Kapitel 1 Körper und Zahlen 1.1 1.2 1.3 1.4 1.5 1.6 1.1 Mengen Das Prinzip der vollständigen Induktion Körper Geordneter Körper Reelle Zahlen Komplexe Zahlen Mengen Dieser Abschnitt gibt eine kurze Einführung in die Grundbegriffe der Mengenlehre. Dabei verzichten wir auf eine exakte (nicht ganz unkritische) Definition des Mengenbegriffs und gehen davon aus, dass intuitiv klar ist, was unter einer Menge zu verstehen ist. Beispiele sind etwa die Menge aller Einwohner Würzburgs oder die Menge aller Mathematik– Studierenden an der Universität Würzburg oder die Menge aller unter deutscher Flagge fahrenden Handelsschiffe. Von besonderer Bedeutung sind die folgenden Mengen von Zahlen, die deshalb ein eigenes Symbol erhalten: Die Menge der • natürlichen Zahlen N := {1, 2, 3, . . .}, • natürlichen Zahlen mit Null N0 := {0, 1, 2, . . .}, • ganzen Zahlen Z := {0, ±1, ±2, ±3, . . .}, • rationalen Zahlen Q := pq p, q ∈ Z, q 6= 0 , • reellen Zahlen R. Im Gegensatz zu den natürlichen, ganzen und rationalen Zahlen haben wir die Menge der reellen Zahlen R in der obigen Aufzählung nicht formal definiert. Wir werden dies später nachholen (siehe Abschnitt 1.5) und zunächst davon ausgehen, dass die reellen Zahlen, mit denen wir im täglichen Leben stets rechnen, bekannt sind. 1 2 KAPITEL 1. KÖRPER UND ZAHLEN Sei nun M eine beliebige Menge. Wir schreiben x ∈ M, wenn x ein Element der Menge M ist. Hingegen bedeutet x ∈ / M, dass x kein Element der Menge M ist. Beispielsweise ist −1 ∈ Z und −1 ∈ / N. Die aufzählende Charakterisierung M = x, y, z, . . . einer Menge M bedeutet, dass M aus den Elementen x, y, z, . . . besteht. Diese Beschreibung einer Menge haben wir weiter oben bereits für N, N0 und Z verwendet. Oft wird auch die beschreibende Charakterisierung M = x x hat die Eigenschaft E einer Menge M benutzt, wonach M gerade die Menge aller Elemente x ist, welche die Eigenschaft E besitzen. Auf diese Weise haben wir beispielsweise die Menge Q eingeführt. Definition 1.1 Seien M1 und M2 zwei beliebige Mengen. (a) M1 ist Teilmenge von M2 (Schreibweise: M1 ⊆ M2 ), wenn jedes Element von M1 auch ein Element von M2 ist. (b) M1 und M2 heißen gleich (Schreibweise: M1 = M2 ), wenn sowohl M1 ⊆ M2 als auch M2 ⊆ M1 gelten, M1 und M2 also dieselben Elemente enthalten; anderenfalls sind M1 und M2 ungleich oder verschieden (Schreibweise: M1 6= M2 ). (c) M1 heißt echte Teilmenge von M2 (Schreibweise: M1 $ M2 ), wenn M1 ⊆ M2 und M1 6= M2 gelten. (d) Ist M1 keine Teilmenge von M2 , so schreiben wir M1 * M2 . Aus der Definition 1.1 ergeben sich unmittelbar die folgenden Eigenschaften: • Für jede Menge M ist M ⊆ M (Reflexivität). • Für drei Mengen M1 , M2 , M3 mit M1 ⊆ M2 und M2 ⊆ M3 gilt M1 ⊆ M3 (Transitivität). Wir führen als Nächstes die wichtigsten Mengenoperationen ein. Definition 1.2 Seien M1 und M2 zwei beliebige Mengen. (a) Die Vereinigung von M1 und M2 ist M1 ∪ M2 := x x ∈ M1 oder x ∈ M2 . (b) Der Durchschnitt von M1 und M2 ist M1 ∩ M2 := x x ∈ M1 und x ∈ M2 . 3 1.1. MENGEN (c) Die Differenz von M1 und M2 ist M1 \M2 := x x ∈ M1 , x ∈ / M2 . Gilt hierbei M2 ⊆ M1 , so wird M1 \M2 auch als das Komplement von M2 in M1 bezeichnet (Schreibweise: CM1 (M2 )). Eine Illustration der gerade eingeführten Begriffe findet man in der Abbildung 1.1. M1 und M2 : M1 M2 Vereinigung M1 ∪ M2 : M1 M2 Durchschnitt M1 ∩ M2 : M1 M2 Differenz M1 \ M2 : M1 M2 Abbildung 1.1: Vereinigung, Durchschnitt und Komplement von zwei Mengen M1 und M2 Manchmal tritt der Fall auf, dass eine Menge kein Element besitzt. Diese Menge bezeichnen wir als leere Menge und schreiben hierfür ∅. Beispielsweise ist M\M = ∅ für jede beliebige Menge M. Ebenso gilt M1 ∩ M2 = ∅ für M1 := {1, 2, 3} und M2 := {5, 6, 7}. Für die Vereinigung und den Durchschnitt von Mengen gelten die folgenden Rechenregeln. Satz 1.3 ( Rechenregeln für Vereinigung und Durchschnitt von Mengen ) Seien M1 , M2 , M3 beliebige Mengen. Dann gelten 4 KAPITEL 1. KÖRPER UND ZAHLEN (a) die Kommutativgesetze M1 ∪ M2 = M2 ∪ M1 und M1 ∩ M2 = M2 ∩ M1 . und M1 ∩ (M2 ∩ M3 ) = (M1 ∩ M2 ) ∩ M3 . (b) die Assoziativgesetze M1 ∪ (M2 ∪ M3 ) = (M1 ∪ M2 ) ∪ M3 (c) die Distributivgesetze M1 ∩ (M2 ∪ M3 ) = (M1 ∩ M2 ) ∪ (M1 ∩ M3 ) und M1 ∪ (M2 ∩ M3 ) = (M1 ∪ M2 ) ∩ (M1 ∪ M3 ). Beweis: Wir beweisen hier nur eines der Distributivgesetze. Der Nachweis der übrigen Behauptungen kann auf analoge Weise geschehen. Es gilt x ∈ M1 ∩ (M2 ∪ M3 ) ⇐⇒ x ∈ M1 und x ∈ M2 ∪ M3 ⇐⇒ x ∈ M1 und (x ∈ M2 oder x ∈ M3 ) ⇐⇒ (x ∈ M1 und x ∈ M2 ) oder (x ∈ M1 und x ∈ M3 ) ⇐⇒ x ∈ M1 ∩ M2 oder x ∈ M1 ∩ M3 ⇐⇒ x ∈ (M1 ∩ M2 ) ∪ (M1 ∩ M3 ). Also haben wir M1 ∩ (M2 ∪ M3 ) = (M1 ∩ M2 ) ∪ (M1 ∩ M3 ). 2 Aufgrund der Assoziativgesetze können wir einfach M1 ∪ M2 ∪ M3 und M1 ∩ M2 ∩ M3 (1.1) für die Vereinigung und den Durchschnitt von drei Mengen schreiben. Ebenso können auch die Vereinigung und der Durchschnitt von beliebig vielen Mengen genommen werden. Sind Mi für jedes i aus einer so genannten Indexmenge I beliebige Mengen, so setzen wir [ Mi := x x ∈ Mi für mindestens ein i ∈ I i∈I für die Vereinigung und \ i∈I Mi := x x ∈ M für alle i ∈ I für den Durchschnitt dieser Mengen. Speziell für I = {1, 2, 3} erhalten wir auf diese Weise wieder die beiden Mengen (1.1). Eine wichtige Regel für die Komplementbildung von Vereinigungen und Durchschnitten ist in dem nachstehenden Satz enthalten. 1.2. DAS PRINZIP DER VOLLSTÄNDIGEN INDUKTION 5 Satz 1.4 ( Regeln von De Morgan ) Seien M eine Menge und Mi ⊆ M für alle i aus einer Indexmenge I. Dann gelten: T S (a) Es ist CM M = i∈I CM (Mi ). i i∈I S T (b) Es ist CM i∈I Mi = i∈I CM (Mi ). Beweis: Wir beweisen hier lediglich die Aussage (a). Teil (b) kann entsprechend verifiziert S werden. Zunächst bemerken wir, dass aus Mi ⊆ M für alle i ∈ I auch i∈I Mi ⊆ M folgt, weshalb wir insbesondere das Komplement dieser Vereinigungsmenge in M betrachten dürfen. Aufgrund der Äquivalenzen [ x ∈ CM Mi i∈I ⇐⇒ x ∈ M\ ⇐⇒ x ∈ M [ Mi i∈I und x ∈ / [ Mi i∈I ⇐⇒ x ∈ M und x ∈ / Mi für alle i ∈ I ⇐⇒ x ∈ CM (Mi ) für alle i ∈ I \ ⇐⇒ x ∈ CM (Mi ) i∈I gilt die Behauptung (a). 2 Die Abbildung 1.2 veranschaulicht die Aussage (a) des Satzes 1.4 für den Spezialfall von zwei Mengen M1 und M1 . 1.2 Das Prinzip der vollständigen Induktion Die vollständige Induktion ist ein sehr wichtiges Hilfsmittel, das häufig bei folgendem Problem angewandt wird: Es sei n0 ∈ Z eine ganze (oft eine natürliche) Zahl und A(n) für jede ganze Zahl n ≥ n0 eine Aussage. Es soll bewiesen werden, dass die Aussage A(n) für alle n ≥ n0 wahr ist. Dazu benutzt man das folgende Prinzip der vollständigen Induktion: • Induktionsanfang: Man zeigt, dass die Aussage A(n0 ) richtig ist. • Induktionsschritt: Man verifiziert für ein beliebiges n ≥ n0 , dass mit A(n) auch die Aussage A(n + 1) wahr ist. Im Induktionsschritt wird die Gültigkeit von A(n) oft als Induktionsvoraussetzung bezeichnet. 6 KAPITEL 1. KÖRPER UND ZAHLEN CM (M1 ∪ M2 ): M M1 M2 CM (M1 ): M M1 M2 CM (M2 ): M M1 M2 Abbildung 1.2: Veranschaulichung der ersten Regel von De Morgan Hat man sowohl den Induktionsanfang als auch den Induktionsschritt bewiesen, so gilt die Aussage A(n) offenbar für alle n ≥ n0 , denn zunächst ist A(n0 ) aufgrund des Induktionsanfangs richtig. Anwendung des Induktionsschrittes mit n = n0 liefert anschließend die Gültigkeit der Aussage A(n0 + 1). Erneute Anwendung des Induktionsschrittes mit n = n0 + 1 ergibt dann, dass die Aussage A(n0 + 2) gilt. Wiederholte Verwendung des Induktionsschrittes zeigt, dass auch die Aussagen A(n0 + 3), A(n0 + 4), . . . wahr sind. Wir illustrieren das Prinzip der vollständigen Induktion in diesem Abschnitt an mehreren Beispielen. Dabei benutzen wir insbesondere die Notation n X ak := am + am+1 + . . . + an k=m für die Summe von gewissen Zahlen am , am+1 , . . . , an , wobei wir im Fall n < m von der Konvention n X ak := 0 für n < m (leere Summe) k=m Gebrauch machen. Ebenso schreiben wir n Y k=m ak := am · am+1 · . . . · an 1.2. DAS PRINZIP DER VOLLSTÄNDIGEN INDUKTION 7 für das Produkt der Zahlen am , am+1 , . . . , an , wobei auch hier die Konvention n Y ak := 1 für n < m (leeres Produkt) k=m gelte. Unser erstes Resultat gibt einen geschlossenen Ausdruck für die Summe der ersten n natürlichen Zahlen an. Satz 1.5 Für alle n ∈ N gilt n X k= k=1 n(n + 1) . 2 (1.2) Beweis: Der Beweis erfolgt durch vollständige Induktion nach n. Betrachten wir den Induktionsanfang n = 1, so gilt einerseits 1 X k=1 k=1 und andererseits auch 1(1 + 1) = 1, 2 so dass die Aussage für n = 1 bewiesen ist. Die Behauptung (1.2) möge nun für ein n ≥ 1 gelten (Induktionsvoraussetzung). Zu zeigen ist dann die Gültigkeit für n + 1 (Induktionsschluss), also die Gleichheit n+1 X (n + 1)(n + 2) k= . 2 k=1 Unter Verwendung der Induktionsvoraussetzung sieht man dies wie folgt ein: ! n+1 n X X n(n + 1) (n + 1)(n + 2) k= k + (n + 1) = + (n + 1) = . 2 2 k=1 k=1 Damit ist alles bewiesen. 2 Bevor wir zu unserem nächsten Resultat kommen, betrachten wir als Motivation eine Menge, die aus drei Elementen bestehen möge, etwa X = {x1 , x2 , x3 }. Nun kann man die Elemente natürlich auch in einer anderen Reihenfolge anordnen, nämlich X = {x1 , x3 , x2 } oder X = {x2 , x1 , x3 } oder 8 KAPITEL 1. KÖRPER UND ZAHLEN X = {x2 , x3 , x1 } oder X = {x3 , x1 , x2 } oder X = {x3 , x2 , x1 }. Damit haben wir sechs verschiedene Anordnungen der Menge X gefunden, und dabei handelt es sich offenbar auch um alle denkbaren Anordnungen. Schreiben wir n! := n Y k (sprich: n Fakultät) k=1 für die so genannte Fakultät einer Zahl n ∈ N (gemäß Konvention zum leeren Produkt ist insbesondere 0! = 1), so hat die 3–elementige Menge X also 3! = 1 · 2 · 3 = 6 verschiedene Anordnungen. Diese Beobachtung lässt sich auf allgemeine n übertragen. Satz 1.6 Die Anzahl der verschiedenen Anordnungen einer n–elementigen Menge X = {x1 , x2 , . . . , xn } ist gleich n!. Beweis: Der Beweis erfolgt wieder durch vollständige Induktion nach n. Für n = 1 ist n! = 1 per Definition der Fakultät. Ferner besitzt eine einelementige Menge offenbar auch nur eine mögliche Anordnung ihrer Elemente. Damit ist der Induktionsanfang bewiesen. Der Satz möge nun für n–elementige Mengen gelten (dies ist wieder die Induktionsvoraussetzung). Wir betrachten dann eine beliebige (n+1)–elementige Menge {x1 , . . . , xn , xn+1 }. Analog zu dem obigen Beispiel mit drei Elementen zerfallen die möglichen Anordnungen unserer (n + 1)–elementigen Menge in die folgenden Klassen Kk , k = 1, 2, . . . , n + 1: Die Anordnungen der Klasse Kk haben das Element xk an erster Stelle, wobei die übrigen n Elemente in beliebiger Reihenfolge auftreten können. Nach Induktionsvoraussetzung besteht jede Klasse Kk somit aus n! verschiedenen Anordnungen. Die Gesamtzahl aller Anordnungen von {x1 , . . . , xn+1 } ist also gleich (n + 1)n! = (n + 1)!. 2 Für zwei natürliche Zahlen n, k ∈ N0 mit k ≤ n heißt n! n n · (n − 1) · . . . · (n − k + 1) := = (sprich: n über k) k k!(n − k)! 1 · 2 · ...· k der Binomialkoeffizient von n über k (für k > n wird nk := 0 gesetzt). Einige elementare Eigenschaften des Binomialkoeffizienten sind in der nachstehenden Bemerkung zusammengefasst. Bemerkung 1.7 (a) Wegen 0! = 1 ist n! n n! n = = = 1 und =1 0 0!n! n n!0! für alle n ∈ N0 . 9 1.2. DAS PRINZIP DER VOLLSTÄNDIGEN INDUKTION (b) Aus der Definition des Binomialkoeffizienten folgt sofort die Symmetrie–Eigenschaft n n = n−k k für alle n ∈ N0 und alle k ∈ {0, 1, . . . , n}. (c) Es gilt die Rekursionsformel n+1 k = n n ∀1 ≤ k ≤ n, + k k−1 die sich unmittelbar mittels vollständiger Induktion verifizieren lässt. 3 Die in Bemerkung 1.7 (c) genannte Rekursionsformel für die Binomialkoeffizienten erlaubt n die sukzessive Berechnung dieser Zahlen: Sind die Werte von k für ein n ∈ N0 und alle 1 ≤ k ≤ n bekannt, so lassen sich unter Berücksichtigung der Randwerte“ n0 = nn = 1 ” für 1 ≤ aus Bemerkung 1.7 (a) alle Binomialkoeffizienten n+1 k k ≤ n + 1 berechnen durch n Summation der beiden vorhergehenden Werte k−1 und nk . Man kann sich diese Rekursionsformel leicht merken, indem man die Binomialkoeffizienten in Form des so genannten Pascalschen Dreiecks anordnet: .. . 5 0 1 0 2 0 3 0 4 0 0 0 5 1 .. . 2 2 2 1 3 1 4 1 1 1 5 2 .. . 3 2 4 2 5 3 .. . 3 3 4 3 5 4 .. . 4 4 Numerisch erhält man im Pascalschen Dreieck folgende Werte: 5 5 .. . 10 KAPITEL 1. KÖRPER UND ZAHLEN 1 1 1 ց 1 1 ւ 2 3 3 ց 1 4 ց .. . 1 1 1 ւ 6 4 1 ւ 5 .. . 10 .. . 10 .. . 5 .. . 1 .. . Die hiermit eingeführten Binomialkoeffizienten treten in verschiedenen Zusammenhängen auf, so beispielsweise bei der Fragestellung, wie viele k–elementige Teilmengen man aus einer n–elementigen Menge auswählen kann. Dabei sollen verschiedene Anordnungen einer k–elementigen Teilmenge nicht gesondert gezählt werden. Betrachten wir beispielsweise wieder eine dreielementige Teilmenge X = {x1 , x2 , x3 }, so besitzt diese offenbar die folgenden drei zweielementigen Teilmengen: {x1 , x2 }, {x2 , x3 } und {x1 , x3 }. Mit n = 3 und k = 2 sind dies genau 32 Stück. Dieses Beispiel gilt ebenfalls allgemeiner. Satz 1.8 Die Anzahl der k–elementigen Teilmengen einer n–elementigen Menge ist (ohne n Berücksichtigung der Anordnung der Elemente) gegeben durch k . Beweis: Wir betrachten zunächst alle möglichen Kombinationen von k Elementen mit Berücksichtigung der Anordnung. Dann haben wir zur Auswahl des ersten Elements n Möglichkeiten, danach bleiben zur Auswahl des zweiten Elements noch n − 1 Möglichkeiten usw., bis man zur Auswahl des k-ten Elements noch n − k + 1 Möglichkeiten hat. Die Gesamtzahl der möglichen Kombinationen von k Elementen mit Berücksichtigung der Anordnung beträgt somit n · (n − 1) · . . . · (n − k + 1). Legen wir auf die Anordnung keinen Wert, so fallen alle Kombinationen zusammen, bei denen es sich nur um Umordnungen der Elemente handelt. Wegen Satz 1.6 sind dies genau k!. Die Zahl der k–elementigen Teilmengen einer n–elementigen Menge beträgt somit n · (n − 1) · . . . · (n − k + 1) n! n , = = k! k!(n − k)! k was zu beweisen war. 2 1.2. DAS PRINZIP DER VOLLSTÄNDIGEN INDUKTION 11 Die Anzahl der 6–elementigen Teilmengen von 49 Elementen beträgt somit 49 · 48 · 47 · 46 · 45 · 44 49 = 13.983.816. = 1·2·3·4·5·6 6 Die Chance, beim Lotto 6 aus 49“ die richtige Kombination zu erraten, ist also etwa 1:14 ” Millionen. Die bereits im Satz 1.8 aufgetretenen Binominalkoeffizienten verdanken ihrem Namen der Tatsache, dass sie im binomischen Lehrsatz als Koeffizienten auftreten, den wir in dem folgenden Resultat formulieren. Satz 1.9 ( Binomischer Lehrsatz ) Für beliebige x, y ∈ Q und jedes n ∈ N0 gilt n X n n−k k x y . (x + y) = k k=0 n Beweis: Wir beweisen zunächst den Spezialfall n X n n n 2 n n n k n x . x + ...+ x+ + x = (1 + x) = n 2 1 0 k k=0 (1.3) Für n = 0 ist (1.3) offenbar richtig (Induktionsanfang). Die Gleichheit (1.3) gelte nun für ein beliebiges n (Induktionsvoraussetzung). Multiplizieren wir (1.3) mit x, so folgt n n+1 n 2 n n x . x + ...+ x+ x(1 + x) = n 1 0 Addiert man diese Gleichung zu (1.3), so folgt (1 + x)n+1 = (1 + x)(1 + x)n = (1 + x)n + x(1 + x)n n n n n x2 + + x+ + = 1+ 2 1 1 0 n n xn + xn+1 . + ...+ n n−1 Zusammen mit den Beziehungen aus der Bemerkung 1.7 ergibt sich hieraus unmittelbar die Gültigkeit von (1.3) für n + 1. Zum Nachweis der eigentlichen Behauptung ersetzen wir x durch x/y (falls y 6= 0 gilt, sonst ist die Aussage trivial wegen 00 = 1) und multiplizieren die entstehende Gleichung (1.3) anschließend mit y n . 2 12 KAPITEL 1. KÖRPER UND ZAHLEN Im Satz 1.9 waren x und y beliebige rationale Zahlen. Der Beweis ist identisch, wenn man x, y aus der Menge der reellen Zahlen R oder sogar aus der Menge der komplexen Zahlen C wählt. Der einzige Grund, warum das Resultat nur für x, y ∈ Q formuliert wurde, liegt darin, dass uns die rationalen Zahlen bereits bekannt sind, die reellen und komplexen Zahlen jedoch erst noch eingeführt werden und von daher im Moment nicht zur Verfügung stehen. Aufgrund des binomischen Lehrsatzes lauten die ersten Potenzen von (x + y)n für n = 0, 1, 2, 3, 4, 5 somit (man verwende hierbei die numerischen Werte aus dem Pascalschen Dreieck): (x + y)0 (x + y)1 (x + y)2 (x + y)3 (x + y)4 (x + y)5 =1 =x+y = x2 + 2xy + y 2 = x3 + 3x2 y + 3xy 2 + y 3 = x4 + 4x3 y + 6x2 y 2 + 4xy 3 + y 4 = x5 + 5x4 y + 10x3 y 2 + 10x2 y 3 + 5xy 4 + y 5. Als einfache Konsequenz aus dem binomischen Lehrsatz erhalten wir das nachstehende Resultat, bei dem wir mit 2M := {N | N ⊆ M} die so genannte Potenzmenge von M bezeichnen. Die Potenzmenge ist also gerade die Menge aller Teilmengen von M (inklusive der leeren Menge sowie der Menge M selbst). Satz 1.10 ( Mächtigkeit der Potenzmenge ) Sei X eine beliebige Menge mit n Elementen. Dann besitzt X genau 2n Teilmengen, es gilt also |2X | = 2n . Beweis: Offenbar gilt Menge aller Teilmengen von X = Menge aller Teilmengen von X mit 0 Elementen +Menge aller Teilmengen von X mit 1 Element +Menge aller Teilmengen von X mit 2 Elementen .. .. .. . . . +Menge aller Teilmengen von X mit n Elementen. Wegen Satz 1.8 ist die Anzahl der k–elementigen Teilmengen von X gegeben durch Damit folgt n X n X = 2n , |2 | = k k=0 n k . wobei sich die zweite Gleichheit aus dem binomischen Lehrsatz 1.9 mit x = y = 1 ergibt. 2 1.2. DAS PRINZIP DER VOLLSTÄNDIGEN INDUKTION 13 Das vorige Resultat motiviert nachträgliche die Verwendung der Schreibweise 2M für die Potenzmenge einer gegebenen Menge M. Zum Abschluss dieses Abschnitts beweisen wir noch das folgende Resultat. Satz 1.11 ( Geometrische Summenformel ) Für jedes x 6= 1 und jede natürliche Zahl n ∈ N0 gilt n X xk = k=0 1 − xn+1 . 1−x Beweis: Der Beweis erfolgt wieder durch vollständige Induktion. Für n = 0 ist 0 X xk = 1 = k=0 1 − x0+1 . 1−x Die Aussage gelte jetzt für ein beliebiges n ∈ N0 . Dann folgt ! n+1 n X X 1 − xn+1 1 − x(n+1)+1 n+1 k k n+1 = x = x +x +x = , 1−x 1−x k=0 k=0 womit der Induktionsschritt bewiesen ist. 2 Die Gültigkeit von Satz 1.11 lässt sich auch anders einsehen: Um die Behauptung 1 + x + x2 + . . . + xn = 1 − xn+1 1−x zu verifizieren, multipliziert man diese Gleichung mit 1 − x und beachtet, dass sich auf der linken Seite dann fast alle Terme wegheben. Der Satz 1.11 besitzt eine wichtige Rolle in der Zinsrechnung, wofür wir an dieser Stelle kurz ein Beipiel angeben wollen. Beispiel 1.12 Auf ein Konto wird am Anfang eines jeden Jahres ein Betrag von 5.000 e eingezahlt. Die Verzinsung beträgt 4.5% pro Jahr, als Laufzeit werden 5 Jahre gewählt. Am Ende des ersten Jahres beträgt das Guthaben dann 5.000e + 0, 045 ∗ 5.000e = 1, 045 ∗ 5.000e = 5.225, 00e. Im zweiten Jahre werden diese 5.225,00 e wiederum mit 4.5% verzinst, außerdem die neu eingezahlten 5.000 e. Zum Ende des zweiten Jahres verfügt man somit über ein Guthaben von 1, 045 ∗ 5.225, 00e + 1, 045 ∗ 5.000e = 1, 0452 ∗ 5.000e + 1, 045 ∗ 5.000e = 10.685, 12e. 14 KAPITEL 1. KÖRPER UND ZAHLEN Im dritten Jahr wird wiederum dieser Betrag verzinst sowie zusätzlich die neu eingezahlten 5.000 e. Am Ende des dritten Jahres beträgt das Guthaben somit 1, 045 ∗ 10.685, 12e + 1, 045 ∗ 5.000e = 1, 0453 ∗ 5.000e + 1, 0452 ∗ 5.000e + 1, 045 ∗ 5.000e = 16.390, 96e. So fortfahrend, erhält man am Ende der Laufzeit offenbar einen Betrag von 1, 0455 ∗ 5.000e + 1, 0454 ∗ 5.000e + 1, 0453 ∗ 5.000e + 1.0452 ∗ 5.000e + 1.045 ∗ 5.000e = 28.584, 46e (die Endbeträge sind jeweils gerundet). Im Hinblick auf den Satz 1.11 können wir die obige Formel auch viel schneller berechnen: 1, 0455 ∗ 5.000e + 1, 0454 ∗ 5.000e + 1, 0453 ∗ 5.000e + 1.0452 ∗ 5.000e + 1.045 ∗ 5.000e = 1, 045 ∗ 1, 0454 + 1, 0453 + 1, 0452 + 1, 045 + 1 ∗ 5.000e 1 − 1, 0455 = 1, 045 ∗ ∗ 5.000e 1 − 1, 045 = 28.584, 46e. 3 1.3 Körper Die Menge der rationalen Zahlen Q sowie die später noch einzuführenden Mengen der reellen Zahlen R und komplexen Zahlen C haben allesamt die gemeinsame Struktureigenschaft, dass es sich um einen Körper handelt. Aus diesem Grund führen wir in diesem Abschnitt den Begriff des Körpers formal ein und untersuchen anschließend eine Reihe von Eigenschaften, die allen Körpern gemein ist. Definition 1.13 Ein Körper ist eine nichtleere Menge K, auf der zwei Operationen + (als Addition bezeichnet) und · (als Multiplikation bezeichnet) definiert sind, so dass die folgenden Eigenschaften gelten: (A) Axiome der Addition: (A1) Für alle x, y ∈ K ist auch x + y ∈ K (Abgeschlossenheit der Addition). (A2) Für alle x, y ∈ K ist x + y = y + x (Kommutativgesetz der Addition). (A3) Für alle x, y, z ∈ K ist (x + y) + z = x + (y + z) (Assoziativgesetz der Addition). (A4) Es gibt ein Element 0 ∈ K mit 0 + x = x für alle x ∈ K (Existenz eines Nullelements). 15 1.3. KÖRPER (A5) Zu jedem x ∈ K existiert ein Element −x ∈ K mit x + (−x) = 0 (Existenz eines negativen Elements). (M) Axiome der Multiplikation: (M1) Für alle x, y ∈ K ist auch x · y ∈ K (Abgeschlossenheit der Multiplikation). (M2) Für alle x, y ∈ K ist x · y = y · x (Kommutativgesetz der Multiplikation). (M3) Für alle x, y, z ∈ K ist (x· y) · z = x· (y · z) (Assoziativgesetz der Multiplikation). (M4) Es gibt ein Element 1 ∈ K mit 1 6= 0 und 1 · x = x für alle x ∈ K (Existenz eines Einselements). (M5) Zu jedem x ∈ K mit x 6= 0 gibt es ein Element x−1 ∈ K mit x · x−1 = 1 für alle x ∈ K (Existenz eines inversen Elements). (D) Distributivgesetz: Für alle x, y, z ∈ K gilt x · (y + z) = x · y + x · z. Die Eigenschaften (A1)–(A5) besagen, dass die Menge K bezüglich der Addition eine kommutative (oder abelsche) Gruppe bildet (ohne das Kommutativgesetz (A2) würde man nur von einer Gruppe sprechen). Entsprechend bedeuten die Axiome (M1)–(M5), dass K ∗ := K \ {0} auch bezüglich der Multiplikation eine kommutative Gruppe darstellt. Statt x·y für zwei Elemente x, y eines Körpers K schreiben wir im Folgenden oft nur xy. Ebenso werden wir für das nach (M5) existierende Element statt x−1 häufig x1 schreiben, wie man dies beispielsweise von den rationalen Zahlen her gewöhnt ist. Beispiel 1.14 (a) Die Mengen N und Z der natürlichen und ganzen Zahlen, jeweils versehen mit der üblichen Addition und Multiplikation, bilden keinen Körper, da beispielsweise die Eigenschaft (M5) verletzt ist. (b) Die Menge der rationalen Zahlen p Q = x x = , p, q ∈ Z, q 6= 0 , q versehen mit der Addition p1 p2 p1 q2 + p2 q1 + := q1 q2 q1 q2 und der Multiplikation p1 p2 p1 p2 · := , q1 q2 q1 q2 bildet offenbar einen Körper, den Körper der rationalen Zahlen. Man beachte, dass die Darstellung der Elemente aus Q nicht eindeutig ist. Beispielsweise gilt 32 = 64 . Allgemein sind zwei rationale Zahlen gleich, also p2 p1 = , q1 q2 wenn p1 q2 = p2 q1 gilt. 16 KAPITEL 1. KÖRPER UND ZAHLEN (c) Die zweielementige Menge K := {0, 1} mit den Rechenvorschriften + 0 1 0 0 1 1 1 0 und · 0 1 0 0 0 1 0 1 bildet einen Körper, wie man unmittelbar durch Verifikation aller Körperaxiome einsieht (das negative Element von 1 ist beispielsweise die 1). 3 Wir formulieren zunächst einige Konsequenzen aus den Axiomen der Addition. Satz 1.15 ( Eigenschaften der Addition ) Aus den Axiomen der Addition folgen: (a) Die Zahl 0 ist eindeutig bestimmt. (b) Das negative Element einer Zahl x ∈ K ist eindeutig bestimmt. (c) Es gilt −0 = 0. (d) Die Gleichung a+x = b (mit a, b ∈ K) hat eine eindeutig bestimmte Lösung x = b−a in K, wobei wir b − a := b + (−a) gesetzt haben. (e) Für jedes Element x ∈ K ist −(−x) = x. (f ) Für alle x, y ∈ K ist −(x + y) = −x − y := (−x) + (−y) . Beweis: Zum Beweis der Aussagen (a)–(f) benutzen wir ausschließlich die Eigenschaften (A1)–(A5). Insbesondere gelten die Aussagen (a)–(f) daher in jeder Menge, auf welcher eine Addition mit den Eigenschaften (A1)–(A5) definiert ist (das heißt, die Aussagen gelten letztlich in jeder kommutativen Gruppe). (a) Sei 0′ ∈ K ein weiteres Element mit 0′ + x = x für alle x ∈ K . Dann gilt insbesondere 0′ + 0 = 0. Andererseits ist 0 + 0′ = 0′ nach (A4). Aus dem Kommutativgesetz (A2) folgt daher 0 = 0′ + 0 = 0 + 0′ = 0′ und somit die behauptete Eindeutigkeit des Nullelements. (b) Sei x ∈ K beliebig gegeben. Wegen (A5) existiert ein Element −x ∈ K mit x+(−x) = 0. Sei x′ ∈ K ein weiteres Element mit x + x′ = 0. Addition von −x auf beiden Seiten liefert (−x) + (x + x′ ) = (−x) + 0. Das Assoziativgesetz (A3) und die Eigenschaft (A4) ergeben daher (−x) + x + x′ = −x. 17 1.3. KÖRPER Mit (A2) und (A5) erhalten wir somit x′ = 0 + x′ = (−x) + x + x′ = −x, was zu zeigen war. (c) Nach (A4) ist 0 + 0 = 0. Hingegen gilt 0 + (−0) = 0 nach (A5). Wegen (b) ist das negative Element von 0 aber eindeutig bestimmt, so dass wir unmittelbar 0 = −0 erhalten. (d) Wir zeigen zunächst, dass x = b − a := b + (−a) die Gleichung a + x = b löst. Unter Verwendung der Axiome der Addition folgt nämlich a+x = = (A2) = (A3) = (A5) = (A4) = a + (b − a) a + b + (−a) a + (−a) + b a + (−a) + b 0+b b. Damit ist noch die Eindeutigkeit der Lösung zu zeigen. Sei y ∈ K ein beliebiges Element mit a + y = b. Addition von −a auf beiden Seiten ergibt (−a) + (a + y) = (−a) + b, also (−a) + a + y = b + (−a) nach (A2) und (A3). Nun ist aber (A4) (A5) y = 0+y = (−a) + a + y = b + (−a) = b − a = x und damit auch die Eindeutigkeit bewiesen. (e) Sei x ∈ K beliebig gegeben. Wegen (A5) existiert dann ein Element −xmit x+(−x) = 0. Die Definition des negativen Elements liefert außerdem (−x) + − (−x) = 0. Zusammen mit (A2) folgt (−x) + x = 0 = (−x) + − (−x) . Aus Teil (b) ergibt sich daher x = −(−x) wegen der Eindeutigkeit des negativen Elements. (f) Die Definition des negativen Elements von x + y liefert (x + y) + − (x + y) = 0. Addition von −x auf beiden Seiten ergibt y + − (x + y) = −x wegen (A3) und (A5). Andererseits hat die Gleichung y + z = −x nach Teil (d) die eindeutig bestimmte Lösung z = −x − y. Daher folgt −(x + y) = −x − y. 2 Entsprechende Folgerungen lassen sich aus den Axiomen der Multiplikation herleiten. 18 KAPITEL 1. KÖRPER UND ZAHLEN Satz 1.16 ( Eigenschaften der Multiplikation ) Aus den Axiomen der Multiplikation folgen: (a) Die Zahl 1 ist eindeutig bestimmt. (b) Das inverse Element einer Zahl x ∈ K mit x 6= 0 ist eindeutig bestimmt. (c) Die Gleichung ax = b (mit a, b ∈ K, a 6= 0) hat eine eindeutig bestimmte Lösung x = ab in K, wobei wir ab := a−1 b gesetzt haben. Beweis: Die Teile (a) und (b) lassen sich in Analogie zu den entsprechenden Aussagen des Satzes 1.15 beweisen, so dass wir hier nur die Behauptung (c) verifizieren. Seien dazu a, b ∈ K mit a 6= 0 beliebig gegeben. Wir zeigen zunächst, dass x = a−1 b die Gleichung ax = b löst. Dies folgt aus (M 3) (M 5) (M 4) a(a−1 b) = (aa−1 )b = 1 · b = b. Zum Beweis der Eindeutigkeit sei y ∈ K ein beliebiges Element mit ay = b. Multiplikation mit a−1 von links liefert a−1 (ay) = a−1 b. Nun ist aber a−1 (ay) = (a−1 a)y = 1 · y = y und daher y = a−1 b = x. 2 Die Aussage (b) des Satzes 1.16 macht klar, warum es zum Nullelement kein inverses Element geben kann. Ansonsten beachte man, dass der Beweis des Satzes 1.16 ausschließlich die Axiome (M1)–(M5) der Multiplikation verwendet. Daher gelten alle Aussagen des Satzes 1.16 in einer beliebigen Menge, auf welcher eine Multiplikation mit den Eigenschaften (M1)–(M5) definiert ist. Wir notieren als Nächstes eine Reihe von Folgerungen, die sich insbesondere durch Anwendung des Distributivgesetzes ergeben. Satz 1.17 ( Rechenregeln in Körpern ) Sei K ein Körper. Dann gelten die folgenden Aussagen: (a) Für alle x, y, z ∈ K ist (x + y)z = xz + yz. (b) Für alle x ∈ K ist x · 0 = 0. (c) Für x, y ∈ K ist xy = 0 genau dann, wenn x = 0 oder y = 0. (d) Für alle x, y ∈ K ist (−x)y = −(xy). (e) Für alle x ∈ K ist (−1)x = −x. (f ) Für alle x, y ∈ K ist (−x)(−y) = xy. (g) Für alle x ∈ K mit x 6= 0 ist (x−1 )−1 = x. (h) Für alle x, y ∈ K mit x 6= 0 und y 6= 0 ist (xy)−1 = x−1 y −1. 19 1.3. KÖRPER Beweis: (a) Unter Verwendung des Distributivgesetzes und des Kommutativgesetzes der Multiplikation folgt (x + y)z = z(x + y) = zx + zy = xz + yz für alle x, y, z ∈ K. (b) Wegen 0 = 0 + 0 nach (A4) folgt aus dem Distributivgesetz x · 0 + x · 0 = x · (0 + 0) = x · 0. Andererseits ist x · 0 + 0 = x · 0 wiederum nach (A4). Wegen Teil (d) des Satzes 1.15 erhalten wir hieraus x · 0 = 0. (c) Zum Beweis der behaupteten Äquivalenz müssen wir zwei Richtungen zeigen, nämlich einmal, dass aus xy = 0 tatsächlich x = 0 oder y = 0 folgt, und einmal, dass umgekehrt aus x = 0 oder y = 0 bereits xy = 0 folgt. Sei zunächst xy = 0. Gilt dann x = 0, so sind wir fertig. Sei daher x 6= 0 vorausgesetzt. Wegen Teil (c) des Satzes 1.16 ist die eindeutig bestimmte Lösung der Gleichung xy = 0 dann gegeben durch y = x−1 · 0. Mit Teil (b) folgt somit y = 0. Also ist wenigstens eine der beiden Zahlen x oder y gleich 0. Gilt umgekehrt x = 0 oder y = 0, so folgt die Behauptung xy = 0 unmittelbar aus der Aussage (b) (evtl. unter Berücksichtigung des Kommutativgesetzes der Multiplikation). (d) Seien x, y ∈ K beliebig gegeben. Dann ist einerseits (A5) 0·y = also (b) (a) x + (−x) y = xy + (−x)y, (M 2) 0 = y · 0 = 0 · y = xy + (−x)y. Andererseits ist xy + − (xy) = 0. Aus der Eindeutigkeit des negativen Elements gemäß Satz 1.15 (b) folgt daher (−x)y = −(xy). (e) Setzt man y = 1 in Teil (d) und berücksichtigt die Eigenschaft (M4), so folgt (−1)x = −(1 · x) = −x. (f) Seien x, y ∈ K beliebig. Nach Teil (d) gilt (−x)(−y) = − x(−y) . Andererseits folgt aus Teil (d) auch x(−y) = −(xy). Zusammen ergibt dies (−x)(−y) = − − (xy) . Die Behauptung folgt daher aus dem Teil (e) des Satzes 1.15. 20 KAPITEL 1. KÖRPER UND ZAHLEN (g), (h) Der Nachweis der Aussagen (g) und (h) kann analog zu den Teilen (e) und (f) des Satzes 1.15 erfolgen. 2 Die Addition von mehr als zwei Elementen eines Körpers K wird durch Klammerung auf die Addition von jeweils zwei Summanden zurückgeführt: x1 + x2 + . . . + xn := . . . (x1 + x2 ) + x3 + . . . + xn für beliebige x1 , x2 , . . . , xn ∈ K. Man beweist jedoch durch wiederholte Anwendung des Assoziativgesetzes der Addition, dass jede andere Klammerung zum selben Resultat führt (allgemeines Assoziativgesetz der Addition). Entsprechendes gilt für das Produkt x1 ·x2 ·. . .·xn für beliebige Elemente x1 , x2 , . . . , xn ∈ K (allgemeines Assoziativgesetz der Multiplikation). Sei nun (i1 , . . . , in ) eine Permutation (d.h. Umordnung) der Zahlen (1, . . . , n). Durch wiederholte Anwendung der Kommutativgesetze für die Addition und die Multiplikation folgert man sofort die Gültigkeit der beiden Identitäten x1 + x2 + . . . + xn = xi1 + xi2 + . . . + xin und x1 · x2 · . . . · xn = xi1 · xi2 · . . . · xin , die als allgemeines Kommutativgesetz der Addition und allgemeines Kommutativgesetz der Multiplikation bezeichnet werden. Aus dem allgemeinen Kommutativgesetz der Addition folgt beispielsweise wiederum n X m X aij = i=1 j=1 m X n X aij j=1 i=1 für beliebige Elemente aij ∈ K, denn auf beiden Seiten stehen offenbar dieselben (insgesamt nm) Summanden, die lediglich in anderer Reihenfolge auftreten. Ebenso zeigt man auch die Gültigkeit des allgemeinen Distributivgesetzes ! m ! n n X m X X X xi yj = xi yj i=1 j=1 i=1 j=1 für beliebige xi , yj ∈ K. In einem beliebigen Körper K definieren wir noch die Vielfachen n · x := 0 für x ∈ K, n = 0, n · x := x {z. . . + x} für x ∈ K, n ∈ N, | +x+ n-mal −n · x := −x − . . . − x} | − x {z n-mal für x ∈ K, n ∈ N 21 1.3. KÖRPER sowie die Potenzen x0 := 1 für x ∈ K, insbesondere also 00 := 1, xn := x · . . . · x} für x ∈ K, n ∈ N, | · x {z −n x n-mal −1 n := (x ) für x ∈ K, x 6= 0, n ∈ N. Einige Rechenregeln für Potenzen sind in dem nachstehenden Resultat zusammengefasst. Entsprechende Ergebnisse gelten auch für die Vielfachen von Elementen eines Körpers. Satz 1.18 ( Potenz–Rechenregeln in Körpern ) Sei K ein Körper. Dann gelten: (a) xn xm = xn+m für alle x ∈ K und alle n, m ∈ Z (evtl. x 6= 0). (b) (xn )m = xnm für alle x ∈ K und alle n, m ∈ Z (evtl. x 6= 0). (c) xn y n = (xy)n für alle x, y ∈ K und alle n ∈ Z (evtl. x 6= 0, y 6= 0). Die Zusätze x 6= 0 oder y 6= 0 sind hierbei nur dann relevant, wenn x oder y mit einer negativen Potenz auftritt. Beweis: Wir beweisen hier nur die Aussage (c). Die Teile (a) und (b) können aber auf analoge Weise verifiziert werden. Sei zunächst n ≥ 0. Wir zeigen Teil (c) durch vollständige Induktion nach n. Für n = 0 ist die Behauptung offenbar richtig. Für ein beliebiges n ≥ 0 gelte daher xn y n = (xy)n . Dann folgt xn+1 y n+1 = xn xy n y = xn y n xy = (xy)n (xy) = (xy)n+1 , so dass die Aussage (c) für alle n ∈ N0 bewiesen ist. Sei nun n < 0 und m := −n > 0 (sowie x 6= 0, y 6= 0). Dann ist xn y n = x−m y −m = (x−1 )m (y −1 )m . Wegen m > 0 ergibt sich aus dem gerade betrachteten Fall aber (x−1 )m (y −1 )m = (x−1 y −1)m und daher unter Verwendung von Teil (h) des Satzes 1.17 sofort xn y n = (x−1 y −1 )m = (xy)−1 womit Teil (c) auch schon bewiesen ist. m = (xy)−m , 2 22 1.4 KAPITEL 1. KÖRPER UND ZAHLEN Geordnete Körper Wir beginnen diesen Abschnitt gleich mit der zentralen Definition. Definition 1.19 Ein Körper K heißt geordnet (oder angeordnet), wenn eine Beziehung > 0 (sprich: größer Null) definiert ist mit den folgenden Eigenschaften: (O1) für jedes x ∈ K gilt genau eine der Beziehungen x = 0 oder x > 0 oder −x > 0. (O2) Für alle x, y ∈ K mit x > 0 und y > 0 gilt x + y > 0. (O3) Für alle x, y ∈ K mit x > 0 und y > 0 gilt xy > 0. In einem geordneten Körper K bezeichnen wir die Elemente x ∈ K mit x > 0 als positiv und die Elemente x ∈ K mit −x > 0 als negativ . Zur bequemeren Schreibweise führen wir noch die folgenden Notationen ein. Definition 1.20 Seien K ein geordneter Körper und x, y ∈ K. Dann schreiben wir (a) x > y (sprich: x größer y), wenn x − y > 0 gilt. (b) x ≥ y (sprich: x größer oder gleich y), wenn x > y oder x = y gilt. (c) x < y (sprich: x kleiner y), wenn y > x gilt. (d) x ≤ y (sprich: x kleiner oder gleich y), wenn y ≥ x gilt. Als unmittelbare Konsequenz der Ordnungsaxiome (O1)–(O3) und der gerade eingeführten Schreibweisen erhalten wir das nachstehende Resultat. Satz 1.21 ( Rechenregeln in geordneten Körpern ) Seien K ein geordneter Körper und x, y, z ∈ K gegeben. Dann gelten: (a) Es ist genau eine der Beziehungen x = y oder x < y oder x > y erfüllt. (b) Aus x < y und y < z folgt auch x < z. (c) Aus x < y folgt auch x + z < y + z. (d) Aus x < y und z > 0 folgt auch xz < yz. (e) Aus x < y und z < 0 folgt xz > yz. (f ) Für jedes x ∈ K mit x 6= 0 ist x2 > 0. (g) Ist x > 0 (bzw. x < 0), so ist auch x−1 > 0 (bzw. x−1 < 0). (h) Aus 0 < x < y folgt x−1 > y −1 . (i) Es gilt 1 > 0. 1.4. GEORDNETE KÖRPER 23 Beweis: (a) Für das Element y − x ∈ K gilt nach (O1) genau eine der Beziehungen y − x = 0 oder y − x > 0 oder y − x < 0. Die Behauptung folgt daher aus der Definition 1.20. (b) Aus x < y und y < z folgt y − x > 0 und z − y > 0 gemäß Definition 1.20. Mit (O2) ergibt sich hieraus z − x = (z − y) + (y − x) > 0, also gerade x < z. (c) Aus x < y folgt (y + z) − (x + z) = y − x > 0. Dies impliziert x + z < y + z und damit die Aussage (c). (d) Aus x < y folgt y − x > 0. Wegen z > 0 ergibt sich aus (O3) und dem Distributivgesetz daher yz − xz = (y − x)z > 0. Folglich ist xz < yz. (e) Nach Voraussetzung ist y − x > 0 und −z > 0. Aus (O3) folgt daher zx − zy = −zy − (−z)x = (−z)(y − x) > 0. Hieraus ergibt sich gerade die Behauptung xz > yz. (f) Sei x ∈ K mit x 6= 0 gegeben. Wegen (O1) gilt dann x > 0 oder −x > 0. Ist x > 0, so folgt x2 = x · x > 0 direkt aus (O2). Im Fall −x > 0 hingegen folgt aus Satz 1.17 (f) und (O2) ebenfalls x2 = x · x = (−x) · (−x) > 0. (g) Gemäß Definition der Potenzen ist x−1 = x(x−1 )2 . Dabei ist für x 6= 0 stets (x−1 )2 > 0 wegen Teil (f). Deshalb folgt die Behauptung durch Multiplikation der Ungleichung x > 0 (bzw. x < 0) mit (x−1 )2 > 0 aus der schon bewiesenen Aussage (d). (h) Da x und y beide positiv sind, folgt xy > 0 aus (O3) und daher wegen (g) und den Rechenregeln für Potenzen unmittelbar x−1 y −1 = (xy)−1 > 0. Multipliziert man die Ungleichung x < y daher mit x−1 y −1 , so folgt y −1 = x(x−1 y −1 ) < y(x−1 y −1) = x−1 wegen Teil (d). (i) Dies folgt wegen 1 = 12 sofort aus dem Teil (f), denn gemäß Definition eines Körpers ist das Einselement 1 von dem Nullelement 0 verschieden. 2 Wir kennen bislang zwar noch nicht viele Körper, wollen im folgenden Beispiel (das teilweise etwas vorausgreift) aber kurz darauf eingehen, welche Körper geordnet sind. 24 KAPITEL 1. KÖRPER UND ZAHLEN Beispiel 1.22 (a) Der aus dem Beispiel 1.14 (c) bekannte Körper mit den beiden Elementen 0 (als Nullelement) und 1 (als Einselement) ist nicht geordnet. Wäre er nämlich geordnet, so würde wegen Satz 1.21 (i) zwangsläufig 1 > 0 gelten. Wegen Satz 1.21 (c) und der Definition der Addition in dem gegebenen Körper wäre dann auch 0 = 1 + 1 > 0 + 1 = 1 im Widerspruch zu 1 > 0 und Satz 1.21 (a). (b) Der Körper Q der rationalen Zahlen ist geordnet, wenn man die > 0 Beziehung durch x>0 :⇐⇒ pq > 0 (1.4) definiert, wobei x = pq eine gegebene rationale Zahl bezeichnet. Man verifiziert sehr leicht, dass die drei Ordnungsaxiome (O1)–(O3) erfüllt sind. Wir wollen dies exemplarisch für (O2) einmal nachrechnen. Seien also x > 0 und y > 0 gegeben, etwa x= p1 p2 , y= q1 q2 mit p1 q1 > 0 und p2 q2 > 0. Per Definition der Addition in Q ist dann x+y = p1 q2 + p2 q1 . q1 q2 Dabei gilt (p1 q2 + p2 q1 )(q1 q2 ) = (p1 q1 )q22 + (p2 q2 )q12 > 0 wegen p1 q1 > 0, p2 q2 > 0 nach Voraussetzung und q12 > 0, q22 > 0 nach Satz 1.21 (f). Im Hinblick auf (1.4) ist daher x + y > 0 und damit (O2) gültig. (c) Der eigentlich bekannte und später noch formal einzuführende Körper R der reellen Zahlen ist angeordnet. Anschaulich ist dies klar, wenn man R mit der üblichen Zahlengeraden identifiziert. Später wird R per Definition als ein angeordneter Körper eingeführt. (d) Der vielleicht noch nicht bekannte Körper C der komplexen Zahlen (siehe Abschnitt 1.6) ist nicht geordnet, denn es gilt dort i2 = −1 für die imaginäre Einheit i, was jedoch der Eigenschaft (f) aus dem Satz 1.21 widerspricht. 3 In einem geordneten Körper kann man den Begriff des (absoluten) Betrags einführen. Definition 1.23 Sei K ein geordneter Körper. Dann heißt x, falls x ≥ 0, |x| := −x, falls x < 0 der absolute Betrag des Elements x ∈ K. Für den Betrag eines Elements gelten eine Reihe von Eigenschaften, die wir in dem nächsten Resultat zusammenfassen. 25 1.4. GEORDNETE KÖRPER Satz 1.24 ( Rechenregeln des absoluten Betrags ) Sei K ein geordneter Körper. Dann gelten: (a) Es ist |x| ≥ 0 für alle x ∈ K. (b) Es ist |x| = 0 genau dann, wenn x = 0 gilt. (c) Es ist |x| = | − x| für alle x ∈ K. (d) Es ist x ≤ |x| und −x ≤ |x| für alle x ∈ K. (e) Es ist |x · y| = |x| · |y| für alle x, y ∈ K. (f ) Es ist |x + y| ≤ |x| + |y| für alle x, y ∈ K (Dreiecksungleichung). (g) Es ist |x + y| ≥ |x| − |y| für alle x, y ∈ K (inverse Dreiecksungleichung). Beweis: Die Aussagen (a) und (b) folgen sofort aus der Definition des Betrages. Zum Nachweis von (c) unterscheiden wir die beiden Fälle x ≥ 0 und x < 0. Für x ≥ 0 ist |x| = x und | − x| = −(−x), also |x| = x = | − x|. Analog gilt für x < 0 gemäß Definition des Betrags einerseits |x| = −x und andererseits | − x| = −x, also ebenfalls |x| = | − x|. Die Behauptung (d) kann ebenso bewiesen werden, indem man die Fälle x ≥ 0 und x < 0 betrachtet. Durch Abarbeitung der vier Fälle x ≥ 0, y ≥ 0 oder x ≥ 0, y < 0 oder x < 0, y ≥ 0 oder x < 0, y < 0 verifiziert man auch die Gleichheit in der Aussage (e). Zum Nachweis der Dreiecksungleichung: Gilt x + y ≥ 0, so folgt aus der Definition des Betrags sowie dem schon bewiesenen Teil (d) sofort |x + y| = x + y ≤ |x| + |y|. Für x + y < 0 erhalten wir durch eine analoge Argumentation |x + y| = −x − y ≤ |x| + |y|, womit die Aussage (f) bewiesen ist. Hieraus wiederum folgert man Teil (g), indem man die Dreiecksungleichung auf die Elemente u := x + y und v := −y anwendet, wonach |u + v| ≤ |u| + |v| gilt, was sich per Definition von u und v schreiben lässt als |x| = |x + y − y| = |u + v| ≤ |u| + |v| = |x + y| + | − y| = |x + y| + |y|, woraus man |x| − |y| ≤ |x + y| erhält. Durch Vertauschung von x und y folgt hieraus − |x| − |y| ≤ |x + y|. Insgesamt ergibt sich daher die Behauptung (g). 2 26 KAPITEL 1. KÖRPER UND ZAHLEN Induktiv folgt aus dem Satz 1.24 (f) auch die Gültigkeit der verallgemeinerten Dreiecksungleichung |x1 + . . . + xn | ≤ |x1 | + . . . + |xn | für je endlich viele Elemente x1 , . . . , xn eines geordneten Körpers K. Wir werden diese verallgemeinerte Dreiecksungleichung später noch häufig verwenden. Sind x, y Elemente eines beliebigen geordneten Körpers K mit 0 < x < y, so stellt sich oft die Frage, ob es eine Zahl n ∈ N gibt mit nx ≥ y. Entgegen der Anschauung folgt dies nicht aus den Axiomen eines geordneten Körpers. Wir führen daher die folgende Definition ein. Definition 1.25 Ein geordneter Körper K heißt archimedisch, wenn zu je zwei Elementen x, y ∈ K mit x > 0 stets ein (im Allgemeinen von x und y abhängiges) n ∈ N existiert mit nx ≥ y. Aus der Definition eines archimedisch geordneten Körpers erhalten wir sofort die nachstehenden Eigenschaften. Lemma 1.26 ( Eigenschaften eines archimedisch geordneten Körpers ) Sei K ein archimedisch geordneter Körper. Dann gelten: (a) Zu jedem y ∈ K existiert ein n ∈ N mit n ≥ y. (b) Zu jedem ε ∈ K mit ε > 0 existiert ein n ∈ N mit 1 n ≤ ε. Beweis: (a) Wähle x = 1 in der Definition eines archimedisch geordneten Körpers. (b) Setze y := 1 ε > 0. Anwendung von Teil (a) liefert dann die Existenz eines n ∈ N mit n ≥ y ⇐⇒ n ≥ 1 1 ⇐⇒ ε ≥ , ε n was zu zeigen war. 2 Wir zeigen in unserem nächsten Resultat, dass der Körper der rationalen Zahlen archimedisch geordnet ist. Satz 1.27 Der Körper Q der rationalen Zahlen ist archimedisch geordnet. Beweis: Seien x, y ∈ Q mit x > 0 beliebig gegeben. Ohne Einschränkung können wir 0 < x < y voraussetzen, denn sonst würde n := 1 bereits das Gewünschte leisten. Dann existieren natürliche Zahlen p1 , q1 , p2 , q2 ∈ N mit x= p1 q1 und y = p2 . q2 27 1.5. REELLE ZAHLEN Mit p := p1 q2 , q := q1 p2 und r := q1 q2 gilt ferner x= p r q und y = . r Nun gilt p ≥ 1 und r ≥ 1, da es sich bei p und r jeweils um ein Produkt von zwei natürlichen Zahlen handelt. Aus p ≥ 1 folgt zunächst pq ≥ q. Ebenso erhalten wir aus r ≥ 1 auch qr ≥ q bzw. q ≥ qr . Wählen wir nun n := r · q ∈ N, so folgt n·x=r·q· p q = p · q ≥ q ≥ = y, r r was zu zeigen war. 1.5 2 Reelle Zahlen Wir geben in diesem Abschnitt eine axiomatische Einführung der reellen Zahlen. Dazu beginnen wir als Motivation mit einem Resultat, wonach der Körper Q der rationalen Zahlen unvollständig“ ist in dem Sinne, dass die Zahl 2 sich nicht als Quadrat einer ” rationalen Zahl darstellen lässt. Anders ausgedrückt: Die Quadratwurzel aus 2 (die aus der Schule sicherlich bekannt ist) ist keine rationale Zahl. Lemma 1.28 Es gibt keine Zahl x ∈ Q mit x2 = 2. Beweis: Der Beweis ist ein typisches Beispiel für einen Widerspruchsbeweis, bei dem es sich um eine sehr beliebte Beweistechnik handelt: Man nimmt an, die Aussage gilt nicht, und führt diese Annahme dann zu einem Widerspruch, so dass die Aussage doch gelten muss. Wir nehmen also an, dass es eine rationale Zahl x ∈ Q gibt mit x2 = 2. Dann können wir x = pq mit gewissen Zahlen p, q ∈ Z, q 6= 0, schreiben. Nun ist die Darstellung einer rationalen Zahl zwar nicht eindeutig, durch geeignetes Kürzen können wir allerdings stets erreichen, dass p und q teilerfremd sind, also keinen gemeinsamen (von Eins verschiedenen) Teiler haben. Aus x2 = 2 folgt nun p2 = 2q 2 . (1.5) Also ist p2 durch 2 teilbar und somit eine gerade Zahl. Dann ist aber p selbst eine gerade Zahl (denn wäre p ungerade, so wäre p2 offenbar auch ungerade). Also ist p2 durch 4 teilbar. Dann ist auch die rechte Seite in (1.5) durch 4 teilbar, also q 2 gerade. Somit ist auch q gerade. Also sind sowohl p als auch q durch 2 teilbar im Widerspruch dazu, dass beide Zahlen als teilerfremd vorausgesetzt waren. Daher existiert keine rationale Zahl x ∈ Q mit x2 = 2. 2 Der Körper Q hat noch weitere Defizite, wie wir noch sehen werden. Dazu führen wir zunächst den folgenden Begriff ein. 28 KAPITEL 1. KÖRPER UND ZAHLEN Definition 1.29 Sei K ein geordneter Körper und M ⊆ K eine gegebene Teilmenge. Ein Element s ∈ K heißt Supremum von M, wenn s die kleinste obere Schranke für M ist, d.h., wenn die beiden folgenden Eigenschaften gelten: (a) Es ist x ≤ s für alle x ∈ M. (b) Es gibt kein s′ ∈ K mit s′ < s und x ≤ s′ für alle x ∈ M. Das Element s wird als sup M bezeichnet. Entsprechend definiert man das Infimum von M als größte untere Schranke von M und bezeichnet diese mit inf M. Sofern existent, ist das Supremum einer Menge wegen der Eigenschaft (b) offenbar eindeutig bestimmt. Gleiches gilt für das Infimum. Wir bringen zunächst einige Beispiele. Beispiel 1.30 (a) Wir betrachten den angeordneten Körper K = Q der rationalen Zahlen sowie die Teilmenge M := {x ∈ Q | x2 < 2}. Dann besitzt M offenbar kein Supremum, denn dazu müsste offenbar ein x ∈ Q mit x2 = 2 existieren, was nach Lemma 1.28 nicht sein kann. Jedes x ∈ Q mit x2 > 2 hingegen kommt nicht als Supremum in Frage, da zwar die Eigenschaft (a) aus Definition 1.29 erfüllt ist, nicht jedoch die Eigenschaft (b), denn zu x mit x2 > 2 existiert stets ein y < x mit y 2 > 2 (vergleiche Satz 1.34). (b) Existiert das Supremum s = sup M einer Teilmenge M eines geordneten Körpers K, so kann s zu M gehören oder auch nicht. Als Beispiel betrachten wir wieder den Körper K = Q sowie die beiden Teilmengen M1 := {x ∈ Q | x < 0} und M2 := {x ∈ Q | x ≤ 0}. Dann gilt sup M1 = 0 und sup M2 = 0, und im ersten Fall gehört das Supremum nicht zu M1 , während es im zweiten Fall ein Element von M2 ist. (c) Seien K = Q und 1 1 1 1 M := n ∈ N = 1, , , , . . . . n 2 3 4 Dann ist sup M = 1 und inf M = 0, wobei sup M zu M gehört und inf M kein Element von M ist. 3 Sei K ein geordneter Körper und M ⊆ K eine nach oben beschränkte Teilmenge, d.h., es existiert ein β ∈ K mit x ≤ β für alle x ∈ M. Für solche Mengen soll stets ein Supremum in K existieren. Wir führen dafür den nachstehenden Begriff ein. Definition 1.31 Ein geordneter Körper K heißt vollständig, wenn jede nichtleere und nach oben beschränkte Teilmenge M ⊆ K ein Supremum in K besitzt. 29 1.5. REELLE ZAHLEN Das Beispiel 1.30 (a) zeigt, dass der Körper Q nicht vollständig ist. Durch Erweiterung von Q erhält man jedoch einen vollständigen Körper, denn es gilt der folgende Satz, auf dessen länglichen Beweis wir an dieser Stelle verzichten. Der interessierte Leser sei hierzu beispielsweise auf [11, Theorem 1.19] verwiesen. Satz 1.32 ( Existenz und Eindeutigkeit der reellen Zahlen ) Es gibt (im Wesentlichen genau) einen geordneten Körper, der vollständig ist. Wir bezeichnen diesen mit R und nennen ihn den Körper der reellen Zahlen. Dieser umfasst insbesondere den Körper Q. Wir können an dieser Stelle auch vielen Lehrbüchern der Analysis folgen und den axiomatischen Standpunkt vertreten, bei dem man den Satz 1.32 als Definition der reellen Zahlen auffasst: R ist ein vollständiger geordneter Körper. Die bislang bewiesenen Eigenschaften eines vollständig geordneten Körpers (also von R) besagen letztlich, dass man in der Menge der reellen Zahlen so rechnen darf, wie man es vorher schon (etwa aus der Schule) gewohnt war. Wir zeigen als Nächstes, dass der Körper R der reellen Zahlen automatisch archimedisch geordnet ist. Satz 1.33 Der Körper R ist archimedisch geordnet. Beweis: Seien x, y ∈ R mit 0 < x < y beliebig gegeben. Definiere die Menge M := n · x n ∈ N ⊆ R. Wenn es kein n ∈ N mit n · x ≥ y gibt, so ist y eine obere Schranke von M, die Menge M also nach oben beschränkt. Da R per Definition vollständig ist, existiert das Supremum s := sup M in R. Wegen x > 0 ist s − x < s und daher s − x keine obere Schranke für die Menge M. Also existiert ein m ∈ N mit s − x < mx. Dies impliziert jedoch s < (m + 1)x ∈ M im Widerspruch dazu, dass s eine obere Schranke von M ist. 2 Wir zeigen in dem nachfolgenden Resultat, dass zwischen zwei Elementen aus R stets eine rationale Zahl liegt. Satz 1.34 Die Menge der rationalen Zahlen Q liegt dicht in R in dem Sinne, dass zu je zwei Zahlen x, y ∈ R mit x < y stets ein r ∈ Q mit x < r < y existiert. Beweis: Wegen x < y ist y − x > 0. Wegen Satz 1.33 ist R archimedisch geordnet. Aufgrund des Lemmas 1.26 existiert daher ein n ∈ N mit n(y − x) > 1. Sei ferner m die kleinste Zahl aus Z mit m > nx, so dass insbesondere nx ≥ m − 1 gilt. Dann folgt 1 m−1 1 x< m= + < x + (y − x) = y. n n n 30 Also hat r := KAPITEL 1. KÖRPER UND ZAHLEN m n ∈ Q die gewünschte Eigenschaft. 2 Als Ergänzung zum Satz 1.34 sei erwähnt, dass zwischen zwei reellen Zahlen x, y ∈ R mit x < y auch stets eine irrationale Zahl liegt, also ein s ∈ R \ Q existiert mit x < s < y. Dies wird etwa im Beispiel 2.25 (b) gezeigt. Wir zeigen in dem folgenden Resultat, dass das im Lemma 1.28 aufgetretene Problem im Körper der reellen Zahlen nicht mehr existiert. Satz 1.35 ( Definition von Wurzeln ) Für jedes x ∈ R mit x > 0 und jedes√n ∈ N gibt es genau eine positive reelle Zahl y ∈ R mit y n = x. Wir schreiben hierfür y = n x oder y = x1/n und nennen y die n-te Wurzel von x. Speziell für n = 2 und n = 3 sprechen wir auch von und Kubikwurzel √ √ der Quadratwurzel von x, wobei wir für die Quadratwurzel meistens x statt 2 x schreiben. Beweis: Die Eindeutigkeit ist klar, da aus 0 < y1 < y2 auch 0 < y1n < y2n folgt. Zum Nachweis der Existenz definieren wir die Menge M := t ∈ R t > 0 und tn < x . Die Menge M ist nichtleer, denn speziell für t := x 1+x ist 0 < t < 1 und daher tn < t < x. Ferner ist M nach oben beschränkt und besitzt zum Beispiel die Zahl 1 + x als obere Schranke. Ist nämlich t ∈ M und wäre t ≥ 1 + x, so wäre t ≥ 1 und t ≥ x und daher tn ≥ t ≥ x im Widerspruch zu t ∈ M. Da R vollständig ist, existiert somit das Supremum y := sup M in R. Wir wollen jetzt zeigen, dass y n = x gilt. Zu diesem Zweck führen wir jede der beiden Ungleichungen y n < x und y n > x zu einem Widerspruch, so dass die Behauptung y n = x aus den Anordnungsaxiomen bzw. dem Satz 1.21 (a) folgt. Dazu benötigen wir die für alle 0 < a < b gültige Ungleichung bn − an < (b − a)nbn−1 , (1.6) die sich unmittelbar aus der Identität bn − an = (b − a)(bn−1 + bn−2 a + . . . + an−1 ) ergibt. Wir nehmen zunächst an, dass y n < x gilt. Wähle dann ein h mit 0 < h < 1 und h< x − yn . n(y + 1)n−1 Speziell für a := y und b := y + h folgt dann aus (1.6) (y + h)n − y n < hn(y + h)n−1 < hn(y + 1)n−1 < x − y n . 31 1.5. REELLE ZAHLEN Daher ist (y + h)n < x und somit y + h ∈ M. Wegen h > 0 widerspricht dies jedoch der Definition von y = sup M. Wir nehmen jetzt an, dass y n > x gilt. Setze dann yn − x z := . ny n−1 Hieraus folgt 0 < z < y. Ist t ≥ y − z, so ergibt sich mit (1.6) y n − tn ≤ y n − (y − z)n < zny n−1 = y n − x und daher tn > x, also t 6∈ M. Folglich ist y − z eine obere Schranke von M (Kontraposition). Wegen y − z < y steht dies jedoch erneut im Widerspruch zur Definition von y als kleinste obere Schranke von M. 2 Die übliche Schreibweise für reelle Zahlen besteht in der Form einer (im Allgemeinen) nicht abbrechenden Dezimalzahl. Beispielsweise gilt √ 2 = 1.4142 . . . . Wir werden diese Dezimaldarstellung zwar kaum verwenden, aber doch auf den Zusammenhang mit den reellen Zahlen R kurz eingehen. Sei dazu x ∈ R beliebig gegeben und ohne Einschränkung x > 0. Wähle dann die größte Zahl n0 ∈ N0 mit n0 ≤ x (diese existiert, da R archimedisch geordnet ist). Induktiv fahren wir fort, indem wir zu bereits bekannten Werten n0 , n1 , . . . , nk−1 ein nk ∈ N0 als größte Zahl bestimmen, so dass noch n2 nk n1 + 2 + ...+ k ≤ x n0 + 10 10 10 gilt. Mit M bezeichnen wir dann die Menge aller solcher Zahlen für k = 0, 1, 2, . . .. Setzen wir x := sup M, so lautet die Dezimaldarstellung von x offenbar x = n0 .n1 n2 n3 . . . . (1.7) Umgekehrt kann man zu einer solchen (unendlichen) Dezimaldarstellung die zugehörige Menge M definieren, die offenbar nach oben beschränkt ist, so dass x := sup M existiert und diese Zahl gerade die Dezimaldarstellung (1.7) besitzt. Auf ähnliche Weise wie eine solche Dezimaldarstellung (mit der Basis 10) lässt sich beispielsweise auch die Binärdarstellung (mit der Basis 2) einer gegebenen Zahl bestimmen. Manchmal ist es sinnvoll, den Körper R um die beiden Symbole +∞ und −∞ zu erweitern. Um die Ordnung in R zu erhalten, definieren wir −∞ < x < +∞ für alle x ∈ R. Die so erweiterte Menge bildet keinen Körper mehr, für viele Rechnungen sind jedoch die nachstehenden Konventionen nützlich: x + ∞ := +∞ und x − ∞ := −∞ ∀x ∈ R, x x := 0 und −∞ := 0 ∀x ∈ R, +∞ x · (+∞) := +∞ und x · (−∞) := −∞ ∀x ∈ R, x > 0, x · (+∞) := −∞ und x · (−∞) := +∞ ∀x ∈ R, x < 0. 32 KAPITEL 1. KÖRPER UND ZAHLEN Man beachte hierbei, dass ein Ausdruck der Gestalt 0 · (+∞) oder 0 · (−∞) nicht definiert ist! Gleiches gilt für Ausdrücke der Form (+∞) + (−∞) und (−∞) + (+∞). Die reellen Zahlen werden meist durch die reelle Achse veranschaulicht. Gewissen Teilmengen dieser reellen Achse, also der reellen Zahlen, kommt eine besondere Bedeutung zu, nämlich den (eigentlichen) Intervallen: [a, b] (a, b) (a, b] [a, b) := := := := {x ∈ R | a ≤ x ≤ b}, {x ∈ R | a < x < b}, {x ∈ R | a < x ≤ b}, {x ∈ R | a ≤ x < b}. Hierbei wird stets davon ausgegangen, dass a, b ∈ R mit a < b gegeben sind. Lässt man auch an mindestens einem Ende dieser Intervalle eine unendliche Grenze zu, so erhält man die uneigentlichen Intervalle (−∞, b) (−∞, b] [a, +∞) (a, +∞) := := := := {x ∈ R | x < b}, {x ∈ R | x ≤ b}, {x ∈ R | x ≥ a}, {x ∈ R | x > a}. In keinem dieser Fälle gehört −∞ oder +∞ zu einem der uneigentlichen Intervalle. Prinzipiell könnte man auch noch das uneigentliche Intervall (−∞, +∞) definieren, das ist aber nichts anderes als R selbst. 1.6 Komplexe Zahlen Wir geben in diesem Abschnitt eine Einführung in die Menge der komplexen Zahlen, aus der durch Einführung einer geeigneten Addition und einer geeigneten Multiplikation ein Körper wird. Definition 1.36 Eine komplexe Zahl ist ein geordnetes Paar der Gestalt z = (x, y) mit x, y ∈ R. Dabei sprechen wir von einem geordneten Paar, weil (x, y) und (y, x) für x 6= y als verschieden betrachtet werden. Die Menge aller komplexen Zahlen wird mit C bezeichnet. Sind z, w ∈ C zwei komplexe Zahlen, etwa z = (x, y) und w = (u, v) mit x, y, u, v ∈ R, so definieren wir eine Addition durch z + w = (x, y) + (u, v) := (x + u, y + v) (1.8) und eine Multiplikation durch z · w = (x, y) · (u, v) := (xu − yv, xv + yu). (1.9) 33 1.6. KOMPLEXE ZAHLEN z+w w z 0 Abbildung 1.3: Veranschaulichung der Addition zweier komplexer Zahlen Die Addition zweier komplexer Zahlen wird in der Abbildung 1.3 veranschaulicht. Eine entsprechende geometrische Deutung der Multiplikation von zwei komplexen Zahlen folgt erst später, wenn wir im Abschnitt 5.5 die Darstellung einer komplexen Zahl in Form ihrer Polarkoordinaten einführen. Mit Hilfe dieser Vorschriften wird C zu einem Körper. Satz 1.37 ( C ist ein Körper ) Die Menge C der komplexen Zahlen wird mit der Addition (1.8) und der Multiplikation (1.9) zu einem Körper mit dem Nullelement (0, 0) sowie dem Einselement (1, 0). Beweis: Die Behauptung folgt unmittelbar durch Verifikation der Körperaxiome (A1)– (A5), (M1)–(M5) und (D) aus der Definition 1.13. Wir überlassen dies weitgehend dem Leser und begnügen uns stattdessen mit einigen Erläuterungen. In (A5) wähle man bei gegebenem z = (x, y) ∈ C das Element −z := (−x, −y) als zugehöriges negatives Element. In (M5) sei z = (x, y) ∈ C mit z 6= 0 gegeben, was gleichbedeutend ist mit (x, y) 6= (0, 0), so dass mindestens eine der beiden reellen Zahlen x oder y von Null verschieden ist. Also gilt x2 + y 2 > 0 wegen Satz 1.21 (f). Daher existiert die komplexe Zahl x −y 1 := , . z x2 + y 2 x2 + y 2 Eine elementare Rechnung zeigt nun, dass es sich hierbei um das inverse Element von z handelt. 2 Sind z1 , z2 ∈ C zwei komplexe Zahlen der Form z1 = (x1 , 0), z2 = (x2 , 0) mit x1 , x2 ∈ R, so folgt aus den Rechenvorschriften (1.8) und (1.9) unmittelbar (x1 , 0) + (x2 , 0) = (x1 + x2 , 0) und (x1 , 0) · (x2 , 0) = (x1 x2 , 0). Die komplexen Zahlen der Form z = (x, 0) haben daher dieselben arithmetischen Eigenschaften wie die zugehörigen reellen Zahlen x. Aus diesem Grund können wir die komplexe 34 KAPITEL 1. KÖRPER UND ZAHLEN Zahl z = (x, 0) mit der reellen Zahl x identifizieren und R somit als eine Teilmenge von C auffassen. Definieren wir noch die so genannte imaginäre Einheit i := (0, 1), so erhalten wir für die komplexe Zahl z = (x, y) mit x, y ∈ R die gebräuchliche Schreibweise z = (x, y) = (x, 0) + (0, y) = (x, 0) + (0, 1)(y, 0) = x + iy. Man bezeichnet x auch als Realteil von z und y als Imaginärteil von z und schreibt hierfür Re(z) und Im(z). Zwei komplexe Zahlen z, w ∈ C sind genau dann gleich, wenn Re(z) = Re(w) und Im(z) = Im(w) gelten. Die imaginäre Einheit i besitzt die interessante Eigenschaft i2 = (0, 1) · (0, 1) = (−1, 0) = −1, so dass i und −i (komplexe) Lösungen der quadratischen Gleichung z 2 = −1 sind. Im Hinblick auf den Satz 1.21 (f) handelt es sich bei C daher um keinen geordneten Körper. Definition 1.38 Sei z = (x, y) = x + iy eine komplexe Zahl mit x, y ∈ R. Dann heißt z := x − iy die konjugiert–komplexe Zahl von z. Die Abbildung 1.4 veranschaulicht den Begriff der konjugiert–komplexen Zahl in der Gaußschen Zahlenebene. −z̄ y z = x + iy x −z z̄ Abbildung 1.4: Veranschaulichung der konjugiert–komplexen Zahl in der Gaußschen Zahlenebene Für konjugiert–komplexe Zahlen gelten die nachfolgenden Rechenregeln. 35 1.6. KOMPLEXE ZAHLEN Satz 1.39 ( Rechenregeln für konjugiert–komplexe Zahlen ) Es gelten die folgenden Aussagen: (a) z + w = z + w für alle z, w ∈ C. (b) zw = z w für alle z, w ∈ C. (c) z = z für alle z ∈ C. (d) z + z = 2Re(z) und z − z = 2iIm(z) für alle z ∈ C. (e) zz ist reell und positiv für alle z ∈ C mit z 6= 0. Beweis: Die Aussagen sind allesamt elementar beweisbar. Wir betrachten deshalb nur den Teil (e). Sei z ∈ C mit z 6= 0 beliebig gegeben. Schreiben wir z = (x, y) = x + iy, so folgt zz = x2 + y 2 und daher unmittelbar die Behauptung aus dem Satz 1.21 (f). 2 Da es sich bei zz stets um eine reelle und nichtnegative Zahl handelt, ist der nachfolgend eingeführte Begriff wohldefiniert, vergleiche den Satz 1.35. Definition 1.40 Für jedes z ∈ C heißt |z| := √ zz der (absolute) Betrag von z. Speziell für eine komplexe Zahl der Gestalt z = (x, 0) mit x ∈ R folgt aus dieser Definition √ |z| := x2 = |x|, wobei |x| den Betrag von x ∈ R im Sinne einer reellen Zahl bezeichnet. Daher ist die Definition des Betrages einer komplexen Zahl konsistent mit der schon vorher eingeführten Betragsdefinition für den geordneten Körper R. Einige Eigenschaften des komplexen Betrages sind in dem folgenden Resultat zusammengefasst. Satz 1.41 ( Eigenschaften des komplexen Betrages ) Es gelten die folgenden Aussagen: (a) Es ist |z| ≥ 0 für alle z ∈ C. (b) Genau dann ist |z| = 0, wenn z = 0 gilt. (c) Es ist |z| = |z| für alle z ∈ C. (d) Es ist |zw| = |z| · |w| für alle z, w ∈ C. 36 KAPITEL 1. KÖRPER UND ZAHLEN (e) Es ist |Re(z)| ≤ |z| und |Im(z)| ≤ |z| für alle z ∈ C. (f ) Es ist |z + w| ≤ |z| + |w| für alle z, w ∈ C (Dreiecksungleichung). (g) Es ist |z| − |w| ≤ |z + w| für alle z, w ∈ C (inverse Dreiecksungleichung). Beweis: Die Aussagen (a), (b) und (c) lassen sich sofort verifizieren. Schreiben wir z = (x, y) = x + iy mit x, y ∈ R, so folgt √ p √ |Re(z)| = |x| = x2 ≤ x2 + y 2 = zz = |z| und, analog, |Im(z)| ≤ |z|. Seien nun z, w ∈ C beliebig gegeben. Dann gilt |zw|2 = (zw)(zw) = zwz w = (zz)(ww) = |z|2 · |w|2. Die Eindeutigkeit der Quadratwurzel liefert die Behauptung (d). Die Dreiecksungleichung folgt aus |z + w|2 = = = = (e) (z + w)(z + w) (z + w)(z + w) zz + zw + wz + ww |z|2 + 2Re(zw) + |w|2 ≤ |z|2 + 2|z| · |w| + |w|2 2 = |z| + |w| . Durch ziehen der Quadratwurzel folgt dann Teil (f). Die Aussage (g) wiederum kann man wie im Beweis des Satzes 1.24 aus dem Teil (f) herleiten. 2 Zur Veranschaulichung komplexer Zahlen dient die so genannte Gaußsche Zahlenebene. Die Addition zweier komplexer Zahlen wird dann die gewöhnliche Vektoraddition. Eine anschauliche Deutung der Multiplikation von komplexen Zahlen werden wir erst später geben können, wenn wir die Polarkoordinaten–Darstellung einer komplexen Zahl eingeführt haben, siehe den Abschnitt 5.5.