Universität Leipzig Historisches Seminar Proseminar: Einführung in das Studium der Alten Geschichte: Kaiser Nero (54 – 68 n.Chr.) Wintersemester 02/03 Agrippina d. Jüngere Herkunft und Biografie Lehramt für Gymnasium Geschichte – Latein 1. Fachsemester Inhaltsverzeichnis I. Einleitung .......................................................................................................... 3 II. Unter dem Prinzipat des Tiberius .................................................................. 4 III. Unter dem Prinzipat des Caligula 1. Der Aufstieg der Agrippina im Jahre 37 n.Chr. ........................................... 7 2. Die gefährlichen Jahre unter Caligula .......................................................... 8 IV. Unter dem Prinzipat des Claudius 1. Von der Machtergreifung des Claudius bis zum Schicksalsjahr 48 n.Chr. ....................................................................... 10 2. Der Sturz der Messalina 48 n.Chr. und die Eheschließung mit Claudius 49 n.Chr. ................................................... 11 3. Die Zeit als Gattin des Kaisers von 49 bis 54 n.Chr. ................................... 13 4. Die Ermordung des Claudius 54 n.Chr. ....................................................... 17 V. Unter dem Prinzipat des Nero 1. Agrippina auf dem Höhepunkt ihrer Macht ................................................. 18 2. Agrippinas politischer Absturz .................................................................... 20 3. Die Ermordung der Agrippina ..................................................................... 21 4. Darstellung ihrer Ermordung und Fortgang des Prinzipats ihres Sohnes ........................................................... 23 VI. Abschließende Beurteilung .............................................................................. 25 VII. Quellen- und Literaturverzeichnis .................................................................. 26 2 I. Einleitung Die Aufgabe dieser Arbeit ist es, die Herkunft und die Biografie der Iulia Agrippina näher zu erläutern. Agrippina Minor oder Agrippina d. Jüngere, wie sie auch genannt wurde, um sie von ihrer Mutter Vipsania Agrippina zu unterscheiden, bestimmte die Geschichte und die Politik des Prinzipats der julisch-claudischen Dynastie entscheidend mit. Um die gestellte Aufgabe zu erfüllen, kann nicht nur mit biografischen Daten gearbeitet werden, sondern sind auch ihre politischen Ambitionen einzubinden und Agrippinas Handeln mit den Geschehnissen in dieser frühen Kaiserzeit und den Schicksalen ihrer Familienangehörigen zu verknüpfen. Zuerst erfolgt eine Darstellung ihre Jugendjahre unter dem Kaiser Tiberius, welche vor allem auch eine Geschichte der Schicksalsschläge in ihrer Familie sein wird. Nach Tiberius erlebte sie noch 3 weitere principes: Caligula, ihren Bruder, Claudius, ihren Oheim und Gatten und schließlich Nero, ihren Sohn. Es soll gezeigt werden, wie Agrippina aktiv und durch die Einflussnahme auf Personen in ihrem Umkreis in die Politik eingreift, um ihre Ziele zu erreichen. Durch welche Mittel ihr dies gelingt, wird sich im Laufe dieser Arbeit herausstellen. In der Geschichtsschreibung wird Agrippina als „ferox atque impotens mulier“ (in: Suet. Nero 28, 2) dargestellt. Tacitus beschreibt ihre Herrschaft als „quasi virile servitium“ (in: Tac. ann. XII 7, 3), damit im Gegensatz zu Livia keine Einflussnahme aus dem Hintergrund, sondern ein offenes Auftreten als Regentin. 3 II. Unter dem Prinzipat des Tiberius Agrippina die Jüngere erblickte am 6. November 15 n.Chr.1 als Tochter des Germanicus und der Agrippina der Älteren im obergermanischen „oppidum Ubiorum“ das Licht der Welt. Dies war die Residenz des Vaters als Oberbefehlshaber im Krieg gegen die rechtsrheinischen Germanen. Nach acht Tagen erhielt sie ihren Namen Iulia Agrippina: Iulia nach dem Geschlechternamen und Agrippina nach dem Beinamen ihres Großvaters Marcus Vipsanius Agrippa. Ihr Vater, 15 v.Chr. geboren, war der Enkel von Augustus’ dritter Ehefrau Livia und beim Volk und bei den Soldaten sehr beliebt. Sueton liefert uns eine detaillierte Beschreibung von ihm: „ Es steht fest, dass Germanicus alle Tugenden des Körpers und des Geistes, wie kein anderer besaß: einen überdurchschnittlich hohen Wuchs und ungewöhnliche Körperkraft, einen Geist, der in beiden Arten der Beredsamkeit und der allgemeinen Bildung Hervorragendes leistet, eine einmalige Freundlichkeit und ein erstaunliches und erfolgreiches Bemühen, die Gunst der Menschen zu erwerben und ihre Liebe zu verdienen." (in: Suet. Cal. 3, 1). Agrippina die Ältere war das genaue Gegenteil. Sie galt als heißblütig, herrschsüchtig, egoistisch aber auch als sehr mutig, intelligent und zäh. Diese Eigenschaften hatte sie von ihrer Mutter Iulia geerbt, der einzigen Tochter des Augustus mit seiner zweiten Ehefrau Scribonia, und vererbte diese auch auf ihre Tochter weiter. Damit war Agrippina d.J. eine Urenkelin des vergöttlichten Augustus. Ihr Vater war nach dem princeps Tiberius der mächtigste Mann im Staat. Somit lebte Agrippina von Kindheit an in engster Verbindung mit den Höchsten des Reiches. Sie hatte fünf Geschwister, die Brüder Nero Caesar, Drusus Caesar, Gaius (Caligula) und die Schwestern Drusilla und Livilla. Im April 17 n.Chr. begab sich die Familie des Germanicus auf die Heimreise nach Rom, weil seine Dienste nun im Osten benötigt wurden und er deshalb von Tiberius aus Germanien zurückbeordert worden war. Dorthin ging er im Herbst mit seiner schwangeren Frau und seinem Sohn Caligula, da er das „imperium proconsulare“ über Syria, Judaea und die angrenzenden Provinzen erhalten hatte. Agrippina Minor blieb mit den restlichen Geschwistern bei der Großmutter Antonia Minor in Rom. Auf dieser Mission erkrankte Germanicus schwer und starb schließlich 19 n. Chr. Ob er nun an dieser Krankheit starb oder von seinem Widersacher, dem Statthalter der Provinz Syria Gnaeus 1 John H. Humphrey: The Three Daughters of Agrippina Maior, in: American Journal of Ancient History 4 (1979), S. 125 – 143; Anthony A. Barrett: Agrippina, S. 230 – 232 4 Calpurnius Piso, vergiftet wurde, kann nicht geklärt werden.2 Agrippina Maior kehrte mit den beiden Kindern, inzwischen war Livilla geboren, und der Asche des Gatten nach Rom zurück. Hier wurde er feierlich bestattet und die Trauer in der Bevölkerung kannte keine Grenzen. Agrippina d.J. lebte nun die nächsten Jahre mit einer Mutter zusammen, die von der Meinung besessen war, dass ihre Familie herrschen müsse und dass Germanicus umgebracht worden ist.3 Ab 24 n.Chr. kam es zur Entfremdung zwischen Agrippina d.Ä. und Tiberius aufgrund ihres Strebens, die eigenen Söhne als Nachfolger des Kaisers zu profilieren. Dieser Zwist wurde vor allem von Seianus, dem Prätorianerpräfekten des Tiberius, vorangetrieben. Seianus diffamierte ihre Freunde und ließ sie und ihren Sohn Nero Caesar bespitzeln. Zudem konnte er Drusus Caesar, der seinen älteren Bruder, welcher der Liebling ihrer Mutter war, hasste und beneidete, für seine Intrige gewinnen, und dieser lieferte weiteres belastendes Material. Schließlich reichten die Anschuldigungen aus, um beide 28 n.Chr. unter Hausarrest zu stellen. Die Anklage lautete aber nicht auf Umsturzpläne, sondern bei Nero auf Mangel an Beschiedenheit und Popularitätssucht (lockeren Lebenswandel und Liebschaften mit Männern) und bei Agrippina Maior auf anmaßende Redensweise. Im selben Jahr wurde Agrippina d.J. im Alter von 12 Jahren von Tiberius mit dem ca. 30jährigen Cn. Domitius Ahenobarbus verheiratet. Dieser galt als ein „in jeder Epoche seines Lebens abscheulicher Mensch“ (in: Suet. Nero 5,1), als träge und ohne jeden Ehrgeiz. Er war ein Enkel der Octavia und damit Großneffe des Augustus und seine Familie gehörte zu den engsten Vertrauten des Kaiserhauses. Mit der Wahl dieses Gatten wollte Tiberius verhindern, sich Konkurrenz um die Herrschaft aufzubauen. So verwehrte er auch Agrippinas Mutter 26 n.Chr. einen neuen Ehemann, da er wohl wusste welche Tragweite dies für den Staat und ihn hätte.4 Auch den beiden Schwestern gab er relativ bedeutungslose Gatten.5 Mit dem Jahr 28 n.Chr. begann für die Familie des Germanicus eine Zeit von schweren Schicksalsschlägen. Zuerst wurden im Jahr 29 n.Chr. ihre Mutter auf die Insel Pandateria und ihr Bruder Nero Caesar auf die Insel Pontia verbannt. Ein Jahr darauf ging Seianus gegen Drusus Caesar vor, da er selbst dessen Position als Thronfolger anstrebte. Drusus wurde angeklagt und ins Gefängnis nach Rom gebracht. Die Tragödie nahm ihren Lauf 2 Tac. ann. II 69, 3 Anthony A. Barrett: Agrippina, S. 22 4 Tac. ann. IV 53 5 http://www.asn-ibk.ac.at/bildung/faecher/geschichte/maike/agrippina/agrippI3.htm (fünft-letzte Absatz) 3 5 und im Jahre 31 n.Chr. beging Nero Caesar Selbstmord. Jedoch kann nicht ausgeschlossen werden, dass er auf Geheiß des Seianus umgebracht wurde. Schließlich starb auch Drusus Caesar 33 n.Chr. den erzwungenen Hungertod und Agrippina d.Ä. zog der Härte der Verbannung wahrscheinlich ebenso den Hungertod vor.6 Zum Glück für Agrippina Minor und ihre restlichen Geschwister starb im März des Jahres 37 n.Chr. auch Tiberius. Als sein Nachfolger wurde ihr einziger noch lebender Bruder Caligula vom Senat erwählt. 6 Tac. ann. VI 25, 1 6 III. Unter dem Prinzipat des Caligula 1. Der Aufstieg der Agrippina im Jahre 37 n.Chr. Unter dem Prinzipat des Bruders kam es zu Beginn zu einer starken Aufwertung der Rolle der drei Schwestern Agrippina, Drusilla und Livilla am Hofe. Ihnen wurden mehrere Ehrenrechte zuteil. So erhielten sie die Rechte der Vestalinnen, womit sie sich im Streitfall vor Gericht selbst vertreten konnten. Weiterhin wurden in die einleitenden Segensformeln der Verträge und Urkunden neben dem Namen des Kaisers auch ihre Namen aufgenommen, und in den Verträgen der Konsuln war der Wortlaut folgender: „Was für Gaius Caesar und seine Schwestern gut und glücklich sein möge“ (Suet. Cal. 15, 3). Bei Spielen, Rennen und Theateraufführungen erhielten die drei Ehrenplätze neben dem princeps. Des Weiteren fanden sie Aufnahme in das öffentliche jährliche Gelübde für das Staatswohl und das Wohl des Herrschers: „Auch will ich mich und meine Kinder nicht lieber haben als den Gaius und seine Schwestern.“ (Suet. Cal. 15, 3). So wurde auch im Jahre 37 n.Chr. eine Münze geprägt, auf deren Rückseite die drei Schwestern abgebildet waren.7 Bei öffentlichen und feierlichen Anlässen waren sie immer an der Seite ihres Bruders zu finden. Sueton und Cassius Dio deuten zudem ein inzestuöses Verhältnis zwischen den Geschwistern an.8 Am 15.12.37 n.Chr. brachte Agrippina d.J. nach neun Jahren Ehe in Antium einen Sohn zur Welt, der den Namen Lucius Domitius Ahenobarbus erhielt, der spätere Nero. Ein Ausspruch des Ehegatten zeigt aber, dass die Ehe der beiden durchaus nicht von Liebe erfüllt war und die Niederkunft nicht als größtes Glück für die Familie betrachtet wurde. Dieser soll auf Glückwünsche zur Geburt des Sohnes geantwortet haben: „negantis quicquam ex se et Agrippina nisi detestabile et malo publico nasci potuisse“ (Suet. Nero 6, 1). Nach der Geburt befragte sie einen Astrologen des kaiserlichen Hofes über die Zukunft des Sohnes. Dieser verkündete, dass ihr Sohn zwar herrschen, sie aber selbst töten würde. Darauf soll sie selbstbewusst geantwortet haben: „Soll er mich töten, wenn er nur herrscht!"9 Damit wird schon jetzt ihr starkes Streben nach Macht angedeutet. Jedoch bot ihr Cn. Domitius Ahenobarbus nur wenige politische Perspektiven, welche durch seine politischen Affären weiter geschmälert wurden. Damit ist verständlich, dass sie nicht sehr glücklich über die Ehe mit ihm war. 7 Cohen I 237. Nr. 4 Suet. Cal. 24, 1; Cass. Dio LIX 3, 6. 11, 1. 22, 6 9 „occidit, dum imperet!“ Tac. ann. XIV 9, 3 8 7 2. Die gefährlichen Jahre unter Caligula Das schöne Leben der Agrippina änderte sich jedoch bereits Ende des Jahres 37 n.Chr. Caligula erkrankte im Oktober10 schwer, vermutlich an Hirnhautentzündung. Nach seiner Gesundung war er wie ausgewechselt, er wurde zu einem unberechenbaren und gefährlichen Geisteskranken. Seine Launen reichten von tief depressiv, gefährlich aggressiv, kindlich verspielt bis zu großzügig gönnerhaft. Sueton beschreibt ihn als „Ungeheuer“ (Sueton Cal. 22, 1) und „rasenden Wüterich“ (Sueton Cal. 56, 1). Schließlich verlangte er sogar kultische Verehrung vom Volk. Den beiden Schwestern Agrippina und Livilla war er nun nicht mehr so wohlgesinnt, wie ein paar Monate zuvor. Dies zeigte sich zum Beispiel in der Bitte der Agrippina an Caligula, ihrem neugeborenen Sohn einen Namen zu geben. Dieser schlug, auf den verspotteten Onkel der Familie zeigend, dessen Name Claudius vor. Damit wurde deutlich gemacht, dass er nicht daran dachte, Agrippinas Sohn bei der Regelung der Nachfolge zu berücksichtigen. 11 Als im Juni des Jahres 38 n.Chr. mit Drusilla auch noch die letzte Person, die auf Caligula Einfluss nehmen konnte, starb, kannte seine Gier und sein Größenwahn keine Grenzen mehr. Agrippina selbst wandte sich nun vermutlich ihrem Schwager, dem Gatten der toten Drusilla, Marcus Aemilius Lepidus, zu, da dieser mehr politische Möglichkeiten lieferte, als ihr derzeitiger Ehemann. Wahrscheinlich war sie mit ihrer Schwester Livilla auch an dessen Verschwörung gegen Caligula (39 n.Chr.) beteiligt, da die Handlungen des princeps nicht mehr tragbar waren. Eckhard Meise gibt an, dass Lepidus und Agrippina, nach der Geburt von Caligulas Tochter, die eine direkte Nachfolge sicher gestellt hätte, sich gegen den Kaiser mit Livilla verschworen hatten, weil Lepidus die Hoffnungen auf die eigene Nachfolge und Agrippina die Hoffnung auf die Nachfolge des Sohnes aufgeben musste.12 Jedoch wurde diese Verschwörung aufgedeckt. Lepidus wurde mit den anderen Anführern zum Tode verurteilt und die beiden Schwestern Agrippina und Livilla des Ehebruchs mit Lepidus angeklagt. Caligula veröffentlichte angebliche Briefe zwischen den Schwestern und Lepidus, die bezeugen sollten, dass sie noch zu Lebzeiten Drusillas eine sexuelle Beziehung gehabt hätten.13 Daraufhin wurden Agrippina und Livilla auf die Pontischen Inseln verbannt – Agrippina auf die Insel Pontia, ca. 110 km westlich von 10 Cass. Dio LIX 8, 1 Suet. Nero 6, 2 12 Eckhard Meise: Untersuchungen zur Geschichte der Julisch-Claudischen Dynastie, S. 108 – 120; Antony A. Barrett: Agrippina, S. 64/65 13 Suet. Cal. 24, 3 11 8 Neapel. Zudem musste sie noch die Schande ertragen, die Asche ihres Geliebten nach Rom zu tragen und der Familie zu übergeben. Ihr gesamtes Vermögen wurde eingezogen und der Sohn zu seiner Tante Domitia gegeben. Außerdem wurde ihr unterstellt, sexuellen Verkehr mit Sofonius Tigellinus, dem späteren Prätorianerpräfekten unter Nero, gehabt zu haben.14 Vielleicht begann sie hier im Exil an ihren Memoiren zu schreiben, die Tacitus erwähnt.15 Im darauffolgenden Jahr starb ihr Mann, vermutlich an Wassersucht. Auch dessen Vermögen wurde komplett von Caligula eingezogen. Am 24. Januar des Jahres 41 n.Chr. gelang schließlich eine Verschwörung unter den Prätorianern gegen den princeps, der mittlerweile zu einer Gefahr für einen Großteil der Römer geworden war. Er wurde zusammen mit seiner Frau und seiner Tochter ermordet. Die Prätorianer präsentierten daraufhin Claudius, den Onkel des Caligula, als neuen Kaiser. Die Senatoren konnten nur noch zustimmen. 14 15 Cass. Dio LIX 23, 9 Tac. ann. IV 53, 2 9 IV. Unter dem Prinzipat des Claudius 1. Von der Machtergreifung des Claudius bis zum Schicksalsjahr 48 n.Chr. Unter Claudius wurden Agrippina und ihre Schwester aus der Verbannung zurückgeholt und erhielten ihr gesamtes Vermögen zurück. Doch bereits im selben Jahr fiel Livilla der eifersüchtigen Messalina, der Gattin des Claudius, zum Opfer und wurde wieder auf die Insel Pandateria verbannt, wegen angeblichen Ehebruchs mit Seneca d. Jüngeren. 16 Wenig später starb sie im Exil den erzwungenen Hungertod. Damit hatte Agrippina alle näheren Verwandten bis auf ihren Sohn verloren. Kurz nach ihrer Rückkehr aus der Verbannung organisierte sie die ordentliche Verbrennung und Bestattung ihres Bruders Caligula. Nachdem nun ihr Gatte 40 n.Chr. gestorben war, suchte sie nach einem neuen einflussreichen Ehemann. Zuerst warb sie um Galba, der sich ihr jedoch entzog.17 Daher wandte sie sich dem vermögenden und einflussreichen Senator C. Sallustius Passienus Crispus zu, der sie dann auch 41 n.Chr. ehelichte. Dieser ließ sich für Agrippina von seiner Gattin Domitia, der Schwägerin Agrippinas, scheiden. Crispus galt als ausgezeichneter Redner und hatte im Jahre 27 n.Chr. das Konsulat inne. Als Agrippinas Gatte den Posten eines Prokonsuls in der Provinz Asia vom Sommer 42 bis zum Sommer 43 n.Chr. erhielt, begleitete sie ihn dorthin. Im Jahre 44 n.Chr. hatte er nochmals das Konsulat inne. Über sein Todesjahr gibt es verschiedene Aussagen. So werden die Meinungen vertreten, dass er bereits 44 starb oder dass er 48 n.Chr. nach dem Sturz der Messalina, als sich für Agrippina eine neue Möglichkeit nach der Macht zu greifen ergab, von dieser aus dem Wege geräumt wurde.18 Crispus hatte Agrippina als Alleinerbin seines Vermögens, welches sich immerhin auf ca. 200 Millionen Sesterzen belaufen haben soll, eingesetzt. Daher ist es nicht verwunderlich, dass man damals munkelte, er sei nicht auf natürliche Weise aus dem Leben geschieden. Während dieser Jahre versuchte Agrippina sich und ihren Sohn bei Claudius gewogen zu machen und den Bekanntheitsgrad des Lucius Domitius in der Öffentlichkeit zu erhöhen. Ein Annäherungsversuch an Claudius, kurz nach der Rückkehr aus der Verbannung, wurde jedoch von dessen Gattin Messalina verhindert. Zwischen den beiden entstand eine 16 Cass. Dio LX 8, 5; RE 19. Halbbd., S. 939 Iulius (Livilla) [575]; RE 2.Reihe 15. Halbbd., S.247 Valeria Messalina [403] 17 Suet. Galb. 5, 1 18 Ernst Kornemann: Große Frauen der Antike, S. 227; RE 36. Halbbd. 3, S. 2097f Passienus [2] ; Miriam T. Griffin bestimmt in « Nero – The End of a Dynasty », S. 28, 47 n.Chr. als Todesjahr 10 ungeheure Feindschaft, da beide im Sohn der anderen eine Bedrohung im Kampf um die Nachfolge sahen.19 Messalina selbst war eine Nichte der Agrippina, da ihre Mutter Domitia Lepida die Schwester des Cn. Domitius Ahenobarbus war. Bei den „Trojanischen Spielen“ anlässlich der Säkularfeiern 47 n.Chr. stellte Agrippina ihren Sohn Lucius Domitius dem Volk vor. Dabei führten Abteilungen junger Reiter Bewegungen aus, die denen im Krieg ähnelten. Hierbei erhielt nun Lucius mehr Applaus als Britannicus, der Sohn des Claudius. Agrippina hatte sich während dieser Jahre in Geduld geübt und versucht, nicht negativ aufzufallen. Dies sollte sich nun auszahlen und ihr die Chance ihres Lebens offenbaren. 2. Der Sturz der Messalina 48 n.Chr. und die Eheschließung mit Claudius 49 n.Chr. Valeria Messalina galt als habgierig, neidisch und als Nymphomanin. Ihre Liebschaften waren stadtbekannt und sie soll sich sogar als Hure in einem Bordell hingegeben haben. Doch als sie sich in einen ihrer Bettgenossen verliebte, trieb sie es zu weit. Als Claudius 48 n.Chr. nicht in Rom weilte, ging sie mit dem Geliebten Gaius Silius den Bund der Ehe ein. Dies kam den Freigelassenen des Kaisers zu Ohren und es war für diese eine willkommene Gelegenheit, die als herrschsüchtig bekannte Messalina loszuwerden. Außerdem war die Situation eine große Schande für das Kaiserhaus. Daraufhin ließ Narcissus (ein Freigelassener mit sehr großem Einfluss auf Claudius) diese Information dem Kaiser zukommen und verstand es, in ihm die Angst vor einer Verschwörung zu wecken. Claudius begab sich nach Rom und ließ Gaius Silius mit weiteren Mitwissern hinrichten. Messalina starb durch einen von Narcissus gefälschten Befehl des Claudius. Ob das Ziel der Ehe wirklich eine Veränderung der Machtverhältnisse war, ist bis heute noch nicht eindeutig geklärt worden. Zunächst gelobte Claudius vor den Prätorianern: „da die Heiraten für ihn immer schlecht ausgingen, werde er unvermählt bleiben, wenn er es aber nicht bliebe, so hätte er nichts dagegen durch ihre Hand zu fallen“ (Suet. Claud. 26, 2). Doch konnte er den Verlockungen der Frauen nicht widerstehen. Zudem hatten sich seine Freigelassenen schon auf die Suche nach Messalinas Nachfolge gemacht. Narcissus setzte sich für Aelia Paetina, eine frühere Ehefrau des Kaisers, Callistus für Lollia Paulina, der dritten Ehefrau des Caligula und Pallas für des Kaisers Nichte Agrippina d. Jüngere ein. Pallas pries die 19 Tac. ann. XI 12, 1; Suet. Nero 6, 4 11 Vorzüge seiner Kandidatin so: „...lobte besonders dies an Agrippina, dass sie einen Enkel des Germanicus mit in die Ehe bringe: wahrhaft würdig des kaiserlichen Hauses sei es, den edlen Spross unter die Nachkommen der julischen und claudischen Familie aufzunehmen; auch dürfte eine Frau von erwiesener Fruchtbarkeit und voller Jugendkraft den erlauchten Glanz der Caesaren nicht in ein anderes Haus einbringen.“ (Tac. ann. XII 2, 3). Agrippina selbst ging unter dem Vorwand der Verwandtschaft ständig bei Claudius ein und aus und umgarnte ihn so, dass sie den anderen vorgezogen wurde. Als Dank für die Unterstützung des Pallas soll sie mit ihm ein Verhältnis eingegangen sein. 20 Jetzt blieb nur noch ein ernsthaftes Hindernis: Eine Ehe zwischen Onkel und Nichte galt in Rom als inzestuöse Beziehung, als Blutschande. Um dieses Problem kümmerte sich ein weiterer einflussreicher Verbündeter der Agrippina, der Zensor Vitellius. Dieser hielt im Senat eine leidenschaftlichen Rede, in der er den Senatoren verständlich zu machen versuchte, dass Claudius eine Gefährtin bräuchte, die sich durch Adel, Kindersegen und Sittenreinheit auszeichne, die ihm die häuslichen Lasten abnehme und seinen Kindern die Mutter ersetze, damit er sich ganz den Staatsgeschäften widmen könnte. Er erklärte, dass Agrippina alle diese Merkmale in sich vereint und somit die beste Wahl wäre. Außerdem stellte er die Ehe zwischen Onkel und Nichte als nicht inzestuös dar, sie sei nur ungewohnt für die Römer. Solche Verbindungen seien bei anderen Völkern üblich und nicht durch Gesetz verboten. Diese Rede wurde von den Senatoren mit Begeisterung aufgenommen und es wurde ein Gesetz beschlossen, welches derartige Verbindungen auf immer erlaubte.21 Tacitus meint dazu: „Umgewandelt war seitdem die Stadt, und alles gehorchte einer Frau, die nicht mutwillig, wie Messalina, ihre Launen am römischen Staatsleben ausließ. Straff und gleichsam männlich zog sie die Zügel der Sklaverei an; in der Öffentlichkeit zeigte sie Strenge und in der Regel Hochmut; in ihrem Haus gab es keine Sittenlosigkeit, außer wenn es ihrer Herrschsucht dienen konnte.“ (Tac. ann. XII 7, 3). Dem Volk erschien Agrippina als Verbesserung gegenüber den Umtrieben der Messalina, da das politische Leben von weniger Skandalen und Staatsprozessen geprägt wurde.22 Zu Beginn des Jahres 49 n.Chr. wurde Agrippina die vierte Ehefrau des Kaisers. 20 Tac. ann. XII 25, 1 Tac. ann. XII 5, 3. 6. 22 Ernst Kornemann: Große Frauen des Altertums, S. 228 21 12 3. Die Zeit als Gattin des Kaisers von 49 bis 54 n.Chr. Als eine ihrer ersten Taten holte sie die Überreste ihrer Schwester Livilla nach Rom und ließ sie beisetzen. Innenpolitisch zeigte sie vor allem in der Sanierung des Staatsschatzes und der kaiserlichen Finanzen Engagement, welche durch die Machenschaften der Messalina arg in Mitleidenschaft gezogen worden waren. Agrippina hatte mit der Eheschließung die für eine Frau maximale Machtfülle erreicht und Claudius selbst war sehr leicht lenkbar, wodurch sie ihre neuen Ziele durchsetzen konnte. Sie richtete nun alle Anstrengungen darauf, sich eine eigene Machtposition zu schaffen. Um dies zu erreichen, suchte sie Verbündete im Senat, unter den Prätorianern und den Freigelassenen und verschaffte ihren Anhängern einflussreiche Ämter. Zu ihren Förderern im Senat gehörten zum Beispiel Vitellius und Barea Soranus, unter den Freigelassenen waren es Pallas und Xenophon, der Leibarzt des Claudius. Dem Bruder des Pallas, Felix, verschaffte sie das Amt des Prokurators von Judaea. Außerdem strebte sie danach, ihren Sohn als Nachfolger des Kaisers zu profilieren und den leiblichen Sohn des Claudius, Britannicus, in den Hintergrund zu drängen. So erreichte sie 49 n.Chr. die Verlobung des Lucius Domitius mit Octavia, der Tochter des Kaisers. Bereits 48 n.Chr. hatte sie dafür Sorge getragen, dass die schon bestehende Verlobung von Octavia mit L. Iunius Silanus aufgelöst wurde. Sie veranlasste Vitellius gegen Silanus die Anschuldigung des Inzests mit seiner Schwester vorzubringen. Daraufhin löste Claudius die Verlobung und Silanus musste sein Amt niederlegen und wurde aus dem Senat ausgestoßen. Am Hochzeitstag von Claudius und Agrippina nahm er sich das Leben. Weiterhin ließ sie Seneca aus der Verbannung zurückholen, damit er der Lehrer ihres Sohnes werde. Am 25.2.50 n.Chr. erreichte sie unter Fürsprache des Pallas bei Claudius die Adoption von Lucius Domitius in das claudische Geschlecht unter dem Namen Nero. Sie selbst erhielt eine Rangerhöhung durch den ehrenvollen Beinamen Augusta, den sie als erste lebende Frau eines Kaisers erhielt. Ihr voller Name mit Titel lautete nun: Iulia Augusta Germanici Caesaris Filia Agrippina Ti. Claudii Caesaris Augusti (uxor).23 Nero wurde im Jahr darauf die „toga virilis“ vorzeitig verliehen, damit er zur Übernahme von Staatsgeschäften fähig war. Vom Senat erhielt er das Konsulat für das 20. Lebensjahr, den Titel „princeps iuventutis“ und die prokonsularische Gewalt außerhalb der Stadt. 23 so auf der stadtrömischen Inschrift CIL VI, 921 13 Eine dauerhafte Gefahr für ihre Machtposition stellten die Prätorianer dar, die sich für Britannicus einsetzten. Sie wurden aus frei erfundenen Gründen beseitigt oder unter dem Deckmantel der Beförderung aus Rom entfernt. Ihre Positionen wurden mit Agrippinafreundlichen Männer besetzt. Ebenso entfernte sie Freigelassene, die zu Britannicus hielten, worunter auch dessen Erzieher waren. Diese ersetzte sie durch ihr ergebene Wächter. Ein weiteres Problem für Agrippina und ihren Sohn stellten die beiden Prätorianerpräfekten dar, welche im Gedenken an Messalina deren Kindern treu ergeben waren. Hier nutzte sie die allseits bekannte Rivalität zwischen den beiden Präfekten aus. Agrippina machte Claudius klar, dass die Kohorten durch diese Rivalität gespalten würden und es besser wäre, alle unter den Befehl eines einzelnen zu stellen. Daraufhin wurde die Führung der Prätorianer dem Burrus Afranius übertragen, der genau wusste, wem er dies zu verdanken hatte. Agrippinas eigener Rang erhöhte sich, indem sie das Recht erhielt mit dem carpentum (ein goldener Wagen) aufs Kapitol zu fahren, ein Recht, das vorher nur Priester und Götterbilder innehatten.24 Weiterhin versuchte sie auch Narcissus, den einflussreichsten Freigelassenen des Claudius und ihr feindlich gesinnt, aus seiner Stellung zu verdrängen. Eine Gelegenheit bot sich 52 n.Chr., als das Projekt, mit dem Narcissus beauftragt worden war, nämlich den Fuciner See durch einen Tunnel in den Lirisfluss abzuleiten, scheiterte.25 Agrippina beschuldigte ihn der Habsucht und der Unterschlagung. Narcissus wurde zwar nicht seiner Stellung enthoben, verlor aber an Einfluss. Ein Jahr darauf erreichte sie die Vermählung Neros mit Octavia. Damit war ihr Ziel erreicht, ihn als Nachfolger des Claudius zu präsentieren und Britannicus in den Hintergrund zu drängen. Auch Agrippina selbst trat neben Claudius immer mehr in den Vordergrund. Sie saß bei allen offiziellen Anlässen und Spielen neben dem princeps auf einem Thron, besaß einen eigenen Hof und empfing Gesandte. Sie erhielt zudem eine Ehrengarde von Prätorianern, ein eigenes Staatsschiff, ihr Geburtstag wurde öffentlich gefeiert und sie erreichte 50 n.Chr. eine Umwandlung ihrer Geburtsstadt „oppidum Ubiorum“ in eine Kolonie, welche nach ihr benannt wurde: Colonia Claudia Ara Agrippinensium, um „vim suam sociis quoque nationibus“ zu zeigen.26 Ihre Macht zeigte sich in demselben Jahr auch bei der öffentlichen Vorführung des Caratacus und der gefangenen Britannier. Dabei stand sie wie Claudius auf einer eigenen Tribüne und ihr huldigte man mit den gleichen Grüßen und Gesten, wie dem Kaiser. Dies galt damals als „novum...et moribus veterum insolitum“ 24 Tac. ann. XII 42, 2 Tac. ann. XII 56. 57. 26 Tac. ann. XII 27, 1 25 14 (Tac. ann. XII 37, 4). Vor allem aber war sie als erste Frau neben dem Kaiser Münzherrin. So finden wir Münzen, auf denen Agrippina allein auf der Rückseite oder zusammen mit Claudius auf der Vorderseite zu finden ist. Weiterhin existieren Münzen, die ihr Porträt und ihren Namen allein auf der Vorderseite zeigen. Ein weiteres novum sind Silberstücke mit dem Porträt und Namen der Agrippina auf der Vs. und der Büste und dem Namens des Nero auf der Rs.27 In vielen griechischen Städten wurden ihr auch göttliche Ehren zuteil.28 Während dieser Zeit war sie bemüht persönliche Feinde zu beseitigen. So fielen ihr 49 n.Chr. Lollia Paulina und Calpurnia zum Opfer. Die erste, weil sie eine Nebenbuhlerin bei der Eheschließung mit Claudius war. Agrippina brachte Beschuldigungen bei, dass Lollia Umgang mit Astrologen und Magiern gehabt und das Orakel des Apollon von Klaros über die Vermählung des Kaisers befragt habe. Sie wurde daraufhin unter Einziehung eines Großteils ihres Vermögens verbannt und kurz darauf zum Selbstmord gezwungen. Die zweite wurde verbannt, weil Claudius einmal im Gespräch ihre Schönheit gerühmt hatte. Aus Eifersucht und Verlangen nach dem Park des Statilius Taurus brachte sie diesen durch Reichtum bekannten Römer 53 n.Chr. zu Fall. Sie veranlasste eine Anklage wegen Bestechung und auf Zauberei beruhendem Aberglauben. Statilius nahm sich das Leben und Agrippina konnte sich dessen Gärten aneignen. Doch konnte sie nicht verhindern, dass der Ankläger, einer ihrer Verbündeten, aus dem Senat geworfen wurde. Dies zeigt, dass ihre Macht doch nicht uneingeschränkt war. Agrippina machte in ihrem Machtstreben auch nicht vor der Verwandtschaft halt. Diesmal war es Domitia Lepida, die Tante Neros, des Cn. Domitius’ Schwester und Mutter Messalinas. Sie hielt sich von gleich edler Abkunft wie Agrippina und stand ihr in Schönheit, Lebensalter und Reichtum nicht nach. Doch am heftigsten war der Streit um die Frage, wer von beiden den größeren Einfluss auf Nero hatte. Angeklagt wurde sie jedoch 54 n.Chr., weil sie Agrippina „durch Zauberei nach dem Leben getrachtet habe und dass sie durch die zu wenig in Zucht gehaltenen Sklavenhorden in Calabrien den Frieden Italiens störe“ (Tac. ann. XII 65, 1). Domitia Lepida wurde hingerichtet und ihr Vermögen eingezogen. 4. Die Ermordung des Claudius 54 n.Chr. Im selben Jahr musste Agrippina um alles fürchten, denn nach Sueton „hatte er (Claudius) mehrfach und keineswegs undeutlich durchblicken lassen, dass ihn die Heirat mit 27 U. Kahrstedt: Frauen auf antiken Münzen, Klio X S. 296/97 Ulrike Hahn: Die Frauen des römischen Kaiserhauses und ihre Ehrungen im Griechischen Osten anhand epigraphischer und numismatischer Zeugnisse von Livia bis Sabina, S. 187ff 28 15 Agrippina und die Adoption des Nero gereuten. Jedenfalls prahlte er gegenüber den Freigelassenen, die sich lobend über eine gerichtliche Untersuchung äußerten, in der er tags zuvor eine des Ehebruchs angeklagte Frau verurteilt hatte, auch zu seinem Schicksal gehöre es, dass alle seine Ehefrauen unkeusch seien, ungestraft aber seien sie nicht.“ (Suet. Claud. 43). Zudem soll sich Claudius auf seinen leiblichen Sohn Britannicus zurückbesonnen haben und da dessen Verleihung der „toga vigilis“ bevorstand, musste Agrippina schnell handeln, wollte sie nicht das Risiko eingehen, alles zu verlieren. Eine günstige Gelegenheit bot sich als Narcissus wegen einer Krankheit zur Kur reiste. Sie entschied sich für den Giftmord an Claudius und holte die Meisterin dieses Fachs, Locusta, zu sich, damit sie ein Gift herstelle, welches nicht zu plötzlich, aber auch nicht zu langsam wirken sollte. Das Gift wurde von dem Eunuchen Halotus in ein Pilzgericht geträufelt, doch zeigte das Mittel nicht die gewünschte Wirkung. Sofort, in Angst versetzt, holte Agrippina Xenophon, den Arzt des Claudius und in den Mordplan eingeweiht, der ihm eine Feder in den Schlund einführte, um ihm das Erbrechen zu erleichtern. Diese Feder jedoch war mit einem schnell wirkenden Gift getränkt worden. Claudius sackte auf der Stelle tot zusammen. So schildert es Tacitus in seinen Annalen XII 66 und 67. Sueton glaubt auch an einen Giftmord, doch ist er sich über den Ort und den Ablauf des Geschehens nicht absolut sicher.29 Aber auch die Möglichkeit eines natürlichen Todes wird nicht ausgeschlossen. Als mögliche Ursachen werden Gastroenteritis, Herzinfarkt oder Malaria herangezogen. Eine weitere Begründung für einen natürlichen Tod kann die Tatsache sein, dass in den Monaten davor mehrere hohe Beamte gestorben waren. Dies könnte auf eine ansteckende Krankheit oder auf besondere äußerliche Umstände (Wetter) hinweisen. So erwähnt auch der antike Autor Flavius Josephus nichts von einer Vergiftung durch Agrippina30 Offiziell starb Claudius an einer Fieberattacke. Dieser plötzliche Tod musste Gerüchte hervorrufen, und da Tacitus und Sueton der Agrippina nicht sehr wohlgesinnt gegenüberstanden, waren sie wohl nur zu gern bereit solchen Gerüchten zu glauben. Claudius starb in der Nacht vom 12. zum 13. Oktober 54 n.Chr. im 64. Lebensjahr. Agrippina hinderte zunächst Britannicus und Octavia das Schlafzimmer zu verlassen und nahm Britannicus, als ob sie Trost suche, in die Arme. Zudem hatte sie alle Zugänge durch Wachen versperren lassen, damit die Kunde von des Kaisers Tod nicht nach außen gelangen konnte. Nach Tacitus hatte sie Chaldäer vor dem Mordanschlag über die Thronbesteigung des Nero befragt und wartete nun auf den von ihnen vorhergesagten 29 30 Suet. Claud. 44, 2. 45. ; auch Cass. Dio überliefert den Giftmord: LX 34, 2. 3. Jos. BJ II 248 – 249; in Jos. ant. XX 148 gibt Josephus an, dass es einige behaupten 16 günstigen Zeitpunkt.31 Zur Mittagszeit war es dann soweit, Burrus trat mit Nero vor die Kohorte, die den Wachdienst versah, und der junge Mann wurde mit „Heil dir, Nero Caesar“ begrüßt. Daraufhin begaben sie sich zum Prätorianerlager, wo Nero zum princeps ausgerufen wurde. Agrippina verhinderte die Verlesung des Testaments aus Angst vor einer Bevorzugung des Britannicus oder wegen einem möglichen Aufstand im Volke gegen dessen Benachteiligung. Damit hatte Agrippina wieder ihr Ziel erreicht. 31 Tac. ann. XII 68, 3 17 V. Unter dem Prinzipat des Nero 1. Agrippina auf dem Höhepunkt ihrer Macht Agrippina stand nun mit dem Regierungsantritt ihres Sohnes im Zenit ihrer Macht. Sie war eine Frau, „die als Tochter eines Imperators, als Schwester, Gattin, Mutter eines regierenden Fürsten bis auf den heutigen Tag ein einzigartiges Beispiel darstellt.“ (Tac. ann. XII 42, 2). Nun war es ihr Ziel den Einfluss auf den Sohn aufrecht zu erhalten und selbst aktiv mitzuregieren. Nero wusste, wem er die jetzige Stellung zu verdanken hatte und so lautete die erste Parole, die er ausgab, auch „optima mater“ (Tac. ann. XIII 2, 3). Um sich und ihren Sohn vor etwaigen Konkurrenten zu schützen, griff Agrippina gleich wieder zum Mittel der Mordtat. Das erste Opfer wurde M. Iunius Silanus, der Bruder des 48 n.Chr. von ihr in den Selbstmord getriebenen L. Iunius Silanus. Agrippina fürchtete, dass er, ein Ururenkel des göttlichen Augustus wie Nero, sich zum Rächer seines Bruder aufschwingen könnte und es ging im Volke das Gerücht „vorziehen müsse man dem kaum dem Knabenalter entwachsenen Nero...einen Mann gesetzten Alters, der unbescholten, von Adel und...einer von den Nachkommen der Caesaren sei...“ (Tac. ann. XIII 1, 1). Weiterhin wurde der von der Kur zurückkehrende und Agrippina missgünstig gesinnte Narcissus „durch harte Haft und äußerster Bedrängnis zum Selbstmord getrieben“ (Tac. ann. XIII 1, 3). Nach der Ansicht des Tacitus geschah dies alles ohne Wissen des Kaisers. Agrippina wurde jetzt weiterhin mit Ehren überschüttet, so erhielt sie das Priesteramt für den göttlichen Claudius und damit das Recht auf zwei Liktoren. Zu ihrer Prätorianergarde gesellte sich noch eine germanische Leibwache. Nach Sueton und Cassius Dio überließ ihr Nero zu Beginn seiner Regierungszeit die oberste Entscheidungsgewalt in allen privaten und öffentlichen Angelegenheiten.32 Auf ihren Wunsch hin wurden die Sitzungen des Senats von der Kurie in den Palatin verlegt, damit sie hinter einem Vorhang versteckt an diesen teilnehmen konnte.33 Ihre Macht spiegelt sich erneut in den Münzprägungen dieser Zeit wider. So erschien diesmal sogar in Rom eine Münze, auf der sich die Köpfe der Agrippina und des Nero auf der Vorderseite gegenüberstanden. Die Legende der Vorderseite lautete: „Agrippina Aug[usta] divi Claud[i uxor], Neronis Caes[aris] mater Agrippina Augusta, die Gattin des vergöttlichten Claudius, Mutter von Nero Caesar - und auf der Rückseite war zu lesen: Neroni Claudi[o] divi f[amilia] Caes[aris] Aug[usti] 32 33 Suet. Nero 9; Cass. Dio LXI 3, 1 Tac. ann. XIII 5, 1 18 Germ[anici] imp[eratoris] tr[ibunicia] p[otestate] - Für Nero Claudius aus der Familie des vergöttlichten Caesar Augustus und des Imperators Germanicus, der die Amtsgewalt eines Volkstribunen erhalten hat.“34 Damit war sie die erste Frau, die zusammen mit einem Kaiser auf der Vorderseite einer in Rom erschienenen Münze war. Zudem wies hier Nero auf die Verwandtschaft seiner Mutter hin und nicht wie üblich auf die des Vaters. Werner Eck gibt weiterhin an: „Auf Reichsprägungen unter Claudius aber war Agrippinas Name, und zwar nur im Dativ, auf die Rückseite beschränkt geblieben. Jetzt aber hatte Agrippina gleichsam den Platz des Claudius eingenommen, Nero dagegen den ihren. Damit deutete sich durch die Aussage der Münzen eine neue politische Konstellation an. Es kann kein Zufall sein, dass Agrippina den Augustanamen führte, Nero dagegen auf der Vorderseite nur den Caesarnamen. Damit war der Anspruch einer Dominanz der Kaisermutter auch nach außen deutlich dokumentiert. Die Dominanz zeigte sich zwar zunächst nur faktisch und beruhte nicht auf einer formulierten, rechtlichen Basis. Aber ein akzeptiertes Handeln konnte in Rom schnell als Modell für die Zukunft gelten und auch normative Kraft entfalten."35 Frau Maike Vogt-Lüerssen glaubt diese Aussage noch durch zwei weitere Funde untermauern zu können. So wird Nero auf einem Standbild von einer Göttin, welche die Gesichtszüge der Agrippina hat, bekränzt und es existiert eine ähnliche Szene auf einem Kamee.36 Weiterhin reiste Agrippina oft zusammen mit ihrem Sohn in einer Sänfte.37 Jedoch stellten sich die beiden Berater des Kaisers, Burrus und Seneca, nicht, wie erhofft, auf ihre Seite, sondern versuchten stets ihren Einfluss auf Nero zurückzudrängen. Auch aus dem Grund, dass sie nichts unversucht ließ, um ihre Position ohne Rücksicht auf das Ansehen des Sohnes auszubauen. Dies zeigte sich bereits 54 n.Chr., als eine armenische Gesandtschaft dem Kaiser die Aufwartung machte. Agrippina wollte, wie unter Claudius gewohnt, an der Seite des princeps die Versammlung leiten. Als sie im Begriff war zum Thronsitz emporzusteigen, schritt Seneca ein und gab Nero ein Zeichen seine Mutter zu begrüßen, dann aber in den Hintergrund zu führen. 34 http://www.asn-ibk.ac.at/bildung/faecher/geschichte/maike/agrippina/agrippIV2.htm (fünfte Absatz); U. Kahrstedt : Frauen auf antiken Münzen, Klio X S. 297 35 Werner Eck: Agrippina, die Stadtgründerin Kölns, S. 63 36 http://www.asn-ibk.ac.at/bildung/faecher/geschichte/maike/agrippina/agrippIV2.htm (achte Absatz); Anthony A. Barrett: Agrippina, S. 152/53 37 Suet. Nero 9 19 2. Agrippinas politischer Absturz Mit dem Jahre 55 n.Chr. wurde allmählich der Einfluss von Agrippina auf Nero gebrochen, da sich das Verhältnis zwischen beiden verschlechterte. Hauptgrund war dafür die Liebesbeziehung des Nero zu der Freigelassenen Acte, die er sogar zu ehelichen gedachte. Agrippina geriet arg in Rage wegen der Zurückstellung ihrer Schwiegertochter Octavia und erhob hässliche Vorwürfe gegen ihren Sohn. Dadurch abgeschreckt wandte sich dieser dem Seneca zu und kündigte den Gehorsam gegen seine Mutter auf. Auch ein Taktikwechsel, indem sie, die Nutzlosigkeit ihres bisherigen Vorgehens bemerkend, zu Liebkosungen überging und ihm einen großen Teil ihres Vermögens übertrug, konnte Nero nicht täuschen. Die Situation verschärfte sich, als Agrippina ein Geschenk des Kaisers, aus Edelsteinen und Gewändern bestehend, mit den Worten ablehnte: „mit diesen Stücken bereichere man ihren Schmuck nicht; vielmehr enthalte man ihr die übrigen vor, und der Sohn teile, was er insgesamt von ihr habe.“ (Tac. ann. XIII 13, 4). Als Nero daraufhin den treuesten Verbündeten der Agrippina, Pallas, aus seinem Amt entließ, eskalierte die Situation. Nun drohte sie Nero, die Hintergründe von dessen Regierungsantritt zu enthüllen und die Ansprüche des Britannicus zu unterstützen. Der princeps reagierte auf diese Drohung mit der Ermordung des Britannicus und nahm damit der Agrippina das letzte Druckmittel. Sie musste völlig entsetzt mit ansehen, wie der leibliche Sohn des Claudius einem Giftanschlag zum Opfer fiel. Daraufhin begann sie sich sehr stark für die Ansprüche der Octavia einzusetzen und versuchte eine eigene Machtposition zu schaffen. So hielt sie sehr oft Unterredungen mit Freunden ab, sammelte Geld, empfing Tribunen und Zenturionen, ehrte die Namen und Verdienste des Adels, als suche sie einen Parteiführer und eine Anhängerschaft. Dies blieb Nero natürlich nicht unbekannt. So verlor Agrippina ab 56 n.Chr. nach und nach alle ihre Sonderrechte. Ihr wurde die prätorianische und germanische Leibwache entzogen, ihre Hofhaltung wurde von der kaiserlichen abgetrennt und sie musste aus dem Palast in das Haus der Antonia umziehen. Damit bezweckte Nero, zu verhindern, dass seine Besucher die Möglichkeit haben, auch ihr die Aufwartung zu machen, und isolierte sie so vom politischen Geschehen. Besuch von ihm erhielt Agrippina nur noch sehr selten und wenn dann nur kurz. Weiterhin verlor sie ihr Münzrecht. Für die Feinde der Agrippina war dies die willkommene Gelegenheit gegen sie vorzugehen. Zu diesen gehörte Iunia Silana, die Frau des Silius, weil Agrippina den Sextius Africanus von der Ehe mit ihr abgehalten hatte. Sie ließ Anschuldigungen gegen 20 Agrippina erheben, dass sie beschlossen habe, Rubellius Plautus, einen Urenkel des Tiberius, zu ehelichen und an die Stelle des Nero zu setzen. In diesen Plan bezog sie Domitia, die erste Ehefrau des Crispus und Schwester der Domitia Lepida, ein. Diese ließ über den Schauspieler Paris, einen ihrer Freigelassenen und ein Freund Neros, die Anschuldigungen dem betrunkenen Kaiser berichten. In seiner Weinseligkeit forderte er die sofortige Hinrichtung der Mutter und des Plautus. Burrus konnte ihn jedoch überreden, der Mutter die Möglichkeit einer Verteidigung zu geben. Dies geschah am nächsten Tag. Agrippina konnte die Anschuldigungen gegen sich entkräften und erreichte bei einer Unterredung mit ihrem Sohn die Bestrafung der Ankläger und die Belohnung ihrer Freunde.38 Von da an hielt sich Agrippina vorwiegend auf ihren Landsitzen auf und vermied, wenn möglich, Zusammenkünfte mit Nero. Wenn Sueton Glauben zu schenken ist, versuchte Nero sie auch dort durch bestellte Störenfriede zu schikanieren und zudem soll er ihre Aufenthalte in Rom durch Rechtsstreitigkeiten aller Art unerträglich gemacht haben.39 Zwischen den Jahren 56 und 58 n.Chr. wird sie in den geschichtlichen Quellen nicht erwähnt. 3. Die Ermordung der Agrippina Im Jahre 58 n.Chr. kam es zum endgültigen Bruch zwischen Nero und seiner Mutter. Eingeleitet wurde dieser, wie schon 55 n.Chr., durch eine Liebesbeziehung des Nero. Die Auserwählte war diesmal Poppaea Sabina, die als äußerst ehrgeizige Frau eine viel größere Gefahr für die Stellung der Octavia darstellte als die Freigelassene Acte. Agrippina schwang sich abermals zu einer Beschützerin ihrer Schwiegertochter auf und lehnte entschieden die Verbindung ab. Die Gründe, warum sich Nero nun für die Ermordung der Mutter entschied, sind nicht vollkommen eindeutig. Möglich ist, dass er der ständigen Bevormundung durch seine Mutter endlich ein Ende setzen wollte und von Poppaea Sabina zu diesem Schritt gedrängt wurde, denn Poppaea muss nur zu gut gewusst haben, dass sie zu Lebzeiten der Agrippina keine Auflösung von Neros Ehe erreichen würde. Dies ist ein Beweis für die noch vorhandene moralische Herrschaft der Mutter über den Sohn. In der Umgebung des Kaisers wünschte man zwar, dass die Macht der 38 39 Verteidigung nachzulesen in Tac. ann. XIII 21, 2 – 5 Suet. Nero 34, 1 21 Agrippina gebrochen würde, doch glaubte man nicht, dass er zum Muttermord bereit wäre.40 Für die Mordtat fiel seine Wahl auf ein herbeigeführtes Schiffsunglück, da der Einsatz der Prätorianer wegen ihrer ungewissen Loyalität ausgeschlossen wurde. Ein Giftanschlag konnte ebenso nicht erwogen werden, da Agrippina, um gegen derartige Anschläge gewappnet zu sein, schon mehrere Jahre Gegengifte zu sich genommen hatte41. Glaubt man Sueton, so soll Nero bereits dreimal versucht haben, Agrippina durch Gift zu töten.42 Außerdem war Agrippina im Volk und vor allem in den Provinzen noch so beliebt, dass ein öffentlicher Mord unmöglich gewesen wäre.43 Der Vorschlag des Schiffsunglücks stammt von seinem früheren Erzieher, dem jetzigen Flottenkommandeur in Misenum, Anicetus. Es wurde ein Schiff konstruiert, dessen Kabine so präpariert wurde, dass Agrippina durch die einstürzende Decke erschlagen werden sollte. Als Zeitpunkt für die Tat wurde das Fest der Quinquatrien, welches vom 19. bis zum 23. März dauerte, ausgewählt. Nero lockte seine Mutter in eine Villa in Bauli (Bucht von Baiae) unter dem Vorwand einer Versöhnungsfeier. Hierhin hatte sich Agrippina mit einer Sänfte bringen lassen. Dies geschah, wie Tacitus erwähnt, weil ihr die Nachricht von dem Anschlag durch einen Verräter kundgetan worden sein soll.44 Als zu später Stunde die Rückreise anstand, bot ihr Nero eines seiner prächtigen Staatsschiffe an, welches sie auch gern annahm, da alle ihre Ängste und Zweifel durch die vorgespielte Reue des Sohnes beseitigt worden waren. Das Schiff war noch nicht weit auf hoher See, da stürzte das mit Blei beschwerte Dach der Kabine herab und erschlug einen ihrer beiden Begleiter. Agrippina selbst und ihre Dienerin wurden durch die Seitenwände des Bettes geschützt, die zu stabil gebaut waren. Aufgrund von Unstimmigkeiten unter der Schiffsmannschaft, da nicht alle in den Mordplan eingeweiht waren, kam es nicht zu einem Auseinanderbrechen des Schiffes, sondern es stürzte relativ sanft um. Agrippinas Dienerin Aceronia schrie in ihrer Verzweiflung „sie sei Agrippina und man solle doch der Mutter des princeps zu Hilfe kommen“ (Tac. ann. XIV 5, 3). Daraufhin musste die wahre Mutter des Kaisers mit ansehen, wie ihre Dienerin mit Stangen und Rudern erschlagen wurde. Agrippina schwamm nun so unauffällig wie möglich, an der Schulter leicht verletzt, zum Ufer und wurde von Schiffern aufgenommen. Sie begab sich zu ihrem Landsitz und obwohl sie 40 Tac. ann. XIV 1, 3 Tac. ann. XIV 3, 2 42 Suet. Nero 34, 2 43 in Griechenland wurden ihr vielerorts göttliche Ehren zuteil (s.o.); aus Tac. ann. XIV 8 erfährt man, dass die Leute, sobald sie von Agrippinas Schiffsunglück hörten, zum Strand eilten und nach ihr Ausschau hielten, und als bekannt wurde, dass sie gerettet worden sei, formierte man sich zu einem Gratulationszug 44 Tac. ann. XIV 4 41 22 wusste, dass dieser Anschlag von ihrem Sohn ausging, war für sie das einzige Mittel dagegen, ihn nicht zur Kenntnis zu nehmen. So schickte sie einen ihrer Freigelassenen zu ihrem Sohn, um ihm mitzuteilen, sie sei durch die Gunst der Götter bei dem Unfall mit dem Leben davongekommen und dass sie im Moment erst einmal Ruhe nötig habe. Nero selbst hatte inzwischen schon vom Scheitern des Unternehmens gehört und geriet in arge Verzweiflung. Er ließ Burrus und Seneca holen, wobei ungewiss ist, ob sie schon vorher von Neros Absichten wussten.45 Burrus verweigerte die Unterstützung der Prätorianer, da sie sich dem ganzen Kaiserhaus verpflichtet hätten und Agrippina die Tochter des immer noch hochgeschätzten Germanicus sei. Man beschloss, dass Anicetus, der für das Scheitern verantwortlich war, die Tat nun auch zu Ende bringen sollte. Inzwischen erschien auch Agrippinas Diener. Nero warf ihm, während dieser sich zu Füßen geworfen hatte und zu erzählen begann, ein Schwert zwischen die Füße und ließ ihn festnehmen, da er von der Mutter den Befehl erhalten habe, den princeps zu töten. Anicetus ging nun mit seinen Leuten noch in derselben Nacht zu Agrippinas Landsitz. Er ließ das Haus umstellen und begab sich mit zwei Soldaten in das Schlafgemach. Selbst in dieser Situation zeigte sie noch Mut und Selbstsicherheit. Sie wandte sich an Anicetus und sagte: „wenn er gekommen sei, um nach ihr zu sehen, solle er melden, sie habe sich erholt, wenn aber, um ein Verbrechen auszuführen – von ihrem Sohn glaube sie nichts Böses; nicht befohlen sei der Muttermord!“ (Tac. ann. XIV 8, 4). Doch die drei reagierten nicht darauf und schlugen sie nieder. Als dann der Todesstoß mit dem Schwert ausgeführt werden sollte, soll sie dem Soldaten ihren Schoß, der Nero getragen hatte, entgegengestreckt und „ventrem feri“ (Tac. ann. XIV 8, 5) geschrieen haben. Der Leichnam wurde noch in der Nacht auf einem Speisesofa verbrannt und die Asche mit einem dürftigen Leichenbegängnis ohne Grabmal beigesetzt. Nach der Regierung Neros errichteten ihr die treuesten Diener einen einfachen Grabhügel neben der Straße nach Misenium. 4. Darstellung ihrer Ermordung und Fortgang des Prinzipats ihres Sohnes Nero schickte ein Schreiben an den Senat, in dem er erklärte, dass Agrippina versucht hätte, ihn durch einen ihrer Diener töten zu lassen und als dieser Versuch fehlschlug, habe sie Selbstmord begangen. Jetzt begann die Diffamierung der Mutter. Er brachte noch weitere Anschuldigungen gegen sie vor. So soll sie die Mitregentschaft angestrebt haben, 45 Tac. ann. XIV 7, 2 23 erhofft haben, dass die Prätorianer, der Senat und das Volk den Treueid auf sie leisten würden. Als diese Hoffnung nicht erfüllt wurde, soll sie von Geld- und Getreidespenden abgeraten und angesehenen Männern den Prozess gemacht haben. Weiterhin machte Nero sie für alle Verbrechen zur Zeit des Claudius verantwortlich.46 Diese Erklärung wurde vom Senat angenommen und dieser beschloss, den Geburtstag der Agrippina, sonst als höchstes Staatsfest gefeiert, als einen Unglückstag. Nach dem Tod der Agrippina konnte Nero nun endlich seine künstlerischen Ambitionen ausleben und auch der Einfluss des Seneca und des Burrus sanken in dieser Zeit, bis das Vertrauensverhältnis 62 n.Chr. endgültig endete. Nun hatte Nero niemanden mehr, der ihm Einhalt gebieten konnte und entwickelte sich zu einer Bedrohung für den Staat, der ohne Bedenken mordete. Er starb schließlich am 9.6.82 n.Chr. durch Selbstmord unter einer Verschwörung. Er war der erste Kaiser, der vom Senat abgesetzt und geächtet wurde. Es wird deutlich, dass Nero nur solange gut war, wie er von seinen Beratern Seneca und Burrus gelenkt wurde und er sich vor seiner Mutter fürchten musste. 46 Tac. ann. XIV 11, 2 24 VI. Abschließende Beurteilung Es hat sich bestätigt, dass Agrippina in der Politik dieser Kaiserzeit eine entscheidendende Rolle spielte. Dafür nutzte sie als Mittel ihres direkten Handelns Verführung, Intrige und mütterliche Zuwendung. Indirekt handelte sie, indem sie wichtige Persönlichkeiten auf ihre Seite zog, die ihre Pläne durchsetzten. Agrippinas Zielsetzungen bewegten sich durchaus im traditionellen Rahmen der weiblichen Positionen, im Rahmen geschlechtspezifischen Handelns, aber es kann ihr eine starke Herrschsucht nicht abgesprochen werden. Ihre Ziele versuchte sie gegen alle Widerstände durchzusetzen, doch unterschieden sich ihre Mittel nicht stark von denen ihrer Zeitgenossen. Natürlich griff sie zu verschiedenen Verbrechen, wie der Mordtat, aber welcher der principes, hat dies nicht getan. Ihre Aktivitäten als Gattin des Claudius können auch als ein Bemühen um die Kontinuität der Herrschaft des julisch-claudischen Hauses verstanden werden.47 Das überaus negative Bild der Agrippina, welches uns von den beiden Seantoren Tacitus und Sueton vermittelt wird, ist stark von der Tatsache abhängig, dass es sich bei Agrippina um eine Frau handelte, die versuchte politischen Einfluss zu gewinnen. Dies widersprach den klassischen Vorstellungen von Weiblichkeit, welche als natürliche Unterlegenheit und als natürliche Unfähigkeit der Frauen, ihre Gefühle und Leidenschaften zu kontrollieren, definiert wurde. Thomas Späth meint dazu: „Wenn ein senatorischer Geschichtsschreiber wie Tacitus ... ein negatives Bild der Herrschaft eines Claudius und Nero zeichnen will, sind die Angehörigen der domus Augusta, Garantinnen der Fortsetzung der Herrschaft einer Familie, ein unvermeidlicher Ansatzpunkt, an dem die Kritik ansetzen muss.“48 Der pater familias muss Sorge tragen, dass die Handlungen der Mitglieder seiner domus den Normen entsprechen. Kann ihm nachgewiesen werden, dass er die Seinigen nicht in den Schranken halten kann, so wird seine Männlichkeit in Frage gestellt. 47 48 Anthony A. Barrett: Agrippina, S. 194/95 Thomas Späth/Beate Wagner-Hasel: Frauenwelten in der Antike, S. 270/71 25 VII. Quellen- und Literaturverzeichnis Quellen: Cornelius Tacitus, Annalen (dt.-lat.), Ed. Erich Heller/ Manfrad Huhrmann, München/Zürich 1997 Gaius Sueton, Kaiserbiographien, Ed. Otto Wittstock, Berlin 1993 Cassius Dio, Römische Geschichte LIX und LX, Ed. Otto Veh, Zürich/München 1985 Cassius Dio, Roman History LX, LXI und LXII, Ed. Earnest Cary, London 1990 Flavius Josephus, Jüdischer Krieg II, Ed. Otto Michel/Otto Bauernfeind Flavius Josephus, Jüdische Altertümer XVIII – XX, Ed. Heinrich Clementz, Berlin 1923 Sekundärliteratur: Alfred von Domaszweski: Geschichte der römischen Kaiserzeit, Leipzig 1922 Nikolaj A. Maschkin: Römische Geschichte, Berlin 1953 Theodor Mommsen, Hrsg. von Barbara und Alexander Demandt: Römische Kaisergeschichte – nach den Vorlesungs-Mitschriften von Sebastian und Paul Hensel 1882/86, München 1992 Karl Christ: Geschichte der römischen Kaiserzeit: von Augustus bis zu Konstantin, München 1995 Alexander Demandt: Das Privatleben der römischen Kaiser, München 1997 Jolanda Tresch: Die Nerobücher des Tacitus, Heidelberg 1965 Miriam T. Griffin: Nero – The End of a Dynasty, London 1996 U. Kahrstedt: Frauen auf antiken Münzen, Klio X, 1910, S. 261 – 314 Ernst Kornemann: Große Frauen des Altertums, Wiesbaden 1952 Eckhard Meise: Untersuchungen zur Geschichte der Julisch-Claudischen Dynastie, München 1969 John P.V.D. Balsdon: Die Frau in der römischen Antike, München 1989 Ulrike Hahn: Die Frauen des römischen Kaiserhauses und ihre Ehrungen im griechischen Osten anhand epigraphischer und numismatischer Zeugnisse von Livia bis Sabina, in Saarbrücker Studien zur Archäologie und Alten Geschichte Band 8, Hrsg. Andreas Furtwängler/Friedrich Hiller/Peter R. Franke, Saarbrücken 1994 26 Bernhard Kytzler: Frauen der Antike, Zürich 1994 Wolfgang Schuller: Frauen in der griechischen und römischen Geschichte, Konstanz 1995 Patricia A. Watson: Ancient Stepmothers, Leiden/New York/Köln 1995 Ian McAuslan/Peter Walcot: Women in Antiquity, Oxford 1996 Christiane Kunst: Grenzen der Macht – Zur Rolle der römischen Kaiserfrauen, Stuttgart 2000 Thomas Späth/Beate Wagner-Hasel: Frauenwelten in der Antike, Stuttgart/Weimar 2000 Lackeit, RE 19. Halbbd. (1917), S. 909 – 915 Iulius (Agrippina) [556] Fitzler, RE 19. Halbbd. (1917), S. 938 – 39 Iulius (Livilla) [575] Gertrud Herzog-Hauser/Friedrich Wotke (1955), RE 2. Reihe 15. Halbbd., S. 246 – 258 Valeria Messalina [403] RE 36. Halbbd. 3 (1949), S. 2097 – 2098 Passienus [2] Groag, RE 9.Halbbd. (1903), S. 1331 – 1333 Domitius [25] John H. Humphrey: The Three Daughters of Agrippina Maior, in American Journal of Ancient History 4 (1979) Werner Eck: Agrippina, die Stadtgründerin Kölns, Köln 1993 Anthony A. Barrett: Agrippina – Mother of Nero, London 1996 Maike Vogt-Lüerssen: Neros Mutter – Agrippina die Jüngere und ihre Zeit, Mainz-Kostheim 2002 (oder auch: http://www.asn-ibk.ac.at/bildung/faecher/geschichte/maike/agrippina.html) 27