markt
befindlichen Produkten dürften insbesondere mit Vitaminen und Pflanzenextrakten
angereicherten alkoholfreien Getränke, mit Vitaminen und Mineralstoffen angereicherten Frühstückscerealien und Getreidemischungen sowie mit Omega-3Fettsäuren angereichtem Brot, Eier oder Butterzubereitungen eine gewisse Marktbedeutung zukommen. Ein Spezifikum der Schweiz ist die starke Stellung von
Handelsmarken auch bei Functional Food, mit denen Migros nach eigenen Angaben
etwa 110 Mio. sFr. pro Jahr umsetzt.
Bislang sind es im Wesentlichen multinationale Lebensmittelkonzerne (insbesondere Nestlé) oder bedeutende Anbieter bei "herkömmlichen" Milchprodukten (z. B.
Emmi), die von dem Marktwachstum für pro-, pre- oder synbiotische Milchprodukte in der Schweiz profitieren, da vorrangig diese Unternehmen die notwendigen
Kosten für Produktentwicklung und Marketing (z. B. Informations- und Werbemaßnahmen) aufbringen können. Daneben hat Migros in diesem Feld noch eine
relativ große Bedeutung. Probiotische Markenjoghurts werden etwa um 20 % bis
30 % teurer angeboten als "herkömmliche" Fruchtjoghurtvarianten – was nach Einschätzung der interviewten Experten auch den maximal realisierbaren "Premiumaufschlag" für diese Produkte darstellen dürfte.
Mit Ausnahme von pro-, pre- oder synbiotischen Milchprodukten verlief die Marktentwicklung bei Functional Food in der Schweiz bislang eher fragmentarisch. Eine
Besonderheit in dieser Hinsicht stellt die Vorgehensweise von Novartis Consumer
Health dar, die unter einer Dachmarke eine ganze Reihe von Functional FoodProdukten anbietet, die auf verschiedene "Gesundheitsfelder" abzielen und international vermarktet werden. Trotz des registrierten Wachstums findet man auch bei
Functional Food in der Schweiz bereits erste Beispiele von Produkten, die aufgrund
zu geringer Verkaufserfolge wieder vom Markt genommen werden. Aufgrund der
Vielzahl der angesprochenen Segmente und Produkte ist auch in den kommenden
Jahren keine homogene Marktentwicklung für Functional Food in der Schweiz zu
erwarten, sondern Produktsegmenten mit verhaltenem Wachstum (oder sogar Verbrauchsrückgängen wie dies z. B. bei probiotischen Sauermilchprodukten bereits
feststellbar ist) dürften sich sehr dynamisch entwickelnde Segmente (wie dies z. B.
bei cholesterinsenkenden Produkten aufgrund zahlreicher Neueinführungen zu erwarten ist) gegenüberstehen.
Obgleich einige generelle gesellschaftliche Entwicklungen (z. B. zunehmendes Gesundheitsbewusstsein der Bevölkerung, Verschiebungen in der Alterspyramide) das
Marketing von Functional Food in der Schweiz unterstützen, so zeigen doch die
Ergebnisse der Experteninterviews, dass Faktoren wie der Geschmack der Produkte,
deren Conveniencecharakter, die Produktvielfalt und die generellen Eigenschaften
des betreffenden Lebensmittels das Kaufverhalten bei Functional Food in höherem
Maße bestimmten als der Gesundheitswert dieser Produkte, der von der überwie-
211
genden Zahl der Konsumenten eher als "added value" denn als alleinentscheidendes
Kaufargument gesehen wird. Erschwerend für das Marketing von Functional Food
kommt hinzu, dass der Begriff in der Schweiz relativ wenig bekannt ist. Dies zeigt
sehr deutlich die Notwendigkeit, die Entwicklung und Markteinführung neuer
Functional Food-Produkte, die auf bislang in der Bevölkerung kaum geläufigen
Wirkstoffen beruhen, durch intensive Kommunikations- und Informationsmaßna hmen der Hersteller zu begleiten.
Insbesondere diejenigen Unternehmen, die als Pioniere ein neues Segment erschließen, sehen sich beim Marketing von Functional Food besonderen Herausforderungen ausgesetzt. Dies beginnt mit den Beschränkungen bei gesundheits- und krankheitsbezogenen Aussagen, die es einem Unternehmen oftmals nicht erlauben, die
spezifischen Vorzüge eines Produktes klar herauszustellen. Außerdem ist es in der
Regel nicht einfach, die Vorzüge eines bestimmten Functional Food den Kons umenten zu kommunizieren, da diese oftmals mit den wissenschaftlich/technischen
Grundlagen wenig vertraut sind und die benutzten Fachbegriffe kaum kennen. Zudem besteht oftmals von wissenschaftlicher Seite Uneinigkeit darüber, welche spezifischen Wirkungen einem bestimmten Inhaltsstoff zugeschrieben werden können
und wie sicher die Informationslage für diesbezügliche Aussagen sind.
Diese besonderen Herausforderungen bei der Entwicklung und Vermarktung von
Functional Food können am ehesten von multinationalen Lebensmittel- und Pha rmakonzernen (z. B. Nestlé, Danone, Kelloggs, Novartis) und global ausgerichteten
Zulieferunternehmen (z. B. Roche, BASF) der Lebensmittelindustrie gemeistert
werden, die auch auf dem Markt für Functional Food in der Schweiz eine wichtige
Rolle spielen. Zusätzlich gelingt es in einzelnen Segmenten des Lebensmittelmarktes noch einigen führenden nationalen Anbietern oder "Produktspezialisten" durch
besondere Marketinganstrengungen größere Marktanteile bei Functional Food zu
erringen. Dasselbe gilt für Migros, die im Gegensatz zu ihren wichtigsten Konkurrenten eine eigene Produktlinie für Functional Food aufgebaut haben. Kleine und
mittelständische Unternehmen, die nicht zu den "Marktführern" in einem speziellen
Segment des Lebensmittelmarktes gehören, findet man bislang relativ selten als
Anbieter von Functional Food in der Schweiz.
213
7.
Rechtliche Aspekte
7.1
Überblick über Regelungen für Functional Food im internationalen Rahmen
Functional Food ist heute sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene
nur lückenhaft gesetzlich geregelt (Clydesdale 1997, Smith 1997, IACFO 1999,
Ottaway 1997, Hüsing et al. 1999). Die Schwierigkeit besteht darin, dass die Functional Food in einer Übergangszone zwischen Lebensmitteln und Heilmitteln liegen,
die traditionellerweise getrennt geregelt und unterschiedlichen Regelungsregimes
unterworfen sind.
Japan ist weltweit das bislang einzige Land, das über eine speziell für Functional
Food geltende gesetzliche Regelung verfügt. Seit Anfang der 90er Jahre werden
Functional Food als eine gesonderte Produktkategorie, zusammen mit den Produktkategorien "diätetische Lebensmittel" und "Lebensmittel für Schwangere, Stillende
und Säuglinge" im Nutrition Improvement Law geregelt. Darin wird vorgeschrieben, dass Functional Food, die als Food of Specific Health Use (FOSHU) bezeichnet werden, ein Zulassungsverfahren durchlaufen müssen. Erfüllen sie die Gene hmigungsvoraussetzungen, darf für diese Lebensmittel mit der gesundheitlichen
Wirkung mit bestimmten Formulierungen geworben werden. Außerdem werden die
zugelassenen Produkte durch ein spezielles FOSHU-Logo gekennzeichnet.
Zuständig für die Erteilung der Zulassung ist das japanische Gesundheitsministerium, Ministry for Health and Welfare (MHW). Ehe der Hersteller des betreffenden
Lebensmittels einen Antrag beim MHW einreicht, wird üblicherweise ein Vorbegutachtungsverfahren durchgeführt. Dabei wird der Antrag durch ein Functional
Food Committee beurteilt, das durch den Industrieverband Japanese Health Food
and Nutritional Food Association (JHFNFA) ernannt wird. Ergibt diese Vorbegutachtung ein positives Votum, reicht der Hersteller den eigentlichen Antrag über
regionale Behörden beim MHW ein, das sich in seiner Entscheidung im Wesentlichen auf die Bewertung durch das Functional Food Committee stützt. Allerdings
hat das MHW das Recht, die Einschätzung des Functional Food Committee zu
übergehen und damit das Führen der Bezeichnung FOSHU zu verweigern.
Um FOSHU-Status erlangen zu können, müssen die Lebensmittel bzw. Lebensmittelbestandteile folgenden Anforderungen genügen (Parliamentary Office for Science and Technology 1998):
214
•
Das Lebensmittel soll der Verbesserung der Ernährung und dem Erhalt bzw. der
Verbesserung der Gesundheit dienen.
•
Der gesundheitliche Zusatznutzen des Lebensmittels sollte eindeutig auf medizinischen oder ernährungswissenschaftlichen Erkenntnissen basieren.
•
Der Hersteller sollte, ausgehend von medizinischen bzw. ernährungswissenschaftlichen Erkenntnissen, die angemessenen Tagesaufnahmemengen angeben
können.
•
Der Verzehr des Lebensmittels sollte sicher sein.
•
Die physikochemische Zusammensetzung des Lebensmittels sollte durch Anwendung analytischer Methoden eindeutig bestimmt sein.
•
FOSHU-Produkte sollten im Vergleich zu ähnlichen, konventionellen Lebensmitteln keinen signifikant geringeren Nährwert aufweisen.
•
Das Lebensmittel sollte eine Form aufweisen, die es für den täglichen Verzehr
im Rahmen einer normalen Ernährungsweise geeignet macht (es soll nicht nur
gelegentlich verzehrt werden).
•
Die Produkte sollten Lebensmittel, keine Pillen oder Kapseln sein.
•
Die Lebensmittel sollten keine Bestandteile enthalten, die ausschließlich als Arzneimittel verwendet werden; sie sollen natürliche Bestandteile enthalten.
Um bewerten zu können, ob das Lebensmittel diesen Kriterien entspricht, muss der
Antragsteller folgende Unterlagen einreichen (Ichikawa 1994):
•
Darlegung der gesundheitsfördernden Wirkungen des Lebensmittels auf der Basis medizinischer und ernährungsphysiologischer wissenschaftlicher Daten,
•
Angaben über die tägliche Aufnahmemenge des Lebensmittels, die erforderlich
ist, um die gesundheitsfördernden Wirkungen zu erzielen, auf der Basis medizinischer und ernährungsphysiologischer wissenschaftlicher Daten,
•
Offenlegung von Erkenntnissen über die Sicherheit des Lebensmittels bzw. Lebensmittelbestandteils,
•
Daten, die die Stabilität des Lebensmittels bzw. Lebensmittelbestandteils betreffen,
•
Charakterisierung des Lebensmittels im Hinblick auf physikalische und chemische Parameter, sowie Informationen über die verwendeten Analysemethoden,
•
Qualitative und quantitative Analysen des relevanten Lebensmittelbestandteils,
sowie Informationen über die verwendeten Analysemethoden.
Als wissenschaftlich fundiert werden solche Aussagen angesehen, die in Fachzeitschriften publiziert wurden. Analytische Gutachten sollen von staatlichen oder privaten Forschungsinstituten erstellt werden, die auf dem Gebiet der Lebensmittelhy-
215
giene arbeiten und vom MHW autorisiert sind. In medizinischen und ernährungswissenschaftlichen Fachkreisen allgemein bekannte und akzeptierte Informationen
müssen dem Antrag an das MHW nicht mehr beigefügt werden sein.
Sobald ein Lebensmittel vom MHW als FOSHU zugelassen ist, kann der Hersteller
mit den gesundheitsbezogenen Aussagen werben, das Etikett soll dabei den Satz
"this is a food for specific health use" enthalten. Daneben sind zahlreiche weitere
Etikettierungsvorschriften zu beachten. Neben den üblichen Inhalten wie Name des
Produktes, Name und Adresse des Hersteller, Herstellungsdatum, Nettogewicht etc.
müssen auch die einzelnen gesundheitsbezogenen Aussagen für spezielle gesundheitliche Bedürfnisse laut der Genehmigung sowie die wissenschaftlichen Gründe
für die Genehmigung aufgeführt sein. Daneben muss auch die empfohlene Menge
des Verzehrs angegeben werden. Wenn das Lebensmittel zur Verbesserung der Gesundheit bzw. der Prävention von Krankheiten dient, soll die täglich aufgenommene
Menge gemäß dem MHW-Protokoll spezifiziert werden. Das Etikett muss deutlich
lesbar die Information enthalten, dass ein übermäßiger Verzehr nicht zu einer weiteren Verbesserung der Gesundheit führt. Ebenso muss auf mögliche oder bekannte
Gesundheitsschäden, die durch den übermäßigen Verzehr zu erwarten sind, hingewiesen werden. Der FOSHU-Status muss alle zwei Jahre erneuert werden (Garcia
1998).
Seit 1993 haben insgesamt 108 verschiedene Produkte in Japan FOSHU-Status erlangt (Parliamentary Office for Science and Technology 1998), die den Segmenten
Erfrischungsgetränke, Fertiggerichte, Frühstückscerealien, Gebäck, Süßwaren,
Milchprodukte, Eiscreme und Salatdressing zuzuordnen sind.
In den USA gibt es keine einheitliche Regelung für Functional Food. Welche gesetzliche Regelung für ein bestimmtes Produkt zur Anwendung kommt, richtet sich
danach, wie das Produkt auf dem Markt positioniert werden soll, welche "Darreichungsform" es hat, welchem Zweck es dienen und wie es beworben werden soll.
Für Functional Food, die als Lebensmittel Bestandteil der normalen Kost sein sollen, sowie für Nahrungsergänzungsmittel (dietary supplements) sind vor allem zwei
Regelungen relevant: der Nutritional Labelling and Education Act (NLEA) und der
Dietary Supplement Health Education Act (DSHEA).
Im Jahre 1990 wurde der Nutritional Labelling and Education Act (NLEA) verabschiedet. Durch dieses Gesetz wurde das amerikanische Lebensmittelrecht dahingehend reformiert, dass Lebensmittel mit ernährungsbezogenen Angaben (nutrition
facts panel) versehen werden müssen. Darüber hinaus wurde die Möglichkeit geschaffen, auch bestimmte Werbeaussagen, die auf einen als wissenschaftlich gesichert geltenden Zusammenhang zwischen Ernährung und Gesundheit abheben, für
zulässig zu erklären (Bass 1997). Die U. S. Food and Drug Administration (FDA)
216
als zuständige Behörde hat inzwischen 11 solcher Aussagen geprüft und zugelassen
(McNamara 1999, Nestlé 1999b)44.
Im Jahr 1994 wurde der Dietary Supplement Health Education Act (DSHEA) verabschiedet, der den NLEA vollständig in Kraft setzte. Der DSHEA gilt sowohl für
Lebensmittel als auch für Nahrungsergänzungsmittel. Hierin werden Nahrungsergänzungsmittel erstmals als Lebensmittel definiert. Außerdem werden vier Typen
von Werbeaussagen für Nahrungsergänzungsmittel für zulässig erklärt, ohne dass
die Food and Drug Agency (FDA) als zuständige Behörde diese jeweils einzeln
genehmigen muss (Bass 1997). Hierzu zählen:
•
Aussagen, die sich auf eine klassische Nährstoff-Mangelkrankheit beziehen, wobei die Häufigkeit dieser Krankheit in den USA angegeben werden muss,
•
Aussagen, die die Rolle eines Nährstoffs oder Lebensmittelbestandteils bei der
Beeinflussung von Strukturen oder Funktionen im Menschen beschreiben,
•
Aussagen, die den Mechanismus beschreiben, über den ein Nährstoff oder ein
Lebensmittelbestandteil auf die entsprechenden Strukturen oder Funktionen im
Menschen wirken,
•
Aussagen, die sich auf das allgemeine Wohlbefinden beziehen, das durch den
Verzehr des Nährstoffs oder des Lebensmittelbestandteils erzielt werden kann.
In der Literatur liegen derzeit nur punktuelle Informationen darüber vor, was die
oben skizzierten rechtlichen Rahmenbedingungen für die Praxis bedeuten. So wird
beispielsweise darauf hingewiesen, dass der kurze Text des NLEA zahlreiche Auslegungs- und Interpretationsmöglichkeiten biete, so dass diese 1996 bereits 1000
Seiten des Federal Register füllten. Andererseits bietet offenbar gerade der Widerspruch zwischen der ungenauen Definition des NLEA und der Einfachheit und
Klarheit des DSHEA den Firmen ein weites Feld, um Produkte mit einem Nutzen
für die Gesundheit auf dem Markt einzuführen (Smith 1997). So gelten beispielsweise für die Inhaltsstoffe von Nahrungsergänzungsmitteln nicht dieselben strengen
Vorschriften im Hinblick auf ihre Sicherheit wie für Lebensmittel (Glinsmann
1996).
In der EU und ihren Mitgliedsstaaten existieren ebenfalls keine speziellen Regelungen für Functional Food. Vielmehr fallen diese Produkte unter das allgemeine Lebensmittelrecht bzw. unter die Rahmenrichtlinie für diätetische Erzeugnisse, sofern
sie für einen besonderen Ernährungszweck konzipiert wurden. Richtpunkte für die
inhaltliche Ausgestaltung nationaler Regulierungen können sich allenfalls aus der
Novel Food-Verordnung der Europäischen Union ergeben (Streinz 1998, Spels44 Nachweise zu den verschiedenen Publikationsstellen der einzelnen Claims im Federal Register
finden sich bei McNamara 1999, 14-37; siehe die Zusammenstellung bei Bass 1997 sowie die tabellarische Übersicht bei Lewis und Yetley 1999.
217
berg 1997). Diese am 15. Mai 1997 in Kraft getretene Verordnung (Verordnung EG
Nr. 258/97) regelt das Inverkehrbringen von neuartigen Lebensmitteln und neuartigen Lebensmittelzutaten, die bisher in der Europäischen Gemeinschaft noch nicht in
nennenswertem Umfang für den menschlichen Verzehr verwendet wurden. Ihr
Geltungsbereich umfasst eine breite Palette verschiedenster Produkte: Sie gilt für
Lebensmittel und Lebensmittelzutaten, die
•
gentechnisch veränderte Organismen enthalten oder aus solchen bestehen,
•
aus gentechnisch veränderten Organismen hergestellt werden, aber diese nicht
mehr enthalten,
•
neue oder gezielt veränderte primäre Molekularstrukturen aufweisen,
•
aus Mikroorganismen, Pilzen oder Algen bestehen oder aus diesen isoliert wurden,
•
aus Pflanzen bestehen oder aus Pflanzen und Tieren isoliert werden. Ausgenommen sind jedoch diejenigen Lebensmittel und –zutaten tierischen und
pflanzlichen Ursprungs, die mit Hilfe traditioneller Vermehrungs- und Züc htungsmethoden gewonnen wurden und die erfahrungsgemäß als unbedenkliche
Lebensmittel gelten,
•
nach nicht üblichen Verfahren verarbeitet worden sind und bei denen dieses Verfahren eine bedeutende Veränderung ihrer Zusammensetzung oder Struktur bewirkt, die sich auf ihren Nährwert, ihren Stoffwechsel oder auf die Menge une rwünschter Stoffe im Lebensmittel auswirkt.
Unter den derzeit verfolgten Strategien, Lebensmittel funktionell zu machen, finden
sich auch Ansätze, Tiere, Pflanzen und Mikroorganismen gentechnisch zu verändern, "exotische" Quellen für Lebensmittel und Lebensmittelzutaten zu verwenden
sowie Verfahren zur Verarbeitung funktioneller Lebensmittel einzusetzen, die derzeit als "nicht üblich" eingestuft werden (vgl. Kap. 4). Daher wird auf europäischer
Ebene zumindest ein gewisser Anteil der funktionellen Lebensmittel bzw. ihrer
Zutaten in den Geltungsbereich der Novel Food-Verordnung fallen. Wie groß dieser
Anteil sein wird, ist aus heutiger Sicht nicht zuverlässig abschätzbar.
Das Committee of Experts on Nutrition Food Safety and Consumer Health des Europarates hat neu eine Arbeitsgruppe Functional Food eingesetzt, die entsprechende
Empfehlungen ausarbeiten soll. Auch daraus könnten sich künftig Orientierungshilfen für die innerstaatliche Normierung ergeben. Schließlich hat auf internationaler
Ebene auch der Codex Alimentarius an politischer Bedeutung gewonnen, weil unter
der Herrschaft der WTO-Abkommen eine vermehrte internationale Harmonisierung
des Lebensmittelrechts erforderlich wird. Zur Zeit wird dort die Definition von neuen Typen von Claims für Functional Food geprüft.
218
7.2
Kontrovers diskutierte Punkte
7.2.1
Regelungsbedarf
In der internationalen und nationalen Diskussion wird ein Regelungsbedarf für
Functional Food mehrheitlich bejaht und oft auch die zeitliche Dringlichkeit von
Regelungen betont (Tuley 1997). Die Meinung ist praktisch einhellig, dass eine
klarere Regelung als heute erforderlich ist, weil ohne Regelung im Grenzbereich
zwischen Lebensmitteln und Heilmitteln eine Grauzone entsteht, in welcher große
Unsicherheit herrscht. Einen weiteren Grund bilden zeitliche Verzögerungen im
Bewilligungsverfahren und die Gefahr von rechtsungleicher Behandlung. Denn
solange Functional Food nicht geregelt sind, bleibt abgesehen von später zu erläuternden besonderen Fällen nur der Weg von einzelfallweisen Zulassungsentscheiden45. Dieser Weg mochte gangbar sein, solange nur vereinzelte Functional FoodProdukte auf dem Markt waren. Inzwischen drängen jedoch immer mehr dieser
Produkte auf den Markt 46 (vgl. auch Kap. 6), so dass die einzelfallweise Prüfung
die Kapazität der zuständigen Behörden überfordert, die Entscheidungsdauer zu
lang wird und im Übrigen Ungleichbehandlungen drohen, weil kaum überblickbar
bleibt, welche früheren Entscheidungen für den jeweils aktuellen Fall präjudizielle
Bedeutung haben.
Allerdings gehen die Meinungen über Ziele und Inhalte der Regelung recht weit
auseinander. Dies wird im Folgenden näher ausgeführt.
7.2.2
Regelungsgegenstand bzw. rechtliche Definition von Functional Food
Zu den elementaren Fragen gehört, ob Functional Food rechtlich definiert werden
können und sollen. Eine rechtliche Definition wird dann unerlässlich, wenn Functional Food als Sonderkategorie zwischen Lebens- und Heilmitteln oder als Sonderkategorie von Lebensmitteln erfasst und speziell geregelt werden (Variante 1). Die
Definition muss in diesem Fall den sachlichen Geltungsbereich der entsprechenden
45 Gemäss Art. 6 LMV bedürfen Functional Food keiner Bewilligung, wenn sie nicht neuartig sind
oder sich ihre besondere Funktion aus spezifischen essentiellen oder ernährungsphysiologisch
nützlichen Stoffen wie Vitaminen oder Mineralstoffen ergeben, welche einem in der LMV umschriebenen Lebensmittel zur Erhaltung oder zur Verbesserung des Nährwerts zugesetzt werden.
Siehe dazu Kapitel 7.3.4.
46 Im Oktober 1999 lagen dem BAG rund 25 Bewilligungsgesuche für neuartige Speziallebensmittel im Sinne von Functional Food vor. Für die betreffenden Lebensmittel wird ein spezifischer
Zusatznutzen in Anspruch genommen, der über den ernährungsphysiologischen Nutzen der darin
enthaltenen Nährstoffe hinausgeht (Pressemitteilung im Bulletin des BAG 43, 1999, 808).
219
Regelung umschreiben. Werden Functional Food dagegen als Lebens- oder als
Heilmittel erfasst, die besondere Merkmale – Wirkungs-, Gefährdungs-, Anpreisungsmerkmale o. a. – aufweisen, so erübrigt sich eine rechtliche Definition; denn
dann können rechtliche Regeln an die besonderen Merkmale anknüpfen, ohne dass
eine besondere Kategorie abschließend definiert werden muss (Variante 2). Die
erste Variante verlangt die Einigung auf einen formalen Rechtsbegriff von Functional Food, während die zweite erlaubt, materiale Regelungsziele für jede neue Situation angemessen zu konkretisieren. Für die praktische Handhabung im zweiten Fall
lassen sich Typen von Lebens- resp. Heilmitteln bilden, die an bestimmte Merkmale
anknüpfen.
Beide Varianten haben ihre Eigenheiten, die man je nach Standpunkt als Vor- oder
Nachteil beurteilen kann. Bei der ersten Variante besteht immer die Möglichkeit
von negativen oder positiven Regelungskonflikten. Je nach rechtlicher Definition
der Kategorie von Functional Food lassen sich bestimmte neue Produkte weder den
Lebensmitteln noch den Heilmitteln noch den Functional Food eindeutig zuordnen,
so dass eine Regelungslücke entsteht, oder sie fallen gleichzeitig in den Geltungsbereich der Functional Food-Regelung und entweder der Heilmittel- oder der Lebensmittelregelung. Wenn zudem für die verschiedenen Regelungskategorien unterschiedliche staatliche Instanzen zuständig sind – wie heute in der Schweiz bereits
für Lebensmittel und Heilmittel – verbinden sich mit den Regelungskonflikten
überdies Kompetenzkonflikte (Lüthy und Brügger 1998). Die zweite Variante verhindert zwar solche Konflikte. Doch sie macht viel deutlicher sichtbar, dass die
"Anwendung" von rechtlichen Bestimmungen politischen Gehalt hat (der natürlich
in den Begriffsdefinitionen genauso steckt, dort aber in der formalen Definition
versteckt wird). Dadurch schafft sie einen erheblichen Legitimierungsbedarf für die
behördliche Konkretisierungspraxis.
Die erste Variante, also eine rechtliche Definition von Functional Food als besondere Kategorie, erscheint gegenwärtig wenig erfolgversprechend. Dies liegt einerseits
an der mangelnden Einigkeit unter Anbietern, Abnehmerorganisationen, Lebensmittel- und Ernährungsexperten und anderen über eine Definition und Abgrenzung
von Functional Food. Zum anderen gibt es aus den Perspektiven der Wissenschaft,
Gesellschaft und Wirtschaft sehr unterschiedliche Sichtweisen und Schwerpunktsetzungen bezüglich dieser Thematik (vgl. Kap. 3). Eine rechtliche Definition von
Functional Food würde zwar diese Schwerpunktsetzung berücksichtigen, wäre aber
nicht streng an naturwissenschaftliche, sozialwissenschaftliche, ökonomische oder
andere Definitionen gebunden. Was zu Functional Food im Sinn des Rechts gehören soll, wäre vielmehr eine Rechtsfrage und würde rechtlich autonom festgesetzt.
Zudem sprechen die folgenden rechtsinternen Gründe gegen eine rechtliche Definition von Functional Food als besondere Kategorie: Zum einen sind die Zwecke einer Regelung auf internationaler und auf nationaler Ebene wenig geklärt; eine
rechtliche Definition von Functional Food würde aber voraussetzen, dass bestimmte
Regelungszwecke und -ziele feststehen, auf welche die Definition bezogen werden
220
kann. Hinzu kommt, dass eine rechtliche Definition von Functional Food alle –
auch künftigen – Sachverhalte und Probleme erfassen müsste, welche im Licht der
Regelungszwecke und -ziele relevant sind; ein solches Ziel wäre unrealistisch,
schon deshalb, weil die Entwicklung von Functional Food erst am Anfang steht.
Deshalb wird im Folgenden auf den Versuch, einen rechtlichen Begriff der Functional Food zu definieren, verzichtet47.
Den Ausgangspunkt bildet die zweite Variante. Im Zentrum stehen dort die Zwecke
und Ziele, die für die rechtliche Regelung von Functional Food maßgeblich sein
sollen. Diese Zwecke und Ziele müssen in den Entscheidprozessen der Gesetz- und
Verordnungsgebung bestimmt werden. Es geht im Folgenden weder darum, inhaltlich gute bzw. für das Gemeinwohl dienliche Zwecke und Ziele objektiv zu bestimmen, noch primär darum, Gerechtigkeitsanforderungen an die Legitimation der
staatlichen Regelung zu formulieren; die politische und die moralische Dimension
bleiben im Hintergrund (sollen allerdings explizit gemacht werden, soweit sie miteinfließen, indem beispielsweise unterschiedliche Optionen und Pfade aufgezeigt
werden). Im Zentrum steht das rechtlich richtige pragmatische Vorgehen, das sich
im Rahmen des geltenden Verfassungsrechts hält und innerhalb dieses Rahmens
nach Regeln rechtlicher Klugheit und Geschicklichkeit richtet.
7.2.3
Inhaltliche Ausrichtung der Regulierung
In der internationalen und nationalen Diskussion über die rechtliche Regelung von
Functional Food zeigen sich zwei inhaltliche Schwerpunkte. Den einen Schwerpunkt bilden Anforderungen an die Sicherheit von Functional Food, den anderen
Anforderungen an die Kennzeichnungen und Anpreisungen für Functional Food.
47 Unabhängig davon besteht immer die Möglichkeit, Functional Food ernährungswissenschaftlich,
medizinisch, ökonomisch usw. als besondere Kategorie von Produkten zu definieren und die bestehenden rechtlichen Regelungen daraufhin zu analysieren, wie weit sie entsprechend definierte
Produkte erfassen. Siehe dazu z. B. Diplock et al. 1999, 1 - 27. Daraus lässt sich jedoch für das
Recht nichts ableiten, weil solche Analysen deskriptiv sind. Eine normative Analyse, aus welcher
sich regelungspolitische Forderungen ergeben könnten, müsste von einem normativwerturteilsbestimmten, nicht von einen deskriptiv-sachurteilsbestimmten (d. h. natur- oder sozialwissenschaftlichen) Begriff ausgehen. Die beschreibende Analyse mag für eine Art ethnologische Bestandesaufnahme interessant sein, juristisch ist sie höchstens indirekt, für die Kontrastierung der Regelungen in verschiedener Rechtsordnungen, relevant, direkt jedoch nicht, weil sie
keine normative Orientierung vermittelt.
221
Anforderungen an die Sicherheit: Gesundheitsschutz
Polizeiliche Gefahrenabwehr
Über Zweck und Ziele von Anforderungen an die Sicherheit von Functional Food
besteht weitgehende Einigkeit. Der Zweck, der mit entsprechenden Regelungspostulaten verfolgt wird, besteht im Gesundheitsschutz im Sinn der Verhütung von
Gefahren für die physische und psychische Gesundheit als Folge des Konsums von
Functional Food. Unterschiedliche Meinungen darüber, welche inhaltlichen Regelungen zweck- und zielgemäß sind, bestehen vor allem darum, weil die Gesundheitsgefahren und -risiken von Functional Food unterschiedlich eingeschätzt werden. Der Zweck des Gesundheitsschutzes kann allerdings in einem engeren Sinn als
polizeiliche Gefahrenabwehr und Grundrechtsschutz und in einem weiteren Sinn
als Risikopolitik verstanden werden.
Gesundheitsschutz im Sinn der polizeilichen Gefahrenabwehr und des Grundrechtsschutzes gehört aus verfassungsrechtlicher Sicht zu den Grundaufgaben des
Staates. Schutzgegenstände sind das sogenannte Polizeigut der öffentlichen Gesundheit und die Gesundheit des individuellen Menschen im Sinn körperlicher und
seelischer Unversehrtheit. Aus ökonomischer Sicht sind diese Aufgaben funktional
für eine wettbewerbsgelenkte Marktwirtschaftsordnung und daher als Bestandteile
der Ordnungspolitik anerkannt. Aus medizinischer Sicht entsprechen sie dem Prinzip des "nil nocere" als Leitgesichtspunkt allen Handelns im Gesundheitswesen. Der
Zweck des Gesundheitsschutzes ist für Lebensmittel in der Lebensmittelgesetzgebung48 und für Heilmittel in der Heilmittelgesetzgebung49 umgesetzt; dass er auch
für Functional Food, egal ob diese als Lebensmittel, Heilmittel oder eigene Kategorie von Produkten eingeordnet werden, verwirklicht werden soll, ist unbestritten.
Risikopolitik
Je mehr Risikofaktoren für die individuelle und die Bevölkerungsgesundheit teils
erzeugt, teils entdeckt werden, desto unschärfer werden die Grenzen dieser traditionellen Aufgaben der Gefahrenabwehr. Der Zweck des Gesundheitsschutzes verlangt
zunehmend nach staatlicher Risikopolitik und allenfalls staatlich oder nichtstaatlich
geführten Risikodialogen. Die so erweiterten Aufgaben des Gesundheitsschutzes
reichen weit über die polizeiliche Gefahrenabwehr und den punktuellen, individua lbezogenen grundrechtlichen Gesundheitsschutz hinaus.
48 LMG, SR 817.0; LMV, SR 817.02
49 Interkant. Vereinbarung über die Kontrolle der Heilmittel v. 3.6.1971, SR 812.101; Regulativ
über die Ausführung der interkant. Vereinbarung über die Kontrolle der Heilmittel v. 25.5.1972,
IKS 110.1.
222
Anforderungen an die Kennzeichnungen und Anpreisungen: Gesundheitsschutz,
Schutz der öffentlichen Ordnung und der guten Sitten, Täuschungsschutz, Gesundheitsförderung
Was hingegen Anforderungen an die Kennzeichnungen und Anpreisungen (Lüthy
und Brügger 1998) für Functional Food angeht, ergibt sich ein differenzierteres
Bild, weil sich damit zwei grundverschiedene Stoßrichtungen verbinden können.
Zwar ist unbestritten, dass die Kennzeichnungen und Anpreisungen durch Wirksamkeitsnachweise verifiziert sein sollen, wobei der Art und Weise des Nachweises
einer Wirksamkeit entscheidende Bedeutung zukommt. Doch entsprechende Regelungen können sowohl polizeilichen Zwecken des Gesundheitsschutzes, des Schutzes der öffentlichen Ordnung und der guten Sitten50 oder des Täuschungsschutzes
als auch politischen Zwecken der Gesundheitsförderung dienen. Je nachdem, ob
beide Zwecke gleichzeitig oder primär der eine oder der andere angestrebt werden,
ergeben sich unterschiedliche inhaltliche Forderungen.
Gesundheitsschutz, Schutz der öffentlichen Ordnung und der guten Sitten
Für den Gesundheitsschutz gilt das hievor Ausgeführte sinngemäß. Der Schutz der
öffentlichen Ordnung und der guten Sitten bezieht sich beispielsweise auf Werbeformen und -inhalte, die religiöse Gefühle verletzen können, explizite sexuelle Darstellungen oder Botschaften enthalten oder ähnliches; er ist jedoch im Zusammenhang mit Functional Food von untergeordneter Bedeutung. Wichtig ist bezüglich
Functional Food der Zweck des Täuschungsschutzes.
Täuschungsschutz
Der Zweck des Täuschungsschutzes gilt zwar in der juristischen Dogmatik ähnlich
wie der Gesundheitsschutz als Teil des staatlichen Polizeiauftrags; seinen Gegenstand bildet das sogenannte Polizeigut von Treu und Glauben im Geschäftsverkehr.
Doch er ist anders als der Gesundheitsschutz nicht Zweck einer eigens anerkannten
öffentlichen Aufgabe, sondern eine Bedingung für das Funktionieren der Marktwirtschaftsordnung, also ein Funktionselement des wirtschaftlichen Bereichs. Wahre Information über Waren ist zunächst Voraussetzung für einen funktionierenden
(Preis-) Wettbewerb; die Marktwirtschaftsordnung erfordert staatlichen Tä uschungsschutz mit anderen Worten, weil sie wettbewerbsgelenkt sein soll. Überdies
ist wahre Information bzw. Täuschungsschutz Voraussetzung für die Legitimität der
wettbewerbsgelenkten Marktwirtschaftsordnung; denn Täuschungsschutz bedeutet
auch Schutz vor Übervorteilung und Ausbeutung und ist unerlässlich, weil die
Marktwirtschaft sozialverpflichtet sein soll (Konsumentenschutz). Je nachdem, ob
das eine oder das andere Funktionselement angestrebt wird, verlangt der Zweck des
50 Diesem Zweck können Verbote oder Einschränkungen der Werbung für Heilmittel nach ausdrücklicher Vorschrift in Art. 7 des Regulativs über die Heilmittelkontrolle dienen.
223
Täuschungsschutzes anders gefärbte Regelungen für Functional Food. Immer aber
geht es um das Problem, wie der Markt für Functional Food optimal im Sinn der
wettbewerbsgelenkten und sozialverpflichteten Wirtschaftsordnung zum Funktionieren gebracht werden kann. Regelungen zur Gewährleistung des Täuschungsschutzes müssen deshalb per definitionem wirtschaftsordnungskonform sein.
Anbieter berufen sich zwar für gewöhnlich auf die Funktionserfordernisse für die
Wirtschaftsordnung, um ihre Forderungen nach Regelung von Kennzeichnungen
und Anpreisungen zu rechtfertigen. Dies geschieht aber immer nur so weit, als solche Funktionserfordernisse mit den Unternehmensinteressen deckungsgleich, parallel oder neutral sind. Die Wettbewerbsordnung verlangt, dass jedes Unternehmen
dem Eigennutzen des Betriebs (wie immer dieser intern definiert wird) oberste Priorität gibt.
Die Interessen der Anbieter von Functional Food richten sich heute in der Regel
darauf, mit Hilfe der Functional Food im weitgehend gesättigten Lebensmittelmarkt
Marktanteile zu halten oder auszubauen. Functional Food eignen sich dazu, weil
zwei Elemente zusammentreffen. Sie eignen sich als Label-Produkte51, auf welche
Nachfragerinteressen zentriert werden können. Zugleich lassen sie sich in die Nähe
von medizinischen Mitteln rücken und profitieren dadurch von der therapeutischen
Legitimation, die für hohe Akzeptanz auf der Abnehmerseite sorgt. Die beiden
Elemente widerspiegeln sich in Bestrebungen von international agierenden Functional Food-Anbietern mit eigenen Forschungsinteressen, gesundheitsbezogene Funktionen ihrer Produkte besonders anzupreisen, Functional Food als besondere Kategorie von Lebensmitteln exklusiv zu kennzeichnen und als Voraussetzung für die
Anpreisung und Kennzeichnung wissenschaftliche Wirkungsnachweise zu verlangen52.
Postulate von multinationalen Unternehmen und Anbieterorganisationen für die
Regelung von Kennzeichnungen und Anpreisungen für Functional Food zielen in
der Regel darauf ab, den Wettbewerbsdruck in Grenzen zu halten und hohe
Markteintrittshürden aufzubauen. Ganz besonders gilt dies für wissenschaftliche
Wirksamkeitsnachweise, die bei sehr hoch gesteckten Anforderungen nur von großen oder international vernetzten Anbietern erbracht werden könnten. Nach schweizerischem Recht dürfte die staatliche Regelung von Functional Food solche Interessen nicht honorieren, sondern nur als Nebenwirkung schützen, soweit sie sich aus
der Verwirklichung des Täuschungsschutzes ergibt und davon nicht getrennt werden kann53.
51 Siehe zu diesem Begriff Buckenhüskes 1999.
52 Vgl. dazu Nestlé Nutritio 1999, 9-12.
53 Die übliche Formel des Bundesgerichts lautet folgendermaßen: "Unzulässig sind wirtschaftspolitische oder standespolitische Maßnahmen, die den freien Wettbewerb behindern, um gewisse
224
Gesundheitsförderung
Forderungen nach einer Regelung von Kennzeichnungen und Anpreisungen für
Functional Food können sich nicht nur von Zwecken des Täuschungsschutzes, sondern auch von Zwecken der Gesundheitsförderung leiten lassen. Sie zielen dann auf
andere Probleme und führen zu inhaltlich anderen Regelungspostulaten. Im Ze ntrum steht beispielsweise die Ermöglichung einer ausgewogenen Ernährung, einer
Auswahl unter veränderten und unveränderten Lebensmitteln oder bestimmter Ernährungsweisen als Element kulturell relevanten Sozialverhaltens. Wenn hier Informationspflichten befürwortet werden, dann zwar auch, um die wahren Eige nschaften von angebotenen Functional Food erkennbar zu machen (Kennzeichnung
und Anpreisung), vor allem aber, um die Abnehmer über Alternativen zu Functional
Food, die relativen Vor- und Nachteile von Functional Food und die Alternativen
für ihre individuelle Gesundheit aufzuklären (an die Produkte gebundene Zusatzinformationen).
Und wenn Wirksamkeitsnachweise verlangt werden, dann zwar auch, um die Wahrheit von behaupteten Wirkungen sicherzustellen, vor allem aber um zu gewährle isten, dass die Functional Food mindestens ebenso gut geeignet und erforderlich für
die Bevölkerungsgesundheit sind wie traditionelle, unveränderte Produkte. Dadurch
soll beispielsweise erreicht werden, dass Gesundheits-Claims auch künftig für traditionelle, nicht speziell zu Gesundheitszwecken veränderte, aber als gesund anerkannte Lebensmittel verwendet werden dürfen und solche Produkte nicht vom
Markt verdrängt werden.
Ein anderes Ziel ist, an Gesamtkonzepten für eine gesunde Ernährung festzuhalten
und zu verhindern, dass mit Functional Food-Produkten Fehlernährungen auf technische Weise kompensiert werden und das Verständnis für eine ausgewogene Ernährung verloren geht. Allerdings kann der Bogen einer einseitigen Instrumentalisierung der Ernährung überspannt werden, wenn nämlich die Gesundheit in einem
engen medizinischen Verständnis als Abwesenheit von Krankheit oder in einem
ebenso engen wirtschaftlichen Verständnis als physische und psychische Leistungsfähigkeit definiert wird. Das maßgebliche Gesundheitsverständnis muss so weit
sein, dass darin auch das reine Genießen von Speisen, das Erleben von Zusammengehörigkeit beim gemeinsamen Essen, die kulturelle Bedeutung bestimmter Nahrungsmittel und Ernährungsweisen usw. als Voraussetzungen einer gesundheitsförderlichen Entwicklung anerkannt werden. Im übrigen bildet die Gesundheitsförderung gleich wie der Gesundheitsschutz eine anerkannte öffentliche Aufgabe (Public
Gewerbezweige oder Bewirtschaftungsformen zu sichern oder zu begünstigen (Entscheidungen
des Schweizerischen Bundesgerichts [BGE] 125 U 335ff., 337 [1999]).
225
Health-Aufgaben) und kann ohne Weiteres ein "öffentliches Interesse" bilden54,
welches Eingriffe in die Wirtschaftsfreiheit auch dann rechtfertigt, wenn diese nicht
ordnungskonform resp. wirtschaftsordnungswidrig sind (wobei solche Abweichungen auf einer Norm des Bundesverfassungsrechts beruhen müssen).
7.2.4
Rolle der staatlichen Behörden und nichtstaatlicher Instanzen
Einen weiteren Schwerpunkt in der internationalen und nationalen Diskussion bilden Fragen der Zuständigkeit für die Konkretisierung und Durchsetzung von Regelungszwecken sowie Fragen der institutionellen Verwirklichung von Gesundheitsschutz-, Täuschungsschutz- und Gesundheitsförderungsanliegen. Im Rahmen des
geltenden Verfassungsrechts ist davon auszugehen, dass der Staat eine weitreichende Verantwortung sowohl für den Gesundheitsschutz als auch für den Täuschungsschutz trägt. Wie weit die staatliche Verantwortung auch für die Gesundheitsförderung reicht, wäre näher abzuklären. Entscheidend ist vorderhand, dass nicht notwendigerweise staatliche Verwaltungsbehörden in Erfüllung staatlicher Verantwortung handeln müssen, sondern dass dafür unter bestimmten Voraussetzungen
auch nichtstaatliche Organisationen und Personen herangezogen werden können.
Wichtig ist weiter die Verteilung von Regelungslasten unter verschiedenen staatlichen Instanzen (bundesstaatliche Kompetenzverteilung, Zuteilung an Fachbehörden) oder nichtstaatlichen Akteuren (Anforderungen an die Organisationen und Personen).
Diskutiert werden besonders die Übertragung von Regelungskompetenzen an nichtstaatliche Organisationen und die sogenannte dynamische Verweisung in Recht svorschriften auf nichtstaatliche Normen, also Formen der Privatisierung von staatlichen Regelungsaufgaben. Die Regelung von Functional Food bliebe in beiden
Fällen weitgehend der autonomen Normierung durch Anbieter- und Abnehmerorganisationen überlassen. Allerdings fragt sich, ob Regelungsgegenstände, die wie
oben geschildert erhebliche politische und moralische Bedeutung gewinnen können,
privatisierungsfähig sind; jedenfalls müsste sichergestellt sein, dass die staatlichen
Zielvorgaben und Gerechtigkeitsanforderungen auch in nichtstaatlichen Regelungen
zum Tragen kommen.
In den schriftlichen Stellungnahmen (Kap. 8) wird zudem die Rolle der Wissenschaft im Verhältnis zu staatlichen und nichtstaatlichen Entscheidinstanzen thematisiert. So wird etwa verlangt, dass Kennzeichnungen und Anpreisungen für Functional Food nach wissenschaftlichen Vorgaben vereinheitlicht werden sollen und angemahnt, dass den Anpreisungen nicht der Anschein behördlicher Empfehlungen
54 Ausdrücklich anerkannt ist die Gesundheitsförderung als öffentliche Aufgabe z. B. in der bernischen Kantonsverfassung, deren Art. 41 folgendermaßen beginnt: "Kanton und Gemeinden
schützen und fördern die Gesundheit. ..."
226
verliehen oder diese nicht gar durch behördliche Empfehlungen verstärkt werden
sollten. Die Wissenschaft neigt allerdings dazu, die Regelung von Functional Food
als Gegenstand rationaler Problemlösung zu behandeln. Damit wird sie dem politischen und moralischen Gehalt und auch den pragmatischen Erfordernissen solcher
Regelung nicht gerecht. Darauf ist besonders zu achten, wenn staatliche Entsche idinstanzen auf wissenschaftliche Empfehlungen und Beratung zurückgreifen sollten
(Einrichtung von beratenden Kommissionen, Einholung von wissenschaftlichen
Expertisen usw.).
Einen weiteren, ebenfalls diskutierten Fragenkomplex bildet die Wahl der staatlichen Ebene, welcher die Verantwortung für die Regelung von Functional Food zufallen soll, soweit diese bejaht wird. Das gilt nicht nur für das interne Verhältnis in
Bundesstaaten, sondern ebenso für das Verhältnis von Nationalstaaten zu supranationalen Organisationen wie der EU. Dieser Fragenkomplex wird im Folgenden nur
am Rand zur Sprache kommen.
In der nationalen Diskussion ist schließlich auch umstritten, welche staatlichen Behörden gegebenenfalls für den Vollzug der Regelung am besten geeignet sind. In
Betracht fallen etwa das Bundesamt für Gesundheit, dessen Neutralität allerdings in
den schriftlichen Stellungnahmen vereinzelt in Zweifel gezogen wird, aber auch die
Kantonschemiker oder die Kantonsapotheker.
7.3
Bestehende gesetzliche und untergesetzliche Regelungen
in der Schweiz mit Relevanz für Functional Food
7.3.1
Fehlen einer spezifischen Regelung für Functional Food
Für Functional Food fallen grundsätzlich drei unterschiedliche Funktionen in Betracht, die sich in drei Typen von möglichen Claims widerspiegeln. Dies entspricht
einer Dreiteilung, die in den USA geläufig ist, wobei die FDA wie in Kapitel 7.1
erwähnt eine ganze Reihe von Health Claims umschrieben hat (McNamara 1999).
Functional Food können demnach (1) zur Ernährung dienen und als Elemente der
Ernährung einen allgemeinen, unspezifischen Bezug zur Gesundheit aufweisen. Sie
lassen sich dann mit Ernährungs-Claims (Nutrition Claims) verbinden. Sie können
aber auch (2) für die medizinische Prävention, Therapie oder Palliation von Krankheiten und Unfällen bestimmt sein; in diesem Fall liegt die Verknüpfung mit Arzneimittel-Claims (Medical Claims) nahe. Schließlich wird heute postuliert, Functional Food vermöchten auch (3) konkrete Gesundheitsanliegen zu fördern, nämlich
durch spezifische gesundheitsbegünstigende resp. krankheitsverhütende Wirkungen
(ob sie als gesundheitsbegünstigend oder krankheitsverhütend erscheinen, hängt
227
allein davon ab, ob in der Medizin bereits eine Krankheit im Sinn eines konkreten
Gesundheitsdefizits definiert worden ist); auf diese beziehen sich Gesundheitsförderungs-Claims (Health Claims).
Jede der drei Funktionen liegt im Spannungsfeld einer besonderen Konstellation
von öffentlichen Aufgaben. Gemeinsam ist den drei Konstellationen das öffentliche
Interesse am Gesundheitsschutz, das aber mit je einer anderen öffentlichen Aufgabe
in Beziehung steht. Die Ernährungsfunktion betrifft das Verhältnis zwischen den
öffentlichen Aufgaben des Gesundheitsschutzes und der Versorgung mit Nahrungsmitteln, die Arzneimittelfunktion hingegen das Verhältnis zwischen den öffentlichen Aufgaben des Gesundheitsschutzes und der Krankheitsversorgung. Die
Krankheitsverhütungs- und Gesundheitsförderungsfunktion wiederum, die heute zu
diesen beiden traditionellen Funktionen hinzutreten soll, bezieht sich auf das Verhältnis zwischen den öffentlichen Aufgaben des Gesundheitsschutzes und der Gesundheitsförderung.
Die Versorgung mit Nahrungsmitteln ist heute anerkanntermaßen eine Aufgabe, die
im Wesentlichen in der Verantwortung der Wirtschaft liegt. Der Staat setzt daher
voraus, dass Functional Food mit ernährungsspezifischen Funktionen privatwirtschaftlich entwickelt und hergestellt werden, und bringt in seiner Regulierung vor
allem das Anliegen des Gesundheitsschutzes zur Geltung. Daneben nimmt die
staatliche Regelung, wie vorn erwähnt (vgl. Kap. 7.2.3), auch das ordnungspolitische Anliegen des Täuschungsschutzes auf. Die Aufgabe der Versorgung mit Heilmitteln ist im Unterschied dazu nicht der Verantwortung der Wirtschaft überlassen.
Der Staat behält sich die Verantwortung für eine angemessene Versorgung von
Kranken mit Heilmitteln vor. Zwar ist die Heilmittelherstellung und -verteilung
privatisiert, doch wird die Privatisierung der Leistungserstellung durch eine dichte
staatliche Regulierung kompensiert, welche nicht nur die Sicherheit, sondern auch
die Wirksamkeit von Heilmitteln verlangt (vgl. Kap. 7.3.5). Ob die Versorgung mit
Mitteln zur Gesundheitsförderung wie die Versorgung mit Nahrungsmitteln in die
Verantwortung der Wirtschaft oder wie die Versorgung mit Heilmitteln in die Verantwortung des Staates fallen soll, ist im konkreten Recht zu regeln.
Im schweizerischen Recht finden sich keine speziellen Regeln für Functional Food,
nicht anders als im Recht vieler anderer europäischer Staaten auch. Trotzdem sind
Functional Food weder schlechthin vom Marktzugang ausgeschlossen noch gege nteils völlig frei anbietbar. Erfüllen sie Funktionen der Versorgung mit Nahrungsmitteln, so können sie den allgemeinen Bestimmungen der Lebensmittelgesetzgebung unterstehen. In den Geltungsbereich der Heilmittelgesetzgebung und vereinzelten Bestimmungen der Epidemien-, der Tierseuchen- und der Landwirtschaftsgesetzgebung können sie fallen, soweit sie Funktionen der Krankheitsversorgung erfüllen.
228
Im geltenden schweizerischen Recht finden sich jedoch nur gesetzliche Regelungen
für die Versorgung mit Nahrungsmitteln und die Versorgung mit Arzneimitteln.
Eine systematische Regelung der Versorgung mit Mitteln zur Gesundheitsförderung
fehlt. Klärungsbedürftig ist daher vor allem, wie weit Functional Food mit Gesundheitsförderungsfunktionen durch die geltende Lebensmittelgesetzgebung und Heilmittelgesetzgebung bereits erfasst werden können. Als Vorfrage ist zu prüfen, wie
die beiden Gesetzgebungskomplexe voneinander abgegrenzt sind. Anschließend
lässt sich untersuchen, wie weit die allgemeinen gesetzlichen Bestimmungen für
Functional Food anwendbar sind. Dabei ist auch zu prüfen, ob der Regelungsbedarf
für Functional Food damit abgedeckt ist oder Regelungslücken bestehen, die mit
neuen speziellen rechtlichen Regeln behoben werden müssten. Zuvor bleibt übersichtsmäßig auf die Bedeutung der Zuordnung von Functional Food zur Lebensmittel- resp. zur Heilmittelgesetzgebung hinzuweisen.
7.3.2
Bedeutung der Zuordnung von Functional Food zur Lebensmittel- oder Heilmittelgesetzgebung
Die Zuordnung von Functional Food entweder zur Lebensmittel- oder zur Heilmittelgesetzgebung (LMG bzw. HMG) ist unter verschiedenen Gesichtspunkten von
Bedeutung:
Bislang ist die bundesstaatliche Aufgabenteilung für Lebensmittel und Heilmittel
unterschiedlich. Das Lebensmittelgesetz55 und die darauf basierenden Verordnungen bilden eidgenössisches, landesweit verbindliches Recht. Zwar sind Vollzugsaufgaben zum Teil an kantonale Instanzen übertragen, doch liegt die Verantwortung
und Aufsicht bei den Bundesbehörden. Die Heilmittelgesetzgebung dagegen stellt
kantonales Recht dar. Die Kantone haben aus praktischen Gründen das Heilmittelkonkordat56 abgeschlossen und die Interkantonale Kontrollstelle für Heilmittel
(IKS) für die Registrierungsprüfung von Heilmitteln eingesetzt, doch sowohl die
Registrierungs- als auch die Rekursentscheide der IKV-Organe stellen keine rechtsverbindlichen hoheitlichen Entscheide, d. h. keine anfechtbaren Verfügungen dar57.
Die Entscheidkompetenz und die Aufsicht liegt nach wie vor bei den Kantonen.
Erst wenn das geplante eidgenössische Heilmittelgesetz in Kraft treten kann, werden auch hier Bundesbehörden zuständig sein 58.
Für die Lebensmittelkontrolle sind heute schon aufgrund der bundesstaatlichen
Ordnung, aber auch in Zukunft unter dem Regime des eidgenössischen Heilmittel55 LMG, SR 817.0.
56 Interkant. Vereinbarung über die Kontrolle der Heilmittel (IKV) v. 3.6.1971, SR 812.101.
57 Siehe BGE vom 11.09.1989, in: ZBl 3 / 1991, 117 f.
58 Siehe dazu Botschaft HMG sowie Richli 1997.
229
gesetzes unterschiedliche Behörden zuständig, nämlich das Bundesamt für Gesundheit (BAG) sowie besondere kantonale Vollzugsbehörden (Kantonschemiker, Kantonale Laboratorien, kommunale Lebensmittelkontrolleure) für die Lebensmittelkontrolle und die IKS resp. künftig das Eidgenössische Heilmittelinstitut (HMI)
sowie wiederum spezielle kantonale Vollzugsinstanzen (Kantonsapotheker, u. U.
besondere Kontroll- oder Registrierungsinstanzen) für die Heilmittelkontrolle.
Unterschiedlich sind ferner die Zulassungsverfahren, aber auch die Kontrollkonzepte für Lebensmittel und Heilmittel. Darauf ist im Folgenden einzugehen. Angemerkt sei hier einzig, dass die Nachmarktkontrolle der Lebensmittel systematischer
und dichter ist als diejenige für Heilmittel. Dies mag darauf zurückzuführen sein,
dass der Heilmittelverkauf im wesentlichen den Medizinalpersonen vorbehalten ist,
von welchen der Gesetzgeber aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu den Professionen der
Mediziner und der Apotheker Verantwortungsbewusstsein und kein Gewinnstreben
erwartet, so dass punktuelle Kontrollen ausreichen sollen.
Schließlich sind auch die inhaltlichen Anforderungen und damit die Gründe für die
Zulassung oder Nichtzulassung für Lebensmittel und Heilmittel unterschiedlich.
Besonders erwähnenswert sind die detailliert geregelten Versuche, die für den
Nachweis der Sicherheit und Wirksamkeit von Heilmitteln durchgeführt werden
müssen.
Ein wesentlicher Unterschied besteht wie erwähnt, was die Zwecke der Lebensmittel- und der Heilmittelgesetzgebung betrifft. Beide Gesetzeskomplexe sind auf Gesundheitsschutz und Täuschungsschutz im Sinn polizeilicher Gefahrenabwehr ausgerichtet. In der Heilmittelgesetzgebung tritt aber wie erwähnt der Zweck der Krankenversorgung hinzu.
7.3.3
Geltung und Reichweite der Lebensmittel- und der Heilmittelgesetzgebung für Functional Food
Wie weit Functional Food von der Lebensmittel- oder der Heilmittelgesetzgebung
erfasst werden, richtet sich nicht nach formalen Regeln wie beispielsweise der Regel der lex specialis oder derjenigen der lex posterior, sondern bildet ein inhaltliches
Problem, das im Licht von materialrechtlichen Gesichtspunkten gelöst werden
muss. Entscheidend ist die ratio legis, d. h. Sinn und Zweck der beiden Gesetzgebungskomplexe; dieser Sinn ist auf dem Weg der Auslegung zu ermitteln.
Functional Food können als Lebensmittel bezeichnet werden und die Funktion von
Nahrungs- oder Genussmitteln im Sinn des eidgenössischen Lebensmittelgesetzes
erfüllen. In Art. 3 des Gesetzes werden Lebensmittel als "Nahrungs- und Genussmittel" umschrieben (Art. 3 Abs. 1 LMG), wobei als Nahrungsmittel alle "Erzeugnisse, die dem Aufbau oder dem Unterhalt des menschlichen Körpers dienen und
230
nicht als Heilmittel angepriesen werden", gelten (Art. 3 Abs. 2 LMG). Genussmittel
im Sinn des Gesetzes sind "alkoholische Getränke sowie Tabak und andere Ra ucherwaren" (Art. 3 Abs. 3 LMG). Indem das Lebensmittelgesetz Lebens- und Genussmittel von Gebrauchs- und Verbrauchsgegenständen unterscheidet und im einzelnen Gebrauchs- und Verbrauchsgegenstände aufzählt, für welche andere Regeln
gelten (Art. 5 LMG), grenzt es den an sich viel zu weiten Begriff der "Erzeugnisse"
in plausibler Weise auf die Ernährung ein.
Bilden sie Lebensmittel im Sinn dieses Gesetzes, d. h. erfüllen sie Funktionen der
Ernährung, fallen Functional Food jedenfalls in den Geltungsbereich der Lebensmittelgesetzgebung und unterliegen deren Bestimmungen. Nur wenn speziellere
oder neuere gesetzliche Vorschriften für Functional Food eine besondere Regelung
vorsehen, ist die Lebensmittelgesetzgebung nicht anwendbar. Der sachliche Geltungsbereich des Lebensmittelgesetzes ist weit umschrieben und erfasst Functional
Food grundsätzlich auch dann, wenn sie (unspezifische oder spezifische) gesundheitsbezogene, über die Ernährung und den Genuss hinausreichende Funktionen
erfüllen.
Eine Grenze wird im LMG nur mit Bezug auf die Heilmittelgesetzgebung gezogen.
Das Lebensmittelgesetz regelt Kollisionen mit der Heilmittelgesetzgebung ausdrücklich. Es enthält dafür eine formale Abgrenzungsregel. Art. 2
Abs. 4 Bst. b LMG nämlich lautet folgendermaßen: "Das Gesetz gilt nicht: ... b. für
Stoffe und Erzeugnisse, die von der Heilmittelgesetzgebung erfasst werden; vorbehalten bleiben die lebensmittelpolizeilichen Bestimmungen über die Verwendung
von Tierarzneimitteln". Darüber hinaus gibt das Lebensmittelgesetz einen inhaltlichen Hinweis für die Abgrenzung. Wie bereits erwähnt, gelten gemäss Art. 3
Abs. 2 LMG Erzeugnisse, die als Heilmittel angepriesen werden, nicht als Lebensmittel im Sinn des Gesetzes, diese Bestimmung wird in Art. 19 Abs. 1 LMV näher
ausgeführt (vgl. Kap. 7.3.4). Bemerkenswert ist, dass die Anpreisung genügen soll
und nicht maßgeblich ist, ob ein Erzeugnis den rechtlichen Anforderungen an ein
Heilmittel effektiv entspricht.
Da der Bundesgesetzgeber beim Erlass des neuen Lebensmittelgesetzes die Heilmittelgesetzgebung kannte, ist davon auszugehen, dass er unter Heilmitteln solche
im Sinn dieser Gesetzgebung verstand und nicht einen besonderen, davon abweichenden Begriff prägen wollte. Indem der Bundesgesetzgeber im Lebensmittelgesetz gleich zweifach auf die Heilmittelgesetzgebung Bezug nimmt, zeigt er, dass er
einen systematischen Zusammenhang zwischen den beiden Gesetzgebungskomplexen herstellen wollte. Es ist deshalb davon auszugehen, dass er mit der begrifflichen
Abgrenzung der Lebensmittel von Erzeugnissen, die als Heilmittel angepriesen
231
werden, keine Lücke in Kauf nehmen wollte, sondern davon ausging, dass diese
von der Heilmittelgesetzgebung erfasst werden59.
Nicht nur der Wille des historischen Gesetzgebers, sondern auch der Wortlaut, die
heute für Functional Food gültige Zweckausrichtung und der systematische Bezug
zum Verfassungsrecht sprechen dafür, dass die Lebensmittelgesetzgebung und die
Heilmittelgesetzgebung komplementär sein sollen, so dass Functional Food der Lebensmittelgesetzgebung unterstehen, sofern sie nicht von der Heilmittelgesetzgebung erfasst werden: Der Wortlaut des Lebensmittelgesetzes schließt Darreichungsformen wie Kapseln usw., die für Heilmittel üblich sind, nicht aus; umgekehrt bietet
der Wortlaut der konkordatsrechtlichen Heilmittelgesetzgebung auch Raum zur
Erfassung von Nahrungsmitteln, die als Arzneimittel angepriesen werden. Die
Zwecke des Gesundheitsschutzes und des Täuschungsschutzes ertragen zudem keine Lücken. Wenn die Industrie heute im Kampf um Marktanteile in einem weitgehend gesättigten Lebensmittel- und Heilmittelmarkt herkömmliche Lebens- oder
Heilmittelgrundprodukte als Plattformen nutzt und darauf basierend Functional
Food als neue, durch besondere gesundheitsspezifische Funktionen bestimmte Module entwickelt und im Markt zu platzieren sucht (vgl. Kap. 6.5), wäre nicht zu
rechtfertigen, diese Functional Food ungeregelt zu lassen, weil auf sie eine in die
Gesetzgebung hineininterpretierte Definition von "Lebensmitteln" oder "Heilmitteln" nicht passt. Schließlich bilden beide Gesetzgebungen im Wesentlichen Konkretisierungen des verfassungsrechtlichen Polizeiauftrags, so dass jede von ihnen
zur Anwendung kommen kann, wenn die andere nicht greift.
Functional Food, die nicht Gebrauchs- und Verbrauchsgegenstände darstellen, fa llen daher unter die allgemeinen Bestimmungen oder unter spezielle Regeln (wie
beispielsweise für Immunbiologische Präparate, In-vitro-Diagnostika, Medizinprodukte, Blut, Blutprodukte und Transplantate 60) der Lebensmittel- oder der Heilmittelgesetzgebung, immer aber unter die einen oder die anderen. De lege lata tertium
59 In seiner Botschaft zum Lebensmittelgesetz führt der Bundesrat zur Abgrenzung zwischen Lebensmitteln und Heilmitteln Folgendes aus: "Produkte, die zum Essen geeignet sind, können
durchaus auch Heilwirkung haben. Daher ist die Lebensmittelgesetzgebung von der Heilmittelgesetzgebung abzugrenzen (Abs. 3 Bst. d). Dies ist deshalb wichtig, weil für die Heilmittelgesetzgebung und Kontrolle die Kantone als zuständig betrachtet werden, während die Lebensmittelgesetzgebung Bundessache ist. Für die Heilmittelkontrolle ist die auf einem Konkordat basierende Interkantonale Kontrollstelle für Heilmittel (IKS) zuständig. Durch diese Abgrenzung werden grundsätzlich die Heilmittel für den Humanbereich vom Geltungsbereich der Lebensmittelgesetzgebung ausgeschlossen. Das heißt, wenn Waren als Heilmittel angepriesen und verkauft
werden, erfasst sie die Lebensmittelkontrolle nicht, selbst wenn sie im Grunde, was die übrigen
Eigenschaften betrifft, ‚Lebensmittel‘ sind und auch entsprechend konsumiert werden". (Botschaft LMG, 919).
60 VO über immunbiologische Erzeugnisse vom 23.8.1989 (SR812.111); VO über die In-vitroDiagnostika vom 24.2.1993 (SR 818.152.1); MedizinprodukteVO vom 24.1.1996 (SR 819.124);
Bundesbeschluss über die Kontrolle von Blut, Blutprodukten und Transplantaten vom 22.3.1996
(SR 818.111). Im Zuständigkeitsbereich des Bvet: VO über die immunbiologischen Erzeugnisse
für den tierärztlichen Gebrauch vom 27.6.1995 (SR 916.445.2).
232
non datur. Damit ist für die Zuordnung entscheidend, wie der sachliche Geltungsbereich der Heilmittelgesetzgebung umschrieben ist.
Functional Food können auch als Heilmittel bezeichnet werden und die Funktion
von Arzneimitteln im Sinn der Heilmittelgesetzgebung erfüllen. Für welche Produkte
dies zutrifft, richtet sich in erster Linie nach den kantonalen Gesetzgebungen. Dort
werden aber soweit ersichtlich Heilmittel in der Regel nicht begrifflich definiert.
Anhaltspunkte finden sich vor allem in der Interkantonalen Vereinbarung über die
Kontrolle der Heilmittel. In diesem Konkordat, d. h. einem Staatsvertrag unter den
Kantonen, welchem mittelbar rechtsetzende Funktionen zukommen, wird gesagt,
worauf sich die Kontrolle beziehen soll, nämlich auf die "pharmazeutischen Spezialitäten", die "ihnen gleichgestellten Arzneimittel" und die "für den Publikumsgebrauch bestimmten Heilvorrichtungen" sowie "nötigenfalls" auch die "für die Verabreichung eines Arzneimittels gebrauchten Hilfsmittel (z. B. Transfusionsbestekke)" (Art. 2 Abs. 2 Bst. a). Mit Bezug auf die Herstellung der Arzneimittel verweist
das Konkordat auf die Bestimmungen der schweizerischen Pharmakopöe (Art. 2
Abs. 4).
Gemäß Art. 2 des Regulativs der IKV über die Kontrolle der Heilmittel sind pharmazeutische Spezialitäten "im voraus hergestellte Arzneimittel in verwendungsfertiger Form, die sich durch ihre besondere Bezeichnung (Marke, Phantasiename)
oder durch ihre besondere Aufmachung (z. B. hinsichtlich Verpackung, medizinische Angaben, Gebrauchsanweisung usw.) von anderen Arzneimitteln untersche iden" (Art. 2 Abs. 1). Diesen gleichgestellt sind "einfache oder zusammengesetzte
Arzneimittel, die in verwendungsfertiger Form an Ärzte, Zahnärzte und Tierärzte
geliefert werden" (Art. 2 Abs. 2). Arzneimittel werden umschrieben als "Stoffe und
Stoffgemische, die zur Erkennung, Verhütung, Behandlung von Krankheiten oder
sonst im Hinblick auf eine medizinische Verwendung zur Einwirkung auf den
menschlichen oder tierischen Organismus bestimmt sind" (Art. 1bis). Diese Umschreibung der Kontrollobjekte macht deutlich, dass die Heilmittelgesetzgebung
ebenso auf Krankheiten im medizinischen Sinn und deren Diagnose, Therapie, Palliation und Prävention ausgerichtet wie das ärztliche Handeln selbst. Der Bezug
zum ärztlichen Handeln ist zweifach; Arzneimittel im Sinn der Gesetzgebung sind
Mittel für medizinisches Handeln und (kumulativ) für medizinisch definierte
Krankheiten. Da sich die ärztliche Behandlung immer auf konkrete medizinisch
definierte Krankheiten oder Krankheitssymptome bezieht, gilt Gleiches auch für die
dabei verwendeten Heilmittel und die gesetzliche Regelung der Heilmittelkontrolle.
Werden Functional Food als Arzneimittel in diesem Sinn eingesetzt, also effektiv
für medizinische Zwecke verwendet, unterliegen sie der Heilmittelgesetzgebung.
Die Frage ist, ob Gleiches auch gilt, wenn sie nur für medizinische Zwecke angepriesen werden. Die Antwort ergibt sich, wenn man über die formale Begrifflichkeit
des Regulativs hinaus nach dem Sinn und Zweck der Heilmittelkontrolle fragt. Die
Kontrolle soll gewährleisten, dass alle Mittel, die in der ärztlichen Behandlung zum
233
Einsatz gelangen, bestimmten Qualitätsanforderungen genügen. Zudem soll sie ve rhindern, dass Produkte für die Behandlung von Krankheiten eingesetzt oder für diesen Zweck gekennzeichnet oder angepriesen werden, die nicht dafür geeignet sind,
damit nicht die Gefahr entsteht, dass Chancen für die Diagnose, Therapie, Palliation
oder Prävention von Krankheiten verpasst werden. Stoffe und Stoffgemische dürfen
nur als Arzneimittel bezeichnet und angepriesen werden, wenn sie die gesetzlichen
Voraussetzungen für die Zulassung als Heilmittel erfüllen; ob dies zutrifft, ist in den
Verfahren der Heilmittelzulassung zu prüfen. Fehlen einzelne Voraussetzungen, ist
die Bezeichnung und Anpreisung als Arzneimittel verboten. Dies gilt auch mit Bezug auf Functional Food.
Functional Food fallen mithin in den Geltungsbereich der Heilmittelgesetzgebung,
wenn – ähnlich wie im Fall des Medizinalfutters – Lebensmittel Trägerstoff für
Arzneimittel sind. Aber auch wenn Lebensmittel Funktionen von Arzneimitteln
übernehmen, d. h. selbst unmittelbar zur Behandlung oder Prävention von Krankheiten dienen, unterstehen sie der Heilmittelgesetzgebung. Gleiches gilt schließlich
dann, wenn Functional Food ausdrücklich für diese Funktion angepriesen werden.
Dies ergibt sich aus dem vorstehend geschilderten Sinn der Heilmittelgesetzgebung,
die die Wirksamkeit von Heilmitteln gewährleisten und daher auch sicherstellen
soll, dass als Arzneimittel angepriesene Functional Food die medizinisch relevanten
Wirkungen haben, die ihnen in der Anpreisung zugeschrieben werden61. Konkret
61 Der Bezug zu medizinisch definierten Krankheiten bildet eine Regel zur Abgrenzung der Ge ltungsbereiche der Lebensmittel- und der Heilmittelgesetzgebung. Eine solche Regel ist leichter
handhabbar und für Adressaten besser nachvollziehbar als eine "Gesamtbetrachtung, die die Abgrenzung zu einer Abwägungsfrage machen und den zuständigen Instanzen den Entscheid überlassen will, ob ein Produkt aufgrund zu definierender Kriterien insgesamt überwiegend Lebensmittelfunktionen oder überwiegend Heilmittelfunktionen erfüllt" (s. für den Versuch einer Gesamtbetrachtung auch den Entscheid des Züricher Verwaltungsgerichts vom 25.11.1999). Das
Bundesgericht scheint in einem unveröffentlichten, noch auf das alte Lebensmittelgesetz bezogenen Entscheid eine "Gesamtbetrachtungs"-Lösung zuzuneigen, zeigt aber durch seine Argumentation, dass damit die Abgrenzungsfrage offen bleibt: "Es erscheine als fraglich, ob der maßgebliche Gesichtspunkt allein im äußerlichen Umstand liegen kann, ob ein Produkt als Heilmittel angepriesen wird oder nicht. Das Kriterium kann jedoch bei der Auslegung des geltenden Rechts
als einer von mehreren Gesichtspunkten mitberücksichtigt werden. Für die Festlegung eines Stoffes als Lebensmittel ist also auszugehen von seiner Zusammensetzung. Dabei ist zu beachten, ob
der fragliche Stoff das Risiko unerwünschter, insbesondere gesundheitsgefährdender Nebenwirkungen mit sich bringt. Unter dem Gesichtspunkt des Verwendungszweckes ist danach zu fragen,
wie weit er zum Aufbau oder Unterhalt des menschlichen Körpers beiträgt. Entfaltet er Heilwirkungen, sind diese dazu in Relation zu setzen. Je mehr der Ernährungszweck im Vordergrund
steht, desto eher handelt es sich um ein Lebensmittel und umgekehrt. Wird das Produkt als Heilmittel angepriesen bzw. ist es als solches bekannt, ist dies ein Anhaltspunkt dafür, dass den
pharmakologischen Wirkungen maßgeblich die Bedeutung zugemessen wird. Treten sowohl
Heilwirkungen als auch nachteilige Nebenwirkungen auf, ist die Freigabe des Stoffes als Lebensmittel gesundheitspolizeilich in Frage gestellt, hingegen die Zulassung als Heilmittel wegen
der strikteren Kontrolle seiner Anwendung noch so lange möglich, als die erwünschte pharmakologische Wirkung dies rechtfertigt. Infolge dessen kann ein Produkt namentlich dann nicht als
Lebensmittel zugelassen werden, wenn die Heilwirkungen gemessen am Beitrag, an dem Aufbau
oder Unterhalt des Körpers zumindest als maßgeblich erscheinen und bereits beim Konsum normaler Mengen gesundheitsgefährdende Nebenwirkungen auftreten können." (BGE 1991).
234
bedeutet dies, dass Functional Food jedenfalls immer dann den Anforderungen an
Heilmittel genügen müssen und der dafür geltenden Bewilligungspflicht im ordentlichen oder vereinfachten Verfahren oder ausnahmsweise der einfachen Meldepflicht unterworfen sind, wenn sie zur Prävention, Therapie oder Palliation bestimmter konkreter Krankheiten oder Krankheitssymptome eingesetzt werden sollen
oder explizit für diesen Zweck gekennzeichnet oder angepriesen werden.
Diese Abgrenzung des Geltungsbereichs der Heilmittelgesetzgebung im Verhältnis
zur Lebensmittelgesetzgebung passt nahtlos zur vorn erwähnten, im Wortlaut des
LMG ausdrücklich formulierten Abgrenzung des Geltungsbereichs der Lebensmittelgesetzgebung im Verhältnis zur Heilmittelgesetzgebung. Dass dies der Fall ist, ist
weder dem Zufall noch der juristischen Auslegungskunst zuzuschreiben, sondern
widerspiegelt den im Lebensmittelgesetz zum Ausdruck gebrachten Willen des
Bundesgesetzgebers 62.
Vor diesem Hintergrund lässt sich die Frage beantworten, wie weit Functional
Food-Produkte, welche weder Nahrungsmittelfunktionen noch Arzneimittelfunktio-
62 In seiner Botschaft zu einem neuen eidgenössischen Heilmittelgesetz nimmt der Bundesrat seine
vorn zitierten Ausführungen in der Botschaft zum Lebensmittelgesetz auf und hält fest: "Die
Schnittstelle zwischen Lebensmitteln und Arzneimitteln wird durch das Lebensmittelgesetz vom
9. Oktober 1992 definiert. ... Bei Streitigkeiten über die entsprechende Zuständigkeit bei bestimmten Stoffen und Erzeugnissen entscheidet das Eidgenössische Departement des Innern nach
Anhören der betroffenen Behörden." (Botschaft HMG, 8). Und weiter: "Die Zuordnung der Erzeugnisse, die sich im Grenzbereich der Heilmittelgesetzgebung und der Lebensmittelgesetzgebung befinden, führt immer wieder zu Diskussionen. Rechtsvergleiche zeigen, dass es bis heute
keine nationale Regelung gibt, die diesbezüglich sämtliche Probleme aus der Welt schafft. Beim
Erlass des neuen Lebensmittelgesetzes haben sich sowohl der Bundesrat als auch das Parlament
auf den Standpunkt gestellt, dass es den Anbieterinnen und Anbietern überlassen sein soll, ihr
Produkt als Heilmittel oder als Lebensmittel auf den Markt zu bringen. Artikel 3 Absatz 2 des
Lebensmittelgesetzes definiert Nahrungsmittel als Erzeugnisse, die dem Aufbau oder dem Unterhalt des menschlichen Körpers dienen und nicht als Heilmittel angepriesen werden. In seiner
Botschaft vom 30. Januar 1989 zu diesem Gesetz führt der Bundesrat aus, dass als Heilmittel angepriesene und verkaufte Waren von der Lebensmittelkontrolle nicht erfasst werden, selbst wenn
sie im Grunde, was die übrigen Eigenschaften betrifft, ‚Lebensmittel‘ sind und auch entsprechend konsumiert werden. Um nun auch diejenigen Produkte im Grenzbereich zwischen der
Heilmittelgesetzgebung und der Lebensmittelgesetzgebung rechtlich fassen zu können, die dem
besseren Wohlbefinden und der Gesundheitsförderung dienen sollen (‚Functional Food‘, ‚Food
Supplements‘ usw.), sieht der Bundesrat eine entsprechende Änderung der Lebensmittelverordnung vor. Eine Arbeitsgruppe der Eidgenössischen Ernährungskommission ist gegenwärtig daran, erste Lösungsvorschläge auszuarbeiten ... Die im Lebensmittelgesetz enthaltene Bestimmung
zur Kompetenzbereinigung wird beibehalten. Bei Streitigkeiten über die Zuordnung bestimmter
Stoffe oder Erzeugnisse soll, nach Anhörung der betroffenen Behörden, weiterhin das Eidgenössische Departement des Innern entscheiden. Zusätzlich wird dem Bundesrat jedoch die Komp etenz eingeräumt, den Vollzug des Lebensmittelgesetzes, des Heilmittelgesetzes, des Landwirtschaftsgesetzes und des Tierseuchengesetzes zu koordinieren. Gestützt auf diese Bestimmung
wird er somit die Möglichkeit haben, auf heute noch nicht absehbare Schnittstellenprobleme flexibel zu reagieren und die bereits bestehenden bereichsübergreifend einer transparenten und eurokompatiblen Regelung zuzuführen." (Botschaft HMG, 30 f.).
235
nen, sondern Funktionen als Mittel zur Gesundheitsförderung erfüllen sollen, von
der Lebensmittel- resp. der Heilmittelgesetzgebung erfasst werden:
Functional Food, die als Mittel zur Ernährung mit zusätzlichen Funktionen für die
Gesundheitsförderung bezeichnet oder angepriesen werden, fallen in den Geltungsbereich der Lebensmittelgesetzgebung, sofern sie nicht die spezifischen Anforderungen der Heilmittelgesetzgebung erfüllen. Namentlich unterstehen sie der Lebensmittelgesetzgebung, wenn sie unspezifisch als gut für die Gesundheit oder die
physische und psychische Funktionstüchtigkeit bezeichnet werden. Gleiches gilt
grundsätzlich auch, wenn sie als gut für spezifische Gesundheitsanliegen oder spezifische physische und psychische Funktionserfordernisse bezeichnet werden; allerdings gilt dies nur so weit, als die besagten Gesundheitsanliegen oder Funktionserfordernisse im Alltagsverständnis nicht mit einer bestimmten Krankheit korrespondieren. Ob mit solchen Functional Food effektiv ein Zusatznutzen bzw. eine zusätzliche Funktion verbunden ist, ob diese zusätzliche Funktion für die Gesundheit oder
andere Zwecke dienen soll, und ob sie aus zufälliger Entwicklung, traditioneller
Züchtung, technischer Manipulation, Veränderung von Bestandteilen, Zusetzung
von Stoffen oder anderen Vorkehren resultiert, ist für die Zuordnung zur Lebensmittelgesetzgebung unerheblich. Gemäss der Definition im Lebensmittelgesetz ist
nicht einmal erforderlich, dass Functional Food eine besondere Gestalt aufweisen
oder in einem Alltagsverständnis als Lebensmittel erscheinen; sondern die sehr
weite gesetzliche Definition schließt Simulationen anderer Lebensmittel oder Formen wie Pillen, Tropfen usw. mit ein.
Werden Functional Food dagegen spezifisch als Alternativen zur medizinischen
Prävention, Linderung, Therapie (Diät) usw. von (explizit oder implizit angesprochenen) medizinisch definierten Krankheiten bezeichnet oder angepriesen, fallen sie
in den Geltungsbereich der Heilmittelgesetzgebung. Deren ratio legis verlangt, dass
Mittel zur Behandlung von medizinisch umschriebenen Krankheiten wirksam und
sicher sind, und damit immer auch, dass nur als wirksam und sicher ausgewiesene
Mittel für die Behandlung von Krankheiten öffentlich anerkannt werden. Zur öffentlichen Anerkennung gehören auch die Erlaubnis zur Bezeichnung und Anpreisung als Mittel zur Verhütung oder Behandlung von Krankheiten. Welche Mittel
der Einzelne für seinen Umgang mit Krankheiten für sinnvoll hält und im Rahmen
seiner privaten Autonomie einsetzen will, ist eine andere Frage und bleibt davon
unberührt. Die implizite Kennzeichnung oder Anpreisung für die Krankheitsprävention oder -behandlung genügt. Die Heilmittelgesetzgebung kommt beispielsweise nicht nur dann zur Anwendung, wenn Functional Food ausdrücklich als Vorbeugung gegen Osteoporose empfohlen werden, sondern der Hinweis "verhindert den
Knochenabbau" genügt, weil damit implizit auf das Krankheitsbild der Osteoporose
Bezug genommen wird. Im konkreten Einzelfall mögen die Meinungen auseina ndergehen, ob eine Anpreisung auf Krankheiten bezogen ist oder nicht; dies ist indessen kein spezifisches Problem der geschilderten Regelung von Functional Food,
236
sondern ein Problem der Interpretationsbedürftigkeit von Rechtsnormen generell 63.
Im Übrigen zeigt das Lebensmittelgesetz einen prozeduralen Weg zur Bereinigung
von Dissens auf: "Streitigkeiten über die Anwendung der Lebensmittelgesetzgebung oder der Heilmittelgesetzgebung bei bestimmten Stoffen und Erzeugnissen
entscheidet das Eidgenössische Departement des Innern nach Anhören der betroffenen Behörden" (Art. 2 Abs. 5 LMG).
Zwei Sonderfälle von Lebensmittelzusätzen durchbrechen diese Abgrenzung nur
scheinbar. Aufgrund von speziellen gesetzlichen Bestimmungen darf heute dem
Speisesalz Jod und Fluor sowie in einzelnen Kantonen dem Trinkwasser Fluor zugesetzt werden, und zwar für Zwecke der Krankheitsprävention. Die zuvor dargestellte materiale Abgrenzung spräche dafür, dass Salz und Trinkwasser in diesen
Fällen der Heilmittelgesetzgebung unterstellt würden. Gleiches ergibt sich aus einem neueren Entscheid des Bundesgerichts, in welchem die Anreicherung des
Trinkwassers mit Fluor als medizinische Zwangsbehandlung beurteilt wird, welche
in die persönliche Freiheit der Konsumenten eingreift. Das Gericht hat ein überwiegendes öffentliches Interesse an dieser Maßnahme bejaht, aber eine besondere gesetzliche Grundlage dafür verlangt 64. Art. 6 der Lebensmittelverordnung sieht zwar
vor, dass Lebensmitteln essentielle oder ernährungsphysiologisch nützliche Stoffe
nicht nur zur Erhaltung oder Verbesserung des Nährwertes, sondern auch für Zwekke der Bevölkerungsgesundheit zugesetzt werden dürfen. Doch im Licht der hier
zugrundegelegten systematischen Abgrenzung zwischen der Lebensmittel- und der
Heilmittelgesetzgebung können darunter nur Gesundheitsförderungsmassnahmen,
die nicht auf medizinisch beschriebene Krankheiten bezogen sind, verstanden werden. Die Zusetzung von essentiellen Stoffen zur Krankheitsprävention oder
-behandlung ist nur dann zulässig, wenn sie entweder aufgrund einer Registrierung
als Heilmittel bewilligt und deklariert oder, wie in den geschilderten Beispielfällen,
als staatliche Zwangsmassnahme gesetzlich besonders vorgesehen ist. Gleiches
gälte beispielsweise auch für die in jüngerer Zeit diskutierte Anreicherung des
Brotgetreides mit Folsäure zur primären Verhütung von Neuralrohrdefekten65.
Als Ergebnis lässt sich festhalten, dass nicht nur Functional Food mit (ausgewiesenen oder behaupteten) besonderen Ernährungs- oder Krankheitsversorgungsfunk-
63 Kritisch beispielsweise mit Bezug auf die Unterscheidung der amerikanischen FDA zwischen
Health Claims und Medical Claims. Gewiss trifft die dort implizierte Aussage zu, wonach sich
beide Arten von Claims letztlich auf die Verhütung von Gesundheitsbeeinträchtigungen einschließlich medizinisch definierten Krankheiten beziehen. Dies ändert nichts daran, dass sich
Kennzeichnungen und Anpreisungen für die medizinische Prävention von benennbaren medizinisch definierten Krankheiten bzw. Krankheitsarten von solchen für Verhütung von Erkennungen
in einem kategorialen Sinn durch Verhalten und Verhältnisse, die nicht medizinisch bestimmt
sind, grundsätzlich unterscheiden.
64 Siehe BGE vom 29.6.1991, in ZBI 1/1991, 25ff.
65 Siehe Bulletin des BAG 16, 1996, 6ff.
237
tionen, sondern auch solche mit Gesundheitsförderungsfunktionen durch die bestehende Lebensmittel- und Heilmittelgesetzgebung erfasst werden. Weil die sachlichen Geltungsbereiche der Lebensmittel- und der Heilmittelgesetzgebung korrespondierend voneinander abgegrenzt werden, sind die beiden Gesetzgebungskomplexe komplementär, ergeben sich also grundsätzlich keine Normenkonflikte. Besteht im konkreten Anwendungsfall Uneinigkeit über die Zuordnung von Functional
Food zur einen oder anderen Gesetzgebung, ist dies nicht auf einen Normenkonflikt, sondern auf ungenügend geklärte Differenzen in der Gesetzesauslegung zurückzuführen.
In der Praxis ergeben sich für die Bewilligung von Functional Food mit Gesundheitsförderungsfunktionen offenbar trotzdem immer wieder negative und positive
Kompetenzkonflikte zwischen den für die Lebensmittelkontrolle zuständigen Bundesbehörden und den mit der Heilmittelkontrolle befassten (rechtlich für die Heilmittelkontrolle zuständigen kantonalen Behörden zudienenden) Konkordatsinstanzen, die sich zu Lasten der Anbieter von Functional Food auswirken. In Normenkonflikten können solche Kompetenzkonflikte nach dem bisher Gesagten nicht begründet sein. Soweit sie rational fassbar sind, dürften sie vielmehr auf föderalistische und zwischenbehördliche Konkurrenzverhältnisse zurückzuführen sein, so dass
wenig Aussicht besteht, sie allein durch eine Klärung der Rechtslage zu lösen.
Sinnvoll wären über die Rechtsprobleme hinausgreifende behördeninterne Dialogund Vermittlungsverfahren zur Klärung der Kompetenzausscheidung. Realistischerweise kann aber die (unter Gesichtspunkten der Kundenorientierung unabdingbare) Klärung wohl nur von imperativen Entscheidungen erwartet werden. Solange die heutige konkordatsrechtlich geprägte Heilmittelgesetzgebung gilt, sind
Entscheidungen allerdings aus verfahrensrechtlichen Gründen schwer erzwingbar.
Nach dem Inkrafttreten des geplanten eidgenössischen Heilmittelgesetzes wird es
das EDI nicht nur nach dem Buchstaben des Gesetzes, sondern effektiv in der Hand
haben, Kompetenzstreitigkeiten ohne Verzug durch verbindliche Entscheidung zu
beseitigen.
7.3.4
Für Functional Food anwendbare Bestimmungen der Lebensmittelgesetzgebung
Fallen Functional Food nicht in den sachlichen Geltungsbereich der Heilmittelgesetzgebung, so unterstehen sie wie dargelegt der Lebensmittelgesetzgebung. Als
Lebensmittel führen sie dem Körper Energie zu; als Bestandteile der Ernährung
haben sie Teil an den sozialen und kulturellen Funktionen der Ernährung. Ob die
gesundheitsbezogenen Funktionen, die hinzukommen, aus der Sicht der Anbieter
oder der Abnehmer sekundär oder primär sind, ist nach dem vorn Gesagten irrelevant. Das dafür maßgebliche eidgenössische Lebensmittelgesetz (LMG) enthält
Regeln für beide inhaltlichen Schwerpunkte, die in der Diskussion über Functional
Food im Vordergrund stehen, nämlich für Anforderungen an die Sicherheit und für
238
Anforderungen an die Kennzeichnung und die Anpreisung von Lebensmitteln. Diese
Anforderungen sind hauptsächlich durch Zwecke des Gesundheitsschutzes und des
Täuschungsschutzes bestimmt.
Die Zwecke sind – was im schweizerischen Recht eher eine Ausnahme darstellt – in
einem Zweckartikel des Gesetzes ausdrücklich genannt. Art. 1 LMG lautet nämlich:
"Dieses Gesetz bezweckt: a. die Konsumenten vor Lebensmitteln und Gebrauchsgegenständen zu schützen, welche die Gesundheit gefährden können; b. den hygienischen Umgang mit Lebensmitteln sicherzustellen; c. die Konsumenten im Zusammenhang mit Lebensmitteln vor Täuschungen zu schützen". Der Gesundheitsschutz wird im Sinn polizeilicher Abwehr von Gefahren für die physische und psychische Integrität verstanden. Der Täuschungsschutz bildet zum vornherein eine
polizeiliche Aufgabe; er verlangt, dass Gefahren der Fehlinformation von Konsumenten bekämpft werden, damit der Lebensmittelmarkt funktioniert. Für den Gesetzgeber steht dabei der Schutz der Konsumenten vor Übervorteilung im Zentrum
(Art. 97 BV: Konsumentenschutz); gleichzeitig trägt der Täuschungsschutz dazu
bei, einen Preiswettbewerb im Lebensmittelmarkt zu ermöglichen und zu schützen66. Im Licht des geltenden Verfassungsrechts erscheinen beide Stossrichtungen
des Täuschungsschutzes gleichermaßen geboten.
Die Anforderungen an die Sicherheit von Lebensmitteln zielen auf den Schutz vor
unerwünschten Wirkungen, welche Gefahren für die physische oder psychische
Integrität darstellen. Die allgemeinen Anforderungen des LMG gelten auch für
Functional Food. Functional Food, die der Lebensmittelgesetzgebung unterstehen,
müssen gesundheitlich unbedenklich sein. Art. 13 LMG enthält übrigens eine bemerkenswerte Differenzierung der Anforderungen an Nahrungsmittel und Genussmittel. Nahrungsmittel nämlich "dürfen bei ihrem üblichen Gebrauch die Gesundheit nicht gefährden" (Art. 13 Abs. 1 LMG). Genussmittel hingegen "dürfen bei
ihrem üblichen Gebrauch und Genuss die Gesundheit nicht unmittelbar oder in unerwarteter Weise gefährden" (Art. 13 Abs. 2 LMG); das Gesetz impliziert mit anderen Worten, dass Genussmittel die Gesundheit mittelbar und in erwarteter Weise
gefährden können und dürfen.
Konkretisierungen dieser allgemeinen Grundsätze finden sich in der vom Bundesrat
erlassenen eidgenössischen Lebensmittelverordnung (LMV). Generell dürfen Nahrungsmittel danach "Stoffe und Organismen nur in Mengen enthalten, welche die
menschliche Gesundheit nicht gefährden können" (Art. 2 Abs. 1 LMV); überdies
dürfen Lebensmittel – also neben Nahrungsmitteln auch Genussmittel – "nicht ve rdorben, verunreinigt oder sonst im Wert vermindert sein" (Art. 2 Abs. 2 LMV).
Rohstoffe, Zwischenprodukte und Halbfabrikate, die zu Lebensmitteln verarbeitet
werden, "müssen so beschaffen sein, dass sich daraus bei sachgemäßer Behandlung
66 Siehe Botschaft LMG, 913, 917. Siehe zu den verschiedenen Interpretationsmöglichkeiten der
Zwecke des Gesundheits- und des Täuschungsschutzes Kapitel 7.2.3.
239
oder Verarbeitung einwandfreie Lebensmittel ergeben" (Art. 5 Abs. 2 LMV). Die
LMV sieht ihrerseits eine weitere Konkretisierung dieser Anforderungen durch bis
ins einzelne gehendes, spezielles Verordnungsrecht vor. Dieses Verordnungsrecht
wird vom Eidgenössischen Departement des Inneren (EDI) erlassen und regelt den
Zusatz von essentiellen oder physiologisch nützlichen Stoffen zu Lebensmitteln
(Art. 6 LMV), die Zulässigkeit und die Höchstmengen von Zusatzstoffen (Art. 8
Abs. 2 LMV), die Beurteilung und Höchstkonzentrationen von Fremdstoffen (Art. 9
Abs. 2 LMV) sowie die hygienischen und mikrobiologischen Anforderungen an
Lebensmittel, Höchstwerte für Mikroorganismen bei Lebensmitteln und die Nachweisverfahren zur Bestimmung dieser Werte (Art. 10 Abs. 2 LMV). Das EDI sucht
dabei die Übereinstimmung mit den entsprechenden EU-Normen67. Dass die
menschliche Gesundheit durch die zugesetzten Stoffe nicht gefährdet wird, ist regelmäßig durch toxikologische und metabolische Studien zu gewährleisten. Wenn
die Ergebnisse der z. B. für Zusatzstoffe und Pestizide üblichen toxikologischen
Prüfungen mit überhöhten Dosierungen bei physiologisch wirksamen Stoffen nicht
schlüssig sind, fallen dafür allenfalls pluridisziplinäre, z. B. auch epidemiologische
und biochemische Untersuchungen einschließende Nachweisverfahren in Betracht.
Anders als für Heilmittel wird die Einhaltung der Sicherheitsanforderungen für Lebensmittel normalerweise nicht vorgängig überprüft (keine Vormarktkontrolle). Es
genügt, dass ein Lebensmittel unter eine der Sachbezeichnungen fällt, die in der
LMV umschrieben sind, und die entsprechenden Anforderungen erfüllt (Art. 3
Abs. 1 Bst. a LMV). Statt dessen ist die Nachmarktkontrolle, d. h. die Lebensmittelkontrolle gemäß Art. 22 LMG, weiter entwickelt als diejenige für die Heilmittel.
Wenn Functional Food unter eine der Sachbezeichnungen der LMV fallen, gelten
sie nicht als neuartig und bedürfen keiner Bewilligung. Dies trifft beispielsweise zu,
wenn sich ihre besondere Funktion aus essentiellen oder ernährungsphysiologisch
nützlichen Stoffen wie Vitaminen oder Mineralstoffen gemäß Art. 6 LMV, welche
in der LMV umschriebenen Lebensmitteln zur Erhaltung oder zur Verbesserung des
Nährwertes zugesetzt werden, ergeben soll. Functional Food bedürfen in diesem
Fall keiner Bewilligung, müssen aber alle allgemein gültigen Sicherheitsanforderungen an Lebensmittel erfüllen.
Die Bewilligungsfreiheit für nicht neuartige Lebensmittel gilt in der Regel auch für
sogenannte Speziallebensmittel, wenn sie unter eine der Sachbezeichnungen der
67 In Art. 38 LMG erteilt der Gesetzgeber den Vollzugsbehörden ausdrücklich einen entsprechenden Auftrag: "1. Der Bundesrat berücksichtigt beim Erlass seiner Bestimmungen internationale
Empfehlungen und Außenhandelsbeziehungen. 2. Er kann im Rahmen dieses Gesetzes Normen
über Lebensmittel und Gebrauchsgegenstände für anwendbar erklären, die von internationalen
Organisationen empfohlen werden, sowie ausländische Prüfstellen und Zeugnisse anerkennen. 3.
Er kann im Rahmen der Befugnisse, die ihm dieses Gesetz erteilt, völkerrechtliche Verträge abschließen. 4. Die Bundesstellen arbeiten mit nationalen und internationalen Fachstellen und Institutionen zusammen".
240
LMV subsumiert werden können. Functional Food dürften mehrheitlich als Speziallebensmittel im Sinn der LMV einzuordnen sein. Als Speziallebensmittel gelten
"Lebensmittel, die für eine besondere Ernährung bestimmt sind und aufgrund ihrer
Zusammensetzung oder des besonderen Verfahrens ihrer Herstellung a. den besonderen Ernährungsbedürfnissen von Menschen entsprechen, welche aus gesundheitlichen Gründen eine andersartige Kost benötigen; oder b. dazu beitragen, bestimmte
ernährungsphysiologische Wirkungen zu erzielen" (Art. 165 LMV). Die Lebensmittelverordnung zählt die zulässigen Speziallebensmittel konkret auf. Genannt
werden derzeit mehrheitlich Lebensmittel, die bestimmte Elemente – Lactose, Natrium, Eiweiß, Gluten, Energie, Kohlenhydrate oder Zucker – nicht oder in vermindertem Maß enthalten; aber andere Speziallebensmittel sind gegenteils mit solchen
Elementen – z. B. Eiweiß, Nahrungsfasern – angereichert oder für besondere Zwekke – Gewichtskontrolle, Säuglings- und Kleinkinderernährung, Ergänzungsnahrung
– bestimmt (Art. 165 Abs. 2 LMV).
Eine Ausnahme bilden nur Ergänzungsnahrungen, für welche immer eine Einze lbewilligungspflicht besteht, also auch dann, wenn sie nicht neuartig sind, sowie
Lebensmittel für Säuglinge und Kleinkinder, für die zum Teil Gleiches gilt
(Art. 168 in Verbindung mit Art. 163 Abs. 2 Bst. o und p LMV) 68. Als Ergänzungs(oder Zusatz-)nahrung gilt ein Lebensmittel, "wenn es die normale Ernährung derart
ergänzt, dass besondere ernährungsphysiologische Bedürfnisse gedeckt werden
können", besonders solche von Sportlern und Sportlerinnen (Art. 184 Abs. 1 bzw.
Abs. 2 LMV). Functional Food, die hier einzuordnen sind, also Ergänzungsnahrung
im Sinn von Art. 184 LMV bilden, müssen die besonders strengen Voraussetzungen
gemäss Art. 168 LMV erfüllen. Diese Anforderungen sind denjenigen für die Bewilligung von Heilmitteln ähnlich.
Eine Einzelbewilligungspflicht analog zu derjenigen für Heilmittel ist nur für Lebensmittel, für welche die LMV keine Sachbezeichnung vorsieht, vorgesehen
(Art. 3 Abs. 2ff. LMV); dies gilt auch für in der LMV nicht umschriebene Speziallebensmittel (Art. 3 Abs. 3 LMV). Solche Lebensmittel gelten als neuartig. Die Bewilligung ist zu befristen und läuft ab, wenn die Frist abgelaufen ist oder das Lebensmittel in der Verordnung unter einer Sachbezeichnung umschrieben wird. Sind
Functional Food neuartig – gleichgültig ob sie Normallebensmittel oder andere als
die eben genannten Speziallebensmittel darstellen – bedürfen sie dieser Einzelbe-
68 Säuglingsanfangsnahrungen gemäss Art. 182 LMV sind heute in Anhang 2 zur LMV übereinstimmend mit der entsprechenden EU-Richtlinie geregelt und bedürfen daher keiner Bewilligung
mehr; die Bewilligungspflicht beschränkt sich auf die "sonstigen Lebensmittel für Säuglinge und
Kleinkinder" gemäss Art. 183 LMV (vgl. Art. 168 Abs. 1 i.V.m. Art. 165 Abs. 2 Bst. o LMV).
Mit der nächsten Revision der LMV soll die EU-Richtlinie 96/5/EG über Getreidebeikost und
andere Beikost für Säuglinge und Kleinkinder in gleicher Weise integral in die LMV übernommen werden, so dass auch für die Produkte gemäss Art. 183 LMV die Bewilligungspflicht entfallen soll.
241
willigung durch das BAG als normale Lebensmittel resp. Speziallebensmittel69.
Insgesamt dürften diese Regeln der geltenden Lebensmittelgesetzgebung für die
Marktzulassung von Lebensmitteln weit und differenziert genug sein, um auch
Functional Food in ihren verschiedenen Varianten angemessen zu erfassen.
Die allgemeinen Anforderungen an die Kennzeichnung und die Anpreisungen der
Lebensmittelgesetzgebung gelten für Functional Food ebenso wie für andere Lebensmittel. Art. 18 LMG statuiert ein umfassendes Täuschungsverbot: "(1) Die angepriesene Beschaffenheit sowie alle andern Angaben über das Lebensmittel müssen den Tatsachen entsprechen. (2) Anpreisung, Aufmachung und Verpackung der
Lebensmittel dürfen den Konsumenten nicht täuschen. (3) Täuschend sind namentlich Angaben und Aufmachungen, die geeignet sind, beim Konsumenten falsche
Vorstellungen über Herstellung, Zusammensetzung, Beschaffenheit, Produktionsart,
Haltbarkeit, Herkunft, besondere Wirkungen und Wert des Lebensmittels zu wekken".
In Art. 19 Abs. 1 LMV wird dieses Verbot näher ausgeführt: "Für Lebensmittel
verwendete Bezeichnungen, Angaben, Abbildungen, Packungen und Packungsaufschriften sowie Arten der Aufmachung müssen den Tatsachen entsprechen und dürfen nicht zur Täuschung über Natur, Herkunft, Herstellung, Zusammensetzung,
Produktionsart, Inhalt, Haltbarkeit usw. der betreffenden Lebensmittel Anlass geben. Insbesondere sind verboten: a. Angaben über Wirkungen oder Eigenschaften
eines Lebensmittels, die dieses nach dem aktuellen Stand der Wissenschaft gar nicht
besitzt oder die wissenschaftlich nicht hinreichend gesichert sind; b. Angaben, mit
denen zu verstehen gegeben wird, dass ein Lebensmittel besondere Eigenschaften
besitzt, obwohl alle vergleichbaren Lebensmittel dieselben Eigenschaften besitzen;
c. Hinweise irgendwelcher Art, die einem Lebensmittel Eigenschaften der Vorbeugung, Behandlung oder Heilung einer menschlichen Krankheit oder als Schlankheitsmittel zuschreiben oder den Eindruck entstehen lassen, dass solche Eigenschaften vorhanden sind; "... d. Aufmachungen irgendwelcher Art, die einem Lebensmittel den Anschein eines Heilmittels geben; .." (Art. 19 Abs. 1 Bst. a-d LMV).
Da in Abs. 1 Packungen gesondert neben den anderen Elementen erwähnt sind, ist
offensichtlich, dass sich diese Einschränkungen der Kennzeichnung und Anpreisung nicht nur auf Packungen beziehen, sondern auch auf Bezeichnungen, Angaben
69 Diese Regelung für neuartige Lebensmittel entspricht insofern, als das allgemein für die Lebensmittelzulassung maßgebliche Missbrauchsprinzip durch ein Verbotsprinzip (Verbot mit Erlaubnisvorbehalt) ersetzt wird, einem Konzept, das auch der Novel Food-Verordnung der EU zu
Grunde liegt (vgl. Kap. 7.1). Dass neuartige Lebensmittel in der Allgemeinen LMV anstatt wie
nach EU-Recht in einer besonderen Novel Food-Verordnung geregelt werden, ist auf die Unterschiedlichkeit der Gesetzgebungstechniken zurückzuführen und ohne inhaltliche Bedeutung. Das
BAG hat im übrigen besondere Merkblätter zur Registrierung von Neuprodukten, von Nahrungsergänzungen (Food Supplement) sowie von Ergänzungsnahrungen/Zusatznahrungen (z. B.
Sportlerprodukte) im Rahmen der LMV geschaffen.
242
und Abbildungen in Prospekten, Inseraten und Product placement in Printmedien,
TV, Radio, Internet, Film, Kongressinformationen usw.
Diese Bestimmungen, die sich auf die Kennzeichnungen ebenso wie auf die Werbung beziehen (Art. 19 Abs. 2 LMV), gelten auch für Functional Food. Sie statuieren grundsätzlich nicht positiv besondere Claims für die Lebensmittel, sondern sagen nur negativ, was Anpreisungen für Lebensmittel nicht enthalten dürfen. Zwei
ausdrücklich für zulässig erklärte Claims und ein ausdrücklich ausgeschlossener
Claim bilden die Ausnahmen. Ausdrücklich erlaubt werden nämlich "Hinweise auf:
1. Die Wirkung von Zusätzen essentieller oder ernährungsphysiologisch nützlicher
Stoffe zu Lebensmitteln aus Gründen der Volksgesundheit (Art. 6), 2. Die besondere Zweckbestimmung oder die ernährungsphysiologische Wirkung von Speziallebensmitteln" (Art. 19 Abs. 1 Bst. c zweiter Satzteil LMV). Und ausgeschlossen
werden Hinweise, die einem Lebensmittel Eigenschaften der Vorbeugung, Behandlung oder Heilung einer menschlichen Krankheit zuschreiben oder den Eindruck entstehen lassen, dass solche Eigenschaften vorhanden sind (Art. 19
Abs. 1 lit. c) sowie "Aufmachungen irgendwelcher Art, die einem Lebensmittel den
Anschein eines Heilmittels geben" (Art. 19 Abs. 1 Bst. d LMV). Die geltende Gesetzgebung lässt für Functional Food gesundheitsbezogene Claims zu, also namentlich Nutrient Function Claims und Enhanced Nutrient Function Claims, nicht aber
Disease Risk Reduction Claims, weil diese krankheitsbezogen sind. Anpreisungen
zur Diagnose, Behandlung oder Prävention von Krankheiten sind zwar nicht verboten, aber sie bewirken, dass Functional Food bei der IKS (bzw. künftig dem
HMI) zur Registrierung als Heilmittel angemeldet werden müssen und nicht als
Lebensmittel angeboten werden dürfen.
Kennzeichnungen und Anpreisungen für Functional Food, in welchen auf besondere
gesundheitsförderliche Wirkungen eines Lebensmittels hingewiesen werden, sind
nach geltendem Recht also zulässig, wenn zwei Bedingungen erfüllt sind. Sie müssen wissenschaftlich belegbar sein, und sie dürfen sich auf die Erhaltung oder Verbesserung der Gesundheit, nicht aber auf die Prävention oder Behandlung von bestimmten konkreten Krankheiten im medizinischen Sinn beziehen.
Was im Einzelnen verlangt werden soll, damit eine gesundheitsförderliche Wirkung
oder Eigenschaft eines Lebensmittels als nach dem Stand der Wissenschaft zu recht
beansprucht und als wissenschaftlich hinreichend gesichert gelten kann, umschreibt
das geltende Recht nicht weiter. Es wird später zu zeigen sein, dass der verfassungsrechtliche Grundsatz der Wirtschaftsfreiheit die Auslegung des Zwecks des Lebensmittelgesetzes, nämlich "die Konsumenten vor Lebensmitteln und Gebrauchsgegenständen zu schützen, welche die Gesundheit gefährden können" sowie "die
Konsumenten im Zusammenhang mit Lebensmitteln vor Täuschungen zu schützen"
(Art. 1 Bst. a und c LMG), sowie die Auslegung der konkretisierenden Gesetzesund Verordnungsbestimmungen der Lebensmittelgesetzgebung bestimmt und ver-
243
langt, dass Anforderungen an den wissenschaftlichen Nachweis auf jenes Minimalmaß beschränkt bleiben müssen, das für die Gefahrenabwehr unerlässlich ist.
Je höhere Anforderungen gestellt werden, desto stärker werden die Anbieter von
Functional Food im übrigen darauf drängen, dass der Patentschutz für Functional
Ingredients verstärkt wird, wie dies auch in den Experteninterviews und schriftlichen Stellungnahmen zum Ausdruck gebracht wurde. Offenbar haben Patentanmeldungen, welche Functional Food betreffen, in den vergangenen Jahren tendenziell
bereits zugenommen. Patentierbare Erfindungen können sowohl Functional Food
selbst als auch Verfahren zu deren Herstellung und die Verwendung eines Stoffes,
eines Erzeugnisses oder auch eines technisch veränderten Organismus bei der Herstellung bilden. An sich hat die Patentierung einzig den Schutz von Erfindungen als
Mittel zur Förderung des technischen Fortschritts zum Ziel; welche Arten von
menschlichen Bedürfnissen befriedigt werden sollen, ist dafür irrelevant. Mit der
Möglichkeit einer Patentierung wird indessen ein (durchaus beabsichtigter) Anreiz
für Investitionen und Entwicklungen im Bereich der Functional Food geschaffen.
Allgemein bleibt abschließend hervorzuheben, dass die Lebensmittelgesetzgebung
rein polizeilich ausgerichtet ist und weder eine Grundlage für eine gezielte risikoresp. innovationspolitische Steuerung der Entwicklung von Functional Food noch
für verpflichtende behördliche Maßnahmen zur Gesundheitsförderung, namentlich
durch Maßnahmen zur Begünstigung oder Förderung einer ausgewogenen Ernä hrung, bietet. Ferner ist festzuhalten, dass die geltende Gesetzgebung zwar vielfältige
Claims für Functional Food zulässt, aber abgesehen von Ausnahmen keine bestimmten Claims rechtlich schützt, und dass sie krankheitsbezogene Claims ausschließt.
Wenn im Übrigen vereinzelt gesagt wird, die Gesetzgebung in der Schweiz begünstige einseitig die synthetischen Heilmittel und jetzt die Anreicherung von Lebensmitteln mit – zwar natürlichen – Zusatzstoffen, so wäre dies – sofern zutreffend –
auf die Behördenpraxis zurückzuführen und nicht auf das geltende Gesetzes- und
Verordnungsrecht.
7.3.5
Für Functional Food anwendbare Bestimmungen der Heilmi ttelgesetzgebung
Functional Food fallen, wie dargelegt, in den sachlichen Geltungsbereich der Heilmittelgesetzgebung, wenn sie zur Diagnose, Therapie, Palliation oder Prävention
bestimmter Krankheiten im medizinischen Sinn eingesetzt oder für einen dieser
Zwecke gekennzeichnet oder angepriesen werden. Die Ziele und die für Functional
Food relevanten Anforderungen der geltenden Heilmittelgesetzgebung ergeben sich
vor allem aus dem Regulativ über die Kontrolle der Heilmittel der IKS. Es sind
Anforderungen an die Sicherheit und Wirksamkeit von Heilmitteln und an die Kenn-
244
zeichnungen und Anpreisungen für Heilmittel. Nach einhelliger Meinung von Lehre
und Praxis dient die Heilmittelkontrolle Zwecken des Gesundheitsschutzes und des
Täuschungsschutzes. Dabei wird der Gesundheitsschutz im Sinn polizeilicher Abwehr von Gefahren für die physische und psychische Integrität verstanden. Der
Täuschungsschutz bildet zum vornherein eine polizeiliche Aufgabe; er verlangt,
dass Gefahren der Fehlinformation von Konsumenten bekämpft werden, damit der
Heilmittelmarkt funktioniert. Die Heilmittelgesetzgebung lässt offen, wie weit der
Täuschungsschutz Schutz der Konsumenten vor Übervorteilung sein soll und wie
weit Schutz des Wettbewerbs auf dem Heilmittelmarkt 70; im Licht des geltenden
Verfassungsrechts erscheinen beide Stoßrichtungen gleichermaßen geboten. Wie
vorn dargelegt, tritt neben den Gesundheits- und den Täuschungsschutz als weiterer
Zweck die angemessene Heilmittelversorgung, die im Erfordernis der Wirksamkeit
von Heilmitteln zum Ausdruck kommt.
Dass die Sicherheits- und Wirksamkeitsanforderungen der Heilmittelgesetzgebung
im Sinn des polizeilichen Gesundheitsschutzes zu verstehen sind, ergibt sich vor
allem aus Art. 15 und 19 des Regulativs. In Art. 15 Abs. 1 sind die Gesichtspunkte
aufgezählt, die für die Registrierung begutachtet werden: "Die pharmazeutischen
Spezialitäten und die ihnen gemäss Art. 2 Abs. 2 und 3 dieses Regulativs gleichgestellten Arzneimittel werden von einem Begutachtungskollegium auf Zusammensetzung, Wirksamkeit, Gesundheitsschädlichkeit und Verkaufsart begutachtet".
Art. 19 führt aus, in welchen Fällen ein unter diesen Gesichtspunkten geprüftes
Heilmittel abgewiesen werden soll: "Ein Heilmittel wird abgewiesen, wenn ... (b)
die Zusammensetzung wertlos, widersinnig oder schädlich ist oder den Angaben
nicht entspricht; (c) die Arzneiform zu Missbrauch führen kann; (d) die Bezeichnung (Marke) unwahr ist oder der öffentlichen Ordnung und den guten Sitten widerspricht oder irreführend sein kann".
Wenn Functional Food unter die Heilmittelgesetzgebung fallen, müssen sie als
Heilmittel registriert werden und alle Voraussetzungen für die Registrierung erfüllen wie diese. Sie müssen durch eine in der Schweiz domizilierte Person oder Fir ma, die berechtigt ist, Heilmittel herzustellen, herstellen zu lassen oder im Großhandel abzugeben, zur Registrierung angemeldet werden. Der Gesuchsteller hat
dafür ein Gesuch einzureichen, welches bestimmte Unterlagen enthalten muss (Unterlagen mit allgemeinen Angaben, Unterlagen zur Qualität, Muster, Unterlagen zur
Toxikologie, Pharmakologie, Wirksamkeit und relativen Unbedenklichkeit: Art. 10
Abs. 1 und 2 in Verbindung mit Art. 11 - 13 des Regulativs). Das Regulativ regelt
nicht nur die Produktion, sondern namentlich auch die Durchführung von Heilmittelversuchen, welche für die Erstellung dieser Unterlagen erforderlich sind 71. Die
70 Siehe zu den verschiedenen Interpretationsmöglichkeiten der Zwecke des Gesundheits- und des
Täuschungsschutzes Kapitel 7.2.3.
71 Siehe besonders Art. 8 ff., 12 ff., 25 des Regulativs sowie das Reglement über die Heilmittel im
klinischen Versuch.
245
IKS kann indessen für Arzneimittel mit bereits registrierten Wirkstoffen abgesehen
von den analytischen, chemischen und pharmazeutischen Unterlagen auf die sonst
für die Registrierung erforderlichen Unterlagen ganz oder teilweise verzichten; diese Möglichkeit eines vereinfachten anstelle des ordentlichen Bewilligungsverfa hrens dürfte für Functional Food regelmäßig in Betracht fallen72. Die IKS muss periodisch kontrollieren, ob die als Voraussetzung für die Registrierung genehmigte
Zusammensetzung, Spezifikationen, Qualitätsanforderungen, Arzneimittelinformationen, Packungsmaterial und Vignettierung für ein Arzneimittel eingehalten werden, und nötigenfalls bestimmte Maßnahmen anordnen (Art. 27 des Regulativs).
Die Anforderungen an die Kennzeichnungen und Anpreisungen für Heilmittel73
dienen zum Teil dem Gesundheitsschutz. Dies trifft vor allem auf die Einschränkungen der Publikumswerbung für Heilmittel und die Verbote für solche Werbung
zu. Der Begriff der Werbung wird im Regulativ umschrieben und umfasst "alle
Maßnahmen zur Information, zur Marktbearbeitung und zur Schaffung von Anreizen, welche zum Ziel haben, die Verschreibung, die Abgabe, den Verkauf oder die
Anwendung von Heilmitteln zu beeinflussen." (Art. 5 Abs. 1). Überdies müssen
"alle Elemente der Werbung für ein bestimmtes Heilmittel ... mit der von der IKS
zuletzt genehmigten Arzneimittelinformation im Einklang stehen" (Art. 5 Abs. 2).
Gemäss Art. 7 Abs. 2 ist die "Publikumswerbung ... nicht zulässig für Heilmittel,
die a) nur auf ärztliche Verschreibung abgegeben werden dürfen; b) psychotrope
Substanzen oder Suchtstoffe im Sinne der entsprechenden bundesrechtlichen Vorschriften enthalten; c) nach ihrer Zusammensetzung und Zweckbestimmung so be72 Vereinfachten Verfahren unterliegen heute beispielsweise Mono-Substanz-Präparate mit bekannten Wirkstoffen sowie Phytopräparate mit bekannten Pflanzen, für welche die toxikologische und pharmakologische Dokumentation entfällt, oder pflanzliche Heilmittel mit bereits in registrierten Spezialitäten verwendeten Pflanzen / Drogen, für die anstelle der klinischen Doku mentation nur Anwendungsbelege (durchgeführt mit dem zur Registrierung angemeldeten Präparat) vorzulegen sind (siehe die Kurz-Anleitung der IKS für das Einreichen von Gesuchen um Registrierung von pharmazeutischen Spezialitäten der Humanmedizin, Stand 15.4.1999, Teil III und
IV). Besonders geregelt ist namentlich das vereinfachte Verfahren zur Registrierung von Hustenund Halsbonbons (siehe die Anleitung der IKS für die Registrierung von Husten- und Halsbonbons sowie Pastillen der Verkaufskategorie E, vom 106.1997 [Nr. 221.11.5]). Vereinfachte Registrierungsverfahren sind aufgrund besonderer Bestimmungen möglich, welche 1991 neu in die
Registrierungsrichtlinien der IKS aufgenommen worden sind (siehe die Richtlinien der IKS betreffend Anforderungen an die Dokumentation für die Registrierung von Arzneimitteln der Hu manmedizin (Registrierungs-Richtlinien) vom 16. Dezember 1977 (Stand 14. Mai 1998 [Nr.
221.11]), Ziff. 8: Besondere Bestimmungen). Danach können Untersuchungen am Menschen soweit möglich durch Bioverfügbarkeitsuntersuchungen ersetzt werden; überdies wollte man die
Möglichkeit von vereinfachten Verfahren namentlich für Generika, für Phytopräparate und Präparate der Ergänzungsmedizin oder etwa für Erkältungs- und Hustenmittel schaffen; siehe dazu
die Mitteilungen der IKS: Erläuterungen zur Änderung der Ziffer 8 der Registrierungsrichtlinien
der IKS, in: Monatsbericht OICM 6/1991, 375 f. Es liegt auf der Hand, dass für die Registrierung
von Functional Food, die in den Geltungsbereich der Heilmittelgesetzgebung fallen, entsprechende Erleichterungen zu prüfen wären.
73 Siehe dazu auch die Richtlinien der IKS über die Heilmittelwerbung vom 23. November 1995
(Stand 19. November 1998).
246
schaffen und konzipiert sind, dass sie ohne Tätigwerden eines Arztes für die entsprechende Diagnose, Verschreibung oder Behandlung nicht verwendet werden
können".
Functional Food fallen in der Regel nicht in eine dieser Kategorien. Doch die IKS
kann darüber hinaus "zum Schutz der öffentlichen Gesundheit weitere Heilmittel
und Heilmittelgruppen von der Publikumswerbung ausschließen" (Art. 7 Abs. 3).
Zudem ist generell jede Werbung verboten, "welche zu einem übermäßigen, missbräuchlichen oder unzweckmäßigen Einsatz von Heilmitteln verleiten kann" (Art. 7
Abs. 1). Gestützt auf diese Bestimmungen ist die IKS nicht nur berechtigt, sondern
verpflichtet, bestimmte Inhalte und Formen der Werbung für Functional Food oder
die Werbung für bestimmte Functional Food überhaupt auszuschließen, wenn sie
zum Schluss kommt, dass der Konsum dieser Functional Food mit gesundheitlichen
Gefahren verbunden ist. Im übrigen darf die Publikumswerbung auch nicht zu Tä uschungen Anlass geben; denn als "unzulässig gilt jede irreführende, unwahre oder
der öffentlichen Ordnung und den guten Sitten widersprechende Werbung" (Art. 7
des Regulativs).
Bei der Fachwerbung mögen Zwecke des Gesundheitsschutzes mittelbar ebenfalls
mitspielen, doch steht hier der Täuschungsschutz klar im Vordergrund. In Art. 6 des
Regulativs wird die Publikumswerbung von der Fachwerbung abgegrenzt, wobei
der Begriff der Fachwerbung weit gefasst ist. Als Fachwerbung gilt die an Personen, welche "zur Verschreibung, zur Abgabe oder zur beruflichen Anwendung von
Heilmitteln berechtigt sind", also namentlich Medizinalpersonen, adressierte Werbung; sie umfasst Anpreisungen, Besuche von Arzneimittelvertretern, die Lieferung
von Arzneimittelmustern, die Durchführung und finanzielle Unterstützung von
Verkaufsförderungstagungen sowie die direkte oder indirekte Unterstützung von
wissenschaftlichen Kongressen, an welchen die genannten Personen teilnehmen
(und sei es auch nur in Form der Übernahme von Reise- und Aufenthaltskosten für
diese Personen) (Art. 6 Abs. 2). Für die Fachwerbung in diesem Sinn gilt die generelle Regel, wonach "jede irreführende, unwahre oder der öffentlichen Ordnung und
den guten Sitten widersprechende Werbung sowie die Werbung, welche zu einem
übermäßigen, missbräuchlichen oder unzweckmäßigen Einsatz von Heilmitteln
verleiten kann", unzulässig ist (Art. 7 des Regulativs). Soweit Functional Food der
Heilmittelgesetzgebung unterstehen, gelten diese restriktiven Anforderungen an die
Fachwerbung auch für sie.
Die Kennzeichnung von Heilmitteln wird in Art. 17 des Regulativs detailliert geregelt. Die einzelnen Bestimmungen nehmen sowohl Anliegen des Gesundheitsschutzes (z. B. Abs. 2 Bst. e: Angaben für die Anwendung; Bst. f: Verfalldatum, Aufbrauchfrist) als auch solche des wettbewerbsbezogenen Täuschungsschutzes (z. B.
Abs. 5: Information der für das Publikum wesentlichen Texte in verständlicher
Form) und des übervorteilungsbezogenen Täuschungsschutzes (z. B. Abs. 2 Bst. a:
Bezeichnung; Bst. b: Wirkstoffe). Die sehr weitgehenden Kennzeichnungspflichten
247
für Heilmittel gelten auch für Functional Food, soweit diese in den Geltungsbereich
der Heilmittelgesetzgebung fallen.
Allgemein sei schließlich festgehalten, dass die IKS und das Regulativ die Möglichkeit von Differenzierungen im Rahmen der geschilderten Regeln offen lassen. Es
wäre daher möglich, für Functional Food, auf welche die Heilmittelgesetzgebung
anwendbar ist, einzelfallbezogen oder für zu definierende Kategorien von Functional Food (stoff-, produkt-, gefahrenbezogen o. ä. definierte Kategorien) spezifische
Regeln zu erlassen. Ebenfalls allgemein gilt, dass die IKS die Einhaltung der Regeln für die Produktinformation und die Publikums- und der Fachwerbung kontrollieren soll (Art. 27, 27bis des Regulativs). Im übrigen ist daran zu erinnern, dass die
IKS keine hoheitlichen Kompetenzen hat, sondern dass ihre Registrierungsentscheide rechtlich als Empfehlungen zuhanden der kantonalen Behörden gelten; für
die Adressaten verbindliche und gerichtlich anfechtbare Verfügungen für die Bewilligung von Heilmitteln – also auch von diesen gleichgestellten Functional Food
– gehen vom jeweiligen Kanton aus, ebenso wie Verfügungen für die Vornahme
von Untersuchungen, Kontrollen usw. Es ist offen, ob das künftige neue eidgenössische Heilmittelgesetz an dieser Ordnung viel ändern wird. Inhaltlich soll durch das
Gesetz vor allem die Heilmittelkontrolle mit dem Bundesgesetz über technische
Handelshemmnisse, mit den Bestimmungen der EU und mit dem eidgenössischen
Binnenmarktgesetz kompatibel gemacht werden. Im übrigen enthält das Gesetz vor
allem Neuerungen für den Vollzug. Ein neues eidgenössisches Heilmittelinstitut soll
an die Stelle der bisherigen IKS treten, als Organ des Bundes und der Kantone die
bisher zuständigen kantonalen Instanzen weitgehend ablösen, zu diesem Zweck
hoheitliche Funktionen erhalten (Verfügungsberechtigung) und mit erheblicher betrieblicher Autonomie arbeiten.
7.4
Spielräume für die Regelung von Functional Food im geltenden Verordnungs-, Gesetzes- und Verfassungsrecht
Einige vorläufige Hinweise sollen abschließend zeigen, auf welchen Ebenen des
Rechts Änderungen nötig wären, damit für Functional Food besondere staatliche
Regeln zur Anwendung kommen könnten. Eine eingehendere Prüfung von Änd erungserfordernissen würde zu weit führen; sie müsste sinnvollerweise mit Bezug
auf allfällige konkret geplante Sonderregeln erfolgen74.
74 Vgl. Lawrence und Rayner 1998. Diese Autoren diskutieren aus einer Public Health-Perspektive
ein Policy Framework, welches ähnlich wie die schweizerische Gesetzgebung von der getrennten
rechtlichen Regelung für Functional Food mit medizinisch-therapeutischen Zwecken bzw.
Claims auf der einen und Functional Food mit nicht medizinisch-therapeutischen Zwecken bzw.
Claims auf der anderen Seite ausgeht.
248
7.4.1
Praxisänderungen innerhalb des geltenden Verordnungsrechts
Das geltende Verordnungsrecht folgt der Zweiteilung in Heilmittel auf der einen
und Lebens- (sowie Genuss- und Verbrauchs-) mittel auf der anderen Seite, die auf
der Ebene des Gesetzesrechts vorgezeichnet ist. Functional Food müssen entweder
der Regelung für Lebensmittel oder derjenigen für Heilmittel unterstellt werden, je
nachdem, ob sie für eine ernährungs- oder eine krankheitsbezogene Verwendung
bestimmt sind. Auch wenn die Anbieter sie für gesundheits(förderungs)bezogene
Funktionen anpreisen, sind sie einem dieser beiden Gesetzgebungskomplexe zuzuordnen.
Functional Food müssen somit entweder den Anforderungen an die Sicherheit von
Lebensmitteln oder denjenigen an die Sicherheit und Wirksamkeit von Heilmitteln
genügen, die das Verordnungsrecht umschreibt. Was die Kennzeichnung und Anpreisung betrifft, sind die Vorschriften des geltenden Lebensmittel- und Heilmittelrechts auf Verordnungsstufe so konkret und detailliert, dass den zuständigen Instanzen des BAG bzw. der IKS kein Spielraum zur verbindlichen Anerkennung von
besonderen Health Claims für Functional Food bleibt. Eine rechtlich verbindliche
behördliche Anerkennung solcher Claims würde eine Grundlage zumindest im Verordnungsrecht voraussetzen, weil sie die in Art. 27 BV verfassungsrechtlich gewährleistete Wirtschaftsfreiheit der Anbieter einschränkt und deshalb jedenfalls auf
einer gesetzlichen Grundlage im materiellen Sinn, d. h. zumindest einer Grundlage
im Verordnungsrecht, beruhen müsste.
Zur Zeit scheint in der Öffentlichkeit wenig Klarheit über die für Functional Food
maßgebliche Rechtslage zu bestehen. Angesichts der wachsenden wirtschaftlichen
Bedeutung von Functional Food ist diese Situation zunehmend unbefriedigend.
Zumindest sollte verbindlich festgelegt und bekanntgegeben werden, in welchen
Fällen Functional Food den Bestimmungen der Lebensmittelgesetzgebung und in
welchen der Heilmittelgesetzgebung unterstellt sind. Die Anforderungen des anwendbaren Verordnungsrechts an die Zusammensetzung, Kennzeichnung und Anpreisung je nach Wirkungs-, Gefährdungs-, Anpreisungs- oder anderen Merkmalen
ergeben sich daraus für Functional Food genauso wie für Lebens- bzw. Heilmittel
ohne besondere Zusatzfunktionen. Diese Möglichkeit haben die zuständigen Stellen
des BAG und der IKS de lege lata durchaus; als Mittel kann die Publikation von
Richtlinien, Erläuterungen, Wegleitungen o. ä. dienen. Allerdings dienen solche
Verlautbarungen nur denn der Klärung, wenn sie zwischen BAG und IKS abgesprochen sind; Voraussetzung dafür ist daher, dass allfällige negative oder positive
Kompetenzkonflikte zwischen diesen Behörden vorgängig bilateral oder durch Entscheid des Eidgenössischen Departements des Innern (EDI) gelöst werden.
249
7.4.2
Verordnungsänderungen innerhalb des geltenden Gesetze srechts
Die erwähnte Zweiteilung auf der Ebene des Gesetzesrechts schließt aus, dass auf
dem Verordnungsweg eine dritte Produktkategorie außerhalb der Lebensmittel und
der Heilmittel rechtlich anerkannt und einem besonderen Regime unterstellt werden
könnte. Weder das Lebensmittelgesetz noch das Heilmittelkonkordat bietet die
Grundlage dafür, und andere Erlasse auf Gesetzesstufe, auf die sich entsprechendes
Verordnungsrecht das BAG oder der IKS stützen könnte, sind nicht ersichtlich. Es
wäre auch ausgeschlossen, dass Kantone für ihr Gebiet besondere gesetzliche Normen für Functional Food mit Funktionen der Gesundheitsförderung schaffen und
darauf gestützt eigenes Verordnungsrecht erlassen würden, weil Functional Food in
jedem Fall durch das einschlägige Bundesrecht (Lebensmittelgesetzgebung) bzw.
Konkordatsrecht (Heilmittelrecht) erfasst werden; kantonale Sonderzüge wären, je
nachdem welche Functional Food sie sachlich umfassen, bundesrechts- oder konkordatswidrig oder beides zugleich. Im übrigen könnte eine verordnungsrechtliche
Sonderregelung auch nicht auf die polizeiliche Generalklausel gestützt werden, weil
es an der dafür vorausgesetzten schweren, unmittelbaren und unvorhersehbaren
Gefahr für die – an sich polizeilich zu schützende – physische und psychische Integrität der Konsumenten von Functional Food in aller Regel fehlt.
Grundsätzlich möglich ist, durch Änderungen auf Verordnungsstufe spezielle Anforderungen für jene Functional Food zu umschreiben, die in den Geltungsbereich
der jeweils zugrundeliegenden Gesetzgebung fallen, also für Functional Food, die
der Lebensmittelgesetzgebung unterstehen, in der eidgenössischen Lebensmittelverordnung, und für Functional Food, die der Heilmittelgesetzgebung unterstellt
sind, im Regulativ der IKS.
Anforderungen an Functional Food im Rahmen der Lebensmittelverordnung könnten sich grundsätzlich auf die Sicherheit der Produkte sowie auf die Wahrheit und
Verständlichkeit der Information in Kennzeichnungen und Anpreisungen beziehen.
Zu letzteren gehört auch die Forderung, wonach Angaben über besondere Wirkungen von Functional Food wahr sein müssen. Allerdings ist diese Forderung mit dem
vorn erwähnten umfassenden Täuschungsverbot gemäss Art. 18 und 19 LMV für
Lebensmittel allgemein, mithin auch für die dazu zählenden Functional Food, soweit ersichtlich abgedeckt. Wissenschaftlich nachweisbar müssen besondere gesundheitsförderliche Wirkungen von Functional Food dann sein, wenn sie in Kennzeichnungen und Anpreisungen geltend gemacht werden (vgl. Kap. 4.4 zum Wirksamkeitsnachweis von Functional Food).
Anforderungen an Functional Food, die der Heilmittelgesetzgebung unterstellt sind,
können im Unterschied dazu nicht nur die Sicherheit sowie die Wahrheit- und Verständlichkeit von Kennzeichnungen und Anpreisungen zum Gegenstand haben,
sondern auch verlangen, dass die Functional Food effektiv als Arzneimittel wirksam
250
sind und die Wirksamkeit nachgewiesen wird. Auch dieses Erfordernis ist allgemein auf Verordnungsstufe bereits geregelt, nämlich in den vorn aufgeführten
Art. 10 - 13, 15 und 19 des Regulativs. Es wäre im einzelnen zu prüfen, ob darüber
hinaus spezielle Anforderungen für Functional Food in das maßgebliche Verordnungsrecht aufzunehmen wären.
Von aktueller Bedeutung ist die Frage, ob es zulässig wäre, durch Änderungen des
Verordnungsrechts besondere Claims für Functional Food anzuerkennen und zu
schützen. Da Produkte, die als Heilmittel angepriesen werden, gemäss Art. 3
Abs. 2 LMG nicht als Lebensmittel im Sinn des Gesetzes gelten, sondern der Heilmittelgesetzgebung unterstellt sind, müssten zwei Arten von Claims unterschieden
und die dafür zulässigen Angaben und Aufmachungen für Produkte deutlich auseinandergehalten werden: auf der einen Seite Nutrition Claims (Claims für Ernährungsfunktionen) und Health Claims, die im Alltagsverständnis weder explizit noch
implizit mit bestimmten Krankheiten korreliert sind (Health Claims für Gesundheitsförderungsfunktionen), und auf der anderen Seite Medical Claims (Claims für
Arzneimittelfunktionen) sowie Health Claims, die auf Krankheiten Bezug nehmen
und bei Konsumenten den Eindruck entstehen lassen, Functional Food könnten als
Alternativen zu Arzneimitteln eingesetzt werden (Health Claims mit Krankheitsve rhütungsfunktionen). Die Bestimmung in Art. 18 LMV, wonach weder durch Hinweise noch durch die Aufmachung der Eindruck erweckt werden darf, ein Lebensmittel könne Funktionen eines Heilmittels erfüllen, nimmt die gesetzlich vorgesehene Zweiteilung auf und dürfte nicht beseitigt oder unterlaufen werden. In der Lebensmittelverordnung könnten daher beispielsweise spezifische Nutrient Function
Claims oder Enhanced Nutrient Function Claims umschrieben werden, nicht aber
Disease Risk Reduction Claims; letztere wären nur im Rahmen des Regulativs der
Heilmittelkontrolle zulässig.
Allerdings ist zu bedenken, dass die verbindliche Regelung von Health Claims aus
verfassungsrechtlicher Sicht ambivalent ist, weil sie zwar verfassungsrechtlich anerkannten Anliegen wie dem Gesundheitsschutz und dem Täuschungsschutz, aber
verdeckt auch verfassungsrechtlich verpönten strukturpolitischen Zwecken dienen
kann. Vermögen nicht alle Anbieter Voraussetzungen, die für verordnungsrechtlich
geregelte Health Claims gelten, zu erfüllen, weil der betriebliche oder finanzielle
Aufwand dafür zu groß ist, verschafft der rechtliche Schutz von Health Claims den
Anbietern, die dazu in der Lage sind, faktisch die exklusive Möglichkeit, die entsprechenden Functional Food auf dem Markt anzubieten. Diese Wirkung ist ve rgleichbar mit derjenigen von rechtlich geschützten Erfindungspatenten oder Berufen. Strukturwirksam wird die Regelung von Health Claims besonders dann, wenn
verordnungsrechtlich ein aufwendiger Nachweis von vorausgesetzten Sicherheitsund Wirksamkeitsmerkmalen verlangt wird. Wenn für Functional Food auf dem
Weg der Verordnungsänderung besondere Health Claims eingeführt werden sollten,
müsste im konkreten Fall geprüft werden, ob die damit verknüpften Voraussetzungen effektiv durch legitime Zwecke des Gesundheits- und Täuschungsschutzes resp.
251
einer adäquaten Heilmittelversorgung gerechtfertigt werden können. Soweit die
Prüfung negativ ausfällt, stellt die Regelung von Health Claims eine verkappte
strukturpolitische Maßnahme dar und ist verfassungsrechtlich unzulässig. Der verfassungsrechtliche Grundsatz der Wirtschaftsfreiheit (Art. 27 BV) verbietet nach
ständiger bundesgerichtlicher Rechtsprechung strukturpolitisch motivierte Eingriffe
im Bereich der Wirtschaft, weil sie den freien Preiswettbewerb beeinträchtigen und
im Extremfall unterbinden75.
Im Licht der Wirtschaftsfreiheit ist weiter verlangt, dass die mit der Regelung von
Health Claims zur Geltung gebrachten Gesundheits- und Täuschungsschutzanliegen
tatsächlich so gewichtig sind, dass sie gegenüber den Interessen am Marktwettbewerb und der unternehmerischen Freiheit der Anbieter überwiegen. Zudem müsste
der mit der Regelung von Health Claims verbundene Eingriff verhältnismäßig sein;
die Voraussetzungen für Health Claims dürften nicht über das hinausgehen, was
zum Schutz vor Gesundheits- und Täuschungsgefahren geeignet und erforderlich
ist.
Dabei ist zu beachten, dass sich mögliche Gefahren gesundheitlicher Beeinträcht igung oder der Täuschung, welche den Anlass für eine Regelung von Health Claims
bilden könnten, nicht aus Eigenschaften der Produkte ergeben, sondern erst aus dem
Umstand der Kennzeichnung und Anpreisung solcher Produkte. Es geht insofern
nicht um Gesundheitsgefahren von Functional Food als solchen. Mögliche Gefahren
werden erst dadurch geschaffen, dass Anbieter für ihre Produkte mit (angeblichen
oder belegten) gesundheits- oder krankheitsbezogenen Wirkungen werben und
Konsumenten, wenn sie aufgrund der erwarteten Wirkungen ihr Konsumverhalten
ändern und die erwarteten Wirkungen nicht eintreten, gesundheitlichen oder wirtschaftlichen (Übervorteilung) Schaden erleiden könnten. Es genügt daher, Restriktionen für die Verwendung von Health Claims einzuführen.
Gesundheitliche Gefahren können sich hier vor allem mit Bezug auf Functional
Food, die der Heilmittelgesetzgebung unterstehen, ergeben, weil möglicherweise
Chancen der Therapie, Palliation oder Prävention von Krankheiten verpasst werden.
Wenn die Interessen des Gesundheitsschutzes im konkreten Fall so gewichtig sind,
dass sie gegenüber den durch die Wirtschaftsfreiheit geschützten Interessen überwiegen, ist es gerechtfertigt, im Verordnungsrecht abschließend die zulässigen
Health Claims für krankheitsbezogene Zusatzfunktionen von Functional Food zu
umschreiben und mit bestimmten Anforderungen an den Nachweis der Sicherheit
und Wirksamkeit zu verknüpfen. Dies müsste durch eine entsprechende Anpassung
des Regulativs und der Registrierungsrichtlinien der IKS (bzw. künftig gegebene nfalls in einer eidgenössischen Heilmittelverordnung) geschehen.
75 Siehe BGE 125 I 335ff., 337.
252
Mit Bezug auf Functional Food, die in den Geltungsbereich der Lebensmittelgesetzgebung fallen, sind dagegen in aller Regel nur Gründe des Täuschungsschutzes
relevant, und zwar in ihrer wettbewerbsorientieren Ausprägung; Schutzinteressen
der Konsumenten gegen Übervorteilung oder gar gegen gesundheitliche Beeinträchtigungen durch Fehlernährung als Folge von irreführenden Health Claims für
Functional Food fallen dagegen kaum ins Gewicht. Das Ziel rechtlicher Regelung
kann hier vor allem sein, die Desinformation, die sich aus einem Wildwuchs an
Phantasie-Health Claims ergeben würde, zu verhindern, damit Entscheidungsfähigkeit der Konsumenten gewahrt bleibt und der Markt funktionieren kann. Überwiegen die Interessen des Täuschungsschutzes im konkreten Fall gegenüber den Interessen des wirtschaftlichen Wettbewerbs, so ist es gerechtfertigt, die zulässigen
Health Claims verordnungsrechtlich zu umschreiben. Allerdings muss sich die Regelung auf die Umschreibung von zulässiger Health Claims beschränken und darf
nicht verlangen, dass für deren Verwendung bestimmte Sicherheits- oder Wirksamkeitsvoraussetzungen erfüllt sein müssen; dies wäre mit dem Zweck des wettbewerbsbezogenen Täuschungsschutzes nicht begründbar. Die allgemeinen Anforderungen der Lebensmittel- und Wettbewerbsgesetzgebung an die Wahrheit von
Kennzeichnungen und die Lauterkeit der Werbung genügen. Die zulässigen Health
Claims können negativ oder positiv umschrieben werden; im ersten Fall würde es
genügen, Health Claims für Krankheitsverhütungsfunktionen – z. B. Disease Risk
Reduction Claims – auszuschließen, im zweiten hingegen würden Typen zulässiger
Health Claims für Gesundheitsförderungsfunktionen – wie beispielsweise die bereits erwähnten Nutrient Function Claims oder Enhanced Nutrient Function Claims
– benannt. Dies kann durch eine entsprechende Änderung der Lebensmittelverordnung geschehen. Eine Regelung auf Verordnungsstufe ist nötig, weil solche Werbeeinschränkungen in die Wirtschaftsfreiheit eingreifen und für Eingriffe in verfassungsmäßige Rechte eine gesetzliche Grundlage verlangt ist.
Jedenfalls dürfte eine Regelung von Health Claims auf Verordnungsstufe keine
schweren Eingriffe in die Wirtschaftsfreiheit von Anbietern zur Folge haben. Dies
wäre namentlich der Fall, wenn für Health Claims vorausgesetzte Anforderungen an
den Nachweis der Sicherheit oder Wirksamkeit für einzelne Anbieter prohibitiv
wären und sie vom relevanten Markt ausschließen würden. Für solche Eingriffe
wäre eine demokratische Legitimation durch eine substantiierte formell-gesetzliche
Grundlage erforderlich, d. h. die Grundzüge der Regelung müssten in einem Erlass
enthalten sein, der dem Referendum untersteht.
Man kann sich schließlich fragen, ob es zulässig wäre, die Regelung von Health
Claims für Functional Food nichtstaatlichen Instanzen zu überlassen. Eine Möglichkeit dazu bilden freiwillige Selbstverpflichtungen der Anbieter. Sie sind als Instrument der privaten Qualitätssicherung und des Marketings im Rahmen der
Marktwirtschaftsordnung grundsätzlich nicht zu beanstanden; die Bekämpfung von
Missbräuchen erfolgt hier im Rahmen der Gesetzgebung gegen den unlauteren
253
Wettbewerb auf dem Weg privater Klagen76. Soweit jedoch als Folge der Verwendung von Health Claims (also nicht aus der Verwendung von Functional Food als
solcher) wie hievor geschildert erhebliche Gesundheits- und Täuschungsgefahren
für Konsumenten zu erwarten sind, muss eine verordnungsrechtliche Regelung von
Health Claims Platz greifen, welche die auf freiwilliger Selbstverpflichtung beruhenden privaten Regeln verdrängt.
Private Regeln können aber auch im Rahmen des Verordnungsrechts relevant werden. Grundsätzlich besteht die Möglichkeit, dass in der eidgenössischen Lebensmittelverordnung (für den Nahrungsmitteln gleichgestellte Functional Food) bzw.
im Regulativ der IKS (für den Heilmitteln gleichgestellte Functional Food) die zulässigen Health Claims nicht unmittelbar umschrieben, sondern nur Bestimmungen
eingefügt werden, welche auf private Regelungen von Health Claims verweisen77.
Die privaten Normen werden dadurch zum Bestandteil des staatlichen Rechts. Mittel dazu könnten indirekte Verweisungen durch unbestimmte Rechtsbegriffe und
Generalklauseln, wie beispielsweise "Übung und Ortsgebrauch", den "Stand der
Technik", die "Sorgfaltspflicht der Anbieter", die "freiwillige Selbstverpflichtung",
die "Anforderungen der Dachverbände"78 usw. sein. Verwaltung und Rechtsprechung halten sich dann für die Auslegung regelmäßig an bestimmte förmlich verabschiedete und allseits akzeptierte Richtlinien oder greifen auf Expertengutachten
zurück, welche bestimmte private Standards als aktuell anerkannt ausweisen.
Denkbar sind auch direkte Verweisungen auf positivierte private Normenwerke,
beispielsweise auf Richtlinien von der Art, wie sie die Schweizerischen Akademie
der medizinischen Wissenschaften zu verschiedenen moralischen und ethischpolitischen Problemen der medizinischen Praxis verabschiedet hat 79. Während die
indirekte Verweisung immer ein dynamisches Moment enthält – der Stand der
Technik, Anforderungen an Sorgfaltspflichten usw. müssen im konkreten Fall erho76 Bundesgesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG), vom 19.12.1986, verschiedentlich
revidiert (SR 241). In Art. 3 UWG findet sich ein detaillierter, umfangreicher Katalog von unlauteren Werbe- und Verkaufsmethoden und anderem widerrechtlichem Verhalten, gegen das
sich Anbieter (Art. 9 Abs, 1 UWG) und Kunden (Art. 10 Abs. 1 UWG), die dadurch in ihren
wirtschaftlichen Interessen bedroht oder verletzt werden, aber unter bestimmten Voraussetzungen
auch Berufs- und Wirtschaftsverbände sowie der Bund (Art. 10 Abs. 2 UWG) auf dem Klageweg
zur Wehr setzen können.
77 Siehe dazu neuerdings BGE 123 I 112 ff., 127ff., 130ff. mit Hinweisen auf die uneinheitlichen
Lehrmeinungen.
78 Art. 2 Abs. 1 der "Loi sur les prélèvements et les transplantations d'organes et de tissus" (vom 28.
März 1996) des Kantons Genf. "Exigeances des organismes faîtiers suisses tant de la transplantation"; siehe dazu BGE 123 I 112 ff., 113.
79 Die Sammlung der aktuellen Richtlinien der Akademie ist in einem Anhang abgedruckt in: Alberto Bondolfi/Hans-Jakob Müller (Hrsg.): Medizinische Ethik im ärztlichen Alltag. Basel, Bern
1999, 463ff.
254
ben werden und sind nur für den betreffenden Zeitpunkt aktuell –, kann man bei der
direkten Verweisung zwischen einer dynamischen und einer statischen Varianten
unterscheiden80. Durch Verweisungen werden allerdings nicht nur Fachwissen oder
technische Regeln und Standards in das staatliche Recht übernommen, sondern
Normen, die von spezifischen Rationalitätsvorstellungen beherrscht sind. Verweisungen auf Regeln für Health Claims, auf die sich Unternehmen der Lebensmittelresp. der Heilmittelindustrie oder von diesen beauftragte Organisationen verständigt
haben, liefen darauf hinaus, dass der Inhalt der Regelung privatisiert wird, aber der
Staat die Verantwortung für alles trägt, was gemäss dieser Regelung geschieht.
Dass dies aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht unproblematisch ist, liegt auf der
Hand. Private Regeln, auf welche das staatliche Verordnungsrecht verweisen würde, würden jedenfalls nur soweit zu gültigem Recht, als sie im Einklang mit der
Gesetzgebung und den Zielen und Prinzipien des eidgenössischen (gesundheitsförderungsbezogene Health Claims) resp. des kantonalen (krankheitsverhütungsbezogene Health Claims) Verfassungsrechts stünden. Und wenn schwere Einschränkungen der Wirtschaftsfreiheit für einzelne Anbieter damit verbunden wären, müssten
die wichtigsten Elemente der Regelung ohnehin im formellen Gesetz geregelt sein.
7.4.3
Gesetzesänderungen innerhalb des geltenden Verfassungsrechts
Änderungen des Lebensmittelgesetzes oder des Heilmittelkonkordats stehen derzeit
nicht auf der politischen Agenda; allenfalls könnten neue, für die Regelung von
Functional Food relevante Bestimmungen Eingang in das geplante eidgenössische
Heilmittelgesetz oder in kantonale Gesundheitsgesetze finden. Zwei Hinweise können deshalb hier genügen.
Es wäre grundsätzlich denkbar, eine neue Produktkategorie von Functional Food zu
definieren, vielleicht im Zusammenhang eines sachlich umfassenderen Gesetzes
über die Sicherheit und Wirksamkeit von Mitteln für die Gesundheitsförderung.
80 Als verfassungsrechtlich unproblematisch, aber für die Praxis zu schwerfällig gilt in der Regel
die statische Variante, bei welcher das Gesetz auf die Normen verweist, die im Zeitpunkt seiner
Verabschiedung in Kraft sind; denn die Verweisung im Gesetz muss dann jedes Mal erneuert
werden, wenn Änderungen der nichtstaatlichen Normen auch rechtlich wirksam sein sollen. Mit
Bezug auf die dynamische Variante, bei der das Gesetz auf die jeweils gültige Fassung nichtstaatlicher Normen verweist, gehen die Meinungen auseinander. Das schweizerische Bundesgericht hat die dynamische Verweisung im Genfer Transplantationsentscheid verfassungsrechtlich
für gültig erklärt, soweit Änderungen den nichtstaatlichen Normen nicht einen grundsätzlich anderen Gehalt verleihen, als dem Gesetzgeber bekannt war ("Il convient certes de réserver le cas
d'un changement important que subirait les directives auxquelles il est renvoyé; dans un tel cas en
effet, la réglementation adoptée par le législateur genevois sur la base d'un texte déterminé pourrait se trouver fondamentalement modifiée, sans intervention de l'organe législatif. Le renvoi perdrait alors sa légitimité, et avec elle sa validité." (BGE 123 I 112 ff., 131).
255
Dafür müsste der Weg der Gesetzgebung beschritten werden. Weil dies indessen
gegenwärtig nicht zur Diskussion steht, ist darauf nicht weiter einzugehen.
Gleiches gilt mit Bezug auf allfällige risiko- bzw. innovationspolitische Maßna hmen im Lebens- und Heilmittelmarkt oder Maßnahmen zur Gesundheitsförderung
durch Beeinflussung des Lebens- und Arzneimittelangebots. Solche Maßnahmen
könnten beispielsweise dazu dienen, die Entwicklung von Functional Food unter
Gesichtspunkten der politischen Wünschbarkeit und Akzeptabilität zu lenken bzw.
Ernährungsverhalten und -kultur der Bevölkerung insgesamt zu gestalten. Im kantonalen Verfassungsrecht finden sich mitunter ausdrückliche Grundlagen dafür 81;
als Kompetenzgrundlage für den Bund könnte namentlich Art. 118 BV (alt Art. 69
und 69bis BV; Schutz der Gesundheit) in Betracht fallen, wobei aber näherer Prüfung bedürfte, ob darin auch eine Grundlage für die Gesundheitsförderung und die
gesundheitsbezogene Risikopolitik inbegriffen ist. Das geltende Lebensmittelgesetz
nimmt solche Anliegen indessen nicht auf, und ebenso wenig das geltende Heilmittelkonkordat; beide Erlasse beschränken sich auf die polizeiliche Gefahrenabwehr.
Für risikopolitische Maßnahmen und für Maßnahmen der Gesundheitsförderung
wären neue gesetzliche Grundlagen erforderlich, die nicht mit dem geltenden Verfassungsrecht, sondern mit der übrigen geltenden Gesetzgebung (z. B. Wettbewerbsgesetzgebung) sowie mit den geltenden EU-Normen und allfälligen völkerrechtlichen Normen harmonisiert werden müssten.
7.5
Zusammenfassung
Functional Food bewegen sich in einer Übergangszone zwischen Lebensmitteln und
Heilmitteln. Diese beiden Bereiche werden international und auch in der Schweiz
traditionell getrennt geregelt und unterliegen unterschiedlichen Regelungsregimes.
Ohne eine verbindliche rechtliche Regelung dieses Übergangsbereichs entsteht eine
Grauzone, in welcher große Unsicherheit herrscht. Daher herrscht in der internationalen Diskussion ein weitgehender Konsens darüber, dass eine klarere Regelung
von Functional Food als bisher erforderlich ist.
Als bislang einziges Land weltweit verfügt Japan über vom Gesetzgeber festgeschriebene Regelungen zu Functional Food. Sie werden dort als "Food of Specific
Health Use" (FOSHU) definiert, die ein spezifisches Zulassungsverfahren durchla ufen müssen. Erfüllen sie die Genehmigungsvoraussetzungen, darf für diese Lebensmittel mit der gesundheitlichen Wirkung mit bestimmten Formulierungen geworben werden. Außerdem werden die zugelassenen Produkte durch ein spezielles
FOSHU-Logo gekennzeichnet.
81 Siehe z. B. die bereits früher zitierte Bestimmung in Art. 41 Abs. 1 KV BE.
256
In den USA existiert keine besondere Regelung für Functional Food. Welche gesetzliche Regelung für ein bestimmtes Produkt zur Anwendung kommt, richtet sich
danach, wie das Produkt auf dem Markt positioniert werden soll, welche "Darreichungsform" es hat, welchem Zweck es dienen und wie es beworben werden soll.
Für Functional Food, die als Lebensmittel Bestandteil der normalen Kost sein sollen, sowie für Nahrungsergänzungsmittel (Dietary supplements) sind vor allem zwei
Regelungen relevant: der Nutritional Labelling and Education Act (NLEA) und der
Dietary Supplement Health Education Act (DSHEA). Durch den NLEA wurde das
amerikanische Lebensmittelrecht dahingehend verändert, dass Lebensmittel mit
ernährungsbezogenen Angaben versehen werden müssen. Darüber hinaus wurde die
Möglichkeit geschaffen, auch bestimmte Werbeaussagen, die auf einen als wissenschaftlich gesichert geltenden Zusammenhang zwischen Ernährung und Gesundheit
abheben, für zulässig zu erklären. Basierend auf dieser Regelung hat die FDA bis
heute elf besondere "Health Claims" für Lebensmittel genauer umschrieben und
zugelassen, wobei die Gesamtheit der wissenschaftlichen Literatur sowie Studien,
deren Design hohen wissenschaftlichen Ansprüchen gerecht wird, zur Bewertung
herangezogen wurde.
In der EU und ihren einzelnen Mitgliedsstaaten existieren ebenfalls keine speziellen
Regelungen für Functional Food. Vielmehr fallen diese Lebensmittel unter das allgemeine Lebensmittelrecht bzw. unter die Rahmenrichtlinie für diätetische Erzeugnisse, sofern sie für einen besonderen Ernährungszweck konzipiert wurden. Handelt
es sich um Nährstoffe oder Lebensmittel, die in der EU bisher nicht in nennenswertem Umfang für den menschlichen Verzehr verwendet wurden, kann auch die
im Mai 1997 in Kraft getretene Novel Food-Verordnung der EU zur Anwendung
kommen.
Für die rechtliche Regelung in der Schweiz ist eine besondere Definition von Functional Food aus Rechtssicht nicht zwingend erforderlich. Zudem wäre die Definition
eines Rechtsbegriffs der Functional Food unflexibel und praktisch nur schwer zu
handhaben. Es genügt, besondere Gefährdungs-, Wirkungs-, Anpreisungs- oder
andere Merkmale von Functional Food rechtlich zu erfassen, soweit der Regelungszweck dies verlangt. Als Regelungszwecke stehen in der internationalen und nationalen Diskussion, die sich auf die Sicherheit, Wirksamkeit, Kennzeichnung und
Anpreisung von Functional Food sowie Prozedurfrage konzentriert, der Gesundheits- und der Täuschungsschutz der Konsumenten im Zentrum des Interesses. Andere als diese Zwecke polizeilicher Gefahrenabwehr, namentlich Zwecke der Gesundheitsförderung und der Risikopolitik bleiben im Hintergrund.
Eine spezifische Regelung für Functional Food fehlt in der Schweiz. Die geltende
Lebensmittel- und Heilmittelgesetzgebung in der Schweiz erlaubt jedoch, alle Produkte zu erfassen, die unter der Sammelbezeichnung Functional Food subsumiert
werden können. Weil die Lebensmittel- und die Heilmittelgesetzgebung unterschiedliche inhaltliche Anforderungen, Instanzen und Verfahren für den Marktzu-
257
gang von Produkten vorsehen, ist die Zuordnung von Functional Food von großer
praktischer Bedeutung. Die Zuordnung orientiert sich dabei am Charakter der mit
dem Produkt verbundenen Anpreisungen. Produkte mit Ernährungsfunktion (Nutrition Claims) unterstehen der Lebensmittelgesetzgebung, solche mit Arzneimittelfunktion (Medical Claims) der Heilmittelgesetzgebung. Abgrenzungsprobleme
stellen sich nur für Produkte mit Funktionen als Mittel zur Gesundheitsförderung
(Health Claims). Da die Lebensmittel- und die Heilmittelgesetzgebung komplementär sind und keine Lücke besteht, fallen solche Produkte in jedem Fall in den
Geltungsbereich eines der beiden Gesetzgebungskomplexe. Für die Zuordnung von
Functional Food mit Gesundheitsförderungsfunktionen ist entscheidend, ob ein
Produkt zur Diagnose, Therapie, Palliation oder Prävention bestimmter, medizinisch definierter Krankheiten oder Krankheitssymptome eingesetzt oder explizit für
diesen Zweck gekennzeichnet oder angepriesen wird. In diesem Fall untersteht es
der Heilmittelgesetzgebung, in allen übrigen Fällen der Lebensmittelgesetzgebung.
Functional Food im Geltungsbereich der Lebensmittelgesetzgebung bedürfen keiner
besonderen Bewilligung, wenn sie unter eine der Sachbezeichnungen oder Speziallebensmittel fallen, die in der Lebensmittelverordnung umschrieben sind. Bilden sie
hingegen Ergänzungsnahrungen oder neuartige (normale oder Spezial-) Lebensmittel im Sinn der Verordnung, bedürfen sie nach geltendem Recht einer Einzelbewilligung. Kennzeichnungen und Anpreisungen sind für Functional Food wie für
Lebensmittel allgemein zulässig, wenn sie nicht zu Täuschung Anlass geben, behauptete Wirkungen und Eigenschaften wissenschaftlich belegbar sind und nicht
der Anschein eines Heilmittels erweckt wird. Die Lebensmittelgesetzgebung erklärt
zwei spezielle Health Claims als zulässig und schließt Health Claims mit Arzne imittelanschein ausdrücklich aus.
Functional Food dagegen, die der Heilmittelgesetzgebung unterstehen, bedürfen
einzeln der Registrierung und Bewilligung. Voraussetzung dafür ist der wissenschaftliche Nachweis ihrer Sicherheit und Wirksamkeit aufgrund eines im einzelnen
vorgeschriebenen Dossiers. Für Functional Food dürfte in der Regel ein vereinfachtes Registrierungsverfahren anwendbar sein. Kennzeichnungen und Anpreisungen sind für die Publikumswerbung erheblich eingeschränkt, für die Fachwerbung
unter Gesichtspunkten des Täuschungsschutzes reguliert. Besondere Claims sind
nicht umschrieben.
Im Rahmen des geltenden Rechts obliegt dem BAG und der IKS als zuständigen
Behörden vor allem die Aufgabe, die Zuordnung von konkreten Functional Food
festzulegen und die Öffentlichkeit über die bestehende Rechtslage zu informieren.
Auf dem Weg der Verordnungsänderung könnten für Functional Food besondere
Sicherheits- bzw. im Fall der Heilmittelgesetzgebung zudem Wirksamkeitsvoraussetzungen eingeführt werden. Überdies ließen sich besondere Claims für Functional
Food umschreiben, wobei sich die Lebensmittelverordnung auf die Umschreibung
als solche beschränken müsste (Täuschungsschutz), während das Regulativ resp. die
258
Registrierungsrichtlinien für Heilmittel spezifische, namentlich wissenschaftliche
Nachweise für die behaupteten Wirkungen verlangen könnten (Täuschungs- und
Gesundheitsschutz). Freiwillige Selbstverpflichtungen können unter bestimmten
Voraussetzungen an die Stelle der Regelung treten oder diese inhaltlich beeinflussen. Der Weg der Gesetzesänderung müsste beschritten werden, wenn die Absicht
wäre, Functional Food als neue Kategorie neben Lebens- und Heilmitteln einem
eigenen Regime zu unterstellen oder die Zulassung von Functional Food nach Maßgabe von Zwecken der Entwicklungslenkung oder der Gesundheitsförderung zu
beschränken.
259
8.
Gesellschaftliche Diskussion in der Schweiz
Functional Food als eine mögliche Komponente der täglichen Ernährung und somit
als ein Gesundheitsfaktor betrifft prinzipiell jeden einzelnen als Individuum (Konsumenten), aber auch eine Vielzahl von Gruppierungen, die verschiedene Interessen
und Meinungen zu diesem Thema vertreten (Abb. 8.1). Das erklärte Ziel der Untersuchung der gesellschaftlichen Aspekte war, in der Schweiz das vorherrschende
Meinungsspektrum in diesen Gruppierungen zu erfassen, Divergenzen und Konvergenzen sowie den allgemeinen Handlungsbedarf zu erkennen, und den einigenden
und die Problematik lösenden Dialog anzuregen und einzuleiten. Die methodische
Vorgehensweise zur Eruierung der gesellschaftlichen Diskussion des Themas
Functional Food in der Schweiz ist in Kapitel 2 beschrieben. Generell bewerteten
die befragten Akteure ihren Einbezug in die vorliegende Untersuchung als positiv.
An den Ergebnissen der Untersuchung wurde großes Interesse geäußert.
8.1
Beteiligungsverhalten der gesellschaftlichen Gruppen an
der Umfrage
Einen ersten Eindruck zur Relevanz des Themas Functional Food in der Gesellschaft erlaubt die Art und Weise, wie sich die befragten gesellschaftlichen Gruppen
an der Umfrage im Rahmen dieser Untersuchung beteiligten. Bei der folgenden
Diskussion werden hierbei drei Kategorien unterschieden:
•
Keine Stellungnahme, jedoch kurze begründete Absage,
•
Weiterleitung der Unterlagen oder Empfehlung eines geeigneten Ansprechpartners zur Stellungnahme,
•
detaillierten Stellungnahme.
Zu den häufigsten Gründen, weshalb keine Stellungnahme abgegeben wurde,
zählten:
•
Functional Food sind kein für die Institution relevantes Thema und werden dies
auch in Zukunft nicht sein,
•
das Thema Functional Food ist für die Institution noch nicht relevant,
•
Ablehnung der Stellungnahme,
•
Zeitmangel.
Abbildung 8.1:
Functional Food im Mittelpunkt der Interessen verschiedener gesellschaftlicher Gruppierungen
Produzenten und Produzentenvereinigungen
Politische Instanzen
Groß- und Einzelhandel
sowie Handelsverbände
Functional
Food
Konsumenten und
deren Interessenvertretungen
Forschung und Wissenschaft
Private und öffentliche Institutionen im Gesundheitswesen
260
Behörden
–Gesetzgebung
–Kontrollinstanzen
Medien
Berichterstattung
261
Insbesondere Institutionen im Bereich der Sozial- und Geisteswissenschaften, wie
Theologie und Ethik, haben sich bisher noch nicht spezifisch mit dem Thema Functional Food auseinandergesetzt. Sie messen ihm jedoch unter anderen wegen der
Problematik der Abgrenzung gegenüber Arzneimitteln und der Frage nach Folgen
und Nebenwirkungen Relevanz zu. Der Aufruf zur Stellungnahme hat die entsprechenden Institutionen sensibilisiert, die Diskussion zu verfolgen und unter Umständen später, sofern relevant, zu thematisieren. Ähnlich werden politische Parteien
erst in die Diskussion eingreifen, wenn Gesetzes- oder Verordnungsänderungen
anstehen. Im Bereich des Gesundheitswesens haben sich Teile der Ärzteschaft, aber
auch verschiedene Stiftungen und Vereinigungen noch nicht mit der Thematik befasst. Gleiches wurde von Forschungseinrichtungen im Sektor der Gesundheitsökonomie geäußert.
Zum Teil wurde auf behördlicher Ebene eine Stellungnahme abgelehnt, da der Projektabschlussbericht als reines Informations- und Beratungsinstrument von Instanzen in Verwaltung und Politik verstanden wird. Entsprechend wurde erst eine Stellungnahme zum Abschlussbericht als gerechtfertigt erachtet. Ebenfalls problematisch wurde befunden, zu rechtlich noch nicht festgelegten, neu auf den Markt drängenden Produkten Stellung zu nehmen, wobei jedoch zum Ausdruck kam, dass der
Gesundheits- und Täuschungsschutz im Vordergrund stehen müsse, und hierbei die
Lebensmittelgesetzgebung Maßstab sei. Die relativ geringe Beteiligung behördlicher Institutionen ist insofern bedauerlich, da damit Standpunkte und Interessen
einer in der Diskussion um Functional Food wesentlichen Gruppe von Akteuren nur
in einer späteren Phase des Projektes einbezogen werden können.
Zahlreiche Anfragen um Stellungnahme wurden intern oder extern weitergeleitet
oder ein als geeignet erachteter Ansprechpartner empfohlen. In der Regel handelte
es sich um Personen und Institutionen, die bereits vom Projektteam berücksichtigt
worden waren. Während regional/kantonal vertretene Institutionen die Unterlagen
an ihre Dachverbände weiterleiteten, da diese für sie als richtungsweisend gelten,
verwiesen andererseits größere Vereinigungen oder Dachorganisationen auf einzelne ihrer Mitglieder, die sich mit der Thematik spezifischer auseinandersetzen
könnten. Functional Food wurde jeweils als ein für die Institutionen relevantes
Thema erachtet, jedoch fand noch keine übergreifende und abschließende Meinungsbildung statt, was auch für konsumentenorientierte Medienvertreter gilt. Der
Abschlussbericht wurde diesbezüglich als zweckdienliche Diskussionsgrundlage
bewertet.
Auf öffentlicher, behördlicher Ebene zeichnete sich eine klare Konzentration der
Kompetenzen auf das Bundesamt für Gesundheit (BAG), Abteilung Lebensmittelwissenschaft, und insbesondere die Eidgenössische Ernährungskommission (EEK)
als beratendes Gremium ab. Das Schema der Weiterleitung verdeutlicht dies: Kantonsärzte à Kantonschemiker à konsolidierte Antwort des Verbandes der Kantonschemiker der Schweiz à BAG/EEK. Verschiedene Kantonsärzte äußerten Interes-
262
se an der Thematik, es wurde aber darauf hingewiesen, dass Fragen der Gesundheitsvorsorge in Zusammenhang mit Lebensmitteln grundsätzlich vom Amt für Lebensmittelkontrolle behandelt würden. Die für den Vollzug der schweizerischen
Lebensmittelgesetzgebung im jeweiligen Kanton zuständigen Kantonschemiker
unterstrichen den dringenden Bedarf nach einer gesetzlichen Regelung der Functional Food, die nur durch koordiniertes Vorgehen erzielt werden könne. Da sich eine
Arbeitsgruppe der EEK intensiv mit der Thematik beschäftigt, wünschen ihre Mitglieder (z. B. Kantonschemiker, Interkantonale Kontrollstelle für Heilmittel, Wissenschaftsvertreter) keine gesonderte Stellungnahme abzugeben, sondern die der
Kommission zu unterstützen. Von verschiedenen Abteilungen des BAG sowie von
anderen Bundesämtern wird ebenfalls eine zentrale Stellungnahme durch die EEK
empfohlen.
Die in der Analyse berücksichtigten Stellungnahmen reichten von kurzen, mehrzeiligen Statements bis zu mehrseitigen detaillierten Darlegungen. Institutionen, die
sich bereits ausführlicher mit der Thematik der Functional Food auseinander setzten, sandten auch unterstützendes Informationsmaterial. Im Folgenden werden die
Ergebnisse der Auswertung der detaillierten Stellungnahmen getrennt nach den unterschiedenen gesellschaftlichen Gruppierungen dargestellt.
8.2
Interessenlage verschiedener gesellschaftlicher Gruppierungen
8.2.1
Interessenvertretungen der Konsumenten
Zu den Interessenvertretungen der Konsumenten, die Stellung nahmen, zählen Konsumentenvereinigungen in der Deutschen, Französischen und in der Italienischen
Schweiz, sowie Organisationen und Vereinigungen im Bereich Umweltschutz und
Gentechnologie.
"Lebensmittel und Ernährung" und somit auch Functional Food sind ein Interessenschwerpunkt der Konsumentenvereinigungen. Da die Konsumenten eher schlecht
über gesunde Ernährung informiert sind, besteht nach Einschätzung der Befragten
großer Bedarf an der Entwicklung von neutralen Orientierungs- und Entsche idungshilfen. Functional Food werden von den Konsumentenvereinigungen als Lebensmittel definiert, die mit dem Ziel eines erhöhten gesundheitsfördernden Nutzens verändert und denen natürliche oder synthetische Zusätze beigefügt wurden. In
diesem Zusammenhang warnen die Konsumentenvereinigungen vor einem Missbrauch von Grundnahrungsmitteln (z. B. Milch) und der Verdrängung von traditionellen, möglichst naturbelassenen, schonend verarbeiteten Lebensmitteln, die Be-
263
standteil einer ausgewogenen gesunden Ernährung sein müssen. Functional Food
werden nicht als eine grundsätzlich neue Idee verstanden (in diesem Zusammenhang wurde auf den bereits praktizierten Fluor- und Jodzusatz zu Kochsalz verwiesen), sondern als ein auf weitere Produkte ausgedehnter Trend, der momentan vor
allem wirtschaftlichen Interessen Rechnung trägt.
Folgender Handlungsbedarf zur Vermeidung von Täuschung der Konsumenten
wurde dargelegt: Der Begriff Functional Food muss klar definiert werden, und eine
eindeutige Abgrenzung zwischen Arzneimitteln und Lebensmitteln ist notwendig.
Auf behördlicher Ebene wird eine rasche und verbesserte Information der Öffentlichkeit zur (Un-)Bedenklichkeit neuer Produkte erwartet. Zur Wahrung von Sicherheit und Gesundheit der Bevölkerung wird daher eine strikte gesetzliche Regelung (Schweizer Lebensmittelgesetz) verlangt, deren Einhaltung streng kontrolliert
wird und im Falle von Verfehlung Sanktionen nach sich zieht. Die Schaffung einer
Bewilligungs- und Kontrollinstanz sollte den wissenschaftlichen Nachweis der
Wirksamkeit der Produkte und die Einhaltung aller anderen gesetzlichen Regelungen vor und nach der Markteinführung sicherstellen. Von der Forschung wird mehr
Transparenz gegenüber der Öffentlichkeit erwartet, um die aktuellen Inhalte der
Forschung besser verfolgen und verstehen zu können. Von Seiten der Produzenten
und des Handels wird transparente, wahrheitsgetreue Information zu neuen Produktentwicklungen gewünscht, welche die wissenschaftlichen Erkenntnisse den
wirtschaftlichen Interessen überordnet. Die im Bereich der Prävention und Ernä hrung tätigen Organisationen werden angehalten, weiterhin und vermehrt bereits bei
Jugendlichen Aufklärungsarbeit zu leisten, die eine gesunde ausgewogene Ernä hrung basierend auf traditionellen Lebensmitteln in den Mittelpunkt stellt.
Die sich äußernden Organisationen und Vereinigungen pro Umweltschutz und contra Gentechnologie verfolgen die Entwicklung von Functional Food kritisch und
ablehnend. Zum Zeitpunkt der Befragung hatten sie sich jedoch noch nicht im Detail mit der Thematik befasst oder sich dazu öffentlich geäußert.
Functional Food wurden als verarbeitete Lebensmittel mit einem zugefügten medizinisch vorbeugenden oder heilenden Nutzen definiert, die dem von den Organisationen vertretenen Konzept einer gesunden ausgewogenen Ernährung, die auf möglichst naturbelassenen, nachhaltig und langfristig umweltverträglich (biologisch)
produzierten Lebensmitteln beruht, widersprechen. Den Verzehr von Functional
Food einer gesunden Ernährung gleichzusetzen wird als Täuschung der Kons umenten verstanden. Ein Bedarf von Functional Food im Rahmen spezieller Diäten
oder in der Altersernährung wurde jedoch nicht ausgeschlossen. Daher wird eine
klare und restriktive Abgrenzung von Lebensmitteln zu Arzneimitteln sowie eine
gesetzliche Regelung für den ausschließlichen Vertrieb von "funktionellen Speziallebensmittel zu therapeutischen Zwecken" in Apotheken und Drogerien gefordert.
264
Functional Food werden als rein wirtschaftliche Strategie der Lebensmittelbranche
verstanden, über deren Fortentwicklung nur die frühzeitige und transparente Haltung der Behörden entscheiden kann. Obwohl die heutige Generation der Functional
Food gentechnikfrei ist, sehen die meisten der Organisationen eine mittelfristige
Entwicklung zum Einsatz der Gentechnologie bei der Produktion von Functional
Food voraus, da nur so kostengünstig große Mengen an Zusatzstoffen (z. B. Vitamine) und Mikroorganismen (z. B. spezifische Kulturen) produziert werden könnten. Die Organisationen weisen jedoch auch darauf hin, dass nicht fälschlicherweise
der Schluss gezogen werden dürfe, dass gentechnisch veränderte Lebensmittel immer Functional Food seien, da einzelne gentechnische Veränderungen nicht zwingend eine veränderte physiologische Wirkung des Lebensmittels nach sich zögen.
Generell wird die Eindimensionalität des Konzeptes Functional Food kritisiert, welches das komplexe Wirkungsgefüge natürlicher Inhaltsstoffe und Lebensmittel nicht
berücksichtigt (Aspekt der Bioverfügbarkeit). Der Informations- und Aufklärungsbedarf der Bevölkerung über Functional Food und die Bedeutung von Ernährung
und Gesundheit wird hervorgehoben und entsprechende konzertierte Aktionen von
BAG, kritischen Institutionen und unabhängigen Expertengremien gefordert.
Im Gegensatz dazu bewertet es eine die Gentechnologie unterstützende Organisation als positiv, dass der Bereich der "wissenschaftlich gestützten Gesundheitsernährung" in Zukunft dank Gentechnologie erweitert werden kann. Auch sie sehen Bedarf an sachlicher, transparenter Information und an einer gesetzlichen Regelung
der Deklaration für Functional Food.
8.2.2
Vertreter der Lebensmittel- und pharmazeutischen Industrie
Es nahmen verschiedene Vertreter der Lebensmittel- und pharmazeutischen Ind ustrie Stellung. Obwohl das wachsende Ernährungs- und Gesundheitsbewusstsein der
Bevölkerung eine große Nachfrage nach Functional Food erwarten lässt, insbesondere soweit auf Natürlichkeit geachtet wird, waren sich Produzenten und Produzentenvereinigungen einig darüber, dass die Konsumenten durch Hersteller, Behörden und deren beratende Gremien (BAG/EEK), Vertreter von Forschung, Wissenschaft und Gesundheitswesen korrekt, sachlich und objektiv informiert werden
müssen, um Glaubwürdigkeit und Akzeptanz sicherzustellen. Es wird angenommen,
dass das Misstrauen und die Verunsicherung gegenüber öffentlichen Institutionen
nur einen begrenzten Einsatz neuer Technologien (z. B. Gentechnologie) erlaubt.
Transparente Information und Aufklärung in Ernährungs- und Gesundheitsfragen
sollten es den Konsumenten ermöglichen, in Eigenverantwortung und unter Wahrnehmung der Wahlfreiheit für die persönliche Prävention aufzukommen und somit
zur Eindämmung der Gesundheitskosten beizutragen.
265
Hinsichtlich der produktspezifischen Bedeutung von Functional Food und des
Handlungsbedarfes vertraten Produzenten und Produzentenvereinigungen je nach
Firmengröße und -philosophie verschiedene Meinungen.
Produzenten landwirtschaftlicher Produkte erachten Functional Food als einen vo rübergehenden, von wirtschaftlichen Interessen vorangetriebenen Trend. Es wurde
betont, dass eine vernünftige, vielfältige Ernährung mit naturnahen Erzeugnissen
für Gesundheit und Wohlbefinden ausschlaggebend ist und nicht der Konsum einzelner Functional Food. Handlungsbedarf besteht in der Vermeidung jeglicher Verwendung von Gentechnologie in der Produktion von Functional Food.
In der Getränkebranche versteht einerseits ein Hersteller reiner Gemüse- und
Fruchtsäfte sowie Saftmischungen diese als natürliche Functional Food, da sie ausschließlich unter Verwendung natürlicher Ausgangsprodukte hergestellt werden, die
anerkanntermaßen der Gesundheit zuträglich sind. Entsprechend unterscheidet der
Hersteller davon Getränke, die nur Träger synthetischer oder isolierter Wirkstoffe
sind und erachtet deren Gleichsetzung mit Nahrungsergänzungsmitteln (Supplementen) als gerechtfertigt. Andererseits versteht ein Produzent von Fruchtsäften und
Erfrischungsgetränken, denen z. B. Vitamine oder Pflanzenextrakte zugesetzt werden, diese durchaus als Lebensmittel und Functional Food.
Im Bereich Feingebäck besteht das Interesse, Werte wie Genuss und Freude und die
Verwendung qualitativ hochwertiger, biologischer Zutaten und nicht eine gesundheitsfördernde oder -erhaltende Wirkung auszuloben. Auch Hersteller von Teigwaren sehen keine generelle und eindeutige Tendenz in Richtung einer Anreicherung
und entsprechenden Anpreisung eines gesundheitlichen Nutzens ihrer Produkte. Als
Grundnahrungsmittel sind Teigwaren jedoch ein wesentliches Element einer ausgewogenen gesunden Ernährung und bieten anerkannte Vorteile in der Ernährung
spezieller Bevölkerungsgruppen, z. B. Sportler. Entsprechend besteht Bedarf nach
einer klaren, eng gefassten Definition von Functional Food, um eine Anpreisung
und Vermarktung von Grundnahrungsmitteln als Functional Food zu vermeiden.
Hingegen wird erwartet, dass der Brotmarkt schnell und nachhaltig von der Entwicklung der Functional Food beeinflusst wird (Einführung von Spezialbroten). Die
generelle Aufwertung des Grundnahrungsmittels Brot wird in der Branche befürwortet, jedoch nicht ausschließlich wegen eines möglichen Zusatznutzens, sondern
wegen der Verwendung natürlich wertvoller Getreidearten. Aufgrund der Anpreisungspraxis wird eine klare rechtliche Abgrenzung der Lebensmittel von den Heilmitteln für notwendig erachtet, wobei der wissenschaftlich erwiesene Wirksamkeitsnachweis vorausgesetzt wird.
Vertreter schweizerischen Hersteller von Diät- und Kraftnahrung, zu denen auch
Hersteller von Cerealien, natürlichen Functional Ingredients auf Getreidebasis sowie von Milchprodukten zählen, haben unter Berücksichtigung nationaler und internationaler Gegebenheiten eine Definition für Functional Food erarbeitet. Danach
266
handelt es sich um Lebensmittel mit vorbeugendem oder heilendem Zusatznutzen,
der über das hinausgeht, was eine ausgewogene gesunde Ernährung liefern kann,
und die mit einer entsprechenden Anpreisung angeboten werden. Diese Definition
schließt, im Gegensatz zum Verständnis anderer Hersteller, Nahrungsergänzungsmittel nicht generell aus. Die enge Zusammenarbeit mit gesetzgebenden und kontrollierenden öffentlichen Instanzen, sowie mit Wissenschaft und Konsumenten soll
die Realisierung von gesetzlichen Bestimmungen und eine wirkungsvolle Öffentlichkeitsarbeit vorantreiben. Konkret wird die Definition der zugelassenen funktionellen Zutaten und die Erlaubnis von Anpreisungen unter Anlehnung an internationale Richtlinien benötigt. Eine lebensmittelrechtliche Festlegung zulässiger differenzierter gesundheits- aber auch krankheitsbezogener Anpreisungen wird empfo hlen (z. B. health enhancement claim = Anpreisung des gesundheitsfördernden Nutzens mit Krankheitsbezug; health risk reduction claim = Anpreisung der Verminderung eines Erkrankungsrisikos). Es besteht Einigkeit, dass der Schutz vor Tä uschung wissenschaftliche Belege der Wirksamkeit des Lebensmittels oder seiner
spezifisch hervorgehobenen Eigenschaften voraussetzt, aber gemäß einiger der Hersteller sollten nicht die gleichen Anforderungen wie bei Heilmitteln (spezifische
klinische Studien; Registrierung) zum Tragen kommen. Hinsichtlich der Abgrenzung zwischen Lebensmitteln und Heilmitteln wird als maßgebendes Kriterium die
Konzentration der relevanten Wirksubstanz und der genaue Inhalt der Anpreisung
und nicht primär die Form der Darreichung vorgeschlagen. Eine entsprechende Abstimmung von Lebensmittel- und Heilmittelgesetzgebung muss eindeutige Zuordnungen zu den Kategorien ermöglichen.
Nahrungsergänzungen mit funktionellen Wirkstoffen wie zum Beispiel Sportle rnahrung und andere sog. gesundheitsfördernde Produkte werden entsprechend auch
als Functional Food betrachtet. Durch die rechtlich ungeklärte Abgrenzung wird die
Markteinführung solcher Produkte jedoch stark erschwert. Folglich wird eine Lokkerung des restriktiven Bewilligungsverfahren hinsichtlich Inhaltsstoffen und Anpreisungen in Anlehnung an die internationale Bewilligungspolitik sowie die Scha ffung einer speziellen Prüfungs- und Zulassungsinstanz (z. B. am BAG) gefordert.
Für einen Hersteller von Spezialnahrungsmitteln im Lohnauftrag befinden sich die
betroffenen Produkte und Halbfabrikate definierter Zusammensetzung mit Zusatz
gezielt wirkungsspezifischer funktioneller Rohstoffe/Zutaten in der Grauzone zwischen Lebens-, Speziallebens- und Heilmitteln. Die fehlende konkrete Rechtsgrundlage gestalte eine Vermarktung als Functional Food mit Anpreisung schwierig. Der wissenschaftliche Nachweis eines gesundheitlichen Nutzens der Rohstoffe
und/oder ihrer Synergien wird als Grundlage für eine Anpreisung vorausgesetzt.
Eine genaue Risikoabschätzung für die Konsumenten wird gefordert.
Hersteller von Functional Ingredients für pharmazeutische Produkte und Lebensmittel unterstützen eine europaweite Festlegung von Empfehlungen und gesetzlichen Bestimmungen. Hinsichtlich einer Definition von Functional Food wird jedoch
267
ein auf Ernährung und nicht ausschließlich auf Lebensmitteln basierender Ansatz
bevorzugt, was eine Berücksichtigung von Nahrungsergänzungsmitteln in der Definition von Functional Food erlaubt. Nur eine rasche und klare gesetzliche Abgrenzung von Lebens- und Heilmitteln und deren Anpreisung erlaubt eine Entwicklung
des bedeutsam wachsenden Marktes und verhindert die Verunsicherung der Konsumenten. Da Functional Food für die gesamte Bevölkerung und nicht nur Risikogruppen oder spezifische Bevölkerungsgruppen bestimmt sind, wird auch eine Abgrenzung zu Speziallebensmitteln für notwendig empfunden. Nachdem die meisten
der gegenwärtig auf dem Markt erhältlichen funktionellen Produkte mit gesetzlich
nicht ausformulierten Anpreisungen versehen sind, wird eine entsprechende Regelung gefordert, die nur Anpreisungen erlaubt, die auf verständlich dargelegten und
allgemein anerkannten wissenschaftlichen Fakten (epidemiologischem Datenmaterial mit biologischer Erklärung und/oder klinischen Studien) beruhen. Die Klärung
der gesetzlichen Regelungen für Functional Food in der Schweiz wird als Voraussetzung für eine gezielte Forschung in Industrie und Wissenschaft und die Möglichkeit einer aktiven Mitgestaltung des internationalen Marktes durch die Schweiz gesehen. Ebenso wird die neue Gesetzgebung darüber entscheiden, ob neuartige Produkte den Gesundheitszustand der Bevölkerung beeinflussen werden.
8.2.3
Handel
Die Positionen der schweizerischen Verteiler differieren. Ein Großverteiler und
Produzent sieht aufgrund des wachsenden Gesundheitsbewusstseins der Bevölkerung bei gleichzeitigem Trend zur einseitigen Ernährung in Functional Food eine
Nische mit Wachstumspotential. Ein engagiertes Konzept im Bereich der Gesundheitsförderung (Informationskampagnen) sowie die Einführung einer eigenen
Dachmarke für Functional Food (ohne Bezug zu Bioprodukten) sollen dem Rechnung tragen. Die langfristige Weiterentwicklung des momentan erfolgreichen
Marktes ist mangels Daten zum Konsumentenverhalten kaum abzuschätzen. Eine
allgemeine Liberalisierung des Marktes wird als notwendig erachtet. Ein anderer
Großverteiler sieht hingegen sein Kerngeschäft in ökologisch produzierten Produkten, schließt aber den gezielten Vertrieb von wissenschaftlich fundierten Functional Food im Sortiment nicht aus, soweit sie eine Integration in eine ganzheitliche
Ernährungsweise erlauben. Das vielfältige und oft auch widersprüchliche Kaufverhalten der Konsumenten verlangt nach weiteren intensiven Ernährungsaufklärungsmaßnahmen. Eine transparente und aufrichtige Informationspolitik gegenüber
den Konsumenten steht im Mittelpunkt.
Für den Gemüse- und Obsthandel besteht die primäre Problematik in der Definition
von Functional Food. Da die gesundheitsfördernde Wirkung von Gemüse und
Früchten wissenschaftlich anerkannt ist, könnten rohe, unverarbeitete Produkte als
Functional Food gelten. Steigende Verkaufszahlen bei Gemüse werden auf diese
Tatsache zurückgeführt. Insbesondere bei verarbeiteten Gemüseprodukten werden
268
im Rahmen der Standardisierung der Inhaltsstoffe funktionelle Zutaten beigefügt
(Vitamine/Antioxidantien, Probiotika), und eine Vermarktung als Functional Food
wäre denkbar. Entsprechend wird nach einer klaren Festlegung und Abgrenzung des
Begriffes Functional Food verlangt, um Missbrauch und Täuschung auf allen Ebenen auszuschließen.
In der Fleischbranche ist das Thema Functional Food von eher untergeordneter
Bedeutung. Der Einfluss einer speziellen Fütterung auf die im Handel erhältlichen
tierischen Produkte (z. B. Eier, Schweinefleisch), aber vor allem das natürliche
Vorkommen funktioneller Inhaltsstoffe wie Selen, Vitamin E u. a. in Fleisch sind
Themen von Interesse. Besonders letzteres kommt dem wachsenden Interesse der
Konsumenten an gesunden natürlichen Produkten und gleichzeitig der Fleischbranche für Vermarktungszwecke entgegen. Der bestehende Informationsbedarf der
Konsumenten zur Zusammensetzung einer ausgewogenen natürlichen Ernährung
und dem möglichen sinnvollen Beitrag von Functional Food wird betont.
Das Thema Functional Food wurde im Schweizerischen Drogisten-Verband noch
nicht ausführlich diskutiert, die wissenschaftliche Fachstelle bestätigt jedoch die
große Relevanz des Themas für die Fachgeschäfte für "Gesundheit, Schönheit und
gesunde Ernährung". Eine grundsätzliche Abgrenzung von Nahrungsergänzungsmitteln in galenischen Darreichungsformen wird als notwendig erachtet, da Functional Food als Lebensmittel verstanden werden, die als Teil der normalen Mahlzeiten verzehrt werden. Die zunehmende Wandlung der Angebotsstruktur in Drogerien (Lebensmittelabteilung) eröffnet prinzipiell einen optimalen Verkaufskanal für
Functional Food (Fachgeschäft), weshalb eine intensive Kommunikation und Zusammenarbeit von Anbietern und Drogisten als seriöse und gut ausgebildete Marktpartner anzustreben ist.
8.2.4
Forschung und Wissenschaft
Im Bereich von Forschung und Wissenschaft nahmen Vertreter verschiedener naturwissenschaftlicher Richtungen, der Medizin, der Wissenschaftsphilosophie und
der Forschungsförderung Stellung.
Functional Food sind momentan kein spezifisches Thema im Rahmen der Förderungsprogramme des Schweizerischen Nationalfonds. Eine zukünftige Unterstützung von Forschungsprojekten zu diesem Thema wurde als durchaus denkbar erklärt. Seit 1991 ist die Schweiz zunehmend an Europäischen Forschungsprojekten
im Bereich der Lebensmittelforschung beteiligt. Das aktuelle 5. Europäische Forschungsrahmenprogramm bietet in thematischer Hinsicht (Lebensqualität und Management lebender Ressourcen; Leitaktion Lebensmittel, Ernährung, Gesundheit)
Forschungsmöglichkeiten im Bereich von Functional Food. Die Schweiz ist an
COST-Aktionen im Bereich Lebensmittel (auch Functional Food) beteiligt.
269
Von Akteuren verschiedener wissenschaftlicher Fachrichtungen wurde geäußert,
dass die tatsächliche gesundheitsfördernde Wirkung der Functional Food aus einem
komplexen Zusammenspiel der "wissenschaftlich nachgewiesenen biologischen
oder pharmakologischen Aktivität einzelner oder mehrerer Substanzen" und dem
"Verhalten und der Kultur der Konsumenten" resultiere. Für die Akzeptanz der
Functional Food bei den Konsumenten wurden folgende Einflussfaktoren diskutiert:
Aufgrund vergangener Skandale im Lebensmittelbereich und mangelnder Information ist das Vertrauen in die Akteure (vor allem Hersteller, Behörden, Gesundheit swesen) wesentlich von einer transparenten, seriösen und wissenschaftlich fundierten
Information durch diese Akteure abhängig. Eine autoritäre Markteinführung von
Functional Food könnte als Einschränkung der Wahlfreiheit (Entmündigung) verstanden werden. Andererseits biete eine seriöse Markeinführung dem Einzelnen die
Möglichkeit, unabhängig von beratenden Fachexperten im Gesundheitswesen mehr
Selbstverantwortung für die eigene Gesundheit zu übernehmen. Neben individue llen und moralischen Präferenzen wird auch die Möglichkeit der Eingliederung der
Produkte in traditionelle und/oder gesundheitsbewusste Essgewohnheiten oder Esskulturen über die Akzeptanz entscheiden.
Eine Verwendung gentechnologisch hergestellter Zusätze in Functional Food wird
von Wissenschaftlern nicht prinzipiell ausgeschlossen, jedoch auch nicht als zwingend betrachtet. Soweit Verfahren der modernen Biotechnologie zum Tragen kommen, wird eine neutrale Nutzen-Risiko-Abschätzung und die unmittelbare sachliche
Information zur Wahrung der Entscheidungsfreiheit der Konsumenten gefordert.
Von Seiten einiger sich äußernder Wissenschaftler wird erwartet, dass die Akzeptanz von gentechnologisch hergestellten Zusätzen beim Konsumenten wesentlich
von der rechtlichen Zuordnung der Functional Food zu entweder Heilmitteln (Gentechnologie im Medizinbereich kaum umstritten) oder Lebensmitteln (Ablehnung
der Gentechnologie im Lebensmittelbereich) beeinflusst wird. Sollten Functional
Food rechtlich eine Sonderstellung zwischen Lebens- und Heilmitteln einnehmen,
werden spezielle gesetzliche Regelungen in Bezug auf die Verwendung gentechnologischer Verfahren notwendig. Es wird eine direkte Befragung der Konsumenten
zur Einschätzung der Functional Food sowie ein Offenlegen der Interessen von
Wirtschaft und Wissenschaft als notwendig erachtet.
Die Eidgenössischen Landwirtschaftlichen Forschungsanstalten sind alle an der
Entwicklung des Konzeptes Functional Food interessiert. Sie engagieren sich bereits oder künftig in spezifischen Forschungsprojekten zum Thema Functional
Food, die Aspekte der milchwirtschaftlichen Biotechnologie, spezifische Fütterungsmaßnahmen von Nutztieren, Sortenvielfalt und Spezialkulturen mit Hinblick
auf Gehalt und Bioverfügbarkeit von natürlichen sekundären Pflanzeninhaltsstoffen
betreffen. Es wurde hervorgehoben, dass in diesem Bereich eine bessere Koordination der landwirtschaftlichen und lebensmittelwissenschaftlichen Forschung von
Vorteil wäre, ebenso wie eine intensivere Kommunikation von Agronomen, Ernährungswissenschaftlern und Vertretern der Gesundheitsberufe.
270
Vertreter der Lebensmittel- und Agrarwissenschaften sind sich einig darüber, dass
Functional Food ein Segment der Lebensmittelbranche mit bedeutendem Markpotential darstellt. Koordinierte Forschungsaktivitäten in den Bereichen von Technologie, Ernährungsphysiologie, Betriebswirtschaft, Recht und Soziologie und die
Zusammenarbeit mit der Industrie werden befürwortet. Zur Unterstützung der in der
Produktentwicklung tätigen Institutionen wird die Schaffung einer Datenbank empfohlen, die alle wesentlichen und allgemein anerkannten Ernährungsinformationen
zu den verschiedenen funktionellen Substanzen auflistet. Die neutrale, sachliche
und direkte Kommunikation mit der Öffentlichkeit wird gewünscht. Handlungsbedarf besteht in der international abgestimmten Regelung lebensmittelrechtlicher
Aspekte von Produkten (Definition Functional Food; Abgrenzung von Lebens- und
Heilmitteln) und deren Anpreisung. Letztere müssen auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhen und, um glaubhaft zu sein, sind klinische Studien notwendig,
die Fragen nach Dosis – Dauer – Wirkung beantworten. Da Functional Food die
Bestrebungen nach vermehrter Prävention und somit Kostendämpfung im Gesundheitswesen unterstützen könnten (Beispiele: Folsäureanreicherung von Mehl zur
Prophylaxe gegen Neuralrohrdefekte; Senkung des Homocysteinspiegels als Risikofaktor für Herz-Kreislauf-Krankheiten), sind Langzeitstudien (Monitoring) notwendig.
Auch von präventivmedizinischer Seite wird eine solide wissenschaftliche Abstützung für Anpreisungen erwartet, welche die synergistische Wirkung der Essgewohnheiten berücksichtigt. Die enormen Kosten solcher Studien verlangen von der
Öffentlichkeit, die Forschungsbestrebungen fordernd und fördernd zu unterstützen.
Zur Vermeidung fragwürdiger Produkte und auch zur Vermeidung einer Ausgrenzung traditioneller und natürlich gesunder Lebensmittel in der Ernährung wurde von
verschiedenen Akteuren ein abgestuftes System der Anpreisungen vorgeschlagen
[++ = spezifischer wissenschaftlicher Wirksamkeitsnachweis erbracht; + = auf Basis allgemein anerkannter wissenschaftlicher Erkenntnisse, ohne spezifischen
Nachweis; 0 = Fehlen jeder wissenschaftlichen Basis]. Eine unabhängige offizielle
Prüfungs-, Zulassungs-, Kontroll- und Informationsinstanz (Expertengremium) wäre zu schaffen, um die Einschätzungen vorzunehmen und öffentlich bekannt zu machen.
Im Bereich der Ernährungsepidemiologie ist man sich über das genaue Marktangebot an Functional Food noch nicht bewusst. In Bezug auf Ernährungserhebungen
erkennt man aber die Notwendigkeit, Functional Food zu berücksichtigen (Anpassung von Erhebungsinstrumenten und Nährwertdatenbanken). Entsprechend besteht
Bedarf an einer Übersicht der in der Schweiz bzw. einzelnen Regionen vertriebenen
Produkte und das Interesse, unabhängige Erhebungen zum Konsum von Functional
Food in spezifischen Bevölkerungsgruppen durchzuführen, um deren Bedeutung in
der täglichen Ernährung und für die Gesundheit zu erkennen.
271
Von Seiten der Komplementärmedizin wurden Überschneidung zwischen den Ansichten der traditionellen chinesischen Medizin und dem Konzept der Functional
Food aufgezeigt. In der traditionellen chinesischen Medizin wird jedes natürliche
Lebensmittel neben seiner nutritiven Funktion als Medikament betrachtet und somit
im Rahmen diätetischer Maßnahmen als Therapeutikum eingesetzt. Die chinesische
Diätetik verlangt nach einem gesundheitsfördernden Wirkungsnachweis, der die
Synergistik eines komplexen Substanzgemisches berücksichtigt. Somit setzt sie sich
ebenfalls für klinische Studien im Bereich der Functional Food ein.
Von Seiten der Umweltwissenschaften wurde die Problematik der Functional Food
noch nicht eingehend untersucht. Da unter den Gesichtspunkten der Ökologie und
Nachhaltigkeit die herkömmlichen gesunden, natürlichen Lebensmittel keiner gesundheitsfördernder Zusätze bedürfen, insbesondere bei einem damit verbundenen
Energieaufwand, wurde eine ablehnende Haltung vertreten.
8.2.5
Private und öffentliche Institutionen im Gesundheitswesen
Verschiedene private und öffentliche Institutionen im Gesundheitswesen nahmen
Stellung. Neben Vereinigungen die sich spezifisch mit Fragestellungen einzelner
Krankheitszustände befassen, äußerten sich auch Vereinigungen aus dem Bereich
Volksgesundheit, Prävention, Beratung und Krankenkassen zur Thematik.
Institutionen der Volksgesundheit und Prävention sehen in Functional Food ein gewisses Potential, um zur Gesundheitsförderung positiv beizutragen. Insbesondere
bei nachgewiesenen spezifischen Nährstoffdefiziten könnte der Einsatz von Functional Food sinnvoll sein. Im Rahmen einer abwechslungsreichen und gesunden
Ernährungs- und Lebensweise besteht hingegen prinzipiell kein Bedarf nach Functional Food. Es bedarf daher einer intensiven Risikoabschätzung, um jede kontraproduktive Entwicklung auf das Ernährungsverhalten und somit Risiken hinsichtlich Zusammensetzung und Dosierung von Functional Food auszuschließen. Es
werden folglich eine Festlegung der für Functional Food erlaubten, sinnvollen Lebensmittel sowie eine korrekte und seriöse Deklaration dieser Produkte gefordert.
Vermehrte Forschungstätigkeit und Publikation von positiven (Wirkung) und negativen (Nebenwirkung) Studienresultaten sollten Grundlage für erlaubte Anpreisungen der Gesundheitsförderung, aber nicht Heilung sein. Der Einschluss von Laien in
die Diskussion um Functional Food sowie eine generell transparente und seriöse
Informationspolitik von allen beteiligten Akteuren wird befürwortet.
Die Kantonsärzte vertreten keine geschlossene Haltung zum Thema Functional
Food. Einzelne Kantonsärzte sind aber im Rahmen ihrer engen Zusammenarbeit mit
Kantonsapothekern und -chemikern mit der Thematik bereits in Berührung gekommen. Aus präventivmedizinischer Sicht bedeuten Functional Food für sie einen
Gewinn, da es möglich wird, von den traditionell negativ formulierten oder Ver-
272
zicht betonenden Kampagnen zu positiv formulierten Botschaften überzugehen. Für
neue Wirkkomponenten werden jedoch vor der Markteinführung eines Produktes
die Durchführung standardisierter Evaluationsverfahren mit Sicherheits- und Wirksamkeitsprüfung, vergleichbar denen für Medikamente, als unerlässlich erachtet.
Soweit nur rein wirtschaftliche Interessen verfolgt werden und nicht klare präve ntivmedizinische Ziele nachweisbar erreicht werden, ist das Konzept nach Ansicht
der Kantonsärzte nicht gerechtfertigt (Täuschung). Zum jetzigen Zeitpunkt ist die
Schaffung gesetzlicher Regelungen zur Zulassung und Vermarktung der Functional
Food ein primäres Ziel, bei denen Kantonsapotheker und -chemiker federführend
beteiligt sein müssen. Später bedarf es der Unterstützung von Kampagnen zur Förderung der natürlichen ausgewogenen Ernährung, unter Berücksichtigung der neuen
Produktpalette.
Von Seiten der sich für den Umweltschutz engagierenden ÄrztInnen wird eine ge ntechnologische Weiterentwicklung der jetzigen Functional Food befürchtet. Das
Konzept der Anpreisung von Functional Food zum Schutz vor Umwelteinflüssen,
Stress etc. wird als kontraproduktiv und täuschend verstanden, da es den verursachenden ungesunden Lebensstil fördert anstatt ändert. Aufgrund der Abgrenzungsproblematik zu Medikamenten wurden mögliche Kostenfolgen für das Gesundheitssystem noch ungenügend in Betracht gezogen. Der Bedarf nach seriöser transparenter Information, welche die Wahlfreiheit der Konsumenten garantiert, verlangt
nach einer demokratischen Entscheidungsfindung, bei der offizielle Behörden frühzeitig allen betroffenen Akteuren ein Mitspracherecht bei der Gesetzesgestaltung
einräumen. Es wird ein frühes Publiforum vorgeschlagen.
Vereinigungen, die sich mit spezifischen Krankheitszuständen befassen, sind einheitlich der Meinung, dass kontrollierte klinische (Langzeit-)Studien in Bevölkerungsstichproben oder in spezifische Zielgruppen, die den wissenschaftlichen
Nachweis der Wirkung und des Nutzens von Functional Food erbringen, Grundlage
der Zulassung und Verwendung sein müssen. Die Ergebnisse solcher Studien (Wirkung/Nebenwirkung) müssen klar und offen dargelegt und zur Diskussion gestellt
werden, um jedes individuelle Risiko auszuschließen und auch eine Abschätzung
der ökonomischen Folgen zu erlauben. Für den Bereich der klinischen Forschung
besteht hier vermehrt Bedarf nach staatlichen Forschungsmitteln. Auf Gesetzesebene müssen Definition und Anpreisungspraxis geregelt werden. Die Schaffung eines
dafür zuständigen unabhängigen Gremiums Functional Food mit starker Konsumentenvertretung wird unterstützt.
Bei Osteoporose beruht die bisherige und die zukünftige Empfehlungspraxis auf
einer natürlichen ausgewogenen Ernährung, unter ärztlicher Verordnung spezifischer Präparate bei einer medizinisch feststellten Unterversorgung. Functional Food
werden jedoch zum präventiven Einsatz in bestimmten Lebensphasen oder
-situationen als sinnvoll erachtet, soweit die Zufuhr eines Nährstoffes bevölkerungsweit oder in bestimmten Bevölkerungsgruppen nicht gesichert werden kann
273
(Calcium: Ablehnung von Milchprodukten; Vitamin D: Betagte und chronisch
Kranke; Winter). Gesetzlich gilt es jedoch zu regeln, dass die Art der angereicherten
Produkte und die Mengen der Anreicherung sinnvoll und sicher sind.
Im Bereich der Krebsprävention wird ebenfalls eine gesunde ausgewogene Ernä hrung mit Betonung auf Früchte, Gemüse und andere nahrungsfaserreiche Lebensmittel empfohlen. Da einzelne natürliche pflanzliche Inhaltsstoffe zur Eignung der
Krebsprophylaxe diskutiert werden und somit im Bereich der Functional Food an
Bedeutung gewinnen, müssen wissenschaftlich nachgewiesene Evidenzen Grundlage der Empfehlung sein.
Die für Diabetiker empfohlene Ernährung ist ein Beispiel einer gesunden ausgewogenen und für die Gesamtbevölkerung geeigneten Ernährung. Für funktionelle Speziallebensmittel wie Diabetikerprodukte und light-Produkte konnte in den verga ngenen Jahren kein Nachweis für deren spezifisch gesundheitsfördernde oder -erhaltende Wirkung erbracht werden. Sie werden Diabetikern vor allem wegen der Verleitung zu einem ernährungsphysiologisch ungünstigen Konsumverhalten nicht oder
nur sehr beschränkt empfohlen. Insofern haben nur wissenschaftlich nachweislich
wirksame Produkte eine Berechtigung. Soweit wissenschaftlich nicht belegte Wirkungen angepriesen werden, handelt es sich um ein "Marketingprodukt", das die
Situation und Kosten im Gesundheitswesen negativ beeinflussen könnte.
Im Bereich der Allergologie/Immunologie wird dem Forschungsgebiet der transgenen Mikroorganismen zur oralen Verabreichung von Impfstoffen besondere Beachtung geschenkt und somit auch dem Gebiet Functional Food. Allgemein werden
für jede Art Produkt, ob mit oder ohne gentechnische Verfahren hergestellt, strenge
Evaluationsverfahren zur Ausschließung jeden Sicherheitsrisikos gefordert. Fachspezifisch werden die Deklaration der Quelle des Transgens sowie eine Allergiedeklaration unterstützt. In Drittweltländern und entwickelten Ländern werden die
Entwicklung und der Einsatz von Functional Food als sinnvoll und chancenreich
erachtet.
Ernährungsberaterinnen und in der Beratung tätige Institutionen werden mit dem
Thema Functional Food verschiedentlich konfrontiert: im Rahmen ihrer Aus- und
Fortbildung, in der individuellen Beratungspraxis, bei der Beratung von Unterne hmen im Bereich der Produktentwicklung und Produktinformation, bei öffentlichen
Auftritten (Vorträge, Printmedien). Besondere Bedeutung wird der Aufklärung der
zum Teil überforderten Bevölkerung hinsichtlich einer sinnvollen Anwendung von
Functional Food im Rahmen einer gesunden ausgewogenen Ernährung beigemessen. Aufgrund ungeklärter Fragen hinsichtlich Dosis, Wirkung und Interaktionen
isolierter und hoch dosierter Inhaltsstoffe (fehlende Langzeitstudien/Monitoring)
wird momentan eine vorsichtige und kritische Haltung vertreten. Eine auf die persönliche Lebens- und Ernährungssituation abgestimmte Ernährungsergänzungsrolle
der Functional Food wird nicht ausgeschlossen, setzt jedoch eine gesetzliche Rege-
274
lung von Zulassung, Anpreisung/Deklaration und Kontrolle voraus. Die Schaffung
einer Functional Food Datenbank mit Angaben zu Wirksubstanz und
-mechanismus, Verträglichkeit, Erfahrung/Praxis und Preis wird vorgeschlagen.
Entsprechend besteht Bedarf an Finanzmitteln für die Bereiche Forschung und Le hre, Fortbildung und koordinierte Aufklärungskampagnen.
Eine Vertretung der öffentlichen Krankenkassen wurde durch die Befragung sensibilisiert, Functional Food in zukünftige Strategieplanungen einzubeziehen. Zielorientierte Abklärungen ökonomischer und gesundheitlicher Aspekte sind geplant.
Wissenschaftliche Forschungsergebnisse müssen die für Functional Food erwartete
Bedeutung in Prävention und Risikoverminderung nachweisen, und es muss eine
gesetzlich geregelte, sichere Distribution gewährleistet sein. Die transparente
Kommunikation der Ergebnisse und Regelungen wird über eine Akzeptanz und eine
langfristig nicht auszuschließende Finanzierung über das Gesundheitswesen bestimmen.
8.2.6
Behördliche Institutionen
Von behördlichen Institutionen gingen nur wenige Stellungnahmen ein. Die sich
äußernden Kantonschemiker unterstrichen die steigende Anzahl an Anfragen zu
Functional Food durch kleine und große Lebensmittelproduzenten. Ebenso ansteigend sei die Anzahl an Beanstandungen von gesetzwidrigen Heilanpreisungen (im
Widerspruch zu Art. 19 der Lebensmittelverordnung, Täuschungsverbot) und
Nährwertdeklarationen. Die angepriesenen gesundheitlichen Langzeiteffekte seien
durch unabhängige Institutionen abzuklären. Für ein Kantonslabor wurde Functional Food bereits zum Schwerpunkt der Tätigkeit erklärt, was die Entwicklung neuer
Analysenmethoden beinhaltet. Entsprechend wird nach einer raschen Festlegung
gesetzlicher Regelungen, in Harmonie mit der EU, verlangt. Die Kantonsapotheker
bestätigen ihre enge Kollaboration mit der Lebensmittelkontrolle. Aktuell sehen sie
in Functional Food ein Marketingkonzept, das die wirtschaftlichen Interessen der
Industrie verdeutlicht, aber keine wertvolle Unterstützung für Programme zur Gesundheitsförderung darstellt. Kantonsapotheker verstehen Produkte, d. h. auch Lebensmittel, die reine Träger einer zugefügten aktiven, einer Krankheit vorbeuge nden Substanz sind, als Medikamente. Anpreisungen, die mehr als das allgemeine
Wohlergehen ausloben, sollten zur Vermeidung von Täuschung ausgeschlossen
werden. Eine Erweiterung der Lebensmittelgesetzgebung zur rechtlichen Regelung
des Marktes wird als unumgänglich erachtet.
Das Bundesamt für Landwirtschaft hat keine direkte gesetzgeberische Aufgabe in
Zusammenhang mit Functional Food, da es sich bei letzteren vorwiegend um verarbeitete Produkte handelt. Vertreter des Bundesamtes verfolgen jedoch die Erarbeitung der weltweit harmonisierten Regelung zum Schutz der Konsumenten vor
Missbrauch und Täuschung durch das Codex Alimentarius-Komitee für Lebens-
275
mittelkennzeichnung. Es wird dort die Zulassung von bestimmten, wissenschaftlich
klar belegten Aussagen hinsichtlich eines gesundheitlichen Zusatznutzens diskutiert. Das Bundesamt bewertet es kritisch, dass gegenwärtig wissenschaftliche Studien von verschiedenen Akteuren unterschiedlich interpretiert werden und die Verbreitung der widersprüchlichen Ergebnisse zu einer allgemeinen Verunsicherung
der Konsumenten führt. Für die Schweiz wird zunächst vorgeschlagen, klare Definitionen von Lebensmittel, Functional Food und Heilmittel zu erarbeiten, die jede
Überschneidung der Kategorien ausschließen. Da Functional Food primär Nahrungsmittel sind, gelte es, die grundlegenden Bestimmungen der Lebensmittelverordnung anzupassen. Es wird angeregt, Functional Food als neue Untergruppe der
Speziallebensmittel einzuführen, die ebenfalls ausführliche und transparente Deklarationen zu Produkt und gesundheitlichem Nutzen tragen müssen.
Das Eidgenössische Institut für Geistiges Eigentum ist unter dem Gesichtspunkt des
Schutzes von Erfindungen und somit der Förderung des technischen Fortschrittes
mit Functional Food zunehmend konfrontiert. Erfindungen sind unter festgelegten
Bedingungen patentierbar, wobei eine Erfindung im Lebensmittelsektor der Gesundheitsförderung dienen kann, aber nicht muss. In Bezug auf Functional Food
kann zum Beispiel das Lebensmittel als solches, sein Herstellungsverfahren oder
ein bei der Produktion verwendeter Stoff, Organismus oder Erzeugnis zum Patent
angemeldet werden. Handlungsbedarf besteht dahingehend, dass bisher eine spezifische Patentklasse in der für die Schweiz maßgebenden internationalen Patentklassifikation fehlt und somit eine weltweit übereinstimmende Erfassung derartiger Erfindungen nicht gewährleistet ist. Es wird angenommen, dass unter wirtschaftspolitischen Gesichtspunkten die Möglichkeit der Patentierung auf dem Gebiet der Lebensmittelindustrie ein Anreiz zu Investitionen und Entwicklungen im Bereich
Functional Food darstellt.
8.2.7
Politische Parteien
Die für Landwirtschafts- und Technologiefragen zuständigen Kommissionen dreier
politischer Parteien nahmen Stellung. Während eine der Parteien eine kritischablehnende Haltung vertritt (Landwirtschaft erlaubt die Versorgung mit gesunden
Lebensmitteln; negative Bewertung der zunehmenden Industrialisierung im Lebensmittelsektor), wurde von den anderen beiden Parteien eine objektive Auseinandersetzung mit der Problematik befürwortet.
Die Mitglieder der Landwirtschaftskommission (Landwirte, Konsumenten, Politiker) der einen Partei hinterfragen die Ursachen der zunehmenden gesundheitlichen
Beschwerden und der damit verbundenen Kosten bei gleichzeitig wachsender Lebensmittelproduktion und preisgünstigeren Verfügbarkeit. Das Konzept der Functional Food als bedarfsgerechte Vervollkommnung der Lebensmittel sei mit dem
seit vielen Jahren in der Tierhaltung eingesetzten funktionellen Zusatzfutter ver-
276
gleichbar. Neu ist der Aspekt der gesundheitsfördernden Anpreisungen der Functional Food, hinter dem momentan ein starkes wirtschaftliches Interesse der Hersteller
vermutet werden darf.
Die Technologiekommission der zweiten Partei weist darauf hin, dass Functional
Food durchaus eine Chance für den Technologie- und Forschungsstandort Schweiz
darstellen. Entsprechend muss eine vermehrt ursachenorientierte und koordinierte
Grundlagen- und begleitende Forschung im Rahmen nationaler Forschungsprogramme gefördert werden. Die Frage der Notwendigkeit von Functional Food kann
nur durch eine ganzheitliche und langfristige Betrachtung der volkswirtschaftlichen
und gesundheitspolitischen Entwicklung dieses Produktkonzeptes beantwortet werden. Die nötigen und zeitgerechten Anpassungen von Lebensmittel-, Heilmittelund Krankenversicherungsgesetz und somit die Positionierung der Functional Food
im Markt (Medizinalprodukt versus Lebensmittel) werden über die Akzeptanz bei
den Konsumenten und die weitere Marktentwicklung entscheiden. Der Bedarf an
transparenter, objektiver Information durch geschultes Personal wird hoch eingeschätzt.
8.3
Zusammenfassung
Im Rahmen dieser TA-Studie wurde in den Monaten Mai bis Oktober 1999 mittels
einer schriftlichen Befragung das aktuelle Meinungsspektrum verschiedener Gruppierungen der Schweizer Gesellschaft zum Thema Functional Food erfasst. Das
Spektrum der insgesamt 178 eingegangenen Antworten (29 % keine Stellungnahme,
22 % Weiterleitung, 49 % ausführliche Stellungnahme) vermittelt den Eindruck,
dass für viele der Akteure Functional Food mehr ein Konzept als ein reines Lebensoder Nahrungsmittel verkörpern. Wichtige Elemente in diesem Konzept sind der
Gehalt an funktionellen Ingredienzien und die Vermarktung der Produkte mit einer
auf die Gesundheit bezogenen Anpreisung.
Das Konzept der Functional Food wird, zumindest soweit keine gentechnischen
Verfahren bei der Herstellung zum Tragen kommen, überwiegend neutral bewertet.
Dabei werden von fast allen Akteuren grundsätzliche Fragen nach Sinn und Unsinn,
Chancen und Risiken der Functional Food aufgeworfen, vor allem, da keine dringende, unmittelbare Notwendigkeit für Functional Food gesehen wird. Da prinzipiell jedes natürliche Lebensmittel in seiner spezifischen Zusammensetzung bestimmte Funktionen erfüllt, beschäftigt viele Akteure die Frage, wann ein Lebensmittel ein Functional Food ist oder wird. Auf allen Ebenen besteht dahingehend ein
uneinheitliches Verständnis. Daher steht zum jetzigen Zeitpunkt für faktisch alle
Institutionen die Lösung der grundlegenden rechtlichen Fragen in Zusammenhang
mit Functional Food im Mittelpunkt des Interesses. Dabei werden folgende Aspekte
277
von Seiten der in der Befragung antwortenden Akteure als klärungsbedürftig eingeschätzt:
•
Festlegung derjenigen Lebensmittel, die sinnvoll als Functional Food eingesetzt
werden können (Vermeidung von "functional junk food"),
•
Festlegung der erlaubten Darreichungsformen (Ein- oder Ausschluss von Nahrungsergänzungsmitteln/Supplementen in Pillen-, Kapsel- oder Pulverform),
•
Bestimmung, ob und falls ja, welche Modifizierung eines Lebensmittels zwingend ist, um es funktionell zu machen. Festlegung, inwieweit traditionelle, natürliche (Agrar-)Produkte Functional Food sein können,
•
Festlegung der erlaubten Art (einschließlich Produktionstechnologie) und Menge
von zugesetzten aktiven Wirkkomponenten (Functional Ingredients),
•
Festlegung der Art der erlaubten Anpreisungen, der dafür erforderlichen wissenschaftlichen Wirksamkeitsnachweise und der zwingenden Deklarationen,
•
Festlegung des Konsumentenkreises von Functional Food (Gesamtbevölkerung
und/oder spezifische Bevölkerungsgruppen),
•
Eindeutige und unumgängliche gesetzliche Positionierung von Functional Food
in Bezug zu Lebensmitteln, insbesondere Grundnahrungs- und Speziallebensmitteln, und Heilmitteln.
Es zentrieren sich die Forderungen, in Anlehnung an internationale Vorgaben diese
Punkte auf behördlicher Ebene (z. B. BAG) unter Zusammenarbeit mit allen relevanten gesellschaftlichen Gruppierungen zu regeln. Es wurde von verschiedener
Seite vorgeschlagen, ein unabhängiges Expertengremium im Sinne einer Bewilligungs-, Kontroll- und Informationsinstanz für Functional Food einzusetzen, um ein
einheitliches, effizientes und demokratisches Vorgehen sicherzustellen.
Man ist sich einig, dass grundsätzlich der wissenschaftliche Nachweis des gesundheitsfördernden Nutzens die Grundlage der Anpreisungen sein muss. Unstimmigkeit herrscht jedoch über Art und Ausmaß des nötigen Wirkungsnachweises und
inwieweit er dem für Heilmittel entsprechen soll.
Von allen Akteuren wurde der große Informationsbedarf der Konsumenten bezüglich Functional Food wahr- und ernst genommen. Auf allen Ebenen wurde nach
transparenter Information und Kommunikation zur Gewährleistung von Sicherheit,
Gesundheit und Wahlfreiheit der Konsumenten verlangt. Insbesondere wurde auf
den immer noch enormen Aufklärungsbedarf bezüglich der Bedeutung einer ausgewogenen gesunden Ernährungs- und Lebensweise, und welche Rolle Functional
Food darin einnehmen kann, hingewiesen.
279
9.
Zeithorizonte der zukünftigen Entwicklung
Für eine adäquate Beurteilung von Functional Food ist es wichtig, einschätzen zu
können, innerhalb welcher Zeithorizonte von diesen Lebensmitteln Beiträge zur
Prävention ernährungsabhängiger Erkrankungen und Verbesserung der "öffentlichen Gesundheit" erwartet werden können. Gleichzeitig ist aber auch zu fragen, ob
in den Zeiträumen, die zur Realisierung der Potentiale von Functional Food erforderlich wären, möglicherweise bessere medizinische Therapie- und Präventionsmöglichkeiten entwickelt werden oder sich Rahmenbedingungen ändern, die Auswirkungen auf das Angebot und den Bedarf von Functional Food haben könnten.
In den letzten Jahren wurden in zahlreichen Ländern systematische VorausschauAktivitäten eingeleitet und intensiviert, die das Ziel haben, diejenigen wissenschaftlich-technischen Möglichkeiten zu identifizieren, denen in Zukunft die größte
Bedeutung zukommt. In den meisten Zukunftsstudien wird methodisch auf das Delphi-Verfahren benutzt. Da spezifische Untersuchungen zur zukünftigen wissenschaftlich-technischen Entwicklung in der Schweiz nicht vorliegen, wurden Info rmationen zu diesen Fragestellungen aus fünf Delphi-Befragungen gewonnen, die
zwischen 1993 und 1997 in Deutschland (BMFT 1993, Cuhls et al. 1998, Menrad
et al. 1999), Italien (Menrad et al. 1999), Japan (NISTEP 1997) und Großbritannien
(Loveridge et al. 1995) durchgeführt wurden. Tabelle 9.1 gibt eine Übersicht über
die ausgewerteten Studien.
Vier der fünf für dieses Gutachten ausgewerteten Delphi-Studien (und zwar DE '93,
DE '98, UK '95 und JP '97) umfassen künftige Entwicklungen aus allen Bereichen
von Wissenschaft und Technik – von der Weltraumforschung über Informationsund Kommunikationstechnologie bis hin zu Lebenswissenschaften (Tab. 9.1).
Demgegenüber befasst sich die Delphi-Studie von 1997 (DE/IT '97) ausschließlich
mit den Auswirkungen der Biotechnologie auf Landwirtschaft, Lebensmittelproduktion und -verarbeitung. Dies ist auch die einzige der ausgewerteten Studien, die
parallel in mehreren Ländern durchgeführt wurde. Für diese TA-Studie wurden aber
nur die in Deutschland und Italien erhobenen Daten verwendet.
Tabelle 9.1:
Übersicht über ausgewertete Delphi-Studien
Experten
nach der 2. Runde
Studie
Auftraggeber
Durchführende
Institution
DE
'93
Bundesministerium für Forschung
und Technologie (BMFT) (Hrsg.):
Deutscher Delphi-Bericht zur
Entwicklung von Wissenschaft
und Technik. Bonn: BMFT 1993
Bundesministerium
für Forschung und
Technologie
(BMFT)
Fraunhofer-Institut
für Systemtechnik
und Innovationsforschung, Karlsruhe
UK
'95
Loveridge, D.; Georghiou, L.;
Office of Science
and Technology
Nedeva, M.: United Kingdom
Technology Foresight Programme
– Delphi Survey. Manchester:
PREST 1995
DE/ Menrad, K.; Agrafiotis, D.; En Commission of the
IT '97 zing, C.; Lemkow, L.; Terragni, European Union,
F.: Future impacts of biotechnolo- DG XII
gy on agriculture, food production
and food processing – a Delphi
survey. Heidelberg: PhysikaVerlag 1999
University of Manchester, Policy
Research in Engineering, Science
and Technology
(PREST), Manchester
Sept. 1993 Großbritannien
bis
Dez. 1994
Fraunhofer-Institut
Sept./Okt. Deutschland,
für Systemtechnik
1996 bis Griechenland,
und Innovationsfor- März/April Italien,
schung, Karlsruhe;
1997
Niederlande,
NSPH, Athen;
Spanien
CERISS, Mailand;
TNO-StB, Delft;
Universität Bellaterra, Barcelona
Befragte
Gruppen
Besonderheiten der
Zahl
Industrie, Hochschulen, öffentlicher Dienst
und Verbände
857
Industrielle
Forschung,
Hochschule,
Management
aus Forschung
und Industrie
2960
Industrie, Wissenschaft, Konsumenten,
Landwirtschaft,
Kritiker der
Biotechnologie
1218
Studie
Fragen aus
japanischer
Befragung
übernommen
280
Quellenangabe
Code
Zeitraum
der
Land
Datenerhebung
Sept. 1992 Deutschland
bis März
1993
Für dieses Gu tachten wurden
die in Deutschland und Italien
erhobenen
Daten ausgewertet
Fortsetzung Tabelle 9.1:
Experten
nach der 2. Runde
Studie
Code
Quellenangabe
Auftraggeber
Durchführende
Institution
Zeitraum
der
Land
Datenerhebung
1996
Japan
Science and Technology Agency
National Institute of
Science and Technology Policy
(NISTEP), Tokio
DE
'98
Bundesministerium
für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie (BMBF)
Fraunhofer-Institut
Nov. 1996 Deutschland
für Systemtechnik bis Juni 1997
und Innovationsforschung, Karlsruhe
Cuhls, K.; Blind, K.; Grupp, H.;
Bradke, H.; Dreher, C.; Harmsen,
D.-M.; Hiessl, H.; Hüsing, B.;
Jaeckel, G.; Schmoch, U.; Zoche,
P.: DELPHI '98 Umfrage. Studie
zur globalen Entwicklung von
Wissenschaft und Technik. Zusammenfassung der Ergebnisse;
Methoden- und Datenband (in
2 Bänden). Karlsruhe: ISI 1998
heiten der
Zahl
Studie
Wissenschaftler
aus Industrie,
Hochschule und
privaten Forschungseinrichtungen
3586
323 Fragen
identisch mit
DE '98
Industrie, Hochschulen, öffentlicher Dienst
und Verbände
1856
323 Fragen
identisch mit JP
'97, 113 Fragen
identisch mit
DE '93
281
JP '97 National Institute of Science and
Technology Policy (NISTEP):
The 6th Technology Forecast
Survey. Tokyo: NISTEP 1997
Befragte
Gruppen
Besonder-
282
9.1
Zeitlicher Verlauf der Einführung von Functional Food
9.1.1
Functional Food
Die Entwicklung von Functional Food und ihre Wirkungen auf die menschliche
Gesundheit ist gegenwärtig im Bereich der Ernährung und Gesundheit ein wichtiges
Thema. Dies spiegelt sich auch in den Zukunftsaussagen der fünf Delphi-Studien
wider, unter denen sich 22 Aussagen direkt mit Functional Food befassen. Dabei
betreffen sechs Aussagen die Entwicklung von Functional Food, 12 Aussagen befassen sich mit den Wirkungen dieser Lebensmittel auf Körperfunktionen und
Krankheiten und vier weitere Zukunftsaussagen lassen sich der zukünftigen Marktentwicklung dieser Gruppe von Lebensmitteln zuordnen. Die Zukunftsaussagen
und die erwarteten Zeiträume der Verwirklichung sind in Tabelle 9.2 bis Tabelle 9.4
aufgeführt.
Generell wird die Entwicklung von Functional Food zur Prävention von Krankhe iten von den befragten Experten in den nächsten fünf Jahren erwartet (Tab. 9.2 und
Tab. 9.3). Diese Einschätzung betrifft sowohl die Entwicklung von Produkten mit
verbessertem Spektrum der Inhaltsstoffe (Vitamine, Proteine, Supplemente zur
Verbesserung der Darmabsorption/-flora) als auch Produkte zur Prävention bestimmter Krankheiten (z. B cholesterinarme oder mit Antioxidantien angereicherte
Lebensmittel gegen Herz-Kreislauf-Erkrankungen). Erste Produkte dieser Art wie
pro- und prebiotische Milchprodukte, mit den Vitaminen A, C und E angereicherte
Getränke oder andere Lebensmittel oder auch Brot mit einem Zusatz an Omega-3Fettsäuren finden sich bereits in den Regalen des Lebensmittelhandels.
Die bislang angebotenen Functional Food werden meist konventionell erzeugt. Jedoch werden gentechnische Methoden bei der Herstellung dieser Lebensmittel und
bei der Veränderung der Lebensmittelqualität im Hinblick auf eine gesunde Ernä hrung nach Einschätzung der Delphi-Experten in den nächsten fünf bis zehn Jahren
zunehmend an Bedeutung gewinnen (Tab. 9.2 und Tab. 9.3).
Ein Großteil der Zukunftsaussagen zu Functional Food befasst sich mit den Indikationen und Wirkungen bei folgenden ernährungsabhängigen Krankheiten: Lebensmittel-Allergien, Krebs, Übergewicht, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Zahngesundheit und Psyche (Tab. 9.3). Diese Krankheiten decken im Wesentlichen die Funktionen ab, auf die Functional Food zielen (z. B. Modifikation des Stoffwechsels von
Makronährstoffen, Abwehr reaktiver Oxidantien, Physiologie des Magen-DarmTrakts oder Steigerung des geistigen und körperlichen Wohlbefindens) (Bellisle
et al. 1998b). Der Detaillierungsgrad der Delphi-Aussagen reicht jedoch nicht aus,
um zwischen diesen Wirkungen zu differenzieren. Aus Tabelle 9.3 ist für die Entwicklung spezifischer Functional Food keine zeitliche Reihenfolge nach Krankhe i-
283
ten ablesbar. Vielmehr scheint die zeitliche Entwicklung von den technischen Möglichkeiten bestimmt zu werden: so wird z. B. die Supplementierung von Lebensmitteln früher erwartet als deren gentechnische Veränderung oder die Veränderung
tierischer Rohstoffe. Letzteres dürfte auf die immer noch bestehenden Schwierigkeiten bei der gezielten und effizienten gentechnischen Veränderung von landwir tschaftlichen Nutztieren sowie die fehlende Konsumentenakzeptanz zurückzuführen
sein.
In den kommenden zehn Jahren wird zudem mit einer deutlichen Ausweitung des
Angebots an Functional Food gerechnet (Tab. 9.4), die von den Konsumenten auch
angenommen und verwendet werden (Tab. 9.2). Dies zeigt, dass sich diese Lebensmittel nach Einschätzung der Experten zu einem dauerhaften Trend im Markt
entwickeln werden. Diese Einschätzung wurde von den im Rahmen dieser Studie
befragten Experten in der Schweiz geteilt. Für die Unternehmen der Lebensmittelbranche bedeutet dieser Trend eine durchaus interessante Möglichkeit zur Stärkung
ihrer Wettbewerbskraft auf dem Markt. Insbesondere in bestimmten Segmenten
können relativ hohe Umsatzanteile erzielt werden. So wird bereits in naher Zukunft
von deutschen Experten eine deutliche Erhöhung der Marktanteile bei den ersten
Vertretern von Functional Food, den probiotischen Produkten wie z. B. Joghurt
prognostiziert (Marktanteil 1998 etwa 15 % in Deutschland). Bei einer Mehr heit der
Experten in Deutschland bestehen jedoch Zweifel an der Durchsetzbarkeit von
deutlich erhöhten Preisen für qualitativ verbesserte Lebensmittel, die mit der modernen Biotechnologie in Verbindung gebracht werden. Demgegenüber werden
Premiumpreise für diese Produkte in Italien eher für realisierbar gehalten (Tab. 9.4).
284
Statement
Zukunftsaussage
18
Commercial varieties of crops and livestock provide food of
superior nutritional value (e.g. vitamin, protein, ...) to support
dietary health requirements
67
Greater understanding of animal and human nutrition and nutrient absorption by the gut leads to major new markets for
foods containing defined, proven, health-enhancing supplements (nutraceuticals)
95
Functional Food, die in der Lage sind, Erkrankungen je nach
dem körperlichen Befinden vorzubeugen, werden in der Praxis
angewendet
67
Practical use of functional food which help prevent diseases
according to individual body characteristics
39
Zeitraum der Verwirklichung für generelle Aussagen zu Functional
Food
Mit Hilfe der Gentechnik werden zahlreiche Lebensmittel hergestellt, die aufgrund ihrer speziellen Zusammensetzung eine
gesunde Ernährung in besonderer Weise unterstützen
20
Delphi-Studie
UK '95
DE '98
DE/IT ‘97
DE '98
Gentechnik
JP ‘97
Entwicklung und Anwendung
UK ‘95
Teilbereich
Tabelle 9.2:
Transgene Pflanzen mit verbessertem Spektrum der Inhaltsstoffe werden für die Futter- und Nahrungsmittelproduktion
breit eingesetzt
Zeitraum
der
Verwirklichung
(Median der
Antworten)
2002
2006
2010
2011
DE: 2006
IT: 2003
2008
Quellen: Loveridge et al. 1995; National Institute of Science and Technology Policy 1997; Cuhls et al. 1998; Menrad et al. 1999
285
67
70
26
25
7
Development of non-allergenic food
Allergikern werden spezielle Lebensmittel angeboten, deren
allergenes Potential durch den Einsatz der Gentechnik reduziert worden ist
UK ‘95
JP ‘97
DE ‘93
1999
2004
2007
2003
DE: 2006
IT: 2005
62
Understanding of causal links between diet and body performance enables manipulation of factors such as appetite and
biorhythms
2005
Finger-printing of genes controlling the expression of food allergies allows the preparation of a wide range of hypoallergenic foods
2008
34
Widespread use of nutritional supplements or special diets based on an understanding of the role of nutrients, such as antioxidants, in cancer prevention
Zeitraum
der
Verwirklichung
(Median der
Antworten)
Widespread use of allergy-free livestock product manufacturing techniques through the analysis and modification of the
antigen structure of such products (e.g. milk and eggs)
2011
35
Widespread availability in supermarkets of low calorie, appetite satisfying foods for overweight consumers
DE/IT ‘97
Development of a functional food which reduces the incidence
of dietary heart disease
36
Statement
Delphi-Studie
UK ‘95
UK '95
Zukunftsaussage
UK '95
UK '95
Zeitraum der Verwirklichung für Functional Food für bestimmte
Krankheiten bzw. Körperfunktionen
UK ‘95
HerzKreislauf
Übergewicht
Lebensmittelallergien
Verhalten,
Psyche
Krebs
Teilbereich
Tabelle 9.3:
Zur Erzeugung von Tierprodukten werden Verfahren entwikkelt, mit deren Hilfe durch Analyse und Veränderung von Antigenstrukturen der Tierprodukte (Milch, Eier) Allergien vermieden werden.
2012
286
Statement
72
Sweeteners in infant food and drink are restricted to those
which are not-cariogenic
2002
68
Zukunftsaussage
Zeitraum
der
Verwirklichung
(Median der
Antworten)
Practical use of artifical sugar substitutes with the same cooking characteristics as sucrose which are ideal for diet food
preparation
2007
71
Delphi-Studie
JP ‘97
UK ‘95
Zahngesundheit
UK ‘95
Teilbereich
Fortsetzung Tabelle 9.3:
Concern about dental decay results in replacement of carbonation by an alternative method of producing 'sparkle' in drinks
2009
Quellen: Bundesministerium für Forschung und Technologie 1993; Loveridge et al.
1995; National Institute of Science and Technology Policy 1997; Menrad
et al. 1999
287
Statement
Zukunftsaussage
Zeitraum
der
Verwirklichung
(Median der
Antworten)
70
Widespread availability in supermarkets of low calorie, appetite satisfying foods for overweight consumers
1999
38
Lebensmittel, die mit gesundheitsfördernden Mikroorganismen angereichert sind, erreichen ungefähr 25 % Umsatzanteil
in ihrer Warengruppe (z. B. Joghurt)
DE: 2005
IT: 2002
39
Zukünftige Marktentwicklung von Functional Food nach DelphiStudien
Widespread scope for consumers to purchase foods with therapeutic benefits against a wide range of health risks
2008
15
Delphi-Studie
DE/IT '97
DE/IT '97
Preise
UK '95
Angebot
UK '95
Teilbereich
Tabelle 9.4:
Die Konsumentenpreise für Lebensmittel in speziellen
Marktnischen, deren Qualität durch die Anwendung der modernen Biotechnologie deutlich verbessert wird, sind mindestens 30 % höher als die der entsprechenden herkömmlichen
Produkte
DE: überhaupt
nicht realisierbar
(52%)
IT: 2008
Quelle: Loveridge et al. 1995; Menrad et al. 1999
9.1.2
Rahmenbedingungen
Zu den Rahmenbedingungen, die die Entwicklung und den kommerziellen Erfolg
von Functional Food beeinflussen, gehören in entscheidendem Maße die Aufklärung der wissenschaftlichen Grundlagen über die biologischen Zusammenhänge
zwischen Ernährung und Gesundheit und deren Umsetzung in entsprechende Ernä hrungsempfehlungen. Daneben beeinflussen auch die Kennzeichnung von Lebensmitteln sowie die Qualitätssicherung bei der Lebensmittelproduktion die Entwicklung von Functional Food. Tabelle 9.5 gibt einen Überblick über die erwarteten
Zeiträume der Realisierung in diesen Bereichen.
Eine wissenschaftlich fundierte Aufklärung der ursächlichen Einflüsse von Ernä hrung, Lebensweise, genetischer Disposition und Umwelteinflüssen auf die Entstehung von Krankheiten bzw. die Aufrechterhaltung gesunder Körperfunktionen wird
in den kommenden zehn Jahren erwartet. Dieser Zeitraum erscheint plausibel, da
288
die Aufklärung dieser Zusammenhänge einen Teilaspekt der Pathogenese komplexer, multifaktoriell bedingter Krankheiten darstellt, mit deren vollständiger Aufklärung erst in den darauffolgenden fünf Jahren gerechnet wird. Die Finanzierung der
Forschung in diesem Gebiet stellt nach Ansicht der Experten eines der wichtigsten
Hemmnisse dar. Desgleichen wird eine internationale Kooperation der Forschung
von einer Mehrheit als zwingend notwendig betrachtet.
Etwa zeitgleich mit der wissenschaftlichen Fundierung wird eine Umsetzung der
neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse in verschiedene, an Bedarfsgruppen orie ntierte Ernährungsleitlinien erwartet. Exemplarisch werden in den Delphi-Studien
dabei Leitlinien zur generellen Prävention von Krankheiten bzw. einer gesunden
Lebensführung, zur Prävention bestimmter Krankheiten, z. B. Krebs, sowie zur Gesundung bei schon aufgetretener Krankheit genannt. Trotz der optimistischen Einschätzung der Experten, was den zeitlichen Verlauf dieser Entwicklung betrifft und
der großen Wichtigkeit, die dieser Frage beigemessen wird, ist zu hinterfragen, ob
in der Praxis tatsächlich eine rasche Umsetzung der wissenschaftlichen Erkenntnisse in entsprechende Ernährungsempfehlungen erfolgen wird. Neben Kostenfaktoren, die diese Entwicklung beeinträchtigen können, wird ein wesentliches Hemmnis
für die Anwendung der Leitlinien in der gesellschaftlichen Akzeptanz gesehen. Dies
spiegelt wider, dass sich Studien zufolge weniger als 1 % der Bevölkerung den Ernährungsrichtlinien entsprechend ernährt (Hulshoff et al. 1993, MAFF 1994, Kearney und McElhone 1999, Rayner 1998).
Über die weitere Entwicklung von Ernährungsleitlinien nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen hinaus, ist in den Zukunftsaussagen der Delphi-Studien
ein Trend weg vom "statistischen Durchschnittskonsumenten" hin zur Ermittlung
des individuellen Risikos und damit verbundenen individuellen Ernährungsempfehlungen erkennbar. Der für diese Entwicklung erwartete Zeitraum von fünf bis
zwölf Jahren erscheint plausibel, da in den Jahren zuvor (2003 bis 2009) mit einer
Verbesserung der Diagnosemöglichkeiten zur Vorhersage des individuellen Risikos
für verschiedene Krankheiten (z. B. Herz-Kreislauf, Krebs) gerechnet wird. Die
medizinischen Kenntnisse aus der Diagnose können in der Praxis in entsprechende
individuelle Ernährungsempfehlungen umgesetzt werden. Ob die zeitliche Verzögerung von ca. drei Jahren, mit der medizinische Erkenntnisse in der Ernährungsberatung angewendet werden, statistisch signifikant ist, ist mit den Daten der DelphiStudien nicht prüfbar. Es ist jedoch zu vermuten, dass die Umsetzung von Erkenntnissen aus dem Wissenschafts-/Forschungsbereich (z. B. Medizin) in die Ernä hrungsberatung tatsächlich zeitlich verzögert erfolgt. Da Functional Food an der
Schnittstelle zwischen Medizin und Ernährung angesiedelt sind, ist aber eine intensive Kooperation dieser Bereiche für die Entwicklung dieser Lebensmittel wünschenswert.
Die Kennzeichnung von Lebensmitteln stellt einen wichtigen und für Functional
Food auch umstrittenen regulatorischen Aspekt dar. Einerseits möchte die Industrie
289
mit den "Gesundheitswirkungen" der Produkte werben. Andererseits sind für derartige Werbeaussagen Qualitätsstandards gefordert, die z. T. noch nicht gegeben sind.
In vielen Fällen sind die gesundheitlichen Wirkungen funktioneller Wirkstoffe oft
nicht hinreichend wissenschaftlich abgesichert. Von Seiten der Konsumenten wird
daher eine Irreführung und ein unlauterer Wettbewerb durch die Industrie befürchtet. Auch ist derzeit in vielen Ländern noch strittig, ob und inwieweit die Einführung von Functional Food an Zulassungsverfahren, z. B. analog der Novel FoodVerordnung der EU, gekoppelt werden soll. Unstrittig ist hingegen, dass Kons umenten informiert werden sollen und auch informiert werden müssen, da Functional
Food erklärungsbedürftige Produkte sind. Eine derartige Information wäre teilweise
über die entsprechende Kennzeichnung dieser Produkte möglich.
Die Thematik der Kennzeichnung von Functional Food ist nicht explizit in den Delphithesen abgedeckt. Für Lebensmittel wird jedoch allgemein ein Trend hin zu verstärkter und detaillierter Kennzeichnung in naher Zukunft erwartet. Die Kennzeichnungspflicht betrifft dabei sowohl die Inhaltsstoffe als auch die Herstellungsprozesse bei Lebensmitteln und Getränken. In Bezug auf die Information der Konsumenten über gesundheitlich relevante Wirkungen der Lebensmittel rechnen die Experten
mit verbindlichen Warnhinweisen vor nachteiligen gesundheitlichen Wirkungen.
Die Kennzeichnungspflicht wird allgemein mit positiven Impulsen für die gesellschaftliche Entwicklung verknüpft, wenngleich auch von der Mehrzahl der Experten durch dieses Instrument kein signifikant positiver Einfluss auf die Gesundheit
erwartet wird. Als wichtigste Einflussgrößen für diese Entwicklung werden Regulierungsänderungen durch entsprechende politische Maßnahmen und kommerzielle
Interessen seitens der Industrie gesehen.
Gleichzeitig bestehen Zweifel, dass die Mehrzahl der Konsumenten einen ausreichenden Kenntnisstand besitzt, um die Informationen der Lebensmittelkennzeic hnung zu verstehen und entsprechend zu handeln. Entscheidende Hemmnisse für die
Umsetzung einer Lebensmittelkennzeichnung werden in der sozialen Akzeptanz
durch die Konsumenten sowie in deren Ausbildungsstand gesehen. Eine verbesserte
Ausbildung und Information stellt daher zugleich eine der wichtigsten Maßnahmen
zur Förderung dieser Entwicklung dar.
Neben der Information von Seiten der Industrie durch Kennzeichnung der Lebensmittel sind auch andere Wege der Information und Beeinflussung des Ernährungsverhaltens in der Diskussion, wie z. B. wissenschaftliche Leitlinien, individuelle
Ernährungspläne und Ernährungspläne bei bestimmten Krankheiten oder für bestimmte Risikogruppen. Jedoch bestehen auch hier Zweifel an der Nutzung dieser
Maßnahmen durch die Konsumenten und damit letztlich auch an deren Wirksamkeit.
Verbesserungen der Verfahren zur Überwachung und Sicherung von Qualitätsparametern bei der Lebensmittelproduktion werden bereits in den kommenden fünf
290
Jahren erwartet. Basistechniken sind in diesem Bereich vorhanden, müssen aber auf
spezifische Problemstellungen angepasst werden. Als wichtige Parameter beeinflussen sowohl der Technologietransfer zwischen Forschung und Industrie als auch die
Finanzierung dieser Basistechnologien diese Entwicklung. Der internationalen Kooperation auf diesem Gebiet wird neben der Förderung von Forschung und Entwicklung ein hoher Stellenwert beigemessen.
9.2
Zeithorizonte von parallelen Entwicklungen mit Relevanz
für Functional Food
Functional Food zielen auf die Prävention ernährungsabhängiger Erkrankungen.
Alternativen zu dieser Form der Prävention liegen demnach in konventionellen
Formen der Prävention sowie der Verbesserung diagnostischer Methoden. Zukünftige Fortschritte in der Therapie ernährungsabhängiger Krankheiten und neue Entwicklungen auf diesem Feld wirken komplementär zur Prävention, wobei die Therapie durch Fortschritte in der Prävention nicht überflüssig wird und umgekehrt. Da
jedoch die Einbußen an Lebensjahren und -qualität bei ernährungsabhängigen
Krankheiten stark vom Stand der Therapiemöglichkeiten dieser Krankheiten abhä ngig sind, sind zukünftige Entwicklungen auf diesem Gebiet von Relevanz für eine
Technologie-Folgenabschätzung bei Functional Food, da diese aus Public Health
Sicht in dieselbe Richtung zielen. Eine der Grundlagen für neue Entwicklungen in
der Therapie stellt die Aufklärung der Pathogenese dar. Tabelle 9.6 gibt einen
Überblick über die erwarteten Zeiträume der Realisierung von Entwicklungen in der
Prävention, Therapie und Pathogenese ernährungsabhängiger Krankheiten.
In der Krebsprävention wird schon in naher Zukunft mit einer Verbesserung der
Methoden zur Frühdiagnose gerechnet. Die Methoden ermöglichen aufgrund ihrer
Einfachheit einen breiten Einsatz zum Screenen der Bevölkerung. Durch Verbesserungen und Anwendungen des Krebsfrüherkennungssystems wird bereits in den
nächsten drei Jahren eine Erhöhung der 5-Jahres-Überlebensrate für möglich gehalten. Dagegen werden Indikatoren zur Risikoeinschätzung für Herz-KreislaufErkrankungen sowie Methoden zur nicht-invasiven Diagnose von Arteriosklerose
erst in den nächsten zehn Jahren erwartet. Eine weitere Möglichkeit in der diagnostischen Prävention stellt die Abschätzung des individuellen Erkrankungsrisikos
durch Genanalysen bei genetisch mitbedingten Krankheiten wie Krebs oder Bluthochdruck dar. Hier wird von deutschen und britischen Experten mit einer Umsetzung in den nächsten fünf bis zehn Jahren gerechnet.
Information und Regulierung
Kennzeichnung
u
u u
Ž
Entwicklung von Leitlinien
u
Versicherungen
“
Wissensstand
u
Ž Ž
u
Verhaltensänderung
u
Einfluss von Ernährung auf Gesundheit
uu u u
u
¢
Ž
’
“
Qualitätskontrolle
u
“
u
Genetik und gezielte Ernährung
Prävention Lebensmittelqualität
291
u ¢
Anwendung von Leitlinien/Vorsorge
Biologische Zusammenhänge
2020
“
’
Information
Menschliches Verhalten
2015
2000
Rahmenbedingungen
2010
Überblick über erwartete Zeiträume der Realisierung von Zukunftsaussagen aus fünf Delphi-Studien zu den Rahmenbedingungen der Entwicklung von Functional Food
2005
Tabelle 9.5:
u
’
“
“
Delphi-Survey, Great Britain (Loveridge et al. 1995);
Technology Forecast Survey, Japan (National Institute of Science and Technology Policy 1997);
Deutscher Delphi Bericht zur Entwicklung von Wissenschaft und Technik (Bundesministerium für Forschung und Technologie 1993);
Future impacts of biotechnology on agriculture, food production and food processing, Deutschland, Italien (Menrad et al. 1999);
Delphi '98, Deutschland (Cuhls et al. 1998)
292
Fortschritte in der Therapie ernährungsabhängiger Erkrankungen beinhalten zum
einen Verbesserungen der Effektivität und/oder die Reduzierung der Komplikationen bei bestehenden Behandlungsmethoden, zum anderen aber auch neuere Entwicklungen wie beispielsweise die Gentherapie. Am deutlichsten lässt sich der unterschiedliche zeitliche Verlauf von Verbesserungen bei bestehenden Methoden und
der Entwicklung neuer Methoden am Beispiel der Krebstherapie aufzeigen: Bereits
in der kommenden Dekade wird mit einer Erhöhung der Effektivität bestehender
Behandlungsmethoden in der Strahlen- und der Chemotherapie gerechnet. Es zeichnet sich jedoch schon im Bereich der Chemotherapie ab, dass entscheidende Verbesserungen wie zielgenaue Medikamentierung (missile drugs), Überwindung der
Medikamentenresistenz oder die vollständige Heilung maligner Tumore, die bislang
nur wenig auf Medikamente ansprechen wie auch die wirksame Verhinderung der
Metastasenbildung nach Ansicht der Experten erst in den nächsten 10 bis 15 Jahren
erfolgen werden.
Diese Bewertung erscheint plausibel, da mit einer umfassenden Aufklärung der
Pathogenese ernährungsabhängiger Krankheiten – bis auf wenige Ausnahmen bei
abgegrenzten Problembereichen – ebenfalls erst in den nächsten 10 bis 15 Jahren
gerechnet wird. Die Entwicklung und Umsetzung alternativer Therapiekonzepte
schließlich, die auf gezielter Beeinflussung des Immunsystems, gezielter Beeinflussung des programmierten Zelltods oder auf der Umdifferenzierung von Krebszellen
in normale Zellen bestehen, wird erst im Anschluss an diese Aufklärungsphase für
möglich gehalten.
Unter den neuen Entwicklungen in der Therapie hat die Gentherapie bei allen genetisch mitbedingten Erkrankungen einen festen Platz. Auch in der Aufklärung der
Pathogenese wird der Identifizierung von Genen, die bei der Krankheitsentstehung
beteiligt sind, eine entscheidende Rolle zuerkannt. Während die Entwicklung einer
Gentherapie zur Behandlung von Altersdiabetes schon im nächsten Jahrzehnt für
möglich gehalten wird, wird eine breite Anwendung dieser Therapiemethode bei
der Behandlung von familiärer Hypercholesterinanämie, Diabetes und Krebs erst in
den nächsten 15 Jahren erwartet. Für die breite Anwendung dieser Methode spielen
sowohl Aspekte der sozialen Akzeptanz wie auch Sicherheitsbedenken eine kritische Rolle.
Pathogenese
Ž
Krebs
Ž
Ž
Herz-Kreislauf
¢
“
¢
“
“
¢
Verschiedenes
u
¢
Ž
“
u
Diabetes
Ž
Krebs
Ž
u
Herz-Kreislauf
Allergien
Osteoporose
Zahngesundheit
u
Ž
293
Ž
Ž n
u
Krebs
Herz-Kreislauf
Therapie
Ž
¢
Diabetes
Prävention Diagnostik
“
¢
¢
2020
2015
2000
Alternativen
2010
Überblick über erwartete Zeiträume der Realisierung von Zukunftsaussagen aus fünf Delphi-Studien zur Prävention und
Therapie ernährungsabhängiger Erkrankungen
2005
Tabelle 9.6:
u “ “
“
Ž
¢
¢
Ž
Ž
“
¢
¢
¢
Ž
“
“ ¢ ¢ Ž “
¢
¢
¢
Ž
¢
“
Ž
¢
¢
Delphi-Survey, Great Britain (Loveridge et al. 1995);
Technology Forecast Survey, Japan (National Institute of Science and Technology Policy 1997);
Deutscher Delphi Bericht zur Entwicklung von Wissenschaft und Technik (Bundesministerium für Forschung und Technologie 1993);
Delphi '98, Deutschland (Cuhls et al. 1998)
294
9.3
Zusammenfassung
Basierend auf der Auswertung von fünf Delphi-Untersuchungen lassen sich die fo lgenden Thesen über mögliche zukünftige Entwicklungen ableiten:
•
Eine breite Palette von Functional Food wird in naher Zukunft entwickelt.
•
Die Konsumenten reagieren mit zeitlicher Verzögerung auf diese Entwicklung
und sind nur in bestimmten Grenzen bereit, dafür höhere Preise zu bezahlen.
Functional Food der ersten Generation können sich mit guten Marktanteilen auf
dem Markt behaupten.
•
Der Einfluss der Ernährung auf die Gesundheit wird in der nächsten Dekade geklärt, während die vollständige Klärung der Pathogenese ernährungsabhängiger
Krankheiten erst im Anschluss daran zu erwarten ist.
•
Neue wissenschaftliche Erkenntnisse werden in Risikogruppen-angepassten Ernährungsleitlinien oder individuellen Ernährungsplänen umgesetzt.
•
Regulatorische Maßnahmen zur Kennzeichnung der Lebensmittel werden in der
nahen Zukunft realisiert und gehen einher mit einer verstärkten Information der
Konsumenten.
•
Verbesserte Verfahren zu Qualitätssicherung von Lebensmittel werden in den
kommenden fünf Jahren entwickelt.
•
Fortschritte in der diagnostischen Prävention und Verbesserungen der Effektivität bestehender Therapiekonzepte für ernährungsabhängige Krankheiten erfolgen
in den nächsten zehn Jahren.
•
Entscheidende Verbesserungen und die Entwicklung alternativer Therapieverfa hren speziell bei Krebs werden erst in ferner Zukunft realisiert.
Aus den Einschätzungen der Experten ist erkennbar, dass die Entwicklung und Verbreitung von Functional Food in ihrem zeitlichen Ablauf parallel zu Verbesserungen in der Prävention und in der Diagnostik ernährungsabhängiger Erkrankungen
vorangeht. Da mit einem Durchbruch neuer und effektiver Therapieformen erst in
den nächsten 10 bis 20 Jahren gerechnet werden kann, nimmt die Prävention in diesem Zeitraum einer herausragende Stellung ein. Functional Food erscheinen speziell
in dieser Phase geeignet, konventionelle Formen der Prävention zu ergänzen. Auf
der anderen Seite wird die Prophylaxe ernährungsabhängiger Krankheiten mit Hilfe
spezifisch entwickelter Functional Food durch neue Therapieformen nicht überflüssig werden. Die Aufklärung der Pathogenese dieser Krankheiten und die Rolle von
Nahrungskomponenten und Nahrungszusammensetzung bei der Krankheitsentstehung lässt auch noch zu späteren Zeitpunkten eine Umsetzung in geeignete Functional Food erwarten.
295
10.
Zusammenfassende Gesamtbeurteilung von Functional Food
10.1
Definition und Abgrenzung von Functional Food
Bislang existiert keine einheitliche, eindeutige und allgemein anerkannte Definition
für Functional Food. Eine rechtlich verbindliche Definition und Abgrenzung von
Functional Food wurde bisher nur in Japan vorgenommen, für die EU und die
Schweiz ist diese noch nicht erfolgt. Die unterschiedlichen vorhandenen Definitionen stimmen jedoch darin überein, dass ein als Functional Food zu bezeichnendes
Lebensmittel einen zusätzlichen Nutzen für den Konsumenten aufweisen soll, der
über die reine Sättigung, die Zufuhr von Nährstoffen und die Befriedigung von Genuss und Geschmack hinausgeht. Dieser Zusatznutzen besteht im Erhalt bzw. der
Steigerung des individuellen Gesundheitszustandes oder Wohlbefindens sowie in
der Verringerung des Risikos, an bestimmten Krankheiten zu erkranken.
Angesichts des aktuellen internationalen Diskussionsstandes wird vorgeschlagen,
für diese Technologie-Folgenabschätzung eine Arbeitsdefinition für Functional
Food vorzunehmen, die sie eher als ein Konzept und weniger als eine wohldefinierte Gruppe von Lebensmitteln auffasst. Da sich die Mehrzahl der befragten Experten in der Schweiz mehr oder weniger an die Definition, die im Rahmen des
FUFOSE-Projektes der Europäischen Union erarbeitet wurde, anlehnt, wird diese
Definition als Arbeitsgrundlage herangezogen, im Rahmen der TA-Studie jedoch
auf verarbeitete Lebensmittel eingeschränkt.
Demnach müssen Functional Food verarbeitete Lebensmittel sein, deren Wirkungen
von solchen Mengen ausgeübt werden, die normalen Verzehrgewohnheiten entsprechen. Sie sind keine Pillen oder Kapseln, sondern Bestandteil einer normalen Ernährungsweise. Nach der FUFOSE-Definition können Lebensmittel dann als Functional Food angesehen werden, wenn hinreichend bewiesen ist, dass diese Lebensmittel eine oder mehrere Körperfunktionen so beeinflussen, dass davon positive
Wirkungen auf den Gesundheitszustand und das Wohlbefinden und/oder die Verringerung des Erkrankungsrisikos ausgehen. Weiterhin gehören solche Lebensmittel
zu Functional Food, die einen Inhaltsstoff enthalten, der Körperfunktionen so beeinflusst, dass positive Wirkungen davon ausgehen oder der physiologische oder psychologische Effekte hervorruft, die über die Nährstoffzufuhr hinausgehen. Auch
Lebensmittel, aus denen potentiell schädliche Bestandteile auf technischem Wege
entfernt wurden, sind Functional Food.
296
Diese breite Arbeitsdefinition von Functional Food bildet den Rahmen für Schwerpunktsetzungen aus unterschiedlichen Sichtweisen, die je nach Akteursgruppe
deutlich differieren. Aus Sicht der Wissenschaft steht die Wirksamkeit und Wirkungsweise von "funktionellen" Wirkstoffen und deren Nachweis in entspreche nden Versuchen und Testreihen im Mittelpunkt des Interesses. Ein weiterer essentieller Aspekt aus Sicht der Wissenschaft ist die Sicherheit und Unbedenklichkeit von
Functional Food. Von Seiten der Gesetzgebung bzw. des Gesetzesvollzugs geht es
vor allem um die Frage, welche Anforderungen an die Sicherheit von Functional
Food sowie an ihre Kennzeichnungen und Anpreisungen gestellt werden müssen.
Aus der Perspektive der Industrie sind auch bei Functional Food die Wahrnehmung
und das Verhalten der Konsumenten gegenüber diesen Lebensmitteln entscheidend.
In diesem Zusammenhang sind die Wirksamkeit bestimmter "funktioneller" Wirkstoffe und deren Nachweis nur einer unter mehreren Faktoren, um die Verbraucher
dazu bewegen zu können, Functional Food zu kaufen. Aus Sicht der Industrie wäre
dabei auch eine Erweiterung des Katalogs zulässiger Anpreisungen wünschenswert.
In der vorliegenden TA-Studie müssen – je nach Sichtweise und behandelter Fragestellung – alle drei Schwerpunktsetzungen berücksichtigt werden, ohne dass dabei
die anderen Sichtweisen negiert werden können. Dies impliziert, dass je nach Kontext unter dem Begriff Functional Food verschiedene Nuancierungen subsummiert
werden können – ein Problem, das allerdings durch eine zusätzliche Definition auch
nicht gelöst werden kann.
10.2
Stand und Perspektiven von Wissenschaft und Technik
Dem Konzept von Functional Food liegt zugrunde, dass diese bestimmte Inhaltsstoffe enthalten, die auf verschiedene Körperfunktionen wirken und dadurch zum
Erhalt der Gesundheit, zur Prävention von Krankheiten oder allgemein zur Steigerung des Wohlbefindens beitragen. In der wissenschaftlichen Literatur wird eine
kaum zu überblickende Fülle an Substanzen, die als potentiell wirksame Bestandteile von Functional Food in Frage kommen könnten, beschrieben. Ebenso werden
eine Vielzahl von biologischen Funktionen, die durch diese Substanzen beeinflusst
werden könnten, sowie zahlreiche Krankheitsbilder bzw. Beeinträchtigungen von
Körperfunktionen, an denen diese biologischen Funktionen ursächlich beteiligt sein
könnten, angesprochen und untersucht.
Functional Food zielen dabei auf die Funktionen Wachstum, Entwicklung und Differenzierung, Stoffwechsel von Makronährstoffen, Erhaltung der Knochengesundheit/Prävention von Osteoporose, Abwehr reaktiver Oxidantien, Herz-KreislaufSystem, Physiologie des Magen-Darm-Trakts sowie Verhalten und Stimmung, ge istige und körperliche Leistungsfähigkeit ab. Als "funktionelle" Wirkstoffe sind insbesondere Pro-, Pre- und Synbiotika, Antioxidantien, sekundäre Pflanzeninhalts-
297
stoffe, strukturierte Lipide, mehrfach ungesättigte Fettsäuren, Fettersatz- und austauschstoffe, bioaktive Peptide, Nahrungsfasern, Vitamine und Mineralstoffe
von Interesse. Einzelne Inhaltsstoffe können dabei auf verschiedene Zielfunktionen
wirken, und meist haben auch Inhaltsstoffe aus verschiedenen Gruppen Wirkungen
auf eine bestimmte Zielfunktion.
Pro- und Prebiotika wirken überwiegend durch Beeinflussung der endogenen Mikroflora des Magen-Darm-Trakts. Während Probiotika lebende Bakterienkulturen
(v. a. Lactobacillen, Bifidobakterien) enthalten, handelt es sich bei Prebiotika um
nichtverdauliche Oligo- oder Polysaccharide, die das Wachstum von Lactobacillen
oder Bifidobakterien im Dickdarm selektiv fördern. Synbiotika stellen eine Komb ination aus Pro- und Prebiotika dar. Bei Antioxidantien handelt es sich um Substanzen, die die Oxidation von biologisch wichtigen Makromolekülen durch reaktive
Sauerstoff- oder Stickstoffspezies verzögern oder verhindern. Diese Oxidationsprozesse können zu kardiovaskulären Erkrankungen, Krebs oder verschiedenen degenerativen Erkrankungen führen. Zu den mit der Nahrung aufgenommenen Antioxidantien gehören Carotinoide, die Vitamine C und E sowie Flavonoide und andere
phenolische Substanzen.
Unter den ca. 30.000 bekannten sekundären Pflanzeninhaltsstoffen sind folgende
Gruppen im Hinblick auf positive gesundheitliche Effekte und den Einsatz in Functional Food interessant: Carotinoide, Phytosterine, Saponine, Glucosinolate, Polyphenole, Protease-Inhibitoren, Terpene, Phytoöstrogene, Sulfide und Phytinsäure.
Das Wirkungsspektrum der sekundären Pflanzeninhaltsstoffe ist breit und umfasst
neben antikanzerogenen, antimikrobiellen, antioxidativen, antithrombotischen und
entzündungshemmenden Wirkungen auch regulierende Effekte auf Blutdruck und
Blutzuckerspiegel sowie cholesterinsenkende Effekte.
Fettersatz- und Fettaustauschstoffe dienen dazu, den Anteil von Fett an der Gesamtenergiezufuhr zu senken. Dabei sind Fettersatzstoffe Produkte, die aus Fettsäuren
hergestellt werden, jedoch einen geringeren Energiegehalt aufweisen, während Fettaustauschstoffe Produkte auf Protein- oder Kohlenhydratbasis sind, die eine fettähnliche Konsistenz aufweisen. Ein weiterer Ansatz ist die Erhöhung wünschenswerter Fettsäuren in der Nahrung, wie z. B langkettige, mehrfach ungesättigte Fettsäuren. Bioaktive Peptide aus in der Nahrung enthaltenen Eiweißen können hormonähnliche, regulierende oder auch antimikrobielle Wirkungen entfalten. Darüber
hinaus kommen auch Mineralstoffe (Mengen- und Spurenelemente) für den Einsatz
in Functional Food in Betracht. Calcium kann beispielsweise ein wichtiger Bestandteil in einer Ernährung zur Prävention von Osteoporose sein.
Die Entwicklung von Functional Food in der Industrie zielt derzeit vor allem auf
drei Krankheitsbilder ab: Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Osteoporose und MagenDarm-Gesundheit einschließlich der assoziierten Immunfunktionen. Herz-KreislaufErkrankungen sind multifaktoriell bedingt und bieten daher auch vielfältige Ansatz-
298
punkte für Functional Food, die von der Industrie genutzt werden. Zur OsteoporoseProphylaxe werden Functional Food entwickelt und angeboten, die mit Calcium
sowie den Vitaminen K bzw. D angereichert sind. Für die Verbesserung des Gesundheitszustandes des Magen-Darm-Trakts werden vor allem Pro-, Pre- und Synbiotika entwickelt. "Funktionelle" Wirkstoffe, die auf andere wichtige ernährungsabhängige Krankheiten, insbesondere bestimmte Krebserkrankungen und Diabetes,
sowie auch mentale Dysfunktionen abzielen, werden dagegen bisher relativ wenig
bearbeitet.
Es werden verschiedene Ansätze verfolgt, um Lebensmittel "funktionell" zu machen. Hierzu zählen
•
die Entfernung eines Lebensmittelbestandteils, der unerwünschte Effekte ausübt,
•
die Erhöhung der Konzentration eines natürlichen Lebensmittelbestandteils auf
Werte, die die erwarteten Wirkungen auslösen,
•
der Zusatz von Stoffen, die in den meisten Lebensmitteln normalerweise nicht
vorkommen,
•
die Substitution eines Lebensmittelbestandteiles, dessen (übermäßiger) Verzehr
unerwünschte Effekte hat durch einen ernährungsphysiologisch günstiger beurteilten Bestandteil, sowie
•
die Verbesserung der Bioverfügbarkeit von Lebensmittelinhaltsstoffen, die günstige Wirkungen ausüben.
Insgesamt kann ein breites Spektrum verschiedenster Lebensmitteltechnologien bei
der Herstellung von Functional Food zum Einsatz kommen, die von traditionellen
und etablierten Techniken über moderne, teilweise aus dem Pharmabereich stammende bis hin zu neuartigen Technologien reichen. Technologische Herausforderungen stellen die Gewinnung neuer "funktioneller" Lebensmittelbestandteile, die
Optimierung der Menge, Zusammensetzung und Wirksamkeit von "funktionellen"
Lebensmittelbestandteilen und die Kontrolle und Überwachung von Menge und
Wirksamkeit während Herstellung, Verarbeitung und Lagerung dar.
Functional Food sind ein Forschungsfeld, das ähnlich wie die Pharmaforschung in
Zukunft wesentlich von wissenschaftlich-technischen Neuerungen in der Biotechnologie beeinflusst werden dürfte. Dies betrifft insbesondere Genomsequenzierungsaktivitäten und "Functional Genomics", Pharmakogenetik und hocheffiziente
Screeningverfahren. In der Schweiz sind diese Techniken zumindest teilweise in
größeren forschungsintensiven Unternehmen der Lebensmittelindustrie bereits eingeführt worden, wohingegen kleinere Unternehmen und öffentliche Forschungseinrichtungen diese bereits vorhandenen technischen Potentiale für Functional Food
noch nicht nutzen.
299
In Weiterentwicklung der "klassischen" Ernährungsforschung verstärkt sich im Umfeld von Functional Food ein interdisziplinäres Forschungsfeld, in das Biochemiker,
Ernährungswissenschaftler, Mediziner und Lebensmitteltechnologen einbezogen
sind und das sich damit befasst,
•
positive Wechselwirkungen zwischen der An- bzw. Abwesenheit eines Lebensmittelbestandteils und einer bestimmten Funktion oder bestimmten Funktionen
des Körpers zu identifizieren,
•
die zugrunde liegenden Mechanismen aufzuklären,
•
Hypothesen über den ursächlichen Zusammenhang zwischen Lebensmittel bzw.
-bestandteil, modulierten Funktionen sowie dem Gesundheits- bzw. Krankheitszustand mit Relevanz für den Menschen zu formulieren,
•
diese Hypothesen experimentell (z. B. durch Interventionsstudien am Menschen)
zu überprüfen, und
•
dieses Wissen auch dafür zu nutzen, Qualitätseigenschaften von Lebensmitteln
auf technologischem Wege dahingehend zu verändern, dass Körperfunktionen
positiv beeinflusst werden.
Die Ernährungsforschung verändert sich inhaltlich von der lebensmitteltechnologisch orientierten hin zur physiologisch/medizinisch ausgerichteten Wissenschaft
und rückt in Methodik und Vorgehensweise näher an medizinische und pharmaze utische Forschungsarbeiten heran. Sie unterscheidet sich von ihnen aber darin, dass
sie nicht auf die Heilung von Krankheiten abzielt, sondern auf dem Erhalt der Gesundheit und des Wohlbefindens und die Prävention von Krankheiten. Den oben
skizzierten Paradigmenwechsel in der Ernährungsforschung, der sich auch am Be ispiel von Functional Food manifestiert, scheinen forschungsintensive Unternehmen
der Lebensmittelindustrie in der Schweiz derzeit zu vollziehen, die sonstigen Akteure des Innovationssystems in der Schweiz sind für diesen Wechsel nur teilweise
gerüstet. Zum einen gibt es nur eine begrenzte Zahl international kompetitiver Forschergruppen an öffentlichen Forschungseinrichtungen, die den aufgezeigten Wandel in den Fragestellungen und Methoden vollzogen haben. Außerdem mangelt es
an der entsprechenden Forschungsinfrastruktur (vgl. Kap. 10.4), die in der Regel
nur an einem entsprechenden Zentrum gewinnbringend eingesetzt werden kann.
Zudem hat die öffentliche Forschungsförderung in der Schweiz Functional Food
bisher keinen größeren Stellenwert beigemessen.
10.3
Wirksamkeit und Sicherheit von Functional Food
Ein zentraler Diskussionspunkt in der wissenschaftlichen und gesellschaftlichen
Diskussion um Functional Food in der Schweiz ist die Frage der Wirksamkeit und
Sicherheit dieser Produkte. Dabei besteht in der Regel genereller Konsens darüber,
300
dass beide Kriterien vor einer Markteinführung der Produkte geprüft und erfüllt sein
müssen. Unterschiedliche Auffassungen bestehen allerdings in der Frage der Art
und Ausgestaltung der entsprechenden Untersuchungen bzw. den Anforderungen,
die für eine Marktzulassung von Functional Food zu stellen sind.
Um strengen Anforderungen an den wissenschaftlichen Nachweis der Wirksamkeit
von Functional Food zu genügen, müssen statistisch abgesicherte Daten aus verschiedenen Modellsystemen, aus mechanistischen Untersuchungen auf Zell- und
Molekularebene, aus retrospektiven und prospektiven epidemiologischen Untersuchungen sowie aus Interventionsstudien am Menschen vorliegen. Bisher sind nur
wenige Bestandteile von Functional Food auf allen diesen Ebenen untersucht wo rden. Ein Teil der vorliegenden Informationen ist zudem sehr schwierig zu bewerten
bzw. wenig aussagekräftig, da die zugrunde liegenden Untersuchungen methodische
Mängel oder Unzulänglichkeiten aufweisen.
Für Pro- und Prebiotika werden eine Vielzahl von gesundheitlichen Wirkungen diskutiert, die jedoch vielfach noch nicht in mehreren unabhängigen Studien beim
Menschen nachgewiesen wurden. Als gesicherte Effekte von Probiotika gelten die
Linderung von Symptomen der Lactoseintoleranz, die Steigerung der Aktivität von
Immunreaktionen, die Verkürzung der Dauer von Rotavirus-Durchfallerkrankungen, die Verringerung bakterieller Enzymaktivitäten und der Mutagenität in Faeces,
wie auch die Reduzierung der Aktivität von Helicobacter pylori. Bei Prebiotika ist
die selektive Förderung bestimmter Bakterienstämme zweifelsfrei nachgewiesen.
Unter den Antioxidantien sind bislang nur die Vitamine C und E sowie BetaCarotin eingehend untersucht worden. Als gesichert und in Interventionsstudien
belegt, gilt der Schutzeffekt von Vitamin E bei kardiovaskulären Erkrankungen.
Synergieeffekte scheint es bei gemeinsamer Supplementierung von Vitamin C und
E zu geben. Die Schutzeffekte von Gemüse und Obst bei Krebs sind in vielen epidemiologischen Untersuchungen belegt, jedoch gibt es bislang nur Hinweise auf die
Wirksamkeit von Beta-Carotin, Vitamin C und E in der Krebsprävention. In zwei
Interventionsstudien zu Beta-Carotin mit Teilnehmern aus Hochrisikogruppen
(Raucher, Asbestarbeiter) war dagegen sogar ein Anstieg der Krebssterblichkeit zu
verzeichnen.
Unter den sekundären Pflanzeninhaltsstoffen sind antioxidative und antikanzerogene Eigenschaften von Carotinoiden und Phytoöstrogenen intensiver untersucht.
Auch zu antimikrobiellen Eigenschaften von Sulfiden, antioxidativen Wirkungen
von Flavonoiden und cholesterinsenkenden Effekten von Phytosterinen liegen Studien beim Menschen vor. Die beobachteten Effekte sekundärer Pflanzeninhaltsstoffe sind erste Hinweise für ihr Potential zur Förderung der menschlichen Gesundheit.
Gesicherte Nachweise in Form von epidemiologischen und Interventionsstudien
stehen jedoch noch aus.
301
Hieraus ergibt sich zum einen Forschungsbedarf, die bestehenden Kenntnislücken
zu den Wirkungen von "funktionellen" Inhaltsstoffen zu schließen. Zum anderen
lassen sich die methodischen Mängel und Unzulänglichkeiten, die die Aussagekraft
von Untersuchungen begrenzen, nur dann beseitigen, wenn künftig stärker als in der
Vergangenheit die den Effekten zugrunde liegenden Stoffwechselvorgänge und
Wirkungsmechanismen berücksichtigt werden. Dies erfordert die Verwendung validierter Biomarker und intermediärer, validierter Endpunkte.
Für Unternehmen, die Functional Food entwickeln und vermarkten wollen, ist vor
allem von Interesse, welche Anforderungen an den wissenschaftlichen Nachweis
der Wirksamkeit und Sicherheit ihres Produktes gestellt werden, um die besonderen
gesundheitsfördernden Eigenschaften des Lebensmittels auch werblich herausstellen zu dürfen. Inwiefern und in welchem Ausmaß dabei der oben skizzierte Kriterienkatalog zur Anwendung kommen sollte bzw. müsste und in welchem Maße und
mit welchen Methoden Sicherheitsaspekte zu untersuchen sind, ist derzeit auch aus
wissenschaftlicher Sicht noch eine offene Frage. In dieser Hinsicht besteht grundlegender Forschungsbedarf, um die Methoden zur Beurteilung von Lebensmitteln
weiterzuentwickeln, da die bei der Bewertung von Lebensmittelzusatzstoffen und in
der Prüfung von Arzneimitteln bewährten Methoden auf Functional Food nur bedingt anwendbar sind.
In der schweizerischen Industrie liegt ein breites Spektrum an Strategien und Meinungen bezüglich der Wirksamkeitsbeurteilung von Functional Food vor. Eine erste
Gruppe von Unternehmen (z. B. Nestlé, Novartis) verfolgt eine an der Pharmaindustrie orientierte Strategie, die darauf abzielt, relativ hohe Hürden für die Beurteilung
der Wirksamkeit von Functional Food aufzustellen. Dies bedeutet, dass vergleichbar zur Entwicklung von Pharmazeutika die "funktionellen" Wirkstoffe oder Technologien patentiert werden können und ihre Wirksamkeit durch klinische (Interve ntions)-Studien gezeigt werden muss. In diesem Zusammenhang wird über die Frage
diskutiert, ob ein entsprechender Wirksamkeitsnachweis auf der Ebene des "funktionellen" Wirkstoffes ausreicht, oder ob die Wirksamkeit in jedem Lebensmittel,
dem der entsprechende Wirkstoff zugesetzt wird bzw. in dem er enthalten ist, nachgewiesen werden muss. Unabhängig von der Lösung dieser Frage sind für diese
Strategie hohe FuE-Aufwendungen notwendig, die in der Regel nur von multinationalen Lebensmittelkonzernen aufgebracht werden können (vgl. Kap. 6).
Eine zweite Gruppe von Unternehmen bilden international agierende Zulieferer von
Wirkstoffen für Functional Food. Hierzu zählt in der Schweiz beispielsweise Hoffmann-La Roche. Diese Unternehmen sind in der Regel an dem Nachweis bestimmter Wirkungen auf Ebene des "funktionellen" Wirkstoffes interessiert, da sie einen
entsprechenden Wirkstoff an eine Vielzahl von Unternehmen der lebensmittelverarbeitenden Industrie verkaufen wollen (vgl. Kap. 6). Für die Zulieferindustrie sind
entsprechende Ergebnisse von Sicherheits- und Wirksamkeitstests Teil der Le istung, die sie an die Lebensmittelindustrie verkaufen. Ein Nachweis der Wirksam-
302
keit auf der Ebene des einzelnen Lebensmittels wird von den Unternehmen der Zulieferindustrie in der Regel als überflüssig erachtet und daher abgelehnt.
Eine dritte Gruppe industrieller Akteure bilden die kleinen und mittelständischen
Unternehmen der Lebensmittelindustrie (und z. T. auch der Zulieferindustrie) sowie
Handelsunternehmen, die Functional Food als Handelsmarke anbieten. Diese Gruppe befürwortet ebenfalls einen klaren Nachweis der Wirksamkeit und Sicherheit
"funktioneller" Wirkstoffe, spricht sich allerdings aufgrund der hohen Kosten gegen
den Nachweis auf der Ebene des einzelnen Lebensmittel aus. Von diesen Unternehmen wird die Einführung einer begrenzten Zahl behördlich zugelassener Claims
(ähnlich der Regelung in den USA) präferiert, bei denen aufgrund vorliegender wissenschaftlicher Erkenntnisse über die Zulässigkeit einer bestimmten Aussage entschieden wird.
Die Wirksamkeits- und Sicherheitsbewertung von Functional Food wird derzeit in
der Schweiz nach dem Prinzip der Einzelfallentscheidung durchgeführt. Konsistente
und einheitliche Beurteilungskriterien existieren nicht. Die Zulassungsbehörden in
der Schweiz befinden sich daher angesichts der skizzierten deutlich unterschiedlichen Positionen der industriellen Akteure in einer schwierigen Position. Hier wird
ein deutlicher Handlungsbedarf in Richtung vereinheitlichte Vorgehensweisen gesehen, insbesondere da bislang noch kaum Erfahrungen mit den spezifischen Anforderungen an die Beurteilung von Functional Food und dem langfristigen Konsum
dieser Lebensmittel vorliegen.
10.4
Wesentliche schweizerische Akteure im Bereich Functional Food
Die industrielle FuE-Landschaft im Bereich Functional Food ist in der Schweiz sehr
gut ausgebildet. Die großen Unternehmen der Lebensmittel- bzw. Life ScienceIndustrie wie Nestlé, Hoffmann-La Roche oder Novartis haben teilweise erhebliche
Personalkapazitäten in diesem Feld aufgebaut. Daneben gibt es einige wenige kle ine und mittelständische Unternehmen, die FuE zu Functional Food betreiben.
Im Vergleich zur industriellen Forschungslandschaft sind die öffentlichen Forschungseinrichtungen im Bereich Functional Food gemessen an ihren FuEKapazitäten relativ schwach vertreten. Vor allem neue technische Ansätze wie beispielsweise Genomics oder Biochips werden derzeit fast ausschließlich in der Ind ustrie angewendet. Somit zeichnet sich hier hinsichtlich der Forschungsinfrastruktur,
die für die Generierung langfristig "konkurrenzfähiger" Forschungsergebnisse no twendig ist, ein deutlicher Rückstand der öffentlichen Forschungseinrichtungen ab.
Falls von staatlicher Seite in dieser Hinsicht nicht gegengesteuert wird, kann es im
Bereich Functional Food in der Schweiz zu einer deutlichen Know-howKonzentrierung in der Industrie kommen. Um die Ergebnisse der industriellen Ak-
303
tivitäten in diesem Feld in öffentlichen Einrichtungen überprüfen und ergänzen zu
können, was beispielsweise im Zusammenhang mit Regelungsfragen relevant wird,
erscheint es daher erforderlich, entsprechende Ausstattung vorzuhalten und das
Know-how auch im öffentlichen Bereich zu stärken. Dies könnte beispielsweise im
Rahmen eines Lebensmittelbiotechnologie-Schwerpunktprogramms des Schweizerischen Nationalfonds erfolgen.
Die Hochschulausbildung in der Schweiz umfasst bisher keinen Hauptstudiengang
der Ernährungswissenschaften. In Zürich, Bern und Genf wird eine dreijährige Berufsausbildung "Ernährungsberatung" angeboten. Für Hochschulabgänger aus den
Fachbereichen Medizin, Pharmazie, Lebensmitteltechnologie und den Naturwissenschaften wird seit 1990 an der ETH Zürich und seit 1992 an der Universität La usanne ein Nachdiplomstudiengang in Humanernährung angeboten. Seit Herbst 1999
wird an der Fachhochschule Wädenswil ein Studium der Oekotrophologie angeboten, dessen Schwerpunkt jedoch auf Haushaltswissenschaften liegt. Allerdings ist
Ernährung in der Ausbildung der Mediziner kein prüfungsrelevantes Fach. Somit
gibt es zwischen Ernährungswissenschaften und medizinischen Aspekten wenig
Berührungspunkte in der schweizerischen Hochschulausbildung. Da die Befassung
mit Functional Food jedoch gerade die Kombination von Medizin und Ernährungswissenschaften erfordert, wird hier ein deutlicher Handlungsbedarf für die Ausgestaltung von akademischen Ausbildungsinhalten gesehen.
Die wissenschaftlich-technische Entwicklung von Functional Food wird derzeit in
der Schweiz vor allem von Seiten der Industrie vorangetrieben. Da hierbei natürlicherweise entsprechende kommerzielle Interessen im Hintergrund stehen, sind die
relevanten Informationen in der Regel nicht ohne weiteres öffentlich verfügbar.
Eine Möglichkeit zur Erweiterung der Informationsbasis zu wissenschaftlichtechnischen Entwicklungstrends bei Functional Food könnte eine vertiefende Patentanalyse bieten. Wie sich in den Experteninterviews herauskristallisiert hat, verfolgen die im Functional Food-Bereich tätigen Unternehmen durchaus eine aktive
Patentierungsstrategie. Somit dürfte eine ausreichende Datenbasis für Patentanalysen gegeben sein.
10.5
Wirtschaftliche Aspekte von Functional Food
International stellen Functional Food bisher eine sehr kleine Nische des Lebensmittelmarktes dar, der aber ein hohes Wachstumspotential zugesprochen wird. Aufgrund unterschiedlicher Definitionen und Abgrenzungen differieren die Angaben
zum Weltmarktvolumen von Functional Food erheblich. Legt man für diese Produkte eine Abgrenzung zugrunde, bei denen Lebensmitteln Stoffe mit einem zusätzlichen Nutzen für die Gesundheit zugesetzt worden sind (und dies wird den
Konsumenten auch mitgeteilt), so kann von einem Weltmarktvolumen in Höhe von
304
etwa 10 Mrd. US$ bis 22 Mrd. US$ ausgegangen werden. Als wichtigster und am
schnellsten wachsender Markt werden die USA angesehen, gefolgt von Japan.
In Europa wird der Markt für Functional Food auf 1,4 bis 1,7 Mrd. US$ geschätzt.
Davon entfallen etwa 400 Mio. US$ auf Deutschland, gefolgt von Frankreich und
Großbritannien. Basierend auf Unternehmensangaben wurde das Marktvolumen
von Functional Food in der Schweiz auf etwa 250 bis 300 Mio. sFr. (im Jahr 1999)
geschätzt. Damit liegt sowohl in Europa als auch in der Schweiz der Marktanteil
von Functional Food unter 1 % der gesamten Verkäufe der Lebensmittel- und Getränkeindustrie. Ein Spezifikum der Schweiz ist die starke Stellung von Handelsmarken auch bei Functional Food, mit denen Migros nach eigenen Angaben etwa
110 Mio. sFr. pro Jahr umsetzt.
Ähnlich wie in anderen europäischen Ländern haben pro-, pre- und synbiotische
Milchprodukte auch in der Schweiz in den letzten Jahren ein eindrucksvolles
Marktwachstum auf ein geschätztes Verkaufsvolumen von 140 Mio. sFr. im
Jahr 1999 zu verzeichnen. Probiotische Markenjoghurts werden etwa um 20 % bis
30 % teurer angeboten als "herkömmliche" Fruchtjoghurtvarianten. Neben pro-,
pre- und synbiotischen Milchprodukten kommen mit Vitaminen und Pflanzene xtrakten angereicherten alkoholfreien Getränke, mit Vitaminen und Mineralstoffen
angereicherten Frühstückscerealien und Getreidemischungen sowie mit Omega-3Fettsäuren angereichtem Brot, Eiern oder Butterzubereitungen die größte Bedeutung bei Functional Food in der Schweiz zu. Trotz des registrierten Wachstums findet man auch in der Schweiz bereits erste Beispiele von Functional FoodProdukten, die aufgrund zu geringer Verkaufserfolge wieder vom Markt genommen
wurden.
Bislang sind es im Wesentlichen multinationale Lebensmittelkonzerne (insbesondere Nestlé) oder bedeutende Anbieter bei "herkömmlichen" Milchprodukten (z. B.
Emmi), die von dem Marktwachstum für pro-, pre- und synbiotische Milchprodukte
in der Schweiz profitieren. Eine Besonderheit im Vergleich zu anderen multinationalen Konzernen stellt die Vorgehensweise von Novartis dar, das unter einer
Dachmarke eine ganze Reihe von Functional Food-Produkten anbietet, die auf ve rschiedene "Gesundheitsfelder" abzielen und international vermarktet werden. Kle ine und mittelständische Unternehmen, die nicht zu den "Marktführern" in einem
speziellen Segment des Lebensmittelmarktes gehören, findet man bislang relativ
selten als Anbieter von Functional Food in der Schweiz.
Bei der überwiegenden Mehrzahl der derzeit auf dem Markt befindlichen Functional Food sind Faktoren wie der Geschmack der Produkte, deren ConvienienceCharakter, die Produktvielfalt und die generellen Eigenschaften des betreffenden
Lebensmittels wesentlich entscheidender für das Kaufverhalten der Konsumenten
als der Gesundheitswert dieser Produkte. Erschwerend für das Marketing von
Functional Food kommt hinzu, dass der Begriff in der Schweiz relativ wenig be-
305
kannt ist und dass mit krankheitsbezogenen Aussagen derzeit nicht geworben werden darf. Außerdem ist es in der Regel nicht einfach, die Vorzüge eines bestimmten
Functional Food-Produktes den Konsumenten zu kommunizieren. Diese besonderen
Herausforderungen bei der Entwicklung und Vermarktung von Functional Food
können am ehesten von multinationalen Lebensmittelkonzernen und global ausgerichteten Zulieferunternehmen der Lebensmittelindustrie gemeistert werden, die
auch auf dem Markt für Functional Food in der Schweiz eine gewichtige Rolle
spielen.
Der Markt für Functional Food bietet interessante Wachstumschancen für Unternehmen der schweizerischen lebensmittelverarbeitenden Industrie und deren Zulieferern. Nach beinahe übereinstimmender Einschätzung der befragten Experten
dürfte es sich bei Functional Food um einen nachhaltigen Trend handeln, da zum
einen Lebensmittelindustrie, -handel und Konsumenten – wenn auch aus unterschiedlichen Motivlagen heraus – sich für dieses Segment interessieren und zum
anderen dauerhafte gesellschaftliche Bedürfnisse und Entwicklungen (z. B. Verschiebungen in der Altersstruktur der Bevölkerung, deutliche Erkenntnisfortschritte
in den Ernährungswissenschaften, steigendes Interesse der Konsumenten für Fragen
der Gesundheit und Ernährung) Functional Food begünstigen. Trotz dieser günstigen Wachstumsaussichten werden sich Functional Food nicht zu einem Massenmarkt entwickeln, sondern auch in Zukunft eher den Charakter eines Multinische nmarktes beibehalten.
Aufgrund dieser Struktur eröffnen sich prinzipiell Chancen sowohl für große international agierende Lebensmittelkonzerne als auch für kleine und mittlere Unternehmen der Lebensmittelindustrie. Allerdings ergeben sich für beide Gruppen deutlich unterschiedliche Marktperspektiven und Unternehmensstrategien.
Global agierende Lebensmittelunternehmen mit grundlagenorientierten eigenen
Forschungsarbeiten (z. B. repräsentiert durch Nestlé) verfolgen eine Strategie, die
auf die Entwicklung und Patentierung bestimmter "funktioneller" Wirkstoffe und
die Nachweisbarkeit genau definierter Gesundheitsclaims in klinischen Studien
setzt. Ähnlich agieren Pharmaunternehmen, die auf dem Markt für Functional Food
Fuß fassen wollen. International ausgerichtete große Zulieferunternehmen der Lebensmittelindustrie, die "funktionelle" Wirkstoffe entwickeln und möglichst breit
vermarkten wollen, setzen zwar ebenfalls auf "seriöse wissenschaftliche Studien"
zum Nachweis der Wirksamkeit und Unbedenklichkeit der entwickelten Wirkstoffe,
doch wenden sie sich in der Regel gegen die Durchführung entsprechender Studien
auf der Ebene jedes einzelnen Lebensmittels, in dem der Wirkstoff eingesetzt wird.
All diesen Strategien ist gemeinsam, dass sie mit relativ hohen FuE-Aufwendungen
verbunden sind, die sich die überwiegende Zahl der eher klein- und mittelständisch
strukturierten Unternehmen der Lebensmittelindustrie in der Schweiz nicht leisten
können (vgl. Kap. 10.3).
306
Für kleine und mittlere Lebensmittelunternehmen wurden von der Mehrzahl der
befragten Experten nur begrenzte Chancen auf dem Markt für Functional Food in
der Schweiz gesehen. Als mögliche Strategien für diese Unternehmensgruppe wurden genannt:
•
Produktion und Vermarktung von "Nachahmerprodukten", falls das Originalprodukt oder der "funktionelle Wirkstoff" nicht patentgeschützt sind (oder ggf. der
Patentinhaber zu akzeptablen wirtschaftlichen Bedingungen bereit ist, eine Lizenz zu vergeben)
•
Kommerzialisierung und Weiterentwicklung neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse, die in öffentlichen Einrichtungen gewonnen werden: in diesem Zusammenhang wurde insbesondere auf die Chancen bei "Soft Claims" verwiesen, falls
entsprechende Anpreisungen vom Gesetzgeber zugelassen seien
•
Erschließen spezieller Nischen bei Functional Food mit Hilfe innovativer Zulieferer: diese Strategie wurde für kleine und mittelständische Unternehmen als
durchaus erfolgversprechend angesehen, da diese in der Regel schneller und flexibler seien als große Unternehmen
•
Produktion von "funktionellen" Handelsmarken
•
Im Bereich der Zulieferindustrie wurden Chancen für spezialisierte forschungsintensive Biotechnologieunternehmen gesehen, die spezielle "funktionelle"
Wirkstoffe entwickeln und durch Lizenzvergabe vermarkten: solche Unterne hmen sind in der Schweiz aber bislang noch kaum aktiv.
Die Exportchancen von Functional Food aus der Schweiz wurden in den Expertengesprächen als sehr begrenzt eingeschätzt. Zwar würden international agierende
Großunternehmen der Lebensmittelindustrie wie Nestlé oder auch Novartis die
entwickelten Functional Food-Produkte in einer Vielzahl von Ländern verkaufen,
doch würden die entsprechenden Lebensmittel dann oftmals dort und nicht in der
Schweiz produziert. Demgegenüber stelle sich für kleine und mittelständische Unternehmen das Problem der unterschiedlichen Rechtslage für Functional Food in
den Ländern insbesondere der EU, das aufgrund der sehr begrenzten Ressourcen
dieser Unternehmen oftmals bereits eine erhebliche Hürde für die Markterschließung darstellen würde. Als weiterer Problemkreis wurde in den Expertengesprächen
das Zoll- und Abschöpfungssystem der Schweiz für Lebensmittel angeführt, das
dazu führen wurde, dass Produkte, die in der Schweiz hergestellt werden, in and eren europäischen Ländern relativ teuer angeboten werden müssen. In dieselbe
Richtung würden staatlich gestützte Preise für eine Reihe landwirtschaftlicher Produkte wirken, da die Erzeugerpreise in der Schweiz oftmals deutlich über denen der
EU liegen.
307
10.6
Rechtliche Aspekte
Functional Food bewegen sich in einer Übergangszone zwischen Lebensmitteln und
Heilmitteln. Diese beiden Bereiche werden international und auch in der Schweiz
traditionell getrennt geregelt und unterliegen unterschiedlichen Regelungsregimes.
Ohne eine verbindliche rechtliche Regelung dieses Übergangsbereichs entsteht eine
Grauzone, in welcher große Unsicherheit herrscht. Daher herrscht in der internationalen Diskussion ein weitgehender Konsens darüber, dass eine klarere Regelung
von Functional Food als bisher erforderlich ist.
Als bislang einziges Land weltweit verfügt Japan über vom Gesetzgeber festgeschriebene Regelungen zu Functional Food. Sie werden dort als "Food of Specific
Health Use" (FOSHU) definiert, die ein spezifisches Zulassungsverfahren durchla ufen müssen. Erfüllen sie die Genehmigungsvoraussetzungen, darf für die gesundheitliche Wirkung dieser Lebensmittel mit bestimmten Formulierungen geworben
werden. Außerdem werden die zugelassenen Produkte durch ein spezielles FOSHULogo gekennzeichnet.
In den USA existiert keine besondere Regelung für Functional Food. Welche gesetzliche Regelung für ein bestimmtes Produkt zur Anwendung kommt, richtet sich
danach, wie das Produkt auf dem Markt positioniert werden soll, welche "Darreichungsform" es hat, welchem Zweck es dienen und wie es beworben werden soll.
Für Functional Food, die als Lebensmittel Bestandteil der normalen Kost sein sollen, sowie für Nahrungsergänzungsmittel (Dietary supplements) sind vor allem zwei
Regelungen relevant: der Nutritional Labelling and Education Act (NLEA) und der
Dietary Supplement Health Education Act (DSHEA). Durch den NLEA wurde das
amerikanische Lebensmittelrecht dahingehend verändert, dass Lebensmittel mit
ernährungsbezogenen Angaben versehen werden müssen. Darüber hinaus wurde die
Möglichkeit geschaffen, auch bestimmte Werbeaussagen, die auf einen als wissenschaftlich gesichert geltenden Zusammenhang zwischen Ernährung und Gesundheit
abheben, für zulässig zu erklären. Basierend auf dieser Regelung hat die FDA bis
heute elf besondere "Health Claims" für Lebensmittel genauer umschrieben und
zugelassen, wobei die Gesamtheit der wissenschaftlichen Literatur sowie Studien,
deren Design hohen wissenschaftlichen Ansprüchen gerecht wird, zur Bewertung
herangezogen wurde.
In der EU und ihren einzelnen Mitgliedsstaaten existieren ebenfalls keine speziellen
Regelungen für Functional Food. Vielmehr fallen diese Lebensmittel unter das allgemeine Lebensmittelrecht bzw. unter die Rahmenrichtlinie für diätetische Erzeugnisse, sofern sie für einen besonderen Ernährungszweck konzipiert wurden. Handelt
es sich um Nährstoffe oder Lebensmittel, die in der EU bisher nicht in nennenswertem Umfang für den menschlichen Verzehr verwendet wurden, kann auch die
im Mai 1997 in Kraft getretene Novel Food-Verordnung der EU zur Anwendung
kommen.
308
Für die rechtliche Regelung in der Schweiz ist eine gesonderte Definition von
Functional Food aus Rechtssicht nicht zwingend erforderlich. Zudem wäre die Definition eines Rechtsbegriffs der Functional Food unflexibel und praktisch nur
schwer zu handhaben. Es genügt, besondere Gefährdungs-, Wirkungs-, Anpreisungs- oder andere Merkmale von Functional Food rechtlich zu erfassen, soweit der
Regelungszweck dies verlangt. Als Regelungszwecke stehen in der internationalen
und nationalen Diskussion, die sich auf die Sicherheit, Wirksamkeit, Kennzeic hnung und Anpreisung von Functional Food sowie Prozedurfragen konzentriert, der
Gesundheits- und der Täuschungsschutz der Konsumenten im Zentrum des Interesses. Andere als diese Zwecke polizeilicher Gefahrenabwehr, namentlich Zwecke
der Gesundheitsförderung und der Risikopolitik bleiben im Hintergrund.
Eine spezifische rechtliche Regelung für Functional Food fehlt bislang in der
Schweiz. Die geltende Lebensmittel- und Heilmittelgesetzgebung in der Schweiz
erlaubt jedoch, alle Produkte zu erfassen, die unter der Sammelbezeichnung Functional Food subsumiert werden können. Weil die Lebensmittel- und die Heilmittelgesetzgebung unterschiedliche inhaltliche Anforderungen, Instanzen und Verfahren
für den Marktzugang von Produkten vorsehen, ist die Zuordnung von Functional
Food zu einem der beiden Regelungsregime von großer praktischer Bedeutung. Die
Zuordnung orientiert sich dabei am Charakter der mit dem Produkt verbundenen
Anpreisungen. Produkte mit Ernährungsfunktion ("Nutrition Claims") unterstehen
der Lebensmittelgesetzgebung, solche mit Arzneimittelfunktion ("Medical Claims")
der Heilmittelgesetzgebung. Abgrenzungsprobleme stellen sich nur für Produkte
mit Funktionen als Mittel zur Gesundheitsförderung ("Health Claims"). Da die Lebensmittel- und die Heilmittelgesetzgebung komplementär sind und keine Lücke
besteht, fallen solche Produkte in jedem Fall in den Geltungsbereich eines der beiden Gesetzgebungskomplexe. Für die Zuordnung von Functional Food mit Gesundheitsförderungsfunktionen ist entscheidend, ob ein Produkt zur Diagnose, Therapie,
Palliation oder Prävention bestimmter, medizinisch definierter Krankheiten oder
Krankheitssymptome eingesetzt oder explizit für diesen Zweck gekennzeichnet oder
angepriesen wird: in diesem Fall untersteht es der Heilmittelgesetzgebung, in allen
übrigen Fällen der Lebensmittelgesetzgebung.
Functional Food im Geltungsbereich der Lebensmittelgesetzgebung bedürfen keiner
besonderen Bewilligung, wenn sie unter eine der Sachbezeichnungen oder Speziallebensmittel fallen, die in der Lebensmittelverordnung umschrieben sind. Bilden sie
hingegen Ergänzungsnahrungen oder neuartige (normale oder Spezial-) Lebensmittel im Sinn der Verordnung, bedürfen sie nach geltendem Recht einer Einzelbewilligung. Kennzeichnungen und Anpreisungen sind für Functional Food wie für
Lebensmittel allgemein zulässig, wenn sie nicht zu Täuschung Anlass geben, behauptete Wirkungen und Eigenschaften wissenschaftlich belegbar sind und nicht
den Anschein eines Heilmittels erweckt wird. Die Lebensmittelgesetzgebung erklärt
zwei spezielle Health Claims als zulässig und schließt Health Claims mit Arzne imittelanschein ausdrücklich aus.
309
Functional Food dagegen, die der Heilmittelgesetzgebung unterstehen, bedürfen
einzeln der Registrierung und Bewilligung. Voraussetzung dafür ist der wissenschaftliche Nachweis ihrer Sicherheit und Wirksamkeit aufgrund eines im einzelnen
vorgeschriebenen Dossiers. Für Functional Food dürfte in der Regel ein vereinfachtes Registrierungsverfahren anwendbar sein. Kennzeichnungen und Anpreisungen sind für die Publikumswerbung erheblich eingeschränkt; für die Fachwerbung
unter Gesichtspunkten des Täuschungsschutzes reguliert; besondere Claims sind
nicht umschrieben.
Im Rahmen des geltenden Rechts obliegt dem BAG und der IKS als zuständigen
Behörden vor allem die Aufgabe, die Zuordnung von konkreten Functional Food
festzulegen und die Öffentlichkeit über die bestehende Rechtslage zu informieren.
Auf dem Weg der Verordnungsänderung könnten für Functional Food besondere
Sicherheits- bzw. im Fall der Heilmittelgesetzgebung zudem Wirksamkeitsvoraussetzungen eingeführt werden. Überdies ließen sich besondere Claims für Functional
Food umschreiben, wobei sich die Lebensmittelverordnung auf die Umschreibung
als solche beschränken müsste (Täuschungsschutz), während das Regulativ resp. die
Registrierungsrichtlinien für Heilmittel spezifische, namentlich wissenschaftliche
Nachweise für die behaupteten Wirkungen verlangen könnten (Täuschungs- und
Gesundheitsschutz). Freiwillige Selbstverpflichtungen können unter bestimmten
Voraussetzungen an die Stelle der Regelung treten oder diese inhaltlich beeinflussen. Der Weg der Gesetzesänderung müsste beschritten werden, wenn die Absicht
wäre, Functional Food als neue Kategorie neben Lebens- und Heilmitteln einem
eigenen Regime zu unterstellen oder die Zulassung von Functional Food nach Maßgabe von Zwecken der Entwicklungslenkung oder der Gesundheitsförderung zu
beschränken.
In der gesellschaftlichen Diskussion über Functional Food in der Schweiz nehmen
rechtliche Aspekte einen breiten Raum ein (vgl. Kap. 8.3). Die Interessenslagen
stellen sich dabei sehr heterogen dar und lassen sich nur bedingt einzelnen Akteursgruppen zuordnen. Dies wird z. B. bereits bei der Lebensmittelindustrie deutlich,
die zwar generell fordert, die Möglichkeiten der werblichen Nutzung der gesundheitlichen Wirkungen von Functional Food zu erweitern und gleichzeitig die freie
Verkehrsfähigkeit von Lebensmitteln beizuhalten, aber je nach Ausmaß eigener
FuE-Arbeiten und entsprechender Ressourcen sehr unterschiedliche Auffassungen
über die an einen Wirkungsnachweis zu stellenden Anforderungen vertritt (vgl.
Kap. 4, 6, 8). Ähnlich divergierende Einschätzungen findet man auch bei Wissenschaftlern, die zwar generell befürworten, dass grundsätzlich der wissenschaftliche
Nachweis der Wirksamkeit und des gesundheitsbezogenen Nutzens die Grundlage
für Anpreisungen bei Functional Food sein müssen, über Art und Ausmaß des Wirkungsnachweises (bzw. der Interpretation der vorgelegten Ergebnisse) bestehen
aber durchaus unterschiedliche Auffassungen. Repräsentanten der Ernährungsberatung und Konsumentenvertreter fordern ebenfalls den wissenschaftlichen Nachweis
310
als generelle Grundlage der Anpreisungen von Functional Food, äußern sich aber
eher undifferenziert zu der entsprechenden Ausgestaltung.
In der Frage über Art und Ausgestaltung des Wirkungsnachweises von Functional
Food-Produkten zu einer der Sache angemessenen und den unterschiedlichen Interessen gerecht werdenden Lösung zu kommen, dürfte schwierig und konfliktträchtig
sein. Hierzu tragen folgende Faktoren bei:
•
Bisher bestehen nur vage Vorstellungen darüber, welche Functional FoodProdukte auf den Markt kommen werden und mit welchen Anpreisungen diese
verknüpft werden sollen. Davon hängt aber wesentlich die Dringlichkeit und
Ausgestaltung einer angemessenen Regelung des Wirkungsnachweises ab.
•
Der Stand von Wissenschaft und Forschung zu den gesundheitlichen Wirkungen,
möglichen unerwünschten Effekten und insbesondere zu Langzeitwirkungen von
Functional Food ist als unzureichend einzuschätzen (vgl. Kap. 4). Dies dürfte die
Ausgestaltung eines angemessenen Prüfverfahrens sowie die Prüfung selbst, inwieweit ein Functional Food als wirksam und sicher gilt, erschweren.
•
Diskussionen über die Ausgestaltung von Regelungen, die Functional Food betreffen, werden wesentlich dadurch mitbestimmt, welche Leitbilder einer gesunden bzw. wünschenswerten Ernährung zugrunde gelegt werden.
•
Durch die Ausgestaltung dieser Regelungen wird zudem in hohem Maße mitbestimmt, ob insbesondere für klein- und mittelständische Unternehmen der Lebensmittel- und Zulieferindustrie Zutrittsbarrieren zum Markt für Functional
Food errichtet werden, die diese aufgrund ihrer finanziellen Möglichkeiten oder
der Fähigkeit, eigene FuE-Arbeiten in dem notwendigen Ausmaß zu verrichten,
kaum überwinden können.
Aus dem Umstand, dass die Positionen innerhalb der Akteursgruppen in der
Schweiz durchaus noch heterogen sind, könnte die Chance erwachsen, nicht in eine
"reflexhafte Diskussion" ökonomischer Interessen versus Konsumentenschutz zu
verfallen, sondern durch verstärkte Interaktion der Akteursgruppen miteinander eine
Verbesserung der derzeitigen Situation zu erreichen und zu einer an Sachargume nten orientierten Lösung zu gelangen. Erfahrungen in anderen europäischen Ländern
mit freiwilligen Selbstverpflichtungen zeigen, dass es durchaus Möglichkeiten des
Interessensausgleichs jenseits gesetzlicher Regelungen gibt.
10.7
Public Health-Effekte von Functional Food
Ernährungsabhängige Krankheiten verursachen in der Schweiz mehr als 60 % der
jährlichen Sterbefälle. Der Anteil der durch diese Krankheiten vorzeitig verlorenen
Lebensjahre liegt bei über 30 %. Auch wenn exakte Zahlen oder Schätzungen nicht
311
vorliegen, kann aus den Informationen zur Prävalenz und Inzidenz ernährungsabhängiger Krankheiten und Kostenschätzungen in anderen westlichen Industrieländern (z. B. entfallen etwa 30 % aller Kosten im Gesundheitswesen in Deutschland
auf diese Krankheiten) geschlossen werden, dass ernährungsabhängige Krankheiten
auch in der Schweiz zu einem erheblichen Anteil zu den Kosten im Gesundheitswesen beitragen. Falls Functional Food daher tatsächlich positive Public HealthEffekte bewirken könnten, hätte dies eine erhebliche gesundheitspolitische Bedeutung.
Damit solche positiven Effekte überhaupt eintreten können, muss eine Reihe von
Voraussetzungen erfüllt sein: Die entsprechenden Functional Food-Produkte müssen auf ernährungsabhängige Krankheiten von hoher gesundheitspolitischer Bedeutung abzielen und tatsächlich wirksam sein. Diejenigen Bevölkerungsgruppen,
bei denen dies aus gesundheitlicher Sicht notwendig bzw. empfehlenswert wäre,
müssen diese Produkte auch in der erforderlichen Regelmäßigkeit tatsächlich ve rzehren. Schließlich muss sich die präventive Wirkung von Functional Food mit Alternativen bzw. etablierten Ansätzen zur Vermeidung ernährungsabhängiger Krankheiten messen lassen. Stehen verschiedene Optionen zur Erreichung dieses Zieles
zur Verfügung, so ist dann zu fragen, welche der Alternativen am effizientesten zur
Zielerreichung beitragen können.
Die wichtigsten ernährungsabhängigen Erkrankungen in der Schweiz sind HerzKreislauf-Erkrankungen, Krebs sowie verschiedene degenerative Erkrankungen.
Vergleicht man dieses Spektrum mit der Zielrichtung der auf dem Markt befindlichen Functional Food-Produkte in der Schweiz, so zeigt sich, dass sich für wichtige
ernährungsabhängige Erkrankungen wie z. B Krebs derzeit kaum Functional FoodProdukte in der Schweiz auf dem Markt befinden. Auch wenn sich die befragten
Experten insbesondere der Unternehmen bezüglich der zukünftigen Entwicklungen
relativ bedeckt hielten, deuten die verfügbaren Informationen zu den zukünftigen
Produkt-Pipelines der Industrie für Functional Food darauf hin, dass sich an dieser
Situation mittelfristig, d. h. im Zeitraum von drei bis fünf Jahren, voraussichtlich
wenig ändern wird.
Eine wichtige Zielgruppe für mögliche positive Public Health-Effekte von Functional Food wären ältere Menschen, da gerade bei diesen die gesundheitspolitisch relevanten Erkrankungen verstärkt auftreten und diese Personengruppe in Zukunft
überproportional zunehmen wird. Außerdem wurden bei einem Teil dieser Personen
in der Schweiz Mangel- oder Fehlernährungen festgestellt. Daher könnten die angestrebten präventiven Wirkungen von Functional Food bei älteren Menschen besonders zum Tragen kommen. Ältere Menschen werden bisher jedoch von Functional
Food kaum erreicht, noch haben sie einen hohen Stellenwert bei den in der Industrie
verfolgten Marketingstrategien. Ein ähnliches, wenn auch nicht so deutlich ausgeprägtes Missverhältnis ergibt sich bei der Zielgruppe Kinder und Jugendliche, die
nach den vorliegenden Informationen zum Ernährungsverhalten z. T. Fehlernährun-
312
gen aufweisen, für die aber nur in eingeschränktem Maße spezielle Functional
Food-Produkte auf dem Markt sind.
Während auf Individuumsebene Functional Food durchaus das Potential haben, im
Rahmen einer gesunden, ausgewogenen Ernährung einen positiven Beitrag für die
Gesundheit zu leisten, wird der gesamtgesellschaftliche Beitrag von Functional
Food auf die Kosten im Gesundheitswesen in der Schweiz kurz- und mittelfristig als
eher gering eingeschätzt. Gründe hierfür liegen im derzeit noch geringen Marktanteil von unter 1 % des Lebensmittel- und Getränkemarktes, was bedeutet, dass diese
Lebensmittel von einem zu geringen Bevölkerungsanteil verzehrt werden, um einen
gesundheitspolitisch bedeutsamen positiven Effekt zu bewirken. Darüber hinaus
wird die Entwicklung vieler chronischer, ernährungsabhängiger Erkrankungen
durch ernährungsbedingte Risikofaktoren über einen relativ langen Zeitraum beeinflusst. Auswirkungen von Functional Food und einer gesünderen Ernährungsweise
auf die Insidenz und Prävalenz ernährungsabhängiger Krankheiten werden sich daher auch eher lang- als kurzfristig einstellen.
Insgesamt kann somit festgestellt werden, dass das aktuelle und mittelfristig zu erwartende Angebot an Functional Food in der Schweiz gesamtgesellschaftlich nur
sehr begrenzte positive Public Health-Effekte mit sich bringen dürfte. Bei dieser
Bewertung muss allerdings auch berücksichtigt werden, dass alle bisherigen Strategien zur Förderung einer gesunden bzw. gesünderen Ernährungsweise nur eingeschränkt erfolgreich waren. Somit sind alle Ansätze, die zu einem gesünderen Ernährungsverhalten beitragen, grundsätzlich wünschenswert. In diesem Zusammenhang war ein größerer Teil der befragten Experten der Meinung, dass Functional
Food eine Berechtigung im Rahmen einer ausgewogenen, gesundheitsorientierten
Ernährungsweise haben würden, diese aber nicht ersetzen könnten. Außerdem wurde die Möglichkeit gesehen, dass durch Functional Food eine ausgewogene, gesunde Ernährung stärker in das Blickfeld der Öffentlichkeit gerückt werden könnte.
Eine Minderheit der interviewten Experten hielt Functional Food allerdings auch für
überflüssig.
Ein abschließendes Urteil zu den langfristigen Wirkungen von Functional Food auf
das Auftreten ernährungsabhängiger Krankheiten und zu der Kostenentwicklung im
Gesundheitswesen in der Schweiz ist zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht möglich, da
derzeit zu vielen Einflussfaktoren nur bruchstückhafte Informationen vorliegen.
Trotzdem zeichnet sich bereits heute ab, dass Functional Food lediglich ein Element
unter mehreren anderen sein dürften, die zu einer Verbesserung des Ernährungsund Gesundheitszustandes der Bevölkerung eingesetzt werden können. Aus diesem
Grunde haben Functional Food in dieser Hinsicht eher komplementären als ausschließlichen Charakter. Eventuelle vorhandene positive Public Health-Effekte von
Functional Food werden sich außerdem nicht von alleine einstellen, sondern sollten
in ein Gesamtkonzept für eine ausgewogene, gesundheitsbezogene Ernährung und
der Prävention ernährungsabhängiger Krankheiten sinnvoll eingebettet werden. Hier
313
ergibt sich für die Zukunft Handlungsbedarf, entsprechende Konzepte unter Einbezug von Wissenschaft, Industrie, Gesundheitspolitik und Konsumentenvertretern zu
entwickeln und in der Schweiz umzusetzen.
10.8
Gesellschaftliche Aspekte
Für die gesellschaftlichen Gruppierungen in der Schweiz ist das Thema Functional
Food unterschiedlich relevant. Vertreter der Konsumenten, der Lebensmittel- und
pharmazeutischen Industrie sowie der Forschung und Wissenschaft befassen sich
derzeit schon relativ intensiv mit Functional Food. Private und öffentliche Institutionen im Gesundheitswesen, verschiedene behördliche Institutionen sowie auch
politische Parteien haben dagegen überwiegend erst damit begonnen, sich mit dieser
Thematik auseinander zu setzen. Für viele der befragten Akteure verkörpert Functional Food eher ein Konzept als eine bestimmte Gruppe von Lebensmitteln. Wic htige Elemente in diesem Konzept sind der Gehalt an "funktionellen" Wirkstoffen
und die Vermarktung der Produkte mit einer auf die Gesundheit bezogenen Anpreisung.
Von fast allen Akteuren werden grundsätzliche Fragen nach der Notwendigkeit, den
Chancen und auch den Risiken von Functional Food aufgeworfen. Da prinzipiell
jedes natürliche Lebensmittel in einer spezifischen Zusammensetzung bestimmte
Funktionen erfüllt, beschäftigt viele Akteure die Frage, wann ein Lebensmittel ein
Functional Food ist oder wird. Da derzeit weder eine einheitliche Abgrenzung oder
Definition noch eine spezifische rechtliche Regelung von Functional Food vorha nden sind, existiert in den verschiedenen Gruppen eine erhebliche Unsicherheit in der
Einschätzung der Bedeutung von Functional Food.
Ein zweiter Aspekt, der praktisch von allen Gruppen gesehen wird, ist der große
Informationsbedarf der Konsumenten bezüglich Functional Food. Entscheidend
hierbei ist eine transparente Information und Kommunikation. Im Zusammenhang
mit Functional Food wird auch der hohe Aufklärungsbedarf bezüglich der Bedeutung einer ausgewogenen gesunden Ernährung und Lebensweise thematisiert und
insbesondere die Frage, welchen Stellenwert Functional Food in dieser Gesamtkonzeption einnehmen kann.
Die wirtschaftliche Bedeutung von Functional Food wird unterschiedlich eingeschätzt und reicht von nicht vorhanden über vorübergehende Trends bis zu großen
Marktpotentialen. Für die Vermarktung von Functional Food wird ein direkter Zusammenhang mit der Definition, der Abgrenzung, der rechtlichen Regelung und der
Überwachung entsprechender Regelungen von Functional Food gesehen. Es
herrscht in den befragten Gruppen Einigkeit darin, dass grundsätzlich der wissenschaftliche Nachweis des gesundheitsfördernden Nutzens die Grundlage einer An-
314
preisung von Functional Food sein muss. Über Art und Ausmaß des nötigen Wirkungsnachweises und inwieweit er dem für Heilmittel entsprechen soll, gibt es dagegen unterschiedliche Einschätzungen.
Die derzeit vorhandenen Unsicherheiten bezüglich der Definition und rechtlichen
Regelung von Functional Food erschweren eine Einschätzung der Bedeutung der
gesundheitlichen Effekte von Functional Food und dürften auch dazu beitragen,
dass von einigen gesellschaftlichen Gruppen die Vermutung geäußert wird, dass
ausschließlich wirtschaftliche Interessen die Entwicklung von Functional Food vo rantreiben.
Der entscheidende Faktor für den künftigen gesellschaftlichen Umgang mit dem
Thema Functional Food ist die Klärung der derzeitigen Unsicherheiten bezüglich
Definition und rechtlicher Regelung. Bei der Ausgestaltung der entsprechenden
Prozesse kann der Einbezug der relevanten gesellschaftlichen Gruppen in die öffentliche Diskussion und Entscheidungsfindung zur erhöhten Akzeptanz der erarbeiteten Lösungen beitragen.
315
11.
Empfehlungen
Für die Definition und Abgrenzung von Functional Food wird empfohlen, in Anlehnung an das FUFOSE-Projekt der Europäischen Union eine breite Arbeitsdefinition zu nutzen und je nach Problemstellung unterschiedliche Schwerpunktsetzungen
vorzunehmen. Demnach müssen Functional Food verarbeitete Lebensmittel sein,
deren Wirkungen von solchen Mengen ausgeübt werden, die normalen Verzehrgewohnheiten entsprechen. Sie sind keine Pillen oder Kapseln, sondern Bestandteil
einer normalen Ernährungsweise. Lebensmittel können dann als Functional Food
angesehen werden, wenn hinreichend bewiesen ist, dass diese Lebensmittel eine
oder mehrere Körperfunktionen so beeinflussen, dass davon positive Wirkungen auf
den Gesundheitszustand und das Wohlbefinden und/oder die Verringerung des Erkrankungsrisikos ausgehen. Weiterhin gehören solche Lebensmittel zu Functional
Food, die einen Wirkstoff enthalten, der Körperfunktionen so beeinflusst, dass positive Wirkungen davon ausgehen oder der physiologische oder psychologische
Effekte hervorruft, die über die Nährstoffzufuhr hinausgehen.
Wissenschaftlich/technische Entwicklung und Wirksamkeit von Functional Food
Bisher liegen nur für relativ wenige "funktionelle" Wirkstoffe gesicherte Informationen zu deren Wirksamkeit bei bestimmten ernährungsabhängigen Krankheiten
oder relevanten Stoffwechselfunktionen sowie die dafür verantwortlichen Wirkmechanismen vor. Hieraus ergibt sich Forschungsbedarf, die bestehenden Kenntnislücken zu den Wirkungen von "funktionellen" Inhaltsstoffen zu schließen, wobei
künftig stärker als in der Vergangenheit die den Effekten zugrunde liegenden
Stoffwechselvorgänge und Wirkungsmechanismen berücksichtigt werden sollten.
Diese grundlegenden Arbeiten können für eine größere Zahl an Wirkstoffen allerdings nicht im nationalen Alleingang sondern nur durch eine internationale "konzertierte Aktion" bewältigt werden, zu der die Schweiz auch künftig ihren Beitrag
leisten sollte.
Auch bei der Frage, in welchem Maße Wirksamkeits- und Sicherheitsuntersuchungen für Functional Food zu fordern sind, und welche Methoden dabei zur Anwendung kommen sollen, sind noch viele Aspekte aus wissenschaftlicher Sicht nicht
eindeutig geklärt. Aufgrund der hohen Relevanz dieses Aspektes wird empfohlen,
grundlagenorientierte Forschungsarbeiten zur Methodik des Wirksamkeitsnachweises und der Sicherheitsbewertung von Functional Food von staatlicher Seite zu fö rdern.
Die Kenntnisse über mögliche unerwünschte gesundheitliche Wirkungen von Functional Food sind derzeit gering. Ebenso liegen bisher kaum Erfahrungen mit dem
mittel- und langfristigen Konsum dieser Produkte vor. Aus diesem Grunde wird
empfohlen, ein Monitoring-System für Functional Food in der Schweiz einzurichten
316
mit dem Ziel, die mittel- und langfristigen Wirkungen dieser Lebensmittel auf das
Ernährungsverhalten der Konsumenten und den Gesundheitszustand der Bevölkerung zu untersuchen. Ein solches Monitoring-System für Functional Food kann in
ein Gesamtsystem zur kontinuierlichen Erfassung des Ernährungszustandes der Bevölkerung in der Schweiz integriert werden.
Die Wirksamkeits- und Sicherheitsbewertung von Functional Food wird derzeit in
der Schweiz nach dem Prinzip der Einzelfallentscheidung durchgeführt. Konsistente
und einheitliche Beurteilungskriterien existieren bislang nicht. Hier wird ein deutlicher Handlungsbedarf in Richtung vereinheitlichte Vorgehensweisen für die nähere
Zukunft gesehen. Gerade da in dieser Hinsicht viele wissenschaftliche oder methodische Fragen noch offen sind (und auch in den kommenden Jahren nicht eindeutig
gelöst werden dürften), kann nur über einen unvoreingenommenen Dialog mit allen
relevanten Akteuren eine handhabbare und akzeptierte Vorgehensweise erreicht
werden. Eine solche Initiative sollte von den zuständigen staatlichen Stellen in der
näheren Zukunft angegangen werden.
Auch nach Abschluss umfangreicher Literaturanalysen und zahlreichen Experteninterviews bestehen noch Informationsdefizite über Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten zu Functional Food, da ein Großteil dieser Aktivitäten in der Industrie
betrieben und nicht veröffentlicht wird. In den Experteninterviews wurde allerdings
herausgestellt, dass Entwicklungen zu Functional Food patentiert werden können,
und dass Unternehmen bei Vorliegen entsprechender Erkenntnisse auch Patente
anmelden. Zur Erweiterung und Objektivierung der Informationsbasis über FuEAktivitäten bei Functional Food wird daher eine vertiefende Analyse auf der Basis
von Patentindikatoren empfohlen. Patentindikatoren erlauben Rückschlüsse auf
(vorrangig) industrielle FuE-Aktivitäten, die auch in ihrer Zeitnähe vergleichbar mit
entsprechenden Literaturanalysen sind.
Innovationssystem Functional Food
Die wissenschaftlich-technische Entwicklung bei Functional Food wird derzeit in
der Schweiz vor allem von Seiten der Industrie vorangetrieben. Daher stellt sich die
Frage, ob öffentliche Forschungseinrichtungen in diesem Feld ihre Aufgaben adäquat erfüllen können. Hierzu zählen insbesondere die Wahrnehmung einer unabhängigen Kontroll- und Prüfungsfunktion, die Lenkung der Functional FoodForschung auf die im Sinne von Public Health-Aspekten vorrangigen Krankheitsbilder sowie auch die Aus- und Weiterbildung im Grenzbereich zwischen Medizin
und Ernährungsforschung. Insbesondere bei der Nutzung neuer technischer Ansätze
und Methoden können derzeit bei den öffentlichen Forschungseinrichtungen in der
Schweiz Defizite im Vergleich zur Industrie festgestellt werden.
Zur Analyse und Optimierung des Innovationssystems Functional Food wird daher
ein Maßnahmenbündel vorgeschlagen, das folgende Komponenten umfasst:
317
•
Aus- und Aufbau bestehender Einrichtungen der Ernährungsforschung zu einem
interdisziplinären "Zentrum für gesunde Ernährung",
•
Etablierung von Forschungsverbünden zwischen kleinen und mittleren Unternehmen, öffentlichen Forschungseinrichtungen und dem Handel,
•
Erhöhung des Stellenwertes von Functional Food in der öffentlichen Forschungsförderung in der Schweiz,
•
Setzung von Schwerpunkten für Functional Food-Forschung, die sich an Public
Health-Aspekten orientieren,
•
Stärkere Berücksichtigung von Ernährungsaspekten in der akademischen Ausbildung von Medizinern und anderen relevanten Berufsgruppen,
•
Untersuchung des internationalen Standes der genomicsbasierten Agro-FoodBiotechnologie speziell im Bereich Functional Food, welche Trends sich abzeichnen und wie sich insbesondere das öffentliche Innovationssystem in der
Schweiz darauf einstellen sollte.
Ökonomische Aspekte
Im Bereich der ökonomischen Aspekte mit Relevanz für Functional Food liegen
bislang noch kaum Informationen zum Kaufverhalten von Konsumenten bei diesen
Lebensmitteln vor. Aus diesem Grunde wird empfohlen von staatlicher Seite Untersuchungen zum Kauf- und Ernährungsverhaltens der Konsumenten bei Functional
Food in der Schweiz zu initiieren. Neben marketingrelevanten Fragen (z. B. Käufergruppen von Functional Food, Einstellungen der Konsumenten zu diesen Lebensmitteln) sollte der Schwerpunkt der Studie die Untersuchung des Risikos von
Fehlernährung bzw. der Überversorgung bestimmter Wirkstoffe durch den Konsum
von Functional Food bilden. Außerdem sollten Initiative ergriffen werden, die zu
einer stärkeren kommerziellen Nutzung von Erkenntnissen der Ernährungswissenschaften in FuE-orientierten Biotechnologieunternehmen in der Schweiz beitragen,
um dieses zukunftsträchtige Feld rechtzeitig zu besetzen.
Rechtliche Regelung
Der entscheidende Faktor für den künftigen gesellschaftlichen Umgang mit dem
Thema Functional Food ist die Klärung der derzeitigen Unsicherheiten bezüglich
Definition und rechtlicher Regelung. Bei der Ausgestaltung der entsprechenden
Prozesse kann der Einbezug der relevanten gesellschaftlichen Gruppen in die öffentliche Diskussion und Entscheidungsfindung zur erhöhten Akzeptanz der erarbeiteten Lösungen beitragen. Aus dem Umstand, dass die Positionen innerhalb der
verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen in der Schweiz durchaus noch heterogen
sind, könnte die Chance erwachsen, durch verstärkte Interaktion der Akteursgruppen zu einer an Sachargumenten orientierten Lösung zu gelangen.
318
Um die derzeitige rechtliche Unsicherheit bezüglich Functional Food, die zumindest
in den Augen der Öffentlichkeit besteht, sowie die Bewilligungs- und Kontrollpraxis in diesem Feld zu verbessern, ist es erforderlich, zwischen den für die Lebensmittel- und für die Heilmittelkontrolle zuständigen Instanzen eine Prozedur einzurichten, in deren Rahmen Abgrenzungsprobleme für Functional Food bzgl. der
maßgeblichen Regeln und der Zuständigkeit der Behörden laufend bearbeitet und in
einem einfachen und raschen Verfahren einer Entscheidung zugeführt werden. Die
Öffentlichkeit sollte periodisch durch Bekanntmachung in geeigneter Form und
nach erfolgter behördeninterner Differenzbereinigung über die geltende Rechtslage
und die Zuordnung von Functional Food unterrichtet werden.
Neue Regeln für Functional Food sind nicht nur am schweizerischen Verfassungsund Gesetzesrecht, sondern auch an internationalen Empfehlungen und Bedürfnissen für Außenhandelsbeziehungen auszurichten. Wir empfehlen, in der Schweiz
eine entsprechende Regelung zu entwickeln, die sich an der innerhalb der Europäischen Union geführten Diskussion orientiert. Dabei sollte jedoch nicht abgewartet
werden, bis eine europäische Regelung vorgeschlagen wird, sondern parallele Aktivitäten in der Schweiz initiiert werden.
Functional Food im Geltungsbereich der Lebensmittelgesetzgebung in der Schweiz
sollten nicht einem besonderen Regime als einheitliche Kategorie unterstellt werden, sondern aufgrund konkreter Merkmale differenziert erfasst werden. In diesem
Zusammenhang wird empfohlen, typische Merkmale von Functional Food durch
Sachbezeichnungen gemäß der eidgenössischen Lebensmittelverordnung besonders
zu regeln, damit für gebräuchliche Functional Food-Typen vom System der Einzelbewilligung abgewichen werden kann. In Art. 19 der Lebensmittelverordnung sollten die zulässigen Health Claims für Functional Food, die über Ernährungsanpreisungen (Nutrition Claims) hinausgehen und sich auf gesundheitsfördernde Wirkungen beziehen, abschließend umschrieben werden.
Für Functional Food im Geltungsbereich der Heilmittelgesetzgebung wird empfo hlen, diese Produkte im Regulativ bzw. in den Registrierungsrichtlinien für Heilmittel ebenfalls nicht einem besonderen Regime als einheitliche Kategorie zu unterstellen, sondern aufgrund konkreter Merkmale differenziert zu erfassen. Dabei
sollte am Konzept der Einzelregistrierung und -bewilligung, das für die Heilmittelzulassung generell gilt, auch für Functional Food festgehalten werden, aber soweit
möglich vereinfachte Formen des Registrierungsverfahrens gemäss Ziff. 8 der Registrierungsrichtlinien vorgesehen werden. Zusätzlich wird empfohlen, im Regulativ
oder in den Registrierungsrichtlinien der IKS (bzw. in einer künftigen eidgenössischen Heilmittelverordnung) die zulässigen Health Claims für Functional Food abschließend zu umschreiben und mit besonderen Anforderungen an den Nachweis
der Sicherheit oder der behaupteten Wirkungen zu verknüpfen.
319
Maßnahmen, die über diese Empfehlungen hinausgehen und Zwecken der Gesundheitsförderung oder der Risikopolitik dienen, sind zwar im Rahmen des geltenden
Verfassungsrechts möglich, bedingen aber (politische) Änderungen des Gesetzesrechts; denn die geltende Lebensmittel- und Heilmittelgesetzgebung ist an Zwecken
der polizeilichen Gefahrenabwehr (Gesundheitsschutz, Täuschungsschutz, Schutz
der öffentlichen Ordnung und der guten Sitten) ausgerichtet. Wir empfehlen zu prüfen, ob neue gesetzliche Grundlagen geschaffen werden sollen, welche,
•
Ernährungserziehungsprogramme vorsehen, die über die Information im Sinn der
Wissensvermittlung hinausreichen, wobei Angebote mit freiwilliger Teilnahme
Pflicht- oder Zwangsmaßnahmen vorzuziehen wären und die Unterstützung privater Angebote gegenüber staatlichen Angeboten Priorität haben müsste (Gesundheitsförderung),
•
erlauben oder verlangen, dass der Staat bei Bedarf die Entwicklung oder das Angebot von Functional Food so beeinflusst, dass das öffentliche Interesse an einem leistungsfähigen und zugleich politisch und rechtlich akzeptablen Innovationsprozess im Bereich der Lebens- und Arzneimittel möglichst weitgehend zum
Tragen kommt (Risiko- bzw. Innovationspolitik).
Ernährungsverhalten und Public Health-Effekte
Im Rahmen der Untersuchung des Ernährungszustandes der Bevölkerung in der
Schweiz wurde das Fehlen eines in regelmäßigen Abständen angewandten Standarderhebungsinstrumentariums für dieses Feld deutlich. Aus diesem Grunde wird
empfohlen, von Seiten des BAG und anderer zuständiger Behörden Basiserhebungen zum Ernährungsverhalten der Bevölkerung in der Schweiz und dem Zusammenhang zwischen Ernährung und dem Gesundheitszustand in der Bevölkerung zu
intensivieren und in regelmäßigen Abständen (z. B. alle drei bis vier Jahre) durchzuführen. In diesen Basiserhebungen ist auf den Einbezug von "Risikogruppen"
besonderer Wert zu legen. Das vorgeschlagene Monitoring-System zur Erfassung
der mittel- und langfristigen Wirkungen des Konsums von Functional Food kann in
das System der Basiserhebungen zum generellen Ernährungsverhalten integriert
werden.
Auch wenn der Beitrag von Functional Food zur Kostensenkung im Gesundheitswesen in der Schweiz derzeit noch nicht endgültig abgeschätzt werden kann, dürften Functional Food nur eine Option sein, um den Ernährungs- und Gesundheitszustandes der Bevölkerung in der Schweiz zu verbessern. Eventuell vorhandene positive Public Health-Effekte von Functional Food werden sich zudem nicht von alleine einstellen, sondern sollten in ein Gesamtkonzept für eine ausgewogene, gesundheitsbezogene Ernährung sinnvoll eingebettet werden. Hier ergibt sich für die Zukunft Handlungsbedarf, entsprechende Konzepte unter Einbezug von Wissenschaft,
320
Industrie, Gesundheitspolitik und Konsumentenvertretern zu entwickeln und in der
Schweiz umzusetzen.
In nahezu allen gesellschaftlichen Gruppen der Schweiz herrscht ein großes Informationsbedürfnis zum Thema Functional Food. Daher wird empfohlen, geeignete
zielgruppenspezifische Informations- und Kommunikationskonzepte für diese Thematik zu entwickeln und umzusetzen. Diese Aktivitäten sollten in eine Informations- und Aktivierungskampagne für eine ausgewogene, gesundheitsorientierte
Ernährung eingebettet sein, die von allen relevanten Gruppen getragen wird. Wie
Beispiele erfolgreicher Kampagnen aus dem Ausland zeigen, ist es erforderlich,
innerhalb der Lebensmittelindustrie solche Unternehmen oder Bereiche zur Unterstützung der Kampagne zu bewegen, die von einer Ernährungsumstellung profitieren werden.
Die Hochschulausbildung in der Schweiz umfasst bisher keinen Hauptstudiengang
der Ernährungswissenschaften. Zudem werden Ernährungsaspekte in der Ausbildung der Mediziner nur am Rande behandelt. Somit gibt es zwischen Ernährungswissenschaften und medizinischen Aspekten kaum Berührungspunkte in der Hochschulausbildung in der Schweiz. Da die Befassung mit Functional Food jedoch gerade die Kombination von diesen beiden Wissenschaftsbereichen erfordert, wird ein
deutlicher Handlungsbedarf für die Etablierung eines Studienganges der Ernä hrungswissenschaften, die stärkere Berücksichtigung von Ernährungsfragen in der
medizinischen Ausbildung sowie die Einführung disziplinenübergreifender Ausbildungsgänge im Grenzbereich Medizin/Ernährungsforschung/Lebensmitteltechnologie gesehen.
Empfehlungen für die Politik
Oberste Priorität für die Politik sollte die Klärung der zumindest in den Augen der
Öffentlichkeit bestehenden unübersichtlichen rechtlichen Situation bei der Zulassung und der gesundheitsbezogenen Anpreisung von Functional Food in der
Schweiz haben. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Initiierung bzw. Förderung
der Forschung im Bereich Functional Food, insbesondere an den (Fach-)Hochschulen. Zudem sollte die Politik Aktionen zur Information und Aktivierung der
Bevölkerung hinsichtlich einer gesundheitsbewussten Ernährung auslösen. Dazu
werden folgende Maßnahmen empfohlen:
Rechtliche Situation
−
Abgrenzungsprobleme bei Functional Food sollten durch die für Lebens- und
Heilmittel zuständigen Behörden geklärt werden.
−
Einheitliche Beurteilungskriterien für die Zulassung von Functional Food sollten
unter Einbezug der relevanten Akteure (Lebensmittelwissenschaft, Konsume n-
321
tenorganisationen, Industrie, Handel, Präventivmedizin, Ernährungsberatung)
von den zuständigen Behörden erarbeitet werden.
−
Zulässige Anpreisungen ("Claims") für Functional Food sollten unter Berücksichtigung internationaler Aktivitäten (EU, Europarat) festgelegt werden. Im Bedarfsfall sollten bereits bestehende Regelungen im Bereich des Lebensmittelund Heilmittelrechts präzisiert und ergänzt werden.
Forschungsförderung
−
Grundlagenorientierten Forschungsarbeiten zur Bewertung der Wirksamkeit und
Sicherheit von Functional Food sollten initiiert, bereits bestehende Aktivitäten
ausgebaut werden, dies insbesondere im Bereich der (Fach-)Hochschulen. Dabei
sollte auch die notwendige Forschungsinfrastruktur in diesen Einrichtungen ausgebaut und in entsprechenden Zentren konzentriert werden.
−
Functional Food sollte in staatlichen Forschungsprogrammen, welche sich mit
der Gesundheit der Bevölkerung (Public Health) befassen, einbezogen werden,
beispielsweise durch Untersuchungen zum Kauf- und Ernährungsverhalten der
Konsumentinnen und Konsumenten unter Berücksichtigung von Functional
Food.
−
Forschungsverbünde zwischen öffentlichen Forschungseinrichtungen und der
Industrie sollten unterstützt werden.
−
Die akademische Ausbildung an der Schnittstelle von Medizin und Ernährung
sollte verstärkt werden.
Gesundheitsförderung
−
Aktionen zur unabhängigen Information der Bevölkerung über Functional Food
(eventuell in Verbindung mit einer generellen Kampagne für eine gesundheitsorientierte Ernährung) sollten initiiert werden.
−
Ganzheitliche Konzepte für eine ausgewogene, gesundheitsorientierte Ernährung
sollten unter Einbezug von Functional Food entwickelt werden, dabei sollten alle
relevanten Akteure (s. o.) mitwirken.
−
Zur Untersuchung der langfristigen Wirkungen von Functional Food auf die Ernährungsgewohnheiten und die Gesundheit der Bevölkerung sollte – in Koordination mit bereits bestehenden Erhebungen – ein Monitoringsystem eingerichtet
werden.
321
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Anhang 1:
Gesetzliche Grundlagen
Schweiz
Bundesgesetzgebung
SR 241
BG gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) v. 19. Dez.
1986
SR 812.111
VO über die immunbiologischen Erzeugnisse v. 23. Aug. 1989
(Stand: 1.10.96)
SR 817.0
BG über Lebensmittel u. Gebrauchsgegenstände (Lebensmittelgesetz, LMG) v. 9. Okt. 1992 (Stand: 1.7.96)
SR 817.02
Lebensmittelverordnung (LMV) v. 1. März 1995 (Stand:
27.1.1998)
SR 817.021.22
VO über die in Lebensmitteln zulässigen Zusatzstoffe
(Zusatzstoffverordnung, ZuV) v. 26. Juni 1995 (Stand:
17.2.1998)
SR 817.021.23
VO über Fremd- und Inhaltsstoffe in Lebensmitteln (Fremdund Inhaltsstoff VO, FIV) v. 26. Juni 1995 (Stand: 10.2.1998)
SR 817.021.35
VO über das Bewilligungsverfahren für GVO-Lebensmittel,
GVO-Zusatzstoffe und GVO-Verarbeitungshilfsstoffe
(VBGVO) v. 19. Nov. 1996 (Stand: 1.1.1997)
SR 817.021.55
Nährwertverordnung (NwV) v. 26. Juni 1995 (Stand:
10.2.1998)
SR 818.01
BG über die Bekämpfung übertragbarer Krankheiten des Menschen (Epidemiengesetz) v. 18. Dez. 1970 (Stand: 10.6.1998)
SR 946.51
BG über die technischen Handelshemmnisse (THG) v. 6. Okt.
1995
360
Konkordatsrecht
SR 812.101
Interkant. Vereinbarung über die Kontrolle der Heilmittel v.
3. Juni 1971
110.1
Regulativ über die Ausführung der interkantonalen Vereinbarung über die Kontrolle der Heilmittel v. 25. Mai 1972 (Stand:
19.11.1998)
221.11
Richtlinien der IKS betreffend Anforderungen an die Dokumentation für die Registrierung von Arzneimitteln der Humanmedizin (Registrierungs-Richtlinien), vom 16. Dezember
1977 (Stand 14. Mai 1998)
Siehe auch:
Merkblatt des BAG zur Registrierung von Neuprodukten, vom
2.6.1999
Merkblatt des BAG zur Registrierung von Nahrungsergänzungen (food supplement), vom 2.6.1999
Merkblatt des BAG zur Registrierung von Ergänzungsnahrungen/Zusatznahrungen (z. B. Sportlerprodukte), vom 2.6.1999
Botschaft zu einem BG über Arzneimittel und Medizinprodukte (Heilmittelgesetz, HMG), ohne Datum (Internet)
Botschaft zu einem BG über Lebensmittel und Gebrauchsgegenstände (Lebensmittelgesetz, LMG), vom
30.1.1989, BBl 1989 I 893 ff.
361
EU
(Verordnungen, Richtlinien)*
(Siehe auch die Zusammenfassungen verschiedener Richtlinien in Anhang der
Botschaft zu einem Bundesgesetz über Arzneimittel und Medizinprodukte (Heilmittelgesetz, HMG), S. 149 ff.)
Auszug aus dem "Analytischen Verzeichnis" zu folgenden Stichwörtern:
• 13.30.14
Lebensmittel
• 13.30.14.10
Farbstoffe
• 13.30.14.30
Sonstige Bestimmungen
• 15.10.20.50
Chemische Stoffe, industrielle Risiken und Biotechnologie
• 15.20.30
Schutz der Gesundheit und der Sicherheit
• 15.30
Gesundheitsschutz
VO EG 258/97** über neuartige Lebensmittel und Lebensmittelzutaten v.
27.1.1997 ABl. L43/1 v. 14.2.1997)
RL 89/107/EWG Zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten
über Zusatzstoffe, die in Lebensmitteln verwendet werden dürfen v. 21.12.1988 (ABl. L40/27), geändert durch: RL
94/34/EG vom 30.6.1994, (ABl. L237)
362
RL 90/220/EWG Über die absichtliche Freisetzung genetisch veränderter Organismen in die Umwelt v. 23.4.1990 (ABl. 117), geändert durch:
RL 94/15 v. 15.4.1994 zur ersten Anpassung der RL 90/22
über die absichtl. Freis. genetisch veränderter Organismen in
die Umwelt an den techn. Fortschritt (ABl. L103), geändert
durch: RL 97/35 v. 18.6.1997 zur zweiten Anpassung der RL
90/220 über die absichtl. Freis. genetisch veränderter Organismen in die Umwelt an den techn. Fortschritt (ABl. L169)
RL 88/344/EWG Zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten
über Extraktionslösungsmittel, die bei der Herstellung von
Lebensmitteln und Lebensmittelzutaten verwendet werden v.
13.6.1988 (ABl. L 157), geändert durch: RL 92/115 v.
17.12.1992 zur ersten Änderung der RL 88/344. (ABl. L 409),
geändert durch: RL 94/52 v. 7.12.1994 zur zweiten Änderung
der RL 88/344. (ABl. L 331), geändert durch: RL 97/60 v.
27.10.1997 zur dritten Änderung der RL 88/344... (ABl. L
331)
RL 88/388/EWG Zur Angleichung d. Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten
über Aromen z. Verwendung in Lebensmitteln u. über Ausgangsstoffe zu ihrer Herstellung v, 22.6.1988 (ABl. L 184/61),
geändert durch: RL 91/71 v. 16.1.1991 zur Ergänzung der RL
83/388 zur Angleichung der Rechtsvorschriften, (ABl. L
42/25)
RL 79/112/EWG Zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten
über die Etikettierung und Aufmachung von für den EndKonsumenten bestimmten Lebensmitteln sowie die Werbung hierfür v. 18.12.1978 (ABl. L033), geändert durch: RL 85/7 v.
19.12.1984 z. Änderung einer ersten Serie v. RL betr. die Angleichung d. Rechtsvorschr. der MS im Lebensmittelbereich
hinsichtl. der Intervention des Ständigen Lebensmittelausschusses (Abl. L 002), geändert durch: RL 86/197 v. 26.5.1986
zur Änderung der RL 79/112 (ABl. L144), geändert durch: RL
89/395 v. 14.6.1989 z. Änderung der RL 79/112 (ABl. L186),
geändert durch: RL 91/72 v. 16.1.1991 z. Änderung der RL
79/112 (ABl. L042). geändert durch: RL 93/102 v. 16.11.1993
z. Änderung der RL 79/112 (ABl. L291), geändert durch: RL
97/4 v. 27.1.1997 z. Änderung der RL 79/112 (ABl. L043),
geändert durch: RL 1999/10 v. 8.3.1999 über Ausnahmen von
Art. 7 der RL 97/112 hinsichtl. der Etikettierung von Lebensmitteln (ABl. L069)
363
Anhang 2:
Mitglieder der Begleitgruppe
• Maja Angermeier-Huber, Delegierte Schweizerischer Verband diplomierter Er-
nährungsberaterInnen, Oensingen
• Bianca-Maria Exl, Nestlé Suisse S. A., Vevey
• Beat Hodler, FIAL, Fédération des Industries Alimentaires Suisses, Bern
• Edith Koch, COOP Schweiz, Pratteln
• Margit Krüger, Delegierte Konsumentinnenforum Schweiz, Werdenberg
• Marina Lieber, Delegierte Schweizerischer Apothekerverein, Bissone
• Jürg Lüthy, Bundesamt für Gesundheit, Bern
• Fred Michel Paccaud, Université de Lausanne, Lausanne
• Robert Sieber, Eidgenössische Forschungsanstalt für Milchwirtschaft, Bern
• Margret Steiger-White, Novartis Consumer Health AG, Bern
• Jrène Studer-Rohr, ETH Zürich, Zürich
• Paul Walter, Universität Basel, Basel
365
Anhang 3:
Befragte Experten
• Renato Amadò, ETH Zürich, Zürich
• Maja Angermeier-Huber, Önzingen
• Antoin Audrin, Nestlé Research Center, Lausanne
• Olivier Ballevre, Nestlé Research Center, Lausanne
• Denis Barclay, Nestlé Research Center, Lausanne
• Herr Beer, Novartis Consumer Health AG, Neuenegg
• Hans-Peter Binz, Bio-Familia AG, Sachseln
• Herr Blum, Bio-Familia AG, Sachseln
• Max Blum, Roche Vitamins Europe Ltd., Basel
• Stephanie Blum Sperisen, Nestlé Research Center, Lausanne
• Peter Boesch, Migros Genossenschafts-Bund, Zürich
• Martin Brügger, Bundesamt für Gesundheit (BAG), Bern
• Peter van Dael, Nestlé Research Center, Lausanne
• Anne Donnet-Hughes, Nestlé Research Center, Lausanne
• Felix Escher, ETH Zürich, Zürich
• Edward Brian Fern, Nestlé, Vevey
• Bruce German, Nestlé Research Center, Lausanne
• Herr Graf, Swiss Dairy Food AG, Ostermundingen
• Katharina Hasler, Konsumentenforum Zürich, Zürich
• Jörg Heilmann, ETH Zürich, Zürich
• Richard Hurrell, ETH Zürich, Rüschlikon
• Melvin Jay, Novartis Consumer Health SA, Nyon
• Ullrich Keller, Kantonsspital Basel, Basel
• Erich Kienle, Emmi Schweiz AG, Luzern
• Edith Koch, Coop Schweiz, Pratteln
• Heide Köppel, Konsumentenforum Zürich, Zürich
• Jürg Lüthy, Bundesamt für Gesundheit (BAG), Bern
• Leo Meile, ETH Zentrum, Zürich
• Ulrich K. Moser, Roche Vitamins Europe Ltd., Basel
366
• Urs Müller, Vereinigung Schweizer Kantonschemiker, Bern
• Elizabeth Offord-Cavin, Nestlé Research Center, Lausanne
• Andrea Pfeiffer, Nestlé Research Center, Lausanne
• Otto Raunhardt, Hoffmann-La Roche Ltd., Vitamins and Fine Chemicals Divisi-
on, Basel
• Roberto Reniero, Nestlé Research Center, Lausanne
• Konrad Schluep, Swiss Dairy Food AG, Ostermundingen
• Simonetta Sommaruga, Stiftung für Konsumentenschutz, Bern
• Margret Steiger-White, Novartis Consumer Health AG, Bern
• Michael Teuber, ETH Zürich, Zürich
• Paul Walter, Biochemisches Institut, Universität Basel, Basel
• Ralf Zink, Nestlé Research Center, Lausanne
367
Anhang 4:
Antwortende Personen bzw. gesellschaftliche
Gruppierungen in der schriftlichen Befragung
Aargauische Krebsliga
Apothekerverein des Kanton Zürich
Arzneimittelkommission der Schweizer Apotheker
Ärztinnen und Ärzte für den Umweltschutz
Associazione Consumatrici della Svizzera Italiana
Basler Appell gegen Gentechnologie
Bernische Krebsliga
Bio-familia AG
Biotta AG
Bundesamt für Bildung und Wissenschaft
Bundesamt für Gesundheit (BAG)
Facheinheit Lebensmittel u.
Gebrauchsgegenstände
Bundesamt für Gesundheit (BAG)
Facheinheit Öffentliche Gesundheit
Bundesamt für Landwirtschaft (BLW)
Hauptabteilung Forschung,
Bildung u. Beratung
Bundesamt für Sport
Eidg. Sportschule Magglingen (ESSM)
Bundesamt für Umwelt, Wald u. Landwirtschaft
Bundesamt für Veterinärmedizin
Büro für Umweltchemie
SAG-Schweizerische Arbeitsgruppe Gentechnologie
Christlichdemokratische Volkspartei CVP
Conseil des Organisations Internationales des Sciences Médicales
COOP Schweiz
Deklaration von Bern/ Déclaration de Berne
Département de la justice, de la santé et de la sécurité, Service de la santé publique
Neuchâtel
Département de la santé publique
Canton Fribourg
Département de la santé publique, Valais
Déléguée à la prévention et
à la promotion de la santé
368
Département de l'interieure et de la santé publique,
Vaud
Service de la santé publique
Departement des Inneren
Kanton Schwyz
Departement des Inneren, Schaffhausen
Gesundheitsamt
Departement für Finanzen und Soziales, Thurgau
Kantonsärztlicher Dienst
Direktion des Gesundheitswesen
Dokuzentrum Gesundheitswesen
donna mobile
Arbeitsgemeinschaft Osteoporose Schweiz
Dr. Daniela Schlettwein-Gsell
Ecole d'ingénieurs de Changins
Eidg. Forschungsanstalt für Milchwirtschaft
Eidg. Forschungsanstalt für Nutztiere
Eidg. Forschungsanstalt für Obst-, Wein- u. Gartenbau
Eidg. Forschungsanstalt für Pflanzenbau
Eidg. Institut für Geistiges Eigentum
Rechtsdienst Patente und
Design
Eidg. Justiz- u. Polizeidepartement
Bundesamt f. Justiz
Eidg. Technische Hochschule Zürich
Collegium Helveticum/STW
Eidg. Technische Hochschule Zürich
Departement Pharmazie Y17
L76
Eidg. Technische Hochschule Zürich
Institut für Nutztierwissenschaften
Emil Flachsmann AG
Energetische Ernährungsberatung
Evangelische Volkspartei der Schweiz EVP
F. Hoffmann-La Roche Ltd.
Fach Frauen Umwelt
Fachhochschule für Wirtschaft St. Gallen
Forschungsinstitut f. Management im Gesundheitswesen (FMiG)
Fédération Romande des Consommateurs
Fondation Louis-Jeantet
Freisinnigdemokratische Partei FDP
Unité de bioéthique
369
Genossenschaft für Schlachtvieh- u. Fleischversorgung Schweiz
Gesellschaft f. klinische Ernährung
Gesundheitsdepartement Aargau
Kantonsärztlicher Dienst
Gesundheitsdepartement St. Gallen
Gesundheitsvorsorge
Gesundheitsdirektion des Kantons Nidwalden
Greenpeace Schweiz
Gentech-Kampagne
Gut statt Gen
H+, Die Spitäler der Schweiz
Hochschule für Technik Wallis (HTW)
Fachrichtung Lebensmitteltechnologie
Hôpitaux Universitaires de Genève
Division d'épidémiologie
clinique
Infood
Institut de médicine sociale et préventive, Lausanne
Institut für Sozial- und Präventivmedizin, Bern
Interkantonale Kontrollstelle für Heilmittel
InterNutrition
Schweizerischer Arbeitskreis für Forschung und
Ernährung
Kambly SA
Spécialités de Biscuits
Suisse
Kantonale Ernährungsberatung Bern
Ausbildungszentrum Insel
Kantonales Laboratorium Aargau
Kantonschemiker
Kantonales Laboratorium Basel-Landschaft
Kantonschemiker
Kantonales Laboratorium Basel-Stadt
Kantonschemiker
Kantonales Laboratorium Bern
Kantonschemiker
Kantonales Laboratorium Graubünden
Kantonschemiker
Kantonales Laboratorium Jura
Kantonschemiker
Kantonales Laboratorium Luzern
Kantonschemiker
Kantonales Laboratorium Solothurn
Kantonschemiker
Kantonales Laboratorium Zug
Kantonschemiker
Kantonales Laboratorium Zürich
Kantonschemiker
Kantonsspital Basel
Departement für Innere
Medizin
370
Konsumentenforum kf
Dachverband
Konsumentenforum kf
Sektion Baden-Brugg
Konsumentenforum kf
Sektion Ostschweiz
Konsumentenforum kf
Sektion Schaffhausen
Konsumentenforum kf
Sektion Zürich
Krebsliga beider Basel
Krebsliga des Kantons Zürich
Laboratoire Cantonal de Neuchâtel
Kantonschemiker
Laboratoire Cantonal Fribourg
Kantonschemiker
Laboratoire Cantonal Genève
Kantonschemiker
Laboratorium Fürstentum Liechtenstein
Kantonschemiker
Landwirtschaftlicher Informationsdienst LID
Presse- und Informationsstelle der Schweizer
Landwirtschaft
Lebensmittel & Biotechnologie Hochschule Wädenswil
Ligue genevoise contre le cancer
Ligue valaisanne contre le cancer
Ligue vaudoise contre le cancer
Migros-Genossenschafts-Bund
Ernährungsberatung/Marketing
Multiforsa AG
Cereal Concepts
NOGERTE
Feministische Organisation
gegen Gen- u. Reproduktionstechnologie
Oekumenische Arbeitsgemeinschaft Kirche und Umwelt
PharmaPart AG
NutriPart
Rivella AG
Sanitätsdepartement Kanton Basel Stadt
Gesundheitsamt
Sanitätsdirektion des Kantons Glarus
Sanitätsdirektion des Kantons Zug
Schule für ErnährungsberaterInnen SRK
Ausbildungszentrum Insel
Schule für Ernährungsberatung
Universitätsspital Zürich
371
Schweiz. Gesellschaft für Allergologie u. Immunologie
Schweiz. Gesellschaft für biomedizinische Ethik
Schweiz. Gesellschaft für Geschichte der Medizin u.
der Naturwissenschaften
Schweiz. Milch-Gesellschaft AG
Schweizer Bischofskonferenz
Schweizer Gemüse-Union
Schweizer Milchproduzenten
Schweizer Radio DRS 1 - Bern
Schweizer Vereinigung gegen den Bluthochdruck
Schweizer Volkspartei SVP
Schweizer. Tropeninstitut
Schweizerische Adipositas Stiftung
Schweizerische Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften
Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften
Schweizerische Akademie der Natrurwissenschaften
Schweizerische Diabetesgesellschaft
Schweizerische Gesellschaft für Allgemeinmedizin
Schweizerische Gesellschaft für Lebensmittelwissenschaft und -technologie
Schweizerische Gesellschaft für Mikrobiologie
Schweizerische Gesellschaft für Prävention und Gesundheitswesen
Schweizerische Hochschule für Landwirtschaft
Schweizerische Krebsliga
Schweizerische Patienten-Organisationen
Schweizerische Sanitätsdirektorenkonferenz
Schweizerische Vereinigung für Humanismus
Schweizerische Vereinigung gegen die Osteoporose
Schweizerische Vereinigung zum Schutz der kleinen
und mittleren Bauern
Schweizerischer Bäcker- und Konditoren-Verein
Konsummagazin Espresso
372
Schweizerischer Drogisten-Verband SDV
Wissenschaftliche Fachstelle
WIF
Schweizerischer Evangelischer Kirchenbund
Institut für Sozialethik
Schweizerischer Nationalfonds
EU-Programm Lebensqualität u. Management
lebender Ressourcen
Schweizerischer Obstverband
Schweizerischer Verband der Berufsorganisationen im
Gesundheitswesen
Schweizerischer Verband der Ingenieur Agronomen
und Lebensmitteltechnologen
Schweizerischer Verband diplomierter ErnährungsberaterInnen
Schweizerischer Verband für Gemeinschaftsaufgaben
der Krankenversicherer
Service de la Santé, Jura
Service du pharmacien cantonal de Genève
GSASA/Groupe des Pharmaciens Cantonals
SM Soziale Medizin
Das Magazin im Sozial- u.
Gesundheitswesen
Société suisse pour la protection de l'environnement
Sponser Sportnahrung
Stiftung Ernährung und Diabetes
Diabeteszentrum Lindenhof
Stiftung für Gesundheit und Umwelt
Stiftung für Humanwissenschaften
Stiftung Gen Suisse
Stiftung MGU
SVERB Regionalgruppe Bern
Berufsschule für Diätköche
und Diätköchinnen
SVERB Regionalgruppe Ostschweiz
Ernährungsberatung
SWISS PASTA
Vereinigung der Schweizer
Teigwarenindustrie
Prof. Dr. Otmar Tönz
Universitäre Hochschule Luzern, Erziehungs- und
Kulturdepartement
Theologische Fakultät
Universität Basel
Biozentrum
373
Universität Basel
Forschungsstelle für Gesundheitsökonomie und
Sozialpolitik
Universität Bern
Institut für Volkskunde/Europäische Ethnologie
Universität Bern
Kollegiale Instanz für Komplementärmedizin
Universität St. Gallen (HSG)
Forschungsgemeinschaft
Rechtswissenschaft
Universität Zürich
Ethik-Zentrum
Universitätsspital
Abteilung für psychosoziale
Medizin
Université de Lausanne, Institut de Physiologie
Faculté de médicine
Verband öffentlicher Krankenkassen
Verband Schweizer Gemüseproduzenten
Verbindung der Schweizer Ärzte (FMH)
Vereinigung der Kantonsärzte und Kantonsärztinnen
der Schweiz
Vereinigung für Qualitätssicherung u. Qualitätsförderung im Gesundheitswesen
Vereinigung Schweizer Hafermühlen
Vereinigung Schweizer Hersteller von Diät- und
Kraftnahrung
Vereiningung der Schweizerischen Milchindustrie
Volksgesundheit Schweiz
Volkswirtschafts- und Sanitätsdirektion BaselLandschaft (BL)
World Wildlife Fund for Nature WWF
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