V Vorlesung Klinische Psychologie und Psychotherapie I Wintersemester 2016-2017 Dr. Silke Behrendt V Vorlesung Klinische Psychologie und Psychotherapie I Substanzstörungen Rückblick Zusammenfassung & Klausurvorbereitung 3 Das Programm & Die Lernziele Datum Inhalt der Veranstaltung 10.10.2016 Was ist Klinische Psychologie? – Einführung und Überblick über Konzepte, Modelle und Methoden 17.10.2016 Was sind psychische Störungen? Vom Symptom über das Syndrom zur Diagnose – Modelle und Methoden 24.10.2016 Epidemiologische Grundlagen 07.11.2016 Lerntheoretische Grundlagen und Störungslehre 14.11.2016 Biopsychologische Grundlagen 21.11.2016 Familiengenetische und entwicklungspsychologische Grundlagen 28.11.2016 Das Vulnerabilitäts-Stress-Modell als ätiologisches Modelle psychischer Störungen 05.12.2016 Was sind klinisch-psychologische Interventionsmethoden – Ein Überblick und eine Taxonomie 12.12.2016 Was sind klinisch-psychologische Interventionsmethoden - Was ist Kognitive-Verhaltenstherapie? 19.12.2016 Depressive Störungen: Nosologie, Ursachen und Behandlung 09.01.2017 Angststörungen: Nosologie, Ursachen und Behandlung 16.01.2017 Zusammenfassung/ Klausurvorbereitung 23.01.2017 Substanzstörungen: Nosologie, Ursachen und Behandlung 30.01.2017 Klausur Ziel 5: Kenntnisse zu häufigen psychischen Störungen 4 Lernziele für heute 1. Einführung: Psychotrope Substanzen und Substanzstörungen 2. Diagnostik von Substanzstörungen 3. Epidemiologie der Substanzstörungen 4. Ätiologie der Substanzstörungen 5. Interventionen -> Lehrbuch: Kapitel 33 (34-36) 5 1) Psychotrope Substanzen und Substanzstörungen Bühringer & Behrendt, 2011,S. 698c 1) Psychotrope Substanzen und Substanzstörungen Historische Perspektive • Der Konsum psychotroper Substanzen ist so alt wie die Menschheit • Konsum ist nicht gleichzusetzen mit dem Vorliegen einer Störung! • Die gesellschaftliche Bewertung des Konsums ist abhängig von den (historischen) Umständen und der Kultur • Historische Erklärungen für Substanzstörungen: z.B. Gottesstrafe, Besessenheit • Moralische Modelle • Medizinisches Modell: Erst ab Mitte des 20. Jahrhunderts • -> Bio-Psycho-Soziales Modell 1) Psychotrope Substanzen und Substanzstörungen Politik als Einflussfaktor • Politisches Handeln beeinflusst den Umgang mit psychotropen Substanzen • ….aufgrund von gesellschaftlichen Wertvorstellungen • ….aufgrund des Gefahrenpotentials (z.B. Teilnahme am Straßenverkehr unter Einfluss) • ….aufgrund der Einkommensmöglichkeiten (Steuer!) • -> sehr verschiedener Umgang mit verschiedenen Substanzen in verschiedenen Regionen der Welt und zu verschiedenen Zeitpunkten • Z.B. Cannabis in den Niederlanden und der BRD, Todesstrafe oder Therapieverordnung wg. Heroin, Tabak historisch in Europa zeitweise illegal 1) Psychotrope Substanzen und Substanzstörungen „Stoffgebunden“ • • • • • • • • • • • … Alkohol Nikotin Cannabis Amphetamine Halluzinogene Sedativa, Hypnotika, Anxiolytika Inhalanzien Koffein Kokain Opiate Phencyclidin (PCP) „Nicht-stoffgebunden“ • • • • • Pathologisches Spielen „Kaufsucht“ „Arbeitssucht“ „Internet/PC-Sucht“ … Unterschiede in assoziierten Verhaltensweisen, der Entwicklung und Ausprägung einer jeweiligen Störung, assoziierten Befunden zur Epidemiologie und Behandlungsprognose 1) Psychotrope Substanzen und Substanzstörungen Nach der Wirkung: sedierend Opiate Diazepam Ketamin GHB (hohe Dosis) GHB (niedrige Dosis) Alkohol PCP THC Koffein Nikotin stimulierend halluzinogen Methamphetamine LSD Psilocybin Meskalin Amphetamine Ecstasy Kokain 1) Psychotrope Substanzen und Substanzstörungen Störungs- vs. Substanzspezifische Betrachtung ? Allen psychotropen Substanzen ist gemeinsam, dass bei einem Teil der Erstkonsumenten der Substanzkonsum zu positiven Auswirkungen kommt • Auf der somatischen Ebene (Wachheit, Beruhigung, Schmerzlinderung) • Auf der psychischen Ebene (Angstabbau, Euphorie) • Auf der sozialen Ebene (Akzeptanz bei Dritten) 1) Psychotrope Substanzen und Substanzstörungen Störungs- vs. Substanzspezifische Betrachtung ? Allen psychotropen Substanzen ist gemeinsam, dass bei einem Teil der Erstkonsumenten die pharmakologischen oder sozialen Auswirkungen dazu führen, dass: 1. es zu einer Steigerung von Konsumfrequenz und –menge kommt. 2. der Konsum bei ersten negativen Auswirkungen nicht angepasst wird. 3. die Konsumenten langfristig ihre Kontrolle über das Konsumverhalten (Zeitpunkt, Ort, Dauer, Menge) verlieren. 4. schwere somatische, psychische und/ oder soziale Störungen auftreten. 1) Psychotrope Substanzen und Substanzstörungen Zentrale Merkmale von Substanzstörungen Psychische Abhängigkeit (Craving, Kontrollverlust) Körperliche Abhängigkeit (Entzug, Toleranz) Folgestörungen (akute, chronische Erkrankungen; psychische Erkrankungen) Soziale Probleme 1) Psychotrope Substanzen und Substanzstörungen Störungen im Zusammenhang mit psychotropen Substanzen (nach DSM-IV) Störungen durch Substanzkonsum: Missbrauch Abhängigkeit Substanzinduzierte Störungen: Intoxikation Entzug Delir Psychose … 1) Psychotrope Substanzen und Substanzstörungen Diagnostische Kriterien für Missbrauch und Abhängigkeit sind jeweils fast gleich, werden aber immer in Relation zu einer spezifischen Substanz betrachtet Bühringer & Behrendt, 2011,S. 698 1) Psychotrope Substanzen und Substanzstörungen Klassifikation – Substanzmissbrauch (DSM-IV) • im Vordergrund stehen wiederholt auftretende negative Konsequenzen des Konsums • Innerhalb eines 12- Monats-Zeitraums treten wiederholt Probleme in mindestens einem von 4 Bereichen auf: 1. soziale bzw. interaktionale Probleme, 2. Konsum in Situationen, in denen es zu körperlicher Gefahrdung kommen kann, 3. Probleme mit Polizei und Justiz , 4. Probleme mit der Erfüllung von sozialen Rollen und Verpflichtungen. 1) Psychotrope Substanzen und Substanzstörungen Klassifikation – Substanzabhängigkeit (DSM-IV) • Innerhalb eines 12- Monats-Zeitraums müssen mindestens 3 von insgesamt 7 diagnostischen Kriterien erfüllt sein DSM-IV Abhängigkeit 3 oder mehr der folgenden Kriterien innerhalb eines 12-MonatsZeitraums: • • • • Toleranzentwicklung Entzugssymptome Gebrauch in größeren Mengen oder länger als beabsichtigt Anhaltender Wunsch / erfolglose Versuche, den Gebrauch zu vermindern • Viel Zeit für Beschaffung, Gebrauch und Erholung von den Wirkungen • Einschränkung wichtiger sozialer, beruflicher oder Freizeitaktivitäten • Fortgesetzter Gebrauch trotz Kenntnis der persönlichen Schädigung 1) Psychotrope Substanzen und Substanzstörungen Klassifikation (ICD-10) DSM-IV ICD-10 Missbrauch Schädlicher Gebrauch • Wiederholter Gebrauch, der zu einem • Nachweis, dass Substanzgebrauch Versagen bei der Erfüllung wichtiger Pflichten führt • Wiederholter Gebrauch in Situationen, in denen es zu einer körperlichen Gefährdung kommen kann • Wiederkehrende Probleme mit dem Gesetz in Zusammenhang mit dem Gebrauch • Fortgesetzter Gebrauch trotz persistierender oder wiederholter sozialer Probleme verantwortlich ist für die körperlichen oder psychischen Schäden 1) Psychotrope Substanzen und Substanzstörungen Klassifikation (ICD-10) DSM-IV ICD-10 Abhängigkeit Abhängigkeitssyndrom 3 oder mehr der folgenden Kriterien innerhalb eines 12-Monats-Zeitraums: 3 oder mehr der folgenden Kriterien innerhalb eines 12-Monats-Zeitraums: • Toleranzentwicklung • Starker Wunsch / Zwang zu konsumieren • Entzugssymptome • Verminderte Kontrollfähigkeit • Gebrauch in größeren Mengen oder länger • Körperliches Entzugssyndrom als beabsichtigt • Nachweis einer Toleranz • Anhaltender Wunsch / erfolglose Versuche, • Vernachlässigung anderer Vergnügungen den Gebrauch zu vermindern • Viel Zeit für Beschaffung, Gebrauch und Erholung von den Wirkungen • Einschränkung wichtiger sozialer, beruflicher oder Freizeitaktivitäten • Fortgesetzter Gebrauch trotz Kenntnis der persönlichen Schädigung oder Interessen zugunsten des Konsums • Konsum trotz schädlicher Folgen 1) Psychotrope Substanzen und Substanzstörungen Klassifikation (DSM-5) DSM-V Substanzkonsumstörung 2 oder mehr der folgenden 11 Kriterien innerhalb eines 12-Monats-Zeitraums: • Toleranzentwicklung • Entzugssymptome • Gebrauch in größeren Mengen oder länger • Starker Wunsch / Zwang zu konsumieren • Wiederholter Gebrauch, der zu einem • Anhaltender Wunsch / erfolglose Versuche, • Wiederholter Gebrauch in Situationen, in als beabsichtigt den Gebrauch zu vermindern • Viel Zeit für Beschaffung, Gebrauch und Erholung von den Wirkungen • Einschränkung wichtiger sozialer, beruflicher oder Freizeitaktivitäten • Fortgesetzter Gebrauch trotz Kenntnis der persönlichen Schädigung Versagen bei der Erfüllung wichtiger Pflichten führt der es zu einer körperlichen Gefährdung kommen kann • Fortgesetzter Gebrauch trotz persistierender oder wiederholter sozialer Probleme 2) Diagnostik In der Diagnostik von Substanzstörungen gibt es spezifische Herausforderungen! • • • • • Geringe Eigenmotivation Soziale Erwünschtheit Angst vor Strafverfolgung Bagatellisierung, fehlende Problemeinsicht Unterbericht des Konsums Wie kann man damit umgehen? • • • • Verschiedene Quellen nutzen Aussagen Dritter einbeziehen Aktenlage beachten Biomarker hinzuziehen (Alkohol- und Drogentests) 2) Diagnostik Welche Diagnostischen Instrumente stehen zur Verfügung (Bsp.)? • • • • Erhebung von Konsummustern Tagebuch Timeline-Follow-Back Form 90 Teilweise in anderen Instrumenten enthalten (CIDI, ASI) • • • Klassifikatorische Diagnostik CIDI SKID DIPS • • • • Erhebung des Schweregrads AUDIT/ DUDIT MATE PREDI ASI • • • Und etliche substanzspezifische Fragebögen (Bsp.) Trierer Alkoholismus Inventar Fagerström Test for Nicotine Dependence Marijuana Craving Questionnaire 3) Epidemiologie und Spontanverlauf In Kürze • Substanzstörungen sind häufige psychischen Störungen • Substanzstörungen sind hoch komorbid • Substanzkonsum und -störungen verursachen … hohe gesellschaftliche Kosten … ernste Gesundheitsprobleme … Mortalität … Einschränkungen/Behinderungen 3) Epidemiologie und Spontanverlauf Häufigkeit von Substanzstörungen Jacobi et al. (2014) 3) Epidemiologie und Spontanverlauf Häufigkeit von Substanzstörungen 12-Monatsprävalenzen in der Allgemeinbevölkerung • Alkoholstörungen: Jeweils 3% DSM-IV Missbrauch und Abhängigkeit (Männer > Frauen) • Cannabisstörungen: Jeweils 0.5% DSM-IV Missbrauch und Abhängigkeit (Männer > Frauen) • Nikotinabhängigkeit: 11.0% • Sedativa: 0.8% (Missbrauch), 1.4% (Abhängigkeit) Pabst et al., 2013; Epidemiologischer Suchtsurvey, 2012 3) Epidemiologie und Spontanverlauf Hochrisikophasen für die Inzidenz von Substanzstörungen liegen im 2. und 3. Lebensjahrzehnt 0.25 0.2 Alkoholmissbrauch (N= 735) Proportion Cannabismissbrauch (N=303) 0.15 0.1 0.05 0 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 Alter EDSP, Behrendt et al., 2009 3) Epidemiologie und Spontanverlauf Hochrisikophasen für die Inzidenz von Substanzstörungen liegen im 2. und 3. Lebensjahrzehnt 0.4 0.35 0.3 Proportion 0.25 Alkoholabhängigkeit (N= 320) Nikotinabhängigkeit (N= 838) Cannabisabhängigkeit (N= 102) 0.2 0.15 0.1 0.05 0 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 Alter EDSP, Behrendt et al., 2009 3) Epidemiologie und Spontanverlauf Jungen/Männer Mädchen/Frauen Females > Males (HR= 2.3*) Females > Males (HR= 1.7*) Females < Males (HR= 0.3*) 0.6 0.6 Cumulative incidence (proportion) Cumulative incidence (proportion) any anxiety disorder any depressive disorder any substance abuse/dependence (no nic.) 0.5 0.4 0.3 0.2 0.1 0 0 2 4 6 8 10121416182022242628303234 Age in years HR*: significant Hazard Ratio from Cox-Regressions (p<.001) 0.5 0.4 0.3 0.2 0.1 0 0 2 4 6 8 10121416182022242628303234 Age in years EDSP, 2008 3) Epidemiologie und Spontanverlauf Verlauf • Früher hielt man Substanzstörungen für sehr stabil bzw. unausweichlich progredient • Woran könnte das gelegen haben? Alkoholabhängigkeit: Letzte 12 Monate Medikamentenabhängigkeit: Letzte 12 Monate 13% 34% Behandlung Keine Behandlung 87% 66% Behandlung Keine Behandlung Viele kommen spät oder gar nicht in Behandlung – das prägt(e) das Störungsbild! (Mack et al., 2014, Hasin et al., 2007) 3) Epidemiologie und Spontanverlauf Verlauf • Früher hielt man Substanzstörungen für sehr stabil bzw. unausweichlich progredient • Epidemiologische Daten zeigen ein Bild variabler Verläufe mit Stabilität, Remission und Rückfall Alkoholabhängige Erwachsene (USA): Letzte 12 Monate Abhängig 18% • Regelmäßiger Konsum ist relativ stabil • Abstinenz ist sehr stabil • Missbrauch und Abhängigkeit: Variabler Verlauf, stabiler für Abhängigkeit • Fast alle Fälle mit Substanzabhängigkeit remittieren irgendwann – aber: große Latenzen (Lopez-Quintero et al., 2011) 25% Teilremission Problemkonsum/ symptomfrei 18% 12% 27% Risikoarmer Konsum Abstinent Dawson et al., 2005 3) Epidemiologie und Spontanverlauf Komorbidität • Substanzstörungen sind hoch komorbid • Vor allem mit anderen Substanzstörungen • Aber auch mit Angst-, affektiven und somatoformen Störungen 3) Epidemiologie und Spontanverlauf Komorbidität • Substanzstörungen sind hoch komorbid • Vorallem mit anderen Substanzstörungen • Aber auch mit Angst-, affektiven und somatoformen Störungen Hasin et al., 2007 4) Ätiologie von Substanzstörungen Modelle der Entstehung von Substanzstörungen Vulnerabilitäts-Stress-Modell • Modelle zu Teilaspekten des Vulnerabilitäts-Stress-Modells • Lerntheoretische Modelle • Neuropsychologische Modelle • Familiengenetische Modelle • (Identifikation von Risikofaktoren in der Epidemiologie) 4) Ätiologie von Substanzstörungen Modelle der Entstehung von Substanzstörungen Das Bio-Psycho-Soziale Modell 4) Ätiologie von Substanzstörungen Modelle der Entstehung von Substanzstörungen Die Selbstmedikationshypothese • Zentrale Annahme: Substanzen werden konsumiert, um die Symptome psychischer Störungen zu lindern • Befunde zur Risikoerhöhung bei z.B. Sozialer Phobie scheinen dies zu unterstützen • Aber: Psychische Störungen bilden nur einen Teil der Risikofaktoren für Substanzstörungen ab (Farmer et al., 2015) • Und: Oft nicht-signifikante Assoziationen zwischen Angst- und affektiven Störungen und Substanzstörungen (z.B. für Major Depression) 4) Ätiologie von Substanzstörungen Modelle der Entstehung von Substanzstörungen Gemeinsame Vulnerabilität für externalisierende Störungen • Zentrale Annahme: Substanzstörungen werden begünstigt durch eine Vulnerabilität für externalisierendes (unkontrolliertes, impulsives) Verhalten. Diese Vulnerabilität ist erblich und somit familiär gehäuft. • Studien zeigen eine relativ störungsunspezifische familiäre Aggregation dieser Störungen (Hicks et al., 2004, Marmorstein et al., 2009) • Aber gilt das für alle Substanzstörungen? Bsp. Benzodiazepinabhängigkeit bei älteren Frauen 4) Ätiologie von Substanzstörungen Modelle der Entstehung von Substanzstörungen Gateway-Hypothese • Eigentlich ein Modell zum Konsum illegaler Drogen wie Heroin • Zentrale Annahme: Substanzkonsum folgt verschiedenen Stufen (Alkohol/Nikotin -> Cannabis -> Andere illegale Drogen) Einwände: • Reihenfolge des Konsumbeginns für verschiedene Substanzen nicht immer repliziert (Bsp. Verarmte innerstädtische Populationen in den USA) • Das Modell lässt offen, warum nicht alle Cannabiskonsumenten später einmal andere Drogen nehmen • Evtl. sind andere Faktoren bedeutsamer, z.B. die Frequenz des Cannabiskonsums (Fergusson et al., 2006) 4) Ätiologie von Substanzstörungen Modelle der Entstehung von Substanzstörungen Lerntheoretische Modelle • Wichtig zum Verständnis des scheinbar paradoxen Verhaltens bei Substanzstörungen! • Klassisches Konditionieren: NS werden zu CS -> können Suchtdruck auslösen (Konzept der Cue-Reactivity) • Operantes Konditionieren: Positive Verstärkung (Rausch), Negative Verstärkung (Beendigung des Entzugs) • Hypothese der Überlegenheit von Substanzen als Verstärker: Schnell verfügbar und sofort belohnend (Vergleiche: Gespräch mit Freunden, Musikinstrument spielen) • Modelllernen 4) Ätiologie von Substanzstörungen Modelle der Entstehung von Substanzstörungen Neurobiologische Modelle • Toleranz • Entzugssyndrom • Endorphinmangelhypothese (Alkohol): Genetischer oder erworbener Defekt in Transmittersystemen führt zu mangelnder Aktivierung des Belohnungssystems im Gehirn -> Konsum 5) Intervention Das Versorgungssystem Das Suchthilfesystem • Finanziert von Kommunen und der Rentenversicherung • Suchtberatungsstellen und Fachkliniken Weitere Einrichtungen • Allgemeinkrankenhäuser und Psychiatrien • Psychotherapeutische Praxen • Substitution in Arztpraxen und Substitutionszentren • Selbsthilfegruppen 41 5) Intervention Ziele Therapieziele in der Behandlung von Substanzstörungen: • Abstinenz • Kontrollierter Konsum • Punktabstinenz • Reduktion • Risikoarmer Konsum • Harm Reduction • Stabile Substitution Aber: Nicht alle Ziele sind im Versorgungssystem für alle Diagnosen vorgesehen! 42 5) Intervention Struktur der Behandlung von Substanzstörungen 1a. Entzug: Dauer mehrere Tage je nach Schweregrad (Alkohol 7-13 Tage), Allgemeinkrankenhaus oder Psychiatrie; niedergelassene Ärzte, Suchtfachambulanzen) 1b. Alternativ: Qualifizierter Entzug: Mit psychosozialer Unterstützung (Entspannung und Ablenkung, Gruppentherapie, Psychoedukation). Ziel: Motivation zu weiterer Behandlung) (14 - 21 Tage) 2. Entwöhnung: Aufbau Abstinenzmotivation, Rückfallprävention, soziale Stabilisierung, Aufbau von Bewältigungsfertigkeiten (2-6 Monate; Fachklinik, Psychiatriestationen, ambulante Suchtberatung oder Psychotherapie) 3. Ambulante Nachsorge: Psychotherapie, Suchtberatung (2-6 Monate), Selbsthilfegruppe 5) Intervention Inhalte der Behandlung von Substanzstörungen (Übersicht) • Diagnostik • Motivierung (zu allen Zeitpunkten möglich) • Informationsvermittlung (sogen. Psychoedukation) • Identifikation von Risikosituationen und Funktionalität • Rückfallprophylaxe • Kognitive Verfahren (z.B. zu Konsum-bezogenen Grundannahmen) 5) Intervention Motivation Ein zentrales Problem bei der Behandlung aller Substanzstörungen ist die oft geringe Motivation bzw. die Ambivalenz der Patienten zur therapeutisch angestrebten Veränderung. Häufig: Externe Motivation (Gericht, Arbeitgeber, Partner). • Gründe für Ambivalenz oder geringe Motivation: Funktionalität des Konsums, Scham • Veraltete Vorgehensweise: Konfrontation (führt zu Abbrüchen und therapeutischem Misserfolg) • Heute sind motivierende Interventionen zentraler Bestandteil der Therapie für Substanzstörungen! • Motivational Interviewing (MI) als Methode der Gesprächsführung • Ziel des MI: Evokation der Motivation • Prinzipien des MI: Diskrepanz herausarbeiten, Selbstwirksamkeit stärken, Widerstand geschmeidig begegnen, Respekt der Autonomie und Empathie 5) Intervention Interventionen zur Rückfallprophylaxe (Bsp.) • Rational: Rückfallgefahr ist bei Substanzstörungen immer gegeben • Oft geschehen mehrere Rückfälle vor dem Erreichen einer dauerhaften Abstinenz Interventionen: • Ablehnungstraining • Bewältigungstonband • Exposition • Notfallplan Zusammenfassung • Der Konsum psychotroper Substanzen ist so alt wie die Menschheit. Seine Bewertung ist sehr abhängig von Kultur und Politik. Man kann Substanzstörungen nach der beteiligten Substanz oder der Störung unterscheiden. • Wichtige Diagnosen sind Substanzmissbrauch und –abhängigkeit (DSM) und schädlicher Konsum bzw. Abhängigkeit (ICD). • Substanzstörungen sind häufige, oft komorbide Störungen. Sie beginnen oft früh im Leben (2. Jahrzehnt). Sie sind aber entgegen älterer Annahmen nicht zwingend stabil. • In der Diagnostik und Therapie von Substanzstörung muss mit ambivalenter Motivation gerechnet werden. In der Diagnostik sollten daher verschiedene Informationsquellen berücksichtigt werden. In der Therapie wird mit MI als Methode der Gesprächsführung gearbeitet. Prüfungsfragen (für die Klausur im SS2017, nicht für den 30.01.) • Welche Substanzstörungen nach DSM-IV und ICD-10 kennen Sie? • Was ist eine psychotrope Substanz? • Welche Probleme gibt es häufig bei der Diagnostik von Substanzstörungen? • Wie begegnet man ihnen? • Welche diagnostische Instrument ist zur klassifikatorischen Diagnostik von Substanzstörungen geeignet? • Nennen Sie ein ätiologisches Modell für Substanzstörungen! • Welche Interventionen für die Rückfallprophylaxe bei Substanzstörungen kennen Sie? Literatur • Bühringer G. & Behrendt, S. (2011). Störungen durch Substanzkonsum – Eine Einführung. In: Wittchen, H.-U. & Hoyer, J. (2011). Klinische Psychologie und Psychotherapie (S. 879 -914). Heidelberg: Springer