Grundlagen Volkswirtschaftslehre Inhaltsverzeichnis Volkswirtschaftslehre vorläufige, unvollständige Fassung Stand: 29.11.2005 Inhaltsverzeichnis 2 Grundelemente der Wirtschaft ......................................................................... 5 2.1 Wirtschaft und Wirtschaften......................................................................... 5 2.2 Knappheit der Güter ..................................................................................... 5 2.2.1 Bedürfnisse und Nachfrage ............................................................... 5 2.2.2 Güter und Nutzen............................................................................... 6 2.2.3 Produktion und Wertschöpfung ......................................................... 7 2.2.4 Interne und externe Kosten................................................................ 8 2.2.5 Knappheit und Preise....................................................................... 10 2.3 Geld und Kredit .......................................................................................... 13 2.3.1 Funktionen des Geldes .................................................................... 13 2.3.2 Bargeld und Buchgeld...................................................................... 13 2.3.3 Forderungen und Verbindlichkeiten ................................................. 14 2.4 Vermögen und Vermögensbildung............................................................. 15 2.4.1 Sachvermögen und Geldvermögen ................................................. 15 2.4.2 Vermögen und Ersparnis ................................................................. 16 2.4.3 Eigenkapital und Gewinn ................................................................. 18 3 Wertschöpfung und Einkommen ................................................................... 21 3.1 Produktionsfaktoren ................................................................................... 21 3.1.1 Arbeitseinsatz: Erwerbstätige und Arbeitszeit.................................. 21 3.1.2 Kapitaleinsatz: Investition und Abschreibung .................................. 22 3.1.3 Natur und Umwelt ............................................................................ 24 3.1.4 Technischer Fortschritt .................................................................... 25 3.2 Inlandsproduktrechnung............................................................................. 26 3.2.1 Überblick .......................................................................................... 26 3.2.2 Bruttowertschöpfung ........................................................................ 28 3.2.3 Angebot und Nachfrage ................................................................... 30 3.2.4 Verteilungsrechnung ........................................................................ 32 3.3 Kennziffern der Produktion......................................................................... 36 3.3.1 Kennziffern im Überblick .................................................................. 36 3.3.2 Produktivitätsfortschritt .................................................................... 41 3.3.3 Lohnquote ........................................................................................ 45 3.3.4 Lohnstückkosten.............................................................................. 46 3.4 Wohlstand und Umwelt .............................................................................. 48 III Grundlagen Volkswirtschaftslehre Inhaltsverzeichnis 4 Wirtschaftliches Handeln und Entscheiden......................................................... 52 4.1 Wirtschaftssubjekte und Wirtschaftssektoren.................................................. 52 4.2 Aktivitäten und Transaktionen .................................................................... 53 4.2.1 Ökonomische Aktivitäten ................................................................. 53 4.2.2 Ökonomische Transaktionen ........................................................... 54 4.3 Planung und Entscheidung......................................................................... 55 4.3.1 Planungsprozess.............................................................................. 55 4.3.2 Wirtschaftlichkeitsprinzip.................................................................. 56 4.3.4 Grenzdenken.................................................................................... 57 4.3.5 Opportunitätskosten ......................................................................... 58 4.4 Wirtschaftspolitik ........................................................................................ 59 5 Wirtschaftsordnungen..................................................................................... 61 5.1 Begriff der Wirtschaftsordnung................................................................... 61 5.2 Strukturmerkmale von Wirtschaftsordnungen ................................................. 61 5.2.1 Koordination und Eigentum .............................................................. 61 5.2.2 Typen von Wirtschaftsordnungen .................................................... 62 5.3 Prinzipien der Marktwirtschaft .................................................................... 63 5.3.1 Produktions- und Konsumfreiheit..................................................... 63 5.3.2 Leistungsprinzip und Einkommen .................................................... 64 5.3.3 Gewinnstreben und Wettbewerb...................................................... 65 5.3.4 Koordination durch Märkte ............................................................... 66 5.3.5 Private und staatliche Unternehmen ................................................ 67 5.4 Konzeption der sozialen Marktwirtschaft .................................................... 69 6 Preisbildung.............................................................................................. 72 6.1 Begriff des Marktes .................................................................................... 72 6.2 Nachfrage ................................................................................................... 73 6.2.1 Preisabhängigkeit der Nachfrage..................................................... 73 6.2.2 Ausschlussprinzip ............................................................................ 74 6.2.3 Verschiebungen der Nachfrage ....................................................... 75 6.3 Angebot ...................................................................................................... 77 6.3.1 Preisabhängigkeit des Angebots...................................................... 77 6.3.2 Verschiebungen des Angebots ........................................................ 78 6.4 Marktgleichgewicht ..................................................................................... 79 6.4.1 Eigenschaften des Marktgleichgewichts .......................................... 79 6.4.2 Marktwirtschaftliche Anpassungsprozesse ...................................... 82 6.4.3 Feste und flexible Preise.................................................................. 84 6.5 Marktformen und Marktmacht .................................................................... 87 6.5.1 Marktformen..................................................................................... 87 6.5.2 Marktverhalten ................................................................................. 88 6.6 Staatliche Eingriffe in die Preisbildung ....................................................... 92 6.6.1 Externe Effekte................................................................................. 92 6.6.2 Öffentliche Güter .............................................................................. 94 6.6.3 Korrekturen der Marktergebnisse .................................................... 98 IV Grundlagen Volkswirtschaftslehre 2 Grundelemente 2 Grundelemente der Wirtschaft 2.1 Wirtschaft und Wirtschaften Bei den Tätigkeiten, die wir „Wirtschaften nennen, geht es im Endzeck um die Befriedigung menschlicher Bedürfnisse durch knappen Güter. In ihrer konkreten Ausprägung ist das Handeln der Personen in den Haushalten; Unternehmen und staatlichen Organen, ihr Beziehungsgeflecht und das organisatorische Netzwerk abhängig von der geographischen Lage, den klimatischen Bedingungen, der historischen Entwicklung, dem Stand der Arbeitsteilung und Technik, der Gestaltung des Waren- und Geldverkehrs, den öffentlichen Einrichtungen usw. So wird man viele Variationen in den Rahmenbedingungen und in den Wirtschaftsabläufen feststellen. Alle Unterschiede lassen sich gleichwohl auf einige Basiselemente zurückführen. Güter sind knapp. Sie werden mit Hilfe anderer Güter (Produktionsmittel) hergestellt und gehandelt unter Einbeziehung von Geld. Angesichts knapper Mittel ist wirtschaftliches Handeln durch vernünftige (rationale) Planung und Entscheidung erforderlich. Wirtschaften ist der rationale Einsatz knapper Mittel zur Befriedigung von menschlichen Bedürfnissen nach Gütern. Diese Grundelemente lassen sich in allen Wirtschaftsgesellschaften aller Zeiten finden. Sie sind weitgehend unabhängig von den konkreten Bedingungen einer bestimmten Volkswirtschaft (Wirtschaftsordnung) und sind damit systemunabhängige Ausgangstatsachen der Wirtschaft und des Wirtschaftens schlechthin. 2.2 Knappheit der Güter 2.2.1 Bedürfnisse und Nachfrage Jeder Mensch möchte etwas erwerben oder etwas tun, sei es zur Deckung existentieller Notwendigkeiten wie Trinken, Essen, Schlafen usw., oder sei es zur Erfüllung weiter gehender Wünsche nach einem neuen Auto, einer Urlaubsreise oder Modeschmuck. Derartige Wünsche oder Bedürfnisse – wir wollen dazwischen keinen Unterschied machen – sind die Triebfedern des wirtschaftlichen Handelns. Bedürfnisse sind subjektive Empfindungen von Menschen, und zwar „Gefühle des Mangels, mit dem Streben, sie zu mildern oder zu beseitigen“. (VON HERMANN, 1832) Die menschlichen Wünsche sind von zahlreichen Bestimmungsgründen abhängig, etwa vom Alter, vom Geschlecht, von der Jahreszeit, vom Verhalten der Nachbarn oder Schulkameraden, von den Wohnverhältnissen, von Konvention und Tradition, von der sozialen Umgebung generell, von der natürlichen Umwelt usw. Mit einer Veränderung der Umweltbedingungen (im weitesten Sinne) verändern sich folglich 5 Grundlagen Volkswirtschaftslehre 2 Grundelemente auch die Bedürfnisse, sie sind weder räumlich noch zeitlich stabil, und selbstverständlich sind unsere Wünsche auch von „außen“ beeinflussbar (manipulierbar). Die subjektiven Bedürfnisse erfahren eine gewisse Objektivierung im „Bedarf“ und in der „Nachfrage“. Der Bedarf ist der mit Kaufkraft ausgestattete (kleine) Teil der (vielen) Bedürfnisse. Aus der Fülle seiner Wünsche muss ein Haushalt jene herausgefiltert, die er angesichts der begrenzten Möglichkeiten erfüllt sehen möchte (Prioritätensetzung). Nur ein kleiner Teil seiner Bedürfnisse wird eine konkrete Kaufabsicht auslösen, insbesondere weil nicht alle Wünsche finanzierbar sind. Mit seiner Nachfrage informiert er dann über das Ergebnis seiner Entscheidung. Nachfrage ist die Information über einen konkreten Kaufwunsch. Beispiele: Prägnante Beispiele für Nachfrage finden wir in den vielen Kleinanzeigen, in denen bestimmte Dinge gesucht werden: ein Auto, eine Wohnung oder Briefmarken, Arbeitsleistungen oder Maschinen. Hier werden alle drei Aspekte der Nachfrage – Entscheidungsergebnis, Kaufwunsch und Information – deutlich sichtbar. Die Summe aller Wünsche lässt sich kaum vernünftig messen, vielleicht ist sie auch unendlich groß, wie viele meinen. Gemessen daran ist die Höhe der Nachfrage nach einem Gut (oder auch nach einer Gütergruppe) durch empirische Untersuchungen wesentlich leichter feststellbar. Dies ist Gegenstand der empirischen Konsumforschung. Innerhalb von Unternehmen gehört dies zum Aufgabenbereich der Marktforschung. 2.2.2 Güter und Nutzen Alle Mittel, die zur Bedürfnisbefriedigung geeignet sind, heißen Güter. Dabei kann es sich um Waren (= Sachgüter) wie Brot, Auto, Waschmaschine, Computer und Bleistifte oder auch um Dienstleistungen wie Haarschnitt, juristische Beratung und Taxifahrt handeln. Waren sind (mehr oder weniger) lagerfähig. Demgegenüber sind Dienstleistungen grundsätzlich nicht lagerfähig, sondern Produktion und Nutzung erfolgen simultan. Güter sind sämtliche Mittel zur Bedürfnisbefriedigung. Abbildung 1− −6: Güterarten Güter im weiteren Sinne Güter (Produktionsergebnisse) Waren materielle Güter Dienstleistungen Rechte immaterielle Güter Nutzungen von originären Produktionsfaktoren Arbeitsleistungen, Boden, Bodenschätze, Naturkräfte Auch Rechte, wie etwa Patente, Lizenzen oder einfach nur das Recht, im Wald spazieren gehen zu dürfen, werden manchmal zu den (immateriellen) Gütern gezählt. Andererseits haben Rechte teilweise auch den Charakter von Forderungen – und Forderungen sind keine Güter. 6 Grundlagen Volkswirtschaftslehre 2 Grundelemente Diese Güter sind Ergebnisse einer Produktionstätigkeit. Im weiteren Sinne kann man auch noch die letzten (originären) Produktionselemente wie Boden, Bodenschätze, Naturkräfte und sogar menschliche Arbeitsleistungen als Güter ansehen. Alle in einer Volkswirtschaft hergestellten Güter zusammen werden durch das „Bruttoinlandsprodukt“ ausgedrückt. Seine reale Zunahme ist eine Maßgröße für das Wirtschaftswachstum. Einzelheiten dazu folgen später. An dieser Stelle reicht: Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) ist der Wert aller in einer Volkswirtschaft erzeugten Güter. Seine Zunahme drückt das Wirtschaftswachstum aus. Man sagt auch: Güter stiften einen Nutzen. Manche Güter stiften einen hohen, manche nur einen geringen Nutzen. Wertlos sind Güter, die keinen Nutzen stiften. Insofern haben Güter keinen „inneren“ Wert, etwa aufgrund der Herstellungskosten, sondern der Nutzen ergibt sich aus der individuellen (subjektiven) Beurteilung. Der Nutzen aller Personen in einer Volkswirtschaft kann man als Wohlfahrt (engl. welfare) bezeichnen. Nutzen und Wohlfahrt sind empirisch kaum fassbare Begriffe. Gleichwohl versucht die Wohlfahrtstheorie, Kriterien zu formulieren, um alternative Situationen hinsichtlich ihrer Wohlfahrt miteinander zu vergleichen. Berühmt ist das PARETO-Optimum, benannt nach Alfredo PARETO (1848–1923): Ein Situation ist PARETO-optimal, wenn es nicht mehr möglich ist, eine Person besser zu stellen, ohne eine andere Person schlechter zu stellen. Hieraus folgt, dass eine Maßnahme die Wohlfahrt dann steigert, wenn dadurch mindestens eine Person besser und keine andere schlechter gestellt ist (Paretokriterium). Diese Einsicht sei Ihnen nicht vorenthalten, vor allem weil Ihnen diese Begriffe in der Wirtschaftsliteratur immer wieder begegnen können. 2.2.3 Produktion und Wertschöpfung Nur wenige Güter liegen bereits so vor, dass sie zur unmittelbaren Bedarfsdeckung geeignet sind. Ein Kernpunkt des Wirtschaftens ist folglich die Produktion von Gütern. Im Produktionsprozess werden mit Hilfe von eingesetzten Gütern (= Input) andere Güter (Output) hergestellt. Abbildung 2− −7: Input und Output Güter als Input Produktionsfaktoren (Produktionsmittel) Güter als Output PRODUKTION Produktionsergebnisse Konsum- und Produktionsgüter Zur Produktion zählen die Wirtschaftswissenschaften (VWL und BWL) nicht allein die unmittelbaren technischen Vorgänge der Be- und Verarbeitung am Fließband oder in der Werkstatt, sondern auch die Tätigkeiten des Verkaufs, der Buchhaltung, der Geschäftsleitung, des Transports, der Gebäudereinigung etc. Produktion ist jede Tätigkeit, die zur Herstellung, Umwandlung oder Bereitstellung von Gütern beiträgt. Im betrieblichen Alltag hört man häufig, nur der unmittelbare technische Vorgang der Be- und Verarbeitung von Waren sei „produktive“ Tätigkeit. Insbesondere die Verwaltung wird demgegenüber häufig als „unproduktiver“ Bereich charakterisiert. In diesem sehr engen Sinne ist die „Produktion“ meistens sogar eine auch räumlich klar identifizierbare Abteilung, nämlich der Ort, wo es 7 Grundlagen Volkswirtschaftslehre 2 Grundelemente „lärmt, dampft und knallt“. Wir bezeichnen dies hingegen als „Fertigung“. In unserem Verständnis sind auch Buchhalter und Reinigungskräfte produktiv tätig. • Ein Teil des Outputs geht als Konsumgüter an die Haushalten und dient dort der unmittelbaren Bedürfnisbefriedigung. Dazu gehören die Verbrauchsgüter (Kaffee, Benzin, Rechtsberatung) und die Gebrauchsgüter (Waschmaschine, privates Auto, Computer). • Der andere Teil des Outputs wird in einem weiteren Produktionsprozess wieder zu Input. Solche Produktionsgüter sind die Werkstoffe (Backpulver, Benzin für Firmenwagen, Rohstoffe), Dienstleistungen (Rechtsberatung), und auch die Investitionsgüter (Bürogebäude, Computer, Fahrzeuge). Alle Produktionsgüter sind „irgendwann“ verbraucht; einige bereits wieder im Herstellungsjahr (= Vorleistungen). Demgegenüber stehen Investitionsgüter über einen längeren Zeitraum zur Verfügung und werden allmählich abgenutzt. Aus untergangenen Produktionsgütern entsteht durch Arbeitsleistung und Kapitaleinsatz neuer Output, der üblicherweise „mehr wert“ ist. Produktion ist daher stets eine Gütervernichtung und zugleich Wertschöpfung. Abbildung 3− −8: Wertschöpfung Verbrauch an Produktionsgütern Input Nettowertschöpfung = durch Faktorleistung (Arbeitsleistung und Kapitaleinsatz) Einkommen Entgelt für Arbeitsleistung und Kapitaleinsatz Output Nettowertschöpfung ist der über den Verbrauch an Produktionsgütern (einschließlich bei Investitionsgütern) hinausgehende Wert des Outputs. Sie liefert in realer Betrachtung die verfügbare Gütermenge und entspricht– aus einer anderen Sicht – zugleich dem realen Einkommen einer Volkswirtschaft. Es ist das Entgelt für die produktiven Leistungen der von Arbeit und Kapital. (Einzelheiten dazu folgen später. Hier geht es um einen ersten Einblick.) „Einkommen“ und „Entgelt“ verbindet man meistens mit einem Geldbetrag. Das ist nicht falsch, ökonomisch entscheidend ist aber nicht das Geld, sondern die Gütermenge, die man damit erwerben kann. Dies mündet in die bekannte Einsicht: Man kann real nur das verteilen, was real produziert wurde. 2.2.4 Interne und externe Kosten Kosten sind ein zentraler Bestandteil unseres Wirtschaftslebens. Wir interessieren uns dafür, was ein Kaffee, ein Auto oder eine Urlaubsreise kostet. Unternehmen wollen kostendeckend produzieren, damit ein Gewinn übrig bleibt. Der Schulbesuch ist kostenlos. Was also sind Kosten? Im allgemeinen Sprachgebrauch versteht man darunter meistens den Geldbetrag, den man für etwas bezahlen muss. (Das neue Auto hat 22.000 € gekostet; die Arbeitsstunde des Handwerkers kostet 58 €; die Aktien werden zusammen 800 € kosten.) Demgegenüber verwenden die Wirtschaftswissenschaften einen ganz spezifischen Kostenbegriff: Es muss sich erstens um einen Werteverzehr handeln, der 8 Grundlagen Volkswirtschaftslehre 2 Grundelemente zweitens als Input im Zusammenhang mit der Produktion anfällt. Entscheidend ist also nicht, wann und ob überhaupt etwas bezahlt wird, sondern ob und wann der Werteverzehr stattfindet. Für eine richtige „Verbrauchsrechnung“ (Kalkulation) ist dabei die Zuordnung zu einer Abrechnungsperiode (hier Kalenderjahr) zu beachten. Beispiele Aufstockung des Rohstofflagers und die Bezahlung dafür: keine Kosten (kein Werteverzehr). Kosten entstehen durch Rohstoffverbrauch in der Fertigung. Anschaffungskosten für einen Lkw: keine Kosten (kein Werteverzehr). Kosten entstehen durch Abnutzung des Lkw. Kauf von Aktien anderer Unternehmen: keine Kosten (kein Werteverzehr). Auch Kursverfall der Aktien: keine Kosten (kein Zusammenhang mit der Produktion). Mieten für die Werkshalle sind Kosten, auch wenn keine Zahlungen erfolgt, weil es dem Unternehmen selbst gehört. Lohnzahlungen im Januar für Arbeitsleistungen im Dezember sind Kosten im Vorjahr. Spende an eine Schule: keine Kosten (kein Zusammenhang mit der Produktion). Gelagerte Waren werden verkauft. Lagerabnahme: keine Kosten, weil Fertigwaren kein Input, sondern bereits Output sind. Verpackung, Versand usw. sind Kosten. Kosten sind der Werteverzehr bei der Produktion. Zur Erinnerung: „Produktion“ umfasst alles, was mit der betrieblichen Leistungserstellung zu tun hat – auch die oft so genannten „unproduktiven“ Tätigkeiten (Buchhaltung, Reinigung usw.) Güterproduktion ohne Kosten gibt es nicht. Allerdings werden sämtliche bei der Güterherstellung anfallenden Kosten (= gesamtwirtschaftliche Kosten) nicht immer auch in voller Höhe vom produzierenden Unternehmen als betriebliche Kosten (= interne Kosten) getragen, sondern belasten andere Wirtschaftssubjekte. Das sind dann externe Kosten. gesamtwirtschaftliche Kosten = interne (betriebliche) Kosten + externe Kosten Beispiel: Unternehmen Schleuder & Dreck KG fertigt Kunststoffblumen. Die betrieblichen Kosten für Arbeitsleistungen, Rohstoffe, Energie usw. belaufen sich auf 580.000 € (interne Kosten). Sie werden bei der Preisgestaltung berücksichtigt. Außerdem entnimmt das Unternehmen aber aus einem Fluss klares Wasser (ohne Bezahlung) und leitet verschmutztes Wasser wieder ein. Die weiter unten liegende Gemeinde muss eine Kläranlage bauen und von ihren Bürgern die Kosten in Höhe von 330.000 € einfordern (externe Kosten). Insgesamt verursacht die Produktion gesamtwirtschaftliche Kosten von 910.000 €. Externe Kosten können auch erst in der Zukunft anfallen und nachfolgende Generationen belasten, so etwa bei Folgeschäden heutiger Umweltzerstörungen. 9 Grundlagen Volkswirtschaftslehre 2 Grundelemente Externe Kosten führen zu einer Verzerrung marktwirtschaftlicher Informationen und Prozesse (Preise) und damit zu einem (partiellen oder totalen) Marktversagen, denn nur die internen Kosten werden in die Verkaufspreise einkalkuliert und von den Käufern bezahlt. Entstehen woanders (jetzt oder später) zusätzlich externe Kosten, hat das Unternehmen einen ökonomisch nicht gerechtfertigten Kosten- und Preisvorteil. Dann sollte im Interesse einer gesamtwirtschaftlich richtigen Lenkung dafür gesorgt werden, dass die Verursacher (Unternehmen bzw. Käufer) sämtliche Kosten tragen (Verursacherprinzip). 2.2.5 Knappheit und Preise Es ist eine allgemeine Lebenserfahrung, dass die verfügbaren und herstellbaren Güter nicht ausreichen, sämtliche Wünsche danach zu erfüllen. Dieser Tatbestand heißt Knappheit. Dabei kann der Grad der Knappheit bei einem bestimmten Gut räumlich und zeitlich variieren. Güter sind mehr oder weniger knapp. Beispiele: Parkplätze in der Innenstadt zu unterschiedlichen Zeiten. Ferienwohnungen in der Hauptsaison und in der Vorsaison. Knappe Güter (= wirtschaftliche Güter) liegen vor, wenn die verfügbare Menge nicht ausreicht, sämtliche Bedürfnisse danach zu befriedigen. Im Ausnahmefall wird es zu bestimmten Zeiten oder an bestimmten Orten Güter geben, die in ausreichender Menge zur Verfügung stehen. Sie heißen freie Güter. So können Nordseewasser am Nordseestrand und Eis am Südpol als freie Güter gelten. Auch Luft und Wasser werden hier häufig genannt, was allerdings schon nicht mehr generell zutrifft. Reine Luft und sauberes Wasser werden weltweit immer mehr zu wirtschaftlichen Gütern. Der Tatbestand der Knappheit ist Ausgangspunkt des Wirtschaftens schlechthin. Erst hieraus ergibt sich die Forderung nach einer bestmöglichen (optimalen) Verwendung (Allokation) der knappen Mittel (Ressourcen). Für die Lenkung des Mitteleinsatzes ist der Preis eine zentrale Orientierungsgröße. Für ein freies Gut wird vernünftigerweise niemand einen Preis entrichten. Ist dagegen ein Gut knapp, so werden Menschen gewillt sein, dafür zu bezahlen, um in den Genuss des Gutes zu gelangen. Sie verdrängen andere, die weniger (oder nichts) bezahlen wollen oder können. Je dringender das Bedürfnis empfunden wird, desto höher wird auch die Zahlungsbereitschaft sein. Hieraus folgt: Der Preis ist bei freier Preisbildung ein Knappheitsindikator. Die Schlussfolgerung, dass umgekehrt alle Güter, für die man keinen Preis entrichten muss, freie Güter sind, ist nun allerdings nicht zulässig. So ist der Schulbesuch oder die Benutzung von Autobahnen für Pkw in Deutschland (noch) gebührenfrei. Dennoch handelt es sich um knappe Güter, denn viele wären zur Bezahlung bereit. Somit würden diese Güter bei reiner marktwirtschaftlicher Lenkung einen Preis er- 10 Grundlagen Volkswirtschaftslehre 2 Grundelemente zielen. Indessen hat in all diesen Fällen der Staat (die Mehrheit im Parlament) den Preismechanismus außer Kraft gesetzt und einen „Nulltarif“ beschlossen. In abgeschwächter Form werden durch Subventionen manche Preise reduziert, andere durch Steuern erhöht. Dafür mag es gute Gründe geben, doch sollte man mögliche Konsequenzen bedenken: • Erstens kommt es zu Umverteilungseffekten. Güterproduktion verursacht immer und überall selbstverständlich Kosten. Wenn aber die Nutzer nicht unmittelbar dafür zahlen, muss die Finanzierung durch andere Belastungen erfolgen (Steuern, höhere Preise für andere Güter). • Zweitens ist die wichtige Signalfunktion des Preises als Knappheitsindikator geschwächt oder gar völlig beseitigt. Es kann zu Fehllenkungen in der Wirtschaft kommen, denn es gilt: Hohe Preise signalisieren große Knappheit und regen zur Sparsamkeit an. Niedrige Preise signalisieren umgekehrt einen geringen Knappheitsgrad und verleiten zur Verschwendung. Der Zusammenbruch der Planwirtschaften in Osteuropa hat sicherlich eine wichtige ökonomische Ursache darin, dass viele Preise den Nutzeneinschätzungen der Haushalte nicht entsprachen. Ohne richtige Informationen kann es nun einmal keine richtigen Entscheidungen geben. Falsche Preise setzen falsche Signale und schaffen falsche Produktionsstrukturen, je länger desto schlimmer. Beispiele: Wenn warmes Wasser für die Heizung von Wohnungen dem Nutzer kein Geld kostet, sind thermostatische Ventile an den Heizkörpern aus individueller ökonomischer Sicht überflüssig. Der Nulltarif signalisiert Überfluss, provoziert einen verschwenderischen Umgang und bewirkt eine entsprechende Produktionsausweitung – oder Versorgungsengpässe. In marktwirtschaftlichen Systemen geht man davon aus, dass es sich bei den Konsumentscheidungen um eine freie Entscheidung mündiger Personen handelt, die selbst am besten wissen, was ihnen am meisten nützt. In ihrer Nachfrage dokumentiert sich ihre individuelle Bewertung und jene Auswahl, die nach ihrer Meinung eine bestmögliche Befriedigung ihrer eigenen Bedürfnisse darstellt. Sicherlich trifft diese Idealvorstellung nicht immer zu. Gleichwohl gilt es, diese Entscheidungen zunächst einmal grundsätzlich zu respektieren und davon nur in begründeten Fällen abzuweichen. Wir erwarten, dass sich Produktion und Güterangebot in der Marktwirtschaft auf die Bedienung der Nachfrage ausrichten. In einer Marktwirtschaft reagieren Produktion und Angebot nicht auf die Bedürfnisse, sondern auf die (kaufkräftige) Nachfrage. Bedürfnisse ohne Kaufkraft bleiben unberücksichtigt. Wir haben schon angemerkt, dass es selbstverständlich viele Ausnahmen von diesem Prinzip gibt, was sich dann als staatliche Eingriffe in den Marktmechanismus 11 Grundlagen Volkswirtschaftslehre 2 Grundelemente niederschlägt. Sie reichen vom Verbot (z.B. Rauschgift) über die Reduzierung der Nachfrage nach „schädlichen“ Gütern (z.B. Alkohol, Tabak, umweltschädigende Produkte) bis hin zur Stimulierung der Nachfrage nach „erwünschten“ Gütern (Katalysator, energiesparende Heizung). Insbesondere für die Nutzung natürlicher Ressourcen wird vielfach (noch) kein Preis entrichtet, meist weil kein direkter „Eigentümer“ vorhanden ist. So ist etwa die Entnahme von Wasser aus Flüssen oder die Nutzung der Luft zu Produktionszwecken in weiten Bereichen noch immer „kostenlos“. Dies signalisiert, dass ein sparsamer Umgang nicht erforderlich ist, was ökonomisch sogar richtig wäre, wenn es sich tatsächlich um freie Güter handelte. Sind natürliche Ressourcen heute (und künftig) indessen knappe und kostbare Güter, so muss die Gesellschaft als „Eigentümer“ durch (höhere) Preise die wirkliche Knappheit ausdrücken und den ökonomische Zwang zur sparsamen, umweltschonenden Verwendung ausüben. Übungsaufgabe 1− −12: Nennen Sie zu den folgenden Produktionsprozessen den/die Output/s und einige Inputs: a) Bäckerei d) Hochschule b) Endmontage Computer e) Wohnungsmakler c) Polizei f) Taxiunternehmen Zur Überlegung: Man stelle sich vor, Brot oder Milch gäbe es ohne Bezahlung, weil es sich doch um unverzichtbare Nahrungsmittel handelt, die jeder benötigt. Spielen Sie doch bitte einmal gedanklich durch: Was wird wahrscheinlich geschehen? Wie viel soll produziert werden? Wer bekommt wie viel? Genug für alle? Was bedeutet das? Wer entscheidet darüber? Wer bezahlt die Produzenten? Also urteilen Sie möglicherweise: ökonomischer Unfug. Doch worin besteht der Unterschied etwa zur gebührenfreien Nutzung von Stadtbibliotheken, Hochschulen (Studium) und Autobahnen? Darüber kann man ja einmal nachdenken. Übungsaufgabe 2− −12: Ein Industriebetrieb fertigt Schrauben. Abrechnungsperiode ist das Kalenderjahr. In einer Liste, die auch als Kalkulationsgrundlage dient, finden Sie folgende Aufstellung der „Kosten“ für das betreffende Jahr: a) b) c) d) e) f) g) h) i) j) k) l) m) Löhne für Akkordarbeiten Gehalt des Geschäftsführers Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung Zahlungen im Januar für Stromverbrauch im Dezember des Vorjahres Miete für ein Verkaufsbüro in der Innenstadt Spende an das Rote Kreuz Zahlungen an eine Reinigungsfirma Brandschutzversicherung freiwillige Zahlung von Urlaubsgeld an Mitarbeiter Ausgaben (Anschaffungskosten) für einen neuen Roboter Zinsen für aufgenommene Kredite zum Kauf des Roboters Tilgung einer Restschuld bei der Bank Kauf von Rohstahl, der aber erst im kommenden Jahr benötigt und jetzt gelagert wird. Was sind hier keine Kosten im betrieblichen Sinne? 12 Grundlagen Volkswirtschaftslehre 2 Grundelemente 2.3 Geld und Kredit 2.3.1 Funktionen des Geldes In einer hochgradig arbeitsteiligen Wirtschaft sind die unzähligen Tauschakte ohne ein allgemeines Tauschmittel nicht zu bewältigen. Allgemeines Tauschmittel bedeutet, dass jedermann bereit ist, dieses Tauschmittel als Gegenleistung für Güter in Empfang zu nehmen, weil er darauf vertraut, dass er seinerseits damit Güter erwerben kann. Ein solch allgemeines Tauschmittel heißt Geld. Geld ist das in einer Wirtschaft allgemein akzeptierte Tauschmittel. In der historischen Entwicklung haben viele Güter die Rolle als Geld übernommen, so etwa Perlen, Muscheln, Vieh, Salz und insbesondere die Edelmetalle Silber und Gold. Geld kann viele Erscheinungsformen annehmen. Entscheidend sind die drei Aufgaben, die das Geld in einer Wirtschaft hat. Abbildung 4− −13: Funktionen des Geldes Funktionen des Geldes Allgemeines Tauschmittel (auch: Zahlungsmittel) Wertaufbewahrungsmittel Recheneinheitsmittel Geld als Tauschmittel ermöglicht es, die ursprüngliche Tauschbeziehung Ware gegen Ware (Naturaltausch) in zwei Beziehungen aufzuspalten: Ware Geld und Geld Ware Hierdurch werden die Tauschbeziehungen vielfältiger, einfacher und effizienter, weil man nicht darauf angewiesen ist, für seine eigenen Erzeugnisse den passenden Lieferanten zu finden, der das angebotene gegen das gewünschte Gut eintauscht. Man stelle sich einmal vor, der Arbeiter in der Automobilindustrie erhielte als Lohn 1/4 Auto [?!], das er gegen Brot, Schuhe, Miete usw. eintauschen müsste. Weiterhin können die Tauschakte zeitlich verschoben werden. Wer Geld erworben hat, kann warten bis er Güter benötigt und auch einen Vorrat an Geld halten, um zahlungsfähig (liquide) zu sein. Geld ist also ein Mittel der Wertaufbewahrung. Schließlich dient Geld als Recheneinheit. Es ermöglicht die Addition von „Äpfeln und Birnen“, indem der Wert aller Güter in einem einheitlichen Maßstab ausgedrückt werden kann. 2.3.2 Bargeld und Buchgeld Allgemein akzeptierte Tauschmittel in der heutigen Wirtschaft sind zunächst einmal die Münzen und Banknoten. Sie zusammen sind das Bargeld. Allerdings wird nur noch etwa 30% des Zahlungsverkehrs mit Bargeld abgewickelt, bereits mehr als 70% aller Zahlungen erfolgen bargeldlos durch Verfügungen über Bankeinlagen (Bankguthaben) mit Hilfe von Lastschriften, Überweisungen usw. Sichteinlagen sind die täglich fälligen Bankguthaben und wie Bargeld jederzeit verfügbar. 13 Grundlagen Volkswirtschaftslehre 2 Grundelemente Abbildung 5− −14: Geldarten Arten des Geldes Bargeld Münzen Sichteinlagen Noten (tägliche Fälligkeit) Termineinlagen Marktpapiere (Laufzeit bis 2 Jahre, Kündigungsfrist bis 3 Monate) Geldmarktpapiere, Geldmarktfondsanteile, Refinanzierungsposten Liquide Mittel Im Hinblick auf die Geldpolitik (Geldmengensteuerung) ist es zweckmäßig, auch solche Geldanlagen zu berücksichtigen, die in „absehbarer“ Zeit zur Verfügung stehen oder relativ unproblematisch in liquide Mittel umwandelbar sind – durch Verkauf oder Beleihung. Das sind die Termineinlagen (zeitlich festgelegte Bankguthaben) und die Marktpapiere, die bei der Zentralbank zur Beschaffung von Bargeld (Verkauf) eingesetzt werden können. (Einzelheiten dazu folgen später). 2.3.3 Forderungen und Verbindlichkeiten Forderungen und Verbindlichkeiten sind ganz allgemein die zwei Seiten einer Kreditbeziehung. Forderung bedeutet, dass der Gläubiger einen Anspruch gegen den Schuldner hat. Aus dessen Sicht handelt es sich um eine Verbindlichkeit (= Schulden). Ein weiteres Beispiel für Forderungen (und Verbindlichkeiten) sind die Bankeinlagen. Wer ein Guthaben auf seinem Konto hat, besitzt als Gläubiger gegenüber der Bank einen Anspruch auf Herausgabe von Bargeld (= Forderung). Dies entspricht aus der Sicht der Bank (= Schuldner) einer Verpflichtung zur Herausgabe von Bargeld (= Verbindlichkeit), wenn der Kunde dies möchte. Sogar Banknoten sind ihrem ökonomischen Charakter nach Forderungen. Früher hatte der Inhaber einer Banknote gegenüber der ausstellenden Notenbank (Schuldner) einen konkreten Anspruch auf Herausgabe von Gold oder auch anderer Sachwerte: das Geld war „gedeckt“. Dies ist heute nicht mehr der Fall. Gleichwohl verbucht eine Zentralbank (in der Europa die Europäische Zentralbank) jede herausgegeben Banknote als ihre Verbindlichkeit. Dementsprechend besitzt der Noteninhaber eine (abstrakte) Forderung gegenüber der Zentralbank. Geld hat keinen eigenen Wert, es stiftet keinen (unmittelbaren) Nutzen. Deshalb ist Geld im ökonomischen Sinne auch kein Gut. Der reale Wert des umlaufenden Geldes ist vielmehr durch die Menge der Güter bestimmt, die man damit erwerben kann. Nur Produktion schafft reales Einkommen, und Geld ist ein Anspruch auf reale Güter. Dies ist ein Grund dafür, dass es zweckmäßig ist, alle Geldarten – auch das Bargeld – als Forderungen (gegenüber Banken, einschließlich der Notenbank) zu behandeln. Geld ist kein Gut, sondern eine Forderung (und Verbindlichkeit). 14 Grundlagen Volkswirtschaftslehre 2 Grundelemente 2.4 Vermögen und Vermögensbildung Zum besseren Verständnis dieses Abschnitts ist die Unterscheidung von Bestandsgrößen und Stromgrößen wichtig. Einzelheiten dazu finden Sie im Anhang I. 2.4.1 Sachvermögen und Geldvermögen Das Vermögen eines jeden Wirtschaftssubjektes (Unternehmen, Haushalt, Staat) kann zu einem bestimmten Zeitpunkt ganz allgemein aus Sachvermögen und Geldvermögen bestehen. • Sachvermögen sind die Grundstücke, Gebäude, Maschinen, Fahrzeuge, Haushaltsgeräte, Möbel, Bücher usw. • Geldvermögen besteht nicht nur das Bargeld und Kontoguthaben, sondern schließt in einem sehr weiten Sinne beispielsweise auch Aktien und andere Wertpapiere ein, abzüglich aller Schulden. Geldvermögen ist die Differenz aller Forderungen und Verbindlichkeiten. Das Geldvermögen eines Wirtschaftssubjektes kann bei entsprechend hohen Schulden durchaus negativ sein. Negatives Geldvermögen ist keineswegs selten, sondern durchaus üblich, wenn etwa ein Grundstücks- oder Autokauf mit Krediten (Kleinkredit, Bauspardarlehn oder Investitionskredit) finanziert wird, weil die vorhandenen Mittel nicht ausreichen. Das (negative) Geldvermögen ist dann durch Sachvermögen „gedeckt“. Ist allerdings das negative Geldvermögen durch Sachwerte nicht gedeckt, dann ist das Gesamtvermögen negativ („Überschuldung“). Bei Unternehmen gilt Überschuldung als Konkursgrund. Die Summe aus Sachvermögen und Forderungen (einschließlich Bargeld, aber ohne die Schulden) ist das Bruttovermögen. Zieht man davon die Verbindlichkeiten ab, ergibt sich wiederum das Gesamtvermögen (= Nettovermögen oder Reinvermögen). Abbildung 6− −15: Vermögensrechnung Forderungen – Verbindlichkeiten = Geldvermögen Sachvermögen Sachvermögen + Geldvermögen = Nettovermögen Schulden Forderungen Reinvermögen = Nettovermögen Bruttovermögen Bruttovermögen Beispiel: Ute besitzt Sachwerte (Kleidung, Bücher usw.) im Wert von 2.000 € (Sachvermögen). Ihr Gehaltskonto ist mit 800 € überzogen (Verbindlichkeiten), und ihr Aktienpaket hat einen Wert von 200 € (Forderungen). Damit ist ihr Geldvermögen negativ (– 600 €). Ihr Reinvermögen beträgt aber + 1.400. Ute besitzt ein Bruttovermögen von 2.200 €. Zieht sie davon ihre Schulden ab, gelangt sie wiederum zu ihrem Nettovermögen von 1.400 €. 15 Grundlagen Volkswirtschaftslehre 2 Grundelemente 2.4.2 Vermögen und Ersparnis Bezugsbasis für viele Entscheidungen der Haushalte ist ihr „verfügbares Einkommen“. Es besteht aus sämtlichen Einkünften wie Löhnen und Gehältern, Zinseinkünften, Dividenden, Mieteinkünften, Renten, Kindergeld, Arbeitslosengeld, Krankengeld usw., – nach Abzug aller Sozialbeiträge und der Lohn- und Einkommenssteuer. Es gibt nur zwei Möglichkeiten der Einkommensverwendung: Konsum und Konsumverzicht. • Die Summe aller Ausgaben eines Haushalts für Güter nennen wir Konsum (C) oder auch Verbrauch. Dazu gehören neben den Verbrauchsgütern (Waschpulver, Mehl, Obst, Benzin, Strom usw.) auch sämtliche Ausgaben für Gebrauchsgüter (Auto, Waschmaschine usw.). • Verzicht auf Konsumausgaben heißt Ersparnis (S). Es kann sich dabei um Bargeld, Kontoguthaben oder Kauf von Aktien und sonstigen Wertpapiere handeln. Das Vermögen (Bestandsgröße) wächst durch Einkommen (Zugang), durch Konsumausgaben sinkt es wieder (Abgang). Die Differenz aus Einkommen und Konsum ist die „Ersparnis“. Sie ist zugleich die Nettoveränderung des Vermögens. Ersparnis = Einkommen (verfügbares) − Konsum S = Yv – C Ersparnis = Änderung des Nettovermögens S = V1 – V0 Anfangsvermögen + Anfangsvermögen + Einkommen – Ersparnis Konsum = Endvermögen = Endvermögen Einkommen, Verbrauch und auch Ersparnis sind Stromgrößen und beziehen sich stets auf eine bestimmte Zeitperiode (Jahr, Monat usw.), also etwa die Ersparnis im Monat März (oder pro Jahr). Davon abweichend kennzeichnen „Ersparnisse“ im alltäglichen Sprachgebrauch auch die zu einem Zeitpunkt vorhandenen Vermögensbestände, etwa im Sinne von „angesammelten Ersparnissen“ (z. B. Guthaben auf einem Sparbuch, Bargeld im Wäscheschrank). In den Konsumausgaben sind auch die Käufe von langlebigen Sachgütern enthalten. Mit dem Erwerb durch Haushalte gelten sie Im volkswirtschaftlichen Rechnungswesen als „verbraucht“. Haushalte besitzen demnach (statistisch) kein Sachvermögen, sondern nur Geldvermögen. Die Ersparnis kann auch negativ sein, wenn nämlich die Konsumausgaben das Einkommen übersteigen. Die Lücke muss dann entweder durch Auflösung von Vermögen (z. B. Abhebung vom Konto, Verkauf von Sachwerten) oder durch Kreditaufnahme (Kontoüberziehung, Kleinkredit) finanziert werden. Beispiele: Ehepaar S. hat im Monat Februar ein verfügbares Einkommen von 2.600 €. Es gibt 2.100 € für Miete, Essen, Hausratversicherung usw. aus (= Konsum), hat also 500 € im Februar gespart. Dies ist ein Vermögenszuwachs, etwa als Zunahme des Barvermögens oder Kontoguthabens, als Kauf von Aktien oder auch als Tilgung eines Bauspardarlehns (Schuldenabnahme ist eine Zunahme des Nettovermögens). Familie F. hat im August ein Einkommen von Yv = 4.000 €. Wegen einer Urlaubsreise in diesem Monat belaufen sich alle Konsumausgaben auf C = 7.000 €. Die (negative) Ersparnis von S = – 3.000 € finanziert sie, indem sie vom Sparbuch 16 Grundlagen Volkswirtschaftslehre 2 Grundelemente 2.000 € abhebt und mit 1.000 € das Gehaltskonto überzieht (= Kreditaufnahme). Das Vermögen ist um 3.000 € gesunken. Bitte beachten Sie: Eine Kreditaufnahme ist – für sich betrachtet – keine Änderung des Nettovermögens, sondern nur eine Vermögensumschichtung. Zwar wachsen die Schulden, zugleich nehmen aber auch die Forderungen (Bargeld, Kontogutschrift usw.) zu: Das Geldvermögen bleibt unverändert. Gleiches gilt für die Tilgung. (Zinszahlungen sind aber eine Vermögensabnahme.) Sieht man einmal von Schenkungen (Erbschaft usw.) ab, so basiert eine Zunahme des Reinvermögens der Haushalte letztlich auf ihre Ersparnis. Sparen ist eine aktive Form der individuellen Zukunftsplanung. Quelle der Vermögensbildung bei den privaten Haushalten ist ihre Ersparnis. Der Anteil der Ersparnis am verfügbaren Einkommen ist die Sparquote. Sie ist von erheblicher gesamtwirtschaftlicher Bedeutung. Konjunkturell gesehen bedeutet rückläufiges Sparen steigenden Konsum und ist wachstumsfördernd. Langfristig aber sind Ersparnisse als Finanzierungsquelle von Investition unverzichtbar für die volkswirtschaftliche Kapitalbildung, für Wachstum und Beschäftigungssicherung. Abbildung 7− −17: Sparquoten im internationalen Vergleich Eine Studie der Europäischen Zentralbank und der OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit) stellt erhebliche Unterschiede im Sparverhalten in Europa, den USA und Japan fest. Eine wichtige Ursache für die starke Abweichung der Sparquoten sind die Unterschiede in den Steuer- und Sozialsystemen. Auch die unterschiedliche Einstellung der Bevölkerung zum Sparen spielt eine Rolle. Die deutsche Sparquote liegt leicht über dem Durchschnitt in Europa, folgt aber ansonsten dem europäischen Trend. 17 Grundlagen Volkswirtschaftslehre 2 Grundelemente 2.4.3 Eigenkapital und Gewinn Die Vermögensrechnung einer Unternehmung heißt Bilanz. Hier gelten im Kern die gleichen Aussagen, allerdings haben sich hier besondere Begriffe eingebürgert. Abbildung 8− −18: Struktur einer Bilanz Aktiva Forderungen – Fremdkapital = Geldvermögen Sachvermögen + Geldvermögen = Eigenkapital Sachver mögen Bilanz Passiva Anlagevermögen Fremdkapital (= Schulden) Lagerbestände Forderungen Umlaufver mögen Eigenkapital (= Reinvermögen) Bilanzsumme Bilanzsumme Die linke Seite listet das Bruttovermögen (Aktiva) auf. Die rechte Seite zeigt, wem dieses Vermögen gehört (Passiva). So ist also das rechts stehende „Kapital“ weder als Realkapital noch als irgendwie vorhandene Geldmittel zu interpretieren, sondern es beschreibt die Ansprüche an das Bruttovermögen einer Unternehmung. • In Höhe des Fremdkapitals (FK) haben Außenstehende einen Anspruch. • Das Eigenkapital (EK) ist eine reine Differenzgröße (Saldo) und gibt an, welcher Anteil am Bruttovermögen den Eigentümern verbleibt. Auf der Aktivseite der Bilanz wird in der BWL üblicherweise zwischen Anlagevermögen und Umlaufvermögen unterschieden. Der Unterschied zu unserer Systematik sind die Lagerbestände. Vorräte sind Sachvermögen (und Umlaufvermögen), aber kein Anlagevermögen. Die Bilanz ist eine Bestandsrechnung (Stichtag). Die Veränderungen der jeweiligen Bestände werden in der Buchhaltung (Stromrechnung) aufgezeichnet. Hinsichtlich des Unternehmenserfolges interessiert vor allem der Bilanzgewinn, als die markante Zielgröße marktwirtschaftlicher Unternehmen. Der Bilanzgewinn (Stromgröße) ist die Nettoänderung des Eigenkapitals (Bestandsgröße) zwischen zwei Zeitpunkten. Jede Zunahme des Eigenkapitals heißt Ertrag, jede Abnahme des Eigenkapitals ist Aufwand. (Hier bleiben Kapitalzuführungen und Entnahmen außer Betracht). Bilanzgewinn = Ertrag − Aufwand GB = Et – Aw Bilanzgewinn = Nettoänderung des Eigenkapitals GB = EK1 – EK0 Anfangs-Eigenkapital + Anfangs-Eigenkapital + Ertrag – Aufwand Bilanzgewinn = End-Eigenkapital = End-Eigenkapital Beispiel: Das Eigenkapital der Unternehmung U-GmbH belief sich am Jahresanfang auf 5 Mio. € (Anfangsbestand). Im Jahre betrugen die Aufwendungen (Abgang) 17 Mio. € und die Erträge (Zugang) 17,3 Mio. €. Demnach wurde ein Bilanzgewinn von 0,3 Mio. € erzielt. Um diesen Betrag von 0,3 Mio. € hat sich das Eigenkapital erhöht (Nettoveränderung). Es betrug am Jahresende (Endbestand) 5,3 Mio. €. In der Abschlussbilanz einer Unternehmung werden üblicherweise die Gewinne (oder Verluste) ausgewiesen. Dann ist das dort ausgewiesene Eigenkapital das Anfangseigenkapital. 18 Grundlagen Volkswirtschaftslehre 2 Grundelemente Wodurch steigt das Eigenkapital (Nettovermögen) einer Unternehmung? Durch Investitionen? Durch Nettoinvestition wächst zwar das Sachvermögen der Unternehmen, nicht aber das Eigenkapital. Investitionen sind nur eine Umwandlung von Geldmittel in Sachvermögen – aber kein Zuwachs des Reinvermögens. Die Art der Finanzierung ändert nichts an dieser Einsicht: – Verfügt ein Unternehmen über eigene Mittel für Investitionen, werden Forderungen in Sachvermögen umgewandelt. Die Bilanzsumme (Bruttovermögen) bleibt unverändert. Das ist keine Zunahme des Eigenkapitals. – Eine Finanzierung durch Kreditaufnahme (Fremdkapital) erhöht zwar die Bilanzsumme, ist aber wiederum keine Zunahme des Eigenkapitals. So geht es also nicht. Zentrale Quelle der Vermögensbildung sind die unverteilten Gewinne nach Abzug der (direkten) Steuern – und natürlich die Eigenkapitalzuführungen (Kapitalerhöhung) von außen. Quelle der Eigenkapitalbildung bei Unternehmen ist der Bilanzgewinn. Zur Beurteilung der wirtschaftlichen Situation einer Unternehmung werden Bilanzgrößen zueinander in Beziehung gesetzt. Wichtige Bilanzkennziffer sind beispielsweise die Eigenkapitalquote (Anteil des Eigenkapitals am Gesamtkapital) und die Eigenkapitalrentabilität (rEK). Sie erteilt Auskunft darüber, mit welchem Erfolg („Verzinsung“) das Eigenkapital eingesetzt wurde. Berechnungsgrundlage ist das durchschnittlich eingesetzte Eigenkapital (Mittelwert aus Anfangs- und Endeigenkapital) oder auch das Anfangseigenkapital. Eine verwandte Kennziffer ist die Umsatzrentabilität (rU). Hier wird der Gewinn auf den Umsatz (E = Erlös) bezogen. Die Umsatzrentabilität zeigt, wie viel Prozent vom Erlös nach Abzug aller Kosten als Gewinn verbleibt. Eigenkapitalrentabilität rEK = GB Bilanzgewi nn = EK Eigenkapit al Umsatzrentabilität rU = GB Bilanzgewinn = E Umsatz Beispiel: Die nachfolgenden Zahlen (in Mrd. Euro, gerundet) sind die tatsächlichen Werte aller deutschen Unternehmen für das Jahresende 2001 (Quelle: Deutsche Bundesbank, Monatsbericht April 2003, S.52). Die Bilanzsumme von 2.200 besteht jeweils etwa zur Hälfte aus Sachvermögen und Forderungsvermögen. Bei einem Fremdkapital von 1.800 beträgt das Eigenkapital 400; das sind rund 18% des Gesamtkapitals (= Eigenkapitalquote). Bei einem Umsatz von 3.400 wurde ein Bilanzgewinn (Jahresüberschuss) von 64 erwirtschaftet. Das Eigenkapital am Jahresanfang war folglich 336 (400 – 64). rEK = 64 : 368 = 17,4 % (Durchschnitt aus 336 und 400) rU = 64 : 3.400 = 1,9 % 19 Grundlagen Volkswirtschaftslehre 2 Grundelemente Bislang wurde ganz bewusst von „Bilanzgewinn“ (GB) gesprochen, um darauf aufmerksam zu machen, dass noch ein anderer Gewinnbegriff von Bedeutung ist, und zwar der „betriebliche Gewinn“ (G) als die Differenz aus Erlös (= Umsatz) und Kosten: GB = Bilanzgewinn = Ertrag – Aufwand G = Betriebsgewinn = Erlös – Kosten In vielen volks- und auch betriebswirtschaftlichen Grundüberlegungen ist der Unterschied bedeutungslos. Allerdings können insbesondere im betrieblichen Rechnungswesen, und hier vor allem im Hinblick auf eine saubere Kostenrechnung und Kalkulation (Preisfindung), die Abweichungen sehr wichtig sein. So wollen wir zur Klarstellung festhalten, dass immer dann, wenn einfach nur von „Gewinn“ die Rede ist, der betriebliche Gewinn und nicht der Bilanzgewinn gemeint ist, sofern aus dem Zusammenhang keine andere Begriffsfassung erkennbar ist. Übungsaufgabe 3− −20: Das Geldvermögen der privaten Haushalte in Deutschland betrug 2004 im Durchschnitt rund 95.000 € pro Haushalt. Das ergibt zusammen ein Geldvermögen aller privaten Haushalte von nahezu 3.700 Milliarden €. Eine wohl unvorstellbar große Zahl. Wie hoch schätzen Sie das Geldvermögen ein, wenn man zusätzlich noch die Unternehmen und den Staat berücksichtigt? Ist das volkswirtschaftliche Geldvermögen sehr viel höher? Etwa doppelt oder zehnmal so groß? (Hinweis: Es geht nicht um genaue Zahlen, sondern nur um eine Größenordnung. Aber: Aufpassen! Sorgfältig überlegen.) Übungsaufgabe 4− −20: Für die Aufstellung der Bilanz zum Jahresende liegen folgende Angaben vor: Gebäude und Grundstücke ...................................... 600.000 € Hypotheken-Restschuld (= Kredit)............................ 500.000 € Maschinen und anderes Anlagevermögen ............... 200.000 € Lagerbestände............................................................ 40.000 € Forderungen aus Lieferungen .................................... 60.000 € Verbindlichkeiten gegenüber Lieferanten ................. 100.000 € Kontoguthaben und Bargeld ....................................... 20.000 € Ertrag (hier = Umsatz) im Geschäftsjahr .................2,17 Mio. € Aufwand im Geschäftsjahr ......................................2,11 Mio. € Erstellen Sie die Bilanz zum Jahresende in Kontenform. Wie hoch sind Sachvermögen und Geldvermögen? Wie hoch sind Eigenkapitalquote, Eigenkapitalrentabilität und Umsatzrentabilität? 20 Grundlagen Volkswirtschaftslehre 3 Wertschöpfung 3 Wertschöpfung und Einkommen Produktion durch Umwandlung von Gütern ist Wertschöpfung und die reale Basis der Einkommensentstehung. Darum geht es in diesem Abschnitt. Zunächst beschäftigen wir uns mit den Produktionsmitteln (Input), danach mit den Produktionsergebnissen und dem Einkommen. Anschließend bilden wir aus diversen Einzelgrößen wichtige Kennziffern. 3.1 Produktionsfaktoren Eine in den Wirtschaftswissenschaften weit verbreite Einteilung der Produktionsfaktoren ist die Gliederung in Arbeit, Kapital und Natur. Produktionsfaktoren in diesem Sinne sind Bestandsfaktoren, die Leistungen abgeben: Arbeitsleistung, Nutzung von Kapital und Natur. Das sind die Produktionsmittel, einschließlich der verbrauchten Güter (Rohstoffe, Energie, Zulieferteile usw.) 3.1.1 Arbeitseinsatz: Erwerbstätige und Arbeitszeit Arbeitsleistung ist jede auf Erwerb gerichtete menschliche Tätigkeit. Freizeitbeschäftigungen, Hausfrauentätigkeit, Heimwerkerarbeit mögen durchaus mühselig sein, sie zählen aus volkswirtschaftlicher Sicht indessen nicht zu den Arbeitsleistungen, weil es an der unmittelbaren Erwerbsabsicht fehlt. A = Arbeitsleistung = auf Erwerb gerichtete menschliche Tätigkeit Die Einwohner eines Landes (= Inländer) gliedern sich in Nichterwerbspersonen und Erwerbspersonen (EP). Nichterwerbspersonen sind Kinder, Schüler, Rentner, Hausfrauen und andere Personen, die weder eine auf Erwerb gerichtete Tätigkeit ausüben noch danach suchen. Erwerbsperson sind die tatsächlich Erwerbstätigen und die (sofort verfügbaren) Erwerbslosen. Nach dem internationalem Konzept von ILO (International Labour Organisationen) ist • die Erwerbstätigenquote der Anteil der Erwerbstätigen zwischen 15 und 64 Jahren an der gleichaltrigen Bevölkerung, • die Erwerbslosenquote der Anteil der Erwerbslosen an den Erwerbspersonen. (Sie ist nicht ganz identisch mit der deutschen Arbeitslosenquote.) Abbildung 9− −21: Erwerbsbeteiligung Deutschland 2004 Einwohner (82.500) EP = Erwerbspersonen (42.700) Erwerbsquote (EP : Einwohner) = 51,8% ET = Erwerbstätige (38.700) Erwerbstätigenquote = 68% Selbständige (4.200) EL = Erwerbslose (4.000) Erwerbslosenquote = 9,2% Nichterwerbspersonen (39.800) Arbeitnehmer (34.500) Inländerkonzept (Wohnort),i n Tsd. (Jahresdurchschnitt), Quelle: Statistisches Bundesamt 21 Grundlagen Volkswirtschaftslehre 3 Wertschöpfung In einer anderen statistischen Abgrenzung nimmt man nicht das Wohnortkonzept (Inländerkonzept), sondern den Arbeitsort Deutschland (Inlandskonzept). Es werden dieselben Begriffe verwendet, nur eben in einer anderen Abgrenzung. Inlands- und Inländerkonzept Die Unterscheidung zwischen Inlandskonzept und Inländerkonzept gilt für viele gesamtwirtschaftliche Größen und wird uns daher noch öfter begegnen. Der zahlenmäßige Unterschied ist kleiner als man meinen könnte, wo doch so viele „Ausländer“ in Deutschland tätig sind. Nach der Staatsangehörigkeit wohnen in Deutschland über 7,3 Mio. Personen (davon 5,8 Mill. Europäer), von denen annähernd 2 Mio. beschäftigt sind. Das Kriterium für „Inländer“ und „Ausländer“ ist hier aber nicht die Nationalität, sondern allein der Wohnsitz. Alle Personen mit festem Wohnsitz in Deutschland – das trifft auf fast alle „Ausländer“ zu – gelten ökonomisch als Inländer. Die Differenz zwischen beiden Konzepten besteht im Wesentlichen also nur aus dem „Saldo der Pendler“. Er lag 2004 nur bei rund 86 Tsd. Personen. Die von allen Erwerbstätigen (Inländern und Ausländern) hier im Inland geleisteten Arbeitsstunden (ohne Urlaub, Krankheit usw.) bilden das Arbeitsvolumen (H). Die Jahresarbeitszeit pro Erwerbstätigen wollen wir einfach nur Arbeitszeit (h) nennen. Arbeitsvolumen = Erwerbstätige · Arbeitszeit H = ET · h Abbildung 10− −22: Arbeitseinsatz in Deutschland 1970 – 2003 1970 Erwerbstätige Inländer (Tsd) Erwerbstätige (Tsd.) Arbeitsvolumen (Mio. Stunden) Arbeitszeit (Stunden) 1980 1990 26.724 27.452 30.276 ET H h 26.618 27.377 52.075 47.611 1.956 1.739 30.276 47.412 1.566 2000 38.681 38.748 56.704 1.463 2004 38.782 38.868 55.453 1.427 Inlandskonzept, bis 1990 früheres Bundesgebiet, Quelle: Statistisches Bundesamt; für 2004 revidierte Ergebnisse. 3.1.2 Kapitaleinsatz: Investition und Abschreibung Zum besseren Verständnis dieses Abschnitts ist die Unterscheidung von Bestandsgrößen und Stromgrößen wichtig. Einzelheiten dazu finden Sie im Anhang I. Zur realen Betrachtung (… in konstanten Preisen) siehe Anhang II. Der Begriff Kapital wird in den unterschiedlichsten Varianten verwendet. Im Zusammenhang mit dem Produktionsprozess und als Produktionsfaktor ist darunter das Sachkapital (= Realkapital) zu verstehen. Der Kapitalstock wird durch das jahresdurchschnittliche Bruttoanlagevermögen (Jahresdurchschnitt in konstanten Preisen eines Basisjahres). Es umfasst alle produzierten Vermögensgüter, die dauerhaft und länger als ein Jahr in der Produktion eingesetzt werden. Das sind Bauten, Fahrzeuge, Maschinen und sonstige Ausrüstungen; immaterielle Anlagen (z.B. Software, Urheberrechte) sowie Nutztiere und Nutzpflanzungen. Einbezogen ist das öffentliche Sachkapital (Sozialkapital). Es besteht insbesondere aus den Infrastruktureinrichtungen wie Schulen, Krankenhäuser, Straßen usw. R = Realkapital = Kapitalstock = Anlagevermögen (in konstanten Preisen) 22 Grundlagen Volkswirtschaftslehre 3 Wertschöpfung Das Anlagevermögen ist eine Bestandsgröße. Sie ändert sich durch entsprechende Stromgrößen: Ibr Eine Zunahme des Sachvermögens basiert auf einer Investitionstätigkeit (neue Gebäude, Maschinen usw.). Jede Erhöhung nennen wir Bruttoinvestition. D Andererseits verlieren die Anlagegüter an Wert, weil sie bei der Produktion abgenutzt werden, weil sie veralten oder durch Schadensfälle vernichtet oder beschädigt werden. Jede Wertverringerung nennen wir Abschreibung. Mit Abschreibung ist hier der tatsächliche Wertverlust gemeint. Auf praktische Berechnungsprobleme und auf die Frage, in welcher Höhe ein Unternehmen Abschreibungen als Aufwand (oder Kosten) bei der Gewinnermittlung etwa für Steuerzwecke geltend machen darf, soll hier nicht eingegangen werden. In Die Differenz aus Zunahme (= Bruttoinvestition) und Abnahme (= Abschreibung) ist die Nettoinvestition. Sie gibt an, um welchen Betrag sich das Sachvermögen in einer Periode effektiv verändert hat. Aus praktischen Gründen werden Güter, die in der Anschaffung oder Herstellung weniger als 410 € kosten, nicht zu den Investitionen gezählt. Sie gelten im Anschaffungsjahr als verbraucht, auch wenn sie tatsächlich länger halten. Ansonsten müsste jeder Hammer und jede Kneifzange in der Bilanz als Anlagevermögen aufgeführt und über die Nutzungsdauer abgeschrieben werden. Nettoinvestition = Bruttoinvestition − Abschreibung In = Ibr – D Nettoinvestition = Nettoänderung des Kapitalstocks In = R1 – R0 Anfangs-Kapitalstock + Anfangs-Kapitalstock + Bruttoinvestition – Abschreibung = Nettoinvestition End-Kapitalstock = End-Kapitalstock Beispiel: Am Anfang des Jahres waren Maschinen im Wert von R0 = 800 Tsd. € installiert, die durch Verschleiß und technische Veralterung in Höhe von D = 200 Tsd. € an Wert verloren haben (Abschreibung). Neu investiert wurde im Laufe des Jahres für 300 Tsd. €. Von dieser Bruttoinvestition dienten also 200 Tsd. € nur dem Ersatz der Abnutzung. Zusätzliche Vermögenswerte wurden nur in Höhe der Nettoinvestition von In = 100 Tsd. € geschaffen. Das produktive Sachvermögen stieg um eben diese 100 Tsd. € auf R1 = 900 Tsd. €. Abbildung 11− −23: Kapitalstock und Investitionen in Deutschland 1991 1995 2000 2001 2002 2003 2004 Kapitalstock* R 8.008 8.991 10.112 10.336 10.528 10.694 Nettoinvestition** In – 233 234 224 192 166 Bruttoinvestition Ibr 400 408 436 398 362 371 380 Abschreibung D 229 266 305 315 322 327 335 Nettoinvestition In 171 142 131 84 41 44 45 * Neuberechnung; ** Differenz des Kapitalstocks zum Vorjahr; wegen anderer Basis und Berechnungsmethode mit Nettoinvestition darunter nicht vergleichbar (Quelle: Statistisches Bundesamt); Mrd. Euro in Preisen von 1995, Quelle: Sachverständigenrat 23 Grundlagen Volkswirtschaftslehre 3 Wertschöpfung 3.1.3 Natur und Umwelt Unter dem Produktionsfaktor Natur versteht man die zu wirtschaftlichen Zwecken genutzten natürlichen Gegebenheiten. Dazu zählen die natürlichen Hilfsquellen (Sonnenenergie, Wind usw.), Bodenschätze, Gewässer, Felder und Wälder. Der Boden (im engeren Sinne) dient als Anbau-, Abbau- und Standortboden. N = Natur = für wirtschaftliche Zwecke genutzte natürliche Gegebenheiten Abbildung 12− −24: Ökonomisches und ökologisches System Hauptfunktion des ökonomischen Systems ist die Produktion geeigneter Konsumgüter zur Bedürfnisbefriedigung. Bei der Produktion werden Produktionsmittel direkt . Das ökologische System hat – oder indirekt in Konsumgüter umgewandelt aus ökonomischer Sicht – drei Hauptfunktionen: – Die Umwelt ist Lieferant von Produktionsmitteln in Form erneuerbarer und nicht erneuerbarer Rohstoffe und anderer natürlicher Hilfsquellen (Ressourcen) . – Die natürliche Umwelt stellt elementare Konsumgüter für Gesundheit und Wohlbefinden des Menschen zur Verfügung . – Die Umwelt ist Empfangsmedium von Abfällen, Abgasen, Abwärme, Abwasser und anderen Nebenprodukten des Konsums und der Produktion . Emissionen sind der „Auswurf“ umweltbeeinträchtigender Stoffe, Gase und Geräusche. Sie entstehen sowohl bei der Produktion wie auch beim Konsum . Ein Teil der Emissionen wird durch Recycling dem ökonomischen System wieder zugeführt (als Produktionsmittel) . Immission ist die Einwirkung von Emissionen auf zu schützende Personen und Werte. Eine Emission wird erst durch die Vertei- 24 Grundlagen Volkswirtschaftslehre 3 Wertschöpfung lung und durch Umwandlung zu neuen Stoffen zu einer Immission, zu einem schädlichen Umwelteinfluss ). Die Schadstoffe reduzieren die Quantität und Qua- lität des ökologischen Systems als Produktions- und als Konsumgut. Das ökologische System besitzt aber auch die Fähigkeit zur (teilweisen) natürlichen Regeneration, die ihre ökonomischen Funktionen wieder verbessert und . Eines der Hauptprobleme der Natur als Produktions- und Konsumgut liegt darin begründet, dass die Umwelt in vielen Bereichen als „kostenloses“ Gut behandelt wird. Die tatsächlichen gesamtwirtschaftlichen Kosten gehen nicht oder nicht in vollem Umfang in die individuellen Kalkulationen und Wertschätzungen ein (externe Kosten). Dies führt zu einer Fehlallokation (falscher Verwendung) von Ressourcen. 3.1.4 Technischer Fortschritt Oftmals wird Technischer Fortschritt als eigenständiger Produktionsfaktor ausgewiesen. (Er kann auch als qualitative Komponente von Arbeit (Bildungsstand) und Realkapital angesehen werden.) Sicher ist der technische Fortschritt ist ein Hauptkennzeichen der wirtschaftlichen Entwicklung, insbesondere der letzten 200 Jahre. Ohne technischen Fortschritt wären Wirtschaftswachstum und Verbesserung des materiellen Wohlstands in diesem Ausmaß nicht möglich gewesen. Aber der technische Fortschritt ist nicht einheitlich definiert. Die Wirtschaftswissenschaften verstehen darunter nicht allein die völlige Neuentwicklungen, sondern auch die Verbesserungen und beziehen ihn sowohl auf die Güter als auch auf die Herstellungsmethoden. In einem sehr weiten Sinne werden selbst die Erschließung neuer Märkte sowie organisatorische und rechtliche Änderungen in der Unternehmensführung zum Technischen Fortschritt gezählt. Technischer Fortschritt ist die Vergrößerung und ökonomische Auswertung des naturwissenschaftlichen, technischen, organisatorischen und wirtschaftlichen Wissens in einer Volkswirtschaft. Hinsichtlich der zeitlichen Phasen beginnt der Technische Fortschritt mit einer Erfindung bzw. Entdeckung neuer Zusammenhänge, aus denen sich technische und ökonomische Verbesserungen ergeben können (Invention). Die dann tatsächlich realisierten Neuerungen und ihre wirtschaftliche Nutzung bilden die Innovationen. Übungsaufgabe 5− −25: Für eigene Berechnungen in einem Industriebetrieb benötigen Sie eine Zahl für das „Kapital“ als eingesetzten Produktionsfaktor. Auf welcher Seite einer Bilanz werden Sie fündig? Übungsaufgabe 6− −25: Ein Industrieroboter hat am Jahresanfang einen Wert von 83.000 €. Zur Leistungssteigerung wird eine neue Steuerung für 32.000 € eingebaut. Am Jahresende beläuft sich der Wert des Roboters noch auf 61.000 €. Wie hoch waren beim Roboter Abschreibung, Brutto- und Nettoinvestition? 25 Grundlagen Volkswirtschaftslehre 3 Wertschöpfung 3.2 Inlandsproduktrechnung 3.2.1 Überblick Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen (VGR) sind die Zusammenfassung mehrerer Strom- und Bestandsrechnungen, die das wirtschaftliche Geschehen in einer abgelaufenen Periode zahlenmäßig darstellen. Die Ergebnisse sind für Analysen, Entscheidungen und für die Beurteilung der Wirtschaftspolitik unentbehrlich. Die VGR bestehen aus der Inlandsproduktsberechnung, der Input-Output-Rechnung, der Finanzierungs-, der Arbeitsvolumen- und der Vermögensrechnung. Das eigenständige deutsche System wurde im April 1999 mit dem Übergang auf das für alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union verbindliche Europäische System Volkswirtschaftlicher Gesamtrechnungen (ESVG) 1995 aufgegeben. In etwa fünf- bis zehnjährigen Abständen findet eine grundlegende Überarbeitung (Revision) der Ergebnisse und Methoden der VGR statt. Die Inlandsproduktsberechnung ist vor allem auf die Darstellung von Marktvorgängen ausgerichtet. Hier werden die Entstehung, Verwendung und Verteilung des Bruttoinlandsprodukts (BIP) veröffentlicht. • Entstehungsrechnung: Wo ist die Gütermenge produziert worden? Welche Branchen haben welchen Beitrag zum BIP geleistet? • Verwendungsrechnung: Für welche Zwecke ist die Gütermenge verwendet worden? Wie viel ist für privaten und staatlichen Konsum, wie viel für Investitionen eingesetzt worden? Welchen Beitrag hat die Außenwirtschaft geleistet? • Verteilungsrechnung: Was ist überhaupt die verteilbare Gütermenge? Welche Gruppen und Mitglieder der Volkswirtschaft haben wie viel davon erhalten? Die Abbildungen 13-25 und 14-25 zeigen eine Übersicht über die Inlandsproduktrechnung, die wir anschließend näher erläutern. Wir beginnen bei der Wertschöpfungsrechnung und enden beim Volkseinkommen und beim verfügbaren Einkommen der Haushalte. Dabei können wir mehrere Wege einschlagen. Sie unterscheiden sich allein dadurch, in welcher Reihenfolge wir einige Größen abziehen oder addieren. Diese Wege sind mit unterschiedlichen Begriffen gepflastert, die uns aber nicht alle interessieren. Wir gehen die in Abbildung 14 fett markierten Pfade. Reales Gütervolumen In der realen Betrachtung kann man sich vorstellen, die im Verlauf eines Jahres produzierte Gütermenge werde in einem Riesenkasten gesammelt und aufgeteilt. Obwohl das Bild etwas realitätsfern ist, weil die „Aufbewahrung“ von Dienstleistungen unmöglich ist und auch viele Waren bereits in dem betreffenden Jahr verbraucht werden, vermittelt es gleichwohl einen zutreffenden Eindruck von den tatsächlichen Gegebenheiten. Gerade bei den Begriffen wie BIP und Wirtschaftswachstum, Konsum, Investition und Einkommen ist die reale Vorstellung außerordentlich hilfreich, denn letztlich geht es beim Wirtschaften nicht um Geld, sondern um reale Güter. Das BIP wird – wie alle anderen Größen auch – zunächst einmal „in jeweiligen Preisen“ gemessen. Dagegen wird das reale BIP in „konstanten Preisen eines Basisjahres“ ausgedrückt. Dadurch werden beim Zeitvergleich Preiseffekte statistisch eliminiert. Einzelheiten dazu finden Sie im Anhang IV. 26 Grundlagen Volkswirtschaftslehre 3 Wertschöpfung Abbildung 13− −27: Entstehung, Verwendung und Verteilung Entstehung Verteilung Verwendung Gütersteuern Saldo der Primäreinkommen aus der übrigen Welt –5,8 (abzügl. Subventionen) 211,9 Produktionsabgaben an Staat (abzüglich Subventionen) Staatliche Konsumausgaben 406,7 Bruttoinvestition 385,5 Außenbeitrag (Export - Import) Offentliche und private Dienstleister 430,9 Arbeitnehmerentgelt 1.133,2 Unternehmensund Vermögenseinkommen 482,4 Volkseinkommen 1.615,6 Finanzierung, Vermietung und Unternehmensdienstleister 623,8 Abschreibungen 323,6 Private Konsumausgaben 1.222,9 Primäreinkommen 1.847,6 Handel, Gastgewerbe und Verkehr 365,0 Bruttowertschöpfung 2.031,2 Produzierendes Gewerbe 589,1 Bruttoinlandsprodukt 2.177,0 Land- und Forstwirtschaft, Fischerei 22,4 114,1 Unterstellte Bankgebühren 66,0 Abbildung 14− −27: Wertschöpfung und Einkommen Bruttowertschöpfung BWS Bereinigung Bruttoinlandsprodukt BIP + Saldo der Primäreinkommen aus der Bruttonationaleinkommen übrigen Welt – Abschreibungen = Nettoinlandsprodukt – Abschreibungen + Saldo der Primäreinkommen aus der übrigen Welt – Produktionsabgaben + Subventionen = Nettoinlandsprodukt zu Faktorkosten + Saldo der Primäreinkommen aus der übrigen Welt Nettonationaleinkommen – Primäreinkommen Kapitalgesellschaften (Primäreinkommen) und Staat – Produktionsabgaben + Subventionen – Sozialbeiträge u. Steuern + Sozialleistungen Volkseinkommen Y Verfügbares Einkommen der privaten Haushalte Arbeitnehmerentgelt Inlandskonzept Primäreinkommen der privaten Haushalte + betriebliche Versorgungsansprüche Unternehmens- und Vermögenseinkommen Konsum + Sparen Inländerkonzept 27 Grundlagen Volkswirtschaftslehre 3 Wertschöpfung 3.2.2 Bruttowertschöpfung Wertschöpfung findet stets in einem Zeitraum statt. Deshalb brauchen wir bei der konkreten Berechnung sowohl beim Input wie auch beim Output eine saubere Zuordnung zu einer Abrechnungsperiode (hier Kalenderjahr). Abbildung 15-26 zeigt eine Zusammenfassung der anschließend beschriebenen Rechenschritte in Gleichungsform . Sie ist inhaltsgleich mit der Darstellung in Kontenform (Abbildung 14 -26). Jede Gleichung kann als Konto dargestellt werden – und umgekehrt, denn für die Summen gilt immer und überall: linke Seite = rechte Seite. Abbildung 15− −28: Leistung und Wertschöpfung Umsatz = Erlös (verkaufte Leistung) + Bestandsänderung (nur eigene Erzeugnisse) + Selbsterstellte Anlagen = Betriebliche Leistung = Produktionswert – PW Vorleistungen = Bruttowertschöpfung (Beitrag zum Bruttoinlandsprodukt) – VL = BWS (BIP) Abbildung 16− −28: Einzelwirtschaftliches Produktionskonto Vorleistungen Lieferungen von inländischen Unternehmen und Import BruttoWertschöpfung Erlös = Umsatz Lieferungen an inländische Haushalte und Unternehmen und Export Bestandsänderung (nur eigene Erzeugnisse) Selbsterstellte Anlagen Summe: Produktionswert Summe: Produktionswert Sämtliche Werte sind ohne die staatlichen Abgaben ausgewiesen. Auch die Erlöse enthalten keine Mehrwertsteuer. Sie sind also nicht zu Marktpreisen, sondern zu Faktorkosten bewertet. Der Wert aller in einem einzelnen Unternehmen produzierten Güter wird gemessen durch seine Betriebliche Leistung. Ihre Berechnung beginnt meistens mit dem Umsatz. Das ist die verkaufte Leistung. Dazu addieren wir die unverkaufte Leistung. Sie besteht aus den selbsterstellten Anlagen und der Lageränderung (nur eigene Erzeugnisse). Bei negativer Bestandsänderung (Lagerabnahme) sind Umsätze ohne betriebliche Leistung in der Abrechnungsperiode erzielt worden. Der gesamtwirtschaftliche Ausdruck für betriebliche Leistung ist Produktionswert. Der Produktionswert einer Unternehmung stellt allerdings nicht in voller Höhe ihre eigene Wertschöpfung dar, denn ein Teil davon ist von anderen Unternehmen bereits vorher geleistet (hergestellt) worden. Erst nach Abzug dieser Vorleistungen ergibt sich die Bruttowertschöpfung (BWS) einer Unternehmung. Vorleistungen (VL) sind die von anderen Unternehmen bezogenen und im Herstellungsjahr im Produktionsprozess wieder verbrauchten Güter. Auch durch Bearbeitung, durch Einbau von Teilen oder durch Weiterverarbeitung (Veredelung) gehen die ursprünglichen Güter im ökonomischen Sinne unter – sie „sind weg“. Sämtliche Dienstleistungen für Unternehmen (Transporte, Anwaltskosten usw.) sind naturgemäß stets Vorleistungen. 28 Grundlagen Volkswirtschaftslehre 3 Wertschöpfung Beispiele: Strom wird vom Elektrizitätswerk produziert und von Unternehmen verbraucht. Ein Zulieferer produziert Stoßstangen und liefert sie an das Automobilwerk. Dort verlieren sie – in das Auto eingebaut – den Charakter eines eigenständigen Gutes. Sie sind gehen ökonomisch gesehen unter, obgleich sie im Auto physisch und wertmäßig enthalten sind. Eine Gärtnerei, pflanzt Rosen in Töpfe und verkauft sie als Einheit (Output). Die einzelnen Rosen und Töpfe (Input) sind im ökonomischen Sinne „untergegangen“. Sämtliche Vorratsänderungen sind keine Vorleistungen, sondern werden den Investitionen zugerechnet, denn auch diese Güter sind „noch da“. Dazu gehören auch solche Rohstoffe und Zwischenprodukte, die erst in späteren Perioden verbraucht werden. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Lageränderung freiwillig geschieht oder etwa bei einer Nachfrageflaute höchst unerwünscht ist. Beispiel: Im Abrechnungsjahr produziert Sägewerk SPAN 10.000 Bretter und liefert sie an eine Tischlerei. Diese verkauft 1.000 Bretter an private Bastler (Konsum), verbraucht zur Anfertigung von Tischen 6.000 Bretter (Vorleistung) und lagert den Rest von 3.000 Brettern (keine Vorleistung, sondern Lagerzunahme = positive Investition). Im Folgejahr verbraucht die Tischlerei für die Möbelfertigung aus Lagerbeständen 1.500 Bretter (keine Vorleistung, sondern Lagerabnahme = negative Investition). Bruttoinlandsprodukt In der Entstehungsrechnung werden die Bruttowertschöpfungen der inländischen Unternehmen als ihre Beiträge zum BIP erfasst und aufaddiert (aggregiert). Die Vorleistungen sind auch deshalb abgezogen, um Mehrfachzählungen zu vermeiden. Beispiel: Firma „Wald & Forst eG“ liefert gefällte Bäume im Wert von 10.000 € an „Sägewerk GmbH“, die daraus Bretter fertigt und an das Unternehmen „Tisch & Bett AG“ für 30.000 € verkauft. Diese wiederum stellt Möbel im Verkaufswert von 80.000 € her. Die Summe aller Produktionswerte ergibt 120.000 € (Bäume plus Bretter plus Möbel). Wir hätten die Bäume dreifach und die Bretter doppelt gezählt. Darüber hinaus findet über zwei Zwischenposten eine weitere „Bereinigung“ statt. – Bankgebühren sind wie Vorleistungen (Wertschöpfung den Banken) zu behandeln. Sie werden bei der BWS-Rechnung der Unternehmen aber nicht isoliert erfasst und deshalb jetzt pauschal kalkuliert („unterstellt“) und abgezogen. – Die BWS der Unternehmen werden ohne Mehrwertsteuer und ohne alle übrigen Abgaben (Tabaksteuer, Mineralölsteuer, Zölle usw.) ausgewiesen. Das BIP wird aber in Marktpreisen ausgedrückt – und in den Marktpreisen der Güter sind die Mehrwertsteuer usw. eingerechnet. Deshalb werden die Gütersteuern jetzt addiert, und umgekehrt werden die Subventionen abgezogen. 29 Grundlagen Volkswirtschaftslehre 3 Wertschöpfung Abbildung 17− −30: Wertschöpfungsanteile der Wirtschaftsbereichen 2004 1970 Landund Forstwirtschaft; Fischerei 3% öffentliche und private Dienstleister 15% Finanzierung, Vermietung und Unterneh mensdienstleister 14% 2004 Handel, Gastgewerbe und Verkehr 19% Produzierendes Gewerbe (mit Bau) 49% Landund Forstwirt schaft; Fischerei 1% öffentliche und private Dienstleister 21% Finanzierung, Vermietung und Unterneh mensdienstleister 31% BWS 1970: 325,3 Mrd. Euro Handel, Gastgewerbe und Verkehr 18% Produzie rendes Gewerbe (mit Bau) 29% BWS 2004: 2.177,0 Mrd. Euro Bruttowertschöpfung In jeweiligen Preisen, Anteil in v.H., 1970 früheres Bundesgebiet Strukturwandel Eine Kernfrage der Entstehungsrechnung lautet: Welche Wirtschaftssektoren haben welchen Beitrag zum BIP geleistet? Die Verschiebungen in den jeweiligen Anteilen sind ein Kennzeichen des sektoralen Strukturwandels. Fast drei Viertel des BIP entstehen inzwischen in den Dienstleistungssektoren. Der Beitrag des Produzierenden Gewerbes ist auf weniger als ein Drittel gesunken. 3.2.3 Angebot und Nachfrage Unsere Ausgangsgrößen bei der Verwendungsrechnung sind das gesamtwirtschaftliche Angebot und die gesamtwirtschaftliche Nachfrage (Endnachfrage). • Das volkswirtschaftliche Angebot (AT) sagt, woher die Güter gekommen sind – entweder aus heimischer Produktion (= BIP) oder aus dem Ausland (= Importe). • Die volkswirtschaftliche Endnachfrage (NE) gibt Auskunft darüber, wohin die Güter gegangen sind. Hier unterscheiden wir als Empfänger die vier Wirtschaftssubjekte, und zwar können die Güter geblieben sein − bei privaten Haushalten als............... Konsumgüter...........................CH − bei Unternehmen als ......................... private Bruttoinvestition...........Ipr − beim Staat als ................................... Staatsausgaben ......................ASt − im Ausland als................................... Export......................................Ex In jeder abgelaufenen Periode sind gesamtwirtschaftliches Angebot und gesamtwirtschaftliche Nachfrage zwangsläufig immer gleich groß. Diese Gleichheit ist eine ex-post-Identität und gilt immer und überall, denn jedes Gut, das irgendwoher gekommen ist (= Angebot) muss irgendwo geblieben sein (= Nachfrage). 30 Grundlagen Volkswirtschaftslehre 3 Wertschöpfung Abbildung 18− −31: Verwendungsgleichungen Die mathematisch völlig überflüssige Klammer bei (Ex – Im) soll das Verständnis etwas erleichtern. Die Differenz zwischen Güterexport und Güterimport ist der Außenbeitrag (AB). Der Außenbeitrag kann positiv (= Exportüberschuss) oder negativ (= Importüberschuss) sein. Wenn wir jetzt auf beiden Seiten die Importe abziehen, dann erhalten wir die erste Variante der Verwendungsgleichung des BIP (Abbildung 18-29: 3. Zeile). Eine zweite Variante der Verwendungsgleichung (5. Zeile) erhalten wir durch eine etwas andere Strukturierung. Zunächst teilen wir die Staatsausgaben: • Staatliche Investitionen (ISt) entstehen beim Bau von Straßen, Schulen, Krankenhäusern, Schwimmbädern, Ver- und Entsorgungseinrichtungen usw. (Infrastrukturinvestitionen), die volkswirtschaftliches Realkapital schaffen. • Staatsverbrauch (CSt) sind alle nichtinvestiven Ausgaben wie die Löhne und Gehälter für Staatsbedienstete, Sozialausgaben (Renten, Kindergeld, Ausbildungshilfen, Mietzuschüsse usw.) und Subventionen. Anschließend addieren wir die privaten und staatlichen Bruttoinvestitionen zu den gesamtwirtschaftlichen Bruttoinvestitionen (Ibr). Man könnte auch noch den privaten Konsum und den Staatsverbrauch zum gesamtwirtschaftlichen Konsum (C) addieren. Andererseits werden die gesamtwirtschaftlichen Investitionen häufig – so in den meisten offiziellen Statistiken – untergliedert in „Ausrüstungen“, „Bauten“, „sonstige Anlagen“ und „Vorratsveränderung“. Selbstverständlich ergibt sich immer dieselbe Summe, nämlich das BIP. Abbildung 19− −31: Verwendungskomponenten in vH Bruttoinvestition Jahr 1970 1980 1990 2000 2003 Privater Konsum 51,5 54,6 53,6 56,9 57,0 Konsum des Staates 17,6 19,5 17,9 19,2 19,7 Ausrüstungen 9,2 8,3 8,6 9,0 7,6 Bauten 17,4 14,4 12,1 12,3 10,6 Sonstige 2,1 1,0 1,3 0,9 0,5 Außenbeitrag 2,3 2,3 6,4 1,7 4,6 Bruttoinlandsprodukt 897 1.179 1.480 1.970 1.985 In Preisen von 1995; BIP in Mrd. Euro; bis 1990 früheres Bundesgebiet 31 Grundlagen Volkswirtschaftslehre 3 Wertschöpfung 3.2.4 Verteilungsrechnung Die Verteilung des Einkommens ist in allen Ländern, ein wirtschafts- und gesellschaftspolitisch außerordentlich bedeutsamer Vorgang. Dabei mag leicht der Eindruck entstehen, dass im Verteilungskampf lediglich die Tarifpartner im „Kampf zwischen Arbeit und Kapital“ einander gegenüberstehen. Tatsächlich findet der Verteilungskampf aber auch zwischen Staat und Privaten, zwischen Studenten, kinderreichen Familien, Rentnern, Beamten und Angestellten statt. Beteiligte und zugleich Betroffene sind stets alle Bevölkerungsschichten, wie immer man sie systematisiert. Diese Einsicht kommt formal in dem Ziel der „gerechten Einkommensverteilung“ zum Ausdruck; ein Ziel, das in dieser vagen Formulierung breite Zustimmung findet, aber einer inhaltlichen Präzisierung bedarf. Das Bruttoinlandsprodukt ist dafür keine geeignete Bezugsbasis, sondern es ist entweder das Volkseinkommen oder das verfügbare Einkommen. Wir erinnern uns: Das Einkommen – auch das Volkseinkommen und verfügbare Einkommen – sind Geldgrößen. Dennoch sollte man auch hier die reale Betrachtung nicht vergessen. Im Kern geht es darum, wer welchen Anteil am produzierten realen Güterberg erhält. Welche Gütermenge haben die Arbeitnehmer und die Selbständigen, die Studierenden, die Rentner und die Arbeitslosen, oder die Einwohner in NRW und in Bayern erhalten? Nur ist es in der Praxis nicht möglich, den Güterberg direkt zu verteilen. Aus dieser Sicht ist das Geld nur eine Hilfskonstruktion, um die reale Verteilung zu ermöglichen. Inlands- und Inländerkonzept Unsere statistischen Unterlagen erfassen in der Entstehungsrechnung zunächst einmal nur die inländischen Unternehmen (Inlandskonzept). Dementsprechend heißt das erste Ergebnis ja auch Bruttoinlandsprodukt (BIP). Es vermittelt einen Eindruck von der Leistungskraft der Betriebe im Inland. Nun wechseln wir den Blickpunk vom Arbeitsort (Inland) zum Wohnort (Inländer). Ihre Wertschöpfungen, gleichgültig ob sie nun im Inland oder im Ausland erbracht wurden – und das daraus resultieren Einkommen – werden durch das Bruttonationaleinkommen gemessen. Der ältere Ausdruck dafür ist Bruttosozialprodukt. Bruttoinlandsprodukt (BIP) = Wertschöpfung und Einkommen im Inland + Saldo der Primäreinkommen aus der übrigen Welt (aus dem Ausland erhaltene abzüglich an Ausländer geleistete Primäreinkommen) = Bruttonationaleinkommen = Wertschöpfung und Einkommen der Inländern Dieser Saldo der „Primäreinkommen aus der übrigen Welt“ darf nicht mit dem „Außenbeitrag“ verwechselt werden. Der Außenbeitrag beinhalten den internationale Handel mit Gütern (Waren und Dienstleistungen), hier geht es um Einkommen aus Faktorleistungen. Nationaleinkommen Die BWS, das BIP und auch das Bruttonationaleinkommen enthalten sämtliche Bruttoinvestitionen. Allerdings hat auch beim Anlagevermögen ein Werteverbrauch (Abschreibung) stattgefunden. Dadurch sinkt die verfügbare Gütermenge. Wenn wir die Abschreibungen abziehen, wird bei allen Begriffen aus „brutto“ nunmehr „netto. So ist dann die Nettowertschöpfung einer Unternehmung ihr Beitrag zum Nettoinlandsprodukt Es ist zugleich das im Inland entstandene Einkommen für Faktorleistungen, denn Wertschöpfung und Einkommen sind in volkswirtschaftlicher Betrachtung zwei Seiten ein und desselben Vorgangs. 32 Grundlagen Volkswirtschaftslehre 3 Wertschöpfung Beim Inländerkonzept erhalten wir nach Abzug der Abschreibungen dementsprechend das Nettonationaleinkommen. Es sind die allen Inländern (Unternehmen, Haushalte Staat) zugeflossenen Arbeitnehmerentgelte, Selbständigeneinkommen, Vermögenseinkünfte (Zinsen, Mieten, Pachten) und Betriebsüberschüsse). Ein anderer Ausdruck dafür ist Primäreinkommen, weil es sich um das im Produktionsprozess entstandene Einkommen vor staatlicher (und privater) Umverteilung handelt. Insbesondere Steuern und Abgaben auf der einen Seite und Sozialleistungen auf der anderen Seite sorgen für eine teilweise ganz erheblich davon abweichende Sekundärverteilung. So ist beispielsweise das Primäreinkommen eines Rentners, der nicht mehr arbeitet, weder Sparguthaben, Aktien noch sonstiges Vermögen besitzt, ist gleich Null. Erst nach staatlicher und privater Umverteilung steht fest, was man „wirklich“ zur Verfügung hat. Allerdings gilt: Umverteilung ist keine Wertschöpfung und schafft kein zusätzliches Realeinkommen. Verfügbares Einkommen Eine wichtige Kennziffer der Sekundärverteilung ist das verfügbare Einkommen der inländischen Sektoren (private Haushalte, Unternehmen und Staat). Üblicherweise beschränkt man sich hier auf das verfügbare Einkommen der privaten Hauhalte, das sie für Konsum- und Sparzwecke verwenden können. Ausgangspunkt ist ihr Primäreinkommen. Es enthält die Einkommen aus Erwerbstätigkeit und Vermögen, die ihnen zugeflossen sind. Dazu gehören das Arbeitnehmerentgelt, die Selbständigeneinkommen der Einzelunternehmen und der Selbständigen (einschließlich Vergütung für mithelfende Familienangehörige), der Betriebsüberschuss aus der Produktion von Dienstleistungen und aus eigengenutztem Wohneigentum, sowie die netto empfangenen Vermögenseinkommen (Zinsen, Pachten, ausgeschüttete Gewinne). Davon abgezogen werden die laufenden Transfers, also insbesondere die Einkommen- und Vermögensteuern und die Sozialbeiträge. Hinzugefügt werden empfangenen Geldleistungen, die überwiegend vom Staat kommen (Renten, Arbeitslosengeld, Kindergeld, Wohngeld und andere Sozialleistungen). Abbildung 20− −33: verfügbares Einkommen der privaten Haushalte 1980 1990 2000 2004 Arbeitnehmerentgelte + Unternehmens- und Vermögenseinkommen 75,7% 24,3% 73,6% 26,4% 71,0% 29,0% 70,8% 29,2% = Primäreinkommen der privaten Haushalte 587,7 936,1 1.548,0 1.600,7 + + – – empfangene Sozialleistungen empfangene sonstige Transfers Einkommen- und Vermögensteuern 136,1 20,5 82,9 208,7 36,1 118,7 406,1 66,0 216,9 454,9 74,2 199,1 Sozialbeiträge 142,4 233,8 423,8 448,3 24,7 40,1 67,5 75,6 494,3 788,3 1.311,8 1.406,8 – Sozialleistungen und sonstige Transfers = Verfügbares Einkommen der pr. Haush. 33 Grundlagen Volkswirtschaftslehre 3 Wertschöpfung In Mrd. Euro; Quelle: Sachverständigenrat und Statistisches Bundesamt Volkseinkommen Das Primäreinkommen umfasst auch die vom Staat empfangenen Produktionsund Importabgaben abzüglich der Subventionen (Nettoproduktionsabgaben). Sie sind in den Marktpreisen enthalten und gelten – abweichend von der früheren Zuordnung – als staatliche und damit gesamtwirtschaftliche Primäreinkommen. Werden nur die Erwerbs- und Vermögenseinkommen ohne Nettoproduktionsabgaben ausgewiesen, so sind wir beim Volkseinkommen (Symbol Y) gelandet. Es wird auch Nettonationaleinkommen zu Faktorkosten genannt Das Volkseinkommen ist die Summe aller Erwerbs- und Vermögenseinkommen (Primäreinkommen) der Inländer. Das Volkseinkommen wird weiter aufgegliedert in Arbeitnehmerentgelt und Unternehmens- und Vermögenseinkommen Statistisch berechnet wird allein das Arbeitnehmerentgelt. Es sind die Bruttolöhne und -gehälter sowie die tatsächlichen und unterstellten Sozialbeiträgen, also sämtliche Lohnkosten für die abhängig Beschäftigten im Inland. Das Unternehmensund Vermögenseinkommen ist eine Restgröße, die nach Abzug des Arbeitnehmerentgelts vom Volkseinkommen übrig bleibt. Darin enthalten sind die Unternehmensgewinne, alle Vermögenseinkommen (Zinsen, Mieten, Pachten, Dividenden usw.) und auch das Einkommen der Selbständigen. Abbildung 21− −34: Einkommensverteilung 2004 Insgesamt Kapitalgesellschaften = Nettobetriebsüberschuss 372,3 311,8 + Selbständigeneinkünfte + Vermögenseinkommen (Saldo) 182,0 -35,4 33,8 = Unternehmensgewinne 518,8 345,6 -3,5 176,7 + Vermögenseinkommen (Saldo) -36,4 -270,6 -56,7 290,8 = Unternehmens- und Vermögenseinkommen 482,4 75,0 -60,1 467,5 + Arbeitnehmerentgelt 1.133,2 = Volkseinkommen 1.615,6 private Staat Haushalte -3,5 64,0 182,0 -69,3 1.133,2 75,0 -60,1 1.600,7 In Mrd. Euro; Quelle: Statistisches Bundesamt: Primäres Einkommensverteilungskonto. Arbeitnehmerentgelte werden oft nur als „Lohn“ und die Unternehmens- und Vermögenseinkommen als „Gewinn“ bezeichnet. Von der theoretischen Konzeption her sollte es die Verteilung des Volkseinkommens auf die „Besitzer“ der Produktionsfaktoren Arbeit und Kapital und widerspiegeln (funktionelle Verteilung). Dies gelingt mit der oben genannten Aufteilung allerdings nur höchst unvollkommen. Insbesondere muss deutlich sein, dass dieser „Gewinn“ erheblich vom betrieblichen Gewinn oder vom Bilanzgewinn abweicht und darüber hinaus auch allen In- 34 Grundlagen Volkswirtschaftslehre 3 Wertschöpfung ländern zufließt, auch den privaten Haushalten. Gleichwohl ist die Lohnquote nach wie vor eine in der wirtschaftspolitischen Diskussion gern verwendete Größe. Übungsaufgabe 7− −35: Computerhersteller FEST & PLATTE AG beschäftigt 10 Mitarbeiter (einschließlich Geschäftsführer, alles Inländer). F&P produziert und verkauft Computeranlagen zum Stückpreis von 50.000 €. Die gesamten Zahlungen für Zwischenprodukte, Dienstleistungen usw. beliefen sich im Jahr auf 500.000 €. Von den bezogenen Lieferungen waren am Jahresende noch Güter im Wert von 100.000 € auf Lager. F&P AG verkauft 20 Anlagen. Der Lagerbestand an fertigen Computeranlagen verringerte sich von 8 Anlagen auf 4 Anlagen. Eine selbst gefertigte Computeranlage wurde im eigenen Betrieb installiert, allerdings musste zusätzlich ein Drucker für 5.000 € (ohne Mehrwertsteuer) von einer anderen Firma gekauft werden. Abschreibungen werden mit 30.000 € angesetzt. Für Löhne und Gehälter wurden 330.000 € gezahlt. Sämtliche Zahlenangaben sind ohne Mehrwertsteuer oder anderen gesetzlichen Abgaben. Wie hoch waren PW (betriebliche Leistung), BWS, Gewinn und Lohnquote? Hinweis: Lagerbestände werden mit Herstellkosten (30.000 € pro Anlage) bewertet. Übungsaufgabe 8− −35: Gegeben sind für Deutschland folgende Angaben für das Jahr 2004 (gerundet, in jeweiligen Preisen in Mrd. €): Privater Verbrauch .................................................... 1.226 Staatsverbrauch ........................................................... 407 Ausrüstungen, Bauten, sonst. Anlagen........................ 390 Vorratsveränderung ...................................................... – 5 Außenbeitrag................................................................ 114 Einfuhr.......................................................................... 835 Saldo der Primäreinkommen ........................................ – 6 Wie hoch waren Volkswirtschaftliche Endnachfrage, Bruttonationaleinkommen und Bruttoinlandsprodukt? Übungsaufgabe 9− −35: Gegeben sind für das Jahr 2004 (gerundet, in jeweiligen Preisen): Unternehmens- und Vermögenseinkommen .................... 482 Mrd. € Nettonationaleinkommen zu Faktorkosten .................... 1.848 Mrd. € Produktionsabgaben (abzüglich Subventionen)................ 232 Mrd. € Abschreibungen ................................................................ 342 Mrd. € Wie hoch waren Bruttonationaleinkommen, Volkseinkommen, Arbeitnehmerentgelte und Lohnquote? Übungsaufgabe 10− −35: Für die privaten Haushalte liegen für das Jahr 2004 folgende Zahlen vor (gerundet, in jeweiligen Preisen): Primäreinkommen.......................................................... 1.600 Mrd. € Einkommen- und Vermögensteuer ................................... 200 Mrd. € Gezahlte Sozialbeiträge und andere Transfers................. 524 Mrd. € Erhaltene Sozialleistungen und andere Transfers ............ 530 Mrd. € Konsumausgaben ........................................................... 1270 Mrd. € Wie hoch waren das verfügbare Einkommen und die Sparquote der privaten Haushalte? 35 Grundlagen Volkswirtschaftslehre 3 Wertschöpfung 3.3 Kennziffern der Produktion 3.3.1 Kennziffern im Überblick Zur Beschreibung und Analyse der Produktionsverhältnisse sind mehrere Kennziffern gebräuchlich. Sie entstehen aus einer Verbindung von Output (X), Kapitaleinsatz (R) und Arbeitsleistungen (A). Sämtliche Kennziffern können für einzelne Produktionsmittel (z. B. Arbeitskräfte oder Maschinen), für Abteilungen und Betriebe, für ganze Branchen, Regionen und Volkswirtschaften berechnet werden. Wichtig ist die Verwendung realer Größen für Input und Output. Im Einzelfall können wir physische Maßeinheiten (Menge, Stück usw.) nehmen. Wird der Output in Geldeinheiten (Euro) gemessen, werden Preiseffekte rechnerisch eliminiert durch Verwendung konstanter Preise eines Basisjahres. Einzelheiten zu realen Größen finden Sie im Anhang IV. Bitte beachten Sie dabei unbedingt, dass diese güterwirtschaftlichen Zahlen keine Aussagen über die Rentabilität oder über die finanzielle Lage von Unternehmen erlauben. Dazu müssten Umsätze, Kosten, Gewinne und ähnliche Größen herangezogen werden. So kann ein Unternehmen beispielsweise eine überdurchschnittliche Produktivität aufweisen und dennoch Konkurs anmelden müssen, wenn es seine Produkte nicht kostendeckend verkauft oder in Liquiditätsschwierigkeiten gerät. Abbildung 22− −36: Kennziffern der Wertschöpfung Einwohner R ET Erwerbstätige Realkapital Kapitalintensität = R X = Arbeitszeit (Pro Person) H Arbeitsvolumen Arbeitsproduktivität (pro Erwerbstätigen) Kapitalkoeffizient X H Arbeitsproduktivität X Reale Wertschöpfung (pro Stunde) (BWS, BIP) a= Abbildung 23− −36: Kennziffern und ihre Maßgrößen Kennziffern Formel Beschreibung übliche Maßgrößen für A: Arbeitsintensität A:R Arbeitseinsatz : Realkapital Kapitalintensität R:A Realkapital : Arbeitseinsatz Kapitalproduktivität X:R realer Output : Realkapital Kapitalkoeffizient R:X Realkapital : realer Output Arbeitsproduktivität X:A realer Output : Arbeitseinsatz H = Arbeitsvolumen ET = Erwerbstätige für R AVr = Anlagevermögen (real) für X: BWSr = Bruttowertschöpfung (real) BIPr = Bruttoinlandsprodukt (real) Der Arbeitskoeffizient (Kehrwert der Arbeitsproduktivität) wird selten verwendet und bleibt hier unberücksichtigt. 36 Grundlagen Volkswirtschaftslehre 3 Wertschöpfung Beispiel: Ute Reisig kann in den 7,5 Stunden (A) eines Arbeitstages 150 Teile prüfen (X), Rolf Stroh schafft in dieser Zeit nur 120 Teile. Die Arbeitsplätze von Stroh und Reisig sind mit 5 Prüfmaschinen im Gesamtwert von 280.000 € (R) ausgestattet. Arbeitsproduktivität von Ute: .....................20 Teile (prüfen) pro Stunde Arbeitsproduktivität von Rolf: ....................16 Teile (prüfen) pro Stunde durchschnittliche Arbeitsproduktivität:.......18 Teile (prüfen) pro Stunde Kapitalintensität:........................................140.000 € pro Person Kapitalproduktivität:...................................54 Teile pro Maschine pro Tag Abbildung 24− −37: Reale Kennziffern 1991 1995 2000 2003 Kapitalstock (Mrd. €)* R 8.008 8.991 10.112 10.694 Erwerbstätige (Tsd.) ET 38.454 37.382 38.748 38.314 Arbeitsvolumen (Mio. Stunden) H 59.254 56.836 56.704 55.226 BIP (Mrd. €) X 1.711 1.801 1.970 1.985 Arbeitsproduktivität (€ pro ET)* X/ET 44.490 48.186 50.828 51.814 Arbeitsproduktivität (€ pro Stunde)* X/H 28,87 31,69 34,73 35,95 Kapitalproduktivität (pro Jahr)* X/R 0,21 0,20 0,19 0,19 208.000 241.000 261.000 279.000 Kapitalintensität (€ pro Erwerbstätigen)* R/ET * reale Größen (in Preisen von 1995); Quelle Statistisches Bundesamt; Neuberechnung Kapitalintensität und Arbeitsintensität „Arbeitsintensive“ oder „kapitalintensive“ Produktion sind geläufige Ausdrücke. Damit ist das relative Einsatzverhältnis der Produktionsfaktoren Arbeit und Realkapital angesprochen. Die Kapitalintensität gibt die durchschnittliche Ausstattung eines Arbeitsplatzes mit Sachkapital an und kann als Indikator für den Mechanisierungsgrad der Produktion und für den (technischen) Entwicklungsstand einer Volkswirtschaft verstanden werden. In allen Branchen findet trotz aller Unterschiede eine Zunahme der Kapitalintensität (= Kapitalintensivierung) statt. Die Kapitalintensivierung liegt in den letzten 10 Jahren bei etwa 2% jährlich. Kapitalkoeffizient und Kapitalproduktivität Der Kapitalkoeffizient ist eine vornehmlich technisch bestimmte Größe, die angibt, wie viel Realkapital eingesetzt wird, um einen jährlichen Produktionswert von 1 € zu erzeugen. Die Kapitalproduktivität ist der Kehrwert und informiert darüber, welche (jährliche) Wertschöpfung mit 1 € Kapitaleinsatz geleistet wird. Der Kapitalkoeffizient liegt in Deutschland (2004) bei etwas über 5 Jahren: Um pro Jahr eine Wertschöpfung in Höhe von 1 € zu erzeugen, wird ein Anlagevermögen von 5 € eingesetzt. Die Kapitalproduktivität beträgt demnach rund 1/5 pro Jahr. Dies bedeutet, dass mit 1 € Anlagevermögen eine Wertschöpfung von nicht ganz 0,20 € pro Jahr hergestellt wird. Der Kapitalkoeffizient lag 1960 noch bei 3,7 Jahren; er ist also um etwa 1% jährlich gestiegen. Die Kapitalproduktivität ist entsprechend um rund 1% gesunken. 37 Grundlagen Volkswirtschaftslehre 3 Wertschöpfung Arbeitsproduktivität Die wohl bekannteste und wichtigste Kennziffer in diesem Katalog ist die Arbeitsproduktivität. Sie ist von zentraler Bedeutung für viele Vernetzungen auf betrieblicher und volkswirtschaftlicher Ebene. Zur Messung der Arbeitsproduktivität haben sich zwei Varianten eingebürgert, die Wertschöpfung pro Stunde und pro Person. Beide Varianten sind gleichermaßen üblich. Welche Produktivität jeweils gemeint ist, sollte ausdrücklich erwähnt werden oder zumindest aus dem Zusammenhang hervorgehen, um Missverständnisse zu vermeiden. Zwischen beiden Varianten besteht eine direkte Verknüpfung über die geleistete Arbeitszeit pro Person (h). Die Anzahl der insgesamt von allen Erwerbstätigen (ET) geleisteten Arbeitsstunden (H) ist bekanntlich das Arbeitsvolumen. (1) Arbeitsproduktivität (Stunde) a=X:H (2) Arbeitsproduktivität (Person) b = X : ET Reale Wertschöpfung : Erwerbstätige h= H ET Reale Wertschöpfung : Arbeitsvolumen b = a ⋅h b= X ET Beispiel: In einem Straßenbauunternehmen sind ET = 10 Betriebsangehörige an 200 Arbeitstagen bei einer jährlichen Arbeitszeit von h = 1.600 Stunden pro ET mit dem Verlegen von Rohrleitungen beschäftigt. Sie verlegen jährlich X = 40 Kilometer. Aus ET = 10 und folgt: H = 16.000 Stunden (pro Jahr) h = 1.600 Stunden (pro ET pro Jahr) und: a = Arbeitsproduktivität (Stunde) = 40 Km : 16.000 Stunden = 2,5 Meter pro Arbeitsstunde b = Arbeitsproduktivität (Person) = 40 km : 10 ET. = 4 km pro Person (pro Jahr) Das Arbeitsvolumen kann als diejenige „notwendige“ Arbeit verstanden werden, die angesichts der herrschenden Organisation und Technik – ausgedrückt durch die Arbeitsproduktivität – erforderlich ist, um ein bestimmtes Gütervolumen zu erstellen. Fortsetzung des Beispiels: Aus einem anderen Blickwinkel: Bei einer Arbeitsproduktivität von 2,5 Meter/Std. und einer Produktionsmenge von 40 Km jährlich, ist ein Arbeitsvolumen von 16.000 Std. notwendig. Ist die Arbeitszeit 1.600 Stunden (täglich 8 Std. an 200 Arbeitstagen), müssen folglich 10 Erwerbstätige beschäftigt werden. 38 Grundlagen Volkswirtschaftslehre 3 Wertschöpfung Übungsaufgabe 11− −39: In welchen Fällen steigt die Arbeitsproduktivität (Stundenproduktivität)? a) Trotz der Arbeitszeitverkürzung kann die Produktion auf dem alten Niveau gehalten werden. b) Durch eine neue Anordnung der Maschinen wird das Produktionsergebnis gesteigert. Die Anzahl der Arbeitsstunden bleibt unverändert. c) Mit Hilfe einer modernen Maschine kann die Produktion gesteigert werden. Zwei Arbeitnehmer werden allerdings überflüssig und entlassen. d) Für alle Arbeitnehmer tritt eine Lohnerhöhung in Kraft. e) Das Unternehmen wechselt von Ein- zu Zwei-Schicht-Betrieb. Die Anzahl der Arbeitsstunden und auch die Produktion verdoppeln sich. f) Angesichts der schlechten Auftragslage wird weniger produziert. Im Augenblick wird aber noch kein Arbeitnehmer entlassen. Auch Kurzarbeit wird noch nicht veranlasst. g) Als Folge einer Preiserhöhung steigen die Verkaufserlöse und die Gewinne. h) Es werden Überstunden geleistet. Die Produktionsmenge steigt zwar, allerdings bezogen auf die geleisteten Stunden nur unterproportional. Übungsaufgabe 12− −39: In der Firma KLEIN-MANN sind im Jahre 01 im Durchschnitt 5 Arbeitskräfte mit der Herstellung von Kneifzangen beschäftigt. Die tägliche Arbeitszeit beträgt 8 Stunden bei 200 Arbeitstagen im Jahr. Die Kapitalproduktivität ist 1/4 pro Jahr. Die Kapitalintensität beläuft sich auf 2 Mio. € pro Arbeitskraft. Berechnen Sie bitte folgende Größen (für das Jahr 01): (1) Anlagevermögens (R) (4) Arbeitszeit (h) (2) Wertschöpfung (X) (5) Arbeitsproduktivität (a und b) (3) Arbeitsvolumen (H) (6) Kapitalkoeffizient Übungsaufgabe 13− −39: Eine Bäckerei mit insgesamt 18 Beschäftigten erstellt im Abrechnungsjahr eine betriebliche Leistung von 1,8 Mio. € und eine Bruttowertschöpfung von 900.000 €. Der Gewinn ist 50.000 €. Die Arbeitsproduktivität kann mit 50 €/Stunde veranschlagt werden. Es wird an 200 Tagen im Jahr gearbeitet. a) Warum weichen betriebliche Leistung und BWS voneinander ab? b) Wie hoch sind Arbeitszeit und Arbeitsvolumen? c) Wie hoch ist die Personenproduktivität? 39 Grundlagen Volkswirtschaftslehre 3 Wertschöpfung Abbildung 25− −40: Produktivitätsfortschritt und Arbeitszeit Produktivitätsfortschritt Deutschland 1971 - 2003 5,0 Veränderungsraten in %; Inlandskonzept; bis 1991 früheres Bundesgebiet 4,0 3,0 2,0 1,0 2000 1995 1990 1985 1980 1975 -1,0 1970 0,0 -2,0 -3,0 -4,0 Personenproduktivität Stundenproduktivität Individuelle Arbeitszeit Logarithmisch (Personenproduktivität) Logarithmisch (Stundenproduktivität) Logarithmisch (Individuelle Arbeitszeit) Abbildung 26− −40: Produktivitätsfortschritt und Arbeitsvolumen 7,0 Produktivitätsfortschritt, Wachstum und Arbeitsvolumen 1971 - 2003 Veränderungsraten in %; Inlandskonzept; bis 1991 früheres Bundesgebiet 6,0 5,0 4,0 3,0 2,0 1,0 2000 1995 1990 1985 1980 1975 -1,0 1970 0,0 -2,0 -3,0 -4,0 Produktivitätsfortschritt (Std.) Wirtschaftswachstum Arbeitsvolumen (Veränderungsrate) -5,0 Abbildung 27− −40: Produktivitätsfortschritt und Erwerbstätige 7,0 Produktivitätsfortschritt, Wachstum und Erwerbstätige 1971 - 2003 Veränderungsraten in %; Inlandskonzept; bis 1991 früheres Bundesgebiet 6,0 5,0 4,0 3,0 2,0 1,0 2000 1995 1990 1985 1980 1975 -1,0 1970 0,0 -2,0 -3,0 40 Produktivitätsfortschritt (Person) Wirtschaftswachstum Erwerbstätige (Veränderungsrate) Grundlagen Volkswirtschaftslehre 3 Wertschöpfung 3.3.2 Produktivitätsfortschritt In allen Industrienationen ist in den letzten Jahrzehnten die Arbeitsproduktivität gestiegen. Wir fertigen heute pro Arbeitsstunde (und pro Erwerbstätigen) mehr Stahl, mehr Autos, mehr Waschmaschinen, mehr Milch und mehr Brötchen. Die Arbeitsproduktivität ist vornehmlich eine Orientierungsgröße für die Leistungsfähigkeit einer Volkswirtschaft. Ihren Anstieg nennen wir Produktivitätsfortschritt. Produktivitätsfortschritt ist die (jährliche) Zuwachsrate der Arbeitsproduktivität. Die Ursachen des längerfristigen Produktivitätsfortschritts liegen auf der Hand: Es ist der höhere Bildungsstand, der sich ökonomisch im technischen Fortschritt mit Mechanisierung, Kapitalintensivierung, Rationalisierung, Automatisierung und verbesserter Organisation nieder schlägt. Über den Produktivitätsfortschritt sind Wirtschaftswachstum, Arbeitszeit und Beschäftigung miteinander vernetzt. Dies wird ersichtlich, wenn wir über die absoluten Werte hinaus vor allem die (prozentualen) Veränderungsraten betrachten. Dazu benutzen wir eine vereinfachende Umwandlungsregel (Einzelheiten dazu siehe Anhang II) und erhalten: Abbildung 28− −41: Formeln des Produktivitätsfortschritts b = a ⋅h %a = %X – %H %H = %ET + %h %b = %a + %h %b = %X – %ET Orientierung (Durchschnittswerte der letzten 10 Jahre für Deutschland): Wirtschaftswachstum (real) .................... %x .............. +1,4% Erwerbstätige (Veränderungsrate)....... %ET .............. +0,3% Arbeitsvolumen (Veränderungsrate)...... %H ...............–0,4% Produktivitätsfortschritt (Stunde).............%a .............. +1,8% Produktivitätsfortschritt (Person).............%b .............. +1,1% Arbeitszeit (Veränderungsrate) ...............%h ...............–0,7% Was bedeuten diese Formeln und Zahlen? Beginnen wir mit der Stundenproduktivität (a) und einem Beispiel. Danach wechseln wir zur Personenproduktivität (b) und berücksichtigen anschließend die Arbeitszeit (h). Stundenproduktivität und Arbeitsvolumen Beispiel: In einem Unternehmen sind insgesamt 50 Erwerbstätige beschäftigt. Die Arbeitszeit beträgt 8 Std. pro Tag bei 200 Arbeitstagen im Jahr. Das ergibt eine Arbeitszeit von h = 1.600 Stunden und ein Arbeitsvolumen von H = 80.000 Stunden. Als Jahresproduktion werden 320.000 Zahnräder gefertigt. Eine neue Fertigungsmaschine wird angeschafft. Nun können 5 Teile pro Arbeitsstunde gefertigt werden. Der Produktivitätsfortschritt ist 25%. Was folgt daraus? 41 Grundlagen Volkswirtschaftslehre 3 Wertschöpfung Mit der neuen Technik ist es einerseits möglich, mit dem gleichen Arbeitsvolumen (80.000 Stunden) nun 400.000 Teile anzufertigen. Der Produktivitätsfortschritt bewirkt dann ein Wirtschaftswachstum von 25%. Andererseits kann die Produktionsmenge unverändert bleiben − vielleicht besteht keine höhere Nachfrage, vielleicht fehlen die entsprechenden Rohstoffe, oder es gibt andere Grenzen des Wachstums. Für 320.000 Teile ist nur noch ein Arbeitsvolumen von 64.000 Stunden erforderlich. Die „notwendige“ Arbeit ist um 20% gesunken. (Die alte Arbeitszeit ist um 25% größer, dem Betrag des Produktivitätsfortschritts). Selbstverständlich ist auch eine Mischform möglich. So wird eine Produktionssteigerung um 12,5% auf 360.000 Teile das Arbeitsvolumen nur um 10% auf 72.000 Stunden reduzieren. Wir erkennen: Der Produktivitätsfortschritt lässt sich gedanklich in zwei „reine“ Effekte und beliebig viele „Mischformen“ aufspalten. • Bei konstantem Arbeitsvolumen erzeugt Produktivitätsfortschritt ein gleich hohes Wirtschaftswachstum. • Bei gleicher Produktionsmenge („Nullwachstum“) bewirkt Produktivitätsfortschritt eine gleich hohe prozentuale Abnahme der notwendigen Arbeitszeit. Denkbar sind auch vielfältige Kombinationen aus beiden Effekten, wobei stets folgende Beziehung eingehalten werden muss: Wirtschaftswachstum (in %) = Produktivitätsfortschritt (Stunden) in % + Veränderungsrate des Arbeitsvolumens (in %) Beispiel (Stundenproduktivität): Bei einem Produktivitätsfortschritt von 2,3% und einem Wirtschaftswachstum von 0,7% sinkt das Arbeitsvolumen um 1,5% (Deutschland 1996) Bei einem Anstieg des Arbeitsvolumens um 1,7% und einem Wachstum von 5,7% ist der Produktivitätsfortschritt 4,0% (Deutschland 1990). Liegt das Wirtschaftswachstum unter dem Produktivitätsfortschritt, wird das Arbeitsvolumen sinken. Umgekehrt formuliert: Soll das Arbeitsvolumen steigen, ist ein Wirtschaftswachstum größer als der Produktivitätsfortschritt erforderlich. Personenproduktivität und Erwerbstätige Wenn wir jetzt zur Personenproduktivität wechseln, erhalten wir im Kern keine neuen Erkenntnisse. Wir tauschen zusammen mit der Produktivitätsvariante nur „Arbeitsvolumen“ gegen „Erwerbstätige“ aus, denn es gilt: Wirtschaftswachstum (in %) = Produktivitätsfortschritt (Personen) in % − Veränderungsrate der Erwerbstätigen (in %) Beispiel (Personenproduktivität): Bei einem Produktivitätsfortschritt von 0,7% und einem Wirtschaftswachstum von 0,1% sinkt die Anzahl der Erwerbstätigen um 0,6% (Deutschland 2002). 42 Grundlagen Volkswirtschaftslehre 3 Wertschöpfung Steigt die Anzahl der Erwerbstätigen um 1,1% und ist das Wachstum 2,9%, dann ist der Produktivitätsfortschritt 1,8% (Deutschland 2000). Wir können – analog zu oben – auch festhalten: • Bei konstanter Anzahl der Erwerbstätigen erzeugt Produktivitätsfortschritt ein gleich hohes Wirtschaftswachstum. • Bei Nullwachstum bewirkt Produktivitätsfortschritt eine gleich hohe prozentuale Abnahme der Anzahl der Erwerbstätigen. Arbeitszeit In der der längerfristigen Betrachtung ist in Deutschland die Arbeitszeit kontinuierlich gesunken. Sinkende Arbeitszeit (h) bedeutet, dass die Personenproduktivität langsamer steigt als die Stundenproduktivität. %a = %b – %h %H = %ET + %h Beispiel: Steigt die Stundenproduktivität um 2,3% und die Personenproduktivität um 1,1% dann sinkt die Arbeitszeit um 1,2% (linke Formel). Ist zudem das Arbeitsvolumen um 1,5% gefallen, dann verringert sich die Anzahl der Erwerbstätigen um 0,3% (rechte Formel) – Deutschland 1996. Steigt das Arbeitsvolumen um 0,7% und sinkt die Arbeitszeit um 1,1%, dann steigt die Anzahl der Erwerbstätigen um 1,8%, und die Personenproduktivität steigt um eben diese 1,1% langsamer als die Stundenproduktivität – Deutschland 2000. Diese Beziehung wollen wir anhand des vorangegangenen Beispiels (Zahnrad) noch etwas verdeutlichen, und zwar für ein sinkendes Arbeitsvolumen. (Auf einen Anstieg lassen sich die Ableitungen mit umgekehrten Vorzeichen übertragen.) Fortsetzung des Beispiels (sinkendes Arbeitsvolumen): Der Produktivitätsfortschritt war 25%. Die absetzbare Produktion sei 360.000 Teile (Wachstum 12,5%), was ein Arbeitsvolumen von 72.000 Stunden erfordert (Rückgang um 10%). Nun gibt es offenbar zwei „reine“ Varianten und wiederum viele Kombinationsmöglichkeiten: (1) Die Arbeitszeit von 1.600 Stunden (200 Arbeitstagen und 8 Stunden pro Tag) bleibt unverändert. Dann werden statt 50 nur noch 45 Erwerbstätige (10% weniger) beschäftigt. (2) Die bisherigen 50 Arbeitnehmer bleiben weiterhin beschäftigt. Dann sinkt die Arbeitszeit auf 1.440 Stunden. Mögliche Varianten sind etwa: (2a) Jeder Erwerbstätige arbeiten nur noch an 180 Tagen jeweils 8 Stunden. (2b) Jeder Erwerbstätige arbeitet an 200 Tagen nur noch 7,2 Stunden täglich. (2c) An 200 Arbeitstagen sind 40 Erwerbstätige 8 Stunden und 10 Erwerbstätige nur 4 Stunden täglich beschäftigt. Die Fälle (2a) und (2b) entsprechen einer Arbeitszeitverkürzung in verschiedener Form (geringere Wochenarbeitszeit, mehr Urlaubstage usw.), wenn sie freiwillig auf 43 Grundlagen Volkswirtschaftslehre 3 Wertschöpfung allgemeiner Basis erfolgt. Der Fall (1) bedeutet Arbeitslosigkeit, sofern die 5 Personen nicht freiwillig aus dem Erwerbsleben ausscheiden. Der Fall (2c) kann als Kurzarbeit für 10 Erwerbstätige interpretiert werden, wenn auch sie eigentlich die „üblichen“ 8 Stunden arbeiten möchten. Andererseits könnte es sich auch um eine gewollte Teilzeitbeschäftigung handeln. Selbstverständlich kann bei Abnahme des Arbeitsvolumens die Anzahl der Erwerbstätigen dennoch steigen – sofern die Arbeitszeit noch schneller sinkt (siehe Orientierungszahlen für Deutschland auf Seite 21.) Wir wollen ausdrücklich vor einer Fehlinterpretation der Kennziffern als UrsacheWirkungs-Beziehung warnen: Sämtliche Kennziffern erlauben zunächst einmal keine Interpretation als Ursache-Wirkungs-Beziehung. Es handelt sich „nur“ um immer und überall gültige definitorische Beziehungen. Gleichwohl liefern uns die Kennziffern einen Orientierungsrahmen, denn sie beschreiben, welche Kombinationen von Effekten möglich und welche unmöglich sind. Sie erklären aber nicht, warum was konkret eintreten wird. Dazu sind ökonomische Theorien erforderlich. 1. Beispiel: Richtig – immer und überall – ist die Aussage: Ein Produktivitätsfortschritt von 3% wird bei einem Wirtschaftswachstum von 2% das Arbeitsvolumen um 1% reduzieren. Warum ist das immer und überall richtig? Weil es so definiert ist! Unzulässig ist die Aussage: Ein Produktivitätsfortschritt von 3% (Ursache) wird ein Wirtschaftswachstum von 2% erzeugen (Wirkung) und das Arbeitsvolumen um 1% senken (Folgewirkung). Warum unzulässig? Weil eine andere Wirkung (Wachstum) mit einer anderen Folgewirkung (Arbeitsvolumen) möglich ist. 2. Beispiel: Aussage: Arbeitszeitverkürzung bringt mehr Arbeitsplätze (Erwerbstätige). Richtig? Dies gilt nur, wenn das Arbeitsvolumen nicht schneller fällt (ET% = H% – h%). Nun ist aber beispielsweise denkbar, dass als Folge der Arbeitszeitverkürzung 1. die Produktion (BIP) und damit das benötigte Arbeitsvolumen sinken, 2. ein Produktivitätsfortschritt erzeugt wird (Freisetzungseffekt genannt), was den Beschäftigungseffekt zumindest abschwächt oder sogar – wenn der Produktivitätszuwachs hinreichend groß ist – genau das Gegenteil bewirkt, nämlich weniger Erwerbstätige. Zusammenfassend können wir feststellen: Der Produktivitätsfortschritt ist ein ökonomischer Wohlstandsmotor, denn er bietet die Chance, mit weniger Arbeitseinsatz mehr Güter zu schaffen. Produktivitätsfortschritt kann mit besserer Beschäftigung (mehr Erwerbstätige, höheres Arbeitsvolumen) einhergehen und darüber hinaus Wirtschaftswachstum mit Arbeitszeitverkürzung vereinbaren. Problematisch ist nicht der Produktivitätsfortschritt, sondern ein niedriges Wirtschaftswachstum. Unter dem Aspekt der internationalen Wettbewerbsfähigkeit und mit Blick auf die Arbeitskosten wird in jüngster Zeit allerdings verstärkt die Notwendigkeit einer Arbeitszeitverlängerung diskutiert. 44 Grundlagen Volkswirtschaftslehre 3 Wertschöpfung 3.3.3 Lohnquote Bei der Einkommensverteilung spielen sicherlich auch die absoluten Werte eine Rolle, mehr aber noch die relativen Anteile. Dazu gehört vor allem die Lohnquote. Sie ist der Anteil der Arbeitnehmerentgelte am Volkseinkommen. Lohnquote = Arbeitnehmerentgelt Volkseinkommen Die Lohnquote hat unverändert eine große, aber auch umstrittene, Bedeutung in der politischen Diskussion Viele sehen darin einen Indikator, in welchem Umfang Arbeitnehmer auf der einen und Empfänger von Unternehmens- und Vermögenseinkommen auf der anderen Seite von der wirtschaftlichen Entwicklung oder von wirtschaftspolitischen Entscheidungen profitieren. Zwar entspricht die Verteilung auf „Löhne“ und „Gewinne“ dem klassischen Bild vom „Gegensatz zwischen Arbeit und Kapital“, doch ist das, was die Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung ausweist, dafür kein besonders geeigneter Maßstab. Wegen des großen Anteils der Lohnsteuer am Steueraufkommen insgesamt und der Finanzierung der Sozialversicherungen über die Lohneinkommen spielt die Lohnquote in Deutschland auch eine wichtige Rolle in der Diskussion um Steuergerechtigkeit und die Finanzierbarkeit des Wohlfahrtsstaats. Wir wollen die Lohnquotendiskussion aber nicht weiter vertiefen. Auch weil heute angesichts des internationalen Wettbewerbs eine andere Kennziffern stärker im Blickpunkt steht, und zwar die Lohnstückkosten. Leider sind die vielen und oft ähnlichen Begriffe, die wir hier benötigen, bislang nicht einheitlich definiert. Deshalb wollen wir folgende Sprachregelung vereinbaren: LK .... Lohnkosten oder Lohn ..... Arbeitnehmerentgelt nur der Arbeitnehmer AK.... Arbeitskosten.................... Arbeitseinkommen aller Erwerbstätigen (Arbeitnehmer und Selbständigen) Das Arbeitnehmerentgelt ist kein geeigneter Maßstab für alle angefallenen Arbeitskosten in einer Volkswirtschaft, denn der „Lohn“ der Selbständigen für ihre (selbständigen) Tätigkeiten ist darin nicht enthalten. Bei der Berechnung haben wir allerdings ein empirisches Messproblem: Statistisch einigermaßen bekannt ist lediglich das Arbeitnehmerentgelt. Als Hilfskonstruktion unterstellt man, der Pro-KopfLohn für einen Selbständigen sei gleich dem Pro-Kopf-Lohn eines Arbeitnehmers. Arbeitskos ten Lohnkosten " Selbständi genlohn" = = Erwerbstät ige Arbeitnehm er Selbständi ge Beispiel Deutschland 2002 (Zahlen gerundet): Im Jahre 2002 gab es rund 35.000 Arbeitnehmer und 4.000 Selbständige. Das Arbeitnehmerentgelt betrug etwa 1.130 Mrd. €. Also unterstellen wir für alle 39.000 Erwerbstätige Lohnkosten in Höhe von 1.260 Mrd. €. Arbeitseinkommen sind also die aus dem Arbeitnehmerentgelt auf alle Erwerbstätigen hochgerechneten fiktiven Kosten für unselbständige und selbständige Tätigkeit. Der Anteil am Volkseinkommen heißt Arbeitseinkommensquote. 45 Grundlagen Volkswirtschaftslehre 3 Wertschöpfung Arbeitsein kommensquo te = Lohnkosten Erwerbstät ige Arbeitskos ten ⋅ = Arbeitnehm er Volkseinko mmen Volkseinko mmen Ein weit verbreiteter Name dafür ist bereinigte Lohnquote. Die (ursprüngliche) Lohnquote steigt (fällt) nämlich auch dann, wenn der Anteil der Arbeitnehmer an den Erwerbstätigen steigt (fällt), ohne dass sich an den Einkommensverhältnissen etwas geändert hat (Struktureffekt). Die Arbeitseinkommensquote ist von diesem Effekt rechnerisch „bereinigt“. Abbildung 29−46: Lohnstückkosten und Lohnquote % Lohnstückkosten und Lohnquote Deutschland 1970 - 2004 90,0 85,0 Lohnquote (bereinigt) 80,0 75,0 Lohnquote 70,0 65,0 60,0 Lohnstückkosten (real) 55,0 50,0 45,0 Lohnstückkosten 40,0 35,0 30,0 25,0 20,0 1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000 Lohnquote = Arbeitnehmerentgelt dividiert durch Volkseinkommen; Lohnquote (bereinigt) = Arbeitnehmerentgelt pro Arbeitnehmer dividiert durch Volkseinkommen pro Erwerbstätigen; Lohnstückkosten = Arbeitnehmerentgelt pro Arbeitnehmer dividiert durch Bruttoinlandsprodukt (in Preisen von 1995) pro Erwerbstätigen; Lohnstückkosten (real) = Lohnstückkosten preisbereinigt; Inlandskonzept, 1970 bis 1990 Früheres Bundesgebiet unrevidiert; ab 1991 revidierte Ergebnisse (Revision 2005) Quellen: Sachverständigenrat, Statistisches Bundesamt, eigene Berechnungen 3.3.4 Lohnstückkosten Unbestritten ist, dass die Arbeitskosten in Deutschland im Vergleich zu vielen anderen Ländern hoch sind. Hohe Löhne und hohe Arbeitskosten sind das Spiegelbild einer Wohlstandsgesellschaft. Die Frage ist, ob unsere hohen Arbeitskosten die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen und den Erhalt von Arbeitsplätzen gefährden. Die absoluten Werte der Arbeitskosten (je Stunde oder pro Person) geben darauf keine Antwort. Ob Arbeitskosten ökonomisch verkraftbar sind, hängt von der Leistung ab, die in einem Betrieb, einer Branche oder in einer Volkswirtschaft insgesamt erbracht wird. Das Leistungsergebnis spiegelt die Arbeitsproduktivität wider, also der Produktionsoutput je Arbeitsstunde (oder je Person). Die Kombination dieser Aspekte findet ihren Niederschlag in den Lohnstückkosten. Auch hier lässt sich der statistische Fortschritt mit seinen etlichen Verfeinerungen nicht aufhalten. Inzwischen werden nominale und reale Lohnstückkosten, und das zusätzlich noch jeweils auf Stundenbasis und auf Personenbasis berechnet. Wir wollen auf Feinheiten allerdings eingehen, sondern nur die Grundüberlegungen darstellen. Bei den Lohnstückkosten ist die Bezugsgröße für das Arbeitseinkommen – im Unterschied zur (bereinigten) Lohnquote – nicht das Volkseinkommen, sondern das Bruttoinlandsprodukt, und zwar das reale BIP (in konstanten Preisen). (1) 46 Lohnstückk osten = Arbeitskos ten Bruttoinla ndsprodukt (real) LSK = AK X Grundlagen Volkswirtschaftslehre 3 Wertschöpfung Fortsetzung des Beispiels Deutschland 2002 (Zahlen gerundet): Wir unterstellen wir für alle 39.000 Erwerbstätige Arbeitskosten in Höhe von 1.260 Mrd. €. Bei einem realen BIP (in Preisen des Vorjahres) von fast 1.980 Mrd. € im Jahre 2002 errechnen wir Lohnstückkosten von etwa 63,6%. Ein „Stück“ BIP im Wert von 1 € enthält also knapp 64 Cent Arbeitskosten. Lohnstückkosten sind kein Geldbetrag, sondern ein Prozentwert. Er teilt mit, wie hoch ein „Stück“ reale Wertschöpfung (1 € BIP) mit Arbeitskosten „belastet“ ist. In den veröffentlichten Statistiken sind diverse andere Formeln üblich. Dabei kann man auch die Arbeitsproduktivität einbauen – sowohl die Stundenproduktivität wie auch die Personenproduktivität. Abbildung 30−47: Lohnstückkosten (auf Personenbasis) (2) LSK = Arbeitnehmerentgelt Bruttoinlandsprodukt ( real) : Erwerbstätige Arbeitnehmer LSK = LK X : AN ET (3) LSK = Arbeitnehm erentgelt : Produktivi tät (Person) Arbeitnehm er LSK = LK :b AN (4) LSK = Arbeitnehm erentgelt je Arbeitneh merstunde reales Bruttoinla ndsprodukt : Arbeitsvo lumen LSK = AK :a H Die Formeln (1) – (3) sind inhaltlich identisch, wenn man die in diesem Zusammenhang üblichen Annahmen (siehe oben) beachtet. Auch Formel (4) führt nur dann zu einem etwas anderen Ergebnis, wenn man die Arbeitszeiten der Arbeitnehmer und der Selbständige unterschiedlich ansetzt. Fortsetzung des Beispiel Deutschland 2002 (Zahlen gerundet): Das Arbeitnehmerentgelt pro Arbeitnehmer (= Lohnkosten pro Erwerbstätigen) war 2002 knapp 32.300 € und die Produktivität pro Erwerbstätigen 50.770 €. Das ergibt gem. Formel (3) – natürlich – Lohnstückkosten von 63,6%. Im Jahre 2002 lag das Arbeitsvolumen aller Erwerbstätigen bei 55,7 Mio. Stunden. Davon entfielen auf die Arbeitnehmer etwa 50,0 Mio. Stunden. Daraus errechnen wir einen Stundenlohn von etwa 22,60 €. Bei einer Stundenproduktivität von 35,50 € betragen gem. Formel (4) die Lohnstückkosten 63,6%. Bei der Interpretation dieser Prozentwerte ist zu beachten, dass ihre Höhe vom Basisjahr des realen BIP abhängt. Ein anderes Basisjahr bedeutet andere Preise und ergibt einen anderen Betrag für das „reale“ BIP und damit auch andere Lohnstückkosten. Insofern sollte man gerade beim längerfristigen Vergleich nicht so sehr die Prozentwerte selbst betrachten, sondern ihre Veränderungen. Dabei ist der Basisjahreffekt nahezu völlig ausgeschaltet. Reale Lohnstückkosten Enthalten ist aber weiterhin ein Preiseffekt. Obwohl als Bezugsgröße das reale BIP verwendet wird, handelt es sich um nominale Lohnstückkosten, denn die Lohnkosten sind das jeweilige Arbeitnehmerentgelt und kein inflationsbereinigtes Realeinkommen. Der Anstieg der Lohnstückkosten in Deutschland von 25% im Jahre 1970 auf derzeit über 55% (Abbildung 29-44) beinhaltet daher sicher auch ein Infla- 47 Grundlagen Volkswirtschaftslehre 3 Wertschöpfung tionseffekt. Hieraus ergibt sich eigentlich die Forderung nach preisbereinigten, Lohnkosten und Arbeitskosten. Für „reale Arbeitnehmerentgelte“ gibt es aber keine plausible Berechnungsmethode. Also nimmt man ersatzweise die Preisänderung des BIP. Das aber bedeutet: Bezugsgröße der ist jetzt das nominale BIP in jeweiligen Preisen. (1) reale Lohnstückk osten = Lohnstückk osten Arbeitskos ten = Preisnivea u (des BIP) Bruttoinla ndsprodukt Die realen Lohnstückkosten zeigen für Deutschland im langjährigen Trend eine leicht abnehmende Tendenz (Abbildung 29-44). Die Lohnstückkosten sind dann besonders niedrig, wenn sich niedrige Arbeitskosten mit einer hohen Produktivität kombinieren lassen. Das ist oft bei Direktinvestitionen in Niedriglohnländer möglich. Denn bei einer Produktionsverlagerung ins Ausland wandern auch der heimische technische Standard und das Know-how mit. In den entwickelten Industrieländern ergeben sich trotz hoher Arbeits- und Sozialkosten vergleichsweise niedrige Lohnstückkosten, weil auch die Arbeitsproduktivität hoch ist. Die hohe Kapitalintensität der Produktion, der Einsatz neuer Technologien, die effiziente Arbeitsorganisation und der gute Qualifikationsstand der Beschäftigten wirken sich positiv auf die wirtschaftliche Leistung aus. Hohe Löhne und hohe Produktivität stehen also in einem Wechselverhältnis zueinander. Empirisch zeigt sich, dass Länder mit einem besonders starken Anstieg der Lohnstückkosten Mühe haben, die Marktanteile auf ihren Absatzmärkten zu verteidigen. Die westdeutsche Industrie hat dies vor allem in der ersten Hälfte der 90er-Jahre zu spüren bekommen, als die Lohnstückkosten denen der Konkurrenz davonliefen. In letzter Zeit steigen die Lohnstückkosten wieder langsamer. 3.4 Wohlstand und Umwelt Wenn man vom „Wirtschaftswachstum“ (noch kürzer: Wachstum) spricht, ist im Allgemeinen die Zunahme des Bruttoinlandsprodukts gemeint, worin dann zugleich ein Anstieg des „Wohlstandes“ oder des „Lebensstandards“ gesehen wird. Es existieren regelrechte Ranglisten der Nationen. Sie zeigen im Durchschnitt sicherlich ein zutreffendes Bild. Gleichwohl sind einige Vorbehalte anzumelden. • Das Bruttoinlandsprodukt vermittelt einen Eindruck von der Wirtschaftskraft (Wirtschaftsleistung) der inländischen Unternehmen. • Das Bruttonationaleinkommen vermittelt einen Eindruck vom Einkommen aller Inländer. • Das Volkseinkommen vermittelt noch am ehesten einen Eindruck über den materiellen Lebensstandard der Bevölkerung. Weiterhin kann man sicher keine nominale Größe, sondern nur ein reales Sozialprodukt verwenden, und zwar pro Kopf der Bevölkerung. Dies bedarf keiner weiteren Begründung. 48 Grundlagen Volkswirtschaftslehre 3 Wertschöpfung Die noch am ehesten geeignete Maßgröße zur Kennzeichnung des Lebensstandards ist das reale Volkseinkommen pro Kopf der Bevölkerung. Auch das reale Pro-Kopf-Volkseinkommen darf nicht unbesehen als Indikator des Lebensstandards verwendet werden. Erstens sind diese Berechnungen oft ungenau und fehlerhaft. Insbesondere werden nicht alle tatsächlichen Wertschöpfungen statistisch richtig erfasst. Produzierte Güter fehlen in Umsatzstatistiken, weil sie von Produzenten sofort selbst verbraucht werden (insbesondere in der Landwirtschaft) Es werden vor allem in der Schattenwirtschaft Güter erstellt und nicht registriert (Schwarzarbeit, Eigenleistung beim Hausbau usw.). Der Bereich der „häuslichen Produktion“ völlig vernachlässigt. In privaten Haushalten werden nur die ganz wenigen Marktleistungen (z. B. durch Hausangestellte) erfasst. Die eigenen häuslichen Tätigkeiten bleiben unberücksichtigt. Beispiel: Der von einer Bäckerei produzierte Kuchen zählt zum BIP, der von der Hausfrau gebackenen Kuchen nicht. Die Tätigkeit einer Haushälterin wird über die Lohnsteuerstatistik im Sozialprodukt erfasst. Heiratet der betreute Mann diese Haushälterin, sinkt das Volkseinkommen. Zweitens werden einige gesamtwirtschaftliche Wertverluste nicht als Minderung des Lebensstandards abgezogen. Die Abnutzung natürlicher Produktionsfaktoren durch Abbau der Rohstoffe, Qualitätsverschlechterung durch Umweltbelastungen, langfristige Klimaverschlechterung usw. wird überwiegend nicht erfasst, weil viele Komponenten des Produktionsfaktors „Natur“ nicht zum Anlagevermögen der Unternehmen zählen und daher nicht abgeschrieben werden. Die Verschlechterung des ökologischen Systems als Konsum- und als Produktionsgut fehlt nahezu völlig. Beispiele: Unternehmen U. Holm GmbH besitzt ein nagelneues Auto (Wert 50.000 €). Das Firmenauto wird bei einem Unfall total beschädigt (Abschreibung). Ein neu produziertes Auto (gleicher Wert: 50.000 €) wird beschafft (Bruttoinvestition). Das Bruttoinlandsprodukt steigt um 50.000 € (Wirtschaftsleistung), das Nettonationaleinkommen ist konstant geblieben (Lebensstandard). Passiert dasselbe einem Privathaushalt, steigt auch das Volkseinkommen um 50.000 €. Unternehmen D. Reck AG entnimmt zur Produktion von Fasern einem Fluss sauberes Wasser und leitet dreckiges Wasser wieder ein. In der weiter unten liegenden Gemeinde wird eine Kläranlage gebaut, um wieder sauberes Wasser zu gewinnen. Die Leistung der Kläranlage erhöht das Nettonationaleinkommen, was so auch richtig ist, denn es hat ja dort eine Verbesserung stattgefunden. Nur wurde vorher „vergessen“, die Verschlechterung des Wassers als „negatives“ Gut (oder als Abschreibung) abzuziehen, denn insgesamt ist selbstverständlich der Lebensstandard nicht gestiegen. (Tatsächlich werden sogar in der Kläranlage Produktivkräfte gebunden, die woanders „nützliche“ Güter produzieren könnten und insofern Opportunitätskosten verursachen). 49 Grundlagen Volkswirtschaftslehre 3 Wertschöpfung Drittens ist das Volkseinkommen eine Output-Größe und enthält keine Informationen über die gesellschaftlichen Produktionsbedingungen (Arbeitsbedingungen, Verhältnis Arbeitszeit – Freizeit usw.). Beispiel: Das Sozialprodukt sei 1 Tonne Kohle. Wird sie unter schwerer körperlicher Arbeit unter Tage in gefährlicher Umgebung oder mit Hilfe von Maschinen erstellt? Welche Arbeitszeit ist erforderlich, und wie viel Freizeit verbleibt? Viertens ist das Pro-Kopf-Einkommen ein Durchschnittswert und erteilt keine Auskünfte über die (gleiche oder ungleiche) Einkommensverteilung. Auch bei einem hohen Volkseinkommen kann die Masse der Bevölkerung sehr arm sein. Es gibt noch eine Fülle von weiteren wohlstandsrelevanten Faktoren, deren Erfassung und Bewertung grundsätzliche (methodische) Schwierigkeiten bereitet. Anzahl der Kindergartenplätze in einer Gemeinde, Größe der Schulklasse, Anzahl der Ärzte pro Einwohner, durchschnittliche Entfernung zum nächsten Theater oder Schwimmbad, Menge und Qualität des öffentlichen Nahverkehrs und viele Kriterien mehr sind soziale Indikatoren für den Wohlstand eines Volkes. Es hat auch nicht an Versuchen gemangelt, Kataloge von sozialen Indikatoren zu erstellen. Abgesehen davon, dass man über einzelne Indikatoren unterschiedlicher Meinung sein kann, verbleibt als grundlegendes – und ungelöstes – Problem, wie daraus ein allgemein akzeptierter, aussagekräftiger Maßstab konstruiert werden kann. So bleibt als Fazit die Einsicht, dass das BIP oder das Volkseinkommen (real, pro Kopf) zwar nicht mangelfreie, dennoch vernünftige Indikatoren sind. Überhaupt darf man von einer Zahl wohl nicht erwarten, dass sie allen Aspekten des Wohlstandes oder auch nur des materiellen Lebensstandards gerecht werden kann. Außerdem sind – trotz der Ungenauigkeiten der absoluten Beträge – die prozentualen Veränderungsraten (Wachstumsraten) recht zutreffend. Bei den Fehleinschätzungen handelt es sich nämlich überwiegend nicht um zufällige, sondern um systematische Fehler, die sich in Stärke und Richtung nur unwesentlich verändern und bei der Bildung von Wachstumsraten rechnerisch weitgehend herausfallen. Umweltökonomische Gesamtrechnung (UGR) Ende der 80er Jahre hat das Statistische Bundesamt, den Versuch gestartet, ein „Ökosozialprodukt“ zu berechnen. Es sollte die Umweltbelastungen und die Erträge der ökonomischen Aktivitäten in einer einzigen Zahl ausdrücken – wie beim Bruttoinlandsprodukt. Das hat sich sehr schnell als unmöglich herausgestellt. Geblieben ist seit 1996 die Umweltökonomische Gesamtrechnung. Sie soll die Änderungen im „Naturvermögen“ darstellen und aufzeigen, welche natürlichen Ressourcen durch Produktion und Konsum beansprucht, verbraucht, entwertet und zerstört werden. Der Rechnungsaufbau besteht aus vier Bereichen: • Material- und Energieflussrechnung (Energieverbrauch, Wasserentnahme usw.) • Nutzung von Fläche und Raum (Boden-, Siedlungs- und Verkehrsflächen) • Umweltzustand (z.B. Waldschäden) • Umweltschutzmaßnahmen (Ausgaben für Abfallbeseitigung, Lärmschutz usw.: Einnahmen aus Ökosteuer, Abwasser- und Abfallgebühren usw.) 50 Grundlagen Volkswirtschaftslehre 3 Wertschöpfung Eine wesentliche Stärke der UGR ist die enge Bindung an die Branchenstatistik. Dies zeigt wichtige Ansatzpunkte auf, wo es Vermeidungsmöglichkeiten gibt und welche Auswirkungen Umweltschutzmaßnahmen auf die Arbeitsplätze haben. Überhaupt stützt das Wissen darüber, wie der Einsatz von Rohstoffen, Energie und Bodenflächen sich im Wirtschaftsprozess verändert und welche Stoffe (z.B. Treibhausgase) an die Umwelt abgegeben werden, die privaten und staatlichen Bemühungen bei der Umweltpolitik. Übungsaufgabe 14−51: Eine Bäckerei mit insgesamt 12 Beschäftigten erstellt im Jahr 01 eine betriebliche Leistung (Produktionswert) von 2,16 Mio. €. Bei einer durchschnittlichen täglichen Arbeitszeit pro Person von 6 Stunden wird an 200 Tagen im Jahr gearbeitet. Durch ein neues Fertigungsverfahren steigt im Jahre 02 die Stundenproduktivität um 20%. Zeigen Sie an typischen (theoretisch „reinen“) Fällen, welche Anpassungsprozesse hier möglich sind? Übungsaufgabe 15−51: In diesem Jahr sei das Wirtschaftswachstum 4% und der Zuwachs der Personenproduktivität betrage 2,5%. Welche möglichen Konsequenzen ergeben sich daraus hinsichtlich Erwerbstätige, Arbeitsvolumen und Arbeitszeit? Übungsaufgabe 16−51: Nehmen Sie Stellung zu der folgenden Aussage: „Nur ein Produktivitätsfortschritt ermöglicht gleichzeitig Wirtschaftswachstum und Arbeitszeitverkürzung.“ Übungsaufgabe 17−51: Nehmen Sie Stellung zu der folgenden Aussage: „Im vergangenen Jahr ist die Lohnquote von 72% auf 71% abgesackt. Dies ist ein deutliches Zeichen für die realen Einkommensverluste der Arbeitnehmerhaushalte, während die Unternehmen ihre Gewinne steigern konnten.“ Übungsaufgabe 18−51: Für das kleine Zwasi-Land liegen folgende Daten in $ für das Jahr 2006 vor: Bruttoinlandsprodukt in jeweiligen Preisen .....................1.600 Tsd. § Bruttoinlandsprodukt in konstanten Preisen ...................1.500 Tsd. § Volkseinkommen.............................................................1.000 Tsd. $ Unternehmens- und Vermögenseinkommen .....................200 Tsd. § Erwerbstätige ................................................................. 90 Personen Selbständige .................................................................. 10 Personen Wie hoch waren Lohnkosten, Arbeitseinkommen, Lohnquote, bereinigte Lohnquote, Lohnstückkosten, reale Lohnstückkosten und Arbeitsproduktivität? Übungsaufgabe 19−51: Im vergangenen Jahr stieg die Kapitalproduktivität um 0,8% bei einer Kapitalintensivierung von 1,3%. Die Arbeitszeit (pro Erwerbstätigen) verringerte sich um 0,5%. Wie haben sich die Arbeitsproduktivität pro Stunde und pro Person verändert? 51 Grundlagen Volkswirtschaftslehre 4 Handeln und Entscheiden 4 Wirtschaftliches Handeln und Entscheiden 4.1 Wirtschaftssubjekte und Wirtschaftssektoren Wirtschaftliches Geschehen basiert auf dem Handeln von Menschen. Sie entscheiden über Kauf und Verkauf, über Entlassung und Einstellung, über Kreditaufnahme und Vermögensanlagen. Es kann sich dabei auch um Zusammenschlüsse von Menschen zu Haushalten, Vereinen, Unternehmen und Parlamenten handeln. Der Oberbegriff zu derartigen Einheiten heißt Wirtschaftssubjekt. Wirtschaftssubjekte gelten als ökonomische Entscheidungseinheiten. Bei ihnen erfolgt eine „interne“ Willensbildung, die nach „außen“ als gemeinsame Entscheidung dokumentiert wird. Wirtschaftssubjekte sind aus ökonomischer Sicht die kleinsten Entscheidungs- einheiten. Gleichartige Wirtschaftssubjekte können zusammengefasst werden und bilden dann Wirtschaftssektoren. Eine (auch hier) häufig verwendete Systematik der Wirtschaftssubjekte (Wirtschaftssektoren) in Unternehmen, private Haushalte, Staat und Ausland zeigt Abbildung 19. Abbildung 31−52: Aktivitäten der Wirtschaftssubjekte (Beispiele) Aus den vielen Wirtschaftssubjekten, ihren Entscheidungen und Aktivitäten setzt sich die volkswirtschaftliche Gesamtstruktur zusammen. Dementsprechend kann man „die Wirtschaft“ aus den zwei unterschiedlichen Positionen der Mikroökonomie oder der Makroökonomie betrachten. Mikroökonomie (Einzelwirtschaft) Teilwirtschaft Makroökonomie (Gesamtwirtschaft) Beispiele für mikroökonomische Betrachtung: Steigende Butterpreise reduzieren die Nachfrage, Gründe für Kauf eines Computers, Bilanz eines Automobilkonzerns, Preisabsprachen zwischen Bauunternehmen, Gemeinde baut einen Kindergarten. 52 Grundlagen Volkswirtschaftslehre 4 Handeln und Entscheiden Beispiele für makroökonomische Betrachtung: Arbeitslosenquote, Geldmenge und Inflationsrate, Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts, Exportentwicklung und Wechselkurse, Verteilung des Volkseinkommens auf Löhne und Gewinne. Die Mikroökonomie beschäftigt sich mit den Aktivitäten einzelner Wirtschaftssubjekte, etwa als Nachfrager oder Anbieter, mit den Bestimmungsgründen ihrer Entscheidungen und dem daraus entstehenden Beziehungsgeflecht. Darunter fallen auch die Preisbildungs- und Wettbewerbsprozesse auf den Märkten. Die Makroökonomie beschäftigt sich demgegenüber mit der Entwicklung und Veränderung von volkswirtschaftlichen Gesamtgrößen. Makroökonomische Größen dienen als Grundlage für die gesamtwirtschaftliche Lenkung. Insbesondere sollen sie Orientierungsgrößen zur Beeinflussung von Konjunktur und Wachstum, von Volkseinkommen und Beschäftigung, von Produktion und Geldversorgung liefern. Die Übergänge zwischen Mikro- und Makroökonomie sind allerdings fließend. Ein „mittlerer“ Blickwinkel ist die teilwirtschaftliche oder strukturelle Betrachtungsweise. Typische Beispiele sind regionale und sektorale Strukturanalysen, wo es um unterschiedliche Entwicklungen in den Wirtschaftsräumen und in den Wirtschaftssektoren (Branchen) geht. Ein weiteres Beispiel ist die Aufgliederung der Arbeitslosenquote nach Geschlecht, Alter und Dauer der Arbeitslosigkeit. 4.2 Aktivitäten und Transaktionen 4.2.1 Ökonomische Aktivitäten Jedes Wirtschaftssubjekt (Unternehmen, Staat und privater Haushalt) kann im Prinzip vier verschiedene ökonomische Aktivitäten ausüben, und zwar: Abbildung 20-35 zeigt beispielhaft die vier möglichen Aktivitäten von drei Wirtschaftssubjekten. In einer Einführung sind nicht alle Aspekte gleichermaßen wichtig. Produktion wird deshalb vornehmlich auf die Unternehmen bezogen, obgleich vom grundsätzlichen Aspekt überhaupt kein Unterschied zur staatlichen Produktion (von Dienstleistungen für die Allgemeinheit) und zur Produktion in privaten Haushalten besteht. Bei der Einkommensverwendung geht es dagegen in erster Linie um den Konsum und die Ersparnis der privaten Haushalte. Kreditaufnahme und Vermögensbildung werden nur am Rande behandelt. Mit ihren Aktivitäten treten die Wirtschaftssubjekte in Beziehung zueinander. Produktion, Güterhandel, Geldverkehr und Kreditbeziehungen schaffen Netzwerke zwischen Menschen, Betrieben, Ländern und Nationen, und es entstehen zwangsläufig wechselseitige Abhängigkeiten im nationalen Raum wie auch auf internationaler Ebene. Wirtschaften ist deshalb niemals ein isolierter Vorgang, sondern stets ein gesellschaftlicher Prozess mit vielen Beteiligten und Betroffenen. Diese Interdependenz aller ökonomischen Prozesse und Vorgänge verlangt eine entsprechende Sicht- und Denkweise, nämlich ein „Denken in Zusammenhängen“. 53 Grundlagen Volkswirtschaftslehre 4 Handeln und Entscheiden Abbildung 32−54: Aktivitäten der Wirtschaftssubjekte (Beispiele) Abbildung 33−54: Transaktionen 4.2.2 Ökonomische Transaktionen Wirtschaftliches Handeln richtet sich auf die Wirtschaftsobjekte. Darunter sind alle Güter (einschließlich Produktionsmittel) und Forderungen bzw. Verbindlichkeiten (einschließlich Geld) zu verstehen. Geht ein Wirtschaftsobjekt von einem Wirtschaftssubjekt auf ein anderes über, so spricht man von einer ökonomischen Transaktion. Eine ökonomische Transaktion ist der Übergang eines Wirtschaftsobjektes. 54 Grundlagen Volkswirtschaftslehre 4 Handeln und Entscheiden Objekt der Transaktion kann ein Gut oder eine Forderung sein. Weiterhin kann es sich um eine Transaktion mit Gegenleistung (Gut oder Forderung) und ohne Gegenleistung, etwa um eine Schenkung handeln. Die wohl wichtigsten Transaktionen sind der Kauf und Verkauf von Gütern und Forderungen, während der Naturaltausch nur noch in Ausnahmefällen zu beobachten ist (Deputate, Freifahrten, Kompensationsgeschäfte im internationalen Handel). Sämtliche Kosten, die bei den Transaktionen anfallen, heißen Transaktionskosten. Dazu gehören etwa Reise- und Transportkosten, Anfertigung von Unterlagen (Verträge usw.), Gebühren und auch Zeitverluste (Opportunitätskosten). 4.3 Planung und Entscheidung 4.3.1 Planungsprozess Planung ist Ausdruck wirtschaftlichen Handelns schlechthin. Zwar mag planloses Handeln im Einzelfall zufällig zu guten Ergebnissen führen; auf Zufälle zu setzen, ist indessen eine riskante Strategie. Wer mit seinen knappen Mitteln vernünftig umgehen will, muss sich vorher überlegen, was zu tun ist. Wirtschaftliches Verhalten, rationale Entscheidung und Wirtschaftsplanung sind inhaltlich nahezu identische Begriffe. Rational ist eine Verhaltensweise, „die planmäßig auf die Verwirklichung eines umfassenden, wohl durchdachten und in sich ausgewogenen Zielsystems gerichtet ist und dabei den höchsten Erfolgsgrad erreicht, der unter den jeweiligen Umständen möglich ist“. (GIERSCH, H., Allgemeine Wirtschaftspolitik, Wiesbaden 1960, S. 22). Planung ist ein „vorausschauendes, systematisches Durchdenken und Formu- lieren von Verhaltensweisen, Zielen und Handlungsalternativen, deren optimale Auswahl, sowie die Festlegung von Anweisungen zur rationalen Realisierung der ausgewählten Alternativen“. (ZANGEMEISTER, Ch., Nutzwertanalyse in der Systemtechnik, München 1970, S. 20). Die Grundstruktur einer rationalen Planung besteht aus den Elementen „Lage“, „Ziele“ und „Mittel“. Sie sind in der Abbildung 22-37 als „Entscheidungskreis“ dargestellt. Bei einer rationalen Entscheidung werden Mittel (Instrumente, Handlungen) im Hinblick auf bestimmte Ziele angesichts einer bestimmten Lage (Entscheidungssituation) ausgewählt. Ein wichtiger Teilaspekt der Planung ist der Planungsprozess (Planungsablauf), der auch als Entscheidungsprozess bezeichnet wird. Ein Planungsablauf vollzieht sich in mehreren Schritten, den Planungsphasen (= Entscheidungsphasen), und reicht von der Erkennung und Definition des Problems über die Formulierung der Ziele und Maßnahmen bis hin zur Durchführung und Kontrolle. Abbildung 22-37 zeigt eine mögliche Gliederung. 55 Grundlagen Volkswirtschaftslehre 4 Handeln und Entscheiden Abbildung 34−56: Entscheidungskreis und Planungsphasen Die einzelnen Planungsphasen sind nicht als jeweils abgeschlossene Schritte hintereinander geschaltet, sondern durch Vor- und Rückkopplung miteinander verflochten. Bei den einzelnen Planungsphasen ergeben sich in aller Regel jeweils Faktoren, die auch bei nachgelagerten Schritten zu berücksichtigen sind und eine Überprüfung vorangegangener erfordern. Bei der Planung der Mittel kann sich beispielsweise herausstellen, dass die ursprünglichen Ziele nicht erreichbar sind und deshalb geändert werden müssen. Bei der Zielplanung kann sich herausstellen, dass in einigen Punkten eine detailliertere Lageanalyse erforderlich ist, weil neue Daten benötigt werden. Dementsprechend werden die einzelnen Phasen mehrfach durchlaufen, bis dieser Iterationsprozess aufgrund zunehmender Verdichtung und Konkretisierung befriedigende oder „optimale“ Ergebnisse liefert und eine rationale (planfestlegende) Entscheidung erlaubt. 4.3.2 Wirtschaftlichkeitsprinzip Für eine rationale Entscheidung werden konkrete Entscheidungskriterien benötigt. Sie müssen die angestrebten Ziele und jeweiligen Zielerfüllungsgrade widerspiegeln. Als generelles Leitmotiv und Kriterium für ökonomische Entscheidungen dient das Wirtschaftlichkeitsprinzip. Es kann als Minimalprinzip oder als Maximalprinzip formuliert werden. Beispiele: Eine Rasenfläche soll in kürzester Zeit gemäht werden (Minimalprinzip). 56 Grundlagen Volkswirtschaftslehre 4 Handeln und Entscheiden Eine bestimmte Geldsumme soll zum höchsten Zins angelegt werden (Maximalprinzip). Ein vorgegebenes Schulgebäude soll zu geringsten Kosten erstellt werden (Minimalprinzip). Mit einem festen Werbebudget sollen möglichst viele Kunden erreicht werden (Maximalprinzip). Auf der Parteiversammlung sollen in einem gegebenen Raum möglichst viele Stühle untergebracht werden (Maximalprinzip). Abbildung 35−57: Wirtschaftlichkeitsprinzip Ein Vorgehen nach dem ökonomischen Prinzip (= Wirtschaftlichkeitsprinzip) ist rationales (vernünftiges) Handeln im Sinne von Zweckrationalität. Rationales Handeln bedeutet ganz allgemein ein wohldurchdachtes, planvolles Vorgehen. Rationale Entscheidungen sind in allen Bereichen des menschlichen Lebens geboten, das Wirtschaftlichkeitsprinzip ist nur die ökonomische Variante. Es lässt sich anwenden auf Haushalte, auf staatliche Instanzen und auf Betriebe jeglicher Zielsetzung. Dabei kann es dann ganz verschiedene Ausprägungen finden, je nachdem, was konkret die Ziele und die Mittel sind. 4.3.4 Grenzdenken Aus der Anwendung des Wirtschaftlichkeitsprinzips folgt eine typisch ökonomische Betrachtungsweise, nämlich das Grenzdenken. Das Grenzprinzip (auch: Marginalprinzip) ist der Grundsatz, wirtschaftliche Erscheinungen „an der Grenze“ zu betrachten. In vielen Fällen interessieren weniger die absoluten oder die Durchschnittswerte (etwa einer bestimmten Ausgangslage), sondern die Veränderungen, die man mit einer Handlung bewirkt. Will ein Betrieb seine Produktion und seinen Absatz erweitern, so ist dies weniger von den gegenwärtigen Kosten, Erlösen und Gewinnen (Ausgangslage) abhängig. Viel entscheidender ist die Sichtweise: • Durch die zusätzliche Produktion................ = Grenzprodukt • entstehen zusätzliche Kosten ..................... = Grenzkosten • und auch zusätzliche Erlöse ....................... = Grenzerlöse. 57 Grundlagen Volkswirtschaftslehre 4 Handeln und Entscheiden Sind die Grenzerlöse höher als die Grenzkosten, so entsteht ein positiver Grenzgewinn und die Mehrproduktion ist ökonomisch vorteilhaft. Erzielte das Unternehmen vorher bereits einen Gewinn, so wird er nun höher. Befand sich das Unternehmen dagegen in der Verlustzone, wird der Verlust kleiner. Beispiel: Tischlerei B erhält die Anfrage, ob und zu welchem Preis ein Spezialtisch angefertigt werden kann. Es handelt sich um einen einmaligen Auftrag. Unternehmen B wird folgendermaßen kalkulieren: Durch diesen Zusatzauftrag entstehen ganz bestimmte Zusatzkosten. Der zusätzliche Materialaufwand, die zusätzlichen Arbeits-, Verwaltungs- und Transportkosten belaufen sich auf 800 €. Diese Grenzkosten stellen die Preisuntergrenze dar. Alle anderen Kosten, die durch diesen Zusatzauftrag unverändert bleiben (z. B. Miete für Büroräume und Gehalt des Geschäftsführers), spielen keine Rolle bei dieser Einzelentscheidung. Unternehmen B muss mindestens 800 € fordern. Selbstverständlich wird B versuchen, einen höheren Preis zu vereinbaren. Kann ein Preis von 1.100 € (= Grenzerlös) erzielt werden, so entsteht ein positiver Grenzgewinn in Höhe von 300 €. Positiver Grenzgewinn heißt, dass die Gewinne um 300 € steigen oder die Verluste um 300 € geringer werden. Diese Art der Kalkulation heißt „Grenzkostenkalkulation“ und spielt in verschiedenen Variationen in der modernen Kalkulation eine wichtige Rolle. Wer rational handelt, wird ganz allgemein jede zusätzliche Aktion unterlassen, wenn er dadurch mehr Nachteile in Kauf nehmen muss, als er daraus Vorteile erhält, wenn also die Grenznachteile (Grenzkosten) höher als die Grenznutzen sind. (Dabei können „Kosten“ auch immaterielle Nachteile und „Nutzen“ immaterielle Vorteile beinhalten.) 4.3.5 Opportunitätskosten Das aus der Knappheit resultierende Auswahlproblem führt uns neben dem Grenzdenken zu einem weiteren zentralen Punkt, zum Denken in Opportunitätskosten. Dahinter steht eine einfache Einsicht: Wenn man sich für eine Verwendungsart entscheidet, so stimmt man gleichzeitig, ob man will oder nicht, gegen viele andere Einsatzmöglichkeiten. • Wer Holzbretter im Kamin verbrennt, kann dieses Holz weder zum Bau einer Kiste noch für einen Gartenzaun verwenden. • Wer 2 Stunden lang sein Auto wäscht, verzichtet darauf, in dieser Zeit ein Buch zu lesen oder in ein Kino zu gehen. • Wer sich entschieden hat, 50 € für ein Essen zu bezahlen, kann dieses Geld nicht mehr für andere Dinge ausgeben. Dem Vorteil aus einer gewählten Verwendung stehen Nachteile gegenüber, die aus einem Verzicht auf alternative Verwendungsmöglichkeiten resultieren. Dies drückt man durch den Begriff Opportunitätskosten aus. Opportunitätskosten (engl. opportunity costs) heißen auch Alternativkosten; ich nenne sie gerne Verzichtskosten. 58 Grundlagen Volkswirtschaftslehre 4 Handeln und Entscheiden Opportunitätskosten sind die entgangenen Nutzen (Erträge), die bei der nächstbesten Verwendung eines Mittels (Gut oder Geld) hätten erzielt werden können. 1. Beispiel: Produktionsentscheidung Kleiderfabrikant K hat noch 400 m Stoff auf Lager. Daraus kann er Hosen oder Röcke fertigen. Für einen Rock werden 4 m und für eine Hose 2 m Stoff benötigt. Er könnte also entweder höchstens 100 Röcke oder höchstens 200 Hosen daraus schneidern. Wenn die vorhandene Menge Stoff vollständig aufgebraucht werden soll, verlangt jede Produktionssteigerung um einen Rock den Verzicht auf 2 Hosen. Umgekehrt „kostet“ jede Hose mehr den Verzicht auf 1/2 Rock. Kurz: Die Opportunitätskosten für 1 Rock sind 2 Hosen. Die Opportunitätskosten für 1 Hose ist 1/2 Rock. Das „Denken in Opportunitätskosten“ lässt sich auf viele Gegebenheiten anwenden, sei es der Einsatz der (knappen) Zeit, der (knappen) Arbeitskräfte oder (knapper) Finanzmittel für Investitionen. Wenn es „entweder – oder“ heißt, wenn Zielkonflikte vorliegen, entstehen Opportunitätskosten. Dies gilt auch für gesamtwirtschaftliche Entscheidungen. 2. Beispiel: gesamtwirtschaftlicher Zielkonflikt Unterstellt man einmal die Gültigkeit der weit verbreiteten Ansicht, dass eine Inflationsbekämpfung über eine Dämpfung der Nachfrage und der Produktionstätigkeit auch zusätzliche Arbeitslosigkeit bewirkt, so ist mehr Geldwertstabilität nur auf „Kosten“ einer höheren Arbeitslosigkeit erreichbar. Umgekehrt wird eine bessere Beschäftigungslage dann Opportunitätskosten bei der Geldwertstabilität verursachen. Wer wirtschaftet, muss entscheiden, worauf er verzichtet, weil er nicht alles haben kann. Rationaler Einsatz knapper Mittel verlangt ein „Denken in Opportunitätskosten“. Es reicht nicht, eine Maßnahme mit ihren Vorteilen zu begründen. Mag der Nutzen (auch z. B. Gewinn) noch so hoch erscheinen, es wäre eine Fehlentscheidung, sofern eine andere Alternative noch bessere Ergebnisse bringt. Die wirklichen Kosten für die Herstellung eines Gutes werden durch den Wert derjenigen Güter bestimmt, zu deren Erzeugung die eingesetzten Mittel fehlen. 4.4 Wirtschaftspolitik Wirtschaftspolitisches Anliegen ist die Gestaltung des Wirtschaftslebens und die Beeinflussung der Wirtschaftsprozesse. Wirtschaftspolitik ist, kurz gesagt, das Streben nach Zielen durch den Einsatz von Mitteln (Instrumenten), um die Lage zu verbessern. Rationale Wirtschaftspolitik kann ohne vernünftige Planung nicht gelingen. Als das Ergebnis politischer Willensbildungsprozesse hat staatliche Wirtschaftspolitik allerdings durchaus ihre Eigengesetzlichkeiten. Insbesondere setzt Wirtschaftspolitik bei ihren Trägern Macht im Rahmen eines Systems sozialer Beziehungen voraus. 59 Grundlagen Volkswirtschaftslehre 4 Handeln und Entscheiden „Wirtschaftspolitik ist die Gesamtheit aller Bestrebungen, Handlungen und Maßnahmen, die darauf abzielen, den Ablauf des Wirtschaftsgeschehens in einem Gebiet oder Bereich zu ordnen, zu beeinflussen oder unmittelbar festzulegen.“ (GIERSCH, H., Allgemeine Wirtschaftspolitik, Wiesbaden 1960, S. 17) Den Gesamtbereich der Wirtschaftspolitik kann man in die Gebiete der Ordnungspolitik, der Prozesspolitik und der Strukturpolitik gliedern, wobei sich einzelne Maßnahmen allerdings nicht immer eindeutig zuordnen lassen. Abbildung 36−60: Bereiche der Wirtschaftspolitik Übungsaufgabe 20−60: Taxifahrer Theodor muss üblicherweise 2,00 € pro km berechnen, um sämtliche Kosten zu decken (einschließlich Versicherung, Abschreibung usw.) Darin eingeschlossen sind die unmittelbar durch eine Fahrt verursachten Kosten (hauptsächlich Benzin) in Höhe von 0,20 € pro km. Theodor steht am Bahnhof. Um diese Zeit und auch in den nächsten 2 Stunden kann er nicht mit einem Fahrgast rechnen. Völlig unerwartet taucht doch ein Kunde auf. Er möchte eine Fahrt von 100 km (hin und zurück jeweils 50 km) machen, kann aber beim besten Willen nur 120 € bezahlen, mehr Geld hat er nicht. Theodor lehnt die Fahrt aus ökonomischen Gründen (keine Kostendeckung) ab. Hat er richtig entschieden? Übungsaufgabe 21−60: Franz Krasch hat in mühevoller Kleinarbeit (20 Std. Arbeitszeit) sein Auto selbst repariert. An Materialkosten sind 38,– € angefallen. Die Reparatur in der Werkstatt hätte 538,– € gekostet. War dies aus wirtschaftlicher Sicht eine vernünftige Entscheidung? Begründen Sie Ihre Antwort auch mit Hilfe des Begriffs „Opportunitätskosten“. Übungsaufgabe 22−60: Industriefachwirt H. Weißbuche soll ein Investitionsvorhaben begutachten. Er errechnet eine Rentabilität (Verzinsung des eingesetzten Geldes) von 23% pro Jahr bei einem minimalen Risiko. Die marktübliche Verzinsung bei Banken liegt bei 8%. Begeistert empfiehlt er diese Investition. Ist das richtig? 60 Grundlagen Volkswirtschaftslehre 4 Wirtschaftsordnungen 5 Wirtschaftsordnungen 5.1 Begriff der Wirtschaftsordnung Wie in allen Bereichen menschlichen Zusammenwirkens, so ist auch im Wirtschaftsleben die Einhaltung von „Spielregeln“ erforderlich, damit die vielen Aktivitäten der Wirtschaftssubjekte eine sinnvolle Gesamtheit ergeben und die Wirtschaftsprozesse nicht in ein Chaos münden. Derartige Spielregeln können Gesetze und Verordnungen, aber auch Gewohnheiten, Sitten und Gebräuche sein. Sie zusammenlegen den organisatorischen Aufbau der Volkswirtschaft und den Ablauf der wirtschaftlichen Vorgänge fest und bilden die Wirtschaftsordnung. Unter Wirtschaftsordnung ist die Gesamtheit aller Regeln für den organisatorischen Aufbau und Ablauf einer Volkswirtschaft zu verstehen. In der Literatur wird oft zwischen Wirtschaftsordnung, Wirtschaftssystem und Wirtschaftsverfassung unterschieden. Leider sind diese Begriffe aber nicht einheitlich definiert. Wir wollen daher keinen Unterschied machen und verwenden alle drei Bezeichnungen synonym. 5.2 Strukturmerkmale von Wirtschaftsordnungen 5.2.1 Koordination und Eigentum Die Wirtschaftsordnungen, so wie wir sie in der Realität beobachten, unterscheiden sich in einer Vielzahl von Einzelheiten. Zur Systematisierung dienen hauptsächlich zwei Strukturmerkmale, die wohl zum größten Teil den organisatorischen Aufbau und Ablauf einer Volkswirtschaft prägen: • Gestaltung der Koordinationsart • Festlegung der Eigentumsformen Die Koordination der Einzelpläne kann einmal zentral erfolgen, indem eine (staatliche) Instanz einen zentralen, verbindlichen Plan formuliert. Bei der dezentralen Koordination verbleiben die Planungs- und Entscheidungskompetenz bei den einzelnen Wirtschaftssubjekten, und eine Abstimmung erfolgt durch den Marktmechanismus. Dementsprechend unterscheidet man zwischen den beiden Ordnungstypen „Zentralverwaltungswirtschaft“ (auch: Kommandowirtschaft, Planwirtschaft) und „Marktwirtschaft“ (auch: Verkehrswirtschaft). Die beiden grundlegenden Ordnungsformen nach der Koordinationsart sind die Zentralverwaltungswirtschaft und die Marktwirtschaft. Weit verbreitet ist die Bezeichnung „Planwirtschaft“ für eine Zentralverwaltungswirtschaft. Hierbei kann es zu Missverständnissen kommen. Jedes wirtschaftliche (rationale) Handeln muss sich auf Pläne stützen. Insoweit ist jede Volkswirtschaft – auch eine Marktwirtschaft – eine „Planwirtschaft“. Im Grunde genommen geht es nicht darum, dass Pläne aufgestellt, sondern wie sie koordiniert werden. Planwirtschaft ist daher stets im Sinne von Koordination durch einen Zentralplan zu interpretieren. Andere Abstimmungsformen (z. B. Verhandlungen) bleiben hier außer Betracht. 61 Grundlagen Volkswirtschaftslehre 4 Wirtschaftsordnungen Das Eigentum an Produktionsmitteln (Eigentum im Sinne von Verfügungsgewalt) kann sich entweder in privater Hand (= Privateigentum) oder in öffentlicher Hand (= Gemeineigentum) befinden. Diese beiden Ordnungsformen heißen Kapitalismus (auch: Privatkapitalismus) und Sozialismus. Die beiden grundlegenden Ordnungsformen nach der Eigentumsform sind der Kapitalismus und der Sozialismus. 5.2.2 Typen von Wirtschaftsordnungen Aus der Kombination der beiden Strukturmerkmale (Eigentum und Koordination) in ihren jeweils zwei Ausprägungen ergeben sich zunächst einmal theoretisch vier Gedankenmodelle, die ihre Namen ebenfalls aus der paarweisen Kombination der entsprechenden Begriffe erhalten. Abbildung 37−62: Typen von Wirtschaftsordnungen Die vier Ordnungstypen heißen auch Idealtypen. Damit ist nicht gemeint, es handele sich um erstrebenswerte Organisationsformen. Vielmehr sind es theoretisch „reine“ Gedankenkonstruktionen (theoretische Modelle), die zur Herausarbeitung und Darstellung der jeweiligen Wesenszüge dienen. In diesem Sinne ist auch die „reine“ kapitalistische Marktwirtschaft eine Idealform, in der überhaupt keine staatliche Institution existiert. Dies ist selbstverständlich in der Realität weder möglich noch erstrebenswert. In der Praxis sind Koordinations- und Eigentumsform nicht beliebig kombinierbar. So stehen zentrale Koordination und Gemeineigentum (Staatseigentum) auf der einen Seite in ebenso enger Verbindung wie Marktmechanismus und Privateigentum auf der anderen Seite. Die beiden wichtigsten Ordnungsmodelle sind deshalb die kapitalistische Marktwirtschaft und die sozialistische Zentralverwaltungswirtschaft. Alle realen Wirtschaftsordnungen lassen sich ohne große Schwierigkeiten dem einen oder anderen Typ zuordnen. 62 Grundlagen Volkswirtschaftslehre 4 Wirtschaftsordnungen Allerdings finden wir bei genauerem Hinsehen in jeder Volkswirtschaft sämtliche vier Bausteine nebeneinander bestehend. In der Bundesrepublik Deutschland gibt es neben der marktwirtschaftlichen Steuerung in vielen Bereichen eine zentrale Lenkung durch staatliche Instanzen. Zwar überwiegt hier das Privateigentum, doch gibt es auch öffentliches Eigentum an Produktionsmitteln (Bundesbahn, Wasserwerke, Müllabfuhr, Sparkassen usw.). Ähnliches gilt für die USA, Frankreich und die anderen Marktwirtschaften, und auch - mit umgekehrten Vorzeichen - für die frühere DDR und die ehemalige UdSSR usw. Jede reale Wirtschaftsordnung „vermischt“ folglich die Strukturmerkmale, wobei allerdings das „Mischungsverhältnis“ von Land zu Land unterschiedlich ist. Jede reale Wirtschaftsordnung ist eine gemischte Wirtschaftsordnung. Die realen Wirtschaftsordnungen, die sich dem Modell der sozialistischen Zentralverwaltungswirtschaft zuordnen lassen, gehören inzwischen der Vergangenheit an. Drei wirtschaftliche Punkte sind es wohl, die zum Misserfolg und Absterben der sozialistischen Planwirtschaft führten, gesellschaftspolitische Gründe (Freiheit, Demokratie usw.) einmal außer Betracht gelassen. – Die technokratische Fähigkeit zu einer Totalplanung mit dem Anspruch der Totaloptimierung wurde überschätzt. Tatsächlich sind Modelle mit höherer Flexibilität in der Praxis bei komplexen Problemlösungen besser geeignet. – Die häufige Missachtung der Konsumentenwünsche mit dem Anspruch des Staates, die „wahren Bedürfnisse“ der Bevölkerung besser zu kennen als diese selbst, was einer Bevormundung „unselbständiger Kinder“ gleichkommt. – Die Außerkraftsetzung des Preises als Knappheitsindikator, was eine Verzerrung des Informationssystems und gewaltige Fehlsteuerung von Ressourcen bewirkte. 5.3 Prinzipien der Marktwirtschaft 5.3.1 Produktions- und Konsumfreiheit Die geistige Wurzel der Marktwirtschaft liegt in der Philosophie des klassischen Liberalismus, der um die Mitte des 18. Jahrhunderts mit seiner Forderung nach individueller Selbständigkeit, Freiheit und Selbstverantwortung auf politischer Ebene den damals in Europa herrschenden Absolutismus kritisierte und auf wirtschaftlicher Ebene die Idee der marktwirtschaftlichen Koordination propagierte. Zu den „Klassikern“ zählen insbesondere der englische Philosoph Adam SMITH (1723–1790), häufig auch als Begründer der Volkswirtschaftslehre genannt, die Engländer David RICARDO (1772 – 1823), John STUART (1806–1873) und der Franzose Jean Baptiste SAY (1767–1832). Die Betonung des Individualismus entstammt dem in jener Zeit weit verbreiteten Naturrecht, wonach der Mensch als vernünftiges Wesen seine eigenen Interessen am besten kennt und zur Verwirklichung ein natürliches Recht auf Freiheit hat. Erstes Kernstück einer marktwirtschaftlichen Ordnung ist daher die Forderung nach 63 Grundlagen Volkswirtschaftslehre 4 Wirtschaftsordnungen ökonomischer Dispositionsfreiheit (Handlungsfreiheit). Ihre beiden wichtigen Dimensionen die Produktionsfreiheit und die Konsumfreiheit. Produktionsfreiheit bedeutet freie Verfügung über Produktionsmittel. Jeder kann einen Betrieb gründen, Produktionsmittel erwerben und entscheiden, was er produzieren will, wie viel Arbeitskräfte er einstellen möchte, welche Fertigungsmittel er anwendet usw. Diese private Verfügungsmacht ist inhaltlich identisch mit Privateigentum an Produktionsmitteln. Konsumfreiheit bedeutet Freiheit der Einkommensverwendung. Jeder kann frei entscheiden, wofür er sein Geld ausgibt. Er kann die Güter erwerben und verbrauchen, die er wünscht (sofern sie angeboten werden und er sie bezahlen kann). Konsum- und Produktionsfreiheit sind hier als umfassende Oberbegriffe zu verstehen. Sie schließen Vertragsfreiheit, Gewerbefreiheit, Freiheit der Berufs- und Arbeitsplatzwahl, Niederlassungsfreiheit usw. ein. 5.3.2 Leistungsprinzip und Einkommen Die Handlungsfreiheit führt zu Millionen selbständigen Entscheidungen, die von den Wirtschaftssubjekten aus egoistischen Motiven gefällt werden. Dies scheint zunächst eine geradezu chaotische Form des Wirtschaftens zu sein. Die notwendige Abstimmung erfolgt über die Märkte durch Information und Motivation (Sanktion). Zentrales Kriterium dabei ist die Leistungsfähigkeit, die sich nach dem Verhältnis von Angebot und Nachfrage bemisst. Leistungsfähigkeit ist als Marktleistung zu verstehen. Beispiele: Ein Sportler, dem Tausende im Stadion und Millionen am Bildschirm zujubeln, erbringt eine hohe Marktleistung. Viele Menschen sind bereit, einen entsprechenden Preis zu entrichten, um ihn zu sehen. Die Nachfrager treffen diese Entscheidungen aufgrund ihrer Wünsche und Interessen (Konsumfreiheit). Hohe Marktleistungen sollen „belohnt“, geringe Marktleistungen dagegen „bestraft“ werden, um den Anreiz für bessere Leistungen zu schaffen. Dies gilt für Haushalte und für Unternehmen gleichermaßen. Die Belohnung eines im ökonomischen Sinne „guten“ Haushalts und die Bestrafung eines „schlechten“ Haushalts ist die Höhe des Einkommens. Einkommen ist das Markteinkommen aus produktiven Leistungen (Faktoreinkommen). Basisidee ist die leistungsgerechte Entlohnung. Bezogen nur auf den Arbeitseinsatz lautet es: „Wer nicht arbeitet, soll nicht essen“ (LENIN). Allerdings gelten auch Vermögenseinkünfte (Zinsen, Mieten, Dividenden usw.) als Entgelt für Faktorleistungen. Dementsprechend kann sehr wohl auch derjenige „essen“, der nicht arbeitet, aber in der Lage ist, hohes Vermögen produktiv einzusetzen. 64 Grundlagen Volkswirtschaftslehre 4 Wirtschaftsordnungen 5.3.3 Gewinnstreben und Wettbewerb Die Belohnung „guter“ (= leistungsfähiger) Unternehmen ist ihr Gewinn, die Bestrafung der „schlechten“ Unternehmen der Verlust und bei dauerhaften Verlusten der Konkurs (Marktausscheiden). Insofern haben Unternehmen ein fundamentales Eigeninteresse an möglichst hohen Erlösen und möglichst geringen Kosten. Abbildung 38−65: Marktwirtschaftliche Sanktionsinstrumente Hohe Erlöse stellen sich ein, wenn – einfach gesagt – eine große Menge zu hohen Preisen abgesetzt wird. Dies gelingt den Unternehmen umso besser, je genauer sie die Wünsche ihrer Abnehmer erfüllen. Umgekehrt wird ein Unternehmen geringe Gewinne erwirtschaften oder gar Verluste hinnehmen müssen, wenn die Informationen über die Nachfrage unbekannt sind oder missachtet wurden. Das Gewinnmotiv schafft insoweit den Anreiz, die Nachfrage zu befriedigen. Kosten entstehen durch Verbrauch an Produktionsmitteln. Aus dem eigennützigen Gewinnmotiv heraus werden Unternehmen versuchen, den Verzehr an kostbaren Produktionsmitteln gering zu halten. Die allgemeine wirtschaftliche Bedeutung ist wohl unumstritten bei Rohstoffen und anderen Ressourcen. Weniger einleuchtend ist auf den ersten Blick, dass auch Bemühungen um Einsparungen beim Arbeitskräfteeinsatz „belohnt“ werden, auch wenn daraus Unterbeschäftigung resultiert. Sicherlich ist es ökonomisch wenig zweckmäßig, Arbeitskräfte (und andere Produktionsmittel) weiterhin mit der Produktion solcher Güter zu beschäftigen, die von den Nachfragern nicht mehr gewünscht werden. Die hier freigesetzten Arbeitskräfte könnten in anderen Bereichen Güter erstellen und damit zum höheren Lebensstandard der Volkswirtschaft beitragen. Unterbeschäftigung ist eine Vergeudung von Produktionsfaktoren. Allerdings wird eine reine Marktwirtschaft Vollbe- schäftigung nicht unbedingt herstellen können, denn Produktion reagiert nur auf kaufkräftige Nachfrage. Fehlt die Nachfrage, fehlt auch die Beschäftigung. Staatliche Eingriffe sind unverzichtbar, und das Ziel „Vollbeschäftigung“ gehört heute zum unumstrittenen Aufgabenkatalog der staatlichen Wirtschaftspolitik in einer jeden realen Marktwirtschaft. Gewinne haben im marktwirtschaftlichen System eine wichtige Funktion. Hohe Gewinne sind ein Signal von relativer Knappheit (Information) und sollen letztlich über den Gewinnanreiz eine Steigerung der Produktion bewirken und auf diesem Wege die bekundeten Wünsche der Nachfrager erfüllen. Gewinnstreben ist deshalb unverzichtbar für die Lenkung der Produktion nach den Käuferwünschen. Gleichwohl müssen die ebenfalls unverzichtbaren Randbedingungen beachtet werden. Gewin- 65 Grundlagen Volkswirtschaftslehre 4 Wirtschaftsordnungen ne müssen im fairen Leistungswettbewerb erzielt werden, nicht aufgrund von Marktbeherrschung. Wer bei Marktwirtschaft nur an Privateigentum und Gewinne denkt, vergisst den Leistungswettbewerb als Regulativ für die Höhe der Gewinne. Zentrales Sanktionsinstrument für Unternehmen in einer Marktwirtschaft ist der Gewinn. Das Gewinnstreben der privaten Unternehmen in einer Marktwirtschaft findet seine Grenzen in einem funktionsfähigen Leistungswettbewerb. 5.3.4 Koordination durch Märkte Angesichts der Knappheit müssen die verfügbaren Mittel so eingesetzt (gelenkt) werden, dass eine bestmögliche Befriedigung der Bedürfnisse erfolgen kann. Dieses Lenkungsproblem beinhaltet drei Fragenkomplexe: Was soll Wie und für Wen produziert werden? Eine Wirtschaftsordnung muss auf diese Fragen Antworten finden und dabei die Zuständigkeiten regeln: 1. Auswahlproblem (Selektionsproblem): Wer bestimmt, was hergestellt wird? 2. Verwendungsproblem (Allokationsproblem): Wer ist zuständig für den Einsatz der Produktionsmittel? 3. Verteilungsproblem (Distributionsproblem): Wer oder was entscheidet über die Verteilung der Güter? Im Modell der reinen Marktwirtschaft (Idealtyp) liegen die Kompetenzen ausschließlich bei den Haushalten und Unternehmen. Zunächst einmal entscheiden die Unternehmen darüber, was in welcher Menge hergestellt wird, letztlich sind es aber die Konsumenten mit ihren Kaufentscheidungen. Dies bezeichnet man als Konsumentensouveränität, weil in Analogie zur Volkssouveränität der Verbraucher mit seiner Kaufkraft als „Stimmzettel“ die Produktion lenkt. Konsumentensouveränität bedeutet, dass die Verbraucher mit ihren Kaufent- scheidungen letztlich über Art und Umfang der produzierten Güter bestimmen. Privateigentum beinhaltet die Verfügungsmacht über den Einsatz der Produktionsmittel. Hier sind die Kosten entscheidend. Kosten ergeben sich aus den Mengen und aus den Preisen, die für Produktionsmittel (Arbeit, Kapital, Rohstoffe usw.) zu bezahlen sind. Also wird auf den Märkten für Produktionsmittel darüber entschieden, wie die Güter hergestellt werden. Güter kann nur kaufen, wer Einkommen erhält. Einkommen wiederum erhalten nur jene, die Arbeitsleistungen oder andere gefragte Produktionsmittel bereitstellen. Einkommen ist ein Entgelt für Marktleistungen und von den Konstellationen auf den Faktormärkten abhängig. Diese Märkte entscheiden letztlich, wer welche Güter in welcher Menge erhält, für wen also produziert worden ist. Die Koordination erfolgt durch sämtliche Märkte gemeinsam. 66 Grundlagen Volkswirtschaftslehre 4 Wirtschaftsordnungen Der Markt ist Träger sowohl der Informationen wie auch der Sanktionen. Produzenten und Konsumenten geben insbesondere mit ihrem Angebot und ihrer Nachfrage Informationen über die Tauschabsichten und Tauschbedingungen. Sie reagieren zugleich auf die Marktergebnisse. Materielle Sanktionen sorgen für marktgerechtes Verhalten. Aus dem Gewinnstreben heraus werden die Unternehmen jene Güter erstellen, die den Käuferwünschen am besten entsprechen, weil dann die Erlöse (Umsätze) groß sind. Gleichzeitig sind sie bestrebt, kostengünstige Herstellungsmethoden anzuwenden. Leistungsfähige Unternehmen werden mit Gewinnen belohnt, alle anderen mit Verlusten bestraft. Bei der Aufstellung der einzelnen Pläne erfolgt noch keine gegenseitige Abstimmung. Die Wirtschaftspläne werden erst im nachhinein koordiniert, wobei die Marktergebnisse (Preise, Mengen, Umsätze, Kosten, Gewinne, Löhne usw.) wiederum eine wichtige Informationsbasis für das weitere (risikobehaftete) Vorgehen bilden. Diese Art der „nachträglichen“ Abstimmung bezeichnet man als ex-postKoordination. In einer kapitalistischen Marktwirtschaft werden die Wirtschaftsprozesse vom Motor der egoistischen Bestrebungen angetrieben, von Informationen und Sanktionen der Märkte gelenkt und durch die Regeln eines funktionsfähigen Leistungswettbewerbs kanalisiert. Der Wettbewerb soll, vereinfacht gesagt, dafür sorgen, dass die Gewinne „nicht in den Himmel wachsen“ und die Wünsche der Marktgegenseite nicht auf der Strecke bleiben. 5.3.5 Private und staatliche Unternehmen Aus den Strukturelementen ergeben sich für Unternehmen in einer Marktwirtschaft vier Kennzeichen, und zwar Autonomie, Privateigentum, erwerbswirtschaftliche Ziele und Leistungswettbewerb. Abbildung 39−67: Merkmale marktwirtschaftlicher Unternehmen 67 Grundlagen Volkswirtschaftslehre 4 Wirtschaftsordnungen Autonomie Die Unternehmen sind autonom in dem Sinne, dass sie bei ihren Entscheidungen über Beschaffung, Produktion, Absatz, Investition, Finanzierung, Organisation usw. keinerlei staatlichen Weisungen unterliegen. Es gibt keinen verbindlichen Zentralplan. Erwerbswirtschaftliche Ziele Marktwirtschaftliche Unternehmen verfolgen erwerbswirtschaftliche Ziele (keine Planerfüllung). Als überragendes Ziel ist damit das Gewinnstreben angesprochen, das einen möglichen Ausdruck auch als Rentabilitätsziel (Gewinn bezogen auf das eingesetzte Kapital) findet. Als Minimalziel muss Kostendeckung erreicht werden, um das Überleben am Markt zu sichern. Auch in der Formulierung ihrer Ziele sind marktwirtschaftliche Unternehmen autonom. Privateigentum Private Verfügungsgewalt über den Produktionsmitteleinsatz (Produktionsfreiheit) führt zur Autonomie und erfordert erwerbswirtschaftliche Ziele. Leistungswettbewerb Die Unternehmen müssen sich im Leistungswettbewerb stets neu bewähren. Funktionsfähiger Wettbewerb ist nicht zuletzt ein effektiver Schutz der Nachfrager vor willkürlicher Ausnutzung der privaten Verfügungsmacht und unangemessener Durchsetzung erwerbswirtschaftlicher. Nun hat sich schon immer die Frage gestellt, ob marktwirtschaftliche Koordination nicht auch mit einer anderen Eigentumsform möglich ist. Diskussionen darüber entstammen hauptsächlich einem Misstrauen gegenüber Privateigentum, weil es Macht in sich birgt und eine missbräuchliche Ausnutzung ermöglicht. Grundsätzlich ist festzustellen, dass Marktwirtschaft auf jeden Fall drei unlösbar miteinander verflochtene Merkmale von Unternehmen erfordert: 1. Kein Zentralplan, sondern Autonomie. 2. Keine Planerfüllung, sondern erwerbswirtschaftliche Ziele (Gewinnstreben). 3. Funktionsfähige Wettbewerbsstrukturen. Nicht erwähnt ist hierbei das Privateigentum. Tatsächlich gibt es auch in realen Marktwirtschaften sehr viele Beispiele dafür, dass Unternehmen sich in öffentlichem Eigentum befinden und dennoch als marktwirtschaftliche Unternehmen gelten können. Man denke nur an Unternehmen oder Konzerne wie VW, VEBA, Salzgitter-Werke, Lufthansa, Sparkassen usw., deren Anteile sich mehrheitlich oder gar vollständig in öffentlicher Hand befanden oder noch befinden. Staatseigentum scheint mit Marktwirtschaft durchaus vereinbar, sofern die Betriebe am Markt autonom mit erwerbswirtschaftlichen Zielen im Wettbewerb operieren können. Fraglich ist indessen, ob eine Marktwirtschaft es auch verträgt, wenn nicht Einzelfälle, sondern die Unternehmen überwiegend so konstruiert sind. Hier sind erhebliche Zweifel angebracht. 68 Grundlagen Volkswirtschaftslehre 4 Wirtschaftsordnungen • Erstens werden staatliche Entscheidungsträger nicht immer die notwendigen erwerbswirtschaftlichen Ziele mit allem Nachdruck verfolgen, wenn etwa größere Entlassungen unvermeidbar sind. • Zweitens kann die Autonomie eingeschränkt sein, denn die Unternehmensleitung wird von politischen Gremien eingesetzt. • Drittens zeigen die meisten Beispiele eine geringere Flexibilität und Effizienz im Wettbewerb. Effiziente Marktwirtschaft und erhebliches Staatseigentum an Unternehmen sind als generelles Ordnungsprinzip auf Dauer wohl doch nicht miteinander vereinbar. Deshalb geht gegenwärtig in den meisten „alten“ Marktwirtschaften die Diskussion auch eher in die Richtung zur Privatisierung noch vorhandener Staatsbetriebe. 5.4 Konzeption der sozialen Marktwirtschaft Die geistigen Wurzeln der marktwirtschaftlichen Idee liegen im klassischen Liberalismus. Diese Philosophie sah im Marktmechanismus eine Möglichkeit, auf der Basis individueller Freiheit und Selbstverantwortung das höchstmögliche Glück der größtmöglichen Zahl zu bewirken. Mit dem Eintritt und den Folgen der Industriali- sierung, sozialer Verelendung, neuer Klassenbildung und zunehmender Konzentration wurde der Glaube an die unbegrenzten Selbstheilungskräfte des Marktes aber erschüttert und endgültig mit der Weltwirtschaftskrise (1929) zu Grabe getragen. Ein zweiter Schritt war der Ordoliberalismus. Bereits 1937 im totalitären Deutschland begann die Freiburger Schule (insbesondere Franz BÖHM und Walter EUCKEN) die Idee einer Wirtschaftsordnung zu verbreiten, die im Grundsatz freiheitlich angelegt ist, jedoch staatlich gezielt ausgestaltet werden muss und sozial verpflichtend sein soll. Dem Staat fällt die Aufgabe zu, durch konstituierende und regulierende Prinzipien eine Ordnung bewusst zu gestalten und zu schützen. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden diese Ideen insbesondere von Alfred MÜLLER–ARMACK und von Ludwig ERHARD mit der Währungsreform (1948) in die Praxis umgesetzt. Dem Staat wurden weitgehende Eingriffsrechte zugestanden. Diese Konzeption soll freiheitliche und soziale Ziele zur Synthese bringen. Marktwirtschaft steht somit für Freiheit (Konsum-, Produktions-, Gewerbe-, Berufsfreiheit usw.) und sozial für soziale Sicherheit und Gerechtigkeit (Schutz vor Krankheit, Unfall und Arbeitslosigkeit). „Die soziale Marktwirtschaft kann als eine Ordnung definiert werden, deren Ziel es ist, auf der Basis der Wettbewerbswirtschaft die freie Initiative mit einem gerade durch die marktwirtschaftliche Leistung gesicherten sozialen Fortschritt zu verbinden. Auf der Grundlage einer marktwirtschaftlichen Ordnung kann ein vielgestaltiges und vollständiges System sozialen Schutzes errichtet werden.“ (MÜLLER-ARMACK) Soviel Markt wie möglich, soviel Staat wie nötig. Dieser Ausspruch charakteri- siert schlagwortartig die Konzeption der sozialen Marktwirtschaft. Staatliche Eingriffe sind stets dann erforderlich, wenn der Marktmechanismus keine befriedi- 69 Grundlagen Volkswirtschaftslehre 4 Wirtschaftsordnungen genden Ergebnisse liefert. Dies entspricht dem Prinzip einer gelenkten oder kon- trollierten Marktwirtschaft. Die staatlichen Maßnahmen in der sozialen Marktwirtschaft lassen sich in drei Aufgabenkomplexe gliedern, die der Marktmechanismus allein nicht erreichen kann. Abbildung 40−70: Aufgabenbereiche des Staates in einer Marktwirtschaft 1. Der faire Leistungswettbewerb ist weder ein von selbst entstehender noch ein sich selbst erhaltender Prozess. Der Staat muss vielmehr den Ordnungsrahmen (Freiheitsrechte) gestalten, die Spielregeln für den Ablauf festlegen und die Einhaltung kontrollieren. Wichtige Instrumente sind beispielsweise das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) und das Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb (UWG). 2. Im reinen marktwirtschaftlichen Leistungswettbewerb erhielten im Extremfall Kranke, Kinder, Hausfrauen, Rentner überhaupt kein Einkommen, wenn sie keine Marktleistungen erbringen. Hier ist eine soziale Absicherung erforderlich. Dies geschieht durch eine Umverteilung von Einkommen und Vermögen. In der Bundesrepublik dienen diesem Ziel die vielen Gesetze, die das sog. soziale Netz bilden. 3. Marktwirtschaftliche Systeme neigen aufgrund gesamtwirtschaftlicher Zusammenhänge zu Instabilitäten, insbesondere zu konjunkturellen Schwankungen. Hier muss der Staat für eine Beruhigung sorgen. Gesetzliche Grundlage zur Sicherung der Stabilität ist vor allem das 1967 verabschiedete Stabilitäts- und Wachstumsgesetz (StabWG). Danach ist der Staat für Vollbeschäftigung, für Geldwertstabilität, für außenwirtschaftliches Gleichgewicht, für ein angemessenes und stetiges Wirtschaftswachstum verantwortlich. Zu den wichtigsten Instrumenten gehören hier außerdem die Geldpolitik und die Maßnahmen der Wachstums- und Strukturpolitik. Vorsorge, um auch in kritischen Lebenslagen eine Bedarfsdeckung zu sichern, kann durch Eigenvorsorge (Individualprinzip) und durch kollektive Vorsorge (Sozialprinzip) geschehen. Zentrales Element der Sozialen Marktwirtschaft ist das ausgeprägte System der sozialen Sicherung. Sozialleistungen haben die Aufgabe, alle Bevölkerungsschichten gegen die wichtigsten Lebensrisiken abzusichern und einen Mindestschutz zu bieten. Das Individualprinzip entspricht einer marktwirtschaftlichen Leistungsgesellschaft, in der jeder die Freiheit haben soll, seine Lebensbedingungen selbst zu gestalten. 70 Grundlagen Volkswirtschaftslehre 4 Wirtschaftsordnungen Dies schließt die eigenverantwortliche Vorsorge für Notfälle und Alter ein. Als Instrumente der Vorsorge dienen das Sparen (Vermögensbildung) und der Abschluss von Versicherungen. Abbildung 41−71: Prinzipien der sozialen Sicherung Die alleinige Anwendung des Individualprinzips versagt jedoch bei nicht versicherbaren Risiken wie Massenarbeitslosigkeit, Kriegsschäden und Umweltkatastrophen. Hinzu kommt, dass viele Menschen insbesondere in jungen Jahren die Notwendigkeit der Vorsorge nicht erkennen. Andere Personenkreise wiederum sind finanziell dazu nicht in der Lage. Aus diesen Gründen muss das marktwirtschaftliche Individualprinzip der Daseinsvorsorge durch das staatliche Sozialprinzip ergänzt werden. Als Gestaltungsprinzipien kommen dabei das Versicherungsprinzip, das Versorgungsprinzip und das Fürsorgeprinzip in Betracht. Die soziale Absicherung basiert in Deutschland überwiegend (noch) auf dem Versicherungsprinzip mit den gesetzlich vorgeschriebenen Sozialversicherungen (gesetzliche Rentenversicherung, Krankenversicherung, Unfallversicherung, Arbeitslosenversicherung und Pflegeversicherung). (Das Versorgungsprinzip spielt − im Gegensatz beispielsweise zu den skandinavischen Ländern − gegenwärtig noch keine Rolle.) Das Versicherungsprinzip wird ergänzt durch das Fürsorgeprinzip. Zahlreiche staatliche Transferleistungen (Sozialhilfe bei Bedürftigkeit, Erziehungsgeld, Kindergeld usw.) vervollständigen das „Soziale Netz“, das allerdings auch finanziert werden muss. Hier stellt sich dann die politische Frage, welchen sozialen Schutz die Mehrheit wünscht und auch zu finanzieren bereit ist. So ist insgesamt die Soziale Marktwirtschaft keine festgeschriebene, unabänderliche Ordnung. Sie hat ihr Gesicht im Zeitablauf gewandelt und wird es auch künftig wandeln. Die soziale Marktwirtschaft kann nur als Prozess und nicht als abgeschlossenes Regelungssystem angesehen werden. Sie soll in der sich ständig wandelnden Gesellschaft immer wieder optimale Lösungen im Spannungsfeld von individueller Freiheit und sozialer Bindung finden, d. h. die im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland verankerten sozioökonomischen Freiheitsrechte und die ebenfalls dort verankerte sozialstaatliche Verpflichtung gleichzeitig sichern. 71 Grundlagen Volkswirtschaftslehre C Test 6 Preisbildung 6.1 Begriff des Marktes Ein Kernelement der marktwirtschaftlichen Koordination ist die Preisbildung. Preise beeinflussen die Kosten, Erlöse und Gewinne der Unternehmen, das Einkommen und die reale Kaufkraft der Haushalte, und sie prägen das künftige Produktionsvolumen (Angebot) und die künftige Nachfrage. Ein Markt wird gebildet durch Angebot und Nachfrage. Angebot und Nachfrage sind Informationen über Tauschabsichten. Noch handelt es sich um Wünsche, und nicht alle Kauf- oder Verkaufswünsche werden auch tatsächlich realisiert. Den „Ort“ des Zusammentreffens von Angebot und Nachfrage ist dann der Markt. Nachfrage ist die Information über einen konkreten Kaufwunsch. Angebot ist die Information über einen konkreten Verkaufswunsch. Ein Markt ist jede Institution, Einrichtung oder sonstige Gegebenheit, die ein Zusammenkommen von Angebot und Nachfrage ermöglicht. Insbesondere die in Zeitungen zu findenden Anzeigen, die zu Rubriken wie „Arbeitsmarkt“, „Wohnungsmarkt“, „Automarkt“ usw. zusammengestellt sind, verdeutlichen sehr gut den Grundcharakter eines Marktes. Hier finden wir Information über Kaufwünsche (Nachfrage) und über Verkaufswünsche (Angebots). Ein Zusammentreffen von Angebot und Nachfrage wird möglich, und ob es dann tatsächlich zu einem Tausch kommt, bleibt noch offen. Neben Konsumgütermärkten existieren Märkte für Rohstoffe, Investitionsgüter, Immobilien, Arbeitsleistungen, Geld, Kredite und Devisen. Und auf fast allen Märkten können alle Wirtschaftssubjekte als Anbieter oder als Nachfrager in Erscheinung treten. Die Grundprinzipien der marktwirtschaftlichen Preisbildung sind weitgehend unabhängig davon, ob es sich um • den Kauf und Verkauf von Arbeitsleistungen (Lohnbildung), • die Nutzung von Immobilien (Miete, Pacht), • die Gewährung von Krediten (Zinsbildung), • den Ankauf und Verkauf von Devisen (Wechselkurse), • den Kauf und Verkauf von Waren und Dienstleistungen handelt. Der Markt ist ein Steuerungsinstrument, das sämtliche ökonomischen Verhaltensweisen der Wirtschaftssubjekte dergestalt regeln soll, dass die gegenseitigen Tauschwünsche in Übereinstimmung gelangen. Die Grundprinzipien der Preisbildung werden wir überwiegend nur an Beispielen der Konsumgütermärkte darstellen. Hier stehen sich Unternehmen (als Verkäufer) und Haushalte (als Käufer) gegenüber. Die allgemeinen Ableitungen gelten aber unabhängig davon, was auf den Märkten gehandelt wird und welche Wirtschaftssubjekte Anbieter bzw. Nachfrager sind. 72 Grundlagen Volkswirtschaftslehre C Test 6.2 Nachfrage 6.2.1 Preisabhängigkeit der Nachfrage Die Konsumentscheidungen der privaten Haushalte werden von der Bedarfsstruktur (Alter, Geschlecht, Umgebung usw.), von den Finanzierungsmöglichkeiten, den Preisen und anderen Angebotsbedingungen beeinflusst. Uns interessiert zunächst der Einfluss der Preise, die übrigen Bestimmungsgründe folgen später. Käufer sind daran interessiert, ein Gut möglichst billig zu erwerben. Niedrige Preise stimulieren die Nachfrage, hohe Preise dämpfen sie. Deshalb wird die von allen Haushalten zusammen auf einem Markt nachgefragte Menge normalerweise bei niedrigen Preisen hoch und umgekehrt bei hohen Preisen niedrig sein. Beispiel: Bei einen Preis von 20.000 € für einen modernen Fernseher mit Flachbildschirm sind nur wenige Haushalte bereit und in der Lage, das Gerät zu kaufen. Für 10 € würde dagegen nur wenige auf den Kauf verzichten. Bei niedrigen Preisen viel, bei hohen Preisen dagegen wenig nachzufragen, wird als normales Verhalten bezeichnet. Es kann in einem Preis-Mengen-Diagramm durch die negative Steigung der Nachfragekurve ausgedrückt werden. Die Nachfragekurve ist ein optischer Ausdruck für die Kaufabsichten. Sie erteilt Auskunft darüber, welche konkrete Menge die Nachfrager bei welchem Preis erwerben möchten. Abbildung 42−73: Normale Nachfrage Wenn wir lineare Nachfragekurven und später auch Angebotskurven zeichnen, ist dies sicherlich eine Vereinfachung, die aber die grundsätzlichen Überlegungen überhaupt nicht verzerrt. 73 Grundlagen Volkswirtschaftslehre C Test Beispiel: Die Nachfragekurve in der Abbildung 31 gibt Auskunft darüber, zu welchem konkreten Preis welche konkrete Menge alle Nachfrager zusammen kaufen möchten. Beispielsweise besagt der Punkt N, dass alle Konsumenten zusammen 400 Stück nachfragen, wenn der Marktpreis 30 € beträgt. Der Preis von 50 € heißt auch Prohibitivpreis. Zu diesem (und jedem höheren) Preis existiert keine Nachfrage mehr. Die negative Steigung der Nachfragekurve mag teilweise daher rühren, dass jeder einzelne Nachfrager bei Preissenkungen mehr von dem Gut erwerben möchte. In erster Linie wird aber der Zustrom an neuen Nachfragern verantwortlich sein, die nun bei niedrigeren Preisen zum Kauf gewillt und in der Lage sind – und umgekehrt. Wir betrachten nicht die individuelle, sondern die gesamte Marknachfrage, und die setzt sich aus den vielen individuellen Kaufabsichten zusammen. Es handelt sich um eine aggregierte Nachfrage. In der Praxis ist eine Nachfragekurve höchst selten bekannt. Informationen über eine konkrete Ausgangslage sind aber sehr wichtig. Insbesondere möchte man gerne wissen, wie stark die Mengenänderung ausfällt, wenn sich der Preis ändert. Dazu kann man als eine wichtige Kennziffer die Preiselastizität der Nachfrage heranziehen. Einzelheiten zur Elastizität als wichtige ökonomische Kennziffer finden Sie in Anhang IV. Preiselastizität der Nachfrage (pe) = prozentuale Mengenverä nderung prozentuale Preisveränderung pe = %x %p Bezogen auf eine ganz konkrete Ausgangslage drückt sich die Elastizität durch einen steileren oder flacheren Verlauf der Nachfragekurve aus. Vollkommen unelastische (starre) Nachfrage wird im Preis-Mengen-Diagramm durch eine Senkrechte dargestellt. Beispiele für unelastische oder starre Nachfrage: lebensnotwendige Medikamente, Niedrigpreisartikel, die im Budget faktisch keine Rolle spielen (z. B. Salz), Luxusgüter, bei denen nicht der Preis, sondern andere Gründe (z. B. Prestige) dominieren. Starre Nachfrage bedeutet, dass Preisänderungen keinerlei Mengenreaktionen bewirken. Dies kann nur in gewissen Grenzen gelten. Letztlich wird bei immer weiter steigenden Preisen das Gut unerschwinglich, und die Nachfrage wird auch dann bei diesen Gütern sinken. 6.2.2 Ausschlussprinzip Jedes Wirtschaftssubjekt hat für jedes Gut eine individuelle Preisobergrenze. Das ist der Preis, den ein Nachfrager maximal zu zahlen bereit (Zahlungsbereitschaft) und in der Lage ist (Zahlungsfähigkeit). Überschreitet der tatsächliche Preis das individuelle Limit, wird auf den Kauf verzichtet, andernfalls wird gekauft. So teilt der für alle Käufer einheitliche (tatsächliche) Marktpreis die Nachfrager in zwei Gruppen: Käufer und Nichtkäufer. Beispiel: ASSER und OMMER möchten aufgrund der bevorstehenden Sommerferien und ihrer gemeinsamen Vorliebe für Wassersport jeder ein Schlauchboot erwerben. In einem Kaufhaus finden sie ein interessantes Angebot für 400 €. Unter Berücksichtigung ähnlicher Angebote und angesichts seiner Finanzierungsmöglichkeiten kommt W. 74 Grundlagen Volkswirtschaftslehre C Test Asser jedoch zum Ergebnis, dass er dafür höchstens 380 € bezahlen würde. Dies ist seine individuelle Preisobergrenze. Er kauft nicht, sondern macht sich auf die Suche nach einem günstigeren Angebot. Herrn S. Ommer ist dagegen eine weitere Suche zu mühselig und zeitraubend. Er würde notfalls, wenn es unbedingt sein müsste, sogar 460 € bezahlen. Er kauft. Nichtkäufer fallen unter das Ausschlussprinzip. Es ist so etwas wie die marktwirtschaftliche „Bestrafung“ für unzureichende Zahlungsfähigkeit oder Zahlungsbereitschaft. Wer nicht zahlt erhalten das Gut nicht und wird so von der Nutzung des Gutes ausgeschlossen. Das Ausschlussprinzip bedeutet, dass ein Nachfrager von der Nutzung des Gutes ausgeschlossen wird, wenn er nicht bereit oder in der Lage ist, den Preis zu bezahlen. Die Wirksamkeit des Ausschlussprinzips ist eine fundamentale Voraussetzung für die marktwirtschaftliche Koordination, denn nach diesem Prinzip wird die Verteilung der knappen Güter geregelt. Übungsaufgabe 23−75: Unternehmen TAND & TALMI verkauft Modeschmuck. Derzeit werden täglich 20 versilberte Armbänder für 36,00 € verkauft. Geplant ist eine Preiserhöhung auf 39,60 €. Es wird erwartet, dass die Verkaufsmenge um 1 Armband pro Tag sinkt. a) b) Wie hoch ist die Preiselastizität der Nachfrage? Handelt es sich um eine elastische oder unelastische Reaktion? Übungsaufgabe 24−75: Von der Kaffeesorte „Goldene Bohne“ werden derzeit wöchentlich 10.000 Packungen für 8,80 € verkauft. Die Preiselastizität der Nachfrage wird mit – 2,5 eingeschätzt. Geplant ist eine Preissenkung auf 8,36 €. a) b) c) Wie wird sich die Absatzmenge verändern? Wie verändern sich die Erlöse (Umsätze)? Handelt es sich um eine elastische oder unelastische Reaktion? 6.2.3 Verschiebungen der Nachfrage Die Nachfragekurve zeigt die Preisabhängigkeit der Menge und mag den Eindruck erwecken, der Preis allein bestimme die Menge. Tatsächlich wird die Kaufentscheidung aber ganz wesentlich auch von anderen Bestimmungsgründen (Finanzierbarkeit, Preise anderer Güter, sonstige Gründe wie Lebensalter, soziale Umgebung, Jahreszeit, Wetter usw.) beeinflusst. Diese anderen Bestimmungsgründe spiegeln sich in der Elastizität und in der Lage und der Form der Nachfragekurve wider. Sie kann – optisch gesprochen – höher oder niedriger liegen, sie kann steiler oder flacher verlaufen. Wenn sich die Finanzierungsmöglichkeiten (z. B. das Einkommen) verbessern, wenn die Preise anderer Güter steigen, wenn neue Produkte angeboten werden, wenn in der Bedarfsstruk- 75 Grundlagen Volkswirtschaftslehre C Test tur ein Wandel eintritt, so entsteht eine neue Nachfragekurve. Die Nachfrage steigt oder fällt, ohne dass sich als Ursache der Preis geändert hat. Dies ist dann eine Nachfrageverschiebung oder Nachfrageverlagerung. Eine Änderung der übrigen Bestimmungsgründe (außer Preis) der Nachfrage wird durch eine Verschiebung der kompletten Nachfragekurve dargestellt. Abbildung 43−76: Nachfrageverschiebung Beispiel für Nachfrageerhöhung: Die Ausgangslage ist in Abbildung 27 links durch den Punkt N markiert. Eine Lohnerhöhung verschiebt die Nachfrage nach rechts. Viele Haushalte können nun für die alte Kaffeemenge einen höheren Preis bezahlen. Andererseits könnten zum alten Preis mehr Haushalte dieses Gut erwerben. Die Ausgangslage ist in Abbildung 27 rechts durch den Punkt N markiert. Als Folge eines Modewechsels sind blaue Jeanshosen „out“. Zum alten Preis sinkt der Absatz. Die alte Menge könnte nur noch bei Preisnachlässen verkauft werden. Die Nachfrage hat sich nach links (unten) verschoben. (Dafür sind graue Jeans vielleicht „in“. Dies würde eine Verschiebung nach oben/rechts bedeuten.) In einer dynamischen Wirtschaft ist die Nachfrageverschiebung keine seltene Erscheinung, sondern eine Alltäglichkeit. Bei Einkommensänderungen steigt die Nachfrage nach vielen Gütern, bei einigen fällt sie auch. Neue Produkte ziehen neue Nachfrage an – zu Lasten anderer Produkte. Jahreszeitliche Schwankungen erhöhen oder senken die Nachfrage nach Ferienwohnungen, Eis, Heizöl usw., und Modeänderungen schließlich machen neue Produkte begehrenswerter, während die alten Produkte in der Gunst sinken. In all diesen Fällen verschiebt sich die Nachfragekurve, was dann marktwirtschaftliche Anpassungsprozesse (Preisänderungen) in Gang setzt. 76 Grundlagen Volkswirtschaftslehre C Test 6.3 Angebot 6.3.1 Preisabhängigkeit des Angebots Ein Hersteller wird seine Produkte anbieten, wenn er einen Preis erzielen kann, der die Kosten deckt und darüber hinaus einen Gewinn als Einkommen verspricht. Die Interessen der Verkäufer sind denen der Käufer genau entgegengesetzt: Sie sind an einem möglichst hohen Preis interessiert. Hohe Preiserwartungen stimulieren das Angebot, niedrige Preise dämpfen es. Deshalb wird die von allen Herstellern zusammen auf einem Markt angebotene Menge normalerweise bei hohen (niedrigen) Preiserwartungen ebenfalls hoch (niedrig) sein. Bei hohen Preisen viel, bei geringen Preiserwartungen dagegen wenig anzubieten, wird als normales Verhalten der Anbieter bezeichnet. Normales Anbieterverhalten wird in einem Preis-Mengen-Diagramm durch die positive Steigung der Angebotskurve ausgedrückt. Die Angebotskurve erteilt Auskunft darüber, welche konkrete Menge die Produzenten bei welchem Preis verkaufen möchten. Abbildung 44−77: Normales Angebot Beispiel: Kein Produzent von Armbanduhren ist bereit, eine Uhr für 2 € (und weniger) pro Stück zu verkaufen – weil die Kosten nicht gedeckt werden. Mit steigenden Preisen wächst auch die Angebotsmenge. So besagt beispielsweise der Punkt N auf der Angebotskurve in Abbildung 33, dass bei einem Preis von 30 € alle Unternehmen zusammen genau 400 Armbanduhren verkaufen möchten. Wenn die Marktinformationen signalisieren, dass viele Käufer bereit sind, sehr viel Geld zu bezahlen, werden die Produzenten ihre Kapazitäten ausschöpfen, ja, neue Produzenten werden investieren. Das Angebot ist bei hohen Preiserwartungen ebenfalls hoch. Die Angebotskurve gilt in dieser Form nicht unbedingt für ein einzelnes Unternehmen. Sie zeigt vielmehr das gemeinsame Verhalten aller Unternehmen, die auf einem konkreten Markt anbieten. Die positive Steigung kommt nicht so sehr dadurch zustande, dass ein Betrieb mit steigenden Preisen mehr anbietet, sondern in erster Linie, weil bei hohen Preisen neue Unternehmen auf 77 Grundlagen Volkswirtschaftslehre C Test dem Markt in Erscheinung treten, angelockt von den Gewinnchancen. Umgekehrt wird ein Preisverfall Unternehmen mit ungünstiger Kostenstruktur zum Ausscheiden zwingen und das Gesamtangebot auf dem Markt reduzieren. In vielen Fällen kann die Angebotsmenge auf Preisänderungen kaum reagieren. Im Extremfall ist die Preiselastizität der angebotenen Menge gleich Null. Ein vollkommen unelastisches (starres) Angebot wird durch eine senkrechte Angebotskurve dargestellt. Unelastisches Angebot ist keineswegs selten, insbesondere nicht bei kurzfristiger Betrachtung, wenn die Menge aus irgendwelchen Gründen feststeht. Beispiele für unelastisches Angebot: Kapazität im öffentlichen Personennahverkehr, Ernteerträge in der Landwirtschaft (bis zur nächsten Ernte), Kartenangebot für ein Konzert, Plätze in einem Fußballstadion, Aufnahmekapazität in einem Krankenhaus, Studienplätze an Hochschulen, Parkplätze in der Innenstadt. Abbildung 45−78: Starres Angebot Beispiel: Ein Konzertsaal hat ein Fassungs- vermögen von 2.000 Personen. Bei einem Preis unterhalb von 10 € findet keine Veranstaltung statt, weil sonst Verluste entstehen. Die Angebotskurve hat einen senkrechten Verlauf mit einem „Sprung“ bei 10 €. Die Anpassung von Angebotsstrukturen an veränderte Markbedingungen kann in der Realität viel Zeit beanspruchen, wenn eine Ausweitung von Produktionskapazitäten durch größere Investitionen erforderlich ist. Manchmal ist eine Ausdehnung von Kapazitäten sogar unmöglich (z. B. verfügbare Menge an Rohstoffen). 6.3.2 Verschiebungen des Angebots Wenn eine Angebotskurve nur die Preisabhängigkeit der angebotenen Menge teilt, darf dies – wie bei der Nachfragekurve – nicht dazu verleiten, allein den Preis als Bestimmungsgrund anzusehen. Welche Menge ein Unternehmen zu welchem Preis anbietet, hängt auch noch von vielen anderen Faktoren ab, so etwa • von den Zielsetzungen (Gewinnerzielung, Umsatzsteigerung usw.) • von den Produktionsmöglichkeiten (Kapazität), • von den Herstellkosten (Stückkosten, Grenzkosten usw.), • von den Preisen anderer Güter (Konkurrenz). All diese anderen Bestimmungsgründe drücken sich in der Lage und der Form der Angebotskurve aus. Jede Angebotskurve gilt nur für eine ganz bestimmte Konstellation der Kostenlage, Preisstruktur anderer Güter und Zielsetzung. Tritt hier eine Änderung ein, entsteht eine neue Kurve: Die Angebotskurve hat sich verschoben. Eine Änderung der übrigen Bestimmungsgründe (außer Preis)des Angebots wird durch eine Verschiebung der kompletten Angebotskurve dargestellt. 78 Grundlagen Volkswirtschaftslehre C Test Ändert sich etwa die Kostenlage, weil die Löhne, die Rohstoffpreise oder die Steuern steigen, so wird auch die Preisuntergrenze steigen. Für die alte Menge wird anstelle des alten Preises nun ein höherer Preis gefordert. Vielleicht werden auch einige Anbieter aussteigen, und die verbleibenden (kostengünstigen) Hersteller werden zum alten Preis eine geringere Menge anbieten. Kostensteigerungen verschieben die Kurve nach oben (links). Umgekehrt werden Kostensenkungen, worauf immer sie zurückzuführen sind (Subventionen durch Staat, sinkende Rohstoffpreise, Rationalisierung usw.), die Angebotskurve nach unten verschieben. Bei Kapazitätserweiterungen wandert die Angebotskurve nach rechts (größere Menge zu alten Preisen), bei Stilllegungen umgekehrt nach links. Abbildung 46−79: Angebotsverschiebung Beispiel für Angebotsverschiebung Das Fassungsvermögen eines Fußballstadions wird von 40.000 auf 60.000 Plätze erweitert (Abbildung 30 links). Das Angebot ist jeweils vollkommen unelastisch. Zum alten Preis p0 stehen mehr Plätze zur Verfügung. Wegen Lohnerhöhungen und gestiegener Rohstoffpreise steigen die Kosten und damit die notwendigen Preisuntergrenzen. Die alte Menge x0 wird zu einem höheren Preis angeboten (Abbildung 30 rechts). 6.4 Marktgleichgewicht 6.4.1 Eigenschaften des Marktgleichgewichts Der Markt ist der „Ort“ des Zusammentreffens von Angebot und Nachfrage und hat die Aufgabe, eine Abstimmung der Tauschwünsche zu ermöglichen. Die Anbieter sind an einem hohen, die Nachfrager dagegen an einem möglichst niedrigen Preis interessiert. Bei diesem Verhalten existiert als ein Kompromiss nur ein einziger Preis, der die Interessen von Konsumenten und Produzenten zu einem Ausgleich gelangen lässt: der Gleichgewichtspreis. Die diesem Preis zugeordnete Menge ist die Gleichgewichtsmenge. Grafisch ist dies der Schnittpunkt von Angebots- und Nachfragekurve. 79 Grundlagen Volkswirtschaftslehre C Test Abbildung 47−80: Marktgleichgewicht Beispiel: Wenn die Konsumenten und Produzenten damit rechnen, dass der Preis 40 € beträgt, wollen die Nachfrager nur insgesamt 200 Stück kaufen, die Produzenten aber 600 Stück verkaufen (anbieten). Angebot und Nachfrage stimmen bei dieser Preiserwartung nicht überein. Vielmehr tritt ein Angebotsüberschuss auf: 400 Stück sind zu diesem Preis unverkäuflich. Der Markt befindet sich im Ungleichgewicht. Wenn Käufer und Verkäufer mit einem Preis von 20 € rechnen, wollen die Konsumenten 600 Stück kaufen, die Produzenten stellen aber nur 200 Stück her. Nur die kostengünstigsten Betriebe können noch mit Gewinn produzieren. Es entsteht ein Nachfrageüberhang. Ein Marktgleichgewicht ist ebenfalls nicht erreicht. Nur zum Gleichgewichtspreis von 30 € stimmen Angebot und Nachfrage überein. Die Gleichgewichtsmenge ist 400 Stück. Der Markt ist „geräumt“. Allgemein: Immer dann, wenn sich Angebot und Nachfrage decken (graphisch: schneiden), befindet sich der Markt in einem Gleichgewicht. Dieser Ausgleich von Angebot und Nachfrage ist eine zentrale Eigenschaft des Marktgleichgewichts. Im Marktgleichgewicht stimmen angebotene und nachgefragte Menge überein. Eine weiter Eigenschaft des Marktgleichgewichts vervollständigt das Bild: Das Marktgleichgewicht ist stabil. Ein Gleichgewicht ist stabil, wenn bei einer Abweichung vom Gleichgewicht das System selbst Kräfte freisetzt, die wieder zum Gleichgewicht zurückführen. 80 Grundlagen Volkswirtschaftslehre C Test Abbildung 48−81: Stabilität des Gleichgewichts Nur im Marktgleichgewicht stimmen angebotene und nachgefragte Menge überein. Jeder andere Preis führt zu einem Ungleichgewicht, entweder zu einem Angebotsüberschuss oder zu einem Nachfrageüberschuss. Was geschieht dann? Angebotsüberschuss Bei einem Preis oberhalb des Marktgleichgewichts stellt sich ein Angebotsüberschuss ein. Kunden bleiben aus, Lagerbestände wachsen, die Auftragsbücher sind leer. Nun werden einige (kostengünstige) Unternehmungen versuchen, durch Sonderangebote oder andere Preisnachlässe mehr abzusetzen. Es tritt daher ein Preisverfall ein, der eine wachsende Nachfrage erzeugt. Gleichzeitig wird weniger produziert, vielleicht scheiden sogar einige Unternehmen aus. Beide Effekte zusammen führen zu einer Bewegung „nach unten“ in Richtung zum Gleichgewichtspunkt. Nachfrageüberschuss Bei einem Preis unterhalb des Marktgleichgewichts ist die Nachfrage größer als das Angebot. Warteschlangen, Lieferfristen, leere Lager sind typische Merkmale eines Nachfrageüberschusses. „Leistungsfähigere“ Nachfrager bieten mehr, um zum Zuge zu kommen. Auch die Anbieter stellen fest, dass die geringe Menge zu einem höheren Preis abgesetzt werden kann. Die einsetzenden Preissteigerungstendenzen stimulieren die Produktion, da nun weitere Produzenten kostendeckend herstellen können, während die Nachfrage sinkt. Bei einem Nachfrageüberhang bewirken die Anpassungsprozesse eine Bewegung „nach oben“ zum Gleichgewicht. Unter den Bedingungen eines funktionsfähigen Marktmechanismus wird jedes Ungleichgewicht zu Anpassungsreaktionen der Marktteilnehmer führen und einen Ausgleich von Angebot und Nachfrage bewirken. Dies ist die Wirkungsweise der „unsichtbaren Hand“ des Marktes. 81 Grundlagen Volkswirtschaftslehre C Test Übungsaufgabe 25−82: Ein Konzertsaal hat eine Kapazität von 2.000 Plätzen. Es soll ein Opernkonzert aufgeführt werden. Bei einem Preis von 140 € könnten 1.000 Karten verkauft werden. Der Prohibitivpreis beträgt 210 €. Die Nachfragekurve ist linear. Der Veranstalter möchte alle Plätze besetzen und dabei den höchstmöglichen Preis erzielen. Es gibt nur einen Einheitspreis. a) Zeichnen Sie in ein Preis-Mengen-Diagramm die Angebots- und die Nachfragekurve. b) Wie viele Karten müssen zu welchem Preis verkauft werden? c) Wegen einer Brandschutzauflage dürfen nur 1.500 Karten verkauft werden. Wie hoch sind nun die Einnahmen? 6.4.2 Marktwirtschaftliche Anpassungsprozesse Stabilität des Marktgleichgewichts bedeutet keineswegs, dass keine Änderungen mehr eintreten. Bei der Darstellung der Nachfrage- und der Angebotskurven ist bereits deutlich geworden, dass in einer dynamischen Wirtschaft regelmäßig Verschiebungen der Kurven eintreten werden. Das alte Marktgleichgewicht verschwindet, und die Marktkräfte sorgen mit Preisanpassungen und Mengenreaktionen für eine Bewegung zum neuen Gleichgewicht. Abbildung 49−82: Anpassungsprozesse Anpassung bei einer Angebotsverschiebung Unternehmen werden aus dem Gewinnmotiv heraus bestrebt sein, ihre Kosten zu senken. Entstehen etwa aufgrund einer Rationalisierung Kostenvorteile und höhere Gewinne, stimuliert das die Produktion, möglicherweise werden auch neue Anbieter angelockt. Das Angebot wird bei gegebenem Preis ausgedehnt, was in der graphischen Darstellung eine Verschiebung der Angebotskurve nach rechts bedeutet. Die Anbieter wollen zum alten Gleichgewichtspreis eine höhere Menge verkaufen, was wegen der Nachfrageverhältnisse allerdings nicht realisierbar ist. Diese Menge ist zu diesem Preis unverkäuflich, es entstünde ein Angebotsüberschuss. Nun werden die Marktkräfte wirksam, und der Preisverfall endet im neuen Gleichgewicht bei 82 Grundlagen Volkswirtschaftslehre C Test niedrigeren Preisen und größeren Umsatzmengen. (Umgekehrt wird bei Kostensteigerungen genau der entgegengesetzte Anpassungsprozess einsetzen, nämlich Preissteigerungen und Mengenrückgang.) Anpassung bei einer Nachfrageverschiebung Ähnliches gilt auch für die Nachfrage. Auch hier werden Verschiebungen im Verhalten eintreten. Dafür gibt es die unterschiedlichsten Ursachen. Beispiele: Infolge einer Hitzeperiode wird bei gegebenem Preis mehr Sprudel nachgefragt. Infolge einer neuen Mode sind die alten Kleidungsmodelle zum alten Preis unverkäuflich, obwohl sie vorher Verkaufsschlager waren. Infolge der Benzinpreiserhöhungen sind Autos mit hohem Verbrauch zum selben Preis nicht mehr so stark gefragt. In all diesen Fällen hat sich die Lage der Nachfragekurve verändert, denn bei einem beliebigen (alten) Preis wird nun mehr oder weniger gekauft. Dies hat dann marktwirtschaftliche Anpassungsreaktionen zur Folge. Eine Nachfrageausweitung (Verschiebung nach rechts/oben) wird Preissteigerungen auslösen, und ein Nachfragerückgang (Verschiebung nach links/unten) sorgt für Preissenkungen – mit entsprechenden Mengenänderungen. In der Praxis kann es sich allerdings hierbei nur um Tendenzaussagen handeln. Das neue Gleichgewicht wird vielleicht gar nicht erreicht. In unserer schnelllebigen Gesellschaft wäre dies sogar eine unwahrscheinliche Ausnahme. Der Ausbau von Kapazitäten erfordert Zeit. Der technische Fortschritt bleibt nicht stehen, so dass möglicherweise die eben noch kostengünstigen Verfahren sehr schnell von noch besseren Techniken übertrumpft werden. Wechselkurse schwanken, Löhne steigen, Steuern werden verändert. All dies verschiebt die Angebotskurve. Auch die Nachfrageverhältnisse ändern sich ständig. In der dynamischen Wirtschaft ist kein Platz für einen längeren Ruhestand. Bearbeitungshinweis Bitte stellen Sie in den nachfolgenden Aufgaben nur den im Text erwähnten Zusammenhang dar. Bitte keine weiter gehenden Spekulationen, was noch alles geschehen könnte. Dann sind die Aufgaben nicht mehr eindeutig lösbar. In allen Fällen sollten Sie nur ein Diagramm skizzieren – ohne Lineal. Es geht um das Prinzip. Übungsaufgabe 26−83: Wir betrachten den Markt für Kartoffeln. Die jährliche Erntemenge ist weitgehend vorgegeben. Aufgrund einer Missernte gibt es in diesem Jahr deutlich weniger Kartoffeln. Wie werden sich Preis und Menge verändern? 83 Grundlagen Volkswirtschaftslehre C Test Übungsaufgabe 27−84: Der Markt für Mineralöl (Benzin) befinde sich im Gleichgewicht (Ausgangslage). Nun wird die Mineralölsteuer (Ökosteuer) angehoben. Wie ändern sich die Markergebnisse bei elastischer und unelastischer Nachfrage? Vergleichen Sie bitte. Übungsaufgabe 28−84: Der Markt für Vollkornbrot befinde sich im Gleichgewicht (Ausgangslage). Nun beweist eine Studie, dass Vollkornbrot außerordentlich gesund ist. Dies wird in allen Medien ausführlich berichtet. Die Verbraucher sind daran sehr interessiert. Gleichzeitig können die Hersteller kostengünstigere Fertigungstechniken anwenden. Wie werden sich Preis und Menge verändern? Übungsaufgabe 21-87: Auf dem Devisenmarkt liegt der Preis für 1 Dollar (= Wechselkurs) gegenwärtig bei 1,20 Euro. Nun deuten alle Anzeichen darauf hin, dass in Kürze eine deutliche Abwertung des Dollar (Preissenkung) bevorsteht. Die Anbieter und Nachfrager stellen sich darauf ein. Wie lassen sich diese Verhaltensweisen im Diagramm berücksichtigen? Wie werden sich Preis und Menge allein aufgrund der Erwartungen verändern? Übungsaufgabe 21-87: Der Arbeitsmarkt für Bauarbeiter sei in der Ausgangslage im Gleichgewicht. Angebots- und Nachfragekurve sollen einen normalen Verlauf zeigen. Nach dem Wegfall der Grenzen bieten nun zusätzlich auch ausländische Arbeitnehmer ihre Arbeitsleistungen an. Zeichnen Sie das entsprechende Diagramm. a) Welche Änderungen ergeben sich bei einer marktwirtschaftlichen Anpassung? b) Was geschieht, wenn der alte Gleichgewichtslohn (Preis) festgeschrieben wird? 6.4.3 Feste und flexible Preise Nachfrage- und auch Angebotsverschiebungen lösen Anpassungsreaktionen aus, die in ihrer grundlegenden Ausrichtung Überschüsse abbauen und für eine Angleichung von angebotener und nachgefragter Menge sorgen. Insoweit erscheinen flexible Preise, die Knappheiten widerspiegeln, als eine unabdingbare Voraussetzung für die Funktionsfähigkeit der Marktwirtschaft. Nun aber stellen wir im Wirtschaftsleben sehr häufig fest, dass die Preise keineswegs unablässig schwanken, sondern meistens relativ stabil sind. (Die allgemeine Inflationsrate als gesamtwirtschaftliches Problem ist hier ausgeklammert.) Dies ist unproblematisch, sofern auch das Marktgleichgewicht konstant ist. Entspricht aber der tatsächliche Preis nicht mehr dem Gleichgewichtspreis, entstehen als Folge davon Angebots- oder Nachfrageüberschüsse. In den nachfolgenden Beispielen unterstellen wir ein starres Angebot. Dem entsprechen gerade in kurzfristiger Betrachtung viele Fälle aus dem Alltagsleben. Grundsätzlich sehen die Ergebnisse aber auch nicht anders aus, wenn die Angebotskurve normal verläuft. 84 Grundlagen Volkswirtschaftslehre C Test Trifft das unveränderte Angebot auf eine schwankende Nachfrage (Nachfrageverschiebungen), so gibt es bezüglich der Preisentwicklung nur zwei Möglichkeiten: feste oder flexible Preise. Ist der Preis flexibel und passt er sich den geänderten Nachfrageverhältnissen unverzüglich und vollständig an, entspricht dies den bisherigen Ableitungen. Allerdings wird bei starrem Angebot nunmehr kein Mengeneffekt, sondern lediglich eine Preisänderung eintreten. Welche Konsequenzen ergeben sich, wenn aber der Preis den Nachfrageschwankungen nicht folgt, sondern unverändert bleibt) Abbildung 50−85: Feste und flexible Preise Beispiel: Ein Fußballstadion hat ein Fassungsvermögen von genau 50.000 Plätzen (starres Angebot). Einen Qualitätsunterschied zwischen den Plätzen gibt es in unserem Modell nicht. Für alle Plätze wird ein Einheitspreis von 20 € gefordert, unabhängig von der konkreten Nachfragesituation. Die Nachfragekurve sei in allen Fällen aus Vereinfachungsgründen linear. Die erste Nachfragekurve liegt weit vom Ursprung (Nullpunkt) entfernt und zeigt eine hohe Nachfrage bei einem sehr attraktiven Spiel. Selbst bei 60 € könnten noch sämtliche Karten abgesetzt werden (Gleichgewichtspreis). Beim tatsächlichen Eintrittspreis von 20 € wollen sogar 90.000 Zuschauer das Spiel besuchen. Sie stehen in einer langen Schlange vor den Kassen, bis die Karten ausverkauft sind. Es gibt nur 50.000 Karten, und 40.000 potentielle Besucher gehen leer aus (Nachfrageüberschuss). Einige haben bereits im Vorverkauf oder auch durch persönliche Beziehungen eine begehrte Karte erhalten. Manche Kartenbesitzer bieten vor den Eingängen ihre Karten für 90 € an und haben teilweise auch Erfolg damit. Allgemein gilt: Wird ein Preis erhoben, der kleiner als der Gleichgewichtspreis ist, entsteht als unmittelbare Folge ein Nachfrageüberschuss. Hieraus ergibt sich als weitere Konsequenzen ein Verteilungsproblem: Welche Nachfrager erhalten das knappe Gut? Anstelle der marktwirtschaftlichen Regelung (Ausschlussprinzip nach Zahlungsfähigkeit und Zahlungsbereitschaft) sind folgende Verteilungsverfahren denkbar, sofern man einmal persönliche Beziehungen (Vetternwirtschaft) außer Betracht lässt: 85 Grundlagen Volkswirtschaftslehre C Test • Warteschlange, • Bezugsscheine (oder andere direkte Zuteilung), • Verlosung. Außerdem lassen sich die Marktkräfte nur selten ausschalten. Es entstehen häufig inoffizielle Märkte (Schwarzmarkt), auf denen die knappen Güter zu Preisen ver- kauft werden, die oberhalb der offiziellen Preise und auch noch oberhalb der Gleichgewichtspreise liegen. Fortsetzung des Beispiels: Die zweite und dritte Nachfragekurve zeigen eine geringe Nachfrage bei wenig attraktiven Spielen. (Sie liegen sehr nahe beim Ursprung.) Im zweiten Fall wäre bei 10 € das Stadion noch gefüllt (Gleichgewicht), während im dritten Fall selbst bei kostenlosem Eintritt nur 30.000 Plätze besetzt würden (kein Marktgleichgewicht vorhanden). Beim tatsächlichen Eintrittspreis von 20 € kommen nur 25.000 Zuschauer (zweiter Fall) bzw. 10.000 Zuschauer (dritter Fall). Die leeren Plätze zeugen von einem Angebotsüberhang. Allgemein gilt: Wird ein Preis erhoben, der höher als der Gleichgewichtspreis ist, entsteht als unmittelbare Folge ein Angebotsüberhang. Weitere Konsequenzen ergeben sich in unserem Fußball-Beispiel nicht. Viele Plätze bleiben einfach unbesetzt. Handelt es sich jedoch um bereits produzierte Waren oder gar um periodisch immer wieder erzeugte Überschüsse (z. B. in der Landwirtschaft), so stellt sich die Frage, was mit der Überschussmenge zu geschehen hat. Unvermeidlich ist eine Entnahme aus dem Markt etwa durch Vernichtung, Lagerung oder Export (ohne Reimport-Möglichkeit). Auch hier lassen sich indessen sehr häufig die Marktkräfte nicht völlig verhindern, und es entstehen graue Märkte, auf denen die Güter billiger als zu den offiziellen Preisen gehandelt werden. In der Praxis ist bei vielen Nachfrageschwankungen eine flexible Preisanpassung theoretisch zwar denkbar, doch gibt es oftmals auch gute Gründe technischer und ökonomischer Art für feste Preise. Dies wird deutlich, wenn man sich einmal vor Augen führt, worauf flexible Preisgestaltung im Extremfall hinauslaufen kann. Beispiele: Die Nachfrage nach Parkplätzen in der Innenstadt (oder nach Benutzung der Straßenbahn) verändert sich von Stunde zu Stunde und noch schneller. Eine völlig flexible Preisanpassung an die jeweilige Nachfrage würde stündlich oder sogar von Minute zu Minute wechselnde Gebühren bedeuten. Die Eintrittspreise im Freibad müssten bei Sonnenschein besonders hoch sein. Die Fahrpreise für die U-Bahn müssten in den Spitzenzeiten angehoben und in den Nachtstunden reduziert werden. Überhaupt ist zu bedenken, dass die Anbieter ihre Preise im voraus mitteilen müssen. Sicherlich werden sie bemüht sein, die voraussichtliche Nachfrage richtig einzuschätzen. Angesichts der Risiken ist es jedoch auch verständlich, dass man oftmals einen Preis fordert, der in der Vergangenheit im Durchschnitt „angemessen“ 86 Grundlagen Volkswirtschaftslehre C Test war. Außerdem können ständig wechselnde Preise die Nachfrage verunsichern und dauerhaft abschrecken. Da nehmen Verkäufer und auch Käufer lieber Defizite oder Überschüsse in Kauf. Dennoch ist der Marktmechanismus funktionsfähig. Die marktwirtschaftliche Koordination soll letztlich gewährleisten, dass sich das Angebot der Nachfrage anpasst. Dies ist auch der Fall, wenn bei Schwankungen die „durchschnittliche“ Nachfrage dem Angebot entspricht. Die Situation ist jedoch anders zu beurteilen, wenn die Nachfrageverlagerung einem längerfristigen Trend entspricht. Nun werden die Anbieter bei den ersten Anzeichen (Überschüsse, Defizite, Lagerbildung, Wartelisten, Lieferfristen usw.) nicht immer unverzüglich mit Preis- und Kapazitätsänderungen reagieren, sondern alte „Gewohnheiten“ beibehalten. Wenn aber alle Informationen einen stabilen Nachfrageumschwung signalisieren, darf in der längerfristigen Betrachtung unter Wettbewerbsbedingungen eine Kapazitätsanpassung erwartet werden. Erfolgt aber trotz dauerhafter Nachfrageverlagerung keine Anpassung, bleibt es bei den Angebotsoder Nachfrageüberschüssen (z. B. in der Landwirtschaft). Dies ist wohl immer ein Zeichen dafür, dass der Marktmechanismus nicht hinreichend funktioniert. 6.5 Marktformen und Marktmacht 6.5.1 Marktformen Die vielen Einzelmärkte können nach verschiedenen Kriterien systematisiert werden. Ein konkreter Markt wird neben zeitlichen Merkmalen insbesondere durch die sachliche und räumliche Abgrenzung definiert. • Die sachliche Abgrenzung erfolgt nach Art der Tauschobjekte. Hier ergeben sich Märkte wie Automobilmarkt, Kaffeemarkt, Bildungsmarkt, Arbeitsmarkt für Diplom-Kaufleute, Devisenmarkt, Geldmarkt usw. • Die räumliche Abgrenzung führt zu Begriffen wie Weltmarkt, westeuropäischer Markt, russischer Markt usw. Auf allen räumlichen und sachlichen Teilmärkten mag es jeweils spezifische Besonderheiten geben, was indessen unsere bisherigen Überlegungen zur grundsätzlichen Funktionsweise der Marktwirtschaft noch nicht in Frage stellt. Das ist aber anders, wenn wir eine weitere Systematik betrachten, und zwar die Marktformen. Marktformen ergeben sich aus einer Systematik der Märkte nach der Zahl und der ökonomischen Machtstellung der Marktteilnehmer sowie nach dem Grad der Vollkommenheit. Neben der Anzahl (und Größe) der Marktteilnehmer werden die Märkte auch nach dem Grad ihrer „Vollkommenheit“ unterschieden. Der vollkommene Markt ist eine reine gedankliche Konstruktion. Jeder reale Markt ist mehr oder weniger unvollkommen. 87 Grundlagen Volkswirtschaftslehre C Test Abbildung 51−88: Basisschema der Marktformen Abbildung 52−88: Kennzeichen eines vollkommenen Marktes 1. Homogene Produkte (keine Produktdifferenzierung) 2. Vollständige Markttransparenz (Information) 3. Unendliche schnelle Anpassungsgeschwindigkeit 4. Völlig freier Marktzugang (und Ausscheiden) 5. vollständig rationales Verhalten der Marktteilnehmer Durch die Unterscheidung von vollkommenen und unvollkommenen Märkten „verdoppelt“ sich quasi die Anzahl der Marktformen. Von besonderer theoretischer Bedeutung ist diese Unterscheidung für das Polypol Es führt uns nämlich zum berühmten Modell der vollkommenen (vollständigen) Konkurrenz. Vollständige Konkurrenz (Modell) = Polypol auf dem vollkommenen Markt Alle früheren Aussagen über das Marktgleichgewicht und die marktwirtschaftlichen Anpassungsprozesse basieren im Kern auf auf dieser Marktform. Die vollkommene Konkurrenz ist von herausragender Bedeutung für die Theorie der Marktwirtschaft. Sie hat in vielen Punkten den Charakter eines Leitbildes und liefert Orientierung für die praktische Wettbewerbspolitik. Allerdings kann überhaupt kein Zweifel daran bestehen, dass es sich um ein theoretisches Marktmodell mit realitätsfernen Annahmen handelt. Das betrifft sowohl die Vollkommenheit des Marktes wie auch die Anzahl der Anbieter und Nachfrager. Die Aktienbörsen und Devisenmärkte kommen diesem Bild noch am nächsten. Viele Nachfrager findet man zwar auf den meisten Konsumgütermärkten, doch die Konzentration auf der Angebotsseite ist unübersehbar, insbesondere wenn man die häufig sehr engen räumlichen Marktgrenzen beachtet. 6.5.2 Marktverhalten Man kann davon ausgehen, dass sich in den einzelnen Marktformen jeweils spezifische Verhaltensweisen der Anbieter und Reaktionsmöglichkeiten der Nachfrager herausbilden. Wir wollen jetzt allerdings die in den unterschiedlichsten Marktformen möglichen und wahrscheinlichen Verhaltensweisen mit den entsprechenden Marktergebnisse nicht ausführlich analysieren, sondern lediglich einige typische Verhaltensweise von Unternehmen am Markt skizzieren. 88 Grundlagen Volkswirtschaftslehre C Test Mengenanpassung Von Mengenanpassung spricht man, wenn ein Unternehmen auf eine aktive Preispolitik verzichtet. Der Anbieter nimmt den herrschenden Marktpreis als eine ihm vorgegebene Größe und versucht, jene Menge zu verkaufen, die seiner Zielsetzung (z.B. Gewinnmaximierung) optimal entspricht. Dieses Verhalten ist unausweichlich im Modell der vollständigen Konkurrenz. Hier hat jeder Marktteilnehmer einen derart geringfügigen Marktanteil, dass er allein keinen Einfluss auf die Preisbildung nehmen kann. (Alle zusammen beeinflussen schon den Preis). Die Güter sind homogen, was bedeutet, dass sie im Urteil der Nachfrager völlig identisch sind. Außerdem verhalten sich die Nachfrager vollkommen rational und wechseln unverzüglich zum preisgünstigsten Anbieter. Preisfixierung oder Mengenfixierung Auch Mengenanpassung ist als unternehmerisches Marktverhalten nicht sehr verbreitet. Im allgemeinen wird ein Unternehmen davon ausgehen, dass die Nachfrage nach seinem Produkt von der Höhe seiner Preisforderung abhängt. Dann ist entweder Preisfixierung oder Mengenfixierung möglich. • Preisfixierung: Der Verkaufspreis wird vorgegeben und die tatsächliche Verkaufsmenge dem Marktgeschehen überlassen. • Mengenfixierung: Die Verkaufsmenge wird vorgegeben und der (höchstmögliche) Verkaufspreis dem Marktmechanismus überlassen (z. B. Auktionen). Preis- oder Mengenfixierung ist ohne und mit Berücksichtigung von Konkurrenten denkbar. Dies entspricht dem monopolistischen und oligopolistischen Verhalten. Monopolistisches Verhalten bedeutet, dass ein Unternehmen bei der Preis- oder Mengenfixierung ohne Berücksichtigung von Mitbewerbern handelt. Im reinen Angebotsmonopol haben die Nachfrager keine zumutbaren Ausweichmöglichkeiten. Sie können nicht auf gleiche oder ähnliche Güter anderer Hersteller ausweichen, sondern nur mit Kaufverzicht reagieren. Aufgrund seiner Marktmacht kann der Monopolist deshalb einen höheren Preis als unter Wettbewerbsbedingungen am Markt durchsetzen. Zwar verkauft er eine geringere Menge, doch sein Gewinn ist höher. Diese Preisdifferenz ist die monopolistische Ausbeutung. Monopole und Monopolgewinne haben mit einem marktwirtschaftlichen Leistungswettbewerb nichts zu tun. In entwickelten Marktwirtschaften ist das Monopol indessen gleichermaßen selten wie das Polypol. Wenige Ausnahmen auf Gütermärkten sind beispielsweise die Elektrizitätswerke, die Gasversorgung oder das Post- und Fernmeldemonopol. Diese Monopole unterliegen zumeist einer staatlichen Aufsicht (z. B. Genehmigung der Preise) oder befinden sich in staatlichem Eigentum. Ökonomisch gesehen sind auch die Zentralbanken (z.B. Europäische Zentralbank) Monopolisten, denn sie allein bieten Bargeld (Noten und Münzen) an. Geldpolitik ist insofern entweder Preisfixierung (Zinsen) oder Mengenfixierung (Geldvolumen). 89 Grundlagen Volkswirtschaftslehre C Test Eine noch schärfere Form als monopolistisches Verhalten ist die Optionsfixierung. Der Optionsfixierer bestimmt Preis und Menge gleichzeitig (nicht entweder Preis oder Menge). Dies ist meist nur möglich, wenn der Marktpartner sich in einer Abhängigkeitsposition befindet. Als Antwort kommen lediglich noch Zustimmung oder Ablehnung in Betracht. Oligopolistisches Marktverhalten bedeutet die Beachtung einer wechselseiti- gen Reaktionsverbundenheit. In der Praxis trifft man wohl am ehesten auf oligopolistische Marktstrukturen. Charakteristisches Kennzeichen ist die Reaktionsverbundenheit der Anbieter. Bei „wenigen“ Unternehmen kennt jeder seine Konkurrenten. Jeder bewacht jeden und ist bereit, sofort mit Gegenmaßnahmen zu reagieren, wobei jeder auch weiß, dass der Mitkonkurrent auf eigene Aktionen zu antworten bereit ist. Beispiel: Ein Unternehmen möchte eigentlich den Preis um 10 % senken, um seinen Absatz zu steigern. Es rechnet aber damit, dass andere Unternehmen sofort nachziehen und ihre Preise ebenfalls senken. Dann ist eine Absatzausweitung höchst unwahrscheinlich. Deshalb wird der Preis nur um 4 % gesenkt. Hier wird davon ausgegangen, dass die Konkurrenz nicht mitzieht. Preiskämpfe, Verdrängungswettbewerb und ähnliche Kampfstrategien sind selten. Sie flackern zwar hin und wieder auf, der Markt beruhigt sich jedoch bald wieder, denn jeder Anbieter weiß um die Gefährlichkeit eines Preiskampfes. Der Oligopolist muss damit rechnen, dass seine Mitbewerber reagieren, wenn er die Preise verändert. So herrscht tatsächlich meistens Preisruhe, der Wettbewerb findet mit anderen Marketinginstrumenten statt (Qualitätswettbewerb, Werbungswettbewerb usw.). Weiterhin erleichtert die Form des Oligopols die Bildung von wirtschaftlichen Koalitionen und Kartellen vor allem dann, wenn es nur sehr wenige Oligopolisten gibt. Gerade in engen Oligopol mit ganz wenigen Konkurrenten kennt man sich schließlich und kann sich stillschweigend einigen. Derartige Praktiken sind in Deutschland zwar grundsätzlich verboten, der Nachweis gelingt indessen nur schwer. Wer will schon entscheiden, ob Parallelbewegungen (etwa bei Benzinpreisen) verabredet sind oder nicht? Es kann ja auch ein Zeichen für starken Wettbewerb sein. Demgegenüber ist in weiten Oligopolen mit deutlich mehr Konkurrenten auch die Wahrscheinlichkeit sehr viel größer, dass ein intensiver Wettbewerb tatsächlich vorhanden ist. Produktdifferenzierung Produktdifferenzierung ist die Abwandlung der Form, des Aussehens und der Zusammensetzung bzw. der Funktion eines Produktes, um es von anderen gleichartigen Produkten zu unterscheiden. Produktdifferenzierung ist üblich in der Praxis und in allen Marktformen weit verbreitet. Produktdifferenzierung hat Auswirkungen auf die Wettbewerbsintensität. Ein Unternehmen wird sich bemühen, seinem Produkt ein besonderes Profil zu verleihen, um sich von anderen Anbietern abzuheben. Er setzt seine Marketinginstrumente (Werbung, Service, Betreuung, Aufmachung usw.) ein, um bei den Kunden Präfe- 90 Grundlagen Volkswirtschaftslehre C Test renzen für sein Produkt zu schaffen. Gelingt ihm dies, wird der Abnehmer (Stammkunde) bei kleinen Preisunterschieden nicht gleich zur Konkurrenz abwandern. Da- durch verschafft er sich einen eigenen Markt (Marktsegment) mit einem größeren Handlungsspielraum bei der Preisfixierung. Durch Produktdifferenzierung erhalten die Anbieter einen Preisgestaltungsspielraum, der es ihnen erlaubt, sich in Grenzen monopolähnlich zu verhalten. Preiswettbewerb ist nur ein Ausschnitt aus dem Katalog derjenigen Instrumente, mit denen Unternehmen zueinander in Konkurrenz treten können. Andere Wettbewerbsinstrumente (Marketinginstrumente) sind beispielsweise Qualität, Lieferund Zahlungsbedingungen, Service, Werbung und Vertriebswege. In der Praxis haben diese Aspekte manchmal sogar eine viel größere Bedeutung als der (alleinige) Preiswettbewerb. Insofern ist die Preisbildung nur ein Teilaspekt des generellen Marktgeschehens. Marktbeherrschung Es sind zahllose Größenstrukturen mit allen Abstufungen – mit geringer oder erheblicher Produktdifferenzierung – und Zwischenformen denkbar, auf die wir hier nicht weiter eingehen wollen. Deutlich wird aber, dass nicht allein die seltenen Monopolisten, sondern auch Unternehmen in anderen Marktformen ebenfalls Marktmacht besitzen können. Hier spricht man allgemein von marktbeherrschenden Unternehmen. Hauptkriterium ist der Marktanteil, aber auch andere Merkmale (Fi- nanzkraft, Unternehmensverflechtungen usw.) können als Indizien für eine Marktbeherrschung herangezogen werden. Marktbeherrschend sind Unternehmen, wenn sie keinem oder keinem wesentlichen Wettbewerb ausgesetzt sind. Hinzu kommt noch die zeitliche Dynamik der Märkte. Ein Markt ist kein statisches Gebilde, sondern unterliegt ständigem Wandel. Alte Unternehmen scheiden aus, neue Unternehmen kommen hinzu, einzelne Unternehmen wachsen, andere schrumpfen. Produkte werden differenzierter gestaltet, manchmal auch mehr vereinheitlicht (Normen). Selbst ein reines Monopol könnte zu Wettbewerbsüberlegungen gezwungen sein, wenn es bei hohen Preisen damit rechnen müsste, dass dann ein zweiter oder dritter Anbieter auf den Markt drängen würde (potentieller Wettbewerb). Das Marktgeschehen ist also ein lebendiger, dynamischer Prozess mit ständigen Veränderungen. Marktmacht ist in vielen Fällen unvermeidbar und für sich gesehen noch nicht schädlich. Erst die missbräuchliche Ausnutzung von marktbeherrschenden Positionen widerspricht dem marktwirtschaftlichen Leistungsprinzip. Jede Volkswirtschaft benötigt einen Mechanismus, der dafür sorgt, dass die Gewinne nicht zu Lasten der Abnehmer „in den Himmel wachsen“. Die wirksamste Kontrollinstanz ist ein funktionsfähiger Wettbewerb, ansonsten muss der Staat diese Lücke ausfüllen. 91 Grundlagen Volkswirtschaftslehre C Test Übungsaufgabe 29−92: Die Abgrenzung des „relevanten Marktes“ bereitet in der Praxis manchmal erhebliche Schwierigkeiten. Konkret geht es um die Messung des scheinbar objektiven Marktanteils. Was ist aber konkret „der Markt“, den man als Bezugsgröße mit 100% ansetzen muss? Begründen Sie diese Schwierigkeiten mit der Produktdifferenzierung an einem konkreten Beispiel (z. B. Automobilmarkt). 6.6 Staatliche Eingriffe in die Preisbildung Auch eine grundsätzlich marktwirtschaftlich ausgerichtete Wirtschaft kann nicht auf Staatseingriffe (zentrale Lenkung) verzichten. Sie sind zulässig, wenn der Marktmechanismus nicht oder nicht zufriedenstellend funktioniert. Staatseingriffe müssen stets mit einem konkreten Marktversagen im Einzelfall begründet werden. Die wichtigsten Fälle des Marktversagens im mikroökonomischen Bereich der Preisbildung sind die öffentlichen Güter und die externen Effekte, die eine entsprechende Mikropolitik begründen. 6.6.1 Externe Effekte Eine gesamtwirtschaftlich richtige (rationale) Entscheidung muss sämtliche Vorteile (= gesamtwirtschaftliche Nutzen) und Nachteile (= gesamtwirtschaftliche Kosten) berücksichtigen. In die Entscheidungen der privaten Wirtschaftssubjekte fließen indessen nur die bei ihnen anfallenden (internen) Nutzen und Kosten ein. Externe Effekte liegen vor, wenn zwischen gesamtwirtschaftlichen und internen Nutzen sowie Kosten eine Differenz besteht. Abbildung 53−92: Externe Effekte Bei externen Nutzen, auch positive externe Effekte genannt, fallen einem Nutzenstifter nicht sämtliche Nutzen zu. Auch Dritte erhalten einen Vorteil. 92 Grundlagen Volkswirtschaftslehre C Test Beispiele für externe Nutzen durch Haushalte und Unternehmen Impfungen schützen auch andere Personen vor Verbreitung der Krankheit. Schneeräumen vor der eigenen Haustür schützt auch Dritte vor Unfällen. Die Zufahrtsstraße wird vom Unternehmen selbst saniert, um Schäden an den transportierten Gütern zu verringern. Davon profitieren auch die Anlieger. Der betriebseigene Parkplatz darf an Samstagen von der Öffentlichkeit gebührenfrei benutzt werden. Externe Nutzen sind auf den ersten Blick kein Problem, weil ja positive Wirkungen damit verbunden sind. Allerdings kann es sein, dass eine privatwirtschaftliche Kalkulation keine rentable Produktion gewährleistet, weil die externen Nutzen nicht mit einbezogen werden. Dann unterbleibt diese private Produktion vielleicht, obwohl die gesamtwirtschaftlichen Vorteile überwiegen. In diesen Fällen kann eine Korrektur der Marktergebnisse durch Unterstützungen (Subventionen) angebracht sein. Bei externen Kosten, auch negative externe Effekte genannt, trägt ein Kostenverursacher nicht sämtliche Kosten selbst, sondern auch Dritte werden belastet. Beispiel für externe Kosten durch Haushalte und Unternehmen: Beim privaten Ölwechsel gelangt Altöl in das Erdreich und verursacht Umweltschäden. Altreifen werden im Wald „entsorgt“. Partylärm belästigt Nachbarn. Verschmutztes Abwasser gelangt in den Fluss und verursacht Fischsterben und Kosten der Kläranlage. Das Abholzen von Wäldern verursacht Erosionen und schädigt die Landwirtschaft im größeren Umkreis. Wenn externe Effekte entstehen, führen private Entscheidungen allein nicht zu einem wirtschaftlichen Optimum. Insbesondere wird das tatsächliche Marktgleichgewicht vom volkswirtschaftlich richtigen Gleichgewicht abweichen. Abbildung 54−93: Marktgleichgewicht bei externen Kosten 93 Grundlagen Volkswirtschaftslehre C Test In Abbildung 38-70 basiert die untere Angebotskurve auf der privaten Kalkulation allein der internen Kosten. Es stellt sich das tatsächliche Marktgleichgewicht P ein. Zusätzlich entstehen aber externe Kosten. Würden die Kostenverursacher sämtliche Kosten einkalkulieren, würde die Angebotskurve darüber liegen. Das gesamtwirtschaftlich richtige Gleichgewicht liegt bei G. Gegenwärtig, ohne Berücksichtigung der externen Kosten, haben die Produzenten einen volkswirtschaftlich nicht gerechtfertigten Kostenvorteil. Sie verkaufen zu einem geringeren Preis eine höhere Menge. Eine mögliche Maßnahme, um zu einer gesamtwirtschaftlich richtigen Funktionsweise des Marktmechanismus zu gelangen, besteht in der „Internalisierung“ der externen Kosten. Dies kann durch Gebote, Verbote, Belastung, Entlastung und auch durch freiwillige Kompensation geschehen. Dadurch soll der Verursacher veranlasst werden, sämtliche Kosten zu berücksichtigen (Verursacherprinzip). Das Verursacherprinzip besagt, dass der Kostenverursacher sämtliche Kosten auch tragen soll. Graphisch gesehen wird durch staatliche Maßnahmen die Angebotskurve nach oben verschoben. Selbstverständlich werden dadurch die Preise steigen und der Absatz sinken, was ja durchaus beabsichtigt ist. Abgesehen davon, dass die Ermittlung der externen Kosten oft unlösbare Probleme in sich birgt, sind mit der Anwendung des Verursacherprinzips nicht sämtliche Umweltprobleme aus der Welt. Gleichwohl sind diese Staatseingriffe zur Veränderung des Gleichgewichts im Interesse einer gesamtwirtschaftlich richtigen Funktionsweise des Marktes notwendig und auch ein Beitrag zur Minderung der Umweltbelastungen. Übungsaufgabe 30−94: Nennen Sie Beispiele für externe Nutzen und externe Kosten, die in der landwirtschaftlichen Produktion entstehen. 6.6.2 Öffentliche Güter Öffentliche Güter (Kollektivgüter; public goods) sind im Wesentlichen Dienstleistungen, die der Staat (Bund, Länder und Gemeinden) für die Allgemeinheit produziert und über Steuern, Gebühren und Beiträge (Zwangsabgaben) finanziert. Der Staat ist auch Eigentümer von erwerbswirtschaftlichen Unternehmen, die ihre Leistungen am Markt anbieten. Um solche Güter handelt es sich hier nicht. Beispiele für öffentliche Güter: Innere und äußere Sicherheit, Rechtspflege, Verwaltungsleistungen, Bereitstellung von Verkehrswegen, Ausbildung in Schulen und Hochschulen, Berufsberatung. 94 Grundlagen Volkswirtschaftslehre C Test Öffentliche Güter sind oft unteilbar. Deiche, Straßen usw. erfüllen ihre Funktion nur in ihrer Gesamtheit. Ein Stückchen Deich oder Straße nützt niemandem. Darüber hinaus besteht eine enge Verzahnung zu den externen Effekten. Abbildung 55−95: Arten öffentlicher Güter Hinsichtlich des Marktversagens ist nun wichtig, dass das Ausschlussprinzip keine Gültigkeit besitzt. Bei öffentlichen Gütern liegt es in der Natur der Güter, dass das Ausschlussprinzip grundsätzlich nicht funktionieren kann. Beispiel: Die Küstenbewohner, die durch mehrmalige Sturmfluten schon großen Schaden erlitten, beschließen, einen Deich zu bauen. Fast alle stimmen zu, nur wenige Personen sind nicht einverstanden. Der eine zieht demnächst nach Süddeutschland, der zweite bestreitet die Notwendigkeit, der dritte wurde bislang nicht geschädigt usw. Was ist zu tun? Müssen nur die Befürworter den Deichbau bezahlen? Wenn der Deich gebaut wird, schützt er alle. Ein einzelner Anwohner kann von der Nutzung des Gutes nicht dadurch ausgeschlossen werden, weil er nicht bezahlt. Es liegt in der Natur des Gutes „Deich“, dass das Ausschlussprinzip nicht funktionieren kann. Weitere Beispiele sind die Bundeswehr, das Rechtswesen und die Polizei, die als Güter (hier Dienstleistungen) „innere und äußere Sicherheit“ produzieren Wir alle bezahlen mit Steuern und Abgaben die Bereitstellung von öffentlichen Gütern. Doch was geschieht, wenn eine Minderheit sagt, sie lege keinen Wert auf Verteidigungsanstrengungen und Polizei und sei deshalb auch nicht bereit, dafür zu bezahlen? Wird der Schutz durch die Polizei oder die Bundeswehr dennoch aufrechterhalten, weil eine Mehrheit dies wünscht, kommt auch die ablehnende Minderheit in den Genuss dieses Gutes, ob sie will oder nicht. Das Ausschlussprinzip versagt offenkundig. Ein weiteres Problem kommt als Konsequenz hinzu: Bei eigennütziger Kalkulation wird der Einzelne im Vertrauen darauf, dass genügend andere das öffentliche Gut befürworten und zur Zahlung bereit sind, seine wahren Präferenzen nicht aufdecken und im Zweifel sagen, der Preis sei ihm zu hoch, selbst wenn er tatsächlich das Gut begehrt und zur Finanzierung bereit wäre. Er weiß ja, dass er trotz Zahlungsverweigerung in den Genuss des Gutes kommt (Trittbrettfahrer). Wenn aber viele so denken und ihre „wahres“ Interesse nicht aufdecken, entsteht über die be- 95 Grundlagen Volkswirtschaftslehre C Test kundete Nachfrage der Eindruck, dass dieses Gut nicht den Wünschen der Bevölkerung entspricht, und es entsteht weiterhin die Gefahr einer Unterversorgung. Nicht nur der Sanktionsmechanismus versagt, auch das marktwirtschaftliche Informationssystem ist verfälscht. Das Markversagen hat sehr viel zu tun mit der Nichtrivalität: Mehrere können das Gut in Anspruch nehmen, ohne dass andere Nutzer dadurch eine Beeinträchtigung erfahren. (Nichtrivalität ergibt sich auch beispielsweise bei Konzerthallen, Fußballstadien, Autobahnen, Parkplätzen usw., sofern bestimmte Auslastungen nicht überschritten werden. Ein zusätzlicher Nutzer beeinträchtigt die übrigen nicht.) Wirtschaftssubjekte, die ohne eigene Anstrengungen Nutznießer der Bemühungen anderer sind, bezeichnet man auch als Trittbrettfahrer. Ein anderes Beispiel für Trittbrettfahrer gibt es auf dem Arbeitsmarkt. Von Gewerkschaften ausgehandelte und vielleicht mit Streik durchgesetzte Lohnerhöhungen kommen auch den nichtorganisierten Arbeitnehmern zugute. Hier liegen die tieferen Ursachen für das Marktversagen, und korrigierende Eingriffe des Staates zur Befriedigung der „sozialen Bedürfnisse“ im gesellschaftlich erwünschten Umfang sind unerlässlich. Allerdings steht nun der Staat vor der Aufgabe, die „wahren Bedürfnisse der Bevölkerung“ richtig einzuschätzen und das Gut im entsprechenden Umfang zu erstellen – und durch Zwangsabgaben zu finanzieren. Darüber kann man letztlich nur im politischen Entscheidungsprozess befinden. Politische Güter Bei den oben genannten „reinen“ öffentlichen Gütern folgt die Ungültigkeit des Ausschlussprinzips aus den Eigenschaften der Güter, bei privaten Gütern kann und soll dagegen das Ausschlussprinzip funktionieren. Das sind die beiden Extreme. Dazwischen gibt es fließende Übergänge. Solche „Mischgüter“ werden auch als „unreine“ öffentliche Güter bezeichnet. Hier sind auch die meritorischen („verdienstvollen“) Güter angesiedelt. Meritorische Güter stiften aus gesellschaftlicher Sicht einen großen ökonomi- schen Nutzen („Verdienst“). Sie könnten auch privatwirtschaftlich angeboten werden, allerdings würde dann das Gut nicht im „erwünschten“ („notwendigen“) Umfang nachgefragt (und produziert), weil die Individuen ihren privaten Nutzen und erst recht den gesellschaftlichen Nutzen nicht „richtig“ einschätzen, sondern auf den Erwerb (und die Bezahlung) verzichten. Daher bietet der Staat solche Güter an, meist in Verbindung mit einem Konsumzwang. Beispiele: Pflichtimpfungen, allgemeine Schulpflicht, Gurtzwang beim Autofahren Unabhängig davon, dass nun irgendeine Gruppe (oder ein Diktator) entscheiden muss, was dem einzelnen „wirklich“ nützt, in seinem „wahren“ Interesse liegt und dem „Gemeinwohl“ dient, bleibt die Erkenntnis, dass die Marktergebnisse einer Beurteilung unterliegen. Insofern kann man ganz allgemein von „politischen Gütern“ sprechen, wenn das Ausschlussprinzip funktionieren könnte, es aber nicht soll, weil wirtschafts- und gesellschaftspolitische Gründe dagegen sprechen. 96 Grundlagen Volkswirtschaftslehre C Test Bei politischen Gütern sind die Marktergebnisse ganz oder auch nur teilweise unerwünscht, weil andere wirtschafts- und gesellschaftspolitische Zielsetzungen verletzt werden. Der Begriff der „politischen Güter“ ist bislang in der Literatur unbekannt. Mir fällt dazu aber kein besserer Begriff ein. Haben Sie eine zündende Idee? Einige Autoren sprechen hier von „unreinen“ öffentlichen Gütern. Gefällt Ihnen das besser? Beispiele: Eine reine oder überwiegend privatwirtschaftliche Hochschulausbildung ist möglich, war in Deutschland aber nach der Mehrheitsmeinung lange Zeit unerwünscht (anders in den USA). Viele würden auf ein Studium verzichten, was weder in ihrem eigenen (längerfristigen) noch im gesellschaftlichen Interesse an einem hohen Bildungsstand ist – meinen die Gegner von Studiengebühren. Außerdem spielen hier noch Argumente der Chancengleichheit und Startgerechtigkeit eine Rolle. Der Markt für Heroin könnte wahrscheinlich funktionieren und ein Marktgleichgewicht herstellen. Dieser ökonomisch optimale Zustand ist gesellschaftspolitisch (mehrheitlich) unerwünscht. Politische Güter umfassen ein breites Spektrum unterschiedlichster Tatbestände und Ansichten. Das Marktversagen kann sowohl mit ökonomischen wie auch mit gesellschaftspolitischen Argumenten begründet werden, wobei die Grenzen allerdings häufig unscharf sind. Beispiele: Ein erstes (unumstrittenes) Beispiel ist die Schulausbildung. Nach unseren heutigen Vorstellungen ist es unzumutbar, wenn nur derjenige in den Genuss einer Schulausbildung gelangt, der den entsprechenden Preis dafür bezahlen kann und will. Zwar könnte das Ausschlussprinzip und damit der privatwirtschaftliche Marktmechanismus angewendet werden, er soll es indessen nicht, weil dies gegen übergeordnete gesellschaftspolitische Vorstellungen (Gerechtigkeit, Chancengleichheit usw.) verstoßen würde. Ein zweites (umstrittenes) Beispiel ist die Benutzung von Autobahnen in Deutschland. Auch hier könnte das Ausschlussprinzip funktionieren, wie es auch in vielen anderen europäischen Ländern gehandhabt wird (Autobahngebühren). Nur wer direkt zahlt, darf die Autobahn benutzen. (Das Gegenargument, dass ja eine „Bezahlung“ durch die Kfz und die Mineralölsteuer erfolgt, ist unzutreffend. Steuern begründen keinen Anspruch auf eine direkte Gegenleistung, sondern sind Zwangsabgaben zur allgemeinen Finanzierung staatlicher Leistungen. Sie sind auch kein direktes Leistungsentgelt.) Ein drittes Beispiel ist die gesetzliche Krankenversicherung. Bei marktwirtschaftlicher Regelung käme nur derjenige in den Genuss einer ärztlichen Versorgung, der den entsprechenden Preis bezahlen kann und will. Dies würde nach unseren heutigen Vorstellungen zu sozialen Ungerechtigkeiten führen. Deshalb wird das Gut „ärztliche Leistung“ nicht allein dem Marktmechanismus überlassen. Politische Güter demonstrieren, dass ein Markgleichgewicht, selbst wenn es aus rein ökonomischer Sicht „optimal“ sein sollte, nicht zwangsläufig immer auch ge- 97 Grundlagen Volkswirtschaftslehre C Test sellschaftspolitisch erstrebenswert ist. Die Gesellschaft muss noch zusätzlich beurteilen, ob die Ergebnisse auch gewollt sind oder nicht. 6.6.3 Korrekturen der Marktergebnisse Marktversagen begründet staatliche Eingriffe. Dabei können wir zwei generelle Stoßrichtungen unterscheiden: • Direkte Markteingriffe mit einer Aufhebung des (privatwirtschaftlichen) Marktes • Indirekte Markteingriffe mit einer Veränderung (Beeinflussung) der Marktergebnisse. Indirekte Eingriffe in die Preisbildung. Marktprozesse können im Hinblick auf erwünschte Ergebnisse verändert werden – ohne die Prinzipien der Marktkoordination selbst in Frage zu stellen, und zwar durch eine entsprechende Verlagerung des Marktgleichgewichts. Dies bedeutet graphisch gesehen, dass eine Verschiebung der Angebotskurve oder der Nachfragekurve einzeln oder gemeinsam erfolgt. Dann wird der marktwirtschaftliche Anpassungsprozess in Richtung zum neuen Gleichgewicht einsetzen. In Betracht kommen drei Gruppen von staatlichen Maßnahmen: 1. Der Staat kann selbst als zusätzlicher Nachfrager oder Anbieter in Erscheinung treten. 2. Veränderung der privaten Nachfrage und des privaten Angebots über deren Bestimmungsgründe. Das sind – bei der Nachfrage die Bedarfsstruktur und die Finanzierungsmöglichkeiten – bei dem Angebot vor allem die Kostenstruktur. 3. Verbote oder Gebote beeinflussen die privaten Entscheidungen. Bei all diesen Maßnahmen werden die Preise oder Mengen nicht direkt reglementiert und gesteuert. Selbstverständlich werden sich die Preise und Mengen ändern, was ja auch Zielsetzung dieser Maßnahmen ist. Es handelt sich dann aber um Ergebnisse (= Wirkungen) des marktwirtschaftlichen Anpassungsprozesses. Direkte Markteingriffe Eine viel radikalere Eingriffsmöglichkeit zur Veränderung der Marktergebnisse ist die direkte Mengen- oder Preisfestsetzung. Die Produktion verbleibt in privaten Unternehmen, allerdings werden wichtige Elemente der marktwirtschaftlichen Koordination außer Kraft gesetzt. Die Mengensteuerung ist in der Regel schwieriger zu handhaben, weil sie unmittelbare Produktionsauflagen an die Unternehmen bedeutet und einen erheblichen Eingriff in die Autonomie darstellt. Dieses zentralverwaltungswirtschaftliche Instrument ist in Marktwirtschaften faktisch bedeutungslos. Die Preissteuerung kann eher global erfolgen und hat den Vorteil, dass die Mengenreaktion den Unternehmen überlassen bleibt. Bekannte Beispiele aus vergangenen Zeiten sind der allgemeine Preisstopp (zur generellen Inflationsbekämpfung meist in Verbindung mit einem Lohnstopp), die 98 Grundlagen Volkswirtschaftslehre C Test Preisregulierung in der Landwirtschaft. die Festlegung von Höchstmieten oder maximalen Mietsteigerungen sowie die heute aktuellen Mindestlöhne. Preisfestlegung wirkt auf den ersten Blick nicht sehr einschneidend. Da es sich aber um feste Preise handelt, die entweder über (Mindestpreise) oder unter (Höchstpreise) dem Gleichgewichtspreis liegen, treten die bereits beschriebenen Wirkungen ein (Angebotsüberschüsse, Nachfrageüberschüsse). Außerdem sind weitere Eingriffe (Kontrollen, Auflagen usw.) nahezu unvermeidlich. Besonders schwer wiegt, dass falsche Preise falsche Signale setzen und dauerhafte Schäden in den volkswirtschaftlichen Strukturen verursachen können. Und schließlich ist die staatliche Preisfixierung wenig geeignet, die gesetzten Ziele tatsächlich zu erreichen, weil sie nicht die Ursachen von Fehlentwicklungen, sondern lediglich ihre Symptome bekämpft. Beispiele: Preissteigerungen sind nicht die Ursachen einer Inflation, sondern nur ihr Ausdruck. Mögliche Ursachen sind zu geringe Produktion, zu hohe gesamtwirtschaftliche Nachfrage, zu hohe Geldmenge und Kostensteigerungen. Mietsteigerungen sind die Folge einer Wohnungsknappheit. Höchstmieten hemmen die erforderliche Produktionsausweitung (Schaffung von Wohnraum) im privaten Bereich. Staatliche Produktion oder staatliche Unterstützungen der privaten Schaffung von Wohnraum wären zweckmäßiger. Mindestlöhne zementieren nicht mehr arbeitsmarktgerechte Beschäftigung und inoffizielle Schwarzarbeit wird zunehmen. Die genannten Einwände richten sich keineswegs gegen staatliche Eingriffe schlechthin, sondern nur gegen diese Art der Markteingriffe. Selbstverständlich sind Korrekturen zulässig, wenn die Marktergebnisse nicht den „gewünschten“ Vorstellungen entsprechen. Zeitlich begrenzte Hilfen zur Anpassung sind die ökonomisch zweckmäßigeren Instrumente. 99