FREIE UNIVERSITÄT BERLIN FACHBEREICH ERZIEHUNGSWISSENSCHAFT UND PSYCHOLOGIE INSTITUT FUTUR ARBEITSBEREICH ERZIEHUNGSWISSENSCHAFTLICHE ZUKUNFTSFORSCHUNG MASTERARBEIT IM STUDIENGANG „ZUKUNFTSFORSCHUNG MASTER OF ARTS“ THEMA: Die Präimplantationsdiagnostik als Ausgangspunkt einer Darstellung über die Verknüpfungsmöglichkeiten von Zukunftsforschung und Zukunftsethik ERSTGUTACHTER: PROF. DR. GERHARD DE HAAN ZWEITGUTACHTER: BJÖRN HELBIG, M.A. VORGELEGT VON: DAVID MAUER MATRIKEL – NR.: 4494520 E-MAIL: [email protected] BERLIN, DEN 06. AUGUST 2012 KURZBESCHREIBUNG Die Anwendung der Präimplantationsdiagnostik (PID) in Deutschland hat eine kontroverse und vieldimensionale öffentliche Debatte angestoßen, in der die Grenzen der bisherigen rechtlichen und ethischen Rahmenbedingungen aufgezeigt wurden. In dieser Diskussion wurde nicht zuletzt der gegenwärtige Ist-Zustand besprochen sondern auch der Soll-Zustand einer zukünftigen Gesellschaft verhandelt, denn die PID könnte nicht nur dem Schutz der Frau und der Geburt eines gesunden Kindes dienen, sondern, so befürchten Ethiker, das Heraufkommen einer liberalen Eugenik anstoßen und die Zukunft der menschlichen Natur bedrohen. Vor dem Hintergrund dieses Bedrohungsszenarios der PID wurde das Einnehmen der Zukunftsperspektive und die Auseinandersetzung mit Entwicklungsalternativen von der Fragestellung geleitet: Wie lässt sich mit den gegenwärtigen Voraussetzungen und Bedingungen einer wirkungsmächtigen Gendiagnostik ein gutes Leben auch noch in Zukunft realisieren? Diese Arbeit greift die Zukunftsdebatte um die PID als Ausgangspunkt auf, um die Zukunftsforschung und die Zukunftsethik und ihre wechselseitigen Relevanzen am Beispiel der PID zu analysieren, um daran Aufzuzeigen und Darzustellen, wie diese beiden wissenschaftlichen Disziplinen mögliche Lösungsansätze für diese Problematik liefern und im Zusammenspiel wahrscheinliche Synergieeffekte hervorbringen könnten. INHALTSVERZEICHNIS 1. EINLEITUNG ........................................................................................ 1 1.1 Problemaufriss und Erkenntnisinteresse ....................................................... 1 1.2 Auseinandersetzung mit dem Forschungsstand ........................................... 3 1.3 Vorgehensweise und Aufbau der Arbeit ....................................................... 5 2. PRÄIMPLANTATIONSDIAGNOSTIK ...................................................... 8 2.1 Medizinisch-naturwissenschaftliche Einführung zur PID .............................. 8 2.2 Rechtliche Rahmenbedingungen der PID in Deutschland ........................... 10 2.3 Ethische Aspekte der PID ............................................................................. 12 2.4 Gegenwärtige ethische Ressourcen und das Bedrohungsszenario der PID 16 2.5 Zwischenfazit ............................................................................................... 19 3. ZUKUNFTSETHIK ............................................................................... 21 3.1 Werte für eine Welt von morgen ................................................................ 21 3.2 „Das Prinzip Verantwortung“ ...................................................................... 27 Die praktische Anwendung vom „Prinzip Verantwortung“ am Beispiel der PID .............. 30 3.3 Anthropologische Grenzen der Zukunftsverantwortung und die PID ......... 32 3.4 Zwischenfazit ............................................................................................... 38 4. ZUKUNFTSFORSCHUNG .................................................................... 41 4.1 Ontologische und epistemologische Grundlagen der Zukunftsforschung am Beispiel der PID ............................................................................................ 41 Technikzukünfte und die PID ............................................................................................ 47 4.2 Erkenntnisziele der Zukunftsforschung ....................................................... 50 4 0. Kurzbeschreibung 4.3 Zwischenfazit ............................................................................................... 53 5. VERKNÜPFUNGSMÖGLICHKEITEN VON ZUKUNFTSFORSCHUNG UND ZUKUNFTSETHIK ............................................................................... 55 6. FAZIT ................................................................................................ 64 7. LITERATURVERZEICHNIS ................................................................... 67 8. ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS .............................................................. 75 9. ABBILDUNGSVERZEICHNIS................................................................ 76 1. EINLEITUNG 1.1 Problemaufriss und Erkenntnisinteresse Aldous Huxley (u. a. 2011) skizzierte 1932 in seiner Dystopie eine „Schöne neue Welt“, in welcher scheinbar – im Gegensatz zu Thomas Morus Utopie „Utopia“ von 1516 – eine perfekt funktionierende Gesellschaft nach den Maximen: „Stabilität“, „Frieden“ und „Freiheit“ glücklich zusammenlebt. Der Schein in Huxleys bekannter Zukunftsvision trügt aber. Die „vollkommene“ Gesellschaft ist das Ergebnis eines allumfassenden Systems aus künstlicher Fortpflanzung, Konditionierung und Indoktrination eines totalitären Weltstaates. Das personale Dasein ist darin künstlich produziert und das sittliche Subjektsein strenger Kontrolle und Überwachung sowie dauernder Manipulation ausgesetzt. Dafür spielen in Huxleys dystopischer Welt zwei Konditionierungsvorgänge eine zentrale Rolle: Als Erstes findet eine biologische Konditionierung statt, die die menschliche Fortpflanzung komplett von der Sexualität entkoppelt und sie alleinig zum Produkt eines technischen Verfahrens macht. Als Zweites folgt die soziale Konditionierung durch Indoktrination. Bereits bei den Kindern werden durch „Schlaflernen“ Glück, Kastenzugehörigkeit und Gemeinschaft im moralischen Denken und Handeln fest verankert. Diese „Schöne neue Welt“ steht im Widerspruch zu heutigen Wert- und Moralvorstellungen eines freien und selbstbestimmten Lebens.1 1 Dazu das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland (Deutscher Bundestag 2010, besonders Artikel 1 - 6; 12 und 18). 2 1. Einleitung Dennoch hat Huxleys Roman auch heute noch nichts von seiner Aktualität verloren. Viele seiner Prophezeiungen sind vor dem Hintergrund wachsenden Fortschritts in der Reproduktionsmedizin und der Genetik technisch möglich geworden. Wo wir heute stehen, zeigt der Vergleich von Huxleys technisch vollständig bestimmter Reproduktion und einem „normalen“ Fortpflanzungsprozess. Demnach befinden wir uns gegenwärtig zwischen diesen beiden Polen. So zeigen sich eindeutige Entwicklungslinien hin zu einer zunehmenden Beeinflussung der Entstehung sowie der Kontrolle des vorgeburtlichen Zustandes des Menschen. Möglich sind heute manipulierende Eingriffe in das menschliche Erbgut sowie die künstliche Befruchtung und Erzeugung von Embryonen in-vitro. Die vollständige Entwicklung des vorgeburtlichen Lebens in-vitro, wie es die Vision Huxleys annimmt, ist gegenwärtig technisch nicht möglich, noch in absehbarer Zeit realisierbar. Die heutige Reproduktionsmedizin und als Teil dieser, die Präimplantationsdiagnostik (PID), lassen aber einige Parallelen zu Huxleys Fortpflanzungsvision Realität werden. Mit Hilfe der PID ist es technisch möglich geworden, einen in-vitro erzeugten Embryo auf genetische Erbkrankheiten zu untersuchen. Nach der Diagnose durch die PID unterliegt das Fortbestehen des Embryos einer Selektionsentscheidung nach krankheitsrelevanten Kriterien. Diese Selektion kann nicht nur existenzielle Folgen für einen Embryo mit Krankheitsmerkmalen haben, sondern wirkt auch auf die soziale Umwelt. In der gegenwärtigen medizinischen, rechtlichen und ethischen Debatte über den Umgang und den Gebrauch der PID stehen die Werte Natürlichkeit, Würde, Identität und Selbstbestimmung in Frage, wie sie in Huxleys Dystopie ebenso zur Disposition standen. Die auf uns zukommende Frage ist also: Welchen Weg wollen wir in Zukunft gehen? In Huxleys Vision gibt es keine offene und gestaltbare Zukunft, da jedes Individuum seit seiner Geburt in seinem Lebenslauf sowie seinem Denken und Handeln vorgezeichnet ist. Darin ist die Wiederkehr der Gegenwart das entscheidende Moment der Weltstaatsziele. Ein totalitäres Weltstaatssystem scheint heute in weite Ferne gerückt. Die von Huxley geschilderten „Fortschritte“ in der Reproduktionsmedizin und die damit verbunde- 1.2 Auseinandersetzung mit dem Forschungsstand 3 nen Chancen und Gefahren sind mit der Anwendung der PID teilweise gegenwärtig geworden. Viele Akteure erkennen darin einen Scheideweg, der zumindest die Gefahr einer biologischen Konditionierung nach falschen Vorstellungen für eine mögliche Entwicklung im Zusammenhang des Umgangs und des Gebrauchs der PID bereithält. Begriffe wie „human enhancement“ oder „genetic enhancement engineering“ (dt: Herbeiführen einer genetischen Verbesserung des Menschen) sind aussagekräftige Indikatoren einer neuen Biomedizin mit eugenischem Leitbild. Damit diese Entwicklung adäquat flankiert wird, braucht es passende Konzepte, welche die Tragweite dieser Problemlage verdeutlichen, ihre Auswirkungen vergegenwärtigen und Orientierungswissen bereitstellen, auf dessen Basis der gesellschaftliche Aushandlungsprozess und die normativen Rahmenbedingungen einer Gesellschaft zu gestalten sind, um eine gute Zukunft offenzuhalten. Dieser Kontext stellt den Ausgangspunkt der vorliegenden Arbeit dar. Die Darstellung der Verknüpfungsmöglichkeiten von Zukunftsforschung und Zukunftsethik am Beispiel der PID und die Erkenntnis über die Möglichkeiten dieser beiden Disziplinen, derartigen Problemlagen begegnen und lösungsorientiert begleiten zu können, ist die allgemeine Zielsetzung dieser Arbeit. Mit dieser allgemeinen Zielsetzung sind mehrere Erkenntnisziele verbunden. Das deskriptive Erkenntnisziel dieser Arbeit ist das Beschreiben der einzelnen Themenbereiche PID, Zukunftsethik und Zukunftsforschung und die Darstellung ihrer jeweiligen Verbindungen. Das theoretische Erkenntnisziel ist das Erklären des Entstehens ihrer Zusammenhänge und ihrer wechselseitigen Relevanzen. Das wissenschaftstheoretische Erkenntnisziel ist die Erkenntnis, über die disziplinären Kooperationsmöglichkeiten der Zukunftsforschung und der Zukunftsethik. 1.2 Auseinandersetzung mit dem Forschungsstand Die PID ist umfangreich besprochen und begründet worden. Ihre medizinischen, rechtlichen und ethischen Dimensionen wurden aufgrund der kontroversen Debatte über ihre Zulassung in Deutschland 2011 von vielen gesellschaftlichen sowie politischen Ak- 4 1. Einleitung teuren und Institutionen diskutiert. Dazu können eine Vielzahl an Publikationen aufgezählt werden, die von den unterschiedlichsten Disziplinen veröffentlicht wurden. Hierin sind die Zentralen: die Medizin, die Rechtswissenschaften und die Ethik bzw. Bioethik. Medizinische Studien zur PID aus Deutschland gibt es nur wenige. Die Wenigen werden in der Datensammlung der European Society of Human Reproduction and Embryology (ESHRE) aufgenommen und veröffentlicht. Die ESHRE trägt aus ganz Europa und Teilen der Welt die Daten über die klinische Anwendung der PID zusammen und veröffentlicht diese turnusmäßig. Aus diesen Datensätzen lässt sich die medizinische Entwicklung der PID für Europa, aber auch für einen Teil der Welt nachvollziehen (vgl. Harper et al. 2012). Eine weitere wichtige Veröffentlichung in Deutschland war das Memorandum zur PID der Deutschen Ärztekammer (vgl. Bundesärztekammer 2011). Darin wurde eine Analyse der PID auf allen drei Ebenen – medizinisch, rechtlich und ethisch – vorgenommen und Vorschläge für ihre rechtliche Regelung aufgeführt. Die Rechtswissenschaften haben besonders im Vorfeld der Zulassung der PID in Deutschland gewirkt, da die Rechtsunsicherheit mit der Anwendung der PID in Deutschland vor 2011 zu einem Erfordernis der gesetzgebenden Gewalt wurde und Gesetze verändert bzw. neu aufgestellt werden mussten. Demnach ist das neue Gesetz zur Regelung der PID eine entscheidende Ausgangslage und ein nicht aus den Augen zu verlierender rechtlicher Rahmen für diese Arbeit, da mit dieser gesetzlichen Regelung die praktisch-zulässige Anwendung der PID in Deutschland abgesteckt ist (vgl. Deutscher Bundestag 2011). Eine Publikation, welche die ethische Entscheidungsfindung maßgeblich beeinflusste, war die Stellungnahme des Deutschen Ethikrates zur PID, veröffentlicht 2011 (vgl. Deutscher Ethikrat 2011). Diese Stellungnahme brachte die zentralen ethischen Argumente und Gegenargumente über die PID in die öffentliche und politische Debatte ein. Nur auf dieser Grundlage konnte eine adäquate politische Entscheidung über die Zulassung der PID in Deutschland 2011 getroffen werden. Kennzeichnend für diese Publikation ist, dass sie der PID eine zukunftsethische Relevanz zuschreibt und damit eine wichtige Grundlage für die Argumentation dieser Arbeit legte. 1.3 Vorgehensweise und Aufbau der Arbeit 5 Die wichtigsten Arbeiten der Zukunftsethik sind das „Prinzip Verantwortung“ von Hans Jonas (2003) aus dem Jahr 1979 und die „Verantwortung für zukünftige Generationen“ von Dieter Birnbacher (1988) aus dem Jahr 1988. Eine dezidierte Auseinandersetzung mit den ethischen Problemlagen der PID ist nicht vorhanden. Vielmehr ist allgemeiner die Entwicklung der Gentechnik ein Problembereich, der die Zukunftsethik in ihrer Argumentation aufgreift, diese aber nur als Beispiel für eine allgemeine Entwicklung innerhalb der technologischen Zivilisation verwendet (dazu Jonas 1987b: „Technik, Medizin und Ethik“) Der Beitrag „Auf der Schwelle der Zukunft: Werte von gestern und Werte für morgen“ (1987a) spielt neben dem „Prinzip Verantwortung“ eine Schlüsselrolle in der Auseinandersetzung dieser Arbeit. Der Forschungsstand der Zukunftsforschung ist in diesem Kontext nicht eindeutig zu bestimmen, da aufgrund ihrer disziplinären Kennzeichen, die theoretische Arbeit sich eher um epistemologische und methodische Fragestellungen und Problemlagen gruppiert. Der Bezug zur Zukunftsethik und besonders zu Jonas wird in der Zukunftsforschungsliteratur immer wieder genannt, darin aber meist in der Bezugnahme zur Technikfolgenabschätzung (vgl. Grunwald 2010). Demnach wird über „Technikzukünfte“ eine mögliche wissenschaftliche Zusammenarbeit dieser beiden Disziplinen aufgezeigt (vgl. acatech 2012). 1.3 Vorgehensweise und Aufbau der Arbeit Die zentrale Methode, welche für diese Arbeit angewendet wird, ist die hermeneutische Analyse. Mit ihr werden die Untersuchungsgegenstände PID, Zukunftsethik und Zukunftsforschung theoretisch beschrieben und erklärt. Die PID wurde als Untersuchungsgegenstand ausgewählt, weil die Folgendiskussion der PID in der Öffentlichkeit u. a. als Zukunftsdebatte ausgetragen wird. Dieser Zukunftsbezug macht es nötig, auch zukunftsethische Kriterien bei den Entscheidungen und Handlungen, die in der Praxis der PID vorgenommen werden, mitzudenken. Aus diesem Grund bleibt eine Beschäftigung mit der Zukunftsethik als Untersuchungsgegenstand nicht aus. Die Zukunftsforschung als Untersuchungsgegenstand wurde als Folge der Frage ausgewählt: Ob es denkbar wäre, dass diese junge Wissenschaft in 6 1. Einleitung Zukunft in der Verknüpfung mit der Zukunftsethik ihr wissenschaftliches Curriculum stärken könne, um sich in der Wissenschaftslandschaft weiter zu etablieren. Diese Frage kann in diesem Rahmen nicht abschließend geklärt werden. Denkbar wäre, dass diese Arbeit als Vorarbeit für eine spätere Qualifikationsarbeit gesehen werden könnte, in welcher der Rahmen für einen solchen Fragenkomplex geeigneter aufzuspannen wäre. Der Aufbau dieser Arbeit strukturiert sich im Wesentlichen in vier Kapitel, die jeweils in mehrere Abschnitte untergliedert sind. Demnach wird im Kapitel: Präimplantationsdiagnostik und den Abschnitten 2.1 bis 2.3 die PID näher eingeführt und ihre medizinisch-naturwissenschaftlichen, rechtlichen und ethischen Aspekte dargestellt. Dieses Vorgehen ist nötig, da die PID den Ausgangspunkt dieser Arbeit bildet und damit ihre eingehende Beschreibung vorausgehen muss. Es dient auch dem Zweck, die Praktik der PID zu vergegenwärtigen, damit eine gewisse Vertrautheit mit diesem Untersuchungsgegenstand, die für das Verständnis dieser Arbeit wesentlich ist, geschaffen wird. Anzumerken ist, dass die Betrachtung der PID hier nur für den deutschen Raum vorgenommen werden kann und damit nur für diesen nationalen Rahmen aussagekräftig ist. Im Abschnitt 2.4 wird ein Bedrohungsszenario der PID aufgestellt und danach gefragt, ob die gegenwärtigen ethischen Ressourcen ausreichend sind, um den Herausforderungen und den ethischen Konflikten, die mit der PID aufkommen zu begegnen. Dieser Abschnitt bildet zugleich die Überleitung zum nächsten Kapitel: Zukunftsethik. Dieses Kapitel beschäftigt sich mit der aus Abschnitt 2.4 aufgeworfenen Frage und versucht zu analysieren, welche ethischen Ressourcen für eine gegenwärtige Welt aber auch für eine Welt von morgen nötig sind (Abschnitt 3.1). Dazu wird im Abschnitt 3.2 das „Prinzip Verantwortung“ von Jonas eingeführt, als Beispiel einer ethischen Ressource für eine Welt von morgen. In diesem Abschnitt soll die praktische Verbindung vom „Prinzip Verantwortung“ und der PID hergestellt werden, um darauf Antworten zu bekommen, ob dieses Verantwortungsprinzip den Herausforderungen und Konflikten mit der PID adäquat begegnen könnte. Der folgende Abschnitt 3.3 zeigt die anthropologischen Grenzen auf, die mit einer adäquaten Zukunftsverantwortung, wie sie Jonas vorschlägt, verbunden sind. Darin stellt sich die Frage, ob die Menschen überhaupt in der Lage sind, Zukunftsverantwortung zu übernehmen oder ob sie an Grenzen stoßen, 1.3 Vorgehensweise und Aufbau der Arbeit 7 die sie aufgrund ihrer Wesenszugehörigkeit nicht überschreiten können. Der Bezug zur PID kann diese anthropologischen Begrenzungen beispeilhaft darstellen. Das folgende Kapitel: Zukunftsforschung begegnet der PID im Abschnitt 4.1 mit einer Analyse der ontologischen und epistemologischen Grundlagen der Zukunft. Hierin soll geklärt werden, welchen Bezug die PID zur Zukunft hat und ob Technikzukünfte ein Mittel sind, um diesen Bezug auszudrücken. Abschnitt 4.3 soll sich dann näher mit den Erkenntniszielen der Zukunftsforschung befassen, den Charakter dieser Wissenschaft zu verdeutlichen, um daraus im folgenden Kapitel: Verknüpfungsmöglichkeiten von Zukunftsforschung und Zukunftsethik eine Diskussion zu führen, in der es um den inneren Zusammenhang dieser beiden Disziplinen geht. Ein abschließendes Fazit resümiert den Erkenntnisgewinn der gesamten Arbeit. Zum Abschluss dieses Abschnittes sind noch einige grundsätzliche Hinweise zu geben: Die Begriffe Technologie und Technik sollen hier synonym verwendet werden, auch wenn ihre Differenzierung in Technologie, als Gesamtkomplex der Entwicklung und Anwendung von einzelnen Techniken und in Technik, als ein angewandtes Element einer Technologie, unterschieden werden kann. Die Begriffe Ethik und Moral sollen hier nicht synonym verwendet werden, sondern entsprechend der klassischen Differenzierung unterschieden werden. Darin ist die Moral ein Komplex von Normen und Verhaltensweisen und die Ethik eine wissenschaftliche Theorie der Moral sowie ein allgemeingültiges System der Urteilsfindung und Handlungsorientierung. 2. PRÄIMPLANTATIONSDIAGNOSTIK 2.1 Medizinisch-naturwissenschaftliche Einführung zur PID Die Präimplantationsdiagnostik (PID) ist ein gendiagnostisches Untersuchungsverfahren innerhalb der Reproduktionsmedizin, mit dessen Hilfe ein durch In-vitroFertilisation (IVF) – künstliche Befruchtung im Glas – erzeugter Embryo noch vor der Einpflanzung in die Gebärmutter auf Erbkrankheiten und Anomalien der Chromosomen untersucht werden kann. Ziel der PID ist es, Paaren mit hohem genetischen Risiko zu einer Schwangerschaft mit einem von dieser genetischen Erkrankung unbelasteten Embryo zu verhelfen. Durch ihre extra-korporale Anwendung grenzt sich die PID zu anderen zellbiologischen und molekulargenetischen Untersuchungsverfahren der Reproduktionsmedizin, beispielsweise der Pränataldiagnostik (PND), welche im Mutterleib durchgeführt wird, ab. Medizinische Indikationen für die Anwendung der PID sind eine vorliegende schwere erbliche Belastung in der Familie durch monogene Erkrankungen, wie Chorea Huntington, wiederholt erfolglose IVF –Behandlung oder Intrazytoplastische Spermieninjektion (ICSI)2 sowie wiederholte Fehlgeburten. Bei der Durchführung der PID wird das Erbgut von ein bis zwei Zellen eines in-vitro erzeugten Embryos während des sogenannten 8-Zell-Stadiums3 und damit ungefähr drei Tage nach der Befruchtung auf krankheitsrelevante Merkmale untersucht. 2 Bei der ICSI wird eine einzelne, vorher bereits isolierte Samenzelle direkt mit Hilfe einer Kanüle in die Eizelle injiziert. 3 Zellen im 8-Zell-Stadium sind pluripotent, d. h. sie sind nicht mehr in der Lage einen gesamten Organismus zu bilden. Im Gegensatz dazu stehen totipotente Zellen (Zellen bis 8-Zell-Stadium), die in entsprechender Umgebung z. B. in der Gebärmutter zu einem kompletten Individuum heranwachsen können. Die Biopsie von pluripotenten Zellen innerhalb der PID ist ein möglicher Weg, um ethische Vorbehalte zu mindern, da die Fähigkeit zur Bildung des Ganzen nicht mehr gegeben ist. 2.1 Medizinisch-naturwissenschaftliche Einführung zur PID 9 Zusätzlich lassen sich weitere nicht krankheitsrelevante Merkmale aus der Untersuchung ermitteln. Diese können das Geschlecht des Embryos, das Vorhandensein einer bestimmten Behinderung oder die Eignung als Organ- bzw. Gewebespender für ein erkranktes Geschwisterkind sein. Wird bei einem Embryo eine genetische Auffälligkeit festgestellt, liegen also genetische Mutationen oder Chromosomenanomalien vor, die wiederum zu einer schweren Behinderung des Kindes führen könnten, so wird das geschädigte Embryo verworfen und nicht in den Mutterleib übertragen. Nach internationalen Erfahrungen sind durchschnittlich sieben Präimplantationsembryonen notwendig, um wenigstens zwei nicht betroffenen Embryonen für eine Übertragung zur Verfügung zu haben (vgl. Bundesärztekammer 2011, S. 5). Wurde die PID erfolgreich durchgeführt, kam es also nach dem Transfer eines nicht geschädigten Embryos in die Gebärmutter zu einer Schwangerschaft, werden die Befunde der PID mit Hilfe der PND überprüft. Medizinische Risiken des PID-Verfahrens für die Frau sind eine erhöhte Infektionsgefahr, welche durch die Eizellenentnahme und dem Transfer der Embryonen nach der Diagnose hervorgerufen werden können sowie das verstärkte Auftreten des Ovarial Hyperstimulations-Syndroms (OHSS)4. Das OHSS tritt verstärkt im Zusammenhang mit der PID auf, da ein erhöhter Hormonspiegel im Körper der Frau hervorgerufen wird, welcher mit der verstärkten hormonellen Stimulation des Eisprunges sowie durch eine Überfunktion der Eierstöcke nach der Eizellenpunktion einhergeht. Dieser Effekt wird zudem noch verstärkt, weil in der Regel mehr Eizellen für die PID gewonnen werden müssen, als für die IVF oder ICSI ohne PID. Neben diesen Risiken kommt es bei extra-korporaler Befruchtung gehäuft zu Mehrlingsschwangerschaften, die mit entsprechenden Risiken verbunden sind. Auch die psychische Belastung der Frau und des Paares durch Hormonbehandlungen sowie durch Hoffnungen und Ängste bezüglich des Erfolges der PID sind ein weiterer medizinischer Risikofaktor (vgl. DRZE - Deutsches Zentrum für Ethik in den Biowissenschaften 2011). Die PID wird in den USA und in Europa seit 20 Jahren praktiziert. 4 In schweren Fällen führt das OHSS zu schmerzhaften zystischen Vergrößerungen der Eierstöcke, eine erhöhte Durchlässigkeit der Blutkapillaren mit Wasseransammlungen im Bauchraum sowie zu Blutdruck – und Blutdichtenveränderungen. 10 2. Präimplantationsdiagnostik Für den Zeitraum von 1997-2009 dokumentierte die ESHRE international 33 271 PID-Zyklen aus denen 5 063 Kinder geboren wurden (Goossens et al. 2012, S. 1908). Für Deutschland sind genaue Zahlen nicht verfügbar. Es wird angenommen, dass in den kommenden Jahren nur mit wenigen Hundert PID-Zyklen zu rechnen ist (vgl. Krüger und Berchtold 2012, S. 66 sowie Diedrich et al. 2012, S. 43). Diedrich et al. bestätigen aber, dass 90 % der Paare, die durch eine genetische Erkrankung belastet sind, sich die PID wünschen (vgl. Diedrich et al. 2012, S. 41). Die strittige Gesetzeslage in Deutschland hatte viele Paare bisher dazu bewogen, die Diagnostik im Ausland durchführen zu lassen. 2.2 Rechtliche Rahmenbedingungen der PID in Deutschland Seit dem 8. Dezember 2011 besteht keine Rechtsunsicherheit mehr für Ärzte und Paare in Deutschland, nachdem der Bundesgerichtshof (BGH) das neue Präimplantationsgesetzt (PräimpG) und damit die eingeschränkte Zulassung der PID bestätigt hat. Die Notwendigkeit, ein neues Gesetz spezifisch für die PID aufzustellen, wurde 2010 durch das Urteil des BGH vom 6. Juli 2010 (BGH - Bundesgerichtshof 2010) eingeleitet, in dessen Folge eine breite gesellschaftliche und politische Debatte über die Zulässigkeit der PID in Deutschland ihren Höhepunkt fand. Der BGH stellte fest, dass das vorherrschende Embryonenschutzgesetzt (ESchG) keine sichere Rechtsgrundlage für den Umgang und die Anwendung der PID darstelle. Damit war die Bundestagsversammlung aufgerufen, Entwürfe für ein neues PräimpG anzufertigen, zur Diskussion zu stellen und abschließend zur Gesetzesabstimmung zu bringen. In dessen Verlauf publizierten zahlreiche Institutionen, wie die Bundesärztekammer (Bundesärztekammer 2011), als auch die Leopoldina – Nationale Akademie der Wissenschaften (Leopoldina - Deutsche Akademie der Naturforscher et al. 2011) sowie der Deutsche Ethikrat (Deutscher Ethikrat 2011) Stellungnahmen, die die politische Meinungsbildung und Entscheidungsfindung über die PID unterstützten. Nach ausgiebiger und kontroverser Debatte kam es im Deutschen Bundestag am 7. Juli 2011 zu einer eindeutigen Mehrheit für ein Gesetz zur begrenzten Zulassung der PID. 2.2 Rechtliche Rahmenbedingungen der PID in Deutschland 11 Das neue PräimpG verbietet die PID im Grundsatz gemäß § 3a Abs. 1., lässt sie nach § 3a Abs. 2 aber eingeschränkt zu, wenn „auf Grund der genetischen Disposition der Frau, von der die Eizelle stammt, oder des Mannes, von dem die Samenzelle stammt, oder von beiden für deren Nachkommen das hohe Risiko einer schwerwiegenden Erbkrankheit“ (Deutscher Bundestag 2011, S. 2228) zu erwarten ist. An gleicher Stelle heißt es weiter, dass die PID zulässig ist, wenn sie „zur Feststellung einer schwerwiegenden Schädigung des Embryos […], die mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer Totoder Fehlgeburt führen wird“ (Deutscher Bundestag 2011, S. 2228) eingesetzt wird. Die Diskussion über die gesetzliche Regelung der Zulässigkeit der PID hat mit der Ergänzung des ESchG durch das PräimpG ihren vorläufigen Abschluss gefunden. Auch wenn noch zu klären ist, was genau unter einem hohen Risiko, einer schwerwiegenden Erbkrankheit oder schwerwiegenden Schädigung zu verstehen ist. Hübner und Pühler bezweifeln, dass diese Begriffe zurzeit hinreichend bestimmt sind und sehen einen Streit über ihre Auslegung als vorprogrammiert an (vgl. Hübner und Pühler 2011, S. 793). Aktuell werden vom Bundesministerium für Gesundheit die Durchführungsbestimmungen für die PID nach den neuen gesetzlichen Regelungen erarbeitet. Die Bundesregierung erstellt ab sofort alle vier Jahre einen Bericht über die Erfahrungen mit der PID. Darin werden die jährlich durchgeführten Maßnahmen sowie deren wissenschaftliche Auswertung veröffentlicht (vgl. Deutscher Bundestag 2011, S. § 3a Abs. 6). Paare, die einen Kinderwunsch trotz genetischer Vorbelastung haben und eine PID in Deutschland durchführen lassen wollen, sind laut des neuen PräimpG dazu verpflichtet, sich über die medizinischen, psychischen und sozialen Folgen aufklären und beraten zu lassen. Ebenfalls tritt eine interdisziplinär zusammengesetzte Ethikkommission an den zugelassenen Zentren für PID zusammen, die die Einhaltung der Voraussetzungen des § 3a Abs. 2 prüfen und erst ihre zustimmende Bewertung zu dem Fall abgeben müssen, bevor das Paar ihrem Kinderwunsch durch PID nachkommen kann (vgl. Deutscher Bundestag 2011, S. § 3a Abs. 3). Hieraus zeigt sich, dass durch die PID zentrale ethische Aspekte auftreten, die nicht mehr allein Sache des Paares sind, sondern stellvertretend durch die Ethikkommission zur gesamt-gesellschaftlichen Bedeutung gelan- 12 2. Präimplantationsdiagnostik gen. Aus diesem Umstand werden nachfolgend die ethischen Aspekte und die sozialethische Bedeutung der PID herausgestellt. 2.3 Ethische Aspekte der PID In der Diskussion um eine ethische Beurteilung der PID lassen sich verschiedene Schwerpunkte feststellen. Zum einen wird der moralische Status des menschlichen Embryos und dessen Schutzwürdigkeit betont, da innerhalb der PID Embryonen untersucht werden und abhängig vom Befund der Untersuchung entweder zur Herbeiführung einer Schwangerschaft transferiert oder vom Fortpflanzungsprozess ausgeschlossen werden. Um dieses Verfahren ethisch zu beurteilen, ist das zugrunde liegende ethische Schutzkonzept des moralischen Status des menschlichen Embryos maßgebend. Darin unterscheiden sich zwei Grundpositionen. Vertreter der einen Position halten einen nicht-abgestuften Lebensschutz für zwingend gegeben, da „jedes menschliche Lebewesen einen Wert um seiner selbst willen hat, der sich in seiner Artnatur begründet […]. Diese Artnatur des Menschen kennzeichnet ihn als sittliches Subjekt und damit um seiner selbst willen als schutzwürdig. Somit steht die Zugehörigkeit zur Art Mensch bereits für alle Aspekte des Menschseins, und zwar unabhängig von dem konkreten Entwicklungsstadium, dem Gesundheitszustand oder den Fähigkeiten eines Individuums“ (Deutscher Ethikrat 2011, S. 40–41). Weiterführend zu dieser Position werden vier Grundargumente, die sogenannten SKIPArgumente, für die ontologischen Voraussetzungen des Embryos aufgezählt: Speziesargument Alleinig die Zugehörigkeit zur Spezies homo sapiens ist ausschlaggebend für den moralischen Status der Embryonen. Diese biologische Einordnung steht unabhängig von funktionalen Variationen und erlaubt eine gemeinsame Zuordnung zum eigentlich statusrelevanten Gut – dem Menschsein. Kontinuitätsargument Dieses Argument hebt auf den kontinuierlichen Verlauf der Entwicklung der Embryonen ab und betont, dass innerhalb der Entwicklung zum geborenen 2.3 Ethische Aspekte der PID 13 Menschen keine moralisch relevanten Einschnitte bestehen. Folglich kommen ihnen damit die gleichen Rechte, wie geborenen Menschen zu. Identitätsargument Dieses Argument konstatiert eine moralische Identitätsbeziehung zwischen dem Embryo und dem späteren erwachsenen Menschen. Aufgrund dieser Identitätsbeziehung ist dem Embryo die gleiche Würde zuzusprechen, wie dem erwachsenen Menschen. Potenzialitätsargument Der Embryo ist uneingeschränkt schützenswert, weil bereits die befruchtete Eizelle die volle Potenzialität besitzt, zu einem geborenen Menschen zu werden. Hingegen Vertreter der anderen Position, die für einen abgestuften Lebensschutz von Embryonen stehen, argumentieren, dass der Embryo in den ersten Tagen seiner Entwicklung sehr wohl anders bewertet und geschützt werden kann und soll, als das vorgeburtliche Leben in seinen späteren Entwicklungsstufen (vgl. Deutscher Ethikrat 2011, S. 51–59). Die Vertreter des abgestuften Lebensschutzes sehen besonders das SKIPArgument der Kontinuität kritisch. Für sie hängt die Schutzwürdigkeit des Embryos vom Erreichen einer bestimmten Entwicklungsstufe ab. Genannt werden mögliche würderelevante Entwicklungszeitpunkte, wie die Einnistung in die Gebärmutter, wodurch der Embryo erst vollentwicklungsfähig sei (vgl. DRZE - Deutsches Zentrum für Ethik in den Biowissenschaften 2011). Die Diskussion über die gesellschaftlichen Folgen der Zulassung der PID bildet einen weiteren Schwerpunkt zur ethischen Beurteilung dieses genetischen Untersuchungsverfahrens. Ein kritischer Einwand aus sozialethischer Sicht ist, dass die PID zu einer Diskriminierung von Menschen mit Behinderung beitrage, da sie es ermöglichen könne, chronische oder erbliche Krankheiten zu verhindern. Menschen mit eben solchen Merkmalen seien stigmatisiert. Die Solidarität mit Menschen mit Behinderung, ihre gesellschaftliche Anerkennung und Förderung könne untergraben werden. Dafür steht besonders ein Argument. Es geht davon aus, dass es sich bei der PID um eine Situation handle, die „absichtsvoll“ (Deutscher Ethikrat 2011, S. 62) hergestellt würde, um eine Auswahlentscheidung zu treffen. Dies führe demnach dahin, das Motiv der Handlung stärker her- 14 2. Präimplantationsdiagnostik vortreten zulassen - das der Selektion. „Damit werde eine deutlichere Botschaft in die Gesellschaft erkennbar und das Diskriminierungspotenzial erhalte ein größeres Gewicht“ (Deutscher Ethikrat 2011, S. 62). Die Befürchtung lautet, dass die PID die Nichtexistenz von genetischer Behinderung anstrebt und dadurch ein „Signal eines Nichtwillkommenseins und des Nichtdazugehörens“ (Deutscher Ethikrat 2011, S. 65) setzt, was wiederum auf die Gruppe derer zurückfällt, die ebensolche Merkmalsträger sind. Hierin ist besonders darauf verwiesen, dass nicht nur die gesellschaftliche Akzeptanz bedroht ist, sondern auch die Selbstakzeptanz der Betroffenen (Deutscher Ethikrat 2011, S. 65). Dieser Auffassung wird entgegnet, dass die „vorgeburtliche Praxis und nachgeburtliche Realität […] prinzipiell zu unterscheiden" (Deutscher Ethikrat 2011, S. 65) sind. Hier kann beispielsweise die Praxis eines Schwangerschaftsabbruches angeführt werden, die im Allgemeinen keine negative Auswirkung auf die soziale und rechtliche Stellung bereits geborener Kinder hat. Weiterhin wird dem folgenorientierten Argument entgegnet, dass die Integration, die Versorgung (auch rechtliche Absicherung) und die Teilhabemöglichkeit von Menschen mit Behinderung in der Gesellschaft allgemein gestiegen sind (vgl. Deutscher Ethikrat 2011, S. 65). Gegen das Diskriminierungsargument steht auch, dass die Frau oder das Paar bei ihrer individuellen Entscheidung ein Konflikt antizipiert, nachdem die Geburt eines Kindes mit starker Behinderung eine unzumutbare Belastung wäre. Dieser Persönlichkeitscharakter der Entscheidung folgt nicht dem Willen, bereits Geborene mit Behinderung zu diskriminieren (vgl. Deutscher Ethikrat 2011, S. 63). Die Entscheidung trägt dadurch auch keine Aufforderung in sich, dass andere Paare ebenso handeln sollten. Weiterhin lässt sich aus sozialethischer Sicht kritisch aufführen, dass es sich bei der Durchführung der PID um eine „implizite und moralisch unzulässige Bewertung des Lebens“ (Deutscher Ethikrat 2011, S. 63) handle. Damit wird darauf hingewiesen, dass die Eltern eine normative Bewertung über ihr zukünftiges Leben machen und damit auch über eine Zukunft mit einem Kind mit Behinderung. In diesem Fall könnte die Bewertung dazu führen, einem möglichen Kind mit Behinderung eine leidvolle Existenz zu ersparen. Diese subjektive Bewertung ist dahin gehend problematisch, da es immer einen Bewertungsunterschied gibt, von Menschen die mit einer Behinderung bzw. ohne eine Behinderung leben, zumal das ungeborene Kind in dieser Bewertung kein Stimmrecht hat, um für seine Existenz eintreten zu können. Diese Bewertung von 2.3 Ethische Aspekte der PID 15 Menschen durch Menschen verletzt die Würde des Ungeborenen und auch die Würde existierender Menschen mit Behinderung. Diesem sogenannten intrinsischen Argument wird entgegengehalten, dass durch die PID nur über ein bestimmtes Embryo ein Werturteil gefällt wird, „was nicht extrapolierbar sei auf die Gruppe der Merkmalsträger“ (Deutscher Ethikrat 2011, S. 64). Verwiesen wird hier wiederum auf die antizipierte persönliche Belastung der Frau oder des Paares, indem kein Motiv der Diskriminierung oder Herabstufung der Würde anderer steckt (vgl. Deutscher Ethikrat 2011, S. 64). Ein weiterer Schwerpunktpunkt, der im Zusammenhang einer sozialethischen Beurteilung der PID aufgeführt werden muss, ist das Recht auf Selbstbestimmung. Hierin geht es um die reproduktive Selbstbestimmung und die Frage, „wie autonom Paare und Frauen vor dem Hintergrund allgemeiner gesellschaftlicher Entwicklungen und steigender Verfügbarkeit technischer Möglichkeiten zur Vermeidung der Geburt von Kindern mit chronischer Erkrankung oder Behinderung entscheiden können“ (Deutscher Ethikrat 2011, S. 67). Handelt es sich bei der PID um eine Erweiterung der Selbstbestimmung im Sinne der Verfügbarkeit bzw. des Angebotes reproduktionsmedizinischer Techniken, als eine Erweiterung der Behandlungsmöglichkeiten und damit der Selbstbestimmung oder andererseits um einen Zwang, der durch die positive gesellschaftliche und medizinische Bewertung der PID, die Selbstbestimmung aufhebt? Diese beiden diametralen Seiten der Selbstbestimmung im Zusammenhang der PID spannen ein weites Feld der Betrachtung auf und können hier nicht besprochen werden. Zu diesem Zweck müsste eine Analyse stattfinden, inwieweit Frauen ihre Fortpflanzungsentscheidungen selbstbestimmt treffen. Darin würden Dinge, wie gesellschaftliche Standards, ökonomische Zwänge, Erwartungshaltungen der sozialen Umwelt und der jeweilige Lebensentwurf der Frau diskutiert werden müssen (vgl. Deutscher Ethikrat 2011, S. 67–68). Hierzu fand auch der Deutsche Ethikrate in seiner Stellungnahme zur PID keine eindeutige Position und sagte, „dass es weder die Situation der Frau noch die Interessen oder den Lebensentwurf der Frau gibt“ (Deutscher Ethikrat 2011, S. 68). Wie sich gezeigt hat, ist die ethische Beurteilung der PID von kontroversen Positionen bestimmt. Zu jedem Argument lässt sich ebenso ein Gegenargument finden. Die 16 2. Präimplantationsdiagnostik besondere Brisanz in dieser Debatte liegt darin, da biotechnische Innovationen5, wie die PID, bis in moralische Grenzbereiche hineinreicht, in denen ein problemloses Bewerten und Entscheiden nicht mehr möglich erscheint. Das Agieren in diesen Grenzbereichen ist mit Unsicherheit und Ungewissheit verbunden, denn zum einen tritt die PID „in Konflikt zu traditionellen Normen und gewachsenen Strukturen des menschlichen Selbstverständnisses“ (Feuerstein und Kollek 1999, S. 559) und zum anderen, sind die Auswirkungen des Umgangs und Gebrauchs der PID mit weitreichenden und langfristigen Folgen verbunden, nicht nur für die Frau oder das Paar, sondern u. U. für eine ganze Gesellschaft. Buchanan et al. bringen es auf den Punkt, wenn sie also fragen: „Do we have the ethical resources to use our genetic power wisely and humanely? Or are we like hapless space-travelers embarking on an interstellar voyage equipped only with a pocket compass? (Buchanan et al. 2007, S. 4) Reichen also die gegenwärtigen ethischen Ressourcen aus und passen sie zu den Herausforderungen die uns in Zukunft im Zusammenhang der PID erwarten werden? Oder befinden wir uns auf einer schiefen Ebene, die bald so stark geneigt sein könnte, dass die Zukunft der menschlichen Natur bedroht ist und die Ethik unter dem Druck „biotechnischer Innovationsbedürfnisse“ (Feuerstein und Kollek 1999, S. 560) erodiert? 2.4 Gegenwärtige ethische Ressourcen und das Bedrohungsszenario der PID Bereits heute lassen sich Tendenzen eines Bedrohungsszenarios der PID an zwei Konfliktlinien nachzeichnen, die typisch für die moderne Reproduktionsmedizin und Genetik erscheinen und bei denen sogleich die gegenwärtigen ethischen Ressourcen an ihre Grenzen stoßen. 5 Unter Biotechnologien wird „die Anwendung von Wissenschaft und Technik auf lebende Organismen, Teile von ihnen, ihre Produkte oder Modelle von ihnen zwecks Veränderung von lebender oder nichtlebender Materie zur Erweiterung des Wissensstandes, zur Herstellung von Gütern und zur Bereitstellung von Dienstleistungen“ (OECD - Organisation for Economic Co-operation and Development 2005b, S. 9) verstanden. Die Biotechnologien lassen sich in drei Kategorien unterteilen: Rote Biotechnologie: Medizin; Grüne Biotechnologie: Landwirtschaft; Weiße Biotechnologie: Industrie. Wobei Erstere hier die Relevante ist, da die Reproduktionsmedizin eine Basistechnik der weißen Biotechnologie ist. Unter biotechnischen Innovationen wird eine Veränderung im Bereich der Biotechnologien verstanden, die Neuerungen (z. B. Produkte oder Verfahren) hervorbringt, die neu sind oder signifikant verbessert wurden (vgl. Roberts et al. 2010 sowie OECD - Organisation for Economic Co-operation and Development 2005a, S. 46). 2.4 Gegenwärtige ethische Ressourcen und das Bedrohungsszenario der PID 17 Bei der ersten Konfliktlinie handelt es sich um eine Grenzverschiebung im MenschTechnik-Verhältnis. Durch die PID ist es möglich geworden, in einen vorgeburtlichen Zustand der Menschwerdung technisch einzugreifen, der vorher unverfügbar gewesen war. „Die kategoriale Unterscheidung zwischen Subjektivem und Objektivem, zwischen Naturwüchsigem und Gemachten“ (Habermas 2005, S. 77) verschwindet. Diese Eingriffsmöglichkeit wurde ethisch und rechtlich in Deutschland durch das PräimpG legitimiert. Die Auswirkungen für die durch die PID produzierten Menschen sind jedoch nicht einkalkuliert. Wie sind diese Auswirkungen ethisch zurechtfertigen, wenn bedacht wird, dass ein durch PID erzeugter Mensch, im Alter seiner Identitätsentwicklung daran denkt, Produkt eines technischen Verfahrens gewesen zu sein? Dieser Mensch wird sich voraussichtlich nicht mehr als „ungeteilter Autor des eigenen Lebens“ (Habermas 2005, S. 77) verstehen können und damit sein Selbstverständnis, zur Gattung Mensch zu gehören, in Frage stellen.6 Diese Folge der grenzüberschreitenden Technisierung des Reproduktionsprozesses, die implizit durch die PID erweitert wurde, schafft eine Überwindung der „Zufallshaftigkeit [und] Verletzbarkeit […] menschlichen Lebens“ und gefährdet das, was den „Menschen zum Menschen macht und in einem moralischen Sinne menschlich werden lässt“ (Kollek 2003, S. 34). Ebenso steht auch für Habermas fest, dass die Technisierung der Reproduktion die Zukunft der menschlichen Natur bedroht. Er verweist darauf, dass abzuwarten sei, unter welchen Bedingungen der Naturwüchsigkeit zukünftige Generationen, die mit Hilfe der PID entstanden sind, sich als ungeteilte Autoren und gleichberechtigte Mitglieder der Gemeinschaft verstehen können (vgl. Habermas 2005, S. 77). Diese Bedingungen sind gegenwärtig nicht zu erkennen, zumal die Grenzverschiebung zwischen Mensch und Technik auch in Zukunft gesellschaftlich akzeptiert wird, „solange nur die Technisierung der menschlichen Natur medizinisch mit der Erwartung eines gesünderen und längeren Lebens begründet werden kann“ (Habermas 2005, S. 47–48). Aus dieser Gesundheitsbegründung erschließt sich die zweite Konfliktlinie, die mit einer Zielverschiebung innerhalb der Anwendung der PID einhergeht. 6 Ungeteilter Autor seines Lebens zu sein, bedeutet für Habermas in diesem Kontext, das natürlichzufällige Entstehen des Lebens und seine Prägung nach der Geburt, beispielsweise durch die Sozialisation. Geplantes produziertes Entstehen, dass im Zusammenhang der PID möglich geworden ist, überschreitet für ihn eine Grenze. Teil eines Planes zu sein, welchen eine andere Person erdacht hat und ggf. nach diesem Plan selektiert zu werden, ist für Habermas Synonym für die Gefahr einer liberalen Eugenik. 18 2. Präimplantationsdiagnostik Mit der PID wird eine neue Qualität produziert, dessen Ziel nicht einfach ein Kind ist, sondern ein gesundes Kind. Dadurch wird eine Qualitätskontrolle eingeübt, die im Falle des Nicht-Bestehns zur Selektion und Verwerfung des Embryos führt. Es scheint also nicht verwunderlich, dass „verbrauchende Embryonenforschung und Präimplantationsdiagnostik […] starke Reaktionen aus[lösen], weil sie als eine Exemplifizierung der Gefahren einer auf uns zukommenden liberalen Eugenik wahrgenommen werden“ (Habermas 2005, S. 45). Hinzu kommt ein sich ausdehnender Katalog an diagnostizierbaren Krankheiten, der sich mit dem Wachsen wissenschaftlicher Erkenntnis vergrößern wird. Welche Qualität reicht dann noch aus, um zum Fortpflanzungsprozess zugelassen zu werden? Letztendlich bestimmt der normative Wunsch nach einem gesunden Kind die gezielte Selektion. Zum entscheidenden Faktor werden darin die Präferenzen und Wertorientierungen Dritter. Die PID hingegen verkommt zum Instrument eugenischer Ziele. Die Befürchtungen, die mit diesen Grenz- und Zielverschiebungen verbunden sind, reichen bis zu der Annahme, dass gegenwärtige ethische Ressourcen nur begrenzt instruktiv und regulativ für den Umgang mit der PID sein könnten, wenn die Erosion der Ethik durch die Einführung biotechnischer Innovationen weiter voranschreitet. Zu dieser Einschätzung kommen Feuerstein und Kollek (1999), wenn sie feststellen, dass die Ethik aufgrund der Pluralität ihrer Konzepte und der Flexibilität moralischer Aussagen nur begrenzt legitimierend ist und trotzdem als geeignete Referenz für die Einführung biotechnischer Innovationen herangezogen wird. Dieser vermeintliche Widerspruch wird damit begründet, dass „offensichtlich […] die Akteure des technischen Fortschritts in der Ethik das geeignete Regulativ für den Kollisionskurs [sehen], mit dem das technisch machbar Gewordene Erfolg versprechend auf traditionelle Moralvorstellungen zugesteuert werden kann“ (Feuerstein und Kollek 1999, S. 559–560). Dieser Eindruck wird noch verstärkt, wenn durch die relative Abstraktheit ethischer Grenzen die ethische Referenz durch vordergründige Interessen angepasst wird, wie das Beispiel des vermeintlich moralischen Gesundheitsversprechens aus dem Bedrohungsszenario gezeigt hat. Feuerstein und Kollek sehen dafür in der Bioethik den zentralen Faktor des regulativen Kalküls konfliktärer biotechnischer Innovationen in der Medizin. Sie unterstellen der Bioethik ein „ethisches Akzeptanzmanagement“, das zur „Konstruktion und situationsgerechte[n] Neufassung ethischer Normen“ führt, die einen „konflikt- 2.5 Zwischenfazit 19 verdünnten Raum“ hinterlassen, indem es schnell zur „Normalisierung des Neuen“ (Feuerstein und Kollek 1999, S. 567–568) kommt. Ein Beispiel soll diese Konfliktsituation veranschaulichen. Die Methode der PND, wie sie im Abschnitt 2.1 bereits eingeführt wurde, wurde bereits vor der PID praktiziert. Mit ihrer Hilfe kann ein Kind pränatal auf genetische Erkrankungen, z. B. DownSyndrom, untersucht werden. Der Arzt entnimmt dafür aus der Plazenta oder dem Fruchtwasser durch eine Punktierung des Bauches der Mutter Untersuchungszellen des Kindes. Diese Methodik erhöht das Risiko einer Fehlgeburt. Etwa eines von 100 Ungeborenen überlebt die Untersuchung nicht (Uhlmann 2012). Hinzu kommt, dass im Falle einer positiven Diagnostik, 90 % der Frauen sich für eine Abtreibung entscheiden (Berndt 2012). Genau dies gilt nun als Argument für die PID. Sie kann bei bekanntem genetischen Risiko konfliktäre Schwangerschaften vermeiden und Schwangerschaftsabbrüche reduzieren. Um die Entgrenzung nicht vollends zu gestatten, ist ihre Anwendung in Deutschland aber stark reguliert worden. Dennoch erscheint ihre Einführung eine Notwendigkeit, um die moralische Konfliktsituation im Umgang mit genetischen Erbkrankheiten, die erst durch die Informationsleistung der vorgelagerten biotechnischen Innovation der PND entstanden ist, aufzulösen. Die Einführung des PräimpG und die Aufweichung des ESchG in Deutschland zeigten, das bioethische Normen den technischen Innovationen angepasst werden, was wiederum dafür spricht, dass die gegenwärtigen ethischen Ressourcen nicht adäquat genug, zu den weitreichenden und langfristigen Folgen dieser biotechnischen Innovationen, sind. Eine moralische „Brücke für die Zukunft“ (van Potter 1971) lässt sich mit der Bioethik anhand dieser Darstellung nur schwer aufrechterhalten. 2.5 Zwischenfazit Otfried Höffe hat also recht, wenn er vom „ethischen Neuland“ (Höffe 2001) spricht, das im Zusammenhang mit der PID betreten werden muss. Dieses ethische Neuland kann nicht mehr ohne die Dimension der Zukunft gestaltet werden, da sich gezeigt hat, dass der technische Fortschritt in der Reproduktionsmedizin und Genetik sowie dessen Folgen ein Bedrohungspotenzial für die Zukunft der menschlichen Natur, als auch für die Zukunft von Generationen, hat. Denn darüber zu entscheiden, welcher Embryo 20 2. Präimplantationsdiagnostik transferiert werden soll und welcher nicht, bestimmt nicht nur das Dasein und Subjektsein einer Person, sondern letztendlich auch die kommende Gesellschaftsstruktur, wie die Darstellung der ethischen und sozialethischen Aspekte im Abschnitt 2.3 offenlegten (vgl. Glover 2001, S. 430). Welche ethischen Ressourcen sind also vor diesem Hintergrund bereitzustellen, die es ermöglichen, Werte für ein Morgen zu etablieren, um das Bedrohungsszenario7 der PID nicht Realität werden zu lassen? Noch weiterführend stellen Buchanan et al. die Frage: „What are the most basic moral principles that would guide public policy and individual choice concerning the use of genetic interventions in a just and human society in which the powers of genetic interventions are much developed than they are today?“ (Buchanan et al. 2007, S. 4–5) Eine Antwort auf diese Frage, versucht die Zukunftsethik und in ihr das „Prinzip Verantwortung“ zu geben. 7 Gegen die Realität des Bedrohungsszenarios und einem befürchteten „Dammbruch“ (engl. slipperyslope Argument) steht die im Vergleich sehr geringe tatsächliche Anwendungen der PID, die nach Dietrich et al. international nur in 0,3 % der Fälle durchgeführt wird (vgl. Diedrich et al. 2012, S. 44). In Deutschland sind zudem die Indikationen zur PID streng begrenzt, was aus dem PräimpG hervorgeht. Darin wird sie für den Ausschluss schwerer, nicht-therapierbarer genetischer Erberkrankungen eingesetzt. Untersuchungen im Sinne eines „Designerbabys“ sind zum einen technisch noch nicht möglich und zum anderen in Deutschland strafbar (vgl. Diedrich et al. 2012, S. 42). Der internationale Vergleich zeigt aber, dass nicht alle Länder so reguliert, im Hinblick des Einsatzes und Gebrauchs der PID, sind, wie Deutschland. In den USA beispielsweise ist die Auswahl der Embryonen nach geschlechtlichen Merkmalen (social sexing) oder die Verwerfung von gesunden Embryonen, die Träger einer Geschlechtschromosomalen X-gebundenen Erkrankung sind, die zu einer hohen Wahrscheinlichkeit einer genetischen Erkrankung bei dessen Nachkommenschaft führen würde, erlaubt (vgl. Iwarsson et al. 2011). So wird in den USA nicht von liberaler Eugenik gesprochen, sondern diese in zwei Ausrichtungen unterteilt, die negative und die positive Eugenik. Die negative Eugenik folgt der Begründung, der auch in Deutschland vordergründigen Meinung, einer unzulässigen Selektion von menschlichem Leben durch illegitime Interessen, wie Rassismus o. Ä. Die positive Eugenik folgt hingegen dem in den USA vorherrschende Autonomie-Modell, nachdem Entscheidungen und Handlungen zur Autonomie des Einzelnen gehören und damit ein Freiheitsrecht sind. Aus diesem Autonomie-Modell begründet sich auch die weitreichende Zulassung der PID in den USA, die für deutsche Verhältnisse einer liberalen Eugenik gleichkäme sowie der Realität eines Bedrohungsszenarios nahekäme (vgl. Buchanan et al. 2007, S. Chapter Four: Positiv And Negativ Genetic Interventions sowie de Wert 2005 ). 3. ZUKUNFTSETHIK 3.1 Werte für eine Welt von morgen Die Welt von morgen wird eine andere sein. Diese Banalität scheint nur auf den ersten Blick eindeutig, impliziert sie doch mehr als nur eine „andere Welt“. Diese Annahme einer anderen Welt ist im Charakter von Voraussetzungen und Bedingungen geprägt, die nicht ausschließlich Voraussetzungen und Bedingungen dieser Welt von morgen sind. Es ist vielmehr die Entwicklung ihres Charakters in der Gegenwart und ihre Fortführung in die Zukunft, die ihre Konstitution bedingt. Es ist kennzeichnend für die Welt, dass in ihr Menschen leben, deren Handlungen bestimmend für die Voraussetzungen und Bedingungen der Welt von morgen sind.8 Diese anthropologische Bestimmung tritt in der heutigen Welt in eine neue Dimension ein, die die vergangene Wirkungskraft menschlichen Handelns in ihrer räumlichen und zeitlichen Ausdehnung kausal überschreitet und damit nicht nur zur Bestimmung einer Welt von morgen wird, sondern auch zur Bestimmung einer Welt von Übermorgen werden könnte. Diese Wirkungskraft des menschlichen Handelns ist erst durch die Errungenschaften einer technologischen Moderne möglich geworden. Sie leistet ihren Beitrag zur subjektiven Wirklichkeitskonstruktion der menschlichen Lebenswelt, zur Veränderung 8 Hier ist hinzuzufügen, dass auch das Denken eine verändernde Kraft für die Welt von morgen mit sich trägt, „denn schon das Etwas-Denken ist [..] eine kommunikativ sprachliche Tätigkeit mit Geltungsansprüchen. Wer nämlich etwas als etwas Bestimmtes denkt und es damit geltend macht, der tut etwas gegenüber anderen“ (Böhler und Herrmann o. J., S. 2). Menschliches Handeln beginnt also beim Argumentieren und damit vor seinem praktischen Vollzug. Dieses theoretische Tuen soll hier trotz der Reduktion auf menschliches Handeln mitgedacht werden. Es wurde darauf verzichtet, das theoretische Tuen weiter auszuführen, da die Analyse in den transzendentalen Bereich der Diskursethik hineinreichen würde und der Argumentation dieser Arbeit nicht dienlich wäre und die vorgegebenen Grenzen überschreiten könnte. Daher bleibt hier das praktische Handeln in den Vordergrund gestellt. 22 3. Zukunftsethik von Bedingungen der menschlichen Lebenslagen und beeinflusst die Realität der physikalischen Welt, wie u. a. der Klimawandel zeigt.9 Demnach kommt dem menschlichen Handeln10 eine zentrale Rolle für eine Welt von morgen zu. Aus diesem Grund ist ihre prospektive Wirkungskraft näher zu bestimmen. Darin ist der „weltverändernde“ Charakter menschlichen Handelns hervorzuheben, da eine Handlung die Welt verändert und eine andere hinterlässt, auch wenn dies nur in ihren kleinsten Raum- und Zeiteinheiten geschieht. Menschliches Handeln wirkt prospektiv, da die Folge seines Vollzuges die Gegenwart verändert und retrospektiv erkannt werden könnte, dass diese neue Gegenwart eine Vergangenheit hat, in der die Handlung stattfand. Somit ist diese neue Gegenwart die Zukunft der Vergangenheit. Ein einfaches Beispiel kann dies verdeutlichen: Ein Schachspieler sitz vor einem Schachbrett, auf dem eine beliebige Konstellation von Schachfiguren steht. Ist dieser Spieler am Zug und bewegt eine Schachfigur auf dem Feld, so verändert er im Augenblick dieser Handlung die ursprüngliche Konstellation der Figuren auf dem Spielbrett. Wird nun die neue Konstellation mit der alten verglichen, dann muss festgestellt werden, dass die gegenwärtige Konstellation der Schachfiguren eine andere ist, als die ursprüngliche Konstellation. Ein weiterer Zug würde diese Konstellation wiederum verändern usw. Da Schach ein Strategiespiel ist, antizipieren gute Schachspieler bereits mögliche Züge im Vorfeld des eigentlichen Zuges. Darin stellen sie sich eine zukünftige Konstellation der Schachfiguren vor. Hat ein Spieler sich einen Plan zurechtgelegt und sagen wir fünf Züge vorausgedacht, dann wird er versuchen durch seine Züge, diese vorausgedachten Konstellationen herzustellen. Hat er die Möglichkeit diese fünf Züge umzusetzen, kann er die antizipierten Konstellationen realisieren. Damit wurde durch jeden 9 Lebenswelt und Lebenslage sind phänomenologische Begriffe einer systemisch-konstruktivistischen Soziologie: Lebenswelt ist die subjektiv wahrgenommene Welt des Menschen. Lebenslage sind dessen materiellen und immateriellen Lebensbedingungen, wie Arbeitssituation, Wohnraum oder soziales Umfeld, aber auch die körperliche Verfasstheit. Der Mensch konstruiert seine Lebenswelt unter den jeweiligen Bedingungen seiner Lebenslagen, damit ist die Lebenswelt die subjektive Wahrnehmung der zur Verfügung stehenden Lebenslagen (vgl. Kraus 2006, S. 9). Zur Unterscheidung von Wirklichkeit und Realität (vgl. Kraus 2006, S. 10). 10 Wird vom menschlichen Handeln gesprochen und dessen Folgen, dann hat das Unterlassen dieser Handlungen ebenso Folgen. Diese Gegebenheit soll im Folgenden trotz der Reduktion auf menschliches Handeln immer mitgedacht werden. 3.1 Werte für eine Welt von morgen 23 Zug die gegenwärtige Konstellation im Sinne einer zukünftigen Konstellation verändert. Etwas zukünftiges wurde Gegenwart und wurde durch einen weiteren Zug abgelöst, der diese Gegenwart Vergangenheit werden ließ. Abbildung 1 und daran anschließend Tabelle 1 zeigen eine Darstellung und Erklärung, in der versucht wurde, diesen Ansatz theoretisch darzulegen: Abbildung 1: Prospektive Wirkung menschlichen Handelns (eigene Darstellung) Tabelle 1: Retrospektive Betrachtung zum Zeitpunkt Gegenwart B und Schlussfolgerung Retrospektive Betrachtung zum Zeitpunkt Gegenwart B: 1. Raum: System A ≠ System B 2. Handlung H wirkt auf System A verändernd ein, sodass System B entsteht 3. Zeit: Gegenwart A ≠ Gegenwart B 4. System A durchläuft eine zeitliche Veränderung zu System B, von Gegenwart A zu Gegenwart B 5. Handlung H durchläuft eine zeitliche Veränderung von Gegenwart A zu Gegenwart B Schlussfolgerung: 1. Wenn System A ≠ System B, dann ist Gegenwart A ≠ Gegenwart B 2. Gegenwart A ist der Vorgänger von Gegenwart B: Gegenwart A ist die Vergangenheit von Gegenwart B zum Zeitpunkt Gegenwart B 3. Gegenwart B folgt auf Gegenwart A: Gegenwart B ist die Zukunft von Gegenwart A zum Zeitpunkt Gegenwart A Handlung H wirkt prospektiv, da es zum Zeitpunkt ihrer Tat (Gegenwart A) bereits sicher ist, dass sie eine Zukunft (Gegenwart B) bewirken wird, in der sie die Welt (System A) zur Welt von morgen (System B) verändern wird. Somit kann behauptet werden, dass menschliche Handlungen auf die Zukunft ausgerichtet sind, da sie immer vorwärts gerichtet sind und in eine Zukunft hinein wirken. 24 3. Zukunftsethik Bleiben diese Handlungen H ohne Folgen und Risiken für Zweite oder Dritte (Zukünftige), so sind sie individuell leicht zu rechtfertigen. Erreicht ein menschliches Handeln und seine Folgen und Risiken aber die Dimensionen Zweiter oder Dritter (Zukünftiger), dann steht diese Handlung vor dem Gericht der Legitimität11, vor dem sie gerechtfertigt werden muss. Der prospektive Bezug menschlichen Handelns wird nochmals aus den axiomatischen Grundsätzen der Philosophie deutlich, nach dem der Mensch das „einzige Wesen auf dieser Erde ist, das mit Zukunftsbewusstsein ausgestattet ist und sein gegenwärtiges Handeln an Vorstellungen über die Zukunft ausrichten kann. Erst dadurch wird die Bewertung von Zuständen in der Zukunft möglich und mit ihr eine Zukunftsorientierung im Handeln“ (Gärtner 2007, S. 20). Diese Fähigkeit zur Zukunftsantizipation12, gepaart mit der menschlichen Vernunft, könnte zu einer menschlichen Verantwortung für die Zukunft führen. Denn antizipieren zu können, was die Folgen und Risiken des menschlichen Handelns für die Zukunft bedeuten könnten, mindert die Ungewissheit der Zukunft und bringt damit eine neue weitreichende Perspektive der Verantwortung hervor. Diese zukunftsgerichtete Verantwortungsperspektive wird dringlicher. Die Erfahrungen zeigen, dass die Voraussetzungen und Bedingungen der heutigen Welt von der gestrigen Welt vorgezeichnet wurden und damit ein Kontinuitätsverhältnis13 besteht, 11 Die Legalität wurde hier ausgenommen, weil sie eine politische Normsetzung ist, die im besten Fall dadurch begründet ist, in einem normativen Diskurs der Öffentlichkeit, über das, was legitim und was nicht legitim ist, zu standen gekommen zu sein. Legalität wird also durch Legitimität begründet. Damit ist die Legitimität vor der Legalität angesiedelt. Die Legalität muss in einer politischen Betrachtung verantwortet werden. In dieser ethischen Betrachtung kann nun aber nur die ethische Betrachtung der Legitimität anstehen. Dennoch liegt in der Tatsache viel Brisanz, wenn praktisch festgestellt wird, was offenbar ist, da dass, was legitim ist, nicht gerecht sein muss und was gerecht ist, nicht legitim sein muss. Zu dieser Feststellung kann nur die Verbindung von Ethik und Politik Antworten liefern. 12 Antizipation ist nicht gleichbedeutend mit Wissen. Es ist eher die Erwartung nach der Wahrscheinlichkeit des Eintretens bestimmter Folgen und Risiken menschlichen Handelns in der Zukunft. 13 Die Annahme, dass zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft (VGZ) ein Kontinuitätsverhältnis besteht, wird nicht zuletzt aus der geschichtlichen Analyse religiösen Wiederkehrglaubens von Mircea Eliade (2007) deutlich. Nach dessen Säkularisierung, ausgelöst durch den Humanismus und die Aufklärung im 17. und 18. Jahrhundert, das VGZ-Schema angenommen wurde. Daran angeschlossen hat sich die Annahme, dass die Zukunft offen und gestaltbar ist. Dies zeigt ebenso den Kontinuitätscharakter dieser ersten Annahme. Es ist aber dennoch zu bemerken, dass es durchaus einschneidende Zäsuren (Kontinuitätsbrüche) in der Geschichte gab und in Zukunft geben wird. Dies zeigte sich besonders nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges 1945 und nach der Ablösung des zuvor vorherrschenden nationalsozialistischen Systems in Deutschland. In dessen Folge sprachen Historiker von einer „Stunde null“. Auch Theoretiker der politischen Theorie, wie Hanna Arendt, besannen sich nach dieser Katastrophe zurück auf Aristoteles, um zu den Grundzügen von Politik und Demokratie zurückzukehren, da die Schrecken des Zweiten Weltkrieges 3.1 Werte für eine Welt von morgen 25 welches die Relevanz dieser Perspektive nochmals verstärkt und weil bewusst werden sollte, dass gegenwärtiges Handeln Auswirkungen auf eine Welt von morgen haben wird: „Dabei ist denn, wo nicht ein Wissen, so doch irgendeine Vorstellung davon, wie die Welt von morgen aussehen wird, vorausgesetzt; vor allem aber und vorab, daß sie von der jetzigen verschieden sein wird. […] Im Heute sehen wir uns auf der Schwelle zum Morgen und haben mehr als frühere Zeiten Ursache dazu. Schon jetzt, vor unsern Augen, beginnen die weltweiten Kräfte, in denen wir treiben, während wir sie speisen, das Gesicht der Zukunft zu zeichnen. Alles drängt nach vorwärts, ins Morgen und Übermorgen. Dieses selbst natürlich können wir nur aus seinen Ansätzen, den lesbaren Trends des Heute, mit mehr oder weniger Wahrscheinlichkeit erschließen. Aber in manchen Zügen ist die von uns selbst unsern Nachkommen bereitete Zukunft […] schon gegenwärtig genug, um gewisse Vorblicke überzeugend zu machen. Hypothetisch sind auch die überzeugendsten noch. […] Das Unerwartete ist hier die Regel, Überraschung das zu Erwartende. Dennoch müssen wir die Zukunft so denken, als ob die von uns zu ihr führenden Kausalsträhnen einförmig wären. Gerade unser Heute, trächtig wie es ist und in vielem berechenbar, verpflichtet uns wie keine frühere Zeit zu derart hypothetischem Voraus- und Durchdenken der in seinem Schoße leidenden Möglichkei14 ten.“ (Jonas 1987a, S. 53–54) Hiernach stellt sich nun die Frage nach der Zukunftsfähigkeit einer solchen verantwortungsvollen Zukunftsperspektive vor dem Hintergrund einer sich zeichnenden Welt von morgen in der gegenwärtigen Welt. Denn zu erkennen sind Tendenzen und hier wird wieder die PID in die Betrachtung eingeschlossen, die aufzeigen, dass die Vorausset- und der Politik während des Dritten Reiches den Politikbegriff und das Verständnis von Demokratie in Frage gestellt hatten (nachzulesen unter: Arendt, Hannah (2011): Vita activa oder Vom tätigen Leben. 10. Aufl. München: Piper (Serie Piper, 3623)). Die Annahme einer „Stunde null“ war für diesen Moment durchaus nachvollziehbar. In der zeitgeschichtlichen Aufarbeitung aber, die auch maßgeblich durch Hanna Arendt geprägt wurde (Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft; Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bösen), wurde der revisionistische Charakter dieser Argumentation relativiert und aufgezeigt, dass es eine Kontinuität gab vom Kaiserreich über die Weimarer Republik und schließlich mündend in den Nationalsozialismus. Voraussetzung und Bedingungen haben sich demnach schon in den vorigen Systemen herausgebildet und sind zu Voraussetzungen und Bedingungen der damaligen Gegenwart des Nationalsozialismus geworden. In Anbetracht zukünftiger Zäsuren (Kontinuitätsbrüche) oder besser gesagt Ereignisse, die in Zukunft systemverändernde Relevanz haben (Wild-Cards), ist zu sagen, dass sie nicht vorhersehbar sind. Sie sind ungewiss und wenn überhaupt durch schwache Signale (weak signals) vage bestimmbar, aber nie in ihrer Gänze. Diese Unsicherheit lässt sich nie völlig absorbieren, aufgrund der zu hohen Zahl an Variablen und Einflussfaktoren, die eine Rolle in einem globalen planetarischen System spielen. Es lassen sich nur Präventionsmöglichkeiten erarbeiten, die mögliche Wild-Cards einbeziehen, aber dennoch das Spiel der Zukunft offen lassen müssen, da es keine vorhersagbaren einförmigen Entwicklungen (ausgenommen vielleicht in der Physik, aber das ist eine Vermutung der Wirklichkeit und nicht unbedingt die Realität) gibt. Weiteres Kennzeichen des VGZ-Schemas kann das Beispiel traditioneller Werte sein, die das sittliche Subjekt in der Gegenwart orientieren und in die Zukunft leiten können. In diesem Kapitel: Zukunftsethik wird hinterfragt, ob es in Anbetracht der weitreichenden Macht menschlichen Handelns und der damit einhergehenden Grenzverschiebung nicht auch neue Werte etabliert werden müssen, die den Voraussetzungen und Bedingungen einer Zukunft gerecht werden. 14 Hier sei grundsätzlich darauf hingewiesen, dass alle Zitate, die in alter Rechtschreibung vor 1996 verfasst wurden, nicht durch die wiederholende Kennzeichnung durch [sic!] angepasst sind, sonder in ihrer originalen Form beibehalten wurden. 26 3. Zukunftsethik zungen und Bedingungen für eine Welt von morgen bereits in der Gegenwart konstituiert werden. Dazu wird in der Betrachtung der PID eine gesteigerte Risikowahrnehmung offenbar, die durch eine Informationsleistung von „Selbsttechnologien“ (Feuerstein und Kollek 2001, S. 26) (u. a. PID) in der Medizin erbracht werden, die ihre Wirkung sowohl im Jetzt, als auch im Morgen und Übermorgen entfalten. Eine Selbsttechnologie, welche die „Möglichkeiten der Selbstfiguration“, d. h. die „Korrektur und teilweise Neugestaltung der menschlichen biologischen Konstitution in den Bereich des Möglichen“ (Feuerstein und Kollek 2001, S. 26) rückt. Durch diese technologischen Möglichkeiten scheinen die gesundheitlichen Zukunftsrisiken bestimmbar und werden durch den Eingriff der PID für die Nachkommen kontrollierbar (vgl. Feuerstein und Kollek 2001, S. 27). Somit wird ein „Stück Zukunftsgewissheit“ (Feuerstein und Kollek 2001, S. 27) hergestellt, die die obige Argumentation einer sich vorzeichnenden Zukunft untermauert. Feuerstein und Kollek betonen an dieser Stelle, das spätestens durch „die genetische Diagnostik eine handlungsstrukturierende Realität“ sich entfaltet, „die weit über die genetische Strukturabweichung hinausreicht“ (Feuerstein und Kollek 2001, S. 29). Diese handlungsstrukturierende Realität wird erst durch die Informationsleistung der PID sichtbar gemacht. Erst durch die Informationen über genetische Risiken entwickelt sich die PID zu einem sozial relevanten Faktor, da diese Informationen nun in der Gesellschaft „inszeniert, verarbeitet und behandelt werden“ (Feuerstein und Kollek 2001, S. 30) können. Die Betrachtung der sozialethischen Aspekte der PID in Abschnitt 2.3 haben dies deutlich gemacht. Es ist eine Frage nach den normativen Rahmenbedingungen einer Gesellschaft, welche mit dieser Informationsleistung adäquat, im Sinn eines guten Lebens, umgehen kann, damit das Bedrohungsszenario aus Abschnitt 2.4 nicht real wird. Hieran schließt sich wieder die Frage von Buchanan et al. aus dem Abschnitt 2.5 an, welche nach den gegenwärtigen ethischen Ressourcen fragte, die einen normativen Umgang mit aktuellen Tendenzen der PID ermöglichen. Jonas geht dem folgend einen Schritt weiter und schlussfolgert, dass nur in der Überprüfung von Werten, auf ihre Zukunftsfähigkeit erkannt werden könnte, welche davon für eine Welt von morgen übernommen oder neu entwickelt werden müssten: 3.2 „Das Prinzip Verantwortung“ 27 „Wenn wir fragen, welche Werte von gestern brauchbar und wichtig bleiben für die Welt von morgen, so fragen wir zugleich, welche vielleicht veralten oder unwichtig werden – damit aber auch umgekehrt, welche neuen etwa vom neuartigen Morgen auf den Plan gerufen werden.“ (Jonas 1987a, S. 53) Demnach ist also zu fragen, sofern „die Welt von morgen uns ethisch angeht“ und wir davon ausgehen, dass in dieser Welt von morgen die „Geltungskraft, d. h. Anerkanntheit, gewisser Wertnormen“ fortbesteht: „Welche besonderen [Werte] davon das Leben in der vorgestellten Zukunft braucht“ (Jonas 1987a, S. 53), die die „Materialien für die Erstellung adäquater Instrumente für die moralische Navigation bereitstellen“ (Buchanan et al. 2007, S. 4). „Das Prinzip Verantwortung“ könnte dafür ein passendes Konzept für eine verantwortungsvolle Zukunftsethik vorlegen und diese Frage beantworten, indem es die Verantwortung als „Spitzenwert“ (Jonas 1987a, S. 72) für eine Welt von morgen voranstellt. 3.2 „Das Prinzip Verantwortung“ Das 1979 veröffentlichte „Prinzip Verantwortung“ von Jonas (2003) ist eines der zentralen metaphysischen Werke der Zukunftsethik in Deutschland. Darin versucht Jonas vor dem Hintergrund der Krisen seiner Zeit, wie den Gefahren eines Atomkrieges oder auch der Möglichkeit biomedizinischer Manipulationen des Menschen durch die Genetik, eine Ethik für die technologische Zivilisation aufzustellen. Er vertritt darin die These, dass die „bisherige Ethik“ (Jonas 2003, S. 15) erweitert werden muss. Dies begründet er damit, „daß mit gewissen Entwicklungen unserer Macht sich das Wesen menschlichen Handelns geändert hat; und da Ethik es mit Handeln zu tun hat, muß die weitere Behauptung sein, daß die veränderte Natur menschlichen Handelns auch eine Änderung in der Ethik erforderlich macht“ (Jonas 2003, S. 15). Die „neuartigen Vermögen“ (Jonas 2003, S. 15) menschlichen Handelns verbindet Jonas mit dem Fortschritt in der modernen Technik, dessen Wirkungskraft eine neue Eingriffstiefe erreicht hat und darin alle Lebensbereiche berührt. Die daraus entstehenden neuen ethischen Herausforderungen sind nicht mehr alleinig im Nahbereich zwischenmenschlicher Interaktion zu begegnen, sondern müssen in ihrer kausalen 28 3. Zukunftsethik Größenordnung und zeitlichen Ausdehnung neu definiert und zwingend auf den Fernbereich erweitert werden. So sieht er neben der Bedrohung der gesamten irdischen Biosphäre durch die technischen Eingriffe menschlichen Handelns auch das zugrunde liegende Fortschrittsprinzip einer modernen technologischen Zivilisation kritisch, da diese Entwicklung durchaus extreme Chancen und Verbesserungen mit sich bringt, aber auch langfristige negative Folgen und Risiken hervorrufen kann sowie irreversible Schäden anzurichten vermag. Für Jonas schien demnach das Prinzip „Trail and Error“ und eine schrittweise Näherungslösung durch „muddling-through“ nicht mehr zeitgemäß. Aus diesen Überlegungen entwarf Jonas eine neuartige Zukunftsethik, welche den Ansprüchen der Zeit entsprechen sollte. Diese „Notstandsethik“ (Werner 2003, S. 42), Jonas sprach eher von „Vermeidungsethik“ (Jonas 1994, S. 209), sollte die denkbar schlimmsten Entwicklungen verhindern: die Überlastung der irdischen Biosphäre sowie das selbst verschuldete Auslöschen der Menschheit. Dazu entwickelte er in Anlehnung an die Imperative Kants seine eigenen Sollens-Forderungen: „Handle so, daß die Wirkungen deiner Handlungen verträglich sind mit der Permanenz echten 15 menschlichen Lebens auf Erden.“ (Jonas 2003, S. 36) „Schließe in deine gegenwärtige Wahl die zukünftige Integrität des Menschen als Mit-Gegenstand deines Wollens ein.“ (Jonas 2003, S. 36) In diesen Imperativen wird eine teleologische Grundannahme Jonas deutlich, die davon ausgeht, dass das menschliche Leben einen Eigenwert besitzt, nachdem das Sein des Menschen zum unbedingten Sollsein herhoben ist. Dieser Eigenwert des menschlichen Seins wird für ihn zur ontologischen Pflicht des Sollens, wenn er das Beispiel des Neugeborenen einbringt, „dessen bloßes Atmen unwidersprechlich ein Soll an die Umwelt richtet, nämlich: sich seiner anzunehmen“ (Jonas 2003, S. 235). Dieser „einzige Fall“ reicht für Jonas aus, um das „ontologische Dogma“ (Jonas 2003, S. 235) der SeinSollen-Dichotomie, nachdem von einem Sein nicht zwingend auf ein Sollen geschlossen werden kann, aufzubrechen. Nur mit dieser Überwindung lassen sich seine Imperative annehmen, in denen die Seins-Bestände („menschliches Leben“) zu SollensForderungen („Permanenz echten menschlichen Lebens“) bzw. vis-à-vis, die Sollens- 15 „echten menschlichen Lebens“ bedeutet in diesem Zusammenhang: menschenwürdiges Leben. 3.2 „Das Prinzip Verantwortung“ 29 Forderungen („zukünftige Integrität des Menschen“) zu Seins-Beständen („MitGegenstand deines Wollens“) gebracht werden. Hier zeigt sich die anthropozentrische Sicht Jonas, welche ohne die Annahme eines Eigenwertes der menschlichen Existenz biologisch nicht zu rechtfertigen ist, wenn die zerstörerischen Auswirkungen menschlichen Handelns für die Umwelt betrachtet werden. Denn kein Lebewesen, außer der Mensch, zerstört eigenhändig seine Lebensgrundlagen, so wird ein Wolf nie alle Rehe in seinem Revier reißen, sondern eher einen weiteren Weg in Kauf nehmen, um seinen Hunger zu stillen, bevor er seine Nahrungsgrundlage und damit seine eigenen Existenz bedroht. Anders als das triebbeeinflusste Verhalten eines Tieres, ist der Mensch in der Lage, durch Antizipieren der zukünftigen Folgen sowie daran orientiertes Entscheiden und Handeln, gestaltend Einfluss auf sein Schicksal zu nehmen. Für Jonas zeigten aber die Erfahrungen mit dem technischen Fortschritt, der der fatalistischen Maxime: um jeden Preis zu folgen schien und einer modernen Gesellschaft, die Wachstum zum Prinzip erklärt hat, dass der Mensch weniger weitsichtig handelt als ein Tier und seine eigene Existenz aktiv bedroht. Um diese fatalistische Entwicklung zu flankieren, stellte Jonas den moralischen Wert der Verantwortung an die Spitze seines Prinzips. Nur wenn die Verantwortung als Spitzenwert akzeptiert wird und im menschlichen Handeln Einlass findet, nur dann bleiben die Imperative nicht nur Sollens-Wünsche (vgl. Jonas 1987a, S. 72). Der Verantwortungsbegriff rückt damit in das Zentrum einer praktischen Ethik für die technologische Zivilisation, in der Verantwortung nicht nur ein Handlungsimperativ, sonder auch „die als Pflicht anerkannte Sorge um ein anderes sein“ (Jonas 2003, S. 391) sein soll. Diese deontologische und teleologische Verbindung (Pflicht zum Seinsollen) führt Jonas zu der neuen Ausrichtung der bisherigen Ethik, in der sie zugleich als eine „Lehre vom Handeln“ und auch als eine „Lehre vom Sein“ (Jonas 2003, S. 30) auftreten müsse. In dieser Hinsicht soll menschliches Handeln nicht mehr ohne Verantwortung und Bewusstsein über dessen Folgen für das Sein eines anderen bzw. nach Jonas der ganzen Menschengemeinschaft gedacht werden. Darin betont er, dass das Kennzeichen dieser Verantwortung „Zeit- und Raumhorizonte“ sein sollen, „die denen der Taten entsprechen“ (Jonas und Böhler 2004, S. 89). 30 3. Zukunftsethik Das „Prinzip Verantwortung“ ist damit der „Versuch, menschliches Handeln zu normieren“ (Wieland 1999, S. 11) und die gestaltende Menschenkraft, im Sinne eines zukunftsfähigen guten Lebens, ein ethisches Handlungskonzept zu geben. Um hier wieder bei der PID anzusetzen, soll die praktische Relevanz des „Prinzips Verantwortung“ für dieses Anwendungsfeld herausgestellt werden. Dazu ist aber eine grundsätzliche Annahme aufzuführen, die die Ethik als passendes Regulativ für den Umgang und Gebrauch der PID annimmt, da andernfalls die gesamte Legitimität der Urteilsfindung und Handlungsorientierung durch die Ethik in Frage gestellt wäre und hier nicht angemessen behandelt werden könnte. Die praktische Anwendung vom „Prinzip Verantwortung“ am Beispiel der PID Die Entwicklungen innerhalb der Reproduktionsmedizin und Genetik zeigen, dass menschliches Handeln Zugriff auf einen Bereich menschlichen Lebens gewonnen hat, der so noch nicht verfügbar gewesen war. Die technischen Möglichkeiten der PID stehen dafür symbolhaft, zeigen sie doch die Macht, einen vorher nur in-vivo möglichen Vorgang nun in-vitro zu reproduzieren. Mit der künstlichen Herstellung von Embryonen in-vitro durch die PID wird eine Form menschlichen Lebens zum Gegenstand der Verantwortung, der vorher nicht möglich war. Im gleichen Maße wie diese Zugriffsmacht angestiegen ist, muss nach dem Prinzip von Jonas auch die Verantwortung mitwachsen, da ein künstlich hergestellter Embryo „ganz und gar abhängig“ (Deutscher Ethikrat 2011, S. 50) von der anerkannten Sorge der Frau bzw. des Paares sowie der Ärzte um sein Daseins ist. Die Pflicht zur Sorge um ein anderes Sein korrespondiert auch hier mit der Verantwortung, sodass sie nur in einer verantwortungsvollen Entscheidung und Handlung der Frau bzw. des Paares als auch des medizinischen Personals zu finden sein muss, weil anderfalls die Existenz dieses Embryos real bedroht ist. Diese reale Bedrohung des Lebens des Embryos ist unter dem Einfluss der PID zudem noch an ein Qualitätskriterium gebunden. Dieses Kriterium steht u. U. ganz im Gegensatz zur Sorge um das Dasein des Embryos, führt es doch bei negativer Bewertung zum Verwerfen dieses Ungeborenen. Stößt hier der jonasche Verantwortungsbegriff an seine Grenzen, da seine Definition negiert wird und keine anerkannte Sorge um ein anderes Sein vorhan- 3.2 „Das Prinzip Verantwortung“ 31 den ist, da nicht jede Qualität eines Embryos diese anerkannte Sorge hervorruft? Braucht es deshalb einen neuen Verantwortungsbegriff? Dies ist fraglich, wenn im Zeichen der jonaschen Verantwortung der größte Gegenstand an sich in Bezug steht: die Zukunft der Menschheit. Welche Erweiterung könnte es dann noch geben, um einen neuen Verantwortungsbegriff zu prägen? Vielleicht zeigen erst biotechnische Innovationen wie die PID, was technisch möglich geworden ist und welche ethischen Grenzen erreicht sind. Ein neuer Verantwortungsbegriff könnte sich demnach nur durch einen Wandel dieses Wertes herausbilden, der an der gegenwärtigen menschlichen Handlungsmacht reflektiert wird. Zumindest klingt bei Jonas diese „Umwertung“ (Jonas 1987a, S. 66) des Verantwortungsbegriffes bereits an, wenn er sagt, dass „mit dem enormen Ausmaß dessen, was inzwischen auf dem Spiele steht und wofür unsere Nachkommen dereinst zahlen müssen, Vorsicht zur höheren Tugend geworden, wohinter der Wert des Wagens zurücktritt, ja, sich eher in den Unwert der Verantwortungslosigkeit verkehrt“ (Jonas 1987a, S. 66–67). Die Zulassung der PID in Deutschland und die kontroverse ethische Debatte im Vorfeld haben diesen „Umwertungsprozess“ erfahrbar gemacht. Ein Umwertungsprozess, an dessen Ende das Wagnis eingegangen und zugleich die Vorsicht zur höheren Tugend erklärt wurde. Dass zeigen die stark regulierten Voraussetzungen und Bedingungen für die Inanspruchnahme der PID in Deutschland. Hier wurde im Sinne der anerkannten Sorge um das Sein und die Schutzwürdigkeit der Frau entschieden sowie die Chancen der PID, ein gesundes Kind zu bekommen und eine Risikoschwangerschaft zu vermeiden, hervorgehoben. Das künstliche Erzeugen von Embryonen für Zwecke, die nicht der Reproduktion bestimmt sind, bleibt weiter strafbar. Die Besorgnis um die künstlich erzeugten Embryonen führt sich damit fort. Nur im Falle der PID fällt die anerkannte Sorge um das Sein der Frau höher ins Gewicht. Dieser neue Verantwortungszusammenhang lässt einen Bewertungsunterschied zwischen Schutzwürdigkeit des Embryos und der Frau zu. Dieser oft kritisch gesehene Bewertungsunterschied wird im Sinne der Vorsichtstugend durch eine Ethikkommission auf seine Legitimität geprüft und in einer ethischen Beratung, die einer PID vorausgehen muss, besprochen. Am Ende sollte die Entscheidung, eine PID durchführen zu lassen, nur im Bewusstsein dieses Verantwortungszusammenhanges stattfinden. Fer- 32 3. Zukunftsethik ner muss dieser Verantwortungszusammenhang auch im ärztlichen Ethos verankert werden, da die Ärzte die PID praktisch durchführen. Die gesetzlichen Maßstäbe dafür wurden mit dem PräimpG in Deutschland eingeführt (vgl. Deutscher Ethikrat 2011, S. 50–51). Die Pflicht zur Verantwortung wurde im Falle der PID gegenwärtig wahrgenommen, auch wenn eine Umwertung durch die technischen Möglichkeiten der PID erforderlich wurde. Dadurch konnte die PID ethisch und rechtlich legitimiert werden. Das „Prinzip Verantwortung“ galt hierin als adäquates Mittel, um die ethische Urteilsfindung und Handlungsentscheidung zu orientieren. Es könnte ethisch nicht gerechtfertigt werden, die weitere verantwortungsvolle Reflexion der Anwendungen und Auswirkungen der PID zu unterlassen. Denn für Jonas heißt Verantwortung übernehmen nicht zuletzt auch die Pflicht zur Zukunft, denn Verantwortung „erstreckt sich […] zeitlich ebenso weit, wie die Folgen gegenwärtigen Handelns […] in die Zukunft hineinreichen“ (Birnbacher 1988, S. 155). Dazu ist eine Technikfolgenbewertung nötig, die weiter danach fragt „ob wir tun dürfen, was machbar ist“ oder „ob wir letztlich tun müssen, was medizinisch möglich ist“ (Düwell 2008, S. 175). Dies lässt sich nur aus der Perspektive der Zukunft beurteilen. Sodann ist zu fragen, ob der Mensch überhaupt in der Lage ist, die Folgen seines gegenwärtigen Handelns für die Zukunft angemessen wahrzunehmen und zu bewerten, um schließlich sein Handeln daran zu orientieren? Oder stößt er an Grenzen, die die Möglichkeit zu einer adäquaten Zukunftsverantwortung in Frage stellen? 3.3 Anthropologische Grenzen der Zukunftsverantwortung und die PID Wenn Zukunftsverantwortung Verantwortung für die zukünftigen Folgen gegenwärtigen Handelns ist, dann ist das Übernehmen dieser Verantwortung von drei Komponenten abhängig: Zukunftsbewusstsein, Zukunftsbewertung und Zukunftsorientierung im Handeln. Mit diesen Komponenten treten Defizite auf, welche die Verantwortungsmöglichkeit des Menschen begrenzt. Diese Defizite könnten ein Defizit an Vorstellungs-, Bewertungs- und Willenskraft sein (vgl. Birnbacher 1988, S. 173–174). 3.3 Anthropologische Grenzen der Zukunftsverantwortung und die PID 33 Auch für die PID gelten diese drei Komponenten und ihre Defizite. Sie veranschaulichen die anthropologischen Grenzen der Zukunftsverantwortung. Die Wahrnehmung von Zukunftsverantwortung ist ohne Zukunftsbewusstsein nicht zu denken. Darin werden zukünftige Ereignisse oder Zustände antizipiert und damit im Gegenwartsbewusstsein kognitiv wahrgenommen. Dieser Vorgang kann an einigen subjektiven (persönlich-emotionalen Fakten) und objektiven (medizinischen Fakten) Entscheidungskriterien im Entscheidungsprozess, eine PID durchführen zu lassen, nachvollzogen werden (vgl. Wiedebusch 1997, S. 131). Subjektive Entscheidungskriterien sind demnach eine antizipierte Belastung durch ein erkranktes Kind in der Lebens- und Familienplanung, die mit einer antizipierten gesundheitlichen Belastung durch das Risiko einer konfliktären Schwangerschaft einhergeht. Ein objektives Entscheidungskriterium ist die genetische Indikation und damit die Zugehörigkeit zu einer Risikogruppe, da aufgrund eines bestimmten Risikofaktors angenommen werden muss, dass ohne die PID, mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit, ein erkranktes Kind entstehen würde. Alle drei Entscheidungskriterien entstehen maßgeblich durch eine Antizipationsleistung und werden im Gegenwartsbewusstsein wahrgenommen. Die Projektionen, die mit Hilfe dieser kognitiven Leistung entstanden sind, werden durch die Grenzen des Vorstellbaren (Vorstellungsdefizit), welche zwingend mit Wissen verbunden sind, begrenzt. Wissen über die zukünftigen Zustände des Kindes gibt es nicht. Jedenfalls keines, welches mit absoluter Sicherheit angenommen werden darf, da kein empirischer Zugriff auf die Zukunft besteht. Es lassen sich vielmehr nur Wahrscheinlichkeiten für diese Zustände annehmen. Insofern ist es im Fall einer genetischen Indikation wahrscheinlich, dass eine Erkrankung des Kindes zu erwarten ist, dennoch bedeutet ein hoher Risikofaktor nicht, dass ein Kind mit genetischer Erkrankung geboren werden wird. Risikofaktoren geben lediglich eine „Erkrankungswahrscheinlichkeit“ (Feuerstein und Kollek 2001, S. 28) an. Das Kind ist somit vielleicht Träger einer Erbkrankheit, aber es ist genauso möglich, dass diese Krankheit nicht auftritt. Die Unbestimmtheit von genetischen Risikofaktoren lässt ein sicheres Bewerten in dieser Situation nicht zu. Dieser Umstand trägt maßgeblich dazu bei einen Entscheidungskonflikt hervorzurufen, nämlich eine PID in Anspruch zu nehmen oder nicht, da es mindestens zwei Entwicklungsmöglichkeiten gibt und damit auch zwei Handlungs- 34 3. Zukunftsethik optionen bestehen. Eine eindeutige Entscheidungs- und Handlungsrichtung lässt sich damit nicht ableiten. Die Betroffenen müssen also beide Handlungsalternativen und ihre Folgen antizipieren und die Konsequenzen von Handlung und unterlassener Handlung gegeneinander abwägen (vgl. Wiedebusch 1997, S. 132). Dieses Abwägen kann nur durch die Bewertung dieser Konsequenzen stattfinden. Danach hat jede mögliche Handlungsalternative zugleich positive und negative Aspekte (siehe Abbildung 2). Abbildung 2: Kognitive Antizipation von Entscheidungsfolgen und Bewertung am Beispiel der PID (vgl. Wiedebusch 1997, S. 132; eigene Darstellung) Demnach könnten positive Aspekte eine PID durchführen zu lassen sein, dass Gendefekte praktisch ausgeschlossen werden können und damit die Geburt eines gesunden Kindes sehr wahrscheinlich ist sowie die Wahrscheinlichkeit einer Risikoschwangerschaft beträchtlich sinken würde. Negative Aspekte in dieser Handlungsalternative wären der invasive Eingriff vor der PID (Eizellenbiopsie) und nach der PID (Embryo- 3.3 Anthropologische Grenzen der Zukunftsverantwortung und die PID 35 transfer) sowie der moralische Konflikt bei positivem Befund, da künstlich erzeugte Embryonen verworfen werden würden. Positive Aspekte eine PID nicht durchführen zu lassen wären die Vermeidung des moralischen Dilemmas, potenzielles Leben zu verwerfen sowie die Vermeidung eines invasiven Eingriffes. Negative Aspekte dieser Verhaltensweise wären, dass weiterhin die Ungewissheit über mögliche Gendefekte und damit das Risiko ein erkranktes Kind zu bekommen besteht. Hinzu kommt, dass bei genetischer Belastung die erhöhte Wahrscheinlichkeit einer Risikoschwangerschaft besteht. Sicherlich lassen sich für beide Handlungsalternativen noch mehr positive und negative Aspekte ermitteln oder die subjektive Bewertung könnte anders ausfallen. Dennoch soll das obige Bewertungsschema für die folgende Argumentation exemplarisch herangezogen werden. Demnach ist es logisch eine Durchführung der PID als besser zu bewerten, weil die genetische Untersuchung zumindest ein bestimmtes Erkrankungsrisiko angibt und damit Ungewissheit reduziert wird. Im Gegenzug wird die Nicht-Durchführung einer PID schlechter bewertet, da die Ungewissheit bis zum Zeitpunkt der Geburt des Kindes fortbestehen würde und damit eine längere Unsicherheit über den Zustand des Kindes in Kauf genommen werden müsste. In der Folge dieser Analyse ist die Entscheidung eine PID durchführen zu lassen nachvollziehbar. Ein anderes Bild ergibt sich, wenn aber die möglichen Bewertungsdefizite in diesem Prozess betrachtet werden. Die Zeitspanne, die ohne PID überbrückt werden müsste, um die volle Gewissheit über den Zustand des Kindes zu bekommen, liegt im Idealfall vom Zeitpunkt der Befruchtung der Eizelle neun Monate in der Zukunft. Da sich aber aus der Bewertung der Projektionen gezeigt hat, dass die gegenwärtige Information durch eine PID über den wahrscheinlichen Zustand des Kindes besser bewertet wurde, liegt der Schluss nahe, dass hier eine Zeitpräferenz vorliegt, die das zukünftige Ereignis einer Geburt ohne PID diskontiert, da die Information (Nutzen) durch eine Inanspruchnahme der PID zeitlich näher liegt. In der Zukunftsethik wird dieses Bewertungsdefizit als „reine Zeitpräferenz“ bezeichnet, die „die Minderschätzung zukünftigen Nutzens oder Schadens um ihrer Zukünftigkeit willen“ (Birnbacher 1988, S. 29) beschreibt. 36 3. Zukunftsethik In Anbetracht der genetischen Indikationen oder bereits in der Familie geborene Kinder mit einer genetischen Erkrankung ist diese reine Zeitpräferenz aber nachvollziehbar, da ohne die PID eine Risikoschwangerschaft in Kauf genommen werden würde und im Falle eines erneuten Kindes mit Erkrankung, die persönlichen Ressourcen zur Krankheitsbewältigung vielleicht nicht ausreichen und zum Schaden der ganzen Familie führen könnte. Der gegenwärtige Nutzen ist in diesem Fall sehr viel höher und das Risiko zu groß. Diese Gegenwartspräferenz ist wiederum ein weiteres Bewertungsdefizit, da die Wahrscheinlichkeit besteht auch ohne PID ein gesundes Kind zu bekommen oder die persönlichen Ressourcen falsch eingeschätzt wurden und doch im Falle eines erkrankten Kindes ausreichen, um diesem ein glückliches Leben zu geben (vgl. Birnbacher 1988, S. 29). Die Minderschätzung dieser Möglichkeit, welche den gleichen Nutzen der Zukunft erbringen würde, weil ebenso ein gesundes Kind geboren werden könnte, aber dafür kein Embryo verworfen werden müsste, ist das Kennzeichen dieses Bewertungsdefizits. Es ist aber gerechtfertigt, da ein solches Szenario eines unter mehreren ist, dessen Nutzen durch die Zeitpräferenz schlechter bewertet werden wird und damit das Gegenwärtige vorziehen lässt. Neben diesen beiden Defiziten tritt im Fall der PID besonders ein Bewertungsdefizit in den Mittelpunkt, welches die kontroverse ethische Debatte über die Zulassung der PID in Deutschland mitgeprägt hat, nämlich die moralische Distanz zu dem in-vitro erzeugten Embryo (vgl. Birnbacher 1988, S. 29). Würde diese moralische Distanz nicht bestehen, welche gegenwärtig durch den Umstand verstärkt wird, dass die PID extrakorporal und in einer Laborumgebung ohne dem Beisein der Mutter oder des Paares durchgeführt wird, dann ist die klare Entscheidung für eine PID nicht mehr so eindeutig. Dieses Defizit lässt sich nur damit in einem gewissen Grad abschwächen, dass die Eizelle und das Spermium ein Teil der Eltern sind und das daraus entstandene Embryo den Eltern näher steht, als unter der in-vitro Situation. Hier sollte die aus Abschnitt 3.2 angesprochene ethische Beratung ansetzen und den neuartigen Verantwortungszusammenhang vergegenwärtigen, um diese Bindung zu verdeutlichen. Die Defizite der Vorstellungs- und Bewertungskraft reichen aber allein noch nicht aus, damit die anthropologischen Grenzen der Zukunftsverantwortung aufgezeigt werden können. Hinzu kommt das Willensdefizit, welches eine adäquate Zukunftsorientie- 3.3 Anthropologische Grenzen der Zukunftsverantwortung und die PID 37 rung im Handlen verhindert. Dieses Willensdefizit kann nicht unabhängig von den anderen zuvor vorgestellten Defiziten gesehen werden. Das Vorstellungsdefizit verhindert eine „angemessene kognitive Repräsentation der Zukunft“ (Birnbacher 1988, S. 174) und das Bewertungsdefizit eine angemessene Zukunftsbewertung, da in ihr die Gegenwartsbedeutung der Zukunft diskontiert wird. Hinzukommen könnte aber auch ein anderer psychologischer Faktor nämlich, dass „das Zukünftige verdrängt wird“, weil wir „unsere Vorstellungskraft nicht aktivieren wollen“ (Birnbacher 1988, S. 175). Es ist möglich, dieses Willensdefizit auch im Falle der PID aufzuzeigen. Demnach ist für die individuelle Entscheidung eine PID in Anspruch zu nehmen nur schwer vorstellbar, dass das kollektive Bedrohungsszenario der zukünftigen Entwicklung der PID zu einer Unterlassung dieses Eingriffes motiviert. Individuell wollen oder können die Betroffenen sich die Folgen des gegenwärtigen Inanspruchnehmens einer PID, welches zu einer Realisierung des Bedrohungsszenarios in der Zukunft führen könnte, nicht vorstellen. Dies lässt sich aus der empirischen Analyse Wiedebuschs (1997) zur Inanspruchnahme der PND ableiten. Darin wird die gegenwärtige Information individuell zu stark wahrgenommen sowie positiv bewertet und wirkt damit maßgeblich handlungsentscheidend. Dieses Motiv wird verständlich, wenn der Wunsch nach einem gesunden Kind besteht und die Eltern versuchen alle Möglichkeiten wahrzunehmen, die dem Kind eine offene Zukunft verspricht. Es führt dazu, dass das Bedrohungsszenario gegenwärtig als mögliche Entwicklung vielleicht wahrgenommen wird, aber die „Ego-Präferenz“ (1988, S. 29) zu stark ist, um eine andere Bewertung und damit eine andere Handlung in Betracht zu ziehen. Diese Ego-Präferenz ist im Zusammenhang der PID aber leicht nachvollziehbar und gerechtfertigt, denn die Entscheidung eine PID durchführen zu lassen ist individuell bestimmt. Ein eugenisches Motiv, welches zum Bedrohungsszenario führen könnte, besteht nicht (vgl. Deutscher Ethikrat 2011, S. 61). Diese im Mikrobereich (zwischenmenschliches Verhalten) angesiedelte individuelle und emotionale Entscheidung der Frau bzw. des Paares überschreitet u. U. die Vorstellungskraft und vielleicht auch den Vorstellungswillen, die Konsequenzen auch auf den Mesobereich und weiter auf den Makrobereich, indem das Bedrohungsszenario agiert, 38 3. Zukunftsethik zu extrapolieren. Insofern könnte eine adäquate Zukunftsverantwortung, in der die Konsequenzen für den Meso- und Makrobereich mitberücksichtigt werden, nicht alleinig im Mikrobereich, d. h. in der Privatsphäre geleistet werden. Es ist vielmehr die Aufgabe des Mesobereichs, also der öffentlichen politischen Sphäre, adäquate normative Rahmenbedingungen zu verhandeln und zu beschließen, damit die Auswirkungen der Inanspruchnahme der PID nicht zu einem im Makrobereich (Zukunft der menschlichen Natur) angesiedeltem Bedrohungsszenario ausartet (vgl. Hofmann 2004, S. 211–212). Tiberius weist hierzu in Anlehnung an Slaughter darauf hin, dass sich „individuelle Zukunftsbilder zu kollektiven aggregieren“ und dann „gesellschaftlich ausgehandelt“ (Tiberius 2011, S. 81) werden. Durch diesen Aushandlungsprozess im Mesobereich kommt es wiederum zur „Aufteilung der Zuständigkeiten“, denn „keiner ist für alle Zukunftsprobleme zugleich verantwortlich, sondern es sind abgegrenzte Zuständigkeiten definiert, die den Verantwortungsbereich jedes einzelnen Akteurs auf ein überschaubares Maß reduzieren“ (Birnbacher 1988, S. 261). Die Frau bzw. das Paar könnte an diesem im Mesobereich stattfindenden demokratischen Prozess als kollektiver Akteur partizipieren und darin den individuellen Charakter ihrer Entscheidung hervorheben, welche sich an dem Szenario eines gesunden Kindes orientiert und somit ihren Anteil dazu beitragen, dass ihre individuelle Entscheidung eine PID durchführen zu lassen, kein Motiv des Bedrohungsszenarios ist und damit trotz der anthropologischen Defizite und Begrenzungen Zukunftsverantwortung übernehmen. 3.4 Zwischenfazit Die Entscheidung der Frau bzw. des Paares eine PID in Anspruch zu nehmen oder nicht, ist nur im Mikrobereich zu verantworten, aufgrund des individuellen Charakters ihrer Handlung. Diese individuelle Handlung ist durch Emotionen subjektiv befangen. Damit ist sie nicht übertragbar auf den Meso- oder Makrobereich. In diesen Bereichen wäre die Objektivierung dieser Entscheidung und Handlung von Nöten. Zu dieser Leistung sind die Betroffenen nicht oder nur begrenzt in der Lage, wie die anthropologischen Defizite der Zukunftsverantwortung aufgezeigt haben. 3.4 Zwischenfazit 39 Somit sind es nicht die individuellen Entscheidungen und Handlungen innerhalb der PID die ausschlaggebend sind, sondern die normativen Rahmenbedingungen einer Gesellschaft, die das Bedrohungsszenario wirksam verhindern könnten. Nur hier könne eine „rollenübergreifende Fernverantwortung“ (Birnbacher 2003, S. 84) eingenommen werden und die ethischen Herausforderungen einer PID adäquat, im Sinne einer adäquaten Zukunftsverantwortung besprochen werden, da durch die Vielzahl der Akteure, welche an diesem Diskurs im Idealfall beteiligt sind, eine objektivierte Sicht eingenommen werden könnte. Diese Gegebenheit kann verdeutlicht werden, wenn betrachtet wird, dass die PID, trotz des ESchG von 1990, nachdem die künstliche Erzeugung von Embryonen verboten war und vor ihrer gesetzlichen Zulassung 2011, jahrelang in Deutschland praktiziert wurde, also im Mikrobereich bereits passierte. Erst durch die vermehrte Anwendung der PID und abschließend durch das Rechtsurteil des BGH 2010 sowie der darauf folgenden breiten öffentlichen Debatten besonders zwischen 2010 und 2011, wurden diese individuellen Entscheidungen und Handlungen aus dem Mikrobereich in den Mesobereich erhoben und auf den Makrobereich ausgedehnt. Erst dieser Prozess offenbarte die ethisch bedeutsamen Entscheidungs- und Regelungsprobleme im Mesobereich und den Auswirkungsbereich im Makrobereich. Diese Ausdehnung der Entscheidung und der Handlung des Mikrobereiches auf den Meso- und Makrobereich, führt zu zwei praktischen Problemen, welche die theoretische Wirkungskraft der Zukunftsverantwortung und damit der Zukunftsethik begrenzt: Anonymität und das Potenzial zur Überforderung der Akteure des Mikrobereiches. Demnach erscheint Zukunftsverantwortung allein durch ihre zeitliche Reichweite „diffus und ungreifbar“ (Birnbacher 2003, S. 82). Diese Anonymität wird zudem noch verstärkt, da sie auf Menschen übertragen werden müsste, die die Betroffenen nicht kennen oder nicht kennen können und damit eine Identifizierung schwerfällt. Hinzu kommt, dass die Akteure leicht überfordert werden könnten, weil sie im Idealfall einer adäquaten Zukunftsverantwortung eine Handlung nur dann vornehmen sollten, wenn alle absehbaren Folgen – im besten Fall auch die, welche im Meso- und Makrobereiche ihre Auswirkungen haben – überblickt werden. Diese Entgrenzung ist theoretisch vielleicht möglich, da sie in diesem Bereich mit „idealen Normen und fiktiven Akteuren“ arbeitet, aber praktisch nicht realisierbar und auch nicht zweckmäßig, 40 3. Zukunftsethik da es um „zumutbare und lebbare Normen für reale Akteure“ (Birnbacher 2003, S. 82) gehen muss, damit sich ihre praktische Wirkungskraft entfalten kann. Die Forderung nach der Entgrenzung der Verantwortung ist vor diesen praktischen Problemen wohl kaum einzuhalten. Für eine Entgrenzung trotz praktischer Probleme spricht aber, dass mit erweiterten Möglichkeiten der Voraussicht und der Früherkennung von Gefahren und Risiken sowie das zunehmende Wissen um die wahrscheinlichen und möglichen Folgen gegenwärtigen Handelns für die Zukunft, die Verantwortungsmacht wächst und die üblichen Grenzen aktiv überschritten werden könnten. Die Möglichkeiten der Voraussicht und der Früherkennung könnten zudem durch wissenschaftliche Methoden der Vorausschau angeleitet und fundiert werden und damit die praktischen Grenzen und Probleme der Zukunftsethik verringern. Somit ist der Wert der Vorausschau für eine adäquate Zukunftsverantwortung für eine Welt von morgen nicht zu unterschätzen. Dafür könnte maßgeblich eine für Jonas neue Disziplin in Deutschland herangezogen werden: „Also wird die neue Wissenschaft (oder Kunst) der Futurologie, die uns die Fernwirkungen sehen läßt, ein in dieser Form und Funktion neuer Wert für die Welt von morgen. Sie dient nicht, wie die Wissenschaft von der Natur, auf die sie sich stützt, unsere Macht zu mehren, sondern sie zu überwachen und vor sich selbst zu schützen – letztlich also, um Macht über jene zuvor der Naturwissenschaft entsprungene Macht zu gewinnen. Sie kann dies nur, wenn das von ihr Gewußte, d. h. als möglich oder wahrscheinlich Gezeigte, in der Anschauung erlebt wird, so daß es das ihm angemessene Gefühl in uns erzeugt, das zum Handeln bewegt. Durch diese Verbindung mit dem Gefühl, das einem künftigen Menschenzustand antwortet, trägt solche Vorschau zur Vermenschlichung des naturwissenschaftlich-technischen Wissens bei, das sie ja schon beim Extrapolieren in die Zukunft mit einem Wissen vom Menschen verschmelzen muß.“ (Jonas 1987a, S. 65–66) Diese „neue“ Wissenschaft heißt: Zukunftsforschung. 4. ZUKUNFTSFORSCHUNG 4.1 Ontologische und epistemologische Grundlagen der Zukunftsforschung am Beispiel der PID Es kann zusammenfassend festgestellt werden, dass die Zukunftsdimension der Drehund Angelpunkt in der komplexen und kontroversen Auseinandersetzung mit der PID und der Zukunftsethik ist. Festgestellt werden kann auch, dass mit dem Einnehmen der Zukunftsperspektive eine Vielzahl von Einschränkungen verbunden sind, welche besonders die anthropologischen Grenzen der Zukunftsverantwortung aufgezeigt haben. Um diese Feststellungen näher zu untersuchen ist es notwendig, den Gegenstand „Zukunft“ näher zu betrachten und ihre Rolle in den beiden Bereichen PID und Zukunftsethik zu ermitteln, um daran die mögliche Relevanz einer Zukunftsforschung, welche sich wissenschaftlich mit diesem Gegenstand auseinandersetzt zu begründen. Grundlegendes ontologisches Charakteristikum der Zukunft ist, dass sie zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht ist, sondern sein wird. Die Überprüfung von Zukunftsaussagen kann damit nicht an der Realität stattfinden, weil ein empirischer Zugriff auf die Zukunft nicht möglich ist. Die Zukunft existiert demnach im ontologischen Sinn nicht. Zugänglich sind nur gegenwärtige Vorstellungen über die Zukunft, wie wir sie heute erwarten. Wenn wir also von einer zukünftigen Welt sprechen, in der das Bedrohungsszenario der PID Realität geworden ist, dann sprechen wir nicht darüber, wie diese Welt „dann wirklich sein wird, sondern darüber, wie wir sie uns heute vorstellen“ (Grunwald 2012, S. 184). Aufgrund dieser Gegebenheit spricht Grunwald von der „Immanenz der Gegenwart“ (Grunwald 2009, S. 27). Durch diese „Immanenz der Gegenwart“ ist es nicht möglich, „die Gegenwartsbezogenheit von Zukunftsaussagen […] ab- 42 4. Zukunftsforschung zustreifen“, da sie „grundsätzlich auf gegenwärtiges Wissen und gegenwärtige Relevanzentscheidungen angewiesen“ (Grunwald 2009, S. 27) sind. Heute sprechen wir also über eine gegenwärtige Zukunft mit dem uns gegenwärtig zur Verfügung stehenden Wissens über die Zukunft. Wissen über eine zukünftige Gegenwart ist unsicher. Diese Unsicherheit könnte mit dem empirischen Zugriffsentzug und durch die „Immanenz der Gegenwart“ begründet werden. Somit können wir nur über alternative Entwicklungsmöglichkeiten reden, da eine zukünftige Gegenwart nicht sicher vorhergesagt werden kann. Dieser Umstand führt dazu, einen Möglichkeitsraum aufzuspannen, indem nicht eine Zukunftsentwicklung anzunehmen ist, sondern mehrere. Insofern gibt es nicht eine mögliche Zukunft, sondern mehrere mögliche Zukünfte (vgl. Kreibich 2008, S. 9). Es hat sich nun aber gezeigt, dass im Falle der PID und der Zukunftsethik versucht wurde, Orientierung in Bezug auf zukünftige Entwicklungen und Folgen von Entscheidungen und Handlungen dadurch zu erlangen, indem die möglichen Entwicklungsalternativen, also Zukünfte, im Hinblick auf ihre Wahrscheinlichkeit und Erwünschtheit bewertet wurden und die Ergebnisse dieser kognitiven Leistung in den gegenwärtigen Entscheidungsprozess zurückgeflossen sind. Dieser Orientierungsprozess wirft die Frage auf, in welchem Maße dieser Prozess und seine Ergebnisse ihre Geltungskraft für die Zukunft behaupten können, wenn die oben aufgeführte Immanenz der Gegenwart einen logischen Schluss auf die Zukunft nicht zulässt. Eine Geltungskraft dieses Prozesses für die Zukunft zu behaupten ist genauso wenig logisch bzw. möglich, wie heute eine zukünftige Gegenwart vorherzusagen. Vielmehr geht es um Orientierung, also eine Tendenz bzw. Möglichkeit der Entwicklung, die mitnichten gesichert angenommen werden sollte. In dieser Orientierung wird eine Zukunftsreflexion von Entwicklungsalternativen und dessen Bewertung vorgenommen und damit eine Entscheidungsgrundlage gewonnen. Diese Entscheidungsgrundlage könnte den Möglichkeitsraum vielleicht verkleinern, aber niemals auf eins setzen, da nie alle Einflussfaktoren in der Zukunftsreflexion wahrgenommen werden, in der subjektiven Bewertung durchfallen oder aufgrund der Entgrenzung der Wirkungsbereiche überfordern und damit nicht einbezogen werden können. Die in der Zukunftsreflexion projizierten Entwicklungsmöglichkeiten können alleinig durch die Begründung von Wahrscheinlichkeit, Plausibilität und Wünschbarkeit an gegenwärtiger Geltungskraft 4.1 Ontologische und epistemologische Grundlagen der Zukunftsforschung am Beispiel der PID 43 gewinnen (vgl. Schröder et al. 2011, S. 52–53). Es ist möglich, diesen Orientierungsprozess am Beispiel der PID darzustellen (Abbildung 3). Abbildung 3: Entscheidungstheoretische Zukunftsreflexion zur Zulassung der PID in Deutschland 2011 (vgl. Grunwald 2012, S. 176; eigene Darstellung) Im Jahr 2011 herrschte eine Unsicherheit für den Umgang und Gebrauch der PID, welche eine Anpassung der rechtlichen und normativen Rahmenbedingungen in Deutschland erforderte. Dazu wurden in der öffentlichen Debatte mehrere Szenarien auf die Zukunft projiziert, von denen exemplarisch in der obigen Abbildung zwei aufgeführt sind. In diesen Szenarien manifestierten sich unterschiedliche Zielsetzungen, Erwartungen und Befürchtungen für die Zukunft. Mit dieser Zukunftsperspektive konnte eine Bewertung dieser Szenarien im Hinblick auf ihre Wahrscheinlichkeit und Wünschbarkeit erfolgen und dessen Rückführung in die Gegenwart als Orientierungsgrundlage dienen. Diese Grundlage wurde der repräsentativen Vertretung des öffentlichen Diskurses, der gesetzgebenden Gewalt des Deutschen Bundestages übergegeben, welche die PID eingeschränkt zuließ und das neue PräimpG aufstellte und somit gestaltend auf die Zukunft einwirkte. Offen bleibt die Frage: Wie wird sich die PID aber nun wirklich entwickeln, welche Geltungskraft für die Zukunft haben die aus den Szenarien abgeleiteten Orientierungs- und Gestaltungsgrundlagen? Dies lässt sich nur mit Abwarten beantworten und erst überprüfen, wenn der Zeitpunkt dieser Zukunft gekommen ist und damit erfahrbar wird. Hier zeigen sich die gegenwärtigen Möglichkeiten einer Vergegenwärtigung von Zukünften für Entscheidungsprozesse. Die Zukunftsreflexion dient darin als Orientie- 44 4. Zukunftsforschung rungsgrundlage für eine Entscheidung und leitet darauf folgend zum praktischen Handeln an. Die Zukunftsreflexion erlangt dadurch praktische Relevanz für die Gegenwart. Kennzeichnend für Zukünfte ist aber auch, dass sie reine „gegenwärtige Konstruktionen“ (Grunwald 2009, S. 28) sind und damit zwei praktische Probleme verbunden sind: das Ambivalenzproblem und das Beliebigkeitsproblem von Zukünften. Die kontrovers geführte Debatte zur PID in Deutschland offenbarte, dass Zukunftserwartungen und -befürchtungen divergieren können. So wurden die Möglichkeiten eines „Designerbabys“ nicht unbedingt als Exemplifizierung einer liberalen Eugenik bewertet, sondern auch als Chance des technischen Fortschritts angesehen. Alleinig dieser Fall zeigt, dass es geradezu gegensätzliche Auffassungen und Bewertungen von einer Zukunft mit der PID geben kann. Hierin kommt ein typischer Interessenkonflikt einer pluralistischen Gesellschaft zu Tage, welcher über die Zukunftsdimension ausgetragen wird. Darin werfen die absoluten PID-Befürworter den PID-Kritikern Zukunftsverweigerung vor, der den technischen Fortschritt aufhält und die PID-Kritiker halten dagegen: „Es ist […] ein Irrweg zu behaupten, die Nichtzulassung einer technologisch möglichen Intervention wie der PID sei Zukunftsverweigerung. Vielmehr ist es eine Verweigerung von Zukunftsverantwortung, wenn man das, was technologisch möglich ist, auch ethisch für verantwortbar und rechtlich für zulässig erklärt.“ (Deutscher Ethikrat 2011, S. 151) Diese beiden Bewertungsunterschiede lassen die PID einerseits als „Worst-Case“Szenario und anderseits als „Best-Case“-Szenario darstellen. Die Bewertung von „negativ“ und „positiv“ hängt von der Interessenposition ab. Eine Orientierungsgrundlage nach dem obigen Schema der Zukunftsreflexion (siehe Abbildung 3) scheint damit nicht mehr gegeben oder zumindest ambivalent. Dieses „Ambivalenzproblem“, nach dem „Zukünfte im Hinblick auf ihre Wünschbarkeit leicht umgedreht werden [können]“ (Grunwald 2012, S. 177), offenbart eine gewisse Beliebigkeit in der Konstruktion von Zukünften, da die Vertreter der einzelnen Positionen ihre Zukunftsbilder gemäß ihrer Überzeugung produzieren, um diese für die Stärkung ihrer Interessen zu verwenden. Dies führt zum „Beliebigkeitsproblem“ (Grunwald 2012, S. 176), welches veranschaulicht, dass eine pluralistische Gesellschaft genauso pluralistisch in ihren Werten, Menschenbildern, Hoffnungen und Befürchtungen ist und mit den daraus entstehenden Konflikten genauso Konflikte über die Zukünfte („Contested Futures“ Brown et al. 2000) entstehen. 4.1 Ontologische und epistemologische Grundlagen der Zukunftsforschung am Beispiel der PID 45 Die wissenschaftliche Unterstützung der PID durch zahlreiche Stellungnahmen konnte in dieser kontroversen Zukunftsdebatte aber Orientierung vermitteln, indem sie das „Transparenzproblem“ (Grunwald 2012, S. 177) überwand. Dazu konnte die Stellungnahme des Deutschen Ethikrates (2011) beitragen, welche maßgeblich die politische Entscheidungsfindung aufgrund einer wissenschaftlich geleiteten, argumentativen Abwägung der unterschiedlichen Positionen und Interessen orientierte. Vollständig eingedämmt konnte das Ambivalenzproblem durch diese wissenschaftliche Zukunftsreflexion jedoch nicht werden. Am Ende der Stellungnahme des Deutschen Ethikrates standen somit zwei Hauptvoten: eines für die eingeschränkte Zulassung und ein zweites für das Verbot der PID.16 Diese beiden Hauptvoten symbolisierten die kontroversen Standpunkte, welche in der Zukunftsdebatte über die PID zentral waren und welche zu den unterschiedlichen Szenarien in der Zukunftsreflexion führten. Mit Hilfe der ethischen Zukunftsreflexion über die PID hat sich nach Turnbull ein „Third Moral Space“ (Turnbull 2003, S. 4) geöffnet, indem ein ethischer Diskurs in der öffentlichen politischen Sphäre über die Chancen der technischen Interventionsmöglichkeiten der PID und den dadurch entstehenden ethischen Konflikten, welche die grundlegenden Konzeptionen der Ethik berührten, entstand. Dieser ethische Diskurs hat danach gefragt, wie können wir mit der PID umgehen und wie dürfen wir mit der PID in Zukunft umgehen. Diese beiden unterschiedlichen Moralansätze konnten mit Hilfe der Methode des politischen Diskurses unter dem Dach der Demokratie zusammengebracht werden und in den Entscheidungsprozess integriert werden (siehe Abbildung 4 auf der nächsten Seite). Mit dieser Dialektik ließ sich eine integrative Zukunftsvision schaffen, in der die beiden moralischen Positionen zusammenkommen konnten, wobei die Wahlmöglichkeiten der PID unter den Bedingungen eines guten Lebens genutzt werden dürfen und insofern die PID im Ergebnis eingeschränkt zugelassen werden konnte. Erst über die „Umwegeargumentation“ (2009, S. 28) eines Zukunftsdikurses und durch die integrative Leistung des „Third Moral Space“ konnte der gesellschaftliche Konflikt um die PID entschieden werden. Die Bedeutung der Zukunftsreflexion spielte dabei eine wesentliche Rolle. Diese Zukunftsvorausschau konnte aufgrund ihres „Interventionscharakters“ (Grunwald 2012, S. 173) die gegenwärtigen rechtlichen und ethi16 Neben diesen beiden Hauptvoten wurde noch ein Sondervotum aufgestellt, welches für die Zulassung der PID stimmte, aber das Festlegen einer festen Indikationsliste der Erbkrankheiten forderte. 46 4. Zukunftsforschung schen Unsicherheiten sowie Entscheidungs- bzw. Regelungsnotwendigkeiten orientieren. Abbildung 4: Dialektik der „Moral Spaces“ nach Turnbull am Beispiel der PID (vgl. Turnbull 2003, S. 11; eigene Darstellung) Der Konflikt um die PID hat gezeigt, dass in einer modernen Gesellschaft und technologischen Zivilisation die Auseinandersetzung mit der Zukunft zunehmend über Zukunftsdebatten ausgetragen wird. Die Entwicklung und Anwendung der PID wird sich in den kommenden Jahren weiter fortführen. Um diese Entwicklung zu flankieren, könnte das zukunftsorientierte Theorien- und Methodenkonzept der „Technikzukünfte“ die Notwendigkeit einer sich an der Gegenwart wiederholenden Zukunftsreflexion der PID wissenschaftlich und methodisch anleiten, sodass der gesellschaftliche Aushandlungsprozess an möglichst validen Zukunftsszenarien der PID stattfinden und damit die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen zukunftsverantwortlich angepasst werden könnten. 4.1 Ontologische und epistemologische Grundlagen der Zukunftsforschung am Beispiel der PID 47 Technikzukünfte und die PID Die Zukunftsdebatte über die PID in Deutschland hat aufgezeigt, dass diese Biotechnik nicht unabhängig von ihrer komplexen Wechselwirkung mit dem Menschen und der Gesellschaft gesehen werden kann. Im Zentrum dieser Debatte stand die Anwendung der PID und ihre Implikationen für die Gesellschaft. Dazu wurden Zukünfte der PID projiziert, welche zu einem wesentlichen Bestandteil des gesamtgesellschaftlichen Diskurses wurden. Hier wurde die Frage gestellt, mit welcher Anwendung der PID die Gesellschaft in Zukunft leben will. In dieser Frage und den bereits hier angestellten Ausarbeitungen sowie den Analysen aus Kapitel 2 und 3 wird die soziokulturelle Dimension der PID deutlich, worin sie nicht für sich allein steht, sondern eine „Technik in der Gesellschaft“ (acatech 2012, S. 13) ist und dort ihre Anwendung unter medizinischen, rechtlichen und ethischen Aspekten verhandelt wird. Der angesprochene Interventionscharakter von Aussagen über die Zukunft für die Gegenwart, bringt eine besondere Verantwortung für den soziokulturellen Raum mit sich, da „biomedizinische Fiktionen über die menschliche Zukunft […] performativ [wirken]“ (von Bock Wülfingen 2007, S. 9) und damit handlungsstrukturierend für die Gegenwart sind. Dieser Charakter stellte sich ebenso im Zusammenhang mit der PID dar und wurde in diesem Abschnitt bereits erläutert. Darin führten die Zukunftsaussagen über die Chancen und Risiken der PID nicht zuletzt zur Bewertung dieser Biotechnik, sondern waren ebenso maßgebend für die politische Entscheidung. Es besteht also eine besondere Verantwortung für diejenigen, die Technikzukünfte kommunizieren und in den gesellschaftlichen Aushandlungsprozess einbringen (vgl. acatech 2012, S. 14). Diese besondere Verantwortung könnte durch die wissenschaftlich angeleitete Erstellung von „Technikzukünften“ und darin die methodisch fundierte Zukunftsreflexion, orientiert werden. Hierin werden konditionale Zukunftsaussagen, also Aussagen die den Eintritt eines Ereignisses vom Eintritt einer oder mehrerer Bedingungen oder Voraussetzungen abhängig machen, über die künftige Entwicklungswahrscheinlichkeit und deren mögliche Chancen und Risiken wissenschaftlich begründet und ihre Annahmen expliziert (vgl. acatech 2012, S. 21–22). Eine konditionale Zukunftsaussage über die PID könnte in diesem Zusammenhang lauten: „Wenn auch morgen noch die anerkannte Sorge über das Sein anderer vorhan- 48 4. Zukunftsforschung den ist und die Anwendung der PID besonders im Mesobereich zukunftsverantwortlich im Hinblick auf ihre zukünftigen Folgen reflektiert wird und daraus Entscheidungs- und Reglungsnotwendigkeiten entstehen, die an der jeweiligen Gegenwart ausgehandelt werden und eine negative Bewertung des Bedrohungsszenario der PID vorherrscht, dann wird es möglich sein, das Heraufkommen einer liberalen Eugenik zu verhindern.“ Solche „Wenn-Dann-Aussagen“ kommunizieren die Annahmen (Wenn) unter denen bestimmte Ereignisse bzw. Folgen (Dann) angenommen werden dürfen. Die transparente und plausible Begründung dieser Annahmen und ihre wissenschaftliche Untermauerung könnte Rückschlüsse auf die Wahrscheinlichkeit bzw. Möglichkeit von Ereignissen bzw. Folgen dieser Annahmen geben und damit eine Methode sein, um valide Zukunftsbilder in der Gesellschaft darzustellen. Es sind hier wiederum die erkenntnistheoretischen Grenzen von Zukunftsaussagen zwingend zu berücksichtigen. „Wenn-Dann-Aussagen“ können nur als Hypothesen formuliert werden, da die Gültigkeit ihrer Annahmen zwar begründet, aber nicht bewiesen werden können, aufgrund der ontologischen Nichtexistenz der Zukunft. Insofern ist der probabilistische und possibilistische Charakter von Zukunftsaussagen hervorzuheben. Damit können nur Wahrscheinlichkeits- bzw. Möglichkeitsaussagen über die Zukunft kommuniziert werden (vgl. acatech 2012, S. 23). Hinzu kommt, dass die Kommunikation dieser Zukünfte eine Intervention für die Gegenwart bedeutet, die das Handeln und Entscheiden verändern und damit die Annahmen der ursprünglichen Zukunftsvorausschau entweder zunichtemachen (self-destroying) oder geradezu erst herbeiführen (self-fulfilling). Dieses „Interventionsproblem“ (Grunwald 2012, S. 177) kann nicht ausgeschlossen werden, da die Kommunikation von gesellschaftlichen Zukünften nicht von einer unabhängigen Beobachterposition stattfinden kann, sondern jeder ein Akteur in einer Gesellschaft ist und damit ihre Zukunft ein Teil der eigenen Zukunft sein wird. Die Zukunftsdebatte über die Zulassung und Anwendung der PID hat „Wenn-DannAussagen“ über die Zukunft produziert. Darin wurde die Annahme eines Bedrohungsszenarios vorangestellt, welche im Ergebnis die menschliche Natur bedrohen und durch eine liberale Eugenik exemplifiziert werden könnte. Damit diese Prophezeiung nicht Eintritt, wurden die rechtlichen und normativen Rahmenbedingung angepasst, um damit die Annahmen und Ergebnisse des Bedrohungsszenarios nicht Realität wer- 4.1 Ontologische und epistemologische Grundlagen der Zukunftsforschung am Beispiel der PID 49 den zu lassen. Die negative Zielvorgabe löste also Handlungen aus, die wiederum zum Ziel hatten, eben diese Entwicklung zu vermeiden. Dementsprechend wurde versucht, das Bedrohungsszenario der PID mit Hilfe der self-destroying-prophecy zunichtezumachen und im Gegenzug das Szenario vom gesunden Kind zu verwirklichen, indem die Wahlmöglichkeit der PID zur Gendiagnose von Erbkrankheiten genutzt wird, um den Wunsch nach einem gesunden Kind, trotz genetischer Belastung der Eltern, zu erfüllen. Diese positive Zielvorgabe ließ die PID unter Einschränkung in Deutschland 2011 zu. Damit wurden Handlungen unternommen, welche das Ziel hatten, eben diese Entwicklung herbeizuführen und in diesem Sinn die self-fulfillingprophecy einzulösen. Dieser normative Vorgang wurde mit Hilfe der Zukunftsreflexion, innerhalb dessen die Bewertung stattfand und der darauf folgenden gesellschaftlichen Debatte umgesetzt. Innerhalb der „Technikzukünfte“ lassen sich Methoden nennen, welche diese Zukunftsreflexion wissenschaftlich anleiten und fundieren könnten. Hierzu zählen maßgeblich die Szenario- und Delphi-Methode sowie das Roadmapping, welche besonders in einer normativen Ausrichtung die Wertbildung der Akteure im Hinblick auf die Zukunft anregen könnten.17 Mit diesen Methoden könnte eine standardisierte oder nicht-standardisierte Zukunftsvorausschau vorgenommen werden, die im Ergebnis Zukunftsbilder (Zukünfte) hervorbringt. Mit diesem Output lassen sich normative Zukunftsdebatten in der Gesellschaft über Techniken und Technologien anregen und orientieren. Die Zulassung der PID in Deutschland 2011 und ihre verstärkte Praktizierung in den kommenden Jahren könnte ein Anwendungsfeld dieser Methoden der Vorausschau sein. Damit könnte die Zukunftsreflexion innerhalb der gegenwärtigen Rahmenbedingungen erfolgen und vor dem Hintergrund der Entwicklung(smöglichkeiten) der PID sowie der daraus resultierenden wissenschaftlich fundierten Zukunftsbilder, in den gesellschaftlichen Aushandlungsprozess eingebracht werden könnten. Die Zukunftsforschung ist eine wissenschaftliche Disziplin, welche diese Methoden für ihre Forschung verstärkt einsetzt und damit ihre Einbeziehung in diesen Prozess naheliegt. 17 Es wurde hier darauf verzichtet, diese Methoden näher einzuführen, da bereits eine Reihe an umfassenden Methodenhandbüchern existieren. Eine Übersicht der Methoden liefert etwa Kreibich und Oertel (2011). 50 4. Zukunftsforschung 4.2 Erkenntnisziele der Zukunftsforschung Bis jetzt und im Vorfeld der öffentlichen Debatte über die PID wurde zwar implizit über die Zukunft bzw. die Zukünfte mit der PID geredet, es wurden sogar Szenarien kommuniziert, welche sich aus den einzelnen medizinischen, rechtlichen und ethischen Argumenten abgeleitet haben, dennoch wurde keine explizite wissenschaftliche Vorausschau, in der die Zukunftsreflexion methodisch angeleitet wurde, vorgenommen. Für derartige gesellschaftstechnologische Problemstellungen, welche mit der PID aufgekommen sind und die einen expliziten Zukunftsbezug haben, könnte die Zukunftsforschung z. B. mit Hilfe von „Technikzukünften“ wissenschaftliche und methodische Unterstützung anbieten. Zukunftsforschungsmethoden nehmen einen zentralen Platz innerhalb der Disziplin ein. Zu diesen Methoden zählen u. a. die aus dem Abschnitt „Technikzukünfte und die PID“ angesprochenen. Eine Übersicht von Methoden, welche maßgeblich für einen zukunftswissenschaftliche Auseinandersetzung verwendbar sind, stellt Glenn (2009) im Zusammenhang des Millennium Projects und in aktueller Version 3.0 zur Verfügung. Aufgrund des Rahmens dieser Arbeit kann hier nicht näher auf die einzelnen Methoden und ihre Spezifika sowie auf ihre Leistungsfähigkeit eingegangen werden. Denkbar in einem anderen Rahmen wäre es, Zukunftsforschungsmethoden genauer zu untersuchen, um Rückschlüsse auf ihre Leistungsfähigkeit in Bezug auf die Möglichkeiten einer validen Zukunftsbeschreibung zu erhalten. In diesem Prozess wäre es interessant zu untersuchen, welche Rolle diese Methoden für die Zukunftsbewertung spielen, um wiederum Aussagen über die normative bzw. präskriptive Leistungskraft der deskriptiven Zukunftsbilder zu erhalten. Insofern soll hier angenommen werden, dass diese Methoden adäquate Erkenntnisinstrumente sind, um die Erkenntnisziele der Zukunftsforschung hervorzuheben. Es sind nämlich die Erkenntnisziele, welche die Ausgangsfragestellung dieser Arbeit näher beleuchten können. Die Erkenntnisziele der Zukunftsforschung richten sich hier maßgeblich nach den vier Unterscheidungen von Tiberius: deskriptives (Beschreibung), theoretisches (Erklärung), pragmatisches (Bewertung und Gestaltung) sowie wissenschaftstheoretisches Erkenntnisziel (Tiberius 2011, S. 74ff). 4.2 Erkenntnisziele der Zukunftsforschung 51 Das deskriptive Erkenntnisziel der Zukunftsforschung ist, wie bereits im vorigen Abschnitt erwähnt, die Beschreibung und Aufstellung von möglichen und wahrscheinlichen Zukunftsalternativen bzw. -aussagen. Dieser deskriptive Ansatz der Zukunftsforschung ist zunächst rein analytisch. Es geht darin um eine Extrapolation und Konstruktion der möglichen und wahrscheinlichen Zukünfte in einem bestimmten Anwendungsfeld. Diese Zukünfte sind gegenwärtige, kognitive Konstrukte und damit erfahrbar sowie mit Hilfe der Zukunftsforschung erforschbar: „Erfassbar sind Vorstellungen möglicher Zukünfte, insbesondere die zugrunde liegenden Wahrscheinlichkeitswerte, Vorstellungen bevorzugter Zukünfte, insbesondere die Ziele, Werte und Einstellungen der Menschen, Handlungsintentionen, gegenseitige soziale Verpflichtungen und daraus ableitbare, überdauernde Verhaltensroutinen, das Wissen über die Vergangenheit, […] Wissen über die Gegenwart und Extrapolationen aufgrund aktueller Zeitreihen.“ (Tiberius 2011, S. 78) Das theoretische Erkenntnisziel der Zukunftsforschung ist das Erklären des Entstehens von Zukünften. Wie bereits im Abschnitt 3.1 festgestellt, besteht ein Kontinuitätsverhältnis zwischen der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft, dementsprechend zeichnet sich die Zukunft in der Gegenwart vor. Somit sind auch bereits in der Gegenwart Voraussetzungen und Bedingungen von Zukünften vorhanden, welche erklärt werden können. Diese „Erklärung der Zukunftsgenese […] gilt für viele als die zentrale Aufgabe der Zukunftsforschung“ (Tiberius 2011, S. 79). Infolge des deskriptiven Erkenntnisziels, welches auch nach den vorherrschenden Zukunftsvorstellungen fragt, setzt sich das theoretische Erkenntnisziel mit der Erklärung für deren Entstehung auseinander. Darin wird nach den Gründen gefragt, warum bestimmte Zukunftsvorstellungen entstehen und wie diese Zukunftsbilder in Handlungen umgesetzt werden oder ob sie dazu überhaupt in der Lage sind (vgl. Tiberius 2011, S. 80–81) Das pragmatische Erkenntnisziel der Zukunftsforschung ist die Bewertung und Gestaltung wünschenswerter Zukünfte. Hier kommt neben dem deskriptiven Erkenntnisziel, welches rein analytisch interpretiert, auch das normative Erkenntnisziel der Zukunftsforschung, welches wertorientiert bzw. präskriptiv interpretiert, zum Vorschein (vgl. Tiberius 2011, S. 82). Jedoch stehen wünschenswerte Zukünfte, also subjektive Präferenzen, der Objektivität der Zukunftsforschung als Wissenschaft im Wege. Insofern geht es in diesem pragmatischen Erkenntnisziel vielmehr um eine Zukunftsbewertungskritik, welche unterschiedlich bewertbare Zukunftszustände diskutiert. Die partizipative Zukunftsforschung hat in dieser normativen Ausrichtung einen wichtigen 52 4. Zukunftsforschung innerwissenschaftlichen Stellenwert. Sie bringt Akteure zusammen und konfrontiert diese mit möglichen und wahrscheinlichen Zukunftszuständen. So könnte die Aufstellung und Beschreibung von negativen Zukunftsentwicklungen (z. B. Bedrohungsszenario der PID) dazu beitragen, diese zu verhindern, wie bereits im vorigen Abschnitt beschrieben (vgl. Tiberius 2011, S. 85). Tiberius sieht damit folgende zentrale Aufgaben der partizipativen Zukunftsforschung: „Solange jedoch die Chance besteht, dass der Mensch für negative Entwicklungen verantwortlich sein könnte, sollte er sein Handeln so verändern, dass negative Konsequenzen von seiner Seite ausgeschlossen oder zumindest minimiert werden können. Partizipative Zukunftsforscher sehen ihre Aufgabe in diesem Sinne darin, nicht-nachhatliges Handeln durch Zukunftsapelle zu vermeiden. Umgekehrt kann die Illustration erstrebenswerter Zukunftsbilder motivierend wirken.“ (Tiberius 2011, S. 85) Diese Ausdifferenzierung und damit Kondensierung auf bestimmte wünschenswerte Zukünfte orientiert das Handeln der Akteure und trägt dazu bei, eine an diesen wünschenswerten Zukünften ausgerichtete Planung ins Auge zu fassen, damit diese Zukünfte auch Wirklichkeit werden. In diesem Sinn könne durch die „normative Kraft des Fiktiven“ (Mieth 2000, S. 33) gestaltend auf die präferierten Zukünfte eingewirkt werden. Das wissenstheoretische Erkenntnisziel liegt bei der Zukunftsforschung zentral auf der Weiterentwicklung der Methoden, welche für die Vorausschau genutzt werden. An dieser Stelle wäre auch die Ent- bzw. Weiterentwicklung einer eigenen innerwissenschaftlichen Theorie denkbar. Über eine genuine „Theorie der Zukunft“ – wenn es überhaupt eine Theorie bei mehreren Zukünften geben kann – verfügt die Zukunftsforschung bis jetzt noch nicht. Dieses Theorienproblem ist ein offenes Aufgabenfeld der Grundlagenforschung der Zukunftsforschung. Dennoch wurde in Deutschland in jüngerer Zeit versucht die „Theorielosigkeit der Zukunftsforschung“ (Schüll 2006, S. 26ff) und darin ihren Gegenstandsbereich, näher zu beleuchten (u. a. Grunwald 2009; Schüll 2006 sowie Tiberius 2011, S. Kapitel 2: Begrifflich-konzeptionelle Grundlagen der Zukunftsforschung). Die Kommentierung der Erkenntnisziele der Zukunftsforschung soll hier zurückgestellt werden, da sie im Kapitel 5 wieder aufgegriffen und diskutiert wird. 4.3 Zwischenfazit 53 4.3 Zwischenfazit Die Analyse der ontologischen und epistemologischen Besonderheiten der Zukunft haben gezeigt, dass die Zukunftsforschung der wissenschaftliche Versuch ist, mit diesen Besonderheiten umzugehen. Ebenso hat sich gezeigt, dass die Zukunftsdebatte um die PID für die Zukunftsforschung ein weiteres Anwendungsfeld eröffnen könnte. Hierin könnte sie als „action science“ (Bell 2004, S. 167) den gesellschaftlichen Aushandlungsprozess um die PID orientieren, denn die Zukunftsforschung ist genuin eine praxis- und problemorientierte Disziplin, die sich mit der Komplexität realer Problemlagen auseinandersetzt: „Zukunftsforschung ist eine aus der Praxis heraus entstandene Disziplin, und ihre Vorgehensweise orientiert sich von Beginn an vor allem an den praktischen Erfordernissen konkreter Problemlagen.“ (Schüll 2006, S. 26) Danach wird die Zukunftsforschung primär durch wissenschaftsexterne Fragestellungen motiviert, wie beispielsweise die Problemlagen und die Notwendigkeit der sich wiederholenden Zukunftsreflexion der PID sie darstellen könnten. Hier könnten weitere zahlreiche praktische Anwendungsfelder der Zukunftsforschung genannt werden. Einen Überblick dazu kann der Foresight-Prozess im Auftrag des BMBF – Bundesministeriums für Bildung und Forschung (Cuhls et al. 2009), durchgeführt vom FraunhoferInstitut für System- und Innovationsforschung (ISI) und dem Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO), geben. Dieser Foresight-Prozess sollte die für Deutschland wichtigen Forschungsthemen für die Zukunft ermittlen. Daraus ergaben sich insgesamt 14 Zukunftsfelder, welche sich über die Bereiche Gesellschaft, Technologie, Wirtschaft und Ökologie erstreckten. Unter diesen Zukunftsfeldern werden u. a. die Lebenswissenschaften und Biotechnologien als Zukunftsthema genannt (Cuhls et al. 2009, S. 136–157), was wiederum die Bedeutung der PID als Thema für die Zukunftsforschung hervorhebt. Dieser Foresight-Prozess diente zudem maßgeblich der politischen Entscheidungsund Handlungsorientierung auf die Forschungsbereiche, welche in Zukunft gefördert werden müssen. Damit könnte die politische Beratung als ein weiteres Anwendungsfeld der Zukunftsforschung aufgezählt werden. Die Zukunftsfelder des Foresigth-Prozesses haben aufgezeigt, dass die Zukunftsforschung praktisch in jedem Anwendungsfeld tätig sein könnte und die darin auftau- 54 4. Zukunftsforschung chenden komplexen Problemlagen bearbeiten könnte. Aufgrund der „Theorienlosigkeit“ der Zukunftsforschung – welche diese komplexen Problemlagen in einem holistischen Sinn erklären könnte – kann sie das nicht alleine schaffen, sondern sie ist darauf angewiesen, disziplinübergreifend zu arbeiten. Denn komplexe Problemlagen erfordern genauso komplexe Lösungsansätze, welche bei solchen multidimensionalen Themen nur im Verbund mit anderen wissenschaftlichen Disziplinen erarbeitet werden könne. Der genuine Praxisbezug der Zukunftsforschung könnte dafür ein Vorteil sein, denn ihre Lösungsansätze sollen in der Regel wiederum auf diese außerwissenschaftlichen Problemlagen, d. h. in die Praxis, zurückwirken. Vor diesem Hintergrund erscheint die Zukunftsforschung als eine Wissenschaft, die sich als multi-, inter- und transdisziplinär versteht. Sie ist multidisziplinär in dem Sinne, dass sie neben anderen Disziplinen auf demselben bzw. einem ähnlichen Themengebiet arbeitet und dort aufgrund ihres genuinen Gegenstandsbereichs bestimmte Teilaspekte eines Problems beleuchten kann (vgl. Jungert 2010, S. 2). Sie ist interdisziplinär in dem Sinn, dass sie nicht nur multidisziplinär arbeitet, sondern aufgrund der komplexen Problemlagen darauf angewiesen ist, an einem Problem mit anderen Disziplinen kooperativ wissenschaftlich zusammenzuarbeiten, um den komplexen Anforderungen gerecht zu werden (vgl. Jungert 2010, S. 4). Und letztendlich transdisziplinär, da komplexe, außerwissenschaftliche Problemlagen, wie der Demografische Wandel oder der Klimawandel, eine dauerhafte Kooperation von zahlreichen Disziplinen und eine „Transformierung der disziplinären Orientierung“ (Jungert 2010, S. 7) erfordern. Für diese außerwissenschaftlichen Problemlagen reicht eine Bereitschaft zum interdisziplinären Arbeiten, d. h. eine Kooperation auf Zeit, meist nicht mehr aus. Vielmehr ist es erforderlich, dass die Disziplinen dauerhaft und stark kooperativ zusammen arbeiten (vgl. Jungert 2010, S. 6–7). Diese praktischen und disziplinären Kennzeichen der Zukunftsforschung und die umfangreiche Darstellung der Themen PID, Zukunftsethik und Zukunftsforschung in den Kapiteln 2, 3 sowie in diesem Kapitel, dienen wiederum im Folgenden dazu, zum Ausgangspunkt dieser Arbeit zurückzukommen, um die Frage nach den Verbindungsmöglichkeiten der Zukunftsforschung und der Zukunftsethik zu beantworten. 5. VERKNÜPFUNGSMÖGLICHKEITEN VON ZUKUNFTSFORSCHUNG UND ZUKUNFTSETHIK Verknüpfen bzw. verbinden heißt, etwas in einen inneren Zusammenhang zu bringen. Dieses Etwas soll hier die Zukunftsforschung und die Zukunftsethik sein, der innere Zusammenhang, die explizite Darstellung, was sich bereits während dieser Arbeit implizit entwickelt hat. Dazu soll zuerst die Notwendigkeit der Verbindung dieser beiden Disziplinen entlang der Gegenüberstellung ihres primären Zusammenhangs, ihrer wissenschaftlichen Ausrichtung, ihrer Forschungsgegenstände, ihrer Methoden und ihrer wissenschaftlichen Problembereiche begründet werden sowie anschließend die Notwendigkeit ihrer Trennung, um ferner auf ihre wechselseitigen Unterstützungsmöglichkeiten zurückzukommen.18 Die Zukunftsforschung und die Zukunftsethik teilen einen primären Zusammenhang: die Zukunftsdimension. Diese Dimension kann bereits aus ihren Disziplinennamen abgeleitet werden und lässt sich über die ganze Breite ihrer wissenschaftlichen Auseinandersetzung nachvollziehen, wie die Kapitel 3 und 4 veranschaulicht haben. Zur wissenschaftlichen Ausrichtung konnte bereits festgestellt werden, dass die Zukunftsforschung eine praxis- und problemorientierte Wissenschaft ist, die sich maßgeblich in außerwissenschaftlichen Kontexten bewegt. Zentral ist darin ihre Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Prozessen. Es wurde deutlich, dass die Betrachtung der PID in dieser Arbeit nicht unabhängig von diesen gesellschaftlichen Prozessen gesehen werden kann. 18 Die hier angeführten Kriterien ergaben sich in Anlehnung an (Jungert 2010, S. 7–9) und aus den eigenen Analysen. 56 5. Verknüpfungsmöglichkeiten von Zukunftsforschung und Zukunftsethik Aufgrund der soziokulturellen Abhängigkeit von Techniken sind auch biotechnische Innovationen, wie die PID, immer in einen gesellschaftlichen Kontext eingebettet. Die Auswirkungstiefe und die Auswirkungsreichweite der PID sowie die dazugehörige Zukunftsdebatte über die Zulassung der PID in Deutschland 2011 haben die Zukunftsdimension offenbart. Somit ist der Zusammenhang von Zukunftsforschung und PID begründbar. Die wissenschaftliche Ausrichtung der Zukunftsethik erschließt sich aus ihrem disziplinären und institutionellen Zusammenhang. Sie ist eine Bereichsphilosophie der praktischen Philosophie und damit fest im wissenschaftlichen Ensemble verankert. Auch sie ist praxis- und problemorientiert, aber nicht in einer genuinen Art und Weise, wie die Zukunftsforschung es ist. Ihre innerwissenschaftliche Auseinandersetzung gruppiert sich um interne Problem- und Fragestellungen, die rein analytisch bearbeitet werden. Es geht darin um das Deuten und Verstehen der Zukunftsverantwortung. Das Anliegen dieser praktischen Ethik ist es ein System aufzustellen, an dem sich real die Urteilsfindung und Handlungsorientierung der Menschen ausrichten könnte, im Sinne eines guten Lebens auch noch in der Zukunft. Durch diesen praktischen Bezug ist die Auseinandersetzung mit menschlichen bzw. gesellschaftlichen Prozessen notwendig. Dieser Bezug wurde deutlich, als die PID die bisherigen Prinzipien der Ethik in Frage gestellt hat. Ihre bereits angesprochene Entgrenzung machte es erforderlich, auch die ethischen Prinzipien in ihrer Reichweite zu entgrenzen. Das „Prinzip Verantwortung“ könnte dazu ein tragfähiges Konzept liefern, in dem dieser Entgrenzung mit einer adäquaten Zukunftsverantwortung begegnet wird (dazu Abschnitt 3.2 bis 3.4). Die Relevanz der Zukunftsdimension hat sich auch hier wieder verdeutlicht. Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass die Zukunftsforschung und die Zukunftsethik einen außerwissenschaftlichen Bezug haben, dieser im Falle der PID darstellbar ist, sich aber dennoch graduell unterscheidet. Die Zukunftsethik kann innerwissenschaftlich über Frage- und Problemstellungen, welche beispielswiese die ethische Theorienbildung betreffen, philosophieren, diese aber auch aus der inneren Auseinandersetzung in einen außerwissenschaftlichen Kontext bringen und dort an der Wirklichkeit überprüfen, was wiederum weitere Fragen bzw. Probleme für den innerwissenschaftlichen Aufgabenbereich aufwirft. 57 Die Zukunftsforschung hingegen ist aufgrund ihrer „Theorienlosigkeit“ und ihrem methodischen Kernbereich auf rein außerwissenschaftliche Forschung ausgerichtet. Der graduelle Unterschied richtet sich also danach, dass die Zukunftsethik innerund außerwissenschaftlich arbeiten kann und die Zukunftsforschung „nur“ außerwissenschaftlich arbeitet. Dies könnte wiederum eingeschränkt werden, wenn als wissenschaftstheoretisches Erkenntnisziel der Zukunftsforschung auch die innerwissenschaftliche Weiterentwicklung der Methoden zählt, welche für die Vorausschau genutzt werden. Es bleibt aber kennzeichnend, dass auf der Grundlage der bestehenden Disziplinenstruktur die Zukunftsforschung „notwendigerweise projektförmig und fallstudienorientiert“ (Beecroft und Dusseldorp 2012, S. 13) ist und damit ihr innerwissenschaftlicher Bezug begrenzt bleibt. Entlang der geteilten Zukunftsdimension unterscheiden sich die Zukunftsforschung und die Zukunftsethik in ihren Forschungsgegenständen: Die Zukunftsforschung befasst sich mit Zukünften, die Zukunftsethik hingegen mit der Zukunftsverantwortung. Um Erkenntnisse über die jeweiligen Forschungsgegenstände zu erhalten, sind bestimmte Methoden notwendig. Die Zukunftsforschung hat wenige, genuine Methoden, diese sind z. B. die DelphiMethode oder die Zukunftswerkstatt. Aber eine Vielzahl an disziplinexternen Methoden, wie z. B. die Szenario-Technik. Hier werden standardisierte und nichtstandardisierte sowie qualitative und quantitative Ansätze der empirischen Sozialforschung genutzt. Das Erkenntnisziel ist die deskriptive Beschreibung und die theoretische Erklärung von möglichen und wahrscheinlichen Zukünften. Die zentrale Methode der Zukunftsethik ist die hermeneutische Analyse und die theoriegeleitete Begründung von normativen Sätzen nach ethischen Prinzipien zum Zweck des Verstehens. Das Erkenntnisziel ist die theoretische Deutung und die pragmatische Begründung der Zukunftsverantwortung. Der wissenschaftliche Problembereich der Zukunftsforschung und der Zukunftsethik zeigt mehr Möglichkeiten einer Verbindung auf. Die Zukunftsforschung ist aufgrund ihres starken Praxisbezugs vermehrt mit gesellschaftlichen Problemlagen konfrontiert. 58 5. Verknüpfungsmöglichkeiten von Zukunftsforschung und Zukunftsethik Die Zukunftsethik setzt sich mit innerwissenschafltichen Fragestellungen auseinan- der, hat aber aufgrund ihrer philosophischen Ausrichtung auch (gesellschaftliche) Praxisprobleme im Blick. Beide Disziplinen sind lösungsorientiert. Sie verfolgen einen bestimmten Plan, um den gesellschaftlichen Problemlagen begegnen zu können. Dieser Lösungsplan liegt im Schaffen von Orientierungswissen. Darin ist wiederum zwischen den beiden Disziplinen zu unterscheiden. Die Zukunftsforschung versucht die Unsicherheit und die Ungewissheit der Zukunft zu absorbieren, indem sie mögliche und wahrscheinliche Entwicklungsalternativen beschreibt, aufstellt und ihre Entstehung erklärt, vor dessen Bilde sich Handeln orientieren lässt. Ihr Lösungsplan liegt in der Schaffung von Handlungsorientierung. Die Zukunftsethik liefert und begründet „angemessenes Orientierungswissen“ (Mohr 2003, S. 28) auf einer philosophisch-disziplinären Grundlage, d. h. ein Wissen, welches das menschliche Urteilen und das menschliche Handeln so orientieren soll, dass gegenwärtiges Handeln nicht mehr ohne die verantwortungsvolle Reflexion der zukünftigen Folgen unternommen wird und damit eine angemessene, gute Zukunft auch noch für die kommenden Generationen zur Verfügung steht. Problem- und lösungsorientierte Wissenschaften, die sich mit der außerwissenschaftlichen Praxis beschäftigen, müssen sich mit der gesellschaftlichen Urteilsbildung auseinandersetzen. Es ist nicht allein die Beschreibung von Wahlmöglichkeiten oder Handlungsalternativen, sondern der normative Prozess innerhalb eines Menschen bzw. einer Gesellschaft, welcher Präferenzen für eine Wahlmöglichkeit oder Handlungsalternative hervorbringt, auf dessen Grundlage eine Handlungsentscheidung getroffen werden könnte, um damit im Sinne der Präferierung gestaltend zu handeln. In diesem Prozess spielen psychologische Einstellungen, wie Ängste oder Hoffnungen eine wichtige Rolle (vgl. Tiberius 2011, S. 81). Somit müssen deskriptive und normative Elemente in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung ineinandergreifen. Hiermit offenbart sich die Notwendigkeit der Verbindung von Zukunftsforschung und Zukunftsethik. Denn die deskriptiven Elemente sind in der Zukunftsforschung ein Schlüsselelement. Darin werden alternative Zukunftsbilder beschrieben, aufgestellt und erklärt, die für die Bewertung und Gestaltung von Zukünften unabdingbar sind. Die Zukunftsethik beschäftigt sich im Gegenzug primär mit den normativen Elementen. 59 Hierin versucht sie mit Hilfe der Bewertung von Zukunftsbildern nach zukunftsethischen Gesichtspunkten Orientierung zu geben, damit im Sinne einer verantwortungsvollen Zukunftsgestaltung gehandelt wird. Diese Aufgabenverteilung hinterlässt ein klares Bild: die deskriptive Zukunftsforschung auf der einen und die normative Zukunftsethik auf der anderen Seite. Dies wirft weiterhin die Frage auf, inwieweit die Zukunftsforschung sich normativ äußern darf bzw. muss. Sollte die Zukunftsforschung, in Anlehnung an die Zukunftsethik, eigene kritische Position entwickeln oder die zukunftsethischen Prinzipien („Prinzip Verantwortung“) aufgreifen und für sich nutzbar machen? Oder sollte die Zukunftsforschung sich zurückhalten und nur einen geschützten Rahmen für einen Diskurs stellen, indem sie nicht inhaltlich eingreift (vgl. Beecroft und Dusseldorp 2012, S. 15)? Dieser Fragenkomplex nach dem Selbstverständnis der Zukunftsforschung ist zugleich der Wendepunkt, an dem von einer Notwendigkeit der Verbindung auf eine Notwendigkeit der Trennung übergegangen werden kann. Um diesen weitreichenden Fragenkomplex für diesen Rahmen fassbar zu machen, soll eine These aufgeführt werden, an welcher die weitere Diskussion ausgerichtet wird: Die Zukunftsforschung hat normative Wirkungskraft für die Zukunft, braucht aber dafür keine eigene zukunftsethische Begründungsfähigkeit. Nur durch die Verteilung von Präferenzen kann eine Handlungsalternative einer anderen vorgezogen werden. Dieser Bewertungs- und Entscheidungsprozess ist mit einem erwarteten Ziel verbunden, dessen erreichen gewollt und damit gewünscht ist. Gibt es nur eine Handlungsalternative, dann ist eine Bewertung zwar möglich, aber eine Entscheidung überflüssig, da nur eine Handlungsmöglichkeit besteht. Im Falle der Auseinandersetzung mit der Zukunft bestehen, wie bereits ausführlich vorgestellt, mehrere Handlungsalternativen. Um hier ein Bewertungs- und Entscheidungsprozess durchzuführen, ist die Antizipation von wünschenswerten Zukünften notwendig. Die Zukunftsforschung will Orientierungswissen im Hinblick auf unsichere und ungewisse Zukünfte schaffen. Dazu ist ihr pragmatisches Ziel, wissenschaftlichbegründete Bewertungen von Zukünften, als Orientierung für die Gesellschaft bzw. Politik bereitzustellen. Dementsprechend befasst sich die Zukunftsforschung mit der 60 5. Verknüpfungsmöglichkeiten von Zukunftsforschung und Zukunftsethik wissenschaftlichen Interpretation möglicher und wahrscheinlicher Zukünfte in Hinblick auf ihre Wünschbarkeit. Damit die daraus resultierenden Bewertungen der Zukünfte nicht bloße Subjektivität bleiben und dadurch der Beliebigkeit ausgesetzt wären, müssen sie folgenden Ansprüchen genügen: Verallgemeinerbarkeit: Die Bewertungen müssen einen Allgemeingültigkeitsanspruch aufstellen und einlösen; Berücksichtigung des Stands des Wissens: Es muss berücksichtigt werden, dass Wissen über die Zukunft mit Unsicherheit und Ungewissheit verbunden ist (siehe Abschnitt 4.1); Wertewandel: Werte und Einstellungen verändern sich im Laufe der Zeit, somit müssen sich auch die Kriterien für die Bewertung von Zukünften verändern (acatech 2012, S. 40–41).19 Da die Zukunftsforschung „nicht normativ enthaltsam“ (Dusseldorp 2010, S. 5) ist, weil bereits bei der Erstellung von Zukünften Wertentscheidungen des Autors, z. B. über die Grenzen des betrachteten Systems oder über die Rahmenbedingungen, getroffen werden, muss im Sinne des Transparenzproblems die Struktur der Bewertungen sowie deren Annahmen und Bedingungen offengelegt werden. Dies könnte mit Hilfe der bereits erwähnten Wenn-Dann-Aussagen geschehen: „Wenn das „Prinzip Verantwortung“ und die damit verbundenen Entscheidungs- und Handlungskriterien verwendet werden, dann ist eine bestimmte Zukunft folgendermaßen zu bewerten: …“ (vgl. acatech 2012, S. 41). Diese „konditional-normative“ (acatech 2012, S. 41) Aussage könnte eine vorläufige normative Orientierung bieten. Die eigentliche Bewertungsleistung von Zukünften ist die Aufgabe der adressierten Akteure, z. B. gesellschaftlich oder politisch Handelnde. Erst sie können die Bewertungen in Handlungen bzw. in Gestaltung der Rahmenbedingungen praktisch umsetzen. Demnach könnte eine Schlussfolgerung sein, dass die Zukunftsforschung normative Wirkungskraft für die Zukunft hat. 19 Beispiel für Wertewandel: Nach der Analyse von Julia Diekämper, lässt sich im öffentlichen Diskurs über moderne Reproduktionstechnologien, wie die PID, eine „Normenverschiebung“, von einer „Ethik der Heiligkeit des Lebens“ hin zu einer „Ethik des Heilens“ (Diekämper 2012, S. 45) ausmachen. 61 Die eigentliche Bewertung und die Handlungsentscheidung könnten sich an den erstellten Zukünften orientieren und weil im Falle der partizipativen Zukunftsforschung die adressierten Akteure selbst bei der Erstellung von Zukünften involviert sind, ist es wahrscheinlich, dass diese auch in die Tat umgesetzt bzw. vermieden werden. Die Bewertungskriterien, welche in dem vorgelagerten Erstellungsprozess von wünschenswerten Zukünften einbezogen werden, können aus ganz unterschiedlichen Bereichen kommen. Zentral in dieser Arbeit war der zukunftsethische Bereich. Die zukunftsethischen Kriterien sollten Aufschluss über die wünschenswerten Zukünfte in Zusammenhang mit der Zulassung der PID geben.20 Die Zukunftsethik ist in der Lage Bewertungskriterien ethisch zu begründen, indem sie ein allgemeines System der Urteilsfindung und Handlungsorientierung bereitstellt, welches ihre Quelle in der Vernunft hat und ein programmatisches Ziel verfolgt: ein gutes Leben auch noch in der Zukunft. Anders als die Zukunftsforschung kann die Zukunftsethik kategorische Aussagen formulieren und diese theoretisch begründen (z. B. Jonas Imperative aus Abschnitt 3.2). Diese kategorischen Aussagen sollen allgemeine Gültigkeit für das Urteilen und Handeln besitzen und eindeutig sein, wenn das programmatische Ziel der Zukunftsethik erreicht werden soll. In diesem Sinne herrscht bereits eine zukunftsethische Zukunftsvision: die vom guten Leben in der Zukunft. An dieser Zukunftsvision sollten sich die Bewertungen von alternativen Zukünften orientieren und je nachdem, wie diese alternativen Zukünfte dem Kriterium der einen zukunftsethischen Zukunftsvision entsprechen, bewertet werden, um dadurch die geeignetste umzusetzen, damit das programmatische Ziel der Zukunftsethik verwirklicht werden kann. Diese zukunftsethische Reflexion von Zukünften soll entlang der zukunftsethischen Prinzipien („Prinzip Verantwortung“) orientiert werden. Die Hauptaufgabe der Zukunftsethik liegt darin, diese Prinzipien zu begründen. Insofern liegt die zukunftsethische Begründungsfähigkeit bei der Zukunftsethik. Hieran lässt sich nun die Notwendigkeit der Trennung der beiden Disziplinen feststellen. Insofern könnte eine weitere Schlussfolgerung sein, dass die Zukunftsfor- 20 Im Falle der PID traten aber noch andere Kriterien aus anderen Bereichen auf. Dementsprechend waren auch die rechtlichen und medizinischen Kriterien für die Zulassung der PID in Deutschland 2011 von besonderer Relevanz. 62 5. Verknüpfungsmöglichkeiten von Zukunftsforschung und Zukunftsethik schung keine zukunftsethische Begründungsfähigkeit braucht, da die Zukunftsethik diese leistet. Trotzdem lassen sich Unterstützungsmöglichkeiten bzw. Synergien zwischen der Zukunftsforschung und der Zukunftsethik feststellen. Die Zukunftsforschung könnte für die Erstellung von Zukünften auf die bereits bestehenden ethischen Begründungen der Zukunftsethik zurückgreifen. Für die Zukunftsbewertung und Zukunftsgestaltung könnte sie die Bewertungskriterien der Zukunftsethik verwenden und damit ihr pragmatisches Erkenntnisziel ethisch fundieren. Im Gegenzug könnte die Zukunftsforschung für die Zukunftsethik einen geschützten Rahmen darstellen, innerhalb dessen normative Fragen verhandelt werden könnten. Die Zukunftsethik ist auf eine adäquate Vorausschau in zweierlei Hinsicht angewiesen. Zum einen könnten ohne Zukunftsbilder oder Zukünfte kein normativer Aushandlungsprozess über die zukünftige Entwicklung entstehen. Denn die Bewertung und Gestaltung kann ohne eine Beschreibung dessen was bewertet und gestaltet werden soll nicht stattfinden. Demnach ist die Zukunftsethik auf eine adäquate Zukunftsvorausschau angewiesen. Zum anderen könnte die deskriptive Vorausschau die möglichen und wahrscheinlichen Entwicklungen darstellen. Diese Zukünfte sind für den Wertebildungsprozess der Zukunftsethik unerlässlich, wenn sie adäquate Werte für eine Welt von morgen in der Gegenwart ausbilden möchte. Durch die Komplexität von gesellschaftlichen Problemlagen mit denen die Zukunftsforschung praktisch konfrontiert ist sowie die Zukunftsethik ebenso in wissenschaftlicher Auseinandersetzung steht, wäre es denkbar, eine Kooperation von Zukunftsforschung und Zukunftsethik herzustellen, die auf inter-, wenn nicht gar auf transdisziplinärer Ebene anzusiedeln ist. Das Beispiel der PID könnte ein geeignetes Anwendungsfeld für die kooperative Zusammenarbeit sein. Mit der methodischen Fundierung der Zukunftsvorausschau durch die Zukunftsforschung und die ethische Urteils- und Handlungsorientierung durch die Zukunftsethik, könnte der kommenden Entwicklung der PID begegnet werden und die Notwendigkeit der wiederholenden Reflexion umgesetzt werden, damit die Rahmenbedingungen für die Zukunft verantwortungsvoll gestaltet werden können. 63 In diesem Sinne könnte die inter- bzw. transdisziplinäre Zusammenarbeit von Zukunftsforschung und Zukunftsethik ein programmatisches Ziel sein, um zur Lösung solcher gesellschaftlichen Problemlagen beizutragen. Die genaue Ausdifferenzierung dieser Kooperation kann hier nicht weiter verfolgt werden. Denkbar wäre im Rahmen einer weiteren Qualifikationsarbeit diese Kooperation zu konkretisieren und auszubauen. Dafür müssten die jeweiligen Forschungsgegenstände, die Methoden, die Problembereiche, Theorien sowie die jeweiligen Personen und Institutionen auf ihr Integrationsniveau hin untersucht werden (vgl. Jungert 2010, S. 7–9). Erst die Analyse dieser möglichen Kooperationsebenen könnte Aufschluss über die realen Möglichkeit der inter- bzw. transdisziplinären Zusammenarbeit von Zukunftsforschung und Zukunftsethik offenbaren. In diesem Zusammenhang hieß verknüpfen bzw. verbinden, die Zukunftsforschung und die Zukunftsethik in einen inneren Zusammenhang zu bringen. Explizit konnte demnach festgestellt werden, dass die Zukunftsforschung und die Zukunftsethik nicht unbedingt, im Sinne einer existenziellen Abhängigkeit, ein Dependenzverhältnis teilen sondern vielmehr die Möglichkeit der wechselseitigen Unterstützung besteht und damit Synergieeffekte möglich sind, die den Herausforderungen von komplexen außerwissenschaftlichen Problemlagen, dessen Bearbeitung sich durch eine Disziplin entzieht, gemeinsam oder im Verbund von weiteren Disziplinen möglich sein könnten. 6. FAZIT Mit dem Aufzeigen der Verknüpfungsmöglichkeiten von Zukunftsforschung und Zukunftsethik im vorigen Kapitel konnte die allgemeine Zielsetzung dieser Arbeit ausgeführt werden. Zusätzlich stellten sich im Laufe der Arbeit drei zentrale Schnittpunkte zwischen den Untersuchungsgegenständen heraus. Hinzukommend ließen sich Erkenntnisse über ihre Einbettung in das allgemeine Umfeld erzielen. Abbildung 5 soll dieses Verbindungs- und Einbettungsverhältnis von PID, Zukunftsethik und Zukunftsforschung darstellen. Abbildung 5: Einbettung der PID, der Zukunftsethik und der Zukunftsforschung in ihrem Umfeld sowie ihre jeweiligen Schnittstellen (eigene Darstellung) 65 Dieses Verbindungs- und Einbettungsverhältnis soll hier nur kurz zusammengefasst werden: Die PID ist mit der Zukunftsethik über die Zukunftsverantwortung verbunden. Es hat sich herausgestellt, dass dieser Schnittpunkt ein möglicher Lösungsansatz wäre, um mit der Wirkungstiefe und -reichweite der PID adäquat umgehen zu können. Die Zukunftsethik ist mit der Zukunftsforschung primär über die Zukunftsdimension verbunden, wie bereits im vorigen Kapitel festgestellt wurde. Die Zukunftsforschung hingegen könnte sich mit der PID über die Erstellung von Technikzukünften verbinden, um in den kommenden Jahren die Zukunftsreflexion der PID methodisch zu fundieren. Eingebettet sind diese drei Untersuchungsgegenstände und ihre Schnittpunkte in das allgemeine Umfeld der Technikentwicklung, der Gesellschaftsentwicklung und der Umwelt. Die PID ist eine biotechnische Innovation innerhalb des Fortschritts von Reproduktionsmedizin und Genetik. Durch ihren soziokulturellen Bezug kann sie nicht außerhalb von Gesellschaftsprozessen stehen. Aufgezeigt wurde, dass ihre multidimensionale Auswirkungskraft die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen in Frage gestellt und einen sozialen Aushandlungsprozess angeregt hatte, indem über ihre zukünftige Anwendung entschieden wurde. Die Zukunftsethik setzt sich mit den normativen Rahmenbedingungen einer technologischen Zivilisation auseinander und möchte ihr Urteilen und Handeln im Sinne der Zukunftsverantwortung orientieren. Vor dem Hintergrund der Entgrenzung der Technikentwicklung versucht sie der Gesellschaftsentwicklung, im Sinne einer guten Zukunft, ein ethisches Konzept zu geben. Die Zukunftsforschung ist hauptsächlich mit gesellschaftlichen Problemlagen konfrontiert und befasst sich mit den Zukünften der Technikentwicklung und der Gesellschaftsentwicklung. Darin könnte sie explorative und normative Zukünfte entwickeln und in den gesellschaftlichen Aushandlungsprozess einbringen. Das Umweltumfeld ist ein natürlicher Bestandteil der Welt und damit auch hier aufzuführen. Die Auswirkungen von Technikentwicklung und Gesellschaftsentwicklung haben zuweilen weitreichende Folgen für dieses Umfeld. 66 6. Fazit Mit dieser Darstellung soll ausgesagt werden, dass die einzelnen Untersuchungsgegenstände in ein allgemeineres System verankert sind und nur in diesem Systembezug reflektiert werden können. Diese Arbeit hat versucht, diesen Kontext in ihre Betrachtung mit einzubeziehen. 7. LITERATURVERZEICHNIS acatech (Hg.) (2012): Technikzukünfte. Vorausdenken - Erstellen - Bewerten. In Veröffentlichung. Berlin, Heidelberg (acatech POSITION). Beecroft, Richard; Dusseldorp, Marc (2012): Technikfolgenabschätzung abschätzen lehren - Bildungspotenziale transdisziplinärer Methoden. Zur Einführung. In: Marc Dusseldorp und Richard Beecroft (Hg.): Technikfolgen abschätzen lehren. Bildungspotenziale transdisziplinärer Methoden. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 11–35. Bell, Wendell (2004): Foundations of futures studies. Human science for a new era. History, Purposes, Knowledge. 2 Bände. New Brunswick, N.J: Transaction (1). 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Turnbull 2003, S. 11; eigene Darstellung) ...................................................................... 46 Abbildung 5: Einbettung der PID, der Zukunftsethik und der Zukunftsforschung in ihrem Umfeld sowie ihre jeweiligen Schnittstellen (eigene Darstellung) ...................... 64