Rotationsmechanik Seite 1 Vorwort Das vorliegende Lehrbuch ist Teil eines ganzen Lehrgangs. In den nächsten fünf bis sechs Jahren werden weitere Module erscheinen. Vorgesehen sind fünf zusätzliche Themenbände, welche sich mit der Hydraulik, der Translationsmechanik, der Elektrizitätslehre, der Thermodynamik sowie den allgemeinen Grundlagen befassen. Ein letzter Band soll den übergreifenden Themen wie Schwingungen, Kopplungsmechanismen und offene Systeme gewidmet sein. Zusammen werden alle sieben Module mehr Physik enthalten, als normalerweise an Fachhochschulen vermittelt wird. Trotzdem werden einzelne Gebiete wie Wellenlehre, elektromagnetische Felder und Optik fehlen. Dies hängt mit der völlig neuen Struktur dieses Kurses zusammen. Wie bei jedem Umbau musste einiges verschoben und anderes total eliminiert werden. Feld- und Wellenlehrer gehören eindeutig zur Kontinuumsphysik und sind dementsprechend in einen Kurs über räumlich ausgedehnte Systemen zu integrieren. Ein Lehrbuch über die Physik des Kontinuums zu schreiben, wäre zwar mein innigster Wunsch, doch aus pragmatischen Gründen werde ich vorerst die Physik der homogenen Systeme auf der Basis einer allgemeinen Systemdynamik aufarbeiten. Das dritte Gebiet, das nicht zum vorliegenden Themenkreis passt, die geometrische Optik, hat mehr mit Geometrie als mit Physik zu tun. Zudem sollten die einfachen Gesetzt der Strahlenoptik in der Sekundarschule und nicht erst an der Fachhochschule vermittelt werden. Aus dem nebenstehend abgebildeten Struktogramm des geplanten Physikkurses geht hervor, dass die Rotationsmechanik auf der Hydraulik und der Translationsmechanik aufbaut. Vom fachlogischen Standpunkt aus hätten diese beiden Module vor dem nun vorliegenden ersten Band erscheinen müssen. Zufällige Ereignisse, wie Weiterbildungsveranstaltungen, kleine Projekte sowie ein spontaner Entschluss, haben mich dazu gebracht, mit der Rotationsmechanik zu beginnen. Ein weiteres Motiv für die Wahl des ersten Themas möchte ich noch speziell erwähnen: über kein anderes Gebiet der Physik habe ich soviel nachgedacht wie über die Rotationsmechanik. Dabei sind didaktische Lehrstücke, Bilder und auch Übungsbeispiele entstanden, wie sie in keinem vergleichbaren Physikkurs zu finden sind. Mengen Energie Geometrie Hydraulik Translationsmechanik Elektrizität Thermodynamik Rotationsmechanik Schwingungen Kopplungsmechanismen offeneSysteme Die zentrale Idee dieses Physikkurses basiert auf einem Konzept, das in den siebziger Jahren an der Universtität Karlsruhe von Prof. Dr. Gottfried Falk entwickelt und von seinem Nachfolger am Institut für Didaktik der Physik, Prof. Dr. Friedrich Herrmann, für die Sekundarschulstufe I umgearbeitet worden ist. Nach gut zehn Jahren intensiver Arbeit haben wir, mein Kollege Hans Fuchs und ich, auf der Basis der Karlsruher Ideen einen naturwissenschaftlichen Physikkurs für Ingenieure entwickelt, dessen Bildungspotential bei weitem noch nicht voll ausgeschöpft ist. Die Physik der dynamischen Systeme, so der Titel des ganzen Projekts, geht davon aus, dass in jedem Zweig der Physik eine mengenartige Primärgrösse das Geschehen dominiert. Den Mengen Volumen, Impuls, Drehimpuls, elektrische Ladung, Entropie und Stoffmenge entsprechen somit die Gebiete Hydraulik, Translationsmechanik, Rotationsmechanik, Elektrizitätslehre, Thermodynamik und chemische Thermodynamik. Seite 2 Rotationsmechanik Mengenartig heisst transportier- und speicherbar. Folglich lässt sich jede mengenartige Grösse bezüglich eines geometrisch abgrenzbaren Systems bilanzieren. Die Momentanbilanz, welche die Stromstärken und die Produktionsrate einer Menge mit der Änderungsrate des zugehörigen Inhaltes verknüpft, bildet denn auch die erste von drei Säulen, auf denen die Physik der dynamischen Systeme ruht. Die zweite Stütze liefert das Karlsruher Energiekonzept, das jeder Menge ein Potential zuweist. Ein Potential beschreibt, wie stark eine Mengenstrom mit Energie beladen ist, wieviel Energie ein Strom mitschleppt. Fliesst ein Mengenstrom über eine Potentialdifferenz hinunter, setzt er eine Prozessleistung frei. Mit der Unterscheidung zwischen Prozessleistung und zugeordnetem Energiestrom hoffen wir, etwas mehr Klarheit in die ganze Energiediskussion zu bringen. Falls man nur die Prozessleistung und nicht etwa die Energie an sich als Arbeitsvermögen bezeichnet, kann man auf die unsinnige Unterscheidung zwischen mehr oder weniger wertvoller Energie verzichten. Die dritte Säule wird von den konstitutiven Gesetzen gebildet. Die Erkenntnis, dass siche viele Systemeigenschaften mit Hilfe der Begriffe Widerstand, Kapazität und Induktivität beschreiben lassen, ist schon lange bekannt. Meines Wissens ist diese aus der Regelungstechnik stammende Strukturierungshilfe bis heute noch nie systematisch in einen Physikkurs integriert worden. Bilanzgleichung, Energiezuordnung und Systemeigenschaften sind die zentralen Elementen der Kontinummsphysik. Die Physik der dynamischen Systeme operiert also mit Begriffen, die kontinuumsgerecht sind. Wohl nennt sich der vorliegende Lehrgang Physik der homogenen Systeme und rückt damit den starren Köper, das elektrische Netzwerk oder allgemein das räumlich nicht differenzierte System ins Zentrum. Trotzdem soll an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, dass die Kontinuumsbetrachtung unabdingbarer Teil der Physik der dynamischen Systeme ist. Der Übergang vom homogenen zum räumlich ausgedehenen System ist denn auch nur eine Frage der Mathematik. Mit der räumlichen Differenzierung verwandeln sich die Bilanzen in Kontinuitätsgleichungen, die Unterscheidung zwischen zugeordnetem Energiestrom und Prozessleistung wird mit Hilfe der Vektoranalysis weiter geklärt und die Systemeigenschaften gehen in konstitutive Relationen zwischen den beteiligten Grössen über. Die Physik der dynamischen System lebt von Bildern. Eines der Bilder beschreibt die Transportvorgänge mit Hilfe des Stromes. So fliessen Impuls- oder Drehimpulsströme als „Kraftflüsse“ durch die mechanisch belasteten Strukturen hindurch. Unter der Entropie stellt man sich am besten einen Wärmestoff vor, der von den beheizten Räumen durch die Wand nach draussen fliesst. Zusammen mit dem bildhaften Strombegriff wird auch die Sprache der elektrischen Netzwerklehre auf die Mechanik und auf die Thermodynamik übertragen. Ein zweites Bild liefert das hydraulische Kraftwerk. Analog zum hinunterfallenden Wasser vermag die Entropie in einem thermischen Kraftwerk oder der Impuls in den Puffern eines auffahrenden Zuges Energie freizusetzen. Speziell in der Mechanik lassen sich mit Hilfe eines massgeschneiderten Flüssigkeitsbildes unzählige Prozesse mathematisch beschreiben und berechnen. Die bildhafte Sprache und der konsequente Einsatz von graphischen Darstellungen sollten eine Formelsammlung praktisch überflüssig machen. Dies wäre ein grosser Fortschritt in der Grundausbildung der angehenden Ingenieure. Wer eines der unzähligen Formelbücher für Physik an Fachhochschulen schon einmal kritisch durchgeblättert und dabei gespürt hat, wie mit dieser Art von Untericht die Neugierde und die Kreativität einer ganzen Generation von Studierenden zugeschüttet wird, dem muss der bildhafte Zugang zu den naturwissenschaftlichen Grundlagen einfach gefallen. Kontinuumsgerechte Darstellung und bildhafte Ausgestaltung sind nicht die einzigen Vorteile des in Winterthur gereiften Konzepts. Die Sprache der Systemdynamik, die dem ganzen Physikkurs zugrunde liegt, bringt die Physik näher an die Technik und an die andern Naturwissenschaften heran. Eine Systemdynamik, die das einengende Korsett der Differentialgleichungen abgestreift hat, sich aber weiterhin an der Vielfalt, dem Aufbau und der begriffliche Strenge der physikalischen Theorien Rotationsmechanik Seite 3 orientiert, vermag zudem auf so unterschiedlichen Gebieten wie etwa Ökonomie, Ökologie oder Soziologie ganz neue Einsichten zu vermitteln. In der Weiterentwicklung der Physik der dynamischen Systeme zur integrierten Systemdynamik sehen wir ein grosses Entwicklungspotential. Brachliegende Felder, die sich zwischen den Gärten der einzelnen wissenschatftlichen Disziplinen ausdehnen, sollen mit dem Pflug der Systemdynamik zum Nutzen aller umgebrochen werden. Das Modul Rotationsmechanik ist in zehn Kapitel gegliedert. Im ersten Pragraph wird der starre Körper als physikalisches System aufgebaut. Zudem lernt der Leser das translatonsmechanische Konzept mit dem Impuls als Primärmenge sowie das zugehörige Flüssigkeitsbild kennen. Das zweite Kapitel ist ganz dem Drehimpuls gewidmet. Inhalt und Ströme werden erklärt und mit Hilfe der Bilanz zum Grundgesetz der Drehmechanik zusammengefügt. Das dritte und vierte Kapitel beschäftigen sich mit der Energie als Begleitgrösse und dem Bahndrehimpuls als notwendige Ergänzung zum Eigendrehimpuls. Das kapazitive, das induktive und das Widerstandsgesetz bilden den Kern des fünften Kapitels. Dabei wird auch ein kleiner Einblick in die Sprache und Werkzeuge der Systemdynamik gewährt. Im sechsten Kapitel baue ich den Drehimpuls zu einer Vektorgrösse aus, ohne die Kreiselmechanik voll zu entwickeln. Dies engt die Sicht auf die grundlegenden Gesetze nicht allzu stark ein, denn für technische Vorgänge ist die freie Bewegung des starren Körpers unwichtig. Zudem fehlt auf der Fachhochschulstufe die dazu notwendige Mathematik weitgehend. Die Mechanik des Rotators, die im siebten Kapitel dargelegt wird, behandelt den um eine feste Achse rotierenden Körper. Elementare Lehrbücher befassen sich oft nur mit diesem Fragment, einem Hybrid aus Translations- und Rotationsbetrachtung. Damit lassen sich zwar einzelne Zusammenhänge der Drehmechanik schnell erklären, doch bleibt die eigentliche Begriffsbildung auf der Strecke. Das Energiestrombild, dem das achte Kapitel gewidmet ist, eignet sich zur Analyse komplexer Input-OutputSysteme wie Aufzüge, Skilifts, Getriebe oder Förderbänder. Obwohl sich die technische Mechanik seit gut hundertfünfzig Jahren mit der Dynamik komplexer Geräte beschäftigt, ist meines Wissens das hier verwendete Bild des Energieflusses noch in keinem Lehrbuch sytematisch aufgebaut und verwendet worden. Das neunte Kapitel nennt sich Statik. Doch statt mit Kräften und Drehmomenten, die auf ein freigeschnittenes Sytem einwirken, befasst es sich zuerst einmal mit dem Transport von Impuls und Drehimpuls in ruhenden Strukturen. Die Vorstellung, dass in jedem belasteten Element eines Bauwerkes „Kraftströme“ fliessen, die eingeleitet, hindurchgeführt und schlussendlich wieder abgegeben werden müssen, ist sehr wahrscheinlich so alt wie die Baukunst selber. Leider erweist sich dieser Kraftfluss beim genaueren Hinschauen als ein Bündel von drei verschiedenen Impulsströmen, die erst noch von drei Drehimpulstransporten begleitet werden. Die Bilder, die in diesem Kapitel gezeichnet werden, basieren auf einem Satz Gleichungen, welcher die Drehimpulsströme lokal mit den Impulsströmen verknüpft. Obwohl diese mathematischen Verknüpfungen aus Gründen, die ich an dieser Stelle nicht weiter erläutern möchte, nur für stationäre Massenverteilungen gültig sind, glaube ich an ihren praktischen Nutzen. Die vollen Verknüpfungsgleichungen sind im Anhang aufgeführt und werden dort auch etwas eingehender erläutert. Im letzte Kapitel werden rotierende Bezugssysteme abgehandelt. Dabei habe ich versucht, die Newtonsche Auffassung von Mechanik ein Stück weit mit dem Einsteinschen Weltbild zu versöhnen. Aus nahliegenden Gründen musste ich auf die geometrische Verschmelzung von Raum und Zeit verzichten. Ich konnte also nur das Äquivalenzprinzip oder die Wandelbarkeit des Gravitationsfeldes aus der Einsteinschen Allgemeinen Relativitätstheorie übernehmen. Diese Betrachtungsweise setzt voraus, dass man den Faradayschen Feldbegriff schon vorher auf die Gravitaton übertragen hat. Unabhängig davon, ob man beschleunigte Bezugssyteme behandeln will oder nicht, scheint mir der Begriff der Gravitationsfeldstärke ein absolutes Muss zu sein. Falls die Wirkung der Gravitation nur kinematisch definiert wird, besteht die Gefahr, dass die Studierenden begrifflich nie richtig zwischen einer Seite 4 Rotationsmechanik Beschleunigung und einer lokal vorhanden Wirkung unterscheiden lernen. Das Flüssigkeitsbild, der schrittweise Aufbau des Drehimpulsspeichers, die konsequente Anwendung des Energiesatzes bei komplexen Input-Outpur-Systemen, die lokale Verknüpfung von Drehimpuls- und Impulsstrom sowie die Faraday-Einstein-Ergänzung der Mechanik des starren Körpers sind Grund genug ein Buch zu darüber zu schreiben. Ich habe mich bemüht, ein Lehr- und nicht nur ein Textbuch zu verfassen. Jedes Kapitel beginnt mit einer Einführung und endet mit einer Zusammenfassung. Zudem wird der Leser nach jedem Abschnitt aufgefordert, sein Wissen mit Hilfe von Kontrollfragen zu überprüfen. Beispiele, Illustrationen und seitliche Überschriften sollen mithelfen, das im Haupttext aufgebaute Lehrgebäude zu stabilisieren, die Begriffe und Definitionen zu festigen und Zusammenhänge offenzulegen. Am Schluss des Buches wird eine Übersicht gegeben, sind alle formalen Zusammenhänge nochmals aufgeführt, werden die Kontrollfragen beantwortet und wird jede Aufgaben ausführlich kommentiert und vorgelöst. Allen Kolleginnen und Kollegen, die mich in fachlichen Diskussionen auf Unstimmigkeiten aufmerksam gemacht, mit Bemerkungen und Änderungsvorschlägen beim korrigieren des Textes geholfen oder Beispiel geliefert haben, danke ich an dieser Stelle recht herzlich. Ein besonderer Dank geht an meinen Kollegen und langjährigen Freund Hans Fuchs. Er hat mich nicht nur mit dem Karlsruher Konzept vertraut gemacht, sondern mir mit interessanten Ideen und Präzisierungen geholfen, Begriffe und Zusammenhänge besser zu verstehen. Danken will ich auch der Direktion des TWI, die mir mit einer Stundenentlastung den nötigen Freiraum geschaffen hat. Rotationsmechanik Seite 5 1. Der Massenmittelpunkt Einer der ältesten Zweige der Physik, die klassische oder Newtonsche Mechanik, befassst sich mit der Bewegung von „Massenpunkten“ unter der Einwirkung von Kräften. Die Bewegung des punktförmigen Körpers kann berechenet werden, falls zu jedem Zeitpunkt alle Kräfte, sowie Anfangsgeschwindigkeit und -ort bekannt sind. Ausgedehnte Körper lassen sich nicht so einfach beschreiben. Diese Objekte führen neben der Translationsbewegung meistens noch eine Rotation aus. Zudem greifen die Kräfte an einer beliebigen Stelle an. Nun stellt sich die Frage, wie die Angriffsfläche der Kraft, also die Durchtrittsstelle des Impulses, die beiden Bewegungsmöglichkeiten Translation und Rotation beeinflusst. Geht bei einer Fadenspule, die von einer glatten Unterlage reibungsfrei gestützt wird und auf die über den Faden ein Kraft einwirkt, die Drehbewegung auf Kosten der Translation, oder sind beide Bewegungsvorgänge getrennt zu behandeln? Führt das Drehmoment, das den Körper in Rotatation versetzt, zu einer Verminderung der Kraftwirkung oder sind Kraft und Drehmoment zwei so verschiedene Dinge wie Äpfel und Birnen? Auf diese, für die Struktur der Mechanik zentrale Frage gibt das nun folgende Kapitel eine umfassende Antwort. Es wird sich zeigen, dass die korrekte Antwort einmal mehr nicht vom gesunden Menschenverstand gegeben werden kann. Der Massenmittelpunkt, das Trägheitszentrum eines Systems, ist der Schlüsselbegriff, wenn es darum geht, Rotations- und Translationsmechanik klar zu trennen. Nimmt man diese Trennung nicht oder nur vage vor und sucht sich für einzelne Standardaufgaben eine schnelle Lösung, wird der Zugang zu einem klaren Verständnis der Dynamik der starren Körper vorschnell verbaut. Dies rächt sich spätestens dann, wenn der Ingenieur im konkreten Fall entscheiden muss, wie gross eine Lagerbelastung ist oder wie stark die nicht ausgewuchtete Welle gebogen wird. Bei praktischen Anwendungen zeigt es sich rasch, ob ein Ingenieur eine klare Vorstellung von der Struktur der Mechanik hat oder ob er nur Rezepte anzuwenden weiss. Reines Formelwissen führt bei komplizierteren Aufgabenstellungen selten zum Ziel. Der Massenmittelpunkt spielt in der Mechanik eine dreifache Rolle. Mit der ersten wollen wir uns in diesem Kapitel hauptsächlich befassen: die Geschwindigkeit dieses Punktes legt zusammen mit der Gesamtmasse den Impulsinhalt des Systems fest. Folglich ist die Summe über alle Kräfte gleich dem Produkt aus der Masse und der Beschleunigung dieses Punktes. Gestützt auf die Physik des 20. Jahrhunderts könnte man den Sachverhalt auch umkehren: durch den Quotienten aus Impulsinhalt und Masse wird eine spezielle Grösse, die wahre Geschwindigkeit eines komplexen Systems, definiert. Die Geschwindigkeit des Massenmittelpunktes kann für jedes System, also zum Beispiel auch für den schwimmenden Tintenfisch, berechnet werden. Doch nur beim starren Körper entspricht dieser Wert der Geschwindigkeit eines ganz bestimmten Punktes. Damit kommen wir zur zweiten Funktion des Massenmittelpunktes: wirken auf einen starren Körper verschiedene Kräfte ein, sind die damit verbunden Drehmomente von der Lage des Massenmittelpunktes abhängig; die einzelnen Kräfte entfalten um diesen Punkte herum ihre Hebelwirkung. Mit dem Zusammenhang zwischen Kraft und Drehmoment werden wir uns jedoch erst im nächsten Kapitel auseinandersetzen. Im zweitletzten Abschnitt des vorliegenden Kapitels wird gezeigt, dass der statisch bestimmbare Schwerpunkt mit dem Massenmittelpunkt identisch ist. Schwerpunkt und Massenmittelpunkt können und werden deshalb oft gleichgesetzt. Weil diese Identität jedoch nur im homogenen Gravitationsfeld gültig ist, halte ich die beiden Begriffe meistens auseinander. Den Schwerpunkt kürze ich mit SP und den Massenmittelpunkt mit MMP ab. Der Massenmittelpunkt wird uns noch ein drittes Mal beim Thema Bahndrehimpuls begegnen. Aus Konsistenzgründen ist der Bahndrehimpuls eines Teilkörpers immer auf den zugehörigen MMP zu beziehen. Seite 6 Rotationsmechanik Der letzte Abschnitt handelt von der statischen Unwucht. Ein Körper, der um eine feste Achse rotiert, die nicht durch den eigenen Massenmittelpunkt verläuft, ändert andauernd seinen Impulsinhalt. Er muss also über die Achse mit der Erde Impuls austauschen können. Die zugehörigen Ströme belasten die Lager mit Kräften, die betragsmässig konstant sind und gleichzeitig die Rotationsbewegung mitmachen. ! Lernziele Den Massenmittelpunkt eines Körpers berechnen können. Wissen, dass die resultierende Kraft die Beschleunigung des Massenmittelpunkts bestimmt. Die Bedeutung des Schwerpunktes kennen. Eine statische Unwucht berechnen können. 1.1 Die Geschwindigkeit eines Systems Luftkissenfahrzeuge sind impulsisoliert Fig. 1. - 1: Zwei Luftkissenfahrzeuge bilden ein schwingungsfähiges System. Luftkissenfahrzeuge behalten dank ihrem dünnen Luftpolster die jeweilige Geschwindigkeit praktisch bei; das Luftkissen sorgt für eine gute Impulsisolation. Nimmt man zwei solche Gleiter und hängt sie mit einer Feder zusammen, entsteht ein schwingungsfähiges System, dessen totaler Inhalt an Bewegungsmenge sich im Laufe der Zeit nur wenig ändert. 500 g 250 g identische Gleiter schwingen gegeneinander Werden die beiden Fahrzeuge nun kräftig gegeneinandergedrückt und dann gleichzeitig losgelassen, schwingt jedes für sich hin und her. Die Schwingungsdauer ist für beide Fahrzeuge gleich gross, d.h. sie bleiben im Gegentakt. Identische Gleiter werden sich sogar spiegelbildlich zueinander bewegen. Ihre Geschwindigkeiten sind zu jedem Zeitpunkt entgegengesetzt gleich gross und das Gesamtsystem wird weder nach rechts noch nach links wegdriften. auch ungleiche Gleiter können an Ort schwingen Im skizzierten Beispiel sind die die beiden Gleiter verschieden gross. Ihre Bewegung verläuft deshalb nicht genau spiegelbildlich. Der kleine Körper wird viel stärker geschüttelt als der grosse. Dieses Verhalten lässt sich direkt aus der Impulserhaltung heraus erklären: weil beim Start keine Bewegungsmenge zugeführt worden ist, speichern beide Teile zu jeder Zeit exakt entgegengesetzt gleichviel Impuls. Der leichtere Körper weist deshalb während des ganzen Vorganges eine betragsmässig grössere Geschwindigkeit auf als sein schwerer Partner. Der zugehörige Quotient muss bis auf das Vorzeichen gleich gross sein wie das reziproke Verhältnis der entsprechenden Massen. Trotz des ungleichen Bewegungsverhaltens driftet das Gesamtsystem weder nach rechts noch Rotationsmechanik Seite 7 nach links; im zeitlichen Mittel stehen beide Körper still. Versetzt man einem Zweigleitersystem, dessen linkes Luftkissenfahr- der Impuls pendelt zwischen zeug doppelt so träge ist wie das rechte, von links her einen Schlag, be- den Systemen hin und her wegt es sich schwingend in Schlagrichtung fort. Der anfänglich im linken Körper lokalisierte Impuls fliesst mit zunehmender Stärke durch die sich verformende Feder in den andern Partner über. Sobald beide Fahrzeuge die gleiche Geschwindigkeit erreicht haben, pumpt die sich wieder entspannende Feder mit abnehmender Rate nochmals die gleiche Portion Bewegungsmenge ins leichtere Fahrzeug hinein. Ist der Impulsstrom versiegt, beginnt sich die Feder infolge der unterschiedlichen Fahrzeuggeschwindigkeiten zu dehnen und der Impuls fliesst durch die Feder zurück, bis er wieder vollständig im linken Fahrzeug lokalisiert ist. Das Flüssigkeitsbild stellt mechanische Prozesse als Strömungsvorgän- das Flüssigkeitsbild offenbart ge im Gravitationsfeld dar. In diesem Bild werden die eindimensionalen die innere Dynamik Bewegungen mit Hilfe von Reservoirs und Pipelines dargestellt. Dabei verwandelt sich der Impuls in eine Flüssigkeit, ein einzelner Körper wird zu einem Behälter und die träge Masse transformiert sich in die zugehörige Grundfläche. Die Geschwindigkeit geht in die entsprechende Füllhöhe über. Fig. 1. - 2: Das Flüssigkeitsbild eines Zweimassenschwingers. Im ersten Teilbild steht das leichtere Objekt gerade still, im zweiten sind beide gleich schnell und in der dritten Darstellung hat der leichtere Körper die Maximalgeschwindigkeit erreicht. Bewegungsvorgänge lassen sich nach der Transformation ins Flüssig- die mittlere Geschwindigkeit keitsbild eindeutig besser analysieren. Sowohl die Maximalgeschwin- des Zweimassenschwingers digkeit des leichten Gleiters als auch die Minimalgeschwindigkeit des grösseren können direkt aus dem Bild herausgelesen werden. Das Flüssigkeitsbild offenbart uns zudem eine durch blosse Beobachtung kaum wahrzunehmende Symmetrie: die beiden Geschwindigkeiten der Teilsysteme oszillieren um einen festen Wert herum. Dieser Wert ist gleich dem gesamten Impulsinhalt dividiert durch die totale Masse des Systems. Beide Körper des Schwingers bewegen sich im zeitlichen Mittel mit dieser Geschwindigkeit fort. Beispiel 1: Ein Luftkissenfahrzeug (Masse 500 g), das über eine ideale Feder (Richtgrösse 600 N/m) mit einem halb so schweren verbunden ist, wird durch einen harten Stoss in Bewegung versetzt. Das trägere System beginnt daraufhin mit einer Anfangsgeschwindigkeit von 3 m/s die Feder zu deformieren. Wie stark wird die Feder zusammengedrückt? Welche Geschwindigkeit wird das leichtere Fahrzeug erreichen können? Seite 8 Lösung 1: Rotationsmechanik Anfänglich enthält das erste Fahrzeug 1.5 Ns Impuls. Diese Bewegungsmenge fliesst über die Feder an den zweiten Körper weg, bis beide gemeinsam mit 2m/s über die Bahn gleiten. Bis zu diesem Zeitpunkt sind 0.5 Ns Impuls im Mittel 1.5 m/s hinuntergeflossen, was eine freigesetzte Energie von 0.75 J ergibt. Diese Energie ist in der Feder gespeichert worden und hat diese um 5 cm gestaucht. Indem sich die Feder entspannt, pumpt sie nochmals 0.5 Ns Impuls vom grossen ins kleine Fahrzeug, das damit seine Geschwindigkeit auf 4 m/s verdoppelt. Federketten Werden mehrere Luftkissenfahrzeuge zu einer ganzen Kette zusammengebaut, kann sich der Impuls über viele Einzelsysteme verteilen. Stösst man zum Beispiel das hinterste Fahrzeug der Kette an, fliesst der Impuls wellenartig durch das ganze System hindurch, bis er beim vordersten Körper angelangt ist. Dann strömt er zurück und verteilt sich immer mehr über die ganze Kette, wobei sich deren einzelne Glieder zunehmend chaotischer verhalten. Überlagert wird der ganze Bewegungsablauf von einer einfachen Verschiebung der Kette als Ganzes nach rechts. Wieder ist die zugehörige Geschwindigkeit gleich dem Wert des Gesamtimpulses dividiert durch die totale Masse. Die Federkette bewegt sich also im Mittel gleich schnell wie ein starrer Vergleichskörper mit gleicher Masse und mit gleichem Impulsinhalt. Den zugehörigen Wert nennt man Massenmittelpunkts- oder Schwerpunktsgeschwindigkeit. Woher der Name kommt, erfahren Sie weiter unten. der Impuls als vektorwertige Grösse Fällt die Einschränkung, wonach sich Körper nur längs einer Geraden bewegen dürfen, weg, können bis zu drei verschiedene Sorten Impuls am Geschehen beteiligt sein. Diese drei Sorten, die getrennt zu bilanzieren sind, transformieren sich bei einer Drehung des Koordinatensystems wie ein Vektor. Weil die vektorielle, komponentenunabhängige Schreibweise für isolierte Systeme mathematisch besser zu handhaben ist als die dreifach skalare, verzichte ich hier auf die kontinuumsgerechtere Darstellung und behandle den Impulsinhalt als vektorwertige Grösse. Massenmittelpunktsgeschwindigkeit Die Einzelteile eines beliebigen Systems speichern zu jedem Zeitpunkt eine bestimmte Impulsmenge. Addiert man alle Inhalte und dividiert das Ergebnis durch die Gesamtmasse, erhält man in Erweiterung der eindimensionalen Betrachtungsweise die Massenmittelpunktsgeschwindigkeit als vektorielle Grösse r r vMMP ∑m ⋅v = ∑m i i i (1.1) i i die natürliche Zerlegeung des Impulsinhaltes Der Impulsinhalt des einzelnen Teilkörpers kann mit Hilfe von Formel (1.1) in zwei Teile zerlegt werden. Der erste beschreibt den Anteil, den er speichern würde, wenn alle Teile die gleiche Geschwindigkeit besässen. Der zweite steht für den Teil des Inhaltes, der die Relativbewegung ausmacht r r r pi = mi ⋅ vMMP + mi ⋅ vrel (1.2) Rotationsmechanik Seite 9 Die Massenmittelpunktsgeschwindigkeit charakterisiert den Bewegungszustand des Gesamtsystems. Sie gibt die Ortsveränderung an, die ein starrer Vergleichskörper mit gleicher Masse und gleichem Gesamtimpuls machen würde. Die Massenmittelpunktsgeschwindigkeit ist eine rein rechnerische Grösse. Es kann also passieren, dass sich kein einziger Teilkörper eines Systems je mit dieser Geschwindigkeit fortbewegt. Vergegenwärtigen wir uns den Sinn von Formel (1.2) im Flüssigkeitsbild. Der Impulsinhalt der einzelnen Glieder einer Gleiterkette darf in einen allgemeinen (bis zur inelastischen Linie) und in einen relativen Anteil (Abweichung von der inelastischen Linie) zerlegt werden. Fig. 1. - 3: Der Impulsinhalt einer Federkette darf in einen Massenmittelpunktsund in einen Relativanteil zerlegt werden. Tauscht der Gesamtkörper Impuls mit der Umgebung aus, greifen also Kräfte bestimmen die Kräfte an, darf die Zerlegung in Kollektiv- und Relativanteil weiterhin- Beschleunigung des Massenbeibehalten werden. Da die Summe über alle Relativanteile definitions- mittelpunktes gemäss verschwindet, legen die Kräfte die Änderungsrate der Gesamtgeschwindigkeit, die sogenannte Massenmittelpunktsbeschleunigung, eindeutig fest. Wie und über welche Oberflächenteile der Impuls ins System hineinfliesst, spielt dabei keine Rolle; die Beschleunigung des Massenmittelpunktes ist nur von der Kräftesumme abhängig. r r r F (1.3) ∑ i = p« = m ⋅ v«MMP i ? Kontrollfragen 1.) 2.) 3.) 4.) 5.) Zwei gleich grosse Luftkissenfahrzeuge prallen mit entgegengesetzt gleichen Geschwindigkeiten aufeinander und bleiben dann aneinander kleben. Was passiert bei diesem Stoss mit dem Impulsinhalt der beiden Fahrzeug? Wie heisst die Grösse, die entsteht, wenn man den Gesamtimpuls eines Systems durch dessen Masse dividiert Wieso bleibt bei einem Mückenschwarm die Geschwindigkeit des Massenmittelpunktes nicht unbedingt konstant? Welche kinematische Wirkung entfaltet die resultierende Kraft bei einem beliebigen System? Zwei identische Metallzylinder stehen auf einem horizontal ausgerichteten, ebenen Tisch. Durch viele kleine Düsen wird Luft aus dem Innern des Tisches nach oben geblasen. Dank diesem Dauerwind werden die beiden Metallzylinder leicht angehoben und die Reibung zwischen den Körpern und der Unterlage wird vernachlässigbar klein. Nun wirken auf beide Körper zwei gleich gross Kräfte ein. Die eine Kraft greift an einer Schnur an, die auf dem Zylinder aufgewickelt ist. Beim andern Zylinder ist die Schnur so befestigt, dass die Wirklinie der Kraft durch dessen Achse verläuft. Der Zylinder mit der aufgewickelten Schnur wird also im Gegensatz zum zweiten Körper noch zusätzlich in Rotation versetzt. Was lässt sich über die Bewegung der beiden Zylinderachsen aussagen? Seite 10 Rotationsmechanik 1.2 Der starre Körper die Geschwindigkeit eines Punktes des starren Körpers Die Massenmittelpunktgeschwindigkeit beschreibt nur den jeweiligen Impulsinhalt eines Systems. Lokalisieren, das heisst einem festen Punkt zuordnen, lässt sich diese Grösse im allgemeinen nicht. So bleibt zum Beispiel das Trägheitszentrum eines Zweikörpersystems ortsfest, wenn sich dessen massengleiche Bestandteile mit entgegengesetzt gleichen Geschwindigkeiten voneinander wegbewegen. Einzig beim sogenannt starren Körper gibt es einen materiellen Punkt, der sich andauernd mit der Massenmittelpunktsgeschwindikgeit fortbewegt. Um denselben zu finden, bedienen wir uns einer Formel aus der geometrischen Bewegungslehre, der Kinematik: die Geschwindigkeit eines beliebigen Punktes auf einem starren Körper kann durch die Winkelgeschwindigkeit und durch den Abstand von der momentanen Drehachse beschrieben werden r r r v =ω ×r (1.4) die momentane Drehachse Die momentane Drehachse enthält alle Punkte, die sich im fraglichen Zeitpunkt nicht bewegen. Findet man keine stillstehende Punkte auf dem Körper, liegt die Drehachse ausserhalb des Objektes. Die momentane Drehachse darf als rein geometrische Grösse also auch immateriell sein und in der Umgebung des rotierenden Gebildes liegen. Zudem muss sie weder bezüglich des Körpers noch des Raumes ruhen. Ein einfaches Beispiel dazu liefern die Rollkörpern. Bei allen Walzen und Rädern, die auf einer ruhenden Unterlage abrollen, geht die momentane Drehachse durch die Berührpunkte hindurch. Im Laufe der Abrollbewegung überstreicht die momentane Drehachse die ganze Lauffläche des rotierenden Körpers. Zudem wandert sie zusammen mit dem abrollenden System längs der Unterlage fort. Wird eine rotierende Walze ohne Translation sanft auf eine Unterlage abgesetzt, wandert die momentane Drehachse als Folge der einsetzenden Wechselwirkung vom Symmetriezentrum des rotierenden Körpers immer mehr gegen die Berührlinie weg. Diese Linie wird erreicht, sobald die Walze rutschfrei abrollt. Die momentane Drehachse ist also eine rein kinematische Grösse, die nichts mit der Dynamik des Systems zu tun hat und zudem noch vom Bewegungszustand des Beobachters abhängt momentane Drehachse Der Massenmittelpunkt Zerlegt man nun einen starren Körper in kleine Bestandteile und berechnet dann seine Massenmittelpunktsgeschwindigkeit nach Formel (1.1), so lässt sich ein Ortsvektor ausklammern, der die Lage eines Punktes beschreibt r r r r r 1 vMMP = ⋅ ∑ mi ⋅ (ω × ri ) = ω × rMMP m i r r 1 rMMP = ⋅ ∑ mi ⋅ ri m i (1.5) Der fragliche Punkt, dessen Geschwindigkeit unabhängig von allen Einwirkungen immer gleich dem Gesamtimpuls dividiert durch die totale Masse ist, liegt also im Zentrum der Massenverteilung. Er behält seine Rotationsmechanik Seite 11 Lage bezüglich des Körpers bei, solange dieser starr bleibt. Weil sich der Massenmittelpunkt eines starren Körper immer mit der in Formel (1.1) berechneten Geschwindigkeit bewegt, umschreibt man diese mit dem etwas umständlich klingenden Namen Massenmittelpunktsgeschwindigkeit. Beispiel 2: Drei identische Kugeln bilden ein rechtwinkliges Dreieck mit den Katheten 5 m und 12 m. Wo liegt der Massenmittelpunkt des Systems? Lösung 2: Wir legen das Koordinatensystem in den rechten Winkel hinein und wenden (5) komponentenweise an. Mit dieser Wahl reduziert sich die jeweilige Summe auf einen einzigen Term. Nach der Division mit der Gesamtmasse erhalten wir für die beiden Komponenten des MMP-Ortsvektors je einen Ausdruck, der gleich einem Drittel der entsprechenden Kathete ist. Die Koordinaten des MMP haben folglich die Werte 4 cm und 1.67 cm. Beispiel 3: Drei gerade Drahtstücke (5 cm, 12 cm und 13 cm) werden zu einem ebenen, rechtwinkligen Dreieck zusammengelötet. Wo liegt der Massenmittelpunkt dieses Drahtbügels? Lösung 3: Aus der Linearität in Formel (5) folgt, dass die verschiedenen Teile eines Systems zu einem Objekt zusammengefasst und als einzelner Punkt behandelt werden dürfen. Wir ziehen deshalb in Gedanken die Massen der drei Drähte zu deren geometrischen Symmetriezentren zusammen. Der Ursprung des Koordinatensystems wird mit Vorteil wieder in die rechtwinklige Ecke des Dreiecks gelegt. Weil die Drahtmitten nicht in den Eckpunkten des Dreiecks liegen, gehen diesmal pro Koordinatenrichtung zwei Terme in die Summe ein. Die Auswertung von Formel (5) liefert für den MMP die Koordinaten 5 cm und 1.5 cm Fassen wir die Kernaussage zur Bewegung eines starren Körpers noch- Zerlegung in Translation und mals zusammen. Bei jedem nichtdeformierbaren Körper existiert genau Rotation ein Punkt, dessen Geschwindigkeit zu jedem Zeitpunkt gleich dem Quotienten aus Impulsinhalt und Gesamtmasse ist. Die Raumkoordinaten dieses mit MMP bezeichneten Punktes können mit Hilfe von (1.5) berechnet werden. Die rein kinematische Zerlegung der Bewegung eines starren Körpers in eine Translation eines beliebigen Punktes und in eine Rotation um eine Achse, die durch diesen Punkt geht, wird dynamisch einfacher, wenn man den MMP als Bezugspunkt wählt. Translationsmechanisch gesehen darf also jeder Körper auf seinen eigenen MMP reduziert werden. Dann legt die Summe über alle einwirkenden Kräfte die Beschleunigung dieses Punktes eindeutig fest. Falls das Bewegungsverhalten eines freien, starren Körpern durch die Translation des MMP und durch die Rotation um eine Achse, die durch den MMP geht, beschrieben wird, nehmen die Bewegungsgleichungen die einfachste Form an. Der Massenmittelpunkt eines starren Körpers, der gesamthaft keinen die Drehachse eines impulsImpuls enthält, wird sich nicht bewegen. Der Körper bleibt an Ort und freien Körpers darf torkeln die momentane Drehachse verläuft in jedem Moment durch den Massenmittelpunkt. Trotzdem rotiert der impulsfreie Körper nicht unbedingt um eine raumfeste Achse. Die Drehachse darf selber noch eine Torkelbewegung ausführen. Eine herumwirbelnde Drehachse ist also mit der Impulserhaltung durchaus verträglich. Die Torkelbewegungen der Dreh- Seite 12 Rotationsmechanik achse heisst allgemein Nutation. Ein Körper nutiert, sobald die Drehachs nicht mit einer Symmetrieachse des Körpers zusammenfällt. Die Nutation eines starren Körpers lässt sich mit Hilfe der Vektoreigenschat des Drehimpulses erklären. ? Kontrollfragen 6.) Ein Körper rotiere um eine Achse, die den Massenmittelpunkt enthält. Was kann über seinen Impulsinhalt ausgesagt werden? 7.) Eine Vollkugel (Masse 500 g, Radius 2 cm) rollt über einen horizontalen Tisch. Dabei dreht sie sich ein Mal pro Sekunde. Wieviel Impuls speichert sie? 8.) Ein Auto rollt unkontrolliert eine Strasse hinunter und kommt dann an einer Hausmauer zum Stillstand. Aus Formel (1.3) folgt, dass die Summe über alle Kräfte gleich gross ist wie die Aenderungsrate der mit Hilfe von (1.1) berechneten Geschwindigkeit. Welcher Teil des Autos erfährt beim Aufprall genau diese Beschleunigung? 9.) Die einzelnen Vektorkomponenten in Formel (1.5) beschreiben ein gewichtetes arithmetisches Mittel. Über welche Grösse wird gemittelt? Wie heissen die „Gewichtsfaktoren“? 10.) Wie nennt man die Torkelbewegung eines freien, starren Körpers? 1.3 Der Schwerpunkt Schwerelinien und Schwerpunkt Zeichnet man bei einer beliebig geformten Kartonscheibe, die an einem Punkt frei drehbar gelagert ist, mit Hilfe eines Senkbleis eine Gerade ein, so hat man eine sogenannte Schwerelinie konstruiert. Wiederholt man das Verfahren, indem man von verschiedenen Drehpunkten aus die Schwerelinien fällt, macht man eine interessante Entdeckung: alle möglichen Schwerelinien schneiden sich in einem festen Punkt. Die Kartonscheibe besitzt offensichtlich einen ausgezeichneten Ort, Schwerpunkt genannt, der genau unterhalb des Drehpunktes liegen muss, damit Gleichgewicht herrscht. Am einfachsten präsentiert sich die Situation bei einem dreieckförmigen Kartonstück. Bei diesem Objekt fallen die Schwerelinien mit den Seitenhalbierenden zusammen. Der Schwerpunkt ist also identisch mit dem Schnittpunkt der drei Seitenhalbierenden. Eine analoge Aussage kann zu beliebig geformten Körpern gemacht werden. Leider lassen sich bei echt dreidimensionalen Objekten die Schwerelinien nicht so schön einzeichnen wie bei flachen Kartonstükken. Trotzdem kann man die Lage des Schwerpunktes in etwa erraten. Dazu hängt man ein ausgewähltes Objekt an einem langen Faden auf und wartet, bis die Pendelbewegung zum Stillstand gekommen ist. Die Verlängerung des Fadens läuft dann genau durch den Schwerpunkt des Körpers hindurch. Damit das Gravitationszentrum empirisch gefunden werden kann, muss das Objekt aber an mindestens drei verschiedenen Punkten aufgehängt werden. Rotationsmechanik Seite 13 D Fig. 1. - 4: Bei einem Kartondreieck fallen der Schwer- unt der Schnittpunkt der Seitenhalbierenden zusammen. Hängt man das Dreieck in einer Ecke frei drehbar auf, so pendelt sich die eine Seitenhalbierende genau vertikale ein. D Der empirisch im Gravitationsfeld bestimmte Schwerpunkt ist mit dem Schwerpunkt und Massenmitoben eingeführten Massenmittelpunkt identisch. Zum Beweis zerlegen telpunkt fallen zusammen wird die frei drehbar gelagerte Kartonscheibe in kleine Stücke und wenden das Hebelgesetz von Archimedes (285 - 212 v. Chr.) an. Das Gesetzt besagt, dass bei einem zweiseitig belasteten Hebel das Produkt aus angreifender Kraft und Abstand der zugehörigen Wirklinie von der Drehachse für beide Arme gleich gross sein muss, damit Gleichgewicht x herrscht. Die Hebelwirkung der Gewichtskräfte aller Kartonstücke, die mi links von der Schwerelinie liegen, muss somit gleich der totalen Hebelwirkung aller sich auf der rechten Seite befindenden Kartonteile sein. Legt man nun den Ursprung des Koordinatensystems auf die Drehachse und richtet die x-Achse horizontal aus, wird der Ausdruck für die Archimedische Forderung recht kompakt ∑F Gi i ⋅ xi = g ⋅ ∑ mi ⋅ xi = 0 (1.6) i z Die Formel (1.6) entspricht bei gleicher Koordinatenwahl der einen Komponente von (1.5). Der Massenmittelpunkt liegt also im Schnittpunkt der Schwerelinien und ist somit identisch mit dem Schwerpunkt. Infolge dieser Identität darf bei einem starren Körper der volumenmässige Impulsaustausch von System und Gravitationsfeld, die sogenannte Gewichtskraft, durch einen einzigen Pfeil dargestellt werden, der im Schwerpunkt angreift. Streng genommen existiert der Begriff Schwerpunkt nur bei homogenen Gravitationsfeldern. Ein ausgedehntes Objekt, das sich in einem inhomogenen Gravitationsfeld befindet, erleidet eine komplexere Wirkung. Die Gravitationskraft kann dann nicht mehr nur mit einem Kraftpfeil dargestellt werden, welcher im MMP angreift. Als Beispiel sei hier die Erde erwähnt. Sie erfährt im Gravitationsfeld der Sonne neben der Gewichtskraft noch ein zusätzliches Drehmoment. Diese Einwirkung zwingt der Erdachse eine sogenannte Präzessionsbewegung auf. Bei diesem Vorgang überstreicht die Erdachse in etwa 26’000 Jahren den Mantel eines Kreiskegels. Seite 14 Rotationsmechanik ? Kontrollfragen 11.) 12.) 13.) Die Gewichtskraft greift im Schwerpunkt an. Wie ist diese Aussage zu interpretieren? Fallen Schwerpunkt und Massenmittelpunkt eines Körpers immer zusammen? Die Schwerkraft der Sonne greift nicht im MMP der Erde an. Was meint man damit? Wie reagiert die Erde darauf? 1.4 Die statische Unwucht Unwucht beim Drehen Eine grosser Vollzylinder aus Stahl soll am Umfang abgedreht werden. Dazu spannt man ihn auf einer Karusselldrehbank (einer Drehbank mit vertikaler Achse) ein. Der Körper gilt als statisch ausgewuchtet, wenn die Symmetrieachse des Zylinders mit der Mittellinie der Arbeitsspindel zusammenfällt. Bei einem ausgewuchteten Werkstück darf die Drehzahl der Spindel beliebig hinaufgefahren werden, ohne dass deren Lager einer zusätzlichen Belastung ausgesetzt sind. Fällt die Zylindermitte jedoch nicht mit der Symmetrieachse der Arbeitsspindel zusammen, werden deren Lager umso stärker belastet, je schneller sich der Stahlzylinder dreht. Diese sogenannt statische Unwucht gilt es nun zu erklären. die statische Unwucht löst Impulsströme aus Der Impulsinhalt eines Systems kann immer als Produkt aus der Gesamtmasse und der Geschwindigkeit des Massenmittelpunktes geschrieben werden. Liegt das Trägheitszentrum eines zu bearbeitenden Werkstückes genau auf der Mittelachse der Arbeitsspindel, erleidet es unabhängig vom Rotationszustand nie eine Beschleunigung und der Impulsinhalt des ganzen Körpers bleibt konstant gleich Null. Ist das Werkstück beim Einspannen jedoch nicht ausgewuchtet worden, bewegt sich dessen Massenmitte auf der sich drehenden Aufspannfläche entlang einer Kreisbahn. Damit ändert der Körper seinen Impulsinhalt in einer für Kreisbewegungen typischen Art und der zugehörige Impulsstrom, der zwischen Werkstück und Erde hin- und herfliesst, belastet die Lager mit einer umlaufenden Kraft. jede Kreisbewegung wird durch eine resultierende Zentralkraft verursacht Ein ausgedehntes Objekt darf, solange man nur dessen Translationsbewegung untersuchen will, durch einen Punkt mit gleicher Masse ersetzt werden. Dieser Massenpunkt vollführt dann gemäss Formel (1.3) die gleiche Bewegung wie der Massenmittelpunkt des ursprünglichen Systems. Interessanterweise hat weder die Drehbewegung noch der Ort des Impulsaustausches, d.h. die Angriffspunkte der Kräfte, einen Einfluss auf das Bewegungsverhalten des Massenmittelpunktes. Der nicht ausgewuchtete Körper erleidet also die gleichen Kräfte wie ein massiver Punkt, der auf der Bahn des MMP umläuft. Weil ein Punkt auf einer Kreisbahn eine Zentralbeschleunigung aufweist, deren Betrag gleich dem Quadrat der Geschwindigkeit dividiert durch den Radius der Kreisbahn ist, ändert sich der Impulsinhalt des zugehörigen Körpers mit der entsprechenden Rate. Diese Rate kann als Kreuzprodukt von Winkelgeschwindigkeit und Momentanwert des Impulsinhaltes geschrieben werden kann. Der zugehörige Vektorpfeil, die resultierende Kraft, zeigt also immer gegen das Kreiszentrum. Rotationsmechanik Seite 15 Im Hinblick auf die noch zu diskutierende dynamische Unwucht soll Impulsströme bei der Kreisbehier die Lagerbelastung nochmals analysiert werden. Dazu spalten wir wegung die vektorwertige Grösse Impuls bezüglich eines raumfesten Koordinatensytems in drei skalare Mengen auf. Kreist nun ein kleiner Körper in der x-y-Ebene mit konstanter Schnelligkeit (Geschwindigkeitsbetrag) um einen vorgegebenen Punkt, verändert sich sowohl sein x- als auch y v sein y-Impulsinhalt harmonisch in der Zeit. Da die beiden Bewegungsmengen nicht einfach verschwinden und entstehen, muss der Impuls m über irgendwelche Pfade mit der Erde ausgetauscht werden. Häufig dient ein Seil als Impulsstromleiter. Zur weiteren Analyse betrachten wir ω·t x einen reibungsfrei gelagerten Zylinder, der an einem Seil festgebunden um einem Pflock kreist. Beschreibt man den Impuls des Zylinders komponentenweise und differenziert dann die beiden skalaren Grössen nach der Zeit, ergeben sich die zugehörigen Änderungsraten. Aus der Impulsbilanz folgt, dass diese Raten gleich gross sein müssen, wie die Stärken der im Seil drin fliessenden Impulsströme I px d px d − m ⋅ ω ⋅ r ⋅ sin(ω ⋅ t ) − cos(ω ⋅ t ) 2 = m ⋅ω ⋅ r ⋅ I = p = − sin(ω ⋅ t ) py dt y dt m ⋅ ω ⋅ r ⋅ cos(ω ⋅ t ) (1.7) Die beiden Impulsstromstärken heissen, falls man sie auf ein ausgewähltes System bezieht, Komponenten einer Kraft. Wie aus Formel (1.7) zu entnehmen ist, zeigt die Kraft gegen das Kreiszentrum und der zugehörige Betrag ist gleich dem Produkt aus Impulsinhalt und Winkelgeschwindigkeit. Als Folge der rechtwinkligen Anordnung von Impuls und zugehöriger Änderungsrate verschwindet das Skalarprodukt aus Seilkraft und Geschwindigkeit der Angriffsfläche. Die Leistung der Seilkraft ist also gleich Null, d.h. der über das Seil fliessende Impulsstrom transportiert netto keine Energie. Wird der kreisende Zylinder durch eine Hantel, die aus zwei Kugeln und einem Verbindungsstab besteht, ersetzt, erhält man das einfachste Modell für einen starren Körper. Sobald sich die Hantel um ihren eigenen Massenmittelpunkt dreht, tauschen die beiden Kugeln über den Verbindungsstab Impuls miteinander aus. Im Gegensatz zum kreisenden Zylinder fliesst dabei keine Bewegungsmenge an die Erde weg oder von dieser zu, d.h es werden keine Lager belastet und der Körper gilt als statisch ausgewuchtet. Eine Hantel kann jedoch auch noch eine Unwucht erzeugen, wenn ihr MMP mechanisch festgehalten wird. Dazu muss sie nur schief zur Drehachse aufgespannt werden. Die Unwucht, die von den im Verbindungsstab quer zur eigenen Definitionsrichtung fliessenden Impulsströmen erzeugt wird, heisst dynamisch. Eine saubere Analyse der dynamischen Unwucht ist erst möglich, wenn man die Vektoreigenschaft des Drehimpulses kennt. Dies wird frühestens im Kapitel 6 der Fall sein. x Ipx z Seite 16 Rotationsmechanik ? Kontrollfragen 14.) 15.) 16.) 17.) Wann heisst ein Körper statisch ausgewuchtet? Was passiert bei einer statischen Unwucht? Wie hängt bei einer Kreisbewegung die Zentralkraft mit dem Impulsbetrag zusammen? Wie ensteht eine dynamische Unwucht? Zusammenfassung von Kapitel 1 Ein Körper speichert Impuls, sobald es sich durch den Raum hindurch bewegt. Bildet man den Quotienten aus dem Impulsinhalt und der Masse eines Systems, erhält man eine charakterisitische Geschwindigkeit. Diese Grösse entspricht beim starren Körper exakt der Geschwindigkeit eines ausgezeichneten Punktes, des sogenannten Massenmittelpunktes (MMP). Setzt man die Definition des Massenmittelpunktes in die Impulsbilanz ein, erhält man das Grundgesetz der Translationsmechanik für starre Körper. Das Gesetz besagt, dass die Summe über alle Kräfte gleich dem Produkt aus Masse und Beschleunigung des Massenmittelpunktes ist. Dabei spielt der Angriffspunkt der Kraft, die Stelle, an welcher der Impulsstrom über die Systemgrenze fliesst, keine Rolle. Die Wirkung, die das Gravitationsfeldes auf einen starren Körper ausübt, darf durch eine Einzelkraft ersetzt werden, die im Schwerpunkt (SP) angreift. Die Grösse der Schwerkraft ist gleich Masse mal Gravitationsfeldstärke. Im homogenen Gravitationsfeld sind Schwerpunkt und Massenmittelpunkt identisch. Einen starren Körper, der um eine feste Achse rotiert und dessen Massenmittelpunkt auf der Achse selber liegt, nennt man statisch ausgewuchtet. Folglich bewegt sich bei einer statischen Unwucht der MMP auf einer Kreisbahn um die Achse. Der Körper tauscht dann andauernd Impuls mit der Erde aus und belastet dabei die Lager mit einer umlaufenden Kraft. !? Lernzielkontrolle Den Massenmittelpunkt eines Körpers berechnen können. 1.) 2.) 3.) Sie besitzen die Werkstattzeichnung eines Gegenstandes, der nur aus geraden Drahtstücken besteht. Wie bestimmen Sie den Massenmittelpunkt dieses Gegenstandes? Wie gehen Sie vor? Von einem ebenen, mehreckigen Blechstück liegt eine präzise Zeichnung vor. Wie bestimmen Sie nun den Massenmittelpunkt. Wo liegt der Schwerpunkt einer Pyramide? Wissen, dass die resultierende Kraft die Beschleunigung des Massenmittelpunkts bestimmt. 4.) 5.) Gilt die Aussage, wonach die resultierende Kraft die Beschleunigung des Massenmittelpunktes verursacht, auch für deformierbare Körper? Zwei gleich grosse und gleich schwere Metallzylinder stehen auf einem ebenen Tisch und werden je von einem Luftkissen in der Schwebe gehalten. Nun zieht man an beiden Körper mit der gleichen Kraft. Beim ersten Zylinder greift die Kraft an einer Schnur an, die wie bei einer Fadenspule aufgewickelt ist. Beim zweiten geht die Wirklinie der Kraft direkt durch die Zylin- Rotationsmechanik 6.) 7.) Seite 17 derachse. Wie verhalten sich die Beschleunigungen der beiden Zylinderachsen zueinander? Auf einer Spule sind zwei dünne und weiche Fäden gleichsinnig aufgewikkelt. Die beiden losen Enden der Faden werden nun parallel ausgerichtet an einem horizontal befestigten Stab angebunden. Dann wird die Spule unter die Befestigungsstelle gebracht und losgelassen. Wie pendelt sich die Spulenachse ein? Versucht sie sich genau lotrecht zum Stab auszurichten? Formulieren Sie das Grundgesetz der Translationsmechanik für einen starren Körper. Versuchen Sie, eine möglichst präzise und allgemeingültige Fassung zu finden! Die Bedeutung des Schwerpunktes kennen. 8.) 9.) Die Gewichtskraft greift im Schwerpunkt eines Körpers an. Was sagen Sie zu dieser Aussage? Eine Holzkiste steht auf einem starken Brett. Nun wird das Brett an einem Ende langsam hochgehoben. Wann kippt der Körper um? 10.) Ein beliebiges, starres Objekt wird an einem Seil aufgehängt. Wie wird es sich einpendeln? 11.) Wie funtioniert ein Stehaufmännchen (eine Halbkugel mit aufgesetztem Oberkörper)? 12.) Würde sich der Mond der Erde zu stark nähern, so würden ihn die Gezeitenkräfte auseinanderreissen. Würde dann der Massenmittelpunkt der Trümmer auf der alten Mondbahn weiterfliegen? Eine statische Unwucht berechnen können. 13.) 14.) 15.) 16.) 17.) Wann ist ein Körper statisch nicht ausgewuchtet? Wie kann man feststellen, ob ein Körper statisch ausgewuchtet ist? Was passiert, wenn ein solcher Körper um seine feste Achse zu rotieren anfängt? Wie werden die Lager belastet? Wie gross ist die durch die Unwucht induzierte Lagerkraft? Geben Sie eine Formel an. A Übungsaufgaben 1.) Zwei gerade Drahtstücke (Länge 10 cm und 5 cm) sind rechtwinklig zu einem L zusammengelötet worden. Welchen Winkel schliesst das längere Stück mit der Vertikalen ein, wenn der Drahtkörper frei Drehbar im Punkt P aufgehängt wird? P ? 2.) Ein rundes Blechstück (Durchmesser 10 cm) weist ein exzentrisches Loch (Durchmesser 4 cm) auf. Die Mittelachse der Scheibe fällt gerade mit einer Mantellinie des Loches zusammen. Wo liegt der Massenmittelpunkt der gelochten Scheibe? 3.) Vier kleine, gleich schwere Kugeln sind nach den Ecken einer Pyramide mit dreieckiger Grundfläche ausgerichtet. Die Dreieckseite misst 5 cm und die Pyramide hat eine Höhe von 15 cm. Wo liegt der MMP dieser vier Körper? 4. Acht gerade Drahtstücke bilden eine quadratische Pyramide. Die Grundfläche der Pyramide misst 4 cm x 4 cm und die vier andern Kanten sind je 10 cm lang. Wo liegt der MMP dieses Drahtkörpers? 5. Wo liegt der MMP einer quadratischen Pyramide, die eine Grundfläche von 40 cm2 und eine Seite 18 Rotationsmechanik Höhe von 10 cm aufweist? 6.) Eine Holzkiste (60 cm x 40 cm Gundfläche, 50 cm hoch) steht auf einem starken Brett. Die längere Seite des Kistenbodens sei quer zum Brett ausgerichtet. Nun werde das Brett an einem Ende langsam angehoben, bis die Kiste sich überschlägt. Dies geschieht bei einem Neigewinkel von 45˚. In welcher Höhe befindet sich der Schwerpunkt der Kiste? 7.) Eine Hantel, bestehend aus einem Stab (Masse 500 g, Länge 30 cm) und zwei identischen Kugeln (Masse 7 kg, Radius 5 cm), werde exzentrisch (Exzentrizität 10 cm) auf eine Karusselldrehbank aufgespannt. Mit welcher Kraft werden die Spindellager belastet, wenn sich die Hantel eintausend Mal pro Minute dreht? Ein Blechstück mit der Form eines gleichseitigen Dreiecks (Masse 5 kg, Seitenlänge 50 cm), werde so auf die Planscheibe einer Drehbank aufgespannt, dass die Achse der Arbeitsspindel eine der Höhen des Dreiecks halbiert. Mit welcher Kraft muss das Blech festgehalten werden, wenn sich die Spindel mit 1400 Umdrehungen pro Minute dreht? 9.) Auf einem Hohlzylinder (Masse 10 kg, Aussenradius 20 cm) sind zwei starke Faden in gleicher Richtung aufgewickelt worden. Die freien Enden der beiden Schnüre wurden zudem an einem Stab, der als Handgriff dient, festgebunden. Mit welcher Kraft muss an diesem Griff vertikal nach oben gezogen werden, damit die Symmetrieachse des Zylinders eine Beschleunigung von 5 m/s2 nach oben erfährt? 10.) Ein auf einer horizontalen Eisfläche liegender Stab aus Kunststoff (Masse 500 g, Länge 1m) werde von ein Kugel (Masse 5 g) getroffen, die horizontal aber normal zur Stabachse mit einer Geschwindigkeit von 500 m/s auftrifft. Wie schnell bewegt sich die Stabmitte nach dem Einschlag der Kugel, wenn diese 20 cm von einem Ende des Stabes entfernt steckenbleibt? Die Rechnung soll nur auf zwei Stellen genau ausgeführt werden. 400 300 8.) 100 11.) Ein dünnes Holzbrett (Masse 200 g, Länge 50 cm), das an zwei langen Fäden hängt, werde von einem grossen Lehmklumpen (Masse 400 g) getroffen. Das Brett liege horizontale ausgerichtet in der Luft, der Lehmkörper treffe mit 10 m/s horizontal und lotrecht zum Brett auf und bleibe 20 cm von dessen Mitte entfernt kleben. Wie schnell bewegt sich das Zentrum des Gesamtsystems unmittelbar nach dem Stoss? 12.) Drei Arbeiter tragen eine dreieckige Steinplatte (Masse 150 kg, Seitenlängen 1.4 m, 2.0 m und 2.6 m) gleichmässiger Dicke an den drei Ecken über einen ebenen Platz. Wieviel hat jeder zu tragen? 13.) Ein gerader Stahlträger (Masse 150 kg, Länge 3.00 m) sei genau horizontal ausgerichtet und werde auf beiden Seiten durch eine Mauer abgestützt. Mit welcher Kraft drückt der Balken auf die beiden Stützstellen, wenn er einen Gussstück (Masse 50 kg) zu tragen hat, das 1.20 m vom einen Ende entfernt an einem Stahlseil hängt? Rotationsmechanik Seite 19 14.) Auf einem zweifach abgestütz0.5 m 1.5 m 1.25 m ten, horizontal ausgerichteten Brett (Masse 25 kg, Länge 4 m) befinden sich drei gleich grosse Betonklötze (Masse je 50 kg). Die genaue Anordnung der Kör1m per kann der Skizze entnommen werden. Wie gross sind die Kräfte, mit denen das Brett an den beiden Stützstellen auf die Unterlage drückt? 15.) Ein Schwungrad (Masse 150 kg) kann sich zusammen mit der 3.5 m langen, starren Welle (Masse 50 kg) um eine horizontale Achse frei drehen. Die Welle wird über zwei Wälzlager festgehalten. Mit welchen Kräften belastet der drehbare Körper die beiden Lager? Die genauen Abmessungen können der Zeichnung entnommen werden. 1.5 m 1m 0.8 m 16.) Ein vier Meter langer Betonbalken (Masse 100 kg) soll von drei Arbeitern ein Stück weit getragen werden. Der erste packt den Balken an einem Ende an, der zweite greift in der Mitte zu und der dritte umfasst den Balken einen Meter vom zweiten Ende entfernt. Nach dem Transport behauptet der mittlere Arbeiter, dass er alleine 50 kg getragen habe. Wieviel Gewicht haben demnach die beiden andern übernommen? 17.) Eine oben offene, würfelförmige Schachtel (Kantenlänge 10 cm) aus 1 mm dickem Stahlblech (Dichte 7300 kg/m3) wird zu zwei Dritteln mit Wasser gefüllt. Wie hoch über dem Boden liegt der Schwerpunkt des Gesamtsystems? Das Resultat soll auf einen Millimeter genau gerechnet werden. 18.) Eine oben offene Blechwanne (Blechdicke 4 mm, Dichte 8900 kg/m3), die aus einem quadratischen Boden (Kantenlänge 0.5 m) und vier ein Meter hohen Seitenwänden besteht, wird auf eine schiefe Ebene (Neigungswinkel 45˚) gestellt, mit einer Holzleiste am Rutschen gehindert und dann mit Wasser gefüllt. Wieviel Wasser darf eingefüllt werden, bis die Wanne kippt? 19.) Zwei Arbeiter tragen einen Balken (Länge 5 m, Masse 30 kg) eine Treppe (Neigungswinkel 35˚) hinauf. Mit welcher vertikel gerichteten Kraft muss der hintere auf den Körper einwirken, wenn jeder der beiden den Balken am jeweiligen Ende hochhebt? Seite 20 Rotationsmechanik 2. Der Drehimpuls Jeder rotierende Körper enthält Drehimpuls. Dies bedeutet, dass ein System seinen Rotationszustand nur ändern kann, wenn es Drehimpuls aufnimmt oder abgibt. Der Drehimpuls darf wie der Impuls, die elektrische Ladung oder die Entropie als Primärgrösse angesehen werden, die gespeichert und zwischen den Systemen ausgetauscht wird. Vom Drehimpuls existieren drei verschiedene Ausführungen. Alle drei Sorten verhalten sich bei einer Koordinatentransformation wie die Komponenten eines Vektors. Damit gleicht der Drehimpuls in seinem Transformationsverhalten dem Impuls, mit dem er aber unter keinen Umständen verwechselt werden darf. Eigentlich besteht der Drehimpuls aus sechs bilanzierfähigen Grössen. Neben den drei erwähnten Komponenten sind in der Relativitätstheorie noch drei weitere Mengen aufgetaucht. Die neu entdeckten Grössen haben etwas mit der Translationsbewegung zu tun. In diesem Kapitel wollen wir uns auf nur eine Komponente beschränken. Trotz der eingeschränkten Sichtweise werden wir aber alle grundlegenen Gesetze der Drehmechanik kennenlernen. In vielen Fällen genügt es, wenn man die Drehmechanik mit nur einer Drehimpulssorte vollständig beherrscht. Zudem ist die strikte Aufteilung des Drehimpulses in drei getrennte Sorten gerade bei komplexeren Problemen zu empfehlen. Erst im Kapitel 6 soll dann der Drehimpuls als vektorwertige Grösse untersucht werden. Der Drehimpulsinhalt eines gestalttreuen Systems wächst proportional zur Winkelgeschwindigkeit. Die zugehörige Kapazitivgrösse, Massenträgheitsmoment genannt, berechnet sich aus der Masse und deren Anordnung im Körper. Drehimpuls kann weder entstehen noch verschwinden. Ändert also ein Körper seinen Drehimpulsinhalt, muss er diese Menge mit einem zweiten System austauschen können. In den meisten Fällen steht die Erde mit ihrem riesigen Speichervermögen als Austauschpartner zur Verfügung. Die Drehimpulsstromstärke bezüglich eines Systems heisst Drehmoment. Damit weist die Drehmechanik eine ähnliche Struktur auf wie die Translationsmechanik. Leider sind die Drehimpulsströme nicht so unmittelbar lokalisierbar wie die leitungsartigen Impulstransporte. Dies erschwert den Zugang zur Drehimpulsbilanz ein wenig. Wir werden uns deshalb intensiv mit der Frage auseinanderzusetzen haben, wie der Drehimpuls durch eine Struktur hindurchfliesst. Generell kann gesagt werden, dass ein Körper immer dann Drehimpuls mit der Umgebung austauscht, wenn in seinem Innern Impulsströme quer zur Bezugsrichtung fliessen. Schwungräder, die grössere Mengen Drehimpuls speichern, findet man in vielen Maschinen und Geräten. Das Einsatzgebiet dieser Räder erstreckt sich von den Verbrennungsmotoren über die Stanzmaschinen bis zu den mechanischen Spielzeugen. Die Güte eines Schwungrades schätz man mit Hilfe des spezifischen Energiefassungsvermögen ab. Dieses Speichervermögen gibt an, wieviel Kilojoul Energie pro Kilogramm Masse maximal gespeichert werden kann. Über dieses Mass dürfen sämtliche Energiespeicher wie Bleiakku, Benzintank oder Wasserstoffbehälter miteinander verglichen werden. Leider vergisst man oft, dass Energie nie alleine von einem Körper zu einem andern transportiert werden kann; Energie braucht immer einen Träger. Zudem ist aus der er Sicht des 20. Jahrhunderts Energie bloss ein anderes Wort für Masse. Ein Körper dreht sich also nicht, weil er Energie sondern weil er Drehimpuls enthält. Die Rotationsenergie als solche ist nicht von der restlichen Energie des Körpers zu unterscheiden. Sie ist wohl zusammen mit dem Drehimpuls zugeführt worden, doch besteht ihre einzige Wirkung darin, dass sie den Körper um ein kleines Quantum schwerer macht. Ein Schwungrad speichert nur mechanisch abrufbare Energie, wenn es gleichzeitig auch Drehimpuls enthält. Die Drehimpulsbilanz liefert die zentrale Aussage zu diesem Kapitel. Sobald die Speicherfähigkeit der Körper, d. h. ihre Drehimpulskapazitäten oder Massenträgheitsmomente, bekannt sind und die Drehimpulsströme oder Drehmomente mengenmässig erfasst sind, kann das Rotationsverhalten Rotationsmechanik Seite 21 eines mechanischen Systems berechnet werden. Der Drehimpuls wurde wie der Impuls lange Zeit nicht als eigenständige Menge angesehen. Beiden Grössen hat man nicht mal eine eigene Einheit zugestanden. Einer der Gründe, wieso gerade die beiden wichtigsten Mengen der Mechanik über Jahrhunderte ignoriert worden sind, dürfte in ihrem Überangebot zu suchen sein. Sowohl Impuls als auch Drehimpuls werden von der Erde in belieben Mengen zur Verfügung gestellt. Sie müssen nur noch mit Hilfe der Energie auf das entsprechende Niveau, d.h. auf die Geschwindigkeit oder die Winkelgeschwindigkeit der einzelnen Körper, gepumpt werden. Weil vom Drehimpuls und vom Impuls immer genügend vorhanden ist, redet man bei bewegten Körpern meistens nur noch von der Hilfsgrösse Energie. ! Lernziele Den Drehimpuls als die mengenartige Primärgrösse anerkennen. Das Flüssigkeitsbild eines Drehimpulsspeichers skizzieren können. Wissen, dass das Drehmoment für eine Drehimpulsstromstärke bezüglich des Systems steht. Das Drehmoment eines Kräftepaares berechenen können. Einer Kraft ein Drehmoment zuordnen können. Die Grundgesetze der Mechanik formulieren können. 2.1 Drehimpulsspeicher Ein an Ort rotieren Körper enthält keinen Impuls. Eine zweite mechani- Der Drehimpuls ist mengenarsche Grösse muss demnach als Verursacher der reinen Drehbewegung tig angesehen werden. Dass man diese Grösse lange Zeit nicht als vollwertig akzeptiert hat, lässt sich schon an deren Namen erkennen: man umschreibt sie mit dem etwas umständlich klingenden Wort Drehimpuls. Drehimpuls kann in einem System gespeichert oder zwischen zwei Systemen ausgetauscht werden; der Drehimpuls ist mengenartig. In einer Abfolge von einfachen Experimenten wollen wir uns mit dieser Grösse vertraut machen. Wird der Drehimpuls von Anfang an als Menge gesehen, ist die Versuchung klein, diese zentrale Grösse der Drehmechanik bei konkreten Problemstellungen zu vergessen und damit ein fundamentales Gesetz der Physik zu verletzen. In einem ersten Experiment setzen wir auf einen Stahlzylinder, der sich N Mal pro Sekunde dreht, einen zweiten, gleich grossen, der selber nicht rotiert. Infolge der immer vorhandenen Reibung beginnt sich der obere Körper zu drehen und der untere verlangsamt sich, bis beide die gleiche Winkelgeschwindigkeit erreicht haben. Schlussendlich drehen sich beide Zylinder in einer Sekunde nur noch N/2 Mal. Der ganze Bewegungsablauf kann nun mit Hilfe des Drehimpulses er- Drehimpuls wird solange ausklärt werden: sobald der zweite Zylinder auf den ersten abgesetzt wor- getauscht, bis sich die Drehden ist, gibt der untere so lange Drehimpuls an den oberen ab, bis beide zahl angeglichen hat die gleiche Drehzahl erreicht haben. Aus der Halbierung der Drehzahl Seite 22 Rotationsmechanik folgt, dass die Winkelgeschwindigkeit linear mit dem gespeicherten Drehimpuls wächst. Würde man zwischen die beiden Rutschflächen einen leichten und weichen Zwischenzylinder einfügen, so könnte man beobachten, wie er vom hindurchfliessenden Drehimpulsstrom verformt wird. Eine ähnliche Wirkung kann beim Einschrauben eines Zapfenziehers am Korken beobachtet werden. Nur hält man bei diesem Vorgang die Flasche mit der andern Hand fest, so dass der Drehimpuls sofort wieder abliesst. Beim zweiten Experiment rotiert der obere Zylinder vor der Berührung mit entgegengesetzt gleicher Winkelgeschwindigkeit in die andere Richtung. Sobald sich die Zylinder berühren, werden beide langsamer und stehen nach kurzer Zeit still. Während der Reibphase sind die beiden Flächen stärker erwärmt worden als im ersten Experiment, da eine grössere Menge an Bewegungsenergie vollständig dissipiert worden ist. der Drehimpuls ist eine Spiegelbildgrösse Beim Drehimpuls handelt es sich offensichtlich wieder - wie bei der elektrischen Ladung und beim Impuls - um eine Spiegelbildgrösse. Indem man die eine Drehrichtung auswählt und als positiv deklariert, legt man fest, welcher der beiden Körper einen Drehimpulsüberschuss und welcher einen Mangel aufweist. Falls wir uns für den Drehsinn des unteren Zylinders entscheiden, ist der Drehimpuls während der Rutschphase vom unteren Körper in den oberen geflossen und hat dessen Manko ausgeglichen. Die Richtung, in die der Drehimpuls fliesst, hängt offensichtlich von der Wahl des positiven Drehsinnes ab. 3. Experiment Der ober Zylinder sei doppelt so hoch, besitze den gleichen Durchmesser und weise die doppelte Masse auf. Nachdem er auf den rotierenden Zylinder gesetzt worden ist und sich die Winkelgeschwindigkeiten angeglichen haben, benötigt der untere Zylinder dreimal mehr Zeit für eine Umdrehung als vorher. die Drehimpulskapazität nennt man Massenträgheitsmoment Der untere Zylinder hat dem oberen zwei Drittel seines Drehimpulses übergeben. Der massivere Körper speichert also bei gleicher Winkelgeschwindigkeit doppelt so viel Drehimpuls wie der leichtere. Das Drehimpulsfassungsvermögen oder die Drehimpulskapazität heisst Massenträgheitsmoment. Wir dürfen also behaupten, dass der obere Metallzylinder ein doppelt so grosses Trägheitsmoment aufweist wie der untere. Leider ist die Masse nicht die einzige Grösse, die das Massenträgheitsmoment beeinflusst. Dazu ein viertes Experiment. 4. Experiment Der obere Zylinder besteht nun aus einem Bleimantel mit einem Aluminiumkern. Beide Teilkörper sind so bemessen, dass der obere Zylinder die gleiche Geometrie und dieselbe Masse aufweist wie der untere, der immer noch aus Stahl gefertigt ist. Nachdem der ruhende Bleimantelkörper auf den rotierenden Zylinder gesetzt worden ist und sich die Winkelgeschwindigkeiten angeglichen haben, vergrössert sich die Umlaufzeit des untern Zylinders auf mehr als das Doppelte. Rotationsmechanik Seite 23 Der obere Körper hat mehr als die Hälfte des Drehimpulses übernom- die Verteilung der Masse hat men; er kann bei vorgegebener Winkelgeschwindigkeit mehr Drehim- einen grossen Einfluss auf die puls speichern als der untere. Da beim Bleimantelkörper die Masse im Drehträgheit Mittel weiter von der Drehachse entfernt liegt als beim gleich schweren Stahlzylinder, muss die etwas anders geartete Massenverteilung die Grösse des Massenträgheitsmomentes beeinflussen: Körperteile, welche weit von der Drehachse entfernt sind, tragen mehr zum Trägheitsmoment bei als nähergelegene. Den genauen Zusammenhang zwischen Massenverteilung und Drehimpulsspeicherfähigkeit werden wir später formulieren Der Tatsache, dass die Drehträgheit von der Verteilung der Masse ab- Eiskunstläuferinnen verändern hängig ist, wird bei der Pirouette ausgenutzt. Zu Beginn der Figur sorgt ihr Massenträgheitsmoment die Eiskunstläuferin für einen hinreichend grossen Drehimpulsinhalt. Indem sie sich dann auf die Spitze einer Kufe stellt, verhindert sie einen allzugrossen Drehimpulsverlust. Dann verkleinert sie ihr Massenträgheitsmoment durch das Einziehen von Arme und Beine. Als Folge dieser Kapazitätsänderung steigt die Winkelgeschwindigkeit sehr stark an. Bei der Piroutte bleibt nur der Drehimpulsinhalt der Sportlerin ungefähr konstant. Die Bewegungsenergie steigt dann linear mit der Winkelgeschwindigkeit an. Wie diese Energie zugeführt wird, kann man durch gezieltes Nachdenken selber herausfinden. Drehimpuls darf unter Energiezufuhr aus dem Nichts heraus getrennt unter Energiezufuhr kann werden. Eine solche Trennung erfolgt zum Beispiel im Frachtraum ei- Drehimpuls aus dem Nichts nes Spaceshuttles, wenn ein Astronaut versuchen sollte, einen Satelliten heraus getrennt werden in Rotation zu versetzen. Dann wird er feststellen, dass sich das Raumschiff andersherum zu drehen beginnt. Hätten wir alle eine gewisse Weltraumerfahrung, so würde es uns viel leichter fallen, die Substanzähnlichkeit des Drehimpulses zu erkennen. Hier auf der Erde können wir mit dem Boden Drehimpuls in beliebigen Mengen austauschen, ohne dass sich dadurch die Erde auf die andere Seite wegdreht. Wir Erdenbewohner haben unsere liebe Mühe mit dem Drehimpuls als eigenständige Menge. Nicht weil wir ihn selten zwischenspeichern, sondern weil wir ihn andauernd in beliebiger Menge mit der Erde austauschen können. Die Physik des 20. Jahrhunderts stellt den Drehimpuls auf die gleiche Elektronen müssen spinen begriffliche Stufe wie die elektrische Ladung oder die Masse. Die meisten Elementarteilchen weisen neben der Ladung und der Masse einen ganz bestimmten Drehimpuls auf, den sie bei ihrer Entstehung mitbekommen haben. Im Falle einer Wechselwirkung können die Teilchen ihren Drehimpuls, derSpin genannt wird, nur paketweise mit der Umwelt austauschen. Die zugehörige Paketgrösse ist durch eine universelle Naturkonstante mit einem Betrag von 1.054·10-34 Nms festgelegt. Der Spin eines Elektrons kann zum Beispiel unabhängig von der Raumrichtung nur zwei Werte annehmen, die entgegengesetzt gleich gross sind. Der Betrag des Elektronenspins muss deshalb immer gleich gross sein wie die Hälfte der oben erwähnten universellen Konstanten. Nur so kann das Elektron den Drehimpuls in der erlaubten Stückelung mit einem zweiten Seite 24 Rotationsmechanik System austauschen. Elektronen die nicht spinen, sind bis heute keine entdeckt worden. Interessanterweise speichern Protonen und Neutronen gleichviel Drehimpuls wie die Elektronen, obwohl sie als Kernbauteile etwa zweitausend Mal schwerer sind als ihre atomhüllenbildenden Partner. Bosonen und Fermionen Spin up Spin down Der Spin ist mehr als nur ein Eigendrehimpuls. Der Spin hängt mit dem wohl wichtigsten Ordnungsprinzip der Physik zusammen. Dieses Prinzip verlangt, dass alle Elementarteilchen in zwei Klassen eingeteilt weden müssen. Die eine Klasse besteht aus den Teilchen, deren Eigendrehimpuls ein halbzahliges Vielfaches der oben erwähnten Naturkonstante ist. Ihre Mitglieder heissen Fermionen. Die Vertreter der zweiten Gruppe, die Bosonen, müssen einen ganzzahligen Spin aufweisen. Ihr Drehimpulsinhalt darf also nur ein ganzzahliges Vielfaches der universellen Naturkonstante ausmachen. Fermionen und Bosonen verhalten sich völlig verschieden. So duldet kein Fermion ein zweites im selben Zustand, wogegen die Bosonen ihre identischen Partner geradzu zum gemeinsamen Agieren zwingen. Der bosonenhafte Gruppendruck wird zum Beispiel im LASER ausgenutzt. Bei diesem Gerät sorgen die vom angeregten Stoff zuerst ausgesendeten Lichtteilchen (Photonen) dafür, dass alle nachfolgend emittierten Lichtquanten im Takt mitschwingen. Dadurch entsteht ein zusammenhängender Lichtstrahl, ein eigentlicher Lichtkristall. Die Elektronen als leichtgewichtige Mitglieder der Fermionenfamilie könnten die Materie nie dermassen stabilisieren, wenn sie nicht dem arttypischen Verdrängungsprinzip unterliegen würden. Weil die Elektronen einander den Platz streitig machen, füllt ein fester Stoff ein ganzes bestimmtes Raumvolumen aus. Zudem wiedersetzt sich ein Festkörper einem Kompressionsversuch mit einer unglaublichen Festigkeit. Diese Widerstandskraft heisst Entartungsdruck und hat seine Ursache in der fermionischen Eigenbrödlerei der Elektronen. ! Kontrollfragen 1.) 2.) 3.) 4.) 5.) 6.) Ein Walze rollt über eine horizontale Unterlage. Welche mengenartigen Grössen speichert sie dabei? Die Walze wird infolge der unvermeidlichen Reibung immer langsamer. Beschreiben Sie, was mit den einzelnen Mengen während des Auslaufvorganges geschieht. Sie sitzen auf einem Drehstuhl mit vertikaler Achse. Nun wird der Stuhl von einer zweiten Person mit einem kräftigen Stoss in Rotation versetzt. Woher kommt der Drehimpuls, den Sie zusammen mit dem Drehspul speichern? Wie können Sie die Winkelgeschwindigkeit verändern, ohne den Boden zu berühren Ein auf dem Tisch liegendes, gekochtes Ei soll mit einer Hand in eine reine Drehbewegung versetzen werden. Wie gehen Sie vor? Was passiert mit dem Arm, wenn der Drehimpuls durch ihn hindurchfliesst? Kann ein Schwungrad von atomarer Grösse mit einer konstanten Winkelbeschleunigung in Rotation versetzt werden? Worin unterscheiden sich die Fermionen von den Bosonen? Rotationsmechanik Seite 25 2.2 Das Flüssigkeitsbild Mangel Trägheit ω Ueberschuss ω Die ganze Struktur der Rotationsmechanik kann in ein Flüssigkeitsbild Flüssigkeitsbilder sind eingebettet und damit anschaulich gemacht werden. Diese Darstellung, anschaulich die sehr nahe bei unserer sinnlichen Erfahrung liegt, ebnet den Zugang zur Theorie in einem auf rein analytischem Wege kaum zu erreichenden Masse. Im Flüssigkeitsbild stellen wir uns den Drehimpuls als eine Art Wasser vor, das entweder in zylinderförmigen Gefässen, den einzelnen Körpern, oder in einem riesigen See, der Erde, gespeichert wird. Die Grundfläche eines jeden Gefässes entspricht dem zugehörigen Massenträgheitsmoment und aus der Winkelgeschwindigkeit wird eine simple Füllhöhe. Fig. 2. - 1: Der Drehimpuls kann als Flüssigkeit graphisch dargestellt werden. Dabei verwandelt sich das Massenträgheitsmoment in die Grundfläche eines Gefässes und aus der Winkelgeschwindigkeit wird eine Füllhöhe. Trägheit Der Inhalt eines Gefässes ist immer positiv, wogegen ein Schwungrad, positiver und negativer Drehwie wir weiter oben diskutiert haben, auch einen Mangel an Drehimpuls impuls aufweisen kann. Diesen grundlegenden Unterschied zwischen dem Drehimpuls und dem Volumen können wir bei der Transformation ins Flüssigkeitsbild überdecken, indem wir auch Füllhöhen zulassen, die unter dem Niveau des Sees liegen. Ein negativer Drehimpuls entspricht dann einem Mangel an Flüssigkeit. Wird also ein Schwungrad durch die unvermeidliche Reibung abgebremst, fliesst über dem Lager immer Drehimpuls winkelgeschwindigkeitsmässig hinunter. Bei einem positiv rotierenden Schwungrad strömt der Drall infolge der Reibung hinaus und bei einem Rad, das sich anfänglich gegen den positiven Sinn dreht, dringt Drehimpuls von aussen rein und erhöht die Winkelgeschwindigkeit von einem negativen Wert auf Null. Solange die wechselwirkenden Körper auf einer gemeinsamen Achse die Drehimpulsbilanz als angeordnet sind, liefert das Flüssigkeitsbild alle funktionalen Beziehun- Kernaussage gen, d.h. die richtigen Gleichungen. Die zentrale Formel, die den Drehimpulsinhalt eines Systems mit den zugehörigen Stromstärken verknüpft, verwandelt sich mit Hilfe der Flüssigkeitsanalogie in eine einfache Volumenbilanz. Ein Problem ist damit noch nicht gelöst: wie identifiziert man Drehimpulsströme und wie misst man ihre Stärke? Mit dieser Problemstellung wollen wir uns im nächsten Abschnitt beschäftigen. Seite 26 Beispiel 4: Rotationsmechanik Zwei Schwungräder, die über eine Rutschkupplung miteinander verbunden sind, werden von links her mit einem in zehn Sekunden linear von Null auf den Maximalwert steigenden Drehimpulsstrom versorgt. Das linke Schwungrad weise ein doppelt so grosses Massenträgheitsmoment auf wie das rechte. Die Kupplung lässt eine Drehimpulstrom durch, dessen Stärke höchstens einen Sechstel des von links zufliessenden Maximalwertes betragen darf. Wann beginnt die Kupplung zu rutschen? I t Lösung 4: Aus dem zugehörigen Flüssigkeitsbild kann die richtige Lösung praktisch unmittelbar herausgelesen werden: solange die Niveaus in beiden Gefässen zusammen ansteigen, fliesst dem ersten Behälter von links her das Dreifache von dem zu, was im Verbindungsrohr nach rechts wegströmt. Somit koppelt der rechte Rotator ab, sobald der linke Drehimpulsstrom die Hälfte seines Maximalwertes erreicht hat. Dies ist fünf Sekunden nach Prozessbeginn der Fall. In den nächsten fünf Sekunden fliesst nur noch ein konstant gehaltener Drehimpulsstrom in das rechte Schwungrad hinein. Das linke Rad hat den weiter anschwellenden Zustrom aufzunehmen und erreicht dadurch eine viel höhere Drehzahl als das rechte. die Pirouette im Flüssigkeitsbild Drehimpulskapazitäten oder Massenträgheitsmomente sind, wie schon aus den einführenden Experimenten hervorgeht, von der Verteilung der Masse abhängig. Generell gilt: je näher die Masse beim MMP liegt, desto kleiner wird das zugehörige Trägheitsmoment. Dieser Sachverhalt kann auf dem Eisfeld direkt studiert werden. Zieht die zu einer Pirouette ansetzende Eisläuferin die Arme ein, rotiert sie schneller; streckt sie die Hände wieder vom Körper weg, verlangsamt sich die Drehbewegung. Figur 2.-2 zeigt diesen Vorgang im Flüssigkeitsbild. Fig. 2. - 2: Die Pirouette im Flüssigkeitsbild. Beim Einziehen der Arme verkleinert die Eiskunstläuferin ihre Drehträgheit und quetscht damit den Drehimpuls auf ein höheres Niveau. die Grenzen des Flüssigkeitsbildes Im Flüssigkeitsbild entspricht das Einziehen der Arme einem Verkleinern des Gefässquerschnittes. Dabei wird der Drehimpuls wird auf ein höheres Niveau gequetscht. Dreht sich der Körper gegen die positive Richtung, besitzt einen negativen Inhalt an Drehimpuls. Er enthält weniger als Nichts und kann nur durch Drehimpulszufuhr abgebremst werden. Im Flüssigkeitsbild erscheint dieser Mangel als Loch. Das Gefässniveau liegt tiefer als die Oberfläche des umgebenden Sees, der Rotationsmechanik Seite 27 die Erde darstellt. Leider lässt sich die Dynamik der Piroutte bei negativem Drehsinn nicht mehr direkt ins Flüssigkeitsbild übersetzen; eine vorzeichenfähige Grösse ist eben nur beschränkt auf eine positive Menge abbildbar. ? Kontrollfragen 7.) 8.) 9.) Wie manifestiert sich im Flüssigkeitsbild das Massenträgheitsmoment? Welcher Grösse entspricht die Füllhöhe? Beschreiben Sie das erste und zweite Experiment aus dem vorhergegangenen Abschnitt mit Hilfe des Flüssigkeitsbildes. 10.) Ein Schwungrad auf das ein Drehmoment einwirkt, erfährt eine Winkelbeschleunigung. Übersetzen Sie diese Aussage ins Flüssigkeitsbild. 11.) Drehimpuls fliesst wie Wasser freiwillig immer nur hinunter. Was heisst hinunter in der Drehmechanik und was ist mit freiwillig gemeint? 2.3 Das Drehmoment Ein gekochtes Ei, das in eine schnelle Rotation versetzt wird, steht nach wie man ein Ei in Rotation verwenigen Umdrehungen aufrecht auf dem Hinterteil. Dieses verblüffende setzt Verhalten kann nur richtig deuten, wer über fundierte Kenntnisse aus der Kreiseltheorie verfügt. Wir wollen uns hier mit der weniger weit gehenden Frage beschäftigen, was zu tun ist, damit ein Körper zu rotieren anfängt, ohne davonzufliegen. Das Ei soll sich ja bloss drehen und ja nicht vom Tisch fallen. Jeder, der den Trick vorführen will, macht es intuitiv richtig: das Ei wird mit beiden Daumen festgehalten und dann mit einer gegenläufigen Bewegung angeschoben. Eine auf dem Tastsinn beruhende Analyse des Vorganges ergibt, dass Kräftepaare erzeugen reine von den beiden Daumen her neben der Druck- noch je eine Reibkraft Drehmomente auf das Ei einwirkt. Diese tangential wirkenden Kräfte versetzen das Ei in Rotation. Alle frei beweglichen Körper beginnen sich zu drehen, sobald ein reines Kräftepaar einwirkt. Bei einem Kräftepaar fliesst der zugehörige Impuls quer zu seiner Bezugsrichtung durch das System hindurch. Weil sich dabei der Impulsinhalt des Körpers nicht ändert, bleibt er an Ort. Die Wirkung eines Kräftepaares heisst Drehmoment. Allgemein nennt man jede Einwirkung auf ein System, die eine Rotation bewirkt, Drehmoment. Drehmomente geben an, mit welcher Rate ein System Drehimpuls mit der Umgebung austauscht. Zur quantitativen Herleitung der Beziehung zwischen Kraft und Dreh- der zweiarmige Hebel moment ziehen wir wieder Hebelgesetz von Archimedes bei. Im zweiarmigen Hebel (Fig. 2.3), dessen Masse wir vernachlässigen, fliessen zwei Impulsströme von den belasteten Stellen gegen die Mitte, um dann über die Auflagestelle das System wieder zu verlassen. Seite 28 Rotationsmechanik Fig. 2. - 3: Beim zweiarmigen Hebel fliessen zwei Impulsströme gegeneinander. Gleichgewicht herrscht, sobald das Produkt aus Stromtärke und seitliche Versetzung für beide Ströme gleich gross ist x Schnittbild das Hebelgesetz Fig. 2. - 4: Zur korrekten Bestimmung des Drehmomentes wird jeder Kraft eine Wirklinie zugeordnet. Das Produkt aus der einen Kraft und dem Abstand der Wirklinien des Paares ergibt dann das Drehmoment. Beim zweiarmigen Hebel kann die Lagerkraft in zwei Teile zerlegt werden, die dann zusammen mit den beiden andern Einwirkungen je ein Kräftepaar ergeben. y Impulsstrombild Das Hebelgesetz verlangt nun, dass das Produkt aus Impulsstromstärke und Länge des impulsstromführenden Teils für beide Arme gleich gross sein muss, damit Gleichgewicht herrscht. Der von rechts kommende Impulsstrom würde, falls er alleine vorhanden wäre, den Hebel im Uhrzeigersinn in Drehung versetzen. Der andere erzeugt die gegensätzliche Wirkung. Dem einen Drehmoment ist also ein positives, dem andern ein negatives Vorzeichen zuzuordnen; der eine Impulsstrom führt dem Hebel also Drehimpuls zu, der andere entzieht andauernd die gleiche Menge. Streng mathematisch sind wir nicht mehr frei bei der Wahl des positiven Vorzeichens. Falls das angegebene Koordinatensystem rechthändig ist, weist die z-Achse nach hinten und die zugehörige positive Drehrichtung verläuft uhrzeigersinnig. Die konsequente Verwendung eines rechthändigen Koordinatensystems ist aber erst angezeigt, wenn man sich mit echt dreidimen-sionalen Drehungen beschäftigt. Solange nur ebene Probleme untersucht werden, ist die Wahl des Vorzeichens frei. Achse die Wirklinie Ein zweiarmiger Hebel gleicht selten einem gewöhnlichen Balken. Abgewinkelte und geschwungene Formen ersetzen bei vielen Anwendungen den gestreckten Doppelarm. In solchen Fällen ordnet man jeder Kraft eine Wirklinie zu. Das zugehörige Drehmoment berechnet sich dann als Produkt aus dem Betrag der einen Kraft und dem Abstand der Wirklinien des zugehörigen Kräftepaares. Impulsströme im Winkelhebel Der Impulsstrom entfaltet offensichtlich nur dann eine Drehwirkung, wenn er seitwärts zu seiner Bezugsrichtung fliesst. Mehr über den quan- Rotationsmechanik Seite 29 titativen Zusammenhang von Impulsstrom und Fliessstrekke erfahren wir am Beispiel des Winkelhebels. Bei einem rechtwinklig geformten Hebel wirke auf den einen Arm eine Kraft ein, die genau in x-Richtung weist. Die Kraft, die am andern Teil angreift, sei dagegen in die positive y-Richtung orientiert. Fig. 2. - 5: Im oberen Hebelarm fliesst der y-Impuls in die negative x-Richtung. Gleichzeitig fliesst x-Impuls im andern Arm entgegen der y-Achse. x y Schnittbild Strombild In beiden Hebelarmen wird der jeweilige Impuls gegen die Bezugsrich- das Drehmoment bei ebenen tung der andern Sorte transportiert und entfaltet dabei eine Drehmomen- Körpern tenwirkung. Ist der Hebel im Gleichgewicht, so fliesst über den einen Arm exakt soviel Drehimpuls zu, wie im andern wieder abgeführt wird. Im rechthändigen Koordinatensystem ist das mit dem x-Impulsstrom verbundene Drehmoment positiv. Dementsprechend führt der Impulsstrom im andern Arm zu einem Drehimpulsabfluss. Der Ausdruck für die beiden Einzeldrehmomente kann mit einer einzigen Formel zusammengefasst werden. M = I px ⋅ ∆y − I py ⋅ ∆x (2.1) In Formel (2.1) sind nur die Beträge der Stromstärken einzusetzen; das die koordinatenfreie FormulieVorzeichen von ∆x und ∆y wird durch die Fliessrichtung des Impulses rung festgelegt. Dreht man das Koordinatensystem in der x-y-Ebene, verändern sich sowohl die Impulsstromstärken als auch die zugehörigen Koordinatenabschnitte. Das mit Hilfe von (2.1) berechnete Drehmoment bleibt dagegen konstant. Um in die koordinatenfreien Darstellung überzugehen, ordenet man sowohl der Eintritts- als auch der Austrittsstelle des Impulsstromes je einen Kraftpfeil zu. Das Drehmoment dieses Kräftepaar berechnet sich dann - wie weiter oben schon diskutiert - als Produkt aus dem Betrag der einen Kraft und dem gegenseitigen Abstand der Wirklinie. s2 F1 s1 F2 M = F1 ⋅ s1 − F2 ⋅ s2 Fig. 2. - 6: In der koordinatenfreien Darstellung erzeugt jedes Kräftepaar ein Drehmoment, das gleich dem Produkt aus dem Betrag der einen Kraft und dem Abstand der zugehörigen Wirklinien ist. Seite 30 Rotationsmechanik ? Kontrollfragen 12.) Wie muss der Impuls durch den Körper hindurchfliessen, damit ein Drehmoment auf diesen einwirkt? 13.) Was ist unter einem Kräftepaar zu verstehen? Wie berechnet man das Drehmoment eines Kräftepaares? 14.) Die beiden Kräfte eines Paares werden mit Hilfe eines Koordinatensystems so zerlegt, dass sowohl die x- als auch die y-Komponente ungleich Null sind. Fertigen Sie von dieser Situation eine Zeichnung an und skizzieren Sie dann sowohl das x- als auch das y-Impulsstrombild. Wie berechnet man das zugehörige Drehmoment? 2.4 Die Drehimpulsbilanz Drehmoment und Bilanz Ein Körper, auf den ein Drehmoment einwirkt, muss seinen Bewegungszustand ändern. Weil er Drehimpuls mit der Umgebung austauscht, kann seine Drehzahl nicht konstant bleiben. Das Drehmoment steht zum Drehimpuls wie die Kraft zum Impuls. Tritt Drehimpuls in einen Körper ein, ordnen wir der Stromstärke ein positives Drehmoment zu. Verlässt der Drehimpuls das System, markieren wir die Austauchsrate mit einem negativen Drehmoment. Die Bilanzgleichung verlangt nun, dass die Summe über alle Drehimpulsströme gleich der Inhaltsänderungsrate ist ∑I Li = MRe s = L« (2.2) i Einheiten Bilanz und Hebelgesetz weisen dem Drehimpuls die Einheit Newtonmetersekunde (Nms) zu. Leider haben sich die zuständigen Normengremien noch auf keinen Namen für diese Einheit einigen können. Ein Vorschlag wäre, dass man dem Drehimpuls die Einheit Euler (E) zuweisen würde. Leonhard Euler (1707 - 1783) hat sich als einer der ersten mit der Bewegung der starren Körpern auseinandergesetzt. Das Massenträgheitsmomentes, das als eigentliche Drehimpulskapazität definiert ist, wäre dann in E·s zu messen. Setzt man die offiziell zulässigen Einheiten ein, muss dem Trägheitsmoment die Einheit N·m·s2 zugewiesen werden. Wird nun noch das Newton durch die Basiseinheiten ausgedrückt, ergibt sich für das Trägheitsmoment kg·m2. Beispiel 5: Auf zwei Schwungräder, die über eine Rutschkupplung verbunden sind, wirke von links her ein in zehn Sekunden linear von Null auf 60 Nm linear anwachsendes Drehmoment ein. Das rechte Schwungrad weise ein Massenträgheitsmoment von 25 kgm2 auf; das linke sei doppelt so träge. Die dazwischenliegende Kupplung beginnt zu rutschen, sobald das “übertragene” Drehmoment grösser als 10 Nm wird. Mit welchen Winkelgeschwindigkeiten rotieren die Räder nach zehn Sekunden? Lösung 5: Aus dem zugehörigen Flüssigkeitsbild (vergl. Aufgabe 4) kann die richtige Lösung herausgelesen werden. Anfänglich strömt ein Drittel des von links her zufliessenden Drehimpulses ans rechte Schwungrad weiter. Nach fünf Sekunden hat der durch die Kupplung fliessende Strom den kritischen Wert von 10 Nm erreicht. Bis zu diesem Zeitpunkt sind insgesamt 75 Nms zugeflossen, was eine Winkelgeschwindigkeit von einem Radianten pro Sekunde ergibt. In den nächsten fünf Sekunden fliesst nur noch ein konstant gehaltener Rotationsmechanik Seite 31 Drehimpulsstrom von 10 Nm in das rechte Schwungrad hinein, womit sich dessen Winkelgeschwindigkeit um zwei auf drei Radianten pro Sekunde erhöht. Dem linken Rad werden in der gleichen Zeit von links her weitere 225 Nms zugeführt. Zieht man die 50 Nms ab, die nach rechts weitergeflossen sind und rechnet den vorher schon erreichten Wert dazu, erhält man eine Winkelgeschwindigkeit von 4.5 s-1. ? Kontrollfragen 15.) Wie hängt das Drehmoment mit dem Drehimpuls zusammen? 16.) Die Drehimpulsbilanz verlangt, dass die Summe über alle Drehimpulsstromstärken (Drehmomente) gleich der Änderungsrate des Inhaltes ist. Wie sieht die Drehimpulsbilanz aus, wenn die Inhaltsänderungsrate durch den kapazitive Zusammenhang ersetzt worden ist? 17.) Nehmen wir an, der Drehimpuls dürfe in Euler gemessen werden. Mit welcher Einheit wird dann das Drehmoment gemessen? 2.5 Drehimpulsströme Erzeugt ein Drehimpulsstrom eine messbare Wirkung? Kann man den Drehimpulsströme sind nur Drehimpuls analog zum Impuls längs seines Transportweges verfolgen? bedingt lokalisierbar Leider muss diese Frage verneint werden. Der Drehimpuls fliesst durch den Raum hindurch, ohne direkte Spuren zu hinterlassen. Wie wir im vorletzten Abschnitt gesehen haben, wird das Drehmoment von einem Kräftepaar erzeugt, d.h. ein im System seitwärts transportierter Impuls erzwingt einen Drehimpulsaustausch. Diese Verknüpfung, die für alle Körper unabhängig von ihrem Bewegungszustand gilt, legt aber nur die Rate fest, mit der ein System Drehimpuls aufnimmt oder abgibt. Über den genauen Transportweg macht Formel (2.1) keine Aussage. Wie eine eingehendere Untersuchung zeigt, kann ein Drehimpulstrom nicht uneingeschränkt lokalisiert werden. Nur bei Vorgängen, bei denen sich die Massenverteilung im Raum nicht ändert, kann aus der Geometrie der Impulsströme direkt die Verteilung des Drehimpulsstromes ermittelt werden. In diesem Abschnitt untersuchen wir zwei wichtige Spezialfälle etwas eingehender. Im ersten Fall erfolgt der Transport in der Bezugsebene drin, d.h. der Drehimpuls fliesst senkrecht zu der möglichen Drehachse weg. Bei der zweiten Problemstellung wird der Drehimpuls parallel zur Drehachse transportiert. Ein Riementrieb, der aus zwei gleich grossen Scheiben und aus einem Impuls- und Drehimpulstransumlaufenden Riemen besteht, sei durch eine konstante Kraft, die auf die port im Riementrieb beiden Achsenlager einwirkt, vorgespannt. Werden die beiden Scheiben sodann in gegenläufigem Sinne weggedreht, bis der obere Riemen vollständig entspannt ist, bildet sich ein unverzweigter Impulskreisstrom aus: der von einem Lager zum andern fliessende Impulsstrom, die „Vorspannkraft“, wird über den unteren Riemen zurückbefördert. Dieser Impulsstromkreis ist nun für den gleichzeitig stattfindenen Transport von Drehimpuls verantwortlich. Parallel zum gespannten Teil des Riemens wird Drehimpuls von einer Scheibe zur andern befördert, wobei der Impulsstrom den Drehimpulstransport beidseits begrenzt. Drehimpuls kann also nur in der Bezugsebene wegfliessen, wenn der Transport beid- Seite 32 Rotationsmechanik seits von einem Impulsstrom berandet wird. Weil die Drehimpulsstromstärke gleich dem Drehmoment des auf die Riemenscheiben wirkenden Kräftepaares ist, kann der Zusammenhang zwischen Drehimpuls- und Impulsstrom sofort hingeschriebenwerden. Wir werden uns aber erst im neunten Kapitel mit der quantitativen Ausformulierung solcher Verknüpfungen beschäftigen. Fig. 2. - 7: Im einseitig statisch belasteten Riementrieb fliesst ein Impulsstrom im Kreis herum. Dieser Stromkreis induziert einen konstanten Drehimpulsstrom. der Drehimpulsstrom im Flacheisen Fig. 2. - 8: Bei reiner Biegebeanspruchung fliesst Drehimpuls durch das Flacheisen hindurch. x keine Belastung Druckbelastung y Drehimpulsstrom Zugbelastung Ersetzt man den Riementrieb durch ein Flacheisen (ein langes, flaches Stück Stahl) und schweisst in der Nähe der beiden Enden auf der Breitseite je einen seitlich abstehenden Bolzen mit mit einem Handgriff an, kann auch mit diesem „Gerät“ Drehimpuls übertragen werden. Der Drehimpuls beginnt zu fliessen, sobald beide Bolzen gegeneinander verspannt werden. In der einen Hälfte des Querschnittes, dort wo das Material auf Druck beansprucht wird, fliesst Impuls in die positive Richtung. In der andern Hälfte herrscht Zug, d.h. dort wird Impuls in die negative Richtung transportiert. Zugbelastung Drehimpulsstrom Druckbelastung der Drehimpulsstrom bei Biegebelastung Beim auf Biegung belasteten Flacheisen sind sowohl die Impuls- als auch die Drehimpulsströme inhomogen. Der Drehimpuls strömt auf der Mittelachse am stärksten, wogegen die begleitenden Impulsströme gegen die Ränder hin an Intensität gewinnen. Die Impulsstromdichte, die auch Zug- oder Druckspannung heisst, ergibt sich aus den für das jeweilige Material gültigen Gesetzen. Wenn wir annehmen, dass im ganzen Querschnitt die Dehnung linear mit der Spannung zunimmt, wird jede materielle Fläche durch die Beanspruchung ein wenig schiefgestellt. Die Impulsstromdichte (Zug- oder Druckspannung) wächst deshalb von der Mitte her gegen ausssen linear an. Nun denken wir uns das Flacheisen als ein ganzes Bündel von Lammellen. In einem beliebigen Querschnitt darf dann der einzelnen Lamelle eine Zug- oder Druckkraft zugordnet werden. Je zwei Kräfte bilden ein Paar, wobei den beiden äussersten Lamellen das mächtigste Kräftepaar zuzuordnen ist. Durch die Summation über alle Drehmomente dieser Paare erhält man das Drehmoment oder die totale Drehimpulsstromstärke. Rotationsmechanik Seite 33 In den beiden Achsen des Riementriebes oder in den Bolzen des Flach- der Drehimpulsstrom bei Toreisens fliesst der Drehimpuls normal zur Wirkebene, sobald diese Bau- sion teile belastet werden. Den durch den Drehimpulstransport ausgelösten Deformationszustand nennt man Torsion. Bei einem tordierten Hohlprofil wird der Drehimpulstrom ähnlich wie beim Riementrieb von einem Impulsstrom räumlich begrenzt. Doch diesmal sind zwei Sorten Impuls beteiligt, die zudem in die Bezugsrichtung der dritten Impulskomponente fliessen. Die querfliessenden Impulsströme formen zusammen ein geschlossenes Rohr, in dessen Innern der Drehimpuls normal zur Wirkebene transportiert wird. x z x y y y x y Fig. 2. - 9: Bei einem Vierkantprofil, das auf Torsion beansprucht ist, wird der hindurchfliessende Drehimpulsstrom von vier Impulsströmen begrenzt. Impuls, der normal zur eigenen Bezugsrichtung fliesst, belastet das Ma- die zugeordneten Schubspanterial auf Scherung und die zugehörige Impulsstromdichte heisst Schub- nungen oder Scherspannungen. Scherspannungen gehorchen einem speziellen Gesetz: fliesst zum Beispiel x-Impuls in z-Richtung, so muss an derselben Stelle gleichviel z-Impuls in x-Richtung transportiert werden. Dieses Gesetz der zugeordneten Schubspannung wird üblicherweise mit Hilfe der Drehimpulsbilanz bewiesen. Der Beweis geht davon aus, dass die Drehimpulsbilanz aus der Impulsbilanz abgeleitet werden kann. Ich verzichte hier auf eine Entgegnung und postuliere, dass das Gesetz der zugeordneten Schubspannungen unabhängig von Material und Geometrie immer zutrifft. Angewendet auf das belastete Hohlprofil verlangt dieses Gesetz, dass die in z-Richtung fliessenden x- und y-Impulssorten einen z-Impulsstrom nach sich ziehen, der in der x-y-Ebene herumfliesst (um besser argumentieren zu können, habe ich das Koordinatensystem von Figur 2.-9 übernommen). Der z-Impulsstrom, der damit den Drehimpuls längs seines ganzen Transportweges wirbelförmig umströmt, hat weder Quellen noch Senken (der Impuls kann in einem ruhenden Bauteil nirgends gespeichert werden). Schubflusserhaltung heisst diese Erscheinung in vielen Lehrbüchern der Festigkeitslehre. Der Schubfluss strömt also im Querschnitt des verdrehten Voll- oder Hohlprofils als zweidimensionale „Strömung“ um den Drehimpulstransport herum und setzt diesem ein klare Grenze. x Fig. 2. - 10: Bei der Torsion wird der Drehimpulstransport von einem Schubfluss umhüllt. y In dünnwandigen, auf Torsion belasteten Rohren ist der Schubfluss der Drehimpulsstrom im runpraktisch homogen. Damit reduziert sich der Zusammenhang zwischen den Vollprofil Seite 34 Rotationsmechanik r Impuls- und Drehimpulstransport auf eine gewöhnliche Multiplikation: das Drehmoment auf eine Schnittfläche oder eben die Stromstärke des durch das Rohr fliessenden Drehimpulses ist gleich dem Betrag der Schubspannung multipliziert mit der materiellen Querschnittfläche und dem Rohrradius. Bei einem Vollquerschnitt sieht die Rechnung etwas komplizierter aus. Wieder folgt aus dem Hooke’schen Gesetz für den verdrehten Zylinder, dass die Schubspannung linear mit dem Radius wächst. Unterteilt man den Vollzylinder in lauter dünnwandige Rohre der Dicke dr, bestimmt dann die zugehörige Drehimpulsstromstärke und summiert zum Schluss über alle Teile auf, folgt daraus die Stärke des totalen Drehimpulsstromes. R I L = ∫ τ ⋅ r ⋅ dA = ∫ G ⋅ γ ⋅ r ⋅ 2 ⋅ π ⋅ r ⋅ dr = 0 r π ⋅ G ⋅ R4 ∫0 G ⋅ l ⋅ ∆ϕ ⋅ r ⋅ 2 ⋅ π ⋅ r ⋅ dr = 2 ⋅ l ⋅ ∆ϕ R (2.3) In Formel (2.3) ist die Scherspannung τ mit Hilfe des Hooke’schen Gesetzes durch das Produkt aus Schubmodul G und Scherwinkel γ ersetzt worden. Im Fall des tordierten Stabes ist dieser Winkel zwischen der verdrehten Faser und ihrer ursprünglichen Orientierung zu messen. Der Schwerwinkel ist, wie man sich anhand einer Zeichnung leicht überlegen kann, proportional zum Verdrehungswinkel ∆ϕ, wobei der Proportionalitätsfaktor gleich dem Quotienten aus dem zugehörigen Radius und der Profillänge l ist. Formel (2.3) zeigt, dass die Drehimpulsstromstärke linear mit der Verdrehung des Vollzylinders zunimmt. Der zugehörige Proportionalitätsfaktor heisst Winkelrichtgrösse. Diese darf in Anlehnung an das Federgesetz auch Drehfederkonstante genannt werden. ? Kontrollfragen 18.) 19.) 20.) 21.) 22.) Ein Riementrieb, bei dem beide Scheiben gleich gross sind, wird statisch vorgespannt. Die xAchse zeige in Richtung der beiden Riementeile. Wie fliesst bei dieser Anordnung der Impuls? Wie der Drehimpuls? Ein dünnwandiges Rohr sei auf Torsion belastet. Dabei wird Drehimpuls in achsialer Richtung transportiert. Die z-Achse des Koordinatensystems zeige in Richtung des Drehimpulstransportes.Wie fliesst die z-Komponente des Impulses durch den Rohrmantel? Wie verlaufen die Ströme der beiden andern Sorten? Bei der Biegung fliesst der Drehimpuls in der Wirkebene drin und bei Torsion normal zu dieser. Was ist bei diesen beiden Belastungsfällen zu den begleitenden Impulsströmen zu sagen? Wie lautet das Hooke’sche Gesetz bei Scherung? Wie gross ist die Winkelrichtgrösse bei einem Vollzylinder? Konsultieren Sie die Formel (2.3)! Rotationsmechanik Seite 35 2.6 Drehimpulsströme und Drehmomente Ein Drehimpulsstrom ist nicht einfach ein anderes Wort für Drehmo- Ströme werden an einer orienment. In diesem Abschnitt wollen wir beide Begriffe präzisieren und ge- tierten Referenzfläche gemesgeneinander abgrenzen. Dazu ein Beispiel. Einem Schwungrad werde sen über eine verdrehte Welle Drehimpuls zugeführt. Der Drehimpulsstrom hat eine bestimmte Stärke, die an jeder beliebigen Stelle der Welle bestimmt werden kann. Bei jedem Strom muss nun die Referenzfläche und die zugehörige Orientierung, bezüglich der die Stromstärke gemessen worden ist, angegeben werden. Die Orientierung der Fläche entscheidet über das der Stromstärke zuzuordnende Vorzeichen. Sobald ein Strom hin und her fliesst, kommt man um eine klare Regelung der Vorzeichenfrage nicht mehr herum. So hebt man in der Elektrizitätslehre die Orientierung der Referenzfläche speziell noch mit einem Bezugspfeil hervor. Mit Drehmoment wird jede Einwirkung auf einen starren Körper, die das Drehmoment als systembedessen Rotation beeinflusst, bezeichnet. Das Drehmoment beschreibt zogene Drehimpulsstromstärke die Drehimpulsstromstärke bezüglich eines ausgewählten Systems. Da ein positives Drehmoment natürlicherweise eine Drehimpulszufuhr anzeigen soll, muss die Systemoberfläche nach innen orientiert werden. Erst durch diese Vorzeichenregel werden Drehmoment und Drehimpulsstromstärke zu synonymen Begriffen. Wird eine Antriebswelle in Gedanken vom Schwungrad getrennt, ist die actio gleich reactio Schnittfläche durch zwei entgegengesetzt gleiche grosse Drehmomente zu ergänzen. Das eine Drehmoment gehört dann zum System Schwungrad und das andere ist der Welle zuzuordnen. Weil bei jeder Schnittfläche zwei Körper aufeinanderstossen, können Drehmomente immer nur paarweise gebildet werden, wobei jedes Paar in Anlehnung an die Translationsmechanik auch mit actio gleich reactio bezeichet werden darf. M IL Fig. 2. - 11: Ein zufliessender Drehimpulsstrom ergibt ein positives Drehmoment. Dieses wird mit einem kreisförmigen Pfeil dargestellt. Die Vektoreigenschaft des Drehimpulses soll, solange wir uns mit Be- Vorzeichen und Darstellung wegungen in der Ebene beschäftigen, kein Thema sein. Mit dieser Einschränkung bleibt auch das Drehmoment eine rein skalare Grösse, deren Vorzeichens von der Wahl des positiven Drehsinns abhängt. Ist der Drehsinn gegen den Lauf der Uhr gerichtet, führt jedes Drehmoment, das in diesem Sinne wirkt, dem System Drehimpuls zu. Einem im Uhrzeigersinn wirkenden Drehmoment ist dann ein negatives Vorzeichen zuzuweisen. Die Wirkrichtung des Drehmomentes wird üblicherweise mit einem Pfeil dargestellt. Seite 36 Rotationsmechanik ? Kontrollfragen Das im Dreibackenfutter einer Drehbank eingespannte Werkstück (Trägheitsmoment 2 kg·m2) wird in drei Sekunden auf eine positive Drehzahl von 1440 Umdrehungen pro Minute gebracht. Wie stark ist der mittlere Drehimpulsstrom während des Anfahrvorganges? 24.) Durch eine tordierte Welle fliesst ein konstanter Drehimpulsstrom. Schneiden Sie die Welle in drei Teile, zeichnen sie alle wirkenden Drehmomente ein und erklären Sie anhand dieses Beispiels die Begriffe Gleichgewicht sowie Wechselwirkung. 25.) Auf ein anfänglich ruhendes Schwungrad wirkt ein Drehmoment im Uhrzeigersinn ein. Die positive Drehrichtung sei anders herum definiert. Was passiert mit dem Drehimpulsinhalt des Rades? 26.) Überlegen Sie sich beim zweiarmigen Hebel (Fig. 2.-3), wie der Drehimpuls durch diese einfache Maschine hindurchfliesst. Die positive Drehrichtung ist durch das Koordinatensystem festgelegt. 23.) 2.7 Die Kraft und das begleitende Drehmoment das Drehmoment hängt nicht mit der Drehachse zusammen reibungsfrei und aufrecht die Kräfte bestimmen die Beschleunigung des MMP Die Wirklinie einer Kraft verlaufe quer durch einen starren Körper hindurch. Wie gross ist das zugehörige Drehmoment? Sie müssen sich nun gründlich von der archimedischen Vorstellung lösen, dass ein Drehmoment gleich dem Produkt aus Kraft und Abstand zur Drehachse ist. Die Drehachse ist eine rein kinematische Grösse, die, wie wir im nächsten Beispiel sehen werden, keinen direkten Einfluss auf das dynamische Geschehen hat. Den ersten Teil des nun folgenden Beispiels haben Sie schon bei einer Kontrollfrage kennengelernt. Auf einen Vollzylinder (Masse 10 kg, Massenträgheitsmoment 0.0125 kgm2, Radius 5 cm), der reibungsfrei auf einer horizontalen Unterlage steht, wirkt über eine aufgewickelte Schnur eine konstante Kraft von 10 N ein. Wie bewegt sich der anfänglich ruhende Körper nach fünf Sekunden? Die Lösung einer Aufgabe aus der Mechanik stellt eine handwerkliche Herausforderung dar. Doch statt den gesunden Menschenverstand walten zu lassen, sollte man bei mechanischen Problemen immer mit einer gewissen Systematik vorgehen. Der professionelle Weg führt vom Schnittbild über die Bilanzgesetze zu den Bewegungsgleichungen.Wir stellen also zuerst ein vollständiges Schnittbild vom Körper her, d.h. wir zeichnen alle Kräfte ein, die auf das System einwirken. In der Senkrechten halten Gewichts- und Normalkraft den Körper im Gleichgewicht. Horizontal wirkt nur die konstant gehaltene Seilkraft ein. Diese ändert den Impulsinhalt in jeder Sekunde um 10 Ns. Die Zylinderachse erfährt dadurch eine Beschleunigung von 1m/s2. Folglich wird sich der Zylinder nach fünf Sekunden mit 5 m/s nach rechts bewegen. Beachten Sie, dass die Wirkung der Kraft, die Beschleunigung des Massenmittelpunktes, unabhängig der Lage der Wirklinie ist. Der MMP verhält sich, wie wenn alle Kräfte direkt auf ihn wirken würden. Rotationsmechanik Seite 37 x Schnittbild y Fig. 2. - 12: Steht eine Fadenspule reibungsfrei auf einer horizontalen Unterlage, so muss sich der über das gespannte Seil zuströImpulsstrombild mende Impuls seitwärts fliessend in der Spule verteilen. Dies hat eine Drehimpulszufuhr zur Folge. Der Impuls muss, da die Schnur tangential zum Mantel ausgerichtet ist, der Impuls fliesst bis zum im Zylinder seitwärts fliessen. Nur so kann er sich gleichmässig über MMP das System verteilen. Diese Querströmung induziert gemäss den weiter oben gemachten Überlegungen eine Drehimpulszufuhr, deren Stärke gleich dem Produkt aus Impulsstrom und zugehöriger Querfliessstrecke ist. Doch wie gross ist diese seitliche Versetzung des Impulsstromes? Um wieviel fliesst der Impuls im Zylinder drin seitwärts? Weil die Rotation um den Massenmittelpunkt weiterhin keinen Beitrag zum Impulsinhalt liefern soll, ist die gesuchte Strecke gerade gleich dem Abstand der Wirklinie vom MMP. Wir können uns also vorstellen, dass der Impuls zuerst bis zum MMP fliesst und von dort nach allen Seiten gleichmässig über den Zylinder verteilt wird. Der Umstand, dass der Zylinder während dieser Phase immer schneller rotiert, hat einen Einfluss auf unsere Überlegung. H eb el ar m ie lin irk W Der Impuls fliesst also von der Eintrittsstelle bis zum Massenmittel- das Drehmoment einer Kraft punkt des starren Körpers. Deshalb darf jeder Kraft ein Drehmoment zugeschrieben werden, das gleich dem Produkt aus dem Betrag der Kraft und dem Abstand des MMP von der Wirklinie ist. Der Massenmittelpunkt als Trägheitszentrum verkörpert damit den Ort, um den die auf einen Körper einwirkenden Kräfte eine Hebelwirkung entfalten. In der Statik ist man freier. Solange ein Körper festgehalten wird, kann der BeKraft zugspunkt für die Drehmomente frei gewählt werden. In der sogenannten Rotatormechanik, einer Mischung aus Tranlations- und Rotationsbe+ MMP trachtung, muss der Bezugspunkt auf der festgehaltenen Drehachse gewählt werden. Weil diese spezielle Drehbewegung im Unterricht häufig behandelt wird, hat sich die irrige Meinung durchgesetzt, dass das einer Kraft zugeordnete Drehmoment etwas mit der Drehachse zu tun habe. Gemäss der Regel von der Drehmomentenzuordnung beim starren Kör- der Bewegungszustand des per ist in unserem Beispiel die Kraft von einem Drehmoment der Stärke Zylinders am Schluss der Ein0.5 Nm begleitet. Folglich wird dem Zylinder in den fraglichen fünf Se- wirkung kunden 2.5 Nms Drehimpuls zugeführt. Dividiert man diesen Wert 15 m/s durch das Massenträgheitsmoment, erhält man eine Winkelgeschwindigkeit von 200 s-1. Dies ergibt bei ruhender Zylinderachse eine Umfangsgeschwindigkeit von 10 m/s ergeben. Weil sich die Zylinderachse 5 m/s mit 5 m/s bewegt, muss die Umfangsgeschwindigkeit mit der Translationsbewegung verrechnet werden. Die Geschwindigkeit eines Punktes ergibt sich folglich aus der vektoriellen Addition von Relativ- und Translationsgeschwindigkeit. Die Punkte mit der grössten Momentan-5 m/s geschwindigkeit liegen also alle auf der Mantellinie, auf der sich das Seite 38 Rotationsmechanik Seil vom Zylinder löst. Diese Linie bewegt sich mit einer Geschwindigkeit, die gleich der direkten Summe aus Achsen- und der Umlaufsgeschwindigkeit ist. Nach fünf Sekunden erreicht diese Matellinie deshalb einen Wert von 15 m/s. Die gegenüberliegenden Punkte wandert dann mit 5 m/s in die andere Richtung, also gegen das Seil. Die momentane Drehachse als rein kinematische Grösse Die momentane Drehachse, die Punktmenge, die zum jeweiligen Zeitpunkt keine Geschwindigkeit aufweist, liegt genau zwischen der Achse und der Mantellinie, die sich im Moment mit -5 m/s bewegt. Die Drehachse liegt damit dem Seil gegenüber, aber nur auf halbem Radius vom Zentrum entfernt. An diesem Beispiel kann man erkennen, dass die Drehachse als rein kinematisches Objekt keinen direkten Einfluss auf das Drehmoment nimmt. Beispiel 6: Ein rotierender Vollzylinder (Masse 10 kg, Massenträgheitsmoment 0.0125 kgm2, Radius 5 cm, Winkelgeschwindigkeit 50 s-1) wird liegend auf eine horizontale Ebene abgesetzt. Nach kurzer Zeit rollt die Walze ohne zu rutschen auf der Fläche ab. Wie schnell bewegt sich dann die Walzenachse? Lösung 6: Sobald die Mantelfläche der Walze die Unterlage berührt, wirkt diese mit einer Kraft ein, die in einen Normal- und einen Gleitreibungsanteil zerlegt werden kann. Die Normalkraft kompensiert die Gewichtskraft, so dass in vertikaler Richtung Gleichgewicht herrscht. Die Reibungskraft führt der Walze Impuls zu und entzieht gleichzeitig Drehimpuls. Unabhängig vom zeitlichen Verlauf des Reibungsvorganges sind Drehimpulsabfluss und Impulszufuhr starr miteinander verknüpft: der total zugeflossene Impuls multipliziert mit dem Walzenradius ergibt die Drehimpulsverminderung. Die Rollbedingung, die den Endzustand charakterisiert, liefert eine zweite Bedingung: bei einem rollenden Körper ist die Geschwindigkeit des MMP gleich der Winkelgeschwindigkeit multipliziert mit dem Radius. Mit Hilfe der Impuls-Drehimpulsverknüpfung und der Rollbedingung kann das Problem gelöst und der gesuchte Wert gefunden werden. − ∆L = r ⋅ ∆p → J ⋅ (ω 0 − ω e ) = r ⋅ m ⋅ ve ve = r ⋅ ω e → J ⋅ (ω 0 − ve r ) = r ⋅ m ⋅ ve ve = x FN y FR FG Schnittbild J ⋅ω0 = 0.833m / s J r + r⋅m Für beide Mengen darf je ein separates Flüssigkeitsbild gezeichnet werden. Dies erleichtert die Wahl der richtigen Vorzeichen von Geschwindigkeit und Winkelgeschwindigkeit. die Rollreibung ist keine Kraft Beobachtet man eine über eine horizontale Ebene rollende Walze während längerer Zeit, so stell man fest, dass sie immer langsamer wird. Viele Lehrbuchautoren führen nun eine Rollreibungskraft ein, um das allmähliche Abklingen der Rollbewegung zu erklären. Dass dies nur eine Scheinerklärung sein kann, wird augenfällig, sobald man das Schnittbild herstellt. Eine einzelne Kraft, die bremsend auf die Walze einwirkt, sorgt zwar dafür, dass die Symmetrieachse des Rollkörpers immer langsamer wird. Gleichzeitig führt das begleitenden Drehmoment dem System aber Drehimpuls zu; die Walze würde unter der Einwirkung einer „Rollreibungskraft“, die eigentlich Haftreibung heissen sollte, immer schneller rotieren. Beim wirklichen Rollreibungsvorgang fliessen sowohl Impuls als auch Drehimpuls ab. Dies kann am einfach- Rotationsmechanik Seite 39 sten durch eine kombinierte Wirkung von Haftreibungskraft und Rollreibungsmoment erklärt werden. x x FN FN nicht korrektes Schnittbild y FRR mögliches Schnittbild y MRR FHR FG Fig. 2. - 13: Die Skizze zeigt die am meisten genannte, aber falsche Erklärung der Rollreibung und als Alternative dazu das korrektes Schnittbild FG Die Kraft und das reine Drehmoment, die gemeinsam für das Phänomen Rollreibung als kombinierte Rollreibun verantwortlich sind, stehen in enger Beziehung zueinander. Wirkung Beide Grössen müssen so aufeinander abgestimmt sein, dass ein fortwährendes Rollen gewährleistet bleibt. Aus den beiden Bilanzen und der Rollreibungsbedingung folgt formal der richtige Zusammenhang zwischen Haftreibungskraft und zugehörigem Drehmoment: kinematischeVerknüpfungen : FHR ⋅ r − M RR = L˙ = J ⋅ ω˙ v˙MMP = r ⋅ ω˙ Rollreibungsmoment : M RR = −( m ⋅ r + J r ) ⋅ v˙MMP Bilanzen : − FHR = p˙ = m ⋅ v˙MMP Das Minuszeichen in der letzten Gleichung weist darauf hin, dass das Rolldrehmoment dem Drehmoment der Haftreibungskraft entgegenwirkt. Das Rollreibungsdrehmoment, das einen abfliessenden Drehimpulsstrom markiert, ist betragsmässig grösser als das begleitende Drehmoment der Haftreibungskraft. Nur so bleibt die Rollbedingung gewährleistet. ? Kontrollfragen 27.) 28.) 29.) 30.) 31.) Eine einzige Kraft wirke auf einen Körper mit bekannter Masse ein. Wie reagiert der Körper auf diese Einwirkung? Kraft gleich Masse mal Beschleunigung. Präzisieren Sie diese Aussage, bis sie auf alle möglichen Fälle zutrifft. Eine Einwirkung sei durch einen Kraftpfeil und eine Wirklinie markiert. Wie bestimmen Sie für diese Situation das begleitende Drehmoment, die zugehörige Drehimpulsstromsträrke? Die Stärke der Rollreibung wird oft mit Hilfe eines Rollreibungskoeffizienten µR beschrieben. Die zugehörige Haftreibungskraft ist dann gleich µR·FN. Berechnen Sie formal die Grösse des zusätzlich wirkenden Drehmomentes? Das Rollreibungsproblem lässt sich auch ohne zusätzliches Drehmoment physikalisch sauber lösen. Dazu muss die Unterlagskraft, die Gesamtwirkung der Unterlage auf den Körper, neu eingezeichnet werden. Wie gross ist diese Unterlagskraft und wie verläuft ihre Wirklinie? Seite 40 Rotationsmechanik 2.8 Drehimpulsaustausch über zwei Achsen die eigenen Wege des Drehimpulses Drehimpuls wird oft über verschlungene Pfade transportiert. Insbesondere bei der Bewegung von isolierten Körpern kann der eigentliche Transportweg nicht mehr angegeben werden. In diesen Fällen beschränkt man sich darauf, den Drehimpulsaustausch zwischen System und Umgebung quantitativ zu beschreiben. Wie wir bereits gesehen haben, hängt dieser Austausch von den im Körper drin seitwärts fliessenden Impulsströmen ab. Aber auch wenn sich die Systeme als ganzes nicht bewegen, wenn also die Massenverteilung im Raum stationär bleibt, kann der Drehimpuls eigene Wege gehen. Dann schützt nur noch ein klar strukturieriertes Vorgehen vor Fehlüberlegungen. Drehimpulsströme bei einem Getriebe Wenden wir uns zuerst einem kleinen Beispiel zu. Zwei im Eingriff stehende Zahnräder bilden ein einfaches Getriebe. Im Stationärbetrieb herrscht Gleichgewicht; die Summe über alle Kräfte und alle Drehmomente ist gleich Null. Der Einfachheit halber nehmen wir an, dass die Kräfte bei den Zähnen normal zu den Radien wirken. Aus dem Schnittbild ist zu entnehmen, dass die Drehmomente, die von den Achsen her an den beiden Räder angreifen, den gleichen Drehsinn aufweisen. Nimmt man das beigefügte Koordinatensystem als Richtungsgeber, muss beiden Einwirkungen ein negatives Vorzeichen zugeordnet werden, d.h. beide Drehmoment wirken gegen die Orientierung des Koordinatensystems. Dies bedeutet, dass über beide Achsen Drehimpuls abgeführt wird. Doch wo kommt die Bewegungsmenge her? Fig. 2. - 14: Das Schnittbild zeigt die zwei Zahnräder eines Getriebes. Die beiden Achsen stehen vertikal. Deshalb erscheinen die Gewichtskräfte nicht in der Skizze. x FN M2 y Drehimpuls fliesst auch zwischen den Achsen FL1 M1 FN FL2 Zur weiteren Analyse des Drehimpulsstromes fassen wir beide Zahnräder zu einem einzigen System zusammen. Damit verschwinden die Kräfte bei den Zähnen. Übrig bleiben nur noch die beiden Drehmomente und die Lagerkräfte. Diese wirken nun auf ein gemeinsames System ein. Das von den Lagerkräften gebildete Paar erzeugt ein Drehmoment, das entgegengesetzt gleich gross ist wie die beiden andern Einwirkungen. Das Drehmoment der beiden Lagerkräfte markiert den gesuchten Drehimpulszustrom. Der Drehimpuls fliesst somit nichtlokalisierbar über die beiden Lager zu, teilt sich dann in zwei Teilströme auf und fliesst mit unterschiedlicher Stärke über die beiden Achsen weg. Das Getriebe als Ganzes muss folglich mit einem Drehmoment festgehalten werden, das entgegengesetzt gleich gross ist, wie die beiden über die Achse einwirkenden Momente. Rotationsmechanik Seite 41 Beispiel 7: Eine praktisch reibungsfrei gelagerte, zylinderförmige Walze (Massenträgheitsmoment 0.2 kgm2, Durchmesser 0.2 m) rotiere mit einer Winkelgeschwindigkeit von 40 s-1 im Uhrzeigersinn um eine vertikale Achse. Nun wird längs der Mantellinie eine zweite (Massenträgheitsmoment 0.4 kgm2, Durchmesser 0.4 m) angepresst, die anfänglich nicht rotiert. Nach einem kurzen Reibungsvorgang rollen beide Zylinder aufeinander ab. Wie schnell dreht sich dann die Walze mit dem kleineren Massenträgheitsmoment? Lösung 7: x Bevor hier irgend etwas gerechnet wird, muss ein FH Schnittbild erstellt werden. Im Grundriss ist klar erFL2 kennbar, dass die auf die beiden Walzen einwirkenFN den Drehmomente gleich gerichtet sind. Je nach y FN Wahl der positiven Drehrichtung geben beide Körper Drehimpuls ab oder nehmen solchen auf. Es fliesst FL1 F also kein Drehimpuls von der einen Walze in die H andere über! Wir wählen das Koordinatensystem wie gewohnt. Die positiven Drehrichtung entspricht deshalb dem Uhrzeigersinn und die rotierende Walze enthält anfänglich einen Drehimpulsüberschuss. Aus der Skizze ist zu entnehmen, dass die Gleitreibungskraft und die zugehörige Komponente der Lagerkraft je ein Drehmoment erzeugen. Das Verhältnis der beiden Drehmomente ist damit gleich gross wie der Quotient aus den zugehörigen Radien. Da diese Relation unabhängig vom zeitlichen Verhalten des Anpressdruckes ist, geben beide Walzen ihren Drehimpuls entsprechend diesem Verhältnis ab. Sobald die Walzen ihre Bewegung angeglichen haben gilt die Abrollbedingung. ω1a ω1e Drehimpulsrelation : ∆L1 J1 ⋅ (ω1a − ω1e ) r1 = = ∆L2 J2 ⋅ ( −ω 2 e ) r2 Abrollbedingung : r1 ⋅ ω1e = − r2 ⋅ ω 2 e ω2e eingesetzt : J1 ω1e = ω1a ⋅ J1 J1 + J2 ⋅ (r1 r2 )2 J2 Werden die vorgegebenen Daten in die Schulssformel eingesetz, ergibt sich für die Winkelgeschwindigkeit der anfänglich bewegten Walze ein Wert von 17.8 s-1. Die Vorzeichen bilden eine nicht zu unterschätzende Fehlerquelle. Deshalb sollte bei komplizierteren Aufgaben unbedingt ein Flüssigkeitsbild angefertigt werden, aus dem die gegebenen Grössen zu entnehmen sind. Zudem können mit Hifle des Flüssigkeitsbildes die zu erwartenden Werte abgschätzt werden. ? Kontrollfragen 32.) Bei einem Riementrieb weise die eine Scheibe einen doppelt so grossen Radius wie die andere auf. Nun werden die beiden Riemenscheiben statisch gegeneinander verdreht, bis der eine Riemen stark und der ander überhaupt nicht mehr gespannt ist.Wie fliesst dann der Drehimpuls durch den Riementrieb hindurch? 33.) Ein Motorrad beschleunigt auf einer geraden Stecke in kurzer Zeit auf eine recht hohe Geschwindigkeit. Schneiden Sie das Hinterrad frei und erklären Sie, wie der Drehimpuls ins Rad hineinfliesst. Das Motorrad besitzt einen Kettenantrieb. 34.) Überlegen Sie sich, wie der Drehimpuls bei einer Ständerbohrmaschine fliesst, wenn mit dieser gerade ein Werkstück bearbeitet wird. Seite 42 Rotationsmechanik 2.9 Die Bewegung des starren Körpers in der Ebene das professionelle Lösungsverfahren Die Problemstellungen aus dem Gebiet der Starrkörpermechanik erfordern ein hohes Mass an Professionalität. Deshalb sollen hier alle Einzelschritte, die zur Lösung einer Aufgabe notwendig sind, nochmals angegeben und zudammengefasst werden. Die meisten Aufgabe der Mechanik lassen sich mit dieser Strategie lösen. Analysieren Sie die einzelnen Schritte aufmerksam und prägen Sie sich die zugehörigen Ideen ein. Obwohl wir uns hier nur mit ebenen Bewegungen beschäftigt haben, ist das Rezept auch auf räumliche Problemstellungen übertragbar. zuerst das Schnittbild zeichnen In einem ersten Schritt muss der Körper freigeschnitten werden. Dabei wird jede belastete Fläche von der Umwelt isoliert. Die gesamte Einwirkung auf diese Fläche ist durch einen Kraftpfeil und eventuell durch ein zusätzliches, reines Drehmoment zu ersetzen. Der Kraftpfeil darf nachträglich noch in Komponenten zerlegt werden. Die Gewichtskraft, der volumenmässige Impulsaustausch mit dem Gravitationsfeld, ist durch einen zusätzlichen Pfeil zu markieren. dann die Drehmomente bestimmen Beim zweiten Schritt bestimmen wir alle Drehmomente, die von den Einzelkräften herrühren. Solange ein ebenes Probleme vorliegt, genügt es, ein Produkt zu bilden, bei dem der Abstand des Massenmittelpunktes von der Wirklinie mit dem Betrag der Kraft multipliziert wird. Das Vorzeichen, das jedem dieser Drehmomente zuzuweisen ist, richtet sich in der Regel nach der Orientierung des Koordinatensystems. dann die Bilanzgleichungen In einem dritten Schritt formuliere man die Bilanzgleichungen. Diese Gleichungen liefern in der Ebene drei unabhängige Beziehungen. Die zugehörigen Inhaltsänderungsraten dürfen mit Hilfe der kapazitiven Gesetze durch die entsprechenden Beschleunigungen ersetzt werden (ein Kapazitivgesetz verknüpft den Inhalt mit dem zugehörigen Potential). Als Ergebnis erhält man die sogenannten Bewegungsgleichungen. Diese verlangen, dass die Summe über alle Kräfte gleich der Masse mal die Beschleunigung des Massenmittelpunktes ist, bzw. dass die Summe über alle Drehmomente dem Produkt aus Massenträgheitsmoment und Winkelbeschleunigung entspricht. die konstitutiven Beziehungen Das weitere Vorgehen hängt von der Problemstellung ab. Entweder sind noch kinematischen Verknüpfungen wie etwa die Rollbedingung einzusetzen oder einfache Materialbeziehungen wie die Gleitreibung sind zu verwenden. Bei Problemen, die aus der praktischen Erfahrung der Ingenieure stammen, erweisen sich die Systemeigenschaften oft einiges komplexer. Da tauchen Federn mit nichtlinearen Charakteristiken auf oder die Lagerreibung hängt gemäss einer empirisch gemessenen Kurve von der Drehzahl und der Zeit ab. Modellierungswerkzeuge Je nach Fragestellung müssen die beiden Beschleunigungen noch einoder zweimal zu den entsprechenden Geschwindigkeiten oder Strecken aufintegriert werden. Zur Analyse des kinematischen Teils einer Aufgabe sollte unbedingt ein Geschwindigkeits-Zeit-Diagramm beigezogen Rotationsmechanik Seite 43 werden. Bei einem Bewegungsvorgang mit zeitabhängigen Einwirkungen und nichtlinearem Systemverhalten musste früher ein vereinfachtes Ersatzmodell gebaut werden. Heute lassen sich solche Probleme direkt mit den marktgängigen Modellierungswerkzeugen lösen. Bedingung ist, dass der Anwender die Grundgesetze der Mechanik beherrscht. Beispiel 8: Eine Metallkugel (Masse 30 kg, Radius 20 cm) wird auf eine schiefe Ebene (Neigungswinkel 45˚) abgesetzt. Für den Gleitreibungkoeffizienten darf ein mittlerer Wert von 0.2 angenommen werden. Die maximal mögliche Haftreibung entspreche der Gleitreibungskraft. Wie bewegt sich die Kugel nach einer halben Sekunde. Lösung 8: Die schiefe Ebene ist so steil, dass die Kugel nie richtig rollt. Die Tangentialkomponente der Unterlagskraft nimmt von Anfang an den Gleitreibungswert an. Aus dem Schnittbild geht hervor, dass einzig diese Gleitreibungskraft von einem Drehmoment begleitet ist. Das Massenträgheitsmoment der Kugel kann der Tabelle 1 entnommen werden. FR FN α FG ⋅ sin α − FR = p˙ x = m ⋅ v˙ y − Impuls : Drehimpuls : FN − FG ⋅ cos α = 0 FR ⋅ r = L˙ = J ⋅ ω˙ Gleitreibung : FR = µ ⋅ FN Trägheitsmoment : J = x y FG x − Impuls : 2 m ⋅ r2 5 Bei diesem Vorgang sind Translations- und Rotationsbewegung völlig entkoppelt. Deshalb können beide Beschleunigungen unabhängig voneinander bestimmt werden. Mit den gegebenen Daten errechnet man für die gesuchte Mittelpunktsgeschwindigkeit 2.78 m/s und für die Winkelgeschwindigkeit 8.67 s-1. Zur Kontrolle multipliziere man diese Winkelgeschwindigkeit mit dem Kugelradius. Dies ergibt die Geschwindigkeit, mit der die Kugel sich bewegen müsste, damit sie schlupffrei abrollen kann. Dieser Wert liegt wie erwartet unter dem berechneten. Beispiel 9: Wie gross muss der Haftreibungskoeffizient in der letzten Aufgabe gewählt werden, damit die Kugel gerade noch rollt? Lösung 9: Den Lösungsweg können wir bis auf eine zusätzliche Forderung, die Rollbedingung (v = ω·r), von oben übernehmen. Die Rollbedingung ist eine geometrische Relation die auch auf die Beschleunigungen übertragen werden darf. Dazu leitet man sie nach der Zeit ab. Algebraisch ausgewertet ergibt das Gleichungssystem für den Grenzreibungskoeffizienten einen Wert von zwei Siebteln mal den Tangens des Neigungswinkels, der in unserem Beispiel aber gerade eins beträgt. ? Kontrollfragen 35.) Die Bewegung eines starren Körpers soll diskutiert werden. Wie gehen Sie vor? Welche drei Schritte sind zuerst auszuführen? 36.) Eine Kugel rollt eine schiefe Ebene hinunter. Formulieren Sie die Gleichungen, welche die Bewegung des Körpers vollständig beschreiben. 37.) Die schiefe Ebene sei so steil, dass die Kugel nicht mehr schön abrollt. Welche Gleichungen beschreiben nun das Verhalten des Körpes? Seite 44 Rotationsmechanik Zusammenfassung von Kapitel 2 Jeder rotierende Körper speichert Drehimpuls. Solange er sich in der Ebene bewegt, dürfen wir den Drehimpus als skalare Menge, die speicher- und transportierbar ist, behandeln. Der Inhalt an Drehimpuls ist immer gleich dem Produkt aus Massenträgheitsmoment und Winkelgeschwindigkeit. Mit der Wahl des positiven Drehsinns legen wir das Vorzeichen der Winkelgeschwindigkeit und des gespeicherten Drehimpulses fest. Über die Drehimpulsbilanz kann die Richtung der Drehimpulsströme ermittelt werden. Ein Körper tauscht immer dann mit der Umgebung Drehimpuls aus, wenn ein Impulsstrom in seinem Innern seitwärts zur Bezugsrichtung fliesst. Die Austauschrate ist gleich dem Produkt aus der Impulsstromstärke und und der Strecke, um die der zugehörige Impuls im Mittel seitwärts geflossen ist. Dabei spielt es keine Rolle, ob der Impuls hindurchfliesst oder gespeichert wird. Im ersten Fall führt das Schnittprinzip zu einem Kräftepaar, im zweiten zu einer Einzelkraft. Drehimpulsstromstärken bezüglich eines Systems heissen Drehmomente. Im Gegensatz zum Drehimpulsstrom hängt das Drehmoment nicht vom Koordinatensystem und der Wahl des positiven Drehsinns ab. Aus dem oben dargelegten Zusammenhang zwischen dem Drehimpuls- und dem Impulsaustausch kann eine Beziehung zwischen Drehmomenten und Kräften abgeleitet werden: jede Kraft, die auf einen starren Körper einwirkt, ist von einem Drehmoment begleitet, dessen Stärke gleich der Grösse der Kraft mal den Abstand der zugehörigen Wirklinie vom MMP ist. Der Drehimpulstransport, der bei einem stationären Vorgang auftritt, ist lokalisierbar. Dabei sind zwei Fälle zu unterscheiden. Ein Drehimpulsstrom, der parallel zu seiner eigenen Wirkebene fliesst, wird von einem einzigen Impulsstromkreis berandet. Fliesst er normal zu dieser Ebene, hüllen ihn die seitwärtsfliessenden Impulsströmen vollständig ein. Infolge des Gesetzes von den zugeordneten Schubspannungen lösen die parallel zum Drehimpuls aber seitwärts zur eigenen Bezugsrichtung fliessenden Impulsströme einen weiteren Transport aus, der von der dritten Sorte gebildet wird. Diese Schubfluss genannte Erscheinung hüllt den Drehimpulstransport wirbelförmig ein. Schubspannungen oder querfliessende Impulsströme beanspruchen das durchflossene Material auf Scherung. Lässt man Drehimpuls parallel zur Wirkeben durch einen Stab fliessen, belastet dieser das System auf Biegung. Fliesst der Drehimpuls normal zur Wirkebene, wird das durchflossene Objekt verdreht. Bei einem Getriebe kann auch über das Gehäuse Drehimpuls ausgetauscht werden. Der starre Körper kann bei Bewegung in der Ebene drei skalare Mengen, die beiden zugehörigen Impulskomponenten und eine der drei Drehimpulssorten, speichern. Weil die beiden Impulssorten einen Vektor bilden, gelten zwei Grundgesetze: die Summe über alle Kräfte legt die Beschleunigung des MMP fest und die Summe über alle Drehmomente bestimmt die Winkelbeschleunigung. Üblicherweise löst man eine Bewegungsaufgabe mit Hilfe eines vollständigen Schnittbildes. Sobald alle Kräfte eingezeichnet, die entsprechenden Drehmoment zugeordnet worden und ein Koordinatensystem eingeführt worden ist, lassen sich die drei Bilanzgesetze formuliern. Weitere Beziehungen wie Rollbedingung, Gleitreibungs- oder Gravitationsgesetz können je nach Aufgabenstellung dann noch beigezogen werden. Kommerziell erhältlichen Modellbildungs- und Simulationswerkzeuge ermöglichen es uns, jede bliebige Bewegungsaufgabe zu lösen. Bedingung ist nur, dass der Anwender die Mechanik versteht und der Blick auf das Wesentliche nicht von einem immensen Formelfriedhof verstellt wird. Rotationsmechanik Seite 45 !? Lernzielkontrolle Den Drehimpuls als die mengenartige Primärgrösse anerkennen. 1.) 2.) 3.) Formulieren Sie mit Ihren eigenen Worten eine Drehimpulsbilanz. Ein Flugzeug setzt beim Landen auf einer Betonpiste auf. Sobald die Räder die Unterlage berühren, werden sie unsanft in Rotation versetzt. Was passiert dabei mit dem Drehimpuls? Ein Turmspringer macht einen dreifachen Salto Mortale, bervor er ins Wasser fällt. Woher holt er den dazu notwendigen Drehimpuls? Das Flüssigkeitsbild eines Drehimpulsspeichers skizzieren können. 4.) 5.) 6.) Zwei Schwungräder mit gleichem Massenträgheitsmoment sind über eine viskose Kupplung (Kupplung mit Öl als Zwischenschicht) miteinander verbunden. Die Kupplung überträgt umso mehr Drehimpuls, je grösser die Differenz der beiden Winkelgeschwindigkeiten ist. Anfänglich rotieren beide Räder gegeneinander. Skizzieren Sie den Bewegungsablauf im Flüssigkeitsbild. Die Kupplung sei durch eine Torsionsfeder ersetzt worden. Wie ist die Feder ins Flüssigkeitsbild einzubauen? Wie sieht nun die Bewegung der Flüssigkeit aus? Das Massenträgheitsmoment des einen Schwungrades sei doppelt so gross wie das des anderen. Wieder werden beide Räder so in Rotation versetzt, dass sie zum Zeitpunkt Null entgegengesetzt gleiche Winkelgeschwindigkeiten aufweisen. Beschreiben Sie, was in der Folge mit dem Drehimpuls passiert, wenn einmal eine viskose Kupplung und ein zweites Mal eine Drehfeder die Verbindung zwischen den Schwungräder herstellt. Wissen, dass das Drehmoment für eine Drehimpulsstromstärke bezüglich des Systems steht. 7.) 8.) Kann ein Drehmoment übertragen werden? Auf ein Schwungrad wirkt von der einen Seite ein uhrzeigersinnig orientiertes Drehmoment ein. Was passiert mit dem Drehimpuls, wenn die positive Drehrichtung gegen den Lauf der Uhr gerichtet ist? Das Drehmoment eines Kräftepaares berechenen können. 9.) Wann bilden zwei Kräfte ein Paar? 10.) Ist das zugehörige Drehmoment gleich gross wie das Produkt aus der einen Kraft und dem Abstand der beiden Wirklinien oder ist dieses Ergebnis noch zu verdoppeln? Einer Kraft ein Drehmoment zuordnen können. 11.) Auf einen starren Körper wirkt eine Kraft mit praktisch punktförmiger Angriffsfläche ein. Wie berechnet sich das begleitende Drehmoment? 12.) Wie bestimmt man das Drehmoment der Gewichtskraft im homogenen Gravitationsfeld? Die Grundgesetze der Mechanik formulieren können. 13.) Wir betrachten nochmals ein landendes Flugzeug. Schneiden Sie ein Rad frei und stellen Sie die Grundgesetzte der Mechanik für dieses Rad auf. 14.) Ein Motorrad startet auf einem geraden Strassenstück. Schneiden Sie das Hinterrad frei und stellen Sie die zugehörigen Grundgesetzte auf. Seite 46 Rotationsmechanik A Übungsaufgaben Ein Schwungrad (Massenträgheitsmoment 120 kg·m2) soll in dreissig Sekunden aus dem Stillstand auf eine Drehzahl von 1800 Umdrehungen pro Minute hochgefahren werden. Wie stark muss das einwikende Drehmoment sein, wenn für die Lagerreibung ein mittleres Drehmoment von 15 Nm angenommen werden darf? 2.) Ein praktisch reibungsfrei gelagertes Schwungrad (Massenträgheitsmoment 80 kg·m2) dreht sich mit einer Winkelgeschwindigkeit von 15 rad/s in negativer Drehrichtung. Zur Zeit t = 0 beginnt ein positiv gerichtetes Drehmoment einzuwirken, das in zehn Sekunden linear von Null auf 180 Nm anwächst und dann während weiteren zehn Sekunden konstant bleibt. Wie gross ist die Winkelgeschwindigkeit nach 6 s, nach 10 s und nach 20 s? 3.) Ein Karussell (Massenträgheitsmoment 25’000 kg·m2) soll in zehn Sekunden mit konstanter Rate auf eine Drehzahl von sechs Umdrehungen pro Minute hochgefahren werden. Die gesamte Reibung kann durch ein Drehmoment dargestellt werden, das aus einem konstanten Term der Stärke 2000 Nm und einem mit dem Quadrat der Winkelgeschwindigkeit zunehmenden Term zusammengesetzt ist. Bei der maximalen Drehzahl erreicht das Reibdrehmoment einen Wert von 4500 Nm. Wie starke muss das antreibende Drehmoment fünf Sekunden nach Beginn des Beschleunigungsvorganges sein, damit der Vorgang wie gewünscht abläuft? 4.) Zwei Rotoren sind auf einer gemeinsamen Achse gelagert. Von links her wirkt auf das erste Rad während fünf Sekunden ein konstantes Drehmoment von 120 Nm ein. Der erste Rotor hat ein Massenträgheitsmoment von 60 kg·m2 und der zweite 90 kg·m2. Zwischen den beiden drehbar gelagerten Körpern ist eine Rutschkupplung eingefügt, welche maximal 50 Nm zu “übertragen” vermag. Wie gross sind die Winkelgeschwindigkeiten der beide Rotoren nach fünf Sekunden? Wie lange dauert es dann noch, bis sie mit gleicher Drehzahl rotieren? Wie schnell drehen sie sich schlussendlich? 5.) Zwei Rotoren sind über eine Rutschkupplung, die einen maximalen Drehimpulsstrom von 2 Nm durchlässt, verbunden. Von links her wirkt auf das grössere Schwungrad (Trägheitsmoment 50 kg·m2) ein Drehmoment ein, das in zwei Sekunden von Null auf 12 Nm anwächst und dann schlagartig wieder auf Null geht. Bestimmen Sie die Winkelgeschwindigkeiten der beiden Körper zwei Sekunden nach dem Start. Wie lange dauert es, bis beide Räder wieder die gleiche Drehzahl haben? Wie gross ist dann die Winkelgeschwindigkeit? 25 kgm2 50 kgm 2 90 kgm2 60 kgm 2 1.) Rotationsmechanik 6.) 0 10 m m Auf eine anfänglich ruhende Fadenspule (Masse 5 kg, Massenträgheitsmoment 0.02 kg·m2), die aufrecht auf einem horizontalen Tisch steht und durch ein Luftkissen in der Schwebe gehalten wird, wirkt eine konstante Kraft von 5 N ein. Der Wickelradius der Schnur, über den die Kraft angreift, beträgt 5 cm. Bestimmen Sie die Geschwindigkeit des Spulenzentrums nach 4 Sekunden Einwirkzeit. Wie schnell bewegen sich dann die Punkte mit der grössten Geschwindigkeit? Wo liegen die Punkte, die im Moment stillstehen? Seite 47 50 mm 7.) Eine Kugel (Masse 5 kg, Massenträgheitsmoment 0.005 kg·m2, Radius 5 cm) rollt eine schiefe Ebene (Neigungswinkel 30˚) hinunter. Wie gross sind die Beschleunigung des MMP und die Winkelgeschwindigkeit? Mit welcher Haftreibungskraft wirkt die Unterlage auf die Kugel ein? 8.) Eine Fadenspule (r1 = 15 cm, r2 = 9 cm, Masse 9 kg, Massenträgheitsmoment 0.05 kg·m2) wird mit einem Faden (Fadenkraft 80 N) auf einer schiefen Ebene (Neigungswinkel 30˚) hinaufgezogen. Dabei schliessen Ebene und Faden einen Winkel von 10˚ ein. Der Haftreibungskoeffizient ist gross genug, um ein Rutschen zu verhindern. Wie gross ist die Beschleunigung der Spulenachse? Wie gross ist die von der Unterlage her einwirkende Haftreibungskraft? 9.) 50˚ Ein Fadenspule (Masse 15 kg, Aussenradius 12 cm, 30˚ Wickelradius 10 cm, Massenträgheitsmoment 0.09 kg·m2) liegt auf einer horizontalen Ebene. Das freie Ende des Fadens zeige vertikal nach oben. Wie stark wird der Mittelpunkt der Walze beschleunigt, wenn an der Schnur mit 70 % der Gewichtskraft gezogen wird und der Gleitreibungskoeffizient für die Grenzschicht FadenspuleUnterlage 0.3 beträgt? 10.) Eine Kugel (Radius 25 cm, Masse 500 kg, Massenträgheitsmoment 12.5 kg·m2) wird auf eine steil abfallende Rampe (Steigung 150%) abgesetzt. Der Gleitreibungskoeffizient betrage 0.2. Wie gross sind die Geschwindigkeit des Massenmittelpunktes und die Winkelgeschwindigkeit nach 0.5 s? Mit welcher Rate ändert die Kugel ihren Drehimpulses? 11.) Eine Walze (Masse 8 kg, Radius 3 cm, Massenträgheitsmoment 0.0036 kg·m2) liegt auf einem horizontal ausgerichteten Brett. Der Haftreibungskoeffizient für die Grenzschicht Walze-Brett betrage 0.3. Mit welcher maximalen Beschleunigung darf das Brett horizontal weggezogen werden, ohne dass der Zylinder zu rutschen anfängt? Wie gross ist dann die Winkelbeschleunigung der Walze? Seite 48 Rotationsmechanik 12.) Das Brett in Aufgabe 11 werde mit einer Beschleunigung von 10 m/s2 horizontal weggezogen. Wie gross ist nun die Beschleunigung der Walzenachse? 13.) Auf zwei waagrechten, parallel ausgerichteten Trägern liegt ein Metallzylinder (Masse 10 kg, Radius 5 cm, Massenträgheitsmoment 0.0125 kg·m2), dessen Achse normal zu den beiden Führungsschienen steht. Um den Zylinder ist zudem ein biegsames Seil geschlungen, an dessem Ende eine konstante, nach unten gerichtete Kraft von 40 N vertikal einwirkt. Wie gross ist die Beschleunigung der Zylinderachse, wenn der Körper ohne zu gleiten abrollt? Wie gross ist die Haftreibungskraft? 14.) An einer homogenen Walze (Masse 4 kg, Radius 3 cm, Massenträgheitsmoment 0.0018 kg·m2), die auf zwei horizontalen Schienen aufliegt, hängt ein zweiter Körper (Masse 2 kg). Bestimmen Sie die Mittelpunktsbeschleunigung der Walze kurz nach dem Start. Wie gross ist die Kraft, mit der die Unterlage dann auf die Walze einwirkt? 4 kg 2 kg 15.) Ein Fadenspule (Masse 3 kg, Massenträgheitsmoment 0.003 kg·m2) rollt an zwei Schnüren ab, die über den grösseren Umfang (Radius 5 cm) gewickelt sind. Ueber dem Mittelteil der Spule (Radius 2 cm) ist gegenläufig eine weitere Schnur gewickelt, an dem ein zweiter Körper (Masse 1 kg) hängt. Nun wird das Ganze aus der Ruhe heraus gestartet. Mit welcher Winkelgeschwindigkeit dreht sich die Spule, wenn sich der Körper um 5 cm abgesenkt hat? Wie gross ist dann die Seilkraft auf den unteren Körper? 16.) Ein rotierender Zylinder (Masse 50 kg, Radius 15 cm, Massenträgheitsmoment 0.5625 kg·m2) Drehzahl 450 Umdrehungen pro Minute) wird sanft auf eine horizontale Unterlage abgesetzt. Der Zylinder wird sich infolge der Reibung wegbewegen. Welche Geschwindigkeit kann die Zylinderachse unter diesen Umständen maximal erreichen? 1 kg 17.) Beim Kegeln landet die Kugel (Masse 4 kg, Radius 10 cm, Massenträgheitsmoment 0.01 kg·m2) ohne zu rotieren mit einer Geschwindigkeit von 5 m/s sanft auf der Bahn. Nach welcher Zeit rollt die Kugel und wie schnell bewegt sich dann deren MMP? Für den Gleitreibungskoeffizienten nehmen wir 0.25 an. 18.) Eine mit 10 Umdrehungen pro Sekunde rotierende Kugel (Masse 5 kg, Radius 10 cm, Massenträgheitsmoment 0.016 kg·m2) wird sanft auf eine schiefe Ebene (Neigung 20˚) abgesetzt. Die Kugel rotiere genau in Richtung des Gefälles. Für die Gleitreibung kann ein Koeffizient von 0.5 angenommen werden. Mit welcher Beschleunigung beginnt sich die Kugel längs der Ebene hinunterzubewegen? Wie gross ist dann die Winkelbeschleunigung? Wie lange dauert es, bis die Kugel rollt? Rotationsmechanik Seite 49 19.) Ein Zylinder (Masse 12 kg, Durchmesser 10 cm, Massenträgheitsmoment 0.015 kg·m2) rollt auf einer horizontalen Ebene ab. Sein Impulsinhalt nimmt in fünf Sekunden von 36 Ns auf 35 Ns ab. Wie gross ist die Haftreibungskraft? Wie gross ist seine Winkelbeschleunigung? Um welchen Betrag nimmt sein Eigendrehimpuls ab? Wieso kann das Phänomen Rollreibung nicht auf eine “Rollreibungskraft” reduziert werden? 20.) Ein dünner Holzring (Durchmesser ein Meter, Masse 200 g, Massenträgheitsmoment 0.05 kg·m2) wird mit einer Geschwindigkeit von 3 m/s und einer gegenläufigen Drehzahl von 80 Umdrehungen pro Minute aufrecht und knapp über dem Boden fortgeworfen. Nach kurzer Zeit rollt er entweder in Bewegungsrichtung oder in Drehrichtung davon. Wie gross sind dann Winkel- und Mittelpunktsgeschwindigkeit? 3 m/s 80 U/min 21.) Zwei Rotoren sind auf je einer vertikalen Achse frei drehbar gelagert. Der erste (Radius 25 cm, Masse 800 kg, Massenträgheitsmoment 25 kg·m2) drehe mit 15 Umdrehungen pro Sekunde und der zweite (Radius 15 cm, Masse 300 kg, Massenträgheitsmoment 3.375 kg·m2) sei in Ruhe. Nun werden die beiden Zylinder längs einer Mantellinie mit 150 N aneinandergedrückt. Der Gleitreibungskoeffizient für die Grenzschicht betrage 0.4. Berechnen Sie die Kräfte, die während der Gleitphase vom Lager her auf die Rotoren einwirken. Wie gross sind die Winkelgeschwindigkeiten der beiden Rotoren am Schluss der Gleitphase? Wieviel Drehimpuls ist abgeflossen? Wie konnte er abfliessen? 22.) Ein Satellit, der frei um die Erde fällt, bestehe aus einem dünnen Stab (Länge zwei Meter, Masse 10 kg) und einer Scheibe (Durchmesser ein Meter, Masse 25 kg). Scheibe und Stab sind gegeneinander frei drehbar gelagert und können mit Hilfe eines Motors in gegenseitige Rotation versetzt und über eine Bremsvorrichtung wieder gestoppt werden. Der Motor “erzeugt” ein konstantes Drehmoment von 0.2 N·m und die Bremse wirkt mit 0.4 N·m. Der anfänglich nicht rotierende Stab muss nun um 90˚ gedreht werden. Berechnen Sie die kürzest mögliche Drehzeit. Um wieviel hat sich dann die Scheibe gedreht? Welche maximale Leistung gibt der Motor bei diesem Vorgang ab? 300 200 23.) Auf die nebenstehend skizzierte, ruhende Fadenspule (Masse 4 kg, Massenträgheitsmoment 0.1 kg·m2, Abrollradius 30 cm, Wickelradius 20 cm) wirkt eine Kraft ein, die in vier Sekunden linear von Null auf 20 N anwächst. Die maximal mögliche Haftreibung beträgt 10 N. Sobald die Spule rutscht, nimmt die Gleitreibung auch den Wert von 10 N an. Wann beginnt die Spule zu gleiten? Wie schnell bewegt sich die Körperachse nach diesen vier Sekunden? Seite 50 24.) Um einen Zylinder (Masse 8 kg, Radius 5 cm, Massenträgheitsmoment 0.01 kg·m2) sei so ein Seil geschlungen, dass es nicht rutschen kann. Das andere Ende des Seils ist an einem Klotz (Masse 5 kg) befestigt, der auf einer schiefen Ebene (Neigungswinkel 45˚) zu gleiten (Gleitreibungskoeffizient 0.3) vermag. Die Seilumlenkführung sei reibungsfrei. Wie gross muss die Kraft F sein, damit die Symmetrieachse des Zylinders immer auf gleicher Höhe bleibt? Wie gross ist dann die Seilkraft auf den Zylinder? Rotationsmechanik 5 kg 25.) Um einen Zylinder (Masse 8 kg, Radius 5 cm) sei so ein Seil geschlungen, dass es nicht rutschen kann. Das andere Ende des Seils ist an einem Klotz (Masse 6 kg) befestigt, der auf einer horizontalen Ebene zu gleiten (Gleitreibungskoeffizient 0.3) vermag. Die Seilumlenkführung weist praktisch keine Reibung auf. Mit welcher Beschleunigung wird der Körper weggezogen? Wie gross ist die Winkel- und Mittelpunktsbeschleunigung des Zylinders? 26. 8 kg F 6 kg Ueber eine starr fixierte, also nicht drehbare Umlenkrolle, kann ein Seil reibungsfrei gleiten. An einem Ende des Seiles hängt ein Klotz (Masse 7 kg). Das andere Ende ist um einen homogenen Zylinder (Masse 7 kg, Radius 5 cm, Massenträgheitsmoment 0.00875 kg·m2) geschlungen und so befestigt, dass das Seil nicht rutschen kann. Wie gross ist die Beschleunigung des Klotzes? 8 kg 7 kg 7 kg 27.) Eine Vollkugel (Masse 30 kg, Radius 20 cm, Massenträgheitsmoment 0.48 kg·m2) rollt aus der Ruhe heraus eine schiefe Ebene hinunter. Wie gross ist die Beschleunigung des Berührpunktes eine halbe Sekunde nach dem Start? 28.) Wie stark muss an der nebenstehend skizzierten Fadenspule (Masse 5 kg, Aussenradius 10 cm, Wickelradius 8 cm, Massenträgheitsmoment 0.02 kg·m2) unter einem Winkel von 45˚ gezogen werden, damit diese zu rutschen anfängt? Für den Haftreibungskoeffizient der Grenzschicht Spule-Boden kann der Wert 0.5 gesetzt werden? Wie gross ist dann die Beschleunigung des Massenmittelpunktes? Welche Beschleunigung erfährt dann das gerade Seilstück? 45˚ Rotationsmechanik Seite 51 29.) Ein Holzwürfel (Kantenlänge 10 cm, Masse 800 g) wird auf eine schiefe Ebene (Neigungswinkel 50˚) abgesetzt. Falls der Körper infolge zu grosser Reibung haften bleibt, kippt er über die untere Kante. Ist die Haftreibung dagegen sehr klein, beginnt er wegzurutschen ohne zu kippen. Wie gross muss der Gleitreibungskoeffizient sein, damit der Würfel gerade noch rutscht ohne sich über die untere Kante wegzudrehen? 30.) Ein nahezu reibungsfrei gelagertes Schwungrad (Massenträgheitsmoment 120 kg·m2) dreht sich mit einer Winkelgeschwindigkeit von 12 rad/s. Zur Zeit t = 0 beginnt ein positiv gerichtetes Drehmoment einzuwirken, das harmonisch anschwillt und wieder abklingt. Die Amplitude misst 800 Nm und Schwingungsdauer beträgt 24 Sekunden. Das Drehmomenten-Zeit-Verhalten kann damit durch die folgende Funktion beschrieben werden? M = M0 ⋅ cos( 2 ⋅π ⋅ t) T mit M0 = 800 Nm und T = 24 s Wie schnell dreht sich das Rad nach einer Einwirkzeit von sechs Sekunden? 31.) Ein nahezu reibungsfrei gelagertes Schwungrad (Massenträgheitsmoment 40 kgm2) werde über eine Welle in Bewegung versetzt. Die Welle sei elastisch und weise eine Winkelrichtgrösse (Drehfederkonstante) von 18’000 Nm auf. Der zufliessende Drehimpuls führt zu einer messbaren Verdrehung der Welle. Die Messung ergibt, dass der Verdrehungswinkel wie folgt zunimmt ∆ϕ = ∆ϕ 0 ⋅ sinh(α ⋅ t ) mit ∆ϕ 0 = 0.15 und α = 2 ⋅ π 36s Wie schnell dreht sich das Rad fünf Sekunden nach Beginn der Einwirkung? 32.) Das Bewegungsverhalten von zwei Schwungrädern, die über eine viskose Kupplung miteinander verbunden sind, soll mit dem Modellbildungs- und Simulationsprogramm STELLA nachvollzogen werden. Anfänglich rotiere das grössere Rad (Massenträgheitsmoment 60 kg·m2) mit einer Drehzahl von 400 Umdrehungen pro Minute. Zu diesem Zeitpunkt steht das kleinere Rad (Massenträgheitsmoment 40 kg·m2) immer noch still. Die Stromstärke des durch die Rutschkupplung fliessenden Drehimpulsstromes wachse linear mit der Differenz der Winkelgeschwindigkeit, wobei für den Proportionalitätsfaktor ein Wert von 5 Nm/s angenommen werden kann. Die Lagerreibungen sind vorderhand nicht zu berücksichtigen. Bauen Sie das zugehörige STELLA-Modell auf und berechnen Sie die beiden Winkelgeschwindigkeits-Zeit-Funktionen für die ersten dreissig Sekunden. Auf das grössere Rad wirke noch ein externes Drehmoment ein, das harmonisch hin- und herschwingt. Die Amplitude betrage 50 Nm und die Schwingungsdauer sei zwei Sekunden. Wie sehen nun die zugehörigen Funktionen auf? Wie können die beiden Lagerdrehmomente von je 5 Nm ins Modell eingebaut werden? 33.) Die Kupplung in Beispiel 32.) werde durch eine elastische Welle (Winkelrichtgrösse 600 Nm) ersetzt. Es wirkt kein äusseres Moment und die Lagerreibungen sind nicht zu berücksichtigen. Bauen Sie das zugehörige STELLA-Modell auf und berechnen Sie die beiden Winkelgeschwindigkeits-Zeit-Funktionen für die ersten dreissig Sekunden. Auf das grössere Rad wirke noch ein externes Drehmoment ein, das harmonisch hin- und herschwingt. Die Amplitude betrage 50 Nm und die Schwingungsdauer sei zwei Sekunden. Wie sehen nun die zugehörigen Funktionen auf? Seite 52 Rotationsmechanik 3. Energie in der Rotationsmechanik Seile, Stangen, Hebel, Wellen und viele andere mechanische Geräte sind in der Lage, Energie zu transportieren. Dazu müssen sie mechanisch belastet und gleichzeitig bewegt werden. Die Energieströme selber sind wie der Drehimpulstransport nicht direkt nachweisbar. Sie müssen mit einem speziellen Verfahren aufsgepürt werden. Erst dann kann man sie graphisch in einem sogenannten Energiestromdiagramm darstellen. Um ein solches Stromdiagramm herzustellen schneidet man die einzelnen Bauteil zuerst frei, berechnet dann mit Hilfe der Geschwindigkeit die Leistungen aller Kräfte und interpretiert zuletzt alle Leistungen als Energieströme. Positive Leistungen ergeben einen Energiezufluss, negative weisen auf einen Energieverlust hin. Bei rotierenden Bauteilen muss das Verfahren erweitert werden, denn ein System kann Energie auch zusammen mit dem Drehimpuls austauschen. Dabei muss nicht unbedingt auch noch ein resultierender Impulsstrom fliessen. In solchen Fällen ist die entsprechende Leistung gleich dem Produkt aus Drehmoment und Winkelgeschwindigkeit der Angriffsfläche. Dieses Kapitel soll aufzeigen, wie die Energie mit dem Drehimpuls zusammenhängt. Analog zur Hydraulik, zur Translationsmechanik oder zur Elektrizitätslehre darf der Energiestrom über ein Potential mit dem Drehimpulsstrom verknüpft werden. Die Rolle des Potentials wird diesmal von der Winkelgeschwindigkeit übernommen. Gemäss dem allgemeinen Energie-MengentransportSchema legt das Bezugssystem über die Winkelgeschwindigkeit die Stärke des zugeordneten Energiestromes fest. Die Zuordnung ist nicht ganz so willkürlich wie bei der Translation; d.h. bei der Rotation gibt es so etwas wie einen ruhenden Raum. Ein Bezugssystem, das gegenüber der Erde ruht, hebt sich klar von allen rotierenden Systemen ab. Ein Drehimpulsstrom der in einer Kupplung oder in einer verdrehbaren Welle eine Winkelgeschwindigkeitsdifferenz durchfliesst, setzt Energie um: wächst die Winkelgeschwindigkeit längs des Transportweges an, nimmt der Drehimpuls Energie auf; fällt der Strom von einer hohen zu einer tiefen Winkelgeschwindigkeit, setzt er Energie frei. Diese prozessorientierte Betrachtungsweise lohnt sich, sobald weder Drehimpuls gespeichert wird, noch der zugehörige Strom sich verzweigt. Da in den meisten Fällen keine oder nur eine der beiden Bedingungen erfüllt ist, muss häufig auf diese Sicht der Dinge verzichtet werden. Dann ist der Weg über das Schnittbild mit anschliessender Leistungsberechnung immer noch der sicherste. Rotierende Körper speichern zusätzlich Energie. Diese sogenannte Rotationsenergie kann rechnerisch infolge ihrer engen Verbindung mit dem Drehimpuls vom Rest der im System sonst noch gespeicherten Energie abgespalten werden: die Rotationsenergie ist der Teil der Systemenergie, der freigesetzt wird, sobald der Drehimpuls vollständig ans Bezugssystem abfliesst. Wie aus dem Flüssigkeitsbild direkt zu entnehmen ist, darf für die Rotationsenergie das Produkt aus Drehimpuls und halber Winkelgeschwindigkeit gesetzt werden. In der Mechanik der starren Körper ist die Energie eine zusätzliche, nicht unbedingt explizit zu bilanzierende Erhaltungsgrösse. Impuls- und die Drehimpulsbilanz reichen vollständig aus, um die Bewegung eines nichtdeformierbaren Körpers berechnen zu können. Die Energiebilanz ist dann automatisch erfüllt. Aus zwei Gründen lohnt es sich, die Energie gesondert zu betrachten. Erstens verbindet sie die Drehmechanik mit den andern Zweigen der Physik. Zweitens lassen sich mit Hilfe der Energie viele technisch relevante Fragestellungen eleganter und vor allem schneller beantworten als mit Hilfe der Grundgesetze. Der zweite Punkt ist mir so wichtig, dass ich ihm ein eigenes Kapitel widme. Rotationsmechanik Seite 53 Im letzten Abschnitt dieses Kapitels werden wir die wechselseitige Abhängigkeit von Impuls, Drehimpuls und Energie ausnutzen und eine allgemeine Formel zur Berechnung der Massenträgheitsmomente herzuleiten. Dazu schreiben wir die Rotationsenergie einmal zusammen mit dem Kapazitivgesetz und einmal als Summe über die kinetische Energie der Einzelteile. ! Lernziele Einem Drehimpulsstrom einen Energiestrom zuordnen können. Die bei einem Rotationsprozess umgesetzte Leistung berechnen können Wissen, wie die Leistung eines Drehmomentes zu berechnen ist. Die Rotationsenergie eines starren Körpers bestimmen können. Aus einem Schnittbild ein Energiestromdiagramm entwickeln können. 3.1 Der zugeordnete Energiestrom Ein Riementrieb transportiert Energie, sobald die beiden Riementeile Transportvorgänge beim Rieungleich belastet sind und sich die Scheiben auf eine Seite drehen. Der mentrieb unter diesen Bedingungen von einer Achse zur andern fliessende Drehimpuls, induziert, wie wir im letzten Kapitel gesehen haben, in den verschiedenen Streckenabschnitten unterschiedliche Impulsströme. Am einfachsten präsentiert sich die Situation bei zwei gleich grossen Riemenscheiben. Der zwischen den Riemen seitwärts wandernde Drehimpuls wird von einen Impulsstrom begrenzt, der energiebeladen durch den gespannten Riemen in negative Koordinatenrichtung fliesst, um dann über die Lager und über die ruhende Teile der Maschine wieder an den alten Ort zurückzukehren. Die Stärke des dem Impuls zugeordneten Energiestromes ist gleich dem Produkt aus Riemengeschwindigkeit und Impulsstromstärke. Entscheidend für die Transportrichtung der Energie ist das Vorzeichen der Geschwindigkeit; dieses legt fest, ob die Energie mit oder gegen den Impuls fliesst. x v=0 y Energiestrom Impulsstrom v<0 Der Impuls transportiert nun nicht nur Energie, sondern induziert, wie schon erwähnt, einen Drehimpulstrom. Die zugehörige Stromstärke lässt sich entweder aus dem Schnittbild einer Scheibe oder direkt aus dem Impulsstrombild bestimmen. Bei der ersten Vorgehensweise findet man durch freischneiden der einen Riemenscheibe ein Kräftepaar, das aus der Riemenkraft und der zugehörigen Komponente der Lagerkraft Fig. 3. - 1: Beim laufenden Riementrieb kann der Energiestransport dem Impulsstrom zugeordnet werden. In der skizzierten Anordnung fliessen Impuls und Energie gegeneinander, weil der belastete Teil des Riemens eine negative Ge-schwindigkeit aufweist. Impuls-, Drehimpuls- und Energiestransport Seite 54 Rotationsmechanik gebildet wird. Das begleitende Drehmoment berechnet sich dann als Produkt aus Riemenkraft und Scheibenradius. Der zweite Weg führt über das Impulsstrombild. Aus diesem Bild ist zu entnehmen, dass der Impuls um den Radius der Scheibe seitwärts fliesst. Für die Stärke des mitgeführten Drehimpulsstromes ergibt dies ebenfalls den Wert des Produktes aus Stromstärke und Scheibenradius. der zugeordnete Energiestrom Nun soll die Energie statt dem Impuls- dem Drehimpulstransport zugeordnet werden. Dazu schreiben wir die Formel für den dem Impuls zugeordneten Energiestrom hin und ersetzen die Geschwindigkeit des Riemens durch Winkelgeschwindigkeit der Scheibe mal zugehörigem Radius IW = v ⋅ I p = ω ⋅ I L (3.1) Fliesst der Drehimpuls über die Achse in die erste Riemenscheibe hinein oder von der zweiten weg, gilt die Zuordnung (3.1) weiterhin. Dies lässt sich entweder indirekt aus der Energie- und Drehimpulserhaltung oder direkt aus dem lokalen Zusammenhang herleiten.Um die erstgenannte Herleitung kurz zu skizzieren, wenden wir uns nochmals dem einfachen Getriebe zu, das zur Hauptsache aus zwei Zahnrädern besteht. Fig. 3. - 2: In der oberen Achse des Getriebes fliesst Drehimpuls weg und Energie zu; in der unteren werden beide Grössen abgeführt. Die Energiestromstärke ist gleich dem Produkt aus Drehimpulsstromstärke und der Winkelgeschwindigkeit. Ist die Winkelgeschwindigkeit positiv, fliesst die Energie mit dem Drehimpuls; im umgekehrten Fall laufen die Transporte gegeneinander. Transportvorgänge beim Getriebe y z Energiestrom x Drehimpulsstrom x Energiestrom Drehimpulsstrom In den beiden Achsen des zweirädrigen Getriebes fliesst, je nach Wahl des Koordinatensystems, Drehimpuls zu oder weg. Treten keine nennenswerten Lagerreibungen auf, muss das Verhältnis der zugehörigen Stromstärken, das Verhältnis der beiden Drehmomente, gleich sein wie der Quotient aus den beiden Zahnradradien. Nur unter dieser Bedingung herrscht Gleichgewicht, nur so läuft das Getriebe stationär. Für die Winkelgeschwindigkeit gilt genau das Gegenteil. Das Produkt aus Drehzahl und zugehörigem Radius muss für beide Räder gleich gross sein, damit beide Räder auf dem Berührkreis der Zähne die gleiche Geschwindigkeit aufweisen. Multipliziert man nun für beide Achsen die Drehimpulsstromstärke mit der Winkelgeschwindigkeit, erhält man zweimal den gleichen Wert. Diese Grösse beschreibt die Stromstärke der durch das Getriebe fliessenen Energie. Rotationsmechanik Seite 55 Formel (3.1) kann auch direkt aus gegebenem Spannungszustand und Drehimpuls- und Energietransder Geschwindigkeitsverteilung berechnet werden. Dazu leite man zu- port bei der tordierten Welle erst eine Formel für die mechanische Energiestromdichte her. Diese Stromdichte, die dem Impulstransport lokal einen Energiestrom zuordnet, gewinnt man durch skalare Multiplikation des Spannungstensors mit dem Geschwindigkeitsvektor. Bei der verdrehten Welle darf nun, weil sich dieses Objekt näherungsweise wie ein starrrer Körper verhält, die Geschwindigkeit an jedem Punkt durch das Kreuzprodukt aus Drehachsenabstand und Winkelgeschwindigkeit ersetzt werden. Eine Integration über alle zugeordeneten Energiestromdichten liefert dann den gewünschten Ausdruck. Ich verzichte hier auf eine direkte Herleitung von (3.1), weil dies ohne Tensorrechnung nur mit unnötigem Aufwand zu bewerkstelligen ist. Beispiel 10: Bei einem Riementrieb weise das treibende Rad einen Durchmesser von 40 cm auf und sei halb so gross wie das angetriebene. An keiner Stelle tritt eine merkliche Reibung auf und die Masse des Riemens kann vernachlässigt werden. Auf das antreibende Rad, das sich mit 1500 Umdrehungen pro Minute dreht, wirkt ein Drehmoment von 20 Nm ein. Wie gross ist das Drehmoment, das auf die zweite Achse einwirkt? Lösung 10: Diese Aufgabe kann auf zwei verschiedene Arten gelöst werden. Entweder schneidet man beide Riemenscheiben frei und überlegt sich anhand der Gleichgewichtsbedingungen, wie gross die beiden Drehmomente sein müssen oder man hält sich an den zugeordneten Energiestrom Bei der zweiten Vorgehensweise ist zuerst die dem Drehmoment zugeordnete Energiestromsträrke zu bestimmen. Dann setzt man die beiden Energieströme gleich, d.h. der auf das Antriebsrad überfliessende Energiestrom muss gleich gross sein wie der vom getriebenen Rad abfliessende. Mit Hilfe von Formel (3.1) erhält man für den zufliessenden Energiestrom einen Wert von 3142 W. Weil sich die zweite Welle infolge der unterschiedlich grossen Riemenscheiben nur mit halber Winkelgeschwindigkeit dreht, muss der dort fliessende Drehimpulsstrom doppelt so gross sein, also 40 Nm. Die beiden Drehimpulsströme fliessen auf verschiedenen Wegen durch das Getriebe hindurch und die Energie wird vom einen Strom vollständig auf den andern umgeladen. Die Winkelgeschwindigkeit verknüpft den Energiestrom mit dem Dreh- Vorzeichen und Invarianzen impulstransport. Ist die Winkelgeschwindigkeit negativ, fliessen beide Mengen gegeneinander. Diese Vorzeichenproblematik bereitet oft Mühe. Dass der Energie gegen den Träger strömt, sobald das Potential oder das Beladungsmass negativ wird, widerspricht unserer Erfahrung im Umgang mit konkreten Mengen. Im täglichen Leben bestehen Ströme aus bewegter Materie, die mitsamt all ihren Eigenschaften in nur eine Richtung transportiert wird. Die Wahl des Koordinatensystems scheint überhaupt die ganze Strombetrachtung in Frage zu stellen. Die Freiheit der Koordinatenwahl verträgt sich schlecht mit dem Objektivitätsanspruch der exakten Naturwissenschaft. Definiert man zum Beispiel beim weiter oben zkizzierten Getriebe den positiven Drehsinn anders herum, fliessen augenblicklich beide Drehimpulsströme in die entgegengesetzte Richtung. Eine solche Stromumkehr bleibt aber ohne Folgen, weil gleichzeitig die Winkelgeschwindigkeiten in den Achsen das Vorzeichen wechseln. Folglich hängt die Transportrichtung der Energie nicht von der Wahl des Koordinatensystems ab und die Energie fliesst in beiden Fällen vom oberen zum unteren Rad. Seite 56 Rotationsmechanik ? Kontrollfragen 1.) 2.) 3.) 4.) Welche mechanischen Grössen werden in einem ruhenden Riementrieb transportiert? Wie wird dem Drehimpulsstrom ein Energietransport zugeordenet? Wann fliesst die Energie gegen den Drehimpuls? Bei einem laufenden Riementrieb strömt Drehimpuls über die Achse ins treibende Rad hinein. Wie fliesst dann der Drehimpuls in der andern Achse? Wie verhalten sich die beiden Stromstärken zueinander? Wie kann man erkennen, welches Rad das treibende ist? 3.2 Die Prozessleistung Energie kann auf zwei Arten zufliessen Soll ein Loch gebohrt werden, kann man dies auf zwei Arten bewerkstelligen. Entweder dreht sich der Bohrer und das Werkstück bleibt an Ort, oder der Bohrer steht still und der zu bearbeitende Körper führt die Rotation aus. Obwohl meistens die erste Methode angewendet wird, entstehen recht viele Löcher auf die zweite Art: bei einer Drehbank drückt man den ruhenden Bohrer in das rotierende Werkstück hinein. Vom Standpunkt des zugeordneten Energiestromes aus gesehen, handelt es sich um zwei verschiedene Transportvorgänge. Bei der ersten Arbeitsweise fliesst die Energie über den Bohrer ins Zerspanungsgebiet hinein, wogegen auf der Drehbank die Energie von der Arbeitsspindel über das Werkstück bis zur Schnittkante des Bohrers geführt wird. Betrachtet man statt des zugeordneten Energiestromes die Prozessleistung, verschwindet der Unterschied. Bei beiden Bohrvorgängen setzt der Drehimpuls die Energie dort frei, wo eine Winkelgeschwindigkeitsdifferenz auftritt. der Drehimpulsstrom setzt Energie um Zur Berechnung der Prozessleistung gehen wir wieder von einer konkreten Situation aus. Eine Antriebswelle besitze an einer bestimmten Stelle eine Rutschkupplung. Sobald der durchfliessende Drehimpulsstrom einen kritischen Wert erreicht hat, beginnen die beiden Kupplungsteile gegeneinander zu gleiten und begrenzen dadurch die Stromstärke des Drehimpulses. Wir vernachlässigen das Massenträgheitsmoment der Kupplung und sehen den Drehimpulsstrom als unverzweigt an; der Drehimpuls fliesst also mit konstanter Stromstärke durch die ganze Anordnung hindurch. Aus der Energiebilanz folgt nun, dass die in der Reibschicht freigesetzte Prozessleistung gleich der Differenz der beiden zugeordneten Energieströme ist. Indem wir aus beiden Energieströmen die Stärke des Drehimpulsstromes ausklammern, erhalten wir einen Ausdruck, der sowohl bei der Ständerbohrmaschine als auch bei der Drehbank gültig ist. P = IW1 − IW2 = (ω1 − ω 2 ) ⋅ I L Prozessleistung wird dissipiert, gespeichert oder weitergereicht (3.2) Im Gegensatz zum zugeordneten Energiestrom ist die Prozessleistung lokal nachweisbar. Sie beschreibt den momentanen Energieumsatz unabhängig vom gewählten Bezugssystem. Was mit der freigesetzten Leistung weiter passiert, hängt jedoch von den lokalen Gegebenheiten ab. Fliesst also Drehimpuls von einer Referenzfläche mit grosser zu einer Rotationsmechanik Seite 57 Pr oz es sle ist un g zweiten mit kleinerer Winkelgeschwindigkeit, entscheidet das dazwischenliegenden Material über die konkrete Verwendung der freigestzten Energie. Handelt es sich um eine Rutschkupplung, wird die Energie dissipiert, also zur Produktion von Entropie verwendet. Befindet sich hingegen ein Uhrwerk an der fraglichen Stelle, wird die Energie in der deformierten Feder mechanisch abrufbar zwischengespeichert. Die freigesetzte Energie kann aber auch von einer zweiten mengenartigen Grösse aufgenommen und weitertransportiert werden. Als Beispiel sei der Generator erwähnt. Bei dieser Maschine gibt der Drehimpuls die zugeführte Energie an den elektrischen Stromkreis weiter. Sind zwei Prozesse über die umgesetzte Leistung gekoppelt, wie dies beim Generator der Fall ist, kann derjenige, der die Energie freisetzt, als treibender bezeichnet werden. Der andere ist dann der getriebene. Energiestrom 1 Drehimpulsstrom Energiestrom 2 ω1 ω2 Fig. 3. - 3: Fliesst ein Drehimpulsstrom von einem schnell rotierenden Körper in einen zweiten, der eine kleinere Drehzahl aufweist, wird Energie freigesetzt. Klein und gross sind in diesem Zusammenhang absolut zu verstehen, d.h. eine negative Winkelgeschwindigkeit ist kleiner als Null. Beispiel 11: Ein Schlosser versucht eine angerostete Mutter von der Schraube zu lösen. Die rechte Hand, welche die Mutter hält, dreht sich in einer halben Sekunde um 30˚. Die Schraube rutscht während dieser Zeit gleichsinnig in der linken, ruhenden Hand um 10˚. Wieviel Energie wird zwischen Mutter und Schraube freigesetzt, wenn der Handwerker ein konstantes “Drehmoment von 150 Nm aufwendet”. Lösung 11: Von der rechten Hand fliesst ein Drehimpulsstrom mit einer konstanten Stärke von 150 Nm durch die Schraubenverbindung in die andere Hand über. Dieser Strom setzt an zwei Orten im Verhältnis 2:1 Energie frei. Wird die Prozessleistung mit der Prozessdauer multipliziert, erhält man die total umgesetzte Energie. Die zugehörige Formel besagt, dass die total freigegebene Energie gleich dem Produkt aus Drehimpulsstromstärke und Differenz der beiden Drehwinkel ist. Nun müssen die gegebenen Winkel nur noch noch in Radianten umgerechnet und dann zusammen mit dem Drehmoment in diese Beziehung eingesetzt werden. Die Auswertung der Beziehung ergibt für die Schraubenverbindung einen Wert von 52.4 J. Das Urbild der Prozessleistung findet man bei Vorgängen im homoge- der Wasserfall als Urbeispiel nen Gravitationsfeld. Fällt ein Fluss über ein Stauwehr hinunter, ist die eines Prozesses dissipierte Leistung gleich der Massenstromstärke mal die Differenz der Gravitationspotentiale. Diese Differenz darf in Anlehnung an die Elektrizitätslehre auch Gravitationsspannung genannt werden. Bei Pumpspeicherwerken beschreibt die gleiche Formel je nach Betriebsart die minimal aufzuwendende oder maximal freisetzbare Leistung. Überträgt man den Rotationsprozess in das konkrete Bild des Pumpwerkes, verwandelt sich wie beim Flüssigkeitsbild die Winkelgeschwindigkeit in eine Höhe oder etwas präziser in ein Gravitationspotential. Mit dieser Seite 58 Rotationsmechanik Metamorphose erhalten zugeordnete Energie und Prozessleistung ein intuitiv erfassbares Gewand. Mit dem Prozessbild kann auch die Vorzeichenfrage etwas entschärft werden. Dreht man die Bezugsrichtung um, muss das Prozessbild an der Bezugslinie der Winkelgeschwindigkeit gespiegelt werden. Damit verwandelt sich das Gefälle in eine Steigung. Weil gleichzeitig der Drehimpulsstrom in die andere Richtung fliesst, bleibt die Prozessleistung invariant unter dieser Umdefinition. ? Kontrollfragen 5.) 6.) 7.) Wann liegt ein reiner Rotationsprozess vor? Wie berechnet sich der Energieumsatz bei einem Rotationsprozess? Drücken Sie die Ballen Ihrer Hände fest gegeneinander. Drehen Sie dann die Arme rhythmisch hin und her. Wie fliesst bei diesem Reibvorgang der Drehimpuls? Wie fliesst der zugeordnete Energiestrom? Zeichnen Sie für zwei unterschiedliche Phasen das Prozessbild. 3.3 Die Leistung des Drehmomentes zugeordneter Energiestrom und Leistung eines Drehmomentes Drehimpulsströme, die über die Systemgrenze fliessen, heissen auf das System einwirkende Drehmomente. Fliesst Drehimpuls ins System hinein, ist das zugehörige Drehmoment eine positive Grösse. Ein Drehimpulsstrom, der den Körper verlässt, wird dagegen durch ein negativ gerichtetes Drehmoment beschrieben. Sobald ein einzelner Körper freigeschnitten wird, heisst der dem Drehimpulsstrom zugeordnete Energiestrom Leistung eines Drehmomentes. Diese Leistung ist wie das Drehmoment selber eine reine Bilanzgrösse und hat nur indirekt etwas mit der im letzten Abschnitt behandelten Prozessleistung zu tun. Zugeordneter Energiestrom und Leistung eines Drehmomentes verhalten sich zueinander wie die Drehimpulsstromstärke zum Drehmoment. Obwohl beide Grössen weitgehend als synonym angesehen werden können, ist beim Vorzeichen Vorsicht geboten. Die erstgenannte Grösse beschreibt den Transport im Raum: die Richtung des Energiestromes ist über das Vorzeichen der Winkelgeschwindigkeit mit dem Drehimpulstransport verknüpft. Die Leistung eines Drehmomentes beschreibt hingegen den Austausch zwischen System und Umgebung. Ihr Vorzeichen ist unabhängig von der Wahl des Koordinatensystems. Dafür ist die dem Drehmoment zugeordnete Leistung direkt mit der Energiebilanz verknüpft: eine negative Leistung weist darauf hin, dass die Energie das System verlässt. Beispiel 12: Mit einer Reibahle, die sich in negative Richtung dreht, wird eine Bohrung bearbeitet. Man fertige eine Situationsskizze an und zeichne den Drehimpuls- und den zugeordneten Energiestrom ein. Zudem überlege man sich, wie die Drehmomente einzuzeichen und die zugehörigen Leistungen zu berechnen sind. Lösung 12: Die negative Drehrichtung ist durch das Koordinatensystem gegeben: eine negative Drehbewegung führt die y- in die x-Achse über. Die Stromrichtung des Drehimpulses lässt sich aus der zugehörigen Bilanzüberlegung ableiten: wäre das Werkstück frei beweglich, so würde sein Drehimpulsinhalt unter der Wirkung der Ahle abnehmen. Der Drehimpuls fliesst deshalb von der Einspannstelle über das Werkstück und die Ahle weg. Der zugeordnete Energiestrom nimmt in der Reibahle den umgekehrten Weg. Infolge der nega- Rotationsmechanik Seite 59 tiven Winkelgeschwindigkeit wird dort die Energie gegen den Drehimpulsstrom transportiert. Im Reibgebiet selber fällt der Drehimpuls von der Winkelgeschwindigkeit Null auf das negative Potential der Ahle hinunter. Dort findet ein sogenannter Prozess statt, dort wird die Energie nachweisbar freigesetzt. Würde man das Koordinatensystem um die x-Achse um 180˚ drehen, flösse der Drehimpuls von rechts nach links. Weil bei dieser Wahl des Koordinatensystems die Ahle ebenfalls im positiven Drehsinn rotieren würde, kommt die Energie aber immer noch von rechts. z Energie Drehimpuls Prozessgebiet Drehsinn y Auf die Ahle und auf das Werkstück wirken je zwei entgegengesetzt gleich grosse Drehmomente ein. Die Leistung des vom Werkstück auf die Ahle einwirkende Drehmoment ist negativ. Das Reaktionsmoment, das von der Ahle auf das Werkstück wirkt, ist dagegen leistungsfrei. Dies bedeutet, dass die Energie wohl aus der Reibahle austritt, aber nicht mehr ins Werkstück hineinfliesst. Zugeordneter Energiestrom, Prozessleistung und Leistung eines Dreh- Strombild, Schnittbild und momentes sind drei Begriffe, die alle in irgendeiner Form den Energie- Energieumsatz umsatz beschreiben. Trotzdem dürfen wir sie nicht unbesehen gleichsetzen. Sie unterscheiden sich sowohl in ihrer spezifischen Aussage als auch in ihrem Anwendungsgebiet. Zugeordneter Energiestrom und Prozessleistung beschreiben den Energietransport bzw. den Energieumsatz eines einzelnen Stromes. Beide Begriffe sind universell anwendbar, da energietragende Ströme in allen Zweigen der klassischen Physik (Hydraulik, Translations- und Rotationsmechanik, Elektrizitätslehre, sowie Thermodynamik) vorkommen. Die Leistung einer Kraft oder eines Momentes muss erst ins Spiel gebracht werden, wenn man sich dem einzelnen Objekt zuwendet. Dann geht es nicht mehr darum, Aussagen über einen ganzen Transportvorgang zu machen, dann gilt es, das Verhalten des einzelnen Gegenstandes zu beschreiben. Oft ist man gezwungen, zuerst eine Gesamtanalyse über mehrer Objekte hinweg vorzunehmen, um sich dann eingehend mit einem einzelnen Körper zu berschäftigen. Damit Sie beide Darstellungsformen eingesetzten können, müssen Sie jederzeit wissen, wie man aus dem Drehimpulsstrom ein Drehmoment gewinnt und wie man umgekehrt aus den Schnittbildern auf einen Drehimpulsstrom schliessen kann. ? Kontrollfragen 8.) Wie berechnet man die Leistung eines Drehmomentes? 9.) Wann wird die Leistung eines Drehmomentes positiv? 10.) Die Leistung eines Drehmomentes sei negativ. In welche Richtung fliesst dann die Energie? 11.) Mit welcher Einheit wird der zugeordnete Energiestrom, die Prozessleistung und die Leistung eines Drehmomentes gemessen? 12.) Wie unterscheidet sich die Prozessleistung von der Leistung eines Drehmomentes? 13.) Wie unterscheidet sich der zugeordnete Energiestrom von der Leistung eines Drehmomentes? Seite 60 Rotationsmechanik 3.4 Die Rotationsenergie Rotationsenergie und Drehimpuls Ein Körper, der in Rotation versetzt wird, nimmt zusammen mit dem Drehimpuls auch Energie auf. Da mit zunehmender Drehzahl sowohl der Drehimpulsinhalt als auch die Winkelgeschwindigkeit grösser wird, wächst die Rotationsenergie stärker als die Winkelgeschwindigkeit an. Zur Herleitung einer Formel für die Rotationsenergie schreiben wir zuerst die Drehimpuls- sowie die Energiebilanz hin ∑M i = L« = J ⋅ ω« i ∑ P( M ) = W« i rot (3.3) i In Formel (3.3) habe ich auf die allgemeindynamische Schreibweise verzichtet und direkt das gebräuchliche Formelzeichen für Drehmoment verwendet. Wir dürfen aber nie vergessen, dass hinter jedem Drehmoment ein Drehimpulsaustausch steht, dessen Stromstärke durch die Grösse des Drehmomentes festgelegt ist. In (3.3) wird vorausgesetzt, dass nur reine Drehmomente einwirken. Der Körper ändert deshalb seinen Rotationszustand ohne sich wegzubewegen. die Änderungsrate der Rotationsenergie Wird die erste Gleichung in (3.3) mit der Winkelgeschwindigkeit multipliziert, geht deren linke Seite in den entsprechenden Ausdruck der zweiten Gleichung über. Folglich müssen auch die beiden rechten Seiten identisch sein. Die Änderungsrate der Rotationsenergie ist also gleich gross wie das Produkt aus Drehimpulsänderungsrate und Winkelgeschwindigkeit W«rot = J ⋅ ω ⋅ ω« (3.4) Integriert man Formel (3.4) über die Zeit, erhält man die Änderung der Rotationsenergie in Abhängigkeit von der Winkelgeschwindigkeit. ∆Wrot = J ⋅ (ω 22 − ω12 ) 2 (3.5) Bewegungszustand und Trägheit legen die Bewegungsenergie fest Die Rotationsenergie hängt wie die kinetische nur vom Bewegungszustand und von der zugehörigen Trägheit ab. Wir setzten nun voraus, dass dieser Energieanteil beim ruhenden Körper verschwindet. Mit dieser Normierung kann die Rotationsenergie als einfache Funktion geschrieben werden, die quadratisch mit der Drehzahl wächst. Dabei spielt es keine Rolle, auf welche Seite sich der Körper dreht. Auch wenn er im negativen Sinn rotiert, bleibt die Rotationsenergie trotz Drehimpulsmangel positiv. Sobald das Drehimpulsmanko durch einem vom Bezugssystem her zufliessenden Strom aufgefüllt wird, steht diese Energie als Arbeitsvermögen wieder zur Verfügung. Wie in der Translationsmechanik ist nur die eigentliche Bewegungsmenge von der Wahl der positiven Richtung abhängig. Im Falle einer Energiebetrachtung ist kein Unterschied mehr zwischen den beiden Drehrichtungen auszumachen. Energie im Flüssigkeitsbild Das Flüssigkeitsbild veranschaulicht nicht nur die Drehimpulsbilanz. Es Rotationsmechanik Seite 61 gibt, da die Füllhöhe identisch mit dem Potential ist, auch den Energieumsatz korrekt wieder. Wird zum Beispiel einem ruhenden Schwungrad Drehimpuls zugeführt, so muss die ganze Menge um die halbe Endwinkelgeschwindigkeit angehoben werden. Die Rotationsenergie ist demnach gleich dem gespeicherten Drehimpuls multipliziert mit der halben Winkelgeschwindigkeit. Dieser Aussage deckt sich mit der Formel (3.3). Die Identität wird erkennbar, sobald der Drehimpulsinhalt durch das Produkt aus Trägheitsmoment und Winkelgeschwindigkeit ausgedrückt wird. ω2 ωmittel L aus ω1 ∆ Wrot = ω mittel ⋅ Laus ω1 + ω1 ⋅ J ⋅ (ω 2 − ω 1 ) 2 J = ⋅ (ω 22 − ω 12 ) 2 = J Fig. 3. - 4: Wird einem starren Körper eine bestimmte Menge Drehimpuls zugeführt, so ändert sich seine Rotationsenergie gemäss Formel (3.3). Der entsprechende Ausdruck lässt sich direkt aus dem Flüssigkeitsbild heraus ableiten: die aufzuwendende Energie ist gleich der Menge mal die mittlere „Hubhöhe“. Beispiel 13: Ein ruhendes Schwungrad (Massenträgheitsmoment 80 kgm2) ist über eine Rutschkupplung mit einem Elektromotor verbunden. Der bewegliche Teil des Motors, der Rotor (Drehträgheit 20 kgm2), dreht sich anfänglich mit einer Winkelgeschwindigkeit von 300 s-1. Während des Ankoppelungsprozesses, der vier Sekunden dauert, wirkt über das elektromagnetische Feld ein konstantes Drehmoment von 500 Nm auf den Rotor ein. Wieviel Energie wird in diesen vier Sekunden in der Rutschkupplung dissipiert? Lösung 13: Zuerst übersetzen wir den ganzen Vorgang in ein Flüssigkeitsbild. Der Rotor speichert anfänglich 300 /s 6000 Nms Drehimpuls . Nach vier Sekunden drehen sich beide Körper gleich schnell und enthalten 2000 Nms Drehimpuls mehr als vorher. Dividiert man den totalen Inhalt durch das gesamte Massenträg80 /s heitsmoment, ergibt sich eine End6400 Nms winkelgeschwindigkeit von 80 s-1, was einer Drehzahl von 764 Umdrehungen pro Minute entspricht. Der Drehimpuls des Schwungrades ist über die Rutschkupplung vom Rotor her zugeflossen. Wenn wir annehmen, dass diese Drehimpulsstromstärke konstant geblieben ist, können wir die mittlere Fallhöhe von 190 s-1direkt aus dem Flüssigkeitsbild herauslesen. Das Produkt aus der ins Schwungrad hineingeflossenen Menge und dieser Fallhöhe ergibt die freigesetzte Energie von 1.216 MJ. Seite 62 Rotationsmechanik Rollreibung und Energie x FN y FRR FG nicht korrektes Schnittbild Die unzutreffende Modellvorstellung, wonach beim Rollreibungsvorgang eine sogenannte Rollreibungskraft wirken soll, kann auch mit Hilfe der Energiebilanz widerlegt werden. Zeichnet man das zugehörige Schnittbild, wird offensichtlich, dass keine der drei eingezeichneten Kräfte eine Leistung aufweist. Folglich kann die Walze ihren Energieinhalt auch nicht ändern. Dieser Widerspruch zwischen Impulsabfluss und Energieerhaltung wird hinfällig, sobald ein zusätzliches Reibdrehmoment eingeführt wird (vergl. Figur 2.-12). Dieses Drehmoment weist eine nicht verschwindende, negative Leistung auf. Das zugehörige Reaktionsmoment, das Drehmoment auf die Unterlage, ist dagegen leistungsfrei. Interpretiert man alle Leistungen als Energieströme, bedeutet dies, dass die Walze über einen Drehimpulsaustausch andauernd Energie verliert. Diese Energie wird jedoch nicht vom Boden aufgenommen, sondern bleibt in der Zwischenschicht von Walze und Unterlage hängen. ? Kontrollfragen 14.) Wie hängt die Rotationsenergie mit dem Rotationszustand und der Drehträgheit zusammen? 15.) Wie kann aus dem Flüssigkeitsbild die Rotationsenergie herausgelesen werden? 16.) Versuchen Sie, auch die Stärke des zugeordneten Energiestromes direkt aus dem Flüssigkeitsbild herauszulesen. 17.) Zwei Schwungräder tauschen Drehimpuls aus, bis sie gleich schnell rotieren. Wie lesen Sie aus dem Flüssigkeitsbild die dabei umgesetzte Energie heraus? 3.5 Die Berechnung von Massenträgheitsmomenten Rotationsenergie als kinetische Energie der Einzelteile Ein an Ort rotierender Körper enthält Drehimpuls und selbstverständlich auch Energie. Die mit dem Drehimpuls zusammen gespeicherte Energie kann als Rotationsenergie dem System als Ganzes zugeschrieben werden. Zerlegt man den rotierenden Körper rein gedanklich in lauter Einzelteile, ist die Bewegungsenergie entsprechend der Masse und der Geschwindigkeit auf die Elementarkörper aufzuteilen. Weil diese Impuls speichern und sich im Gegensatz zum Ganzen auch bewegen, darf ihre Bewegungsenergie als kinetische bezeichnet werden. Diese Zweideutigkeit ermöglicht eine direkte Berechnung der Massenträgheitsmomente. Wir schreiben dazu die Energie einmal als Rotationsenergie und einmal als Volumenintegral über die Dichte der kinetischen Energie. Wird nun die lokal vorhandene Geschwindigkeit durch das Produkt aus Drehachsenabstand und Winkelgeschwindigeit ersetzt, folgt aus dem Vergleich der entsprechenden Terme eine wichtige Formel J 2 ⋅ω 2 ρ ⋅ v2 ρ ⋅ r2 ⋅ω 2 Wkin = ∫ ⋅ dV = ∫ ⋅ dV 2 2 Wrot = J = ∫ ρ ⋅ r 2 ⋅ dV (3.6) Rotationsmechanik Seite 63 Gemäss Formel (3.6) trägt ein Massenelement umso mehr zum Trägheitsmoment bei, je weiter weg es sich von der Drehachse befindet. Dass diese Abhängigkeit quadratisch sein muss, folgt direkt aus dem Vergleich der Rotationsenergie mit der kinetischen. Der Gedankengang, der zum Integralausdruck in (3.6) geführt hat, soll nun nochmals an einem einfachen Beispiel rekapituliert werden. Beispiel 14: Ein dünner Holzring (Radius R, Masse m) rotiere um seine Achse. Man berechne mit Hilfe der Bewegungsenergie das zugehörige Massenträgheitsmoment. Lösung 14: Zur Lösung des Problems ist die Bewegungsenergie zweimal zu formulieren: ein erstes Mal als Rotationsenergie mit unbekanntem Trägheitsmoment und ein zweites Mal als Summe über die kinetische Energie der Einzelteile. Weil aber alle Elemente des Ringes gleich weit von der Drehachse entfernt sind, können sie in diesem Zusammenhang zu einem kreisenden Massenpunkt zusammengefasst werden. Damit reduziert sich die Herleitung auf einen Vergleich von zwei elementaren Formeln. Das Massenträgheitsmoment von Ringen und dünnwandigen Hohlzylindern berechnet sich demnach als Masse mal zugehöriger Radius im Quadrat. Wrot = J 2 ⋅ω 2 Wkin, Massenpunkt = m 2 m ⋅ r2 2 ⋅v = ⋅ω 2 2 J = m ⋅ r2 = m 2 ⋅d 4 Im Prinzip sind alle Massenträgheitsmomente mit Hilfe von (3.6) bere- Massenträgheitsmomente sind chenbar. Die Integration führt jedoch nur bei einfachen Körpern zu ei- tabelliert nem geschlossenen Ausdruck. In Tabelle 1 sind die Trägheitsmomente für die am häufigsten auftretenden Objekte aufgeführt. Körper Achse Vollzylinder Zylinderachse m ⋅ r2 2 Vollzylinder Durchmesser m ⋅ (3 ⋅ r 2 + h 2 ) 12 Hohlzylinder Zylinderachse m ⋅ (ra2 + ri2 ) 2 Vollkugel Durchmesser 2 ⋅ m ⋅ r2 5 Tabelle 1: Trägheitsmomente J= Seite 64 Rotationsmechanik Körper Achse J= Hohlkugel Durchmesser 2 ⋅ m ⋅ (ra5 − ri5 5 ⋅ (ra3 − ri3 ) dünner Stab Mittelsenkrechte m ⋅l 12 dünne Kreisscheibe Durchmesser m ⋅ r2 4 Quader (a x b x c) parallel zu a m ⋅ (b 2 + c 2 ) 12 Torus Symmetrieachse m ⋅ ( 4 ⋅ R2 + 3 ⋅ r 2 ) 4 2 Tabelle 1: Trägheitsmomente zusammensetzbare Körper Oft lässt sich das Massenträgheitsmoment eines komplizierteren Körpers als Summe über die Beiträge der Einzelteile darstellen. Das ganze System muss aber in tabellierte Elementarkörper zerlegbar sein. Im einfachsten Fall, dann wenn alle Teilmassenmittelpunkte auf der gemeinsamen Drehachse liegen, dürfen die Trägheitsmomente direkt addiert werden. Ist diese Forderung nicht erfüllt, wird der Rechenaufwand etwas grösser. Wie dann eine korrekte Berechnung aussieht, werden wir im Kapitel über den Bahndrehimpuls lernen. Zum Schluss soll noch ein einfaches Massenträgheitsmoment ausgerechnet werden. Beispiel 15: Man berechne das Massenträgheitsmoment eines homogenen Vollzylinders mit der Dichte ρ, der Höhe h und dem Radius R. Lösung 15: Zuerst zerlegt man den ganzen Körper in lauter dünnwandige Hohlzylinders der Dicke dr. Jeder Hohlzylinder liefert nun einen Beitrag, der gleich dem Produkt aus seiner Masse und dem Quadrat des Abstandes von der Drehachse ist. Nun muss noch über alle Hohlzylinder summiert werden, d.h. das Integral (3.6) ist für einen zylindersymmetrischen Körper auszurechnen. Die Auswertung des Integrals ergibt die gewünschte Beziehung R J = ∫ ρ ⋅ r 2 ⋅ dV = ∫ ρ ⋅ r 2 ⋅ 2 ⋅ π ⋅ r ⋅ h ⋅ dr = 0 ρ ⋅ π ⋅ h ⋅ R 4 m ⋅ R2 = 2 2 Rotationsmechanik Seite 65 ? Kontrollfragen 18.) Wie gross ist der Beitrag eines Elementes mit der Masse dm zum Trägheitsmoment? 19.) Wann dürfen die Trägheitsmomente der Teilkörper einfach addiert werden? 20.) Wie gross ist das Massenträgheitsmoment eines dünnwandigen Hohlzylinders mit der Masse m? Zusammenfassung von Kapitel 3 Drehimpuls, der durch eine rotierende Welle fliesst, nimmt Energie mit. Der zugeordnete Energiestrom ist proportional zur Drehimpulsstromstärke und proportional zur Drehzahl; die Winkelgeschwindikeit kann damit als Energiebeladungsmass für den Drehimpulsstrom angesehen werden. Rotiert die verdrehte Welle gegen den positiven Drehsinn, fliessen Energie und Drehimpuls gegeneinander. Der Energietransport selber ist unabhängig von der Wahl der positiven Drehrichtung, da bei der entsprechenden Koordinatentransformation sowohl der Drehimpulstrom als auch die Winkelgeschwindigkeit ihr Vorzeichen ändern. Die Zuordnung von Energie- und Drehimpulstransport ist nur bei starren Körpern sinnvoll. Bei allen andern Systmen schreibt man die Energie direkt dem Impulsstrom als Leistung einer Kraft zu. Der Drehimpuls setzt Energie frei, sobald der zugehörige Strom eine Winkelgeschwindigkeitsdifferenz durchfällt. Diese Prozessleistung ist proportional zur Fallhöhe und proportional zur Stromstärke. Soll der Drehimpuls von einem System mit kleiner Drehzahl zu einem zweiten mit grosser befördet werden, ist die entsprechende Energie dem Drehimpulsstrom zuzuführen. Komplexe mechanische Systeme werden oft in einfachere zerlegt. Zur weiteren Analyse stellt man dann von jedem Körper ein Schnittbild her. Bei dieser Darstellungsweise verwandeln sich die Drehimpulsströme in Drehmomente und aus dem zugeordneten Energiestrom wird die Leistung eines Drehmomentes. Diese Leistung berechnet sich direkt aus dem Produkt von Drehmoment und zugehöriger Winkelgeschwindigkeit. Sind Drehmoment und Winkelgeschwindigkeit gleich gerichtet, fliesst Energie ins System hinein. Eine negative Leistung beschreibt einen Energieverlust. Die Energie, die zusammen mit dem Drehimpuls gespeichert wird, heisst Rotationsenergie. Sie repräsentiert also den Teil der Systemenergie, der freigesetzt wird, wenn der ganze Drehimpuls ans Bezugssytem abfliesst. Im Falle eines negativen Drehimpulsinhaltes wird die Rotationsenergie freigesetzt, sobald der Mangel durch einen Zustrom von Drehimpuls aufgefüllt wird. Die Rotationsenergie ist immer gleich Drehimpulsinhalt mal halbe Winkelgeschwindigkeit. Im Flüssigkeitsbild sind die wesentlichen Zusammenhänge der Rotationsmechanik direkt erkennbar: die zugeordnete Energie erscheint als potentielle, der drehmechanische Prozess wird zu einem Vorgang im Gravitationsfeld und die Rotationsenergie entspricht der Lageenergie der gespeicherten Flüssigkeit. Sogar die Symmetrie von Drehimpulsüberschuss und -mangel bezüglich der Rotationsenergie geht aus diesem Bild klar hervor: zwischen dem Füllen eines Reservoir und dem Leerpumpen eines Bassin besteht vom Aufwand her gesehen kein Unterschied. Seite 66 Rotationsmechanik !? Lernzielkontrolle Einem Drehimpulsstrom einen Energiestrom zuordnen können. 1.) 2.) Die Antriebswelle eines Motors soll bei einer Drehzahl von 3000 Umdrehungen pro Sekunde eine Leistung von 25 kW übertragen. Wieviel Drehimpuls muss dann durch die Welle fliessen? Ein Riementrieb überträgt eine Leistung von 25 kW . Die beiden Riemenscheiben sind gleich gross und weisen einen Durchmesser von je 40 cm auf. Der Riemen bewegt sich mit 25 m/s und im schwach belastete Teil fliesst ein Impulsstrom mit einer Stärke von 500 N. Wie gross ist die Kraft, die auf eine Schnittfläche des stark belasteten Riementeils wirkt? Wieviel Energie transportiert der Drehimpulsstrom insgesamt? Die bei einem Rotationsprozess umgesetzte Leistung berechnen können 3.) 4.) Ein an einem langen Stahldraht aufgehängter Metallzylinder werde in eine Drehschwingung versetzt. In welcher Schwinungsphase wird im Draht drin am meisten Energie umgesetzt? Wann ist die Prozessleistung gleich Null? Eine Drehfeder (Winkelrichtgrösse 20 Nm) verbindet zwei Schwungräder, die auf einer gemeinsamen Achse frei drehbar gelagert sind. Welche Grössen muss man messen, damit die in der Feder umgesetzte Leistung berechnet werden kann? Wissen, wie die Leistung eines Drehmomentes zu berechnen ist. 5.) 6.) 7.) Die Formel zur Berechnung der Leistung eines Drehmomentes müssen Sie auswendig wissen. Wie lautet Sie? Wann ist die Leistung eines Drehmomentes positiv? Wie ist das Vorzeichen zu interpretieren? Bei einer Kugel, die eine schiefe Ebene hinunterrollt, ist die Haftreibungskraft von einem Drehmoment begleitet. Wie gross ist die Leistung dieses Drehmomentes? Welche Funktion übt diese Leistung im Rahmen der Energiebilanz aus? Die Rotationsenergie eines starren Körpers bestimmen können. 8.) 9.) Auf ein ruhendes Schwungrad (Massentägheitsmoment J) wirke während der Zeit t ein konstantes Drehmoment M ein. Bestimmen Sie aus diesen Angeben rein formal die Rotationsenergie. Eine Eiskunstläuferin halbiert während der Pirouette ihr Massenträgheitsmoment. Um welchen Prozentsatz nimmt dann die Rotationsenergie zu? Dissipationsvorgänge sind keine zu berücksichtigen. Aus einem Schnittbild ein Energiestromdiagramm entwickeln können. 10.) Ein Zylinder rollt auf einer horizontalen Ebene langsam aus. Zeichnen Sie ein korrektes Schnittbild, bestimmen Sie die Leistungen aller Kräfte und Drehmomente und erklären Sie dann, wie die Energie abfliessen kann. 11.) Schneiden Sie das treibende Rad eines Skilifts frei. Bestimmen Sie dann rein formal die Leistungen aller Kräfte und Drehmomente und skizzieren Sie sodann ein Energiestrodiagramm. 12.) Die Oberfläche eines Werkstückes wird mit einem Fräser bearbeitet. Das Werkstück bewegt sich während der Bearbeitung mit einer konstanten Vorschubgeschwindigkeit. Schneiden Sie den Fräser frei und bestimmen Sie formal alle Leistungen. Skizzieren Sie sodann das Energiestromdiagramm. Rotationsmechanik Seite 67 A Übungsaufgaben 1. Ein praktisch reibungsfrei gelagertes Schwungrad (Massenrägheitsmoment 45 kg·m2), das mit 300 Umdrehungen pro Minute rotiert, soll in 10 Sekunden auf eine Drehzahl von 1500 gebracht werden. Wie gross muss das antreibende Drehmoment nach fünf Sekunden sein, wenn die zugehörige Leistung während der ganzen Zeitspanne konstant gehalten wird? 2.) Auf ein Schwungrad (Massenträgheitsmoment 240 kg·m2), das sich anfänglich mit einer Winkelgeschwindigkeit von 50 s-1 dreht, wirkt während zehn Sekunden ein Drehmoment mit dem folgenden Zeitverhalten ein M = M0 + a ⋅ t − b ⋅ t 2 mit M0 = 50 Nm; a = 10 Nm/s; b = 1.5 Nm/s2 . Mit welcher Winkelgeschwindigkeit dreht sich das Rad nach diesen zehn Sekunden? Für die Lagerreibung ist ein konstanter Wert von 20 Nm einzusetzen. Mit welcher Rate wird zwei Sekunden nach Beginn des Vorganges Energie dissipiert Zwei Rotoren sind auf einer gemeinsamen Achse gelagert. Von links her wirkt auf den ersten Rotor während fünf Sekunden ein konstantes Drehmoment von 150 Nm ein. Der erste Rotor weist ein Massenträgheitsmoment von 60 kg·m2 aus. Die Drehträgheit des zweiten sei 90 kg·m2. Zwischen den beiden Rotoren ist eine Rutschkupplung eingefügt, welche maximal 50 Nm zu übertragen vermag. Wieviel Energie wird dem Gesamtsystem zugeführt? Wieviel Energie geht in diesen fünf Sekunden in der Rutschkupplung “verloren”? 4.) Auf das grosse Zahnrad (45 Zähne) eines einfachen Getriebes wirkt ein Drehmoment von 60 Nm ein. Das Zahnrad dreht sich mit 400 Umdrehungen pro Minute in Richtung des Drehmomentes. Auf das kleine Zahnrad (20 Zähne) wirkt ein Drehmoment von 25 Nm ein. Berechnen Sie die Stärken der mechanischen Energieströme. Wieviel Energie geht pro Sekunde im Getriebe “verloren”? Wie gross ist das Drehmoment, mit dem das Getriebegehäuse festgehalten werden muss? 5.) Eine Eiskunstläuferin drehe sich auf der Spitze einer Kufe stehend mit zehn Umdrehungen pro Minute. Nun halbiert Sie durch das Einziehen der Arme und des zweiten Beines ihr Massenträgheitsmoment von 7 kg·m2. Wieviel Energie muss sie dazu aufwenden? 6.) Zwischen zwei Schwungrädern (Massenträgheitsmomente 40 kg·m2 und 25 kg·m2), die reibungsfrei auf einer gemeinsamen Achse gelagert sind, ist eine Drehfeder eingespannt. Wenn man nun das eine Schwungrad festhält und das andere um 180˚ dreht, fliesst ein Drehimpulsstrom von 150 Nm durch die ganze Anordnung hindurch. Wieviel Energie ist in der Feder bei einem Verdre- 25 kgm 2 40 kgm 2 60 kgm 2 90 kgm 2 3.) Seite 68 Rotationsmechanik hungswinkel von 360˚ gespeichert? Die beiden Räder werden solange gegeneinander gedreht, bis die Federenden um 270˚ versetzt sind. Mit welcher maximalen Winkelgeschwindigkeit rotiert das grössere Schwungrad, nachdem beide Körper miteinander losgelassen worden sind? 7.) Ein Schwungrad soll eine Pumpe nach einem eventuellen Stromausfall weiter antreiben. Im Normalbetrieb drehen sich der Elektromotor und die Pumpe mit 3000 Umdrehungen pro Minute. Der Elektromotor muss dabei mit einem Drehmoment von 18 Nm auf die Pumpe einwirken. Nach dreissig Sekunden Stromunterbruch soll die Pumpe immer noch mit mindestens 2200 Umdrehungen pro Minute rotieren. In einem Vorversuch hat man gemessen, dass das Wasser bei dieser Drehzahl mit einem Drehmoment von 14 Nm auf das Pumpenrad einwirkt. Wie strark ist der Energiestrom, der bei Normalbetrieb von der Achse her in die Pumpe hineinfliesst? Wie dick muss das zylinderförmige Schwungrad (Dichte 7300 kgm2) gefertigt werden, wenn dessen Umfangsgeschwindigkeit nicht grösser als 50 m/s werden soll? 8.) Eine rotierende Kugel (Radius 15 cm, Masse 10 kg), die sich mit 600 Umdrehungen po Minute dreht, wird auf den Boden abgesetzt. Nach einiger Zeit rollt sie ohne zu rutschen. Wieviel Drehimpuls hat sie an die Erde abgegeben? Wieviel Impuls hat sie mit der Erde ausgetauscht? Wieviel Energie ist dabei mechanisch verlorengegangen”? 9.) Eine Metallkugel (Radius 10 cm, Masse 30 kg) wird auf eine schief abfallende Ebene (Neigungswinkel 30˚) abgesetzt. Sie beginnt dann, ohne zu rutschen die Ebene hinunterzurollen. Mit welcher Winkelgeschwindigkeit dreht sie sich nach einem Meter Rollstrecke? 10.) Leiten Sie eine allgemeine Formel her, die bei einem auf der schiefen Ebene rollenden Körper die Winkelgeschwindigkeit durch die zurückgelegte Rollstrecke ausdrückt. Vergleichen Sie diese Formel mit der entsprechenden Beziehung für den reibungsfrei gleitenden Körper. Führen Sie dann eine dimensionslose Konstante ein, mit der Sie den rollenden auf den gleitenden Körper reduzieren können. 11.) Auf der Scheitellinie eines zylinderförmigen Daches (Radius 8 m) lässt man einen Zylinder (Masse 10 kg, Radius 8 cm) los. Daraufhin rollt der Körper längs einer kreisförmigen Bahn hinunter. Wie hängt die Mittelpunktsgeschwindigkeit des rollenden Körpers mit seiner Winkelgeschwindigkeit zusammen? Leiten Sie die Formel mit Hilfe einer Zeichnung her. Der Haftreibungskoeffizient für die Wechselwirkung zwischen Dach und Rollkörper betrage 0.5. Wie weit rollt der fragliche Körper auf dem Dach hinunter, bis er ins Rutschen kommt? 12.) Eine rotierender Zylinder (Masse 15 kg, Durchmesser 12 cm) wird mit einer Drehzahl von 1500 Umdrehungen pro Minute auf eine schiefe Ebene (Neigungswinkel 25˚) abgesetzt. Der Zylinder rotiert so, dass sich die Walze aufwärts in Bewegung setzt. Für den Gleitreibungskoeffizienten zwischen Ebene und Walze darf ein konstanter Wert von 0.4 angenommen werden. Wie lange dauert es, bis der Zylinder ohne zu rutschen rollt? Wieviel Energie ist dann dissipiert worden? 13.) Ein Motorrad (Masse mit Fahrer 220 kg) fährt mit 108 km/h über ein horizontales, gerades Strassenstück. Der Motor gibt eine Leistung von 9 kW ab und die Luft wirkt mit einer resultierenden Kraft von 250 N auf das Gefährt ein. Rotationsmechanik Seite 69 Mit welcher Kraft und mit welchem Drehmoment wirkt die Strasse auf das hintere Rad (eine Scheibe mit 60 cm Durchmesser und 15 kg Masse) ein, wenn beide Räder mit der gleichen Normalkraft belastet sind und gleichviel Energie in der Abrollzone dissipieren? Wieviel Bewegungsenergie speichert das Motorrad zusammen mit dem Fahrer? Das vordere Rad unterscheide sich nicht wesentlich vom hinteren. 14.) Bei einem Flachriementrieb weise die treibende Riemenscheibe einen Durchmesser von 30 cm auf und dreh sich mit 1800 Umdrehungen pro Minute. Der Durchmesser der getriebenen Scheibe sei drei Mal grösser. Im unbelasteten Zustand sind die beide freien Riementeile mit 800 N vorgespannt. Welche Leistung fliesst netto durch dieses Gerät hindurch, wenn die Spannkraft bei gleichbleibender Drehzahl im einen Teil auf 550 N sinkt und im andern auf 1050 N anwächst? Wie gross sind dann die Drehmomente, mit denen die beiden Achsen auf die zugehörigen Riemenscheiben einwirken? Wie sind die beiden Drehmomente gerichtet? 15.) Zwei übereinander montierte Walzen mit horizontal ausgerichteten Achsen berühren sich längs einer Mantellinie. Die grössere Walze (Radius 0.5 m, Massenträgheitsmoment 30 kg·m2) dreht sich anfänglich mit 900 Umdrehungen pro Minute. Auf die kleinere Walze (Radius 0.25, Massenträgheitsmoment 10 kg·m2), welche gegenläufig mitrotiert, wirkt ein konstantes Bremsdrehmoment von 10 Nm ein. Die Haftung zwischen den Walzen sei so gross, dass diese während des ganzen Bremsvorganges nie zu rutschen anfangen. Wie lange dauert es, bis beide Walzen stillstehen? 16.) Ein reibungsfrei gelagerter Zylinder mit vertikaler Achse (Masse 50 kg, Radius 15 cm) dreht sich mit 300 U/min. Nun drückt man eine zweite, ruhende Walze (Radius 30 cm, Masse 200 kg) so gegen die erste, dass sich beide Körper auf einer Matellinie berühren. Dadurch tritt eine intensive Gleitreibung auf. Wieviel Energie geht mechanisch verloren, bis die Walzen schlupffrei aufeinander abrollen? Um wieviel hat sich dann der Gesamtdrehimpuls der beiden Körper geändert? 17.) Leiten Sie auf zwei Arten die Formel für das Massenträgheitsmoment eines dickwandigen Hohlzylinders her. Das erste Mal berechnen Sie den Ausdruck direkt mit Hilfe der Basisformel (3.6). Bei der zweiten Herleitung verwenden Sie das Massenträgheitsmoment eines Vollzylinders als Grundlage. Die Schlussformel soll die Masse und der beiden Durchmesser enthalten. 18.) Die Schnur eines grossen Jojos (Masse 2 kg, Massenträgheitsmoment 0.004 kg·m2) wird an einem horizontal ausgerichteten Stab festgebunden. Der Wickelradius beträgt 1.5 cm. Nach dem Loslassen warten wir, bis das Jojo 1.5 m „hinuntergefallen“ ist. Mit welcher Winkelgeschwindigkeit rotiert es dann? Die Reibungen ist nicht zu berücksichtigen. Mit welcher Rate ändert es in diesem Moment die Bewegungsenergie? Wie gross ist dann die Leistung der Gewichtskraft? Seite 70 Rotationsmechanik 4. Der Bahndrehimpuls Drehimpuls wird in jedem rotierenden System gespeichert. Trotz des offensichtlichen Zusammenhangs von beobachtbarer Bewegung und gespeicherter Menge ist der Drehimpuls selber nicht lokalisierbar. Wohl lässt sich jedem rotierenden Körper ein bestimmter Drehimpuls zuschreiben, doch kann nicht gesagt werden, wie dieser Drehimpuls über das rotierende System verteilt ist. Eine entsprechende Dichtefunktion lässt sich höchstens bei rotationssysmmetrischen Körpern angeben. Ähnliches ist zum Drehimpulsaustausch zu sagen. Das Drehmoment, das als Drehimpulsstromstärke bezüglich eines Körpers definiert ist, lässt sich weder direkt messen, noch aus einer Stromdichteverteilung heraus berechnen. Das Drehmoment ist nur indirekt über die begleitenden Impulsströme messbar: ein starrer Körper tauscht mit der Umgebung Drehimpuls aus, sobald in seinem Innern Impulsströme quer zur Definitionsrichtung fliessen. Formel (2.1) beschreibt diesen Zusammenhang mathematisch exakt. Die nur bedingten Lokalisierbarkeit von Inhalt und Strom schmälert die Bedeutung des Drehimpulses in keiner Weise. Für die Mechanik des starren Körpers ist der Drehimpuls genau so wichtig wie der Impuls; ohne Drehimpulsbilanz lässt sich die Drehbewegung eines realen Körpers nicht beschreiben. Dieser Behauptung könnte mit dem Hinweis auf den Energiesatz widersprochen werden. Es gibt effektiv eine Gruppe von Aufgaben, die direkt mit Hilfe einer korrekt aufgestellten Energiebilanz gelöst werden können. Viele Physikkurse beschränken sich denn auch auf die rein energetische Betrachtungsweise. Leider verbauen sie damit den Studierenden die Sicht auf die Grundgesetze. Die Bedeutung dieser beiden Gesetze, der Impulsbilanz (die Summe über alle Kräfte ist gleich der Aenderungsrate des Impulsinhaltes) und der davon unabhängig zu formulierende Drehimpulsbilanz (die Summe über alle Drehmomente ist gleich der Aenderungsrate des Drehimpulses), wird denn auch meistens unterschätzt. Die Lehrbücher, die den Drehimpuls als eigenständige Grösse thematisieren, führen ihn meistens als reine Rechengrösse ein, die vorerst nichts mit einer Menge zu tun hat. Dieser sogenannte Bahndrehimpuls wird wie folgt berechnet: zuerst wählt man einen festen Bezugspunkt im Raum aus; dann schreibt man jedem materiellen Punkt eine momentane Bewegungslinie zu (diese Linie ist wie die Wirklinie eine Hilfsgerade im Raum, die durch den bewegten Massenpunkt hindurchführt und in Richtung seiner Geschwindigkeit zeigt); das Produkt aus dem Impuls und dem Abstand der Bewegungslinie vom Bezugspunkt ergibt dann den gesuchten Bahndrehimpuls. In diesem Kapitel wollen wir eine ähnliche Umschreibung des Drehimpulses vornehmen. Dabei beziehen wir den Drehimpuls eines materiellen Punktes aber nicht auf einen beliebigen Ort sondern auf das Trägheitszentrum aller beteiligten Körper. Die Gesamtmenge an Drehimpuls wird durch diese Zuordnung eindeutig festgelegt, die Eigenständigkeit des Drehimpulses bleibt gewähleistet und sein Absolutwert hängt nicht von der Wahl eines frei zu definierenden Punktes ab. Der erweiterte Drehimpulsbegriff erlaubt uns, das Verhalten von komplexeren Systemen zu diskutieren. Nebenbei werden wir noch eine Methode kennenlernen, mit der das Massenträgheitsmoment eines zusammengesetzten Objektes berechnet wird. Auch der Unterschied zwischen Rotations- und kinetischer Energie tritt mit Hilfe des geometrisch differenzierten Drehimpulsbegriffes deutlicher hervor. Die Einzelteile eines rotierenden Körpers speichern Impuls und damit verbunden kinetische Energie. Fasst man alle Teile zu einem Ganzen zusammen, wird der Teil der Energie, der mit dem Drehimpuls zusammenhängt zur Rotationsenergie. Nur der Rest, der durch den Gesamtimpuls und durch die Masse ausgedrückt werden kann, heisst weiterhin kinetisch. Rotationsmechanik Seite 71 ! Lernziele Den Bahndrehimpuls eines Teilkörpers berechnen können. Bei Systemen mit mehreren Rotationsfreiheistgraden den Drehimpulsinhalt bestimmen können. Das Massenträgheitsmoment eines Systems, das aus geometrisch einfachen Körpern zusammengesetzt ist, berechnen können. Wissen, wie die Bewegungsenergie eines starren Körpers zu berechnen ist. 4.1 Der Drehimpuls im Niemandsland Bisher haben wir den Drehimpuls dem rotierenden Körper selber zuge- Drehimpuls ist schlecht lokalischrieben. Die direkt messbare Winkelgeschwindigkeit und das dem sierbar Körper zugeschriebene Massenträgheitsmoment lieferten bei allen zu untersuchenden Problemen den richtigen Drehimpulsinhalt. Es bestand also keine Veranlassung, weiter nachzufragen, wo genau der Drehimpuls steckt. Dieser Frage wollen wir nun nachgehen. Leider kann der Drehimpuls nicht im gleichen Masse lokalisiert werden wie der Impuls. Aschenbrödelhaft entzieht er sich dem Betrachter, sobald dieser wissen will, wo genau er gespeichert ist. Betrachten wir dazu ein kleines Beispiel. x y 10 m Auf einem riesigen Stahlteller (Masse 49.2 Tonnen) seien zwei Kanonen (Masse je 400 kg) montiert, die je fünf Meter vom Zentrum entfernt parallel ausgerichtet sind. Die Stahlplatte selber werde von einem Luftkissen in der Schwebe gehalten. Feuern beide Kanonen gleichzeitig eine Kugel von 5 kg mit einer Geschwindigkeit von 800 m/s ab, bewegt sich die Stahlplatte mit 0.16 m/s in die entgegengesetzte Richtung. Doch was passiert, wenn nur eine Kanone schiesst? Fig. 4. - 1: Feuern beide Kanonen gleichzeitig eine Kugel ab, erleidet die reibungsfrei gelagerte Trägerplatte einen Rückstoss. Der Impuls, der nach den Schüssen in den Kugeln steckt und als Mangel der Platte fehlt, ist von den Kanonen unter der Wirkung der Explosion getrennt worden. Während der Schussabgabe wird durch das expandierende Gas Impuls Kanonenkugeln transportieren von der Platte in die Kugel gepumpt. Die Platte enthält nachher einen Drehimpuls Impulsmangel von 4’000 Ns. Sie bewegt sich folglich mit 8 cm/s in die negative Richtung. Weil der Impuls bei der Trennung im Mittel um fünf Seite 72 Rotationsmechanik Meter seitwärts fliesst, wird die Platte auch noch in Rotation versetzt, d.h. die Platte verliert bei der Schussabgabe neben dem Impuls auch noch Drehimpuls. Falls wir dem Uhrzeigersinn das positive Vorzeichen zuordnen und die linke Kanone in Aktion getreten ist, weist der Stahlteller nach dem Schuss einen Drehimpulsmangel von 20’000 Nms auf. Dieser Wert berechnet sich aus dem abgegebenen Impuls und der Strekke, um die dieser Impuls in der Platte drin seitwärts geflossen ist. Aus der Drehimpulserhaltung folgt nun, dass die Kugel die entgegengesetzt gleiche Menge mitgenommen haben muss. Der Drehimpuls begleitet die Kugel Der Schuss vom Teller ist eng mit der Dynamik der im Kapitel 2 behandelten Fadenspule verwandt. Bei der damaligen Diskussion haben wir dem Impulsstrom einen Drehimpulstransport zugeschrieben. Mit dieser Zuordnung konnte die an der Fadenspule zu beobachtende Veränderung erklärt werden. Im vorliegenden Beispiel verliert der Teller sowohl Impuls als auch Drehimpuls. Beide Grössen bleiben nur erhalten, falls wir der Kugel neben dem Impuls auch noch die richtige Menge Drehimpuls zuschreiben. Vorderhand können keine weiteren Angaben darüber gemacht werden, wo der Drehimpuls nach der Schussabgabe zu lokalisieren ist. Seien wir deshalb vorsichtig und sagen bloss, dass die Kugel von einem zugehörigen Drehimpuls begleitet wird. 4.2 Der begleitende Drehimpuls Drehimpuls gleich Impuls mal Abstand Die vom Teller wegfliegende Kugel nimmt eine ganz bestimmte Menge Drehimpuls mit. Dieser Drall kann, wie schon erwähnt, aus der Geometrie des Impulsstromes berechnet werden: weil der vom Teller in die Kugel beförderte Impuls vom Scheibenmittelpunkt bis zur Bahn der wegfliegenden Kugel geflossen ist, muss der abgegangene Drehimpuls gleich dem Produkt aus dieser Strecke und dem Kugelimpuls sein. Trifft nun das Geschoss auf einen zweiten Teller, der genau gegenüber liegt und mit einem Fänger versehen ist, gibt es sowohl Impuls als auch Drehimpuls an diesen weiter. Nachher rotieren beide Teller mit entgegengesetzt gleicher Drehzahl gegeneinander Fig. 4. - 2: Schiesst nur die linke Kanone eine Kugel ab, wird sowohl Impuls als auch Drehimpuls von einem Teller auf den andern übertragen. x y der dritte Speicher Richtig interessant wird die Geschichte jedoch erst, wenn der zweite Teller zehn Meter seitwärts versetzt zur Bahn der Kugel aufgestellt wird. Das Geschoss schlägt dann in den übers Kreuz plazierten Fänger ein und versetzt den zugehörigen Teller in eine zum ersten gleichsinnige Rotation. Damit stehen wir vor der paradoxen Situation, dass durch die Schussabgabe zwei Körper Drehimpuls verloren haben, ohne dass ein- Rotationsmechanik Seite 73 ein drittes Objekt auffindbar ist, das diese mengenartige Grösse hätte aufnehmen können. Die mögliche Existenz eines dritten Drehimpulsspeichers zwingen uns, den Drall auch ausserhalb eines materiellen Körpers zu vermuten. Fig. 4. - 3: Trifft die Kugel auf den gegenüberliegenden Kugelfänger auf, weisen beide Teller nach dem Schuss entweder einen Ueberschuss oder einen Mangel an Drehimpuls auf. x y Nach dem Schuss weisen beide Plattformen bei entgegengesetztem Im- Drehimpuls kann von zwei pulsinhalt einen Mangel an Drehimpuls auf. Die Bewegung der Teller Körpern gemeinsam gespeiunterscheidet sich aber noch in einem zweiten Punkt von der vorherge- chert werden henden Situation: die Scheibenmitten laufen auf zwei getrennten Bahnen auseinander. Der fehlende Drehimpuls kann folglich nur in dieser symmetrischen Translation drin stecken. Wir postulieren deshalb einen weiteren Drehimpulsspeicher, der von beiden Tellern gemeinsam gebildet wird. Dieser Überspeicher muss, damit der Drehimpuls erhalten bleibt, insgesamt 40’000 Nms enthalten. Multipliziert man den Impuls der einen Plattform mit dem Abstand der zugehörigen Bewegungslinie vom gemeinsamen Massenmittelpunkt, erhält man genau 20’000 Nms. Für beide Teller zusammen ergibt dies gerade den geforderten Betrag von 40’000 Nms. Weil sich die Verbindungslinie der beiden Tellermitten im Uhrzeigersinn dreht, ist das zugehörige Vorzeichen positiv. Damit ist gezeigt, dass der dritte Speicher, der durch die Massenmitten der beiden Teller gebildet wird, den überschüssigen Drehimpuls enthält. Fassen wir die ganze Argumentation nochmals zusammen. Nach der Drehimpuls ist eindeutig zuortSchussabgabe wird der Drehimpuls von der Kugel mitgenommen und bar dann entweder von der zweiten Platte gespeichert oder auf die Schwerpunktsbewegung der beiden Teller aufgeteilt. Diese wahlweise Zuordnung auf verschiedene Systeme ist mit einer gewissen Willkür behaftet. Richtig konsistent wird das Schema erst, wenn wir von Anfang an das Ganze im Auge behalten. Bei der parallelen Anordnung fliegt die Kugel fünf Meter zum Gesamtmassenmittelpunkt versetzt von einem Teller zum andern. Dieser Kugel darf während der Flugphase der fehlende Drehimpuls zugeschrieben werden. Im zweiten Beispiel fliegt die Kugel über den Gesamtmassenmittelpunkt hinweg. Dafür verläuft die Bewegungslinie der ersten Scheibenachse am Zentrum des Gesamtsystems Seite 74 Rotationsmechanik vorbei. Deshalb ist der fehlene Drehimpuls nicht der Kugel sondern der Translationsbewegung der Plattform zuzuordnen. Prallt die Kugel dann gegen den Fänger, trennt sie im zweiten Teller nochmals die gleiche Menge Drehimpuls auf. Dieser Drehimpuls wird einerseits in der Drehbewegung der Plattform andererseits in der zugehörigen Schwerpunktsbewegung gespeichert. der Drehimpuls eines Punkthaufens Fig. 4. - 4: Jeder Körper kann einen Beitrag zum Drehimpuls des Gesamtsystems leisten. Der entsprechende Wert ist gleich dem Produkt aus Impuls und Abstand der Bewegungslinie vom Gesamtmassenmittelpunkt. Nach diesen Analysen sind wir in der Lage, den Drehimpuls eindeutig einem Objekt zuzuweisen. Zuerst bestimmen wir die momentane Lage des Gesamtmassenmittelpunktes. Dann wenden wir uns den einzelnen Teilen zu. Bewegt sich nun ein Teilkörper nicht direkt auf den MMP des Systems zu oder von diesem weg, hilft er, Drehimpuls zu speichern. Der zugehörige Wert, den wir Bahndrehimpuls des Körpers nennen, ist gleich dem Produkt aus dem Impuls und dem Abstand der Bewegungslinie vom Trägheitszentrum. p4 p1 s1 p2 s4 s2 L = ∑ pi ⋅ si i + MMP s3 p3 ? Kontrollfragen 1.) 2.) 3.) 4.) 5.) Wir vergleichen zwei Situationen miteinander: einmal steht die Kanone bei der Schussabgabe in der Mitte der Plattform, ein andermal an deren Rand. Im zweiten Fall wird der Unterlage auch noch Drehimpuls entzogen. Hat dies einen Einfluss auf die Impulsbilanz? Eine Kugel fliegt von einer Plattform weg. Wie bestimmt man den Drehimpuls, den das Geschoss mitnimmt? Wie berechnet sich der Drehimpuls eines Planeten im Sonnensystem? Ein Komet falle auf einer extrem elliptischen Bahn um die Sonne. Was passiert bei dieser Bewegung mit dem Drehimpuls? Hat die unterschiedlich grosse Distanz zum Zentralkörper und damit zum MMP des Gesamtsystems einen Einfluss auf den gespeicherten Bahndrehimpuls? Der Mond bremst die Rotation Erde über das Gravitationsfeld andauernd ab. Umgekehrt hat die Erde den Mond soweit gebracht, dass er uns bis auf eine kleine Nickbewegung immer die gleiche Seite zuwendet. Durch diese Gezeitenreibung ist Energie dissipiert und Drehimpuls freigesetzt worden. Wo ist der überschüssige Drehimpuls hingegangen? Rotationsmechanik Seite 75 4.3 Zusammengesetzte Körper Eine Hantel, bestehend aus einem Verbindungsstab (Masse mS, Länge l) die Hantel als Drehimpulsspeiund zwei gleichen Kugeln (Masse m, Radius r), rotiert mit der Winkel- cher geschwindigkeit ω um eine Achse, die normal zum Stab durch den MMP verläuft. Wieviel Drehimpuls speichert die Hantel und wie gross ist das zugehörige Massenträgheitsmoment? Wir könnten das Problem mit der direkten Methode lösen. Dazu zerlegen wir die ganze Hantel gedanklich in lauter sehr kleine Stücke, ordnen jedem Einzelkörper gemäss der oben angestellten Überlegung die richtige Menge Drehimpuls zu und berechnen dann die Gesamtmenge als Summe über alle Beiträge. Obwohl dieser Weg rein formal gesehen die richtige Lösung liefert, verzichte ich auf eine weitere Diskussion und wähle einen mehr intuitiven Zugang. Den Verlust an Präzision hoffe ich mit einem Gewinn an Einsicht zu kompensieren. + 2·r s Bei der rotierenden Hantel speichern alle drei Körper Drehimpuls. Zu- das Trägheitsmoment der Handem laufen die beiden Kugelmitten auf einer Kreisbahn um den Ge- tel samtmassenmittelpunkt. Der Kreisbewegung der beiden Kugelmitten ist nun noch je ein Drehimpuls zuzuordnen. Die Hantel besteht also aus fünf Einzelspeichern, die alle mit der gleichen Winkelgeschwindigkeit rotieren. Drei der fünf Speicherinhalte nennt man Eigendrehimpuls, die beiden andern Bahndrehimpuls. Werden nun alle fünf Anteile zusammengezählt und so umgeformt, dass die Winkelgeschwindigkeit ausgeklammert werden kann, gewinnt man eine Formel, mit der das Massenträgheitsmoment der Hantel berechnet werden kann. L = (J Stab + 2 ⋅ J Kugel ) ⋅ ω + 2⋅ mKugel ⋅ v Kugel ⋅s = { J Stab + 2⋅ (J Kugel + mKugel ⋅ s 2 ) }⋅ ω J Hantel = J Stab + 2⋅ (JKugel + mKugel ⋅ s2 ) Fig. 4. - 5: Zur Berechnung des Trägheitsmomentes einer Hantel zählen wir alle Eigen- und Bahndrehimpulse zusammen und klammern dann die Winkelgeschwindigkeit aus. Was für die Hantel gilt, muss auch auf alle andern Objekte zutreffen: das Massenträgheitsmoment kann ein starrer Körper in lauter geometrisch einfache Formen zerlegt eines starren Körpers werden, darf jedem dieser Teilsysteme ein Eigen- und ein Bahndrehimpuls zugeordnet werden. Weil die Teile zudem starr miteinander verbunden sind und die Winkelgeschwindigkeit damit zu einer Systemkonstanten wird, darf diese ausgeklammert werden. Übrig bleibt ein Ausdruck, der für jeden Teilkörper zwei Terme enthält: der erste besteht aus dem zugehörigen Massenträgheitsmoment; der zweite ist gleich der Masse mal das Quadrat des Massenmittelpunktsabstandes J = ∑ ( Ji + mi ⋅ si2 ) i (4.1) Seite 76 Rotationsmechanik Beispiel 16: Eine mit vier Bohrungen (Durchmesser d) versehene Scheibe (Masse m, Radius R) rotiere um die Symmetrieachse. Die Mittelpunkte der einzelnen Löcher liegen auf einem gemeinsamen Kreis, dessen Radius gleich gross ist wie der Durchmesser d und halb so gross wie der Scheibenradius R. Man berechne das Massenträgheitsmoment.. Lösung 16: Die Lochquerschnitte decken einen Viertel der Gesamtfläche ab. Deshalb ist die Masse der ungebohrten Scheibe um einen Drittel grösser gewesen. Zur Berechnung des gesuchten Wertes setzen wir die korrigierte Masse in Formel (4.1) ein und behandeln die Bohrungen als Körper mit negativer Masse J= Mehrfachspeicher 1 m R 2 m R 2 55 4 m ⋅ R2 ⋅ − 4⋅ ⋅ ⋅ + ⋅ = ⋅ m ⋅ R2 3 2 12 2 96 2 12 4 Ein starrer Körper weist überall die gleiche Winkelgeschwindigkeit auf; er bildet einen einzigen Drehimpulsspeicher mit einem nach (4.1) zu berechnenden Trägheitsmoment. Neben diesen relativ einfachen Objekten findet man bei vielen Maschinen Bauteile, die aus mehreren, über Gelenke oder Achsen miteinander verbundenen Elementen zusammengesetzt sind. Auf diese Baugruppen wollen wir nun unsere Überlegungen ausdehnen. Das Gesamtsystem soll sich weiterhin nur in der Ebene bewegen können und frei sein, d.h. der Gesamtmassenmittelpunkt bildet weiterhin das natürliche Drehzentrum. Körper, die über eine Achse starr mit der Erde verbunden sind, werden weiter unten diskutiert. Beispiel 17: Ein um die Erde fallender Satellit bestehe aus einem langen Stab (Masse 10 kg, Lange 2 m und einer Scheibe (Masse 30 kg und Radius 50 cm). Durch die Scheibenmitte geht eine starre Achse, die mit dem Stab verbunden ist und diesen im Verhältnis 1 : 3 teilt. Zudem können beide Teile mit Hilfe eines Motors in gegenseitige Rotation versetzt und über eine Bremsvorrichtung wieder gestoppt werden. Der Motor “erzeugt” ein konstantes Drehmoment von 0.2 Nm und die Bremse wirkt mit 0.4 Nm. Der anfänglich nicht rotierende Stab muss nun um den Winkel 3π gedreht werden. Man berechne die kürzest mögliche Drehzeit. Lösung 17: 50 cm 2m Der Satellit besteht aus zwei getrennten Drehimpulskapazitäten. Der eine Speicher wird vom Massenträgheitsmoment der Scheibe gebildet. Der andere setzt sich aus mehreren Teilen zusammen. Die verschiedenen Beiträge zum zweiten Massenträgheitsmoment lassen sich aus der Analyse des Bewegungsablaufes gewinnen. In der ersten Phase pumpt der Motor Drehimpuls durch die Achse hindurch, wodurch Stab und Rad in eine gegensinnige Rotation versetzt werden. Die Mittelpunkte der beiden Körper wandern dann um den gemeinesamen Schwerpunkt herum. Weil diese Bewegung starr an die Rotation des Stabes gekoppelt ist, dürfen die beiden Bahndrehimpulse und der Eigendrehimpuls des Stabes als zusammengehörend betrachtet werden. Ersetzt man die Bahngeschwindigkeit der beiden Teilmassenmittelpunkte durch das Produkt aus Winkelgeschwindigkeit und Bahnradius, lässt sich die Winkelgeschwindigkeit ausklammern. Der verbleibende Rest bildet dann das totale Trägheitsmoment J2 = JStab + mStab ⋅ s12 + mScheibe ⋅ s22 = 5.208 kgm 2 Für die Distanzen zum gemeinsamen Massenmittelpunkt sind die Werte 37.5 cm und 12.5 cm eingesetzt worden. Rotationsmechanik Seite 77 Der Motor kann mit einer Rate von 0.2 Nm Drehimpuls von der Scheibe in den Stab hineinpumpen. Folglich beträgt die Winkelbeω schleunigung 0.0384 s-2. Beim Bremsen fliesst der Drehimpuls mit doppelter Stromstärke wieder ab. Die zweite Winkelbeschleunigung wird deshalb gegenüber der ersten betragsmässig verdoppelt. Nach diesen Überlegeungen kann die Lösung direkt aus dem Winkelgeschwindigkeits-Zeit-Diagramm herausgelesen. Da in der 3·π ersten Phase die Winkelbeschleunigung halb so gross ist wie während des Bremsvorganges, muss in dieser Zeit zwei Drittel der Dret hung vollzogen werden. Die Fläche des zugehörigen Teildreiecks im Winkelgeschwindigkeits-Zeit-Diagramm beträgt also zwei Pi. Zusammen mit der vorher bestimmten Winkelbeschleunigung ergibt dies eine Zeitspanne von 18.09 s. Das ganze Manöver dauert mindestens 50% länger als das Anfahren, also 27.14 s. Überall auf der Welt fliesst Drehimpuls von System zu System und er- frei fallende Systeme sind möglicht damit erst die vielen Rotationsbewegungen. Doch den wenig- drehimpulsisoliert sten Menschen fällt auf, dass bei diesen Prozessen eine Erhaltungsgrösse im Spiel ist. Allzuoft bildet die Erde den einen Speicher und dominiert mit ihrem unvorstellbar grossen Trägheitsmoment das Geschehen. Trotzdem müssen wir nicht unbedingt ein Beispiel aus der Raumfahrt beiziehen, um die Erde als Störfaktor auszuschalten. Bei allen frei fallenden Systemen kann die Erde nur über das Gravitationsfeld Einfluss nehmen und solange dieses Feld praktisch homogen ist, fliesst kein Drehimpuls hindurch. Nahezu frei fallende Systeme findet man beispielsweise beim Motocross. Solange ein Motorrad durch die Luft fliegt, hat es keine Möglichkeit mit der Erde Drehimpuls auszutauschen. Ein Motorradfahrer kann während des Sprungs nach einer Bodenwelle weder Drehimpuls aufnehmen noch abgeben. Trotzdem muss er die Lage seines Töffs korrigieren können, sonst droht eine harte Landung. Beispiel 18: Wie kann ein Motorrad, das bei einem Motocrossrennen durch die Luft fliegt, in seiner Lage beeinflusst werden? Solche Korrekturen sind notwendig, damit das Gerät bei der Landung richtig aufsetzt. Lösung 18: Das Motorrad besteht aus drei unabhängigen Drehimpulsspeichern. Zwei werden von den beiden Rädern gebildet, das dritte und grösste vom Rest. Zur Berechnung des Hauptmassenträgheitsmomentes müssen die Massen der Räder mitberücksichtigt werden, da die beiden Achsen die Bewegung des Motorrades mitmachen und somit Bahndrehimpuls speichern. Während des Fluges kann nun der Fahrer mit Hilfe von Motor und Bermse kleinere Mengen Drehimpuls zwischen Hinterrad und Maschine austauschen und so die Lage der Maschine korrigieren. ? Kontrollfragen 6.) 7.) 8.) Jedes Teilsystem trägt in der Regel zweimal zum Massenträgheitsmoment eines starren Körpers bei. Wie kann man sich diese beiden Drehimpulsspeicher vorstellen? Wann trägt ein Teilsystem nur einen Term bei? Ein System bestehe aus zwei Stäben, die an einem Ende über eine Achse frei drehbar miteinander verbunden sind. Aus wievielen Drehimpulsspeichern ist das ganze System zusammengesetzt? Wie gross sind ihre Massenträgheitsmomente? Seite 78 Rotationsmechanik 4.4 Bewegungsenergie der Drehimpuls einer Hantel Die Hantel, die wir schon im letzten Abschnitt betrachtet haben, drehe sich mit einer vorgegebenen Winkelgeschwindigkeit um ihr Trägheitszentrum. Ihr Drehimpuls, der diese Bewegung erst ermöglicht, setzt sich aus dem Inhalt der Kugeln und des Stabes, sowie aus dem Bahndrehimpuls der beiden Kugelmitten zusammen. Ersetzt man die Werte der beiden Bahndrehimpulse durch Bahnradius mal Impuls, schreibt für den Impuls Masse mal Geschwindikgeit hin und drückt die Geschwindigkeit dann durch Winkelgeschwindigkeit mal Radius aus, erhält man für jede Bahn eine Art Massenträgheitsmoment mal Winkelgeschwindigkeit. Diese Drehträgheit, die gleich dem Radius im Quadrat mal die Masse ist, darf mit den eigentlichen Massenträgheitsmomenten zu einem Ganzen zusammengefasst werden. Formel (4.1) folgt also aus der Additivität der einzelnen Drehimulsbeiträge. Diese Formel kann unabhängig von einer Drehimpulsbetrachtung als Bildungsregel für Trägheitsmomente zusammengesetzter Körper angesehen werden. Soweit die Theorie des letzten Abschnittes. die Energie einer Hantel Eine rotierende Hantel speichert ausser Drehimpuls auch noch Energie. Wir denken uns diese Energie bei der Hantel ebenfalls aus fünf Beiträgen zusammengesetzt: drei Energiespeicher werden vom Stab und den beiden Kugeln infolge ihrer Rotation gebildet, zwei Zusatzterme tragen die beiden Kugeln dank ihrer Translationsbewegung bei. Setzen wir nun für die ersten drei Speicher die Formel für die Rotations- und für die beiden letzten diejenige der kinetischen Energie ein, schreiben dann für die Bahngeschwindigkeit das Produkt aus Bahnradius und Winkelgeschwindigkeit hin und fassen alle körperspezifischen Terme zusammen, erhalten wir einen Ausdruck, der nur noch eine reine Rotationsenergie beschreibt W = Wrot , Stab + 2 ⋅ Wrot , Kugel + 2 ⋅ Wkin, Kugel 1 1 ⋅ ( JStab + 2 ⋅ J Kugel ) ⋅ ω 2 + ⋅ 2 ⋅ mKugel ⋅ v 2 2 2 1 1 = ⋅ ( JStab + 2 ⋅ J Kugel + 2 ⋅ mKugel ⋅ s 2 ) = ⋅ J Hantel ⋅ ω 2 2 2 = Energieformen sind Austauschformen (4.2) Mit der Formel (4.2) ist es uns offenbar gelungen, durch eine rein algebraische Termumformung translatorische Energie in rotatorische zu verwandeln! Aber kann man mit blosser Algebra Energie umformen? Dazu drei Anmerkungen. Zuerst sei daran erinnert, dass Energie als physikalische Grösse nicht a priori in Formen eingeteilt werden darf. Der umgangssprachliche Gebrauch des Wortes Energie suggeriert zwar eine Vielfalt von Formen. Deshalb stellen wir uns die Energie als Grösse vor, die sich chamäleonartig den Gegebenheiten anpasst und durch die verschiedenen Prozesse, an denen sie beteiligt ist, langsam entwertet wird. In der Physik ist die Energie jedoch nur eine eigenschaftslose Menge, der innerhalb einer bestimmten Theorie eine besondere Funktion zukommt. Zudem hat Albert Einstein vor fast hundert Jahren nachgewiesen, dass Energie schwer und träge ist, dass mit Energie eigentlich Rotationsmechanik Seite 79 immer die Masse gemeint ist (die beiden Grössen unterscheiden sich in ihren Einheiten, weil wir Länge und Zeitspanne verschieden messen). Die Energie darf also genausowenig in Formen eingeteilt werden wie die Masse oder der Drehimpuls. Einzig bei einem Austausch kann sie je nach Prozess verschieden bezeichnet werden. Die Austauschform ergibt sich aber nicht aus einer inhärenten Eigenschaft der Energie selber, sondern aus der zweiten Grösse, die zusätzlich mittransportiert wird. Deshalb nennen wir die mittransportierte Energie zugeordnet und bezeichnen die zweite Menge manchmal etwas salopp als Energieträger. Die zweite Bemerkung betrifft die in einem System gespeicherte Ener- gespeicherte Energie darf nicht gie. Aus Konsistenzgründen darf diese nicht in Formen eingeteilt, also in Formen eingeteilt werden nicht den einzelnen Trägern zugeordnet werden. Zur Begründung dieser Forderung ziehen wir die Prozesse am idealen Gas bei. Das System ideales Gas kann einen Teil seiner Energie entweder zusammen mit der Entropie als Wärme oder über einen Impulsaustausch als Arbeit abgeArbeit ben. Diese offensichtliche Prozessabhängigkeit der beiden Energieformen Arbeit und Wärme hat dazu geführt, dass die gespeicherte Energie in der Thermodynamik seit jeher als innere bezeichnet wird. Was für die Wärmelehre gut ist, sollte für die ganze Physik recht sein: gespeicherte Energie darf nicht in Formen eingeteilt werden. Solange die Energie im System drin ist, weiss niemand, in welcher Form sie rauskommen wird. innere Bei einfachen Systemen muss diese Regel aber nicht unbedingt stur beEnergie folgt werden: falls die Energie immer zusammen mit derselben Grösse ausgetauscht wird, kann der dabei umgesetzte Teil der Gesamtenergie (Ruhemasse) vom Rest abgespalten und als eigene Inhaltsform deklariert werden. Als Beispiel für einen solchen Monospeichers soll hier die Wärme ideale Feder kurz diskutiert werden. Bei einer Spiralfeder darf der Teil der Energie, der vom hindurchfliessenden Impuls freigesetzt oder aufgenommen wird, Federenergie oder etwas allgemeiner elastische Energie genannt werden. Diese spezielle Bezeichnung lässt sich nur bei eingeschränkter Sichtweise rechtfertigen, denn sobald man die fest eingespannte Feder in einem heissen Ofen ausglüht, geht auch die sogenannt elastische Energie zusammen mit der Entropie in Form von Wärme weg. Mit der dritten Anmerkung sollen die begrifflichen Schwierigekeiten im kinetische Energie, RotationsZusammenhang mit der Bewegungsenergie geklärt werden. Ein Körper, energie und Bewegungsenergie der eine reine Translation ausführt, kann einen Teil seiner Energie nur zusammen mit dem Impuls abgeben. Diese heisst kinetische und ist von der Wahl des Bezusgssystems abhängig. Wir definieren nun die kinetische Energie allgemein als den Anteil, der freigesetzt wird, sobald der gesamte Impuls ans Bezugssystem abfliesst. Diese Definition verknüpft die kinetische Energie mit der Bewegung des Massenmittelpunktes, denn nur wenn sich dieser Punkt bewegt, speichert das System insgesamt Impuls. Sinngemäss ist nun die Rotationsenergie als der Anteil zu definieren, der beim Abfliessen des Drehimpulses ans Bezugssystem freigesetzt werden kann. Unter dem Oberbegriff Bewegungsenergie fassen wir beide Energieanteile zusammen. Mit dieser Definition lasssen sich sowohl die kinetische als auch die Rotationsenergie sauber von der Gesamtenergie eines starren Körpers abspalten. Ob ein bestimmter Teil Seite 80 Rotationsmechanik der Bewegungsenergie als kinetische oder als Rotationsenergie zu bezeichnen ist, hängt direkt mit der Wahl der Systemgrenze zusammen. Diese Problematik soll weiter unten am Beispiel der Hantel nochmals aufgerollt werden. zur Berechnung der Bewegungsenergie Zur Herleitung einer Formeln für die Rotationsenergie denken wir uns einen starren Körper, auf den ein reines Drehmoment einwirkt und an dessen Massenmittelpunkt eine Einzelkraft angreift. Anderweitige Einwirkunge wie Gravitation oder Reibungen seien entweder kompensiert oder eliminiert worden. Nun schreiben wir die beiden Grundgesetze der Mechanik (Impuls- und Drehimpulsbilanz) hin, multiplizieren sie mit der Geschwindigkeit des Massenmittelpunktes bzw. mit der Winkelgeschwindigkeit und zählen beide Beziehungen zusammen F ⋅ vMMP + M ⋅ ω = m ⋅ vMMP ⋅ v«MMP + J ⋅ ω ⋅ ω« (4.3) Die Gleichung (4.3) macht eine weitere Aussage zur Energie des starren Körpers. Weil links im Ausdruck (4.3) die beiden zugeordneten Energieströme stehen, müssen die beiden rechts aufgeführten Summanden die Änderungsraten der beiden Energieanteile sein. Nun integrieren wir (4.3) über die Zeit vom Ruhezustand bis zum Momentanwert. Damit erhalten wir zwei ähnliche Formeln, welche die beiden Anteile der Bewegungsenergie beschreiben Wkin = 1 2 ⋅ m ⋅ vMMP 2 Wrot = 1 ⋅ J ⋅ω 2 2 (4.4) Systemgrenze und Bewegungsenergie Die Grösse der Bewegungsenergie hängt von der Wahl des Bezugssystems ab. Die Einteilung in einen kinetischen und einen Rotationsanteil ist dagegen eine Frage der Systemgrenze. Diese Grenze beeinflusst den Energieinhalt auf zwei Arten. Einerseits hängt die Bewegungsenergie von der Zahl der eingeschlossenen Objekte ab. Andererseits kann durch die Änderung der Systemgrösse ein Anteil in einen andern übergehen. Zur Erläuterung dieser Aussage wenden wir uns nochmals der an Ort rotierenden Hantel zu. Grenzen wir bei diesem Gerät nur eine einzige Kugel ab, so speichert diese Impuls und Drehimpuls. Die Bewegungsenergie darf in diesem Fall in einen kinetischen und in einen Rotationsanteil aufgespalten werden. Wenden wir uns in einem zweiten Schritt der Hantel als Ganzes zu, stellen wir fest, dass diese netto nur noch Drehimpuls enthält. Entsprechend unserer Definition ist nun die gesamte Bewegungsenergie inklusive der kinetischen Anteile der beiden Kugeln als Rotationsenergie zu bezeichnen. Kinetische Energie kann somit in Rotationsenergie übergehen, falls die Systemgrenze entsprechend verändert wird. Mit einer eigentlichen Umwandlung hat dies aber nichts zu tun. Impuls-, Drehimpuls- und Energiebilanz Die Dynamik eines starren Köpers liegt nun klar vor uns: die Impulsbilanz (die Summe über alle Kräfte ist gleich Masse mal Beschleunigung des Massenmittelpunktes) und die Drehimpulsbilanz (die Summe über alle Drehmomente ist gleich Massenträgheitsmoment mal Winkelbeschleunigung) legen zusammen mit den Anfangsbedinungen (Lage und Rotationsmechanik Seite 81 Anfangsbewegung) die Zukunft eines starren Körpers eindeutig fest. Über dieser Grundstruktur haben wir nun mit Hilfe der Energie ein zweites Gefüge aufgebaut. Dabei steht wieder die Bilanz im Zentrum: die Summe über alle Leistungen der Kräfte und der Drehmomente ist gleich der Änderungsrate des Energieinhaltes. Der Inhalt selber kann in drei Anteile aufgespalten werden: in eine innere, eine kinetische und eine Rotationsenergie. Weil wir uns hier auf den starren Körper beschränken, führen die Leistungen nie direkt zu einer Änderung der inneren Energie. Damit fällt dieser Speicher als nicht beeinflussbar aus der Bilanz heraus. Unser Erfahrungsraum wird durch das Gravitationsfeld der Erde, das lo- die Änderung der Gravitationskal als homogen angesehen werden darf, in eine Vertikale und in eine energie horizontal liegende Ebene aufgespalten. Das Gravitationsfeld beeinflusst all unsere Tätigkeiten so nachhaltig, dass wir erst seine Abwesenheit richtig wahrnehmen würden. Wie lässt sich nun die Wirkung dieses Feldes in die Dynamik des starren Körpers einbauen? Eine erste Diskussion haben wir schon hinter uns: Impuls- und Drehimpulsaustausch zwischen Körper und homogenem Feld lassen sich durch eine Einzelkraft darstellen, die im Schwerpunkt angreift und deren Stärke gleich dem Produkt aus Masse und Gravitationsfeldstärke ist. Ein kleines Gedankenexperiment soll nun zeigen, dass ein ausgedehnter Körper bei einer Ortsveränderung mit dem Gravitationsfeld gleichviel Energie austauscht, wie ein punktförmiges Vergleichsobjekt mit identischer Masse. Dazu denken wir uns das zu untersuchende Objekt über eine Achse, die durch dessen Schwerpunkt geht, an einem Seil aufgehängt. Die Arbeit der Seilkraft hängt nun bei quasistatischer Verschiebung im homogenen Gravitationsfeld nur von dessen Masse ab. Weder die Grösse des Körpers noch dessen Orientierung im Raum spielt dabei eine Rolle. Sogar eine Eigenrotation würde den Energieaustausch nicht beeinflussen. Somit darf die Formel für die Änderung der Gravitationsenergie bei Verschiebung eines Körpers aus der Translationsmechanik übernommen werden. In Zukunft soll die folgende Abmachung gelten: mit der Lage eines Körpers ist immer der momentane Ort des Schwer- oder Massenmittelpunktes gemeint ∆WG = m ⋅ g ⋅ ∆hMMP (4.5) Mit (4.4) und (4.5) haben wir alle drei äusseren Energiespeicher der innere und äussere Energie klassischen Mechanik besprochen. Die drei Speicher heissen äussere Energieanteile, weil sowohl bei der Bewegung als auch bei der Gravitation die Energie nicht eigentlich im Körper drin steckt. Die Energie, die effektiv im Objekt selber zu lokalisieren ist und als Ganzes die Ruhemasse bildet, heisst denn auch korrekterweise innere Energie. Aus historischen Gründen nennt man die Gravitationsenergie auch potentielle Energie des Körpers, womit man andeutet, dass dieser Energieanteil nur von der Lage des zu diskutierenden Objekts selber abhängt. Alle Bewegungsprobleme der Starrkörpermechanik lassen sich mit Hil- energetisch lösbare Probleme fe der Impuls- und der Drehimpulsbilanz lösen. Man nennt die beiden Seite 82 Rotationsmechanik Bilanzen deshalb auch Grundgesetze. Bei einigen Fragestellungen führt der Weg über die Energiebilanz jedoch schneller zum Ziel. Es gilt nun, die Probleme zu erkennen und auszuscheiden, die mit dem Energiesatz elegant und schnell lösbar sind. Die Grenze zwischen Fragestellungen, die energetisch lösbar sind und solchen, die mit dem Energiesatz alleine nicht zu bewältigen wären, kann recht klar ausgemacht werden: immer dann, wenn es um Systeme geht, denen nur eine einzige Bewegungsmöglichkeit offensteht, kann die Energiebilanz bedenkenlos angewendet werden. Weil die meisten Maschinen als Input-Output-Systeme zu dieser Gruppe gehören, widme ich den energetisch lösbaren Aufgaben ein ganzes Kapitel. Hier soll dieser Lösungsweg nur anhand eines kleinen Beispiels aufgezeigt werden. Beispiel 19: Ein rotationssymmetrischer Körper (Radius r, Masse m, Trägheitsmoment J) rollt eine schiefe Ebene (Neigungswinkel β)hinunter. Man bestimme die Beschleunigung und die Endgeschwindigkeit der Symmetrieachse nach einer Rollstrecke der Länge s. Lösung 19: Weil der Körper nur hinunterrollen kann, ist diese Aufgabe mit dem Energisatz lösbar. Zuerst überlegen wir uns, wieviele Energiespeicher beteiligt sind, welche davon Energie aufnehmen und welche Energie freisetzen. Als Energielieferant tritt nur das Gravitationsfeld auf. Die gravitativ freigesetze Energie wird vom Körper übernommen und als Bewegungsenergie gespeichert. Die zugehörigen Anteile, die kinetische und die Rotationsenergie, sind über die Rollbedingung verknüpft. Nach diesen Überlegungen könnten wir ein Energiesumme zu zwei Zeitpunkten aufstellen. Dabei ist links vom Gleichheitszeichen die Energiesumme zum ersten Zeitpunkt und rechts die totale Energie aller Speicher zum zweiten Zeitpunkt hinzuschreiben. Etwas einfacher scheint mir die modifizierte Vorgehensweise zu sein. Wir schreiben links die freigesetzte Energie und rechts vom Gleichheitszeichen die von den Speichern aufgenommene hin. Beide Schreibweisen sind durch algebraische Umformung ineinander überführbar. ∆WG = ∆Wkin + ∆Wrot m ⋅ g ⋅ s ⋅ sin β = v= 1 1 ⋅ m ⋅ v2 + ⋅ J ⋅ ω 2 2 2 mit v = ω ⋅ r 2 ⋅ m ⋅ g ⋅ s ⋅ sin β = 2 ⋅ k ⋅ m ⋅ g ⋅ s ⋅ sin β J m+ 2 r J mit k = 1 + m ⋅ r2 −1 Aus der Endgeschwindigkeit lässt sich die konstant bleibende Beschleunigung rein kinematisch herleiten. Ich möchte hier noch einen zweiten, direkten Weg aufzeigen, der auch noch bei variabler Beschleunigung funktioniert. Zuerst stellt man eine Momentanbilanz für die Energie auf. Dann eliminiert man mit Hilfe der Rollbedingung sowohl die Winkelgeschwindigkeit als auch die Winkelbeschleunigung. Zuletzt klammert man die Momentangeschwindigkeit aus. Der Rest liefert die Lösung des Problems W«G = W«kin + W«rot m ⋅ g ⋅ v ⋅ sin β = m ⋅ v ⋅ v« + J ⋅ ω ⋅ ω« mit v = ω ⋅ r und v« = ω« ⋅ r v« = k ⋅ g ⋅ sin β Vergleichen Sie die hier skizzierten Lösung mit dem Standardverfahren (Aufgabe 7, Kapitel 2). Der dort gewählte Weg über die Grundgesetze ist zwar beschwerlicher, doch lassen sich damit mehr Details klären. So liefert die Energieerhaltung zum Beispiel keine Angaben zu den Stärken der Zwangskräfte (Haftreibungs-, Führungs- und Lagerkräfte). Rotationsmechanik Seite 83 ? Kontrollfragen 9.) Wie heissen die beiden Teile der Bewegungsenergie? 10.) Wie hängt die kinetische Energie eines starren Körpers mit dessen Impuls zusammen? Wie lässt sich die Rotationsenergie durch den Drehimpuls ausdücken? 11.) Ein starrer Körper wird im homogenen Gravitationsfeld verschoben. Wovon hängt die Änderung der Gravitationsenergie ab? Zusammenfassung von Kapitel 4 Ein Körper kann als Teil eines Systems auf zwei Arten zum Gesamtdrehimpuls beitragen: einmal indem er rotiert und ein zweites Mal durch seine Relativbewegung. Man nennt die erste Speicherform Eigendrehimpuls und die zweite Bahndrehimpuls. Im Gegensatz zum Eigendrehimpuls hängt der Bahndrehimpuls nicht von der Geometrie und der Zusammensetzung des Einzelobjektes ab: die Grösse des Bahndrehimpulses ist durch das Produkt aus dem Impuls des Körpers und dem Abstand der Bewegungslinie vom MMP des Gesamtsystems festgelegt. Mit Bewegungslinie bezeichne ich die Gerade, die in Richtung des Impulses zeigt und durch den MMP des Teilkörpers verläuft. Ist ein System in lauter geometrisch einfache Körper zerlegbar, berechnet man den Gesamtdrehimpuls, indem man für jede Komponente sowohl Eigen- als auch Bahndrehimpuls berechnet und dann alle Beiträge zum Gesamtwert zusammenzählt. Sind alle Teile des Systems starr miteinander verbunden, kann die Winkelgeschwindigkeit als Systemgrösse ausgeklammert werden. Was übrig bleibt, ist dessen Massenträgheitsmoment. Die zugehörige Formel verlangt, dass jeder Teilkörper zwei Beiträge zu liefern hat. Der erste besteht aus seinem eigenen Massenträgheitsmoment, der zweite aus der Masse mal dem Quadrat seines Abstandes vom Gesamtmassenmittelpunkt. Die Bewegungsenergie eines starren Körpers lässt sich in zwei Teile zerlegen. Der eine, die Rotationsenergie wird zusammen mit dem Drehimpuls, der andere, die kinetische Energie, zusammen mit dem Impuls gespeichert. Beide Teile werden analog berechnet: halbe Trägheit mal das Quadrat der entsprechenden Geschwindigkeit. Fasst man mehrere Objekt zu einem Ganzen zusammen, geht die kinetische Energie oder ein Teil davon in der Rotationsenergie des neu entstandenen Systems über. Die Rotationsenergie des Gesamtsystems ist dann wieder die Energie, die zusammen mit dem jeweiligen Bahndrehimpuls gespeichert wird. Die einem Körper zugeschriebene Energie darf in vier Teile zerlegt werden. Drei davon sind als äussere zu betrachten. Die äusseren Energieanteile eines Systems hängen direkt mit der Wahl des Bezugssystems zusammen. Der Rest, der nur dem Körper zugeschrieben werden darf, heisst denn auch innere Energie. Die inneren Energie ist jederzeit als schwere Masse direkt messbar. Neben der kinetische und der Rotationsenergie gehört die Gravitationsenergie zu den äusseren Anteilen der Energie eines Körpers. Die Änderung der Gravitationsenergie ist im homogenen Feld immer gleich dem Produkt aus Masse, Gravitationsfeldstärke und Verschiebungshöhe des Schwerpunktes. !? Lernzielkontrolle Den Bahndrehimpuls eines Teilkörpers berechnen können. 1.) Ein Planet fällt auf einer elliptischen Bahn um die Sonne. Wie bestimmt man seinen Bahn- Seite 84 2.) 3.) Rotationsmechanik drehimpuls. Zwei Sterne bilden ein Doppelsystem. Aus welchen Teilbeiträgen setzt sich sein Drehimpuls zusammen? Eine Kanone feuert am Äquator eine Kugel horizontal in Ost-West-Richtung ab. Wie berechnet man die dadurch hervorgerufene Drehimpulsänderung der Erde? Bei Systemen mit mehreren Rotationsfreiheistgraden den Drehimpulsinhalt bestimmen können. 4.) 5.) Ein Mountanbiker lässt sein Fahhrad im falschen Moment los. Es fällt nach einer kurzen Rollstrecke in eine Schlucht hinunter. Wie berechnet man den Drehimpuls des fallenden Fahrrades? Wie gehen die beiden Räder in die Berechnung ein? Eine Skulptur bestehe aus einem horizontal ausgerichteten Balken und zwei gleich schweren Körpern. Der Balken dreht sich gleichmässig um eine vertikale Achse, die durch seine Mitte geht. In der Nähe der beiden Enden des Balkens sind die Körper, die sich ebenfalls um eine senkrechte Achse drehen können, angeordnet. Der eine Körper, eine Kugel, dreht sich doppelt so schnell wie der Balken; der andere, eine Scheibe, rotiert mit dreifacher Balkendrehzahl gegensinnig zu den beiden andern Objekten. Wie berechnen Sie den total gespeicherten Drehimpuls? Das Massenträgheitsmoment eines Systems, das aus geometrisch einfachen Körpern zusammengesetzt ist, berechnen können. 6.) 7.) Ein Handrad kann vereinfacht als Scheibe mit exzentrisch aufgesetztem Zylinder angesehen werden. Wie berechnet man das Massenträgheitsmoment eines isolierten Handrades? Eine Scheibe (Masse m, Radius R) weise eine exzentrisch angebrachte, durchgehende Bohrung auf. Der Abstand Scheibenachse-Lochmitte ist gleich dem halben Radius und beim Bohren wurden 20% des Materials zerspant. Wie berechnen Sie das Massenträgheitsmoment dieses Objekts? Wissen, wie die Bewegungsenergie eines starren Körpers zu bestimmen ist. 8.) Ein Körper rollt auf einer horizontalen Ebene geradeaus. Wie berechnet man seine Bewegungsenergie? 9.) Wie ist die Rotationsenergie eines Körpers definiert? 10.) Ein Sauerstoffmolekül fliegt durch den Raum und rotiert gleichzeitig. Von der Massenverteilung her betrachtet, besteht das Molekül aus zwei sehr kleinen Kugeln, den beiden Kernen, die sehr weit auseinander liegen. Wie berechnet man die Bewegungsenergie dieses Moleküls? 11.) Zweiatomige Moleküle,wie etwa die Stickstoffteilchen in unserer Luft, bewegen sich bei Zimmertemperatur sehr schnell. Sie können zudem um zwei der drei mögliche Achsen rotieren. Wenn man nun die Temperatur des Gases absenkt, nimmt sowohl die Translations- als auch die Rotationsnergie im Mittel proportional mit der absoluten Temperatur ab. Darf nun behauptet werden, dass Wärme nur ein anderes Wort für Bewegungsenergie sei? Rotationsmechanik Seite 85 A Übungsaufgaben 1.) Man berechne den Drehimpulsinhalt des Erde-Mond-Systems. Die siderische Umlaufzeit des Mondes beträgt 27 d, 7 h,43 m, 11.5 s und die Erde dreht sich in 23 h, 56 m, 4.09 s einmal um ihre Achse. Die weiteren Daten sind: Mondmasse 7.35·1023 kg; Durchmesser des Mondes 3476 km; Erdmasse 5.977·1024 kg; mittlerer Durchmesser der Erde 12’735 km; Abstand Erde-Mond 384’400 km. 2.) Ein dünner Holzstab (Masse 500 g, Länge 1,5 m), der auf einer horizontalen Glatteisfläche liegt, wird von einer Kugel (Masse 3 g) getroffen, die horizontal mit einer Geschwindigkeit von 500 m/s 20 cm von einem Stabende entfernt normal einschlägt und dann steckenbleibt. Wie bewegt sich der Stab nach dem Einschlag der Kugel? Geben Sie die Geschwindigkeit des MMP und die Winkelgeschwindigkeit an. 3.) Ein aufrecht fallendes, quadratisches Horzbrett (Masse 2 kg, Massenträgheitsmoment bezüglich der vertikalen Achse 0.5 kg·m2) wird von einer Gewehrkugel (Masse 5 g, Geschwindigkeit 700 m/s) getroffen, die auf gleicher Höhe wie der MMP und 20 cm von diesem entfernt einschlägt und steckenbleibt. Um welchen Winkel dreht sich das Brett, bis es aufschlägt, wenn seine Fallgeschwindigkeit beim Einschlag 15 m/s betragen hat und es nachher noch zwei Meter weiter hinunterfällt? Um welche Strecke ist das Brett dann zurückgeworfen worden? 4.) Ein Blechbüchse (Radius 10 cm, Höhe 15 cm) aus 2 mm Eisenblech (Dichte 7300 kg/m3) rotiere reibungsfrei auf einem Luftkissen, ohne sich wegzubewegen. In zwei Sekunde dreht sie sich einmal um ihre Achse. Nun lässt man einen gleichsinnig rotierenden Stahlzylinder (Radius 25 mm, Höhe 5 cm, Dichte 7500 kg/m3, Winkelgeschwindigkeit 15 s-1) aufrecht stehend hineinfallen. Wie gross ist die Winkelgeschwindigkeit der Büchse, nachden sich die Bewegungen der beiden Körper angeglichen haben und der Stahlzylinder aufrecht stehend am Büchsenmantel anliegt und mitrotiert? 5. Der nebenstehend skizzierte Zylinder (Radius 25 cm, Masse 50 kg, Durchmesser der Bohrungen 10 cm) rollt auf zwei parallelen, vertikalen Seilen ab. Wie schnell rotiert er, wenn sich der Massenmittelpunkt aus der Ruhe heraus um 50 cm abgesenkt hat? 6.) Ein Jo-Jo (Masse 200 g, Wickelradius 2 cm, Massenträgheitsmoment 0.001 kg·m2) rotiere mit einer Umdrehung pro Sekunde und sein Massenmittelpunkt bewege sich mit 30 cm/s in vertikaler Richtung nach unten. Die Beschleunigung der Symmetrieachse ist nach oben gerichtet und beträgt 2 m/s2. Welche Leistung hat die Schnurkraft? Mit welcher Rate ändert sich die kinetische und die Rotationsenergie 7.) Ein rotierender Zylinder (Masse 30 kg, Radius 15 cm, Drehzahl 450 Umdrehungen pro Minute) wird sanft auf eine horizontale Unterlage abgesetzt. Der Zylinder rollt infolge der Reibung schon nach kurzer Zeit gleichförmig davon. Um welchen Betrag hat sich dann die Bewegungsenergie des Zylinders geändert? 20 cm Seite 86 Rotationsmechanik 8.) Eine Kugel (Radius 2.5 cm, Dichte 7300 kg/m3) rollt mit einer Mittelpunktsgeschwindigkeit von 3 m/s über eine horizontale Ebene. Zwei Sekunden später beträgt ihre Geschwindigkeit nur noch 2.5 m/s. Bestimmen Sie mit Hilfe der Grundgesetze die Haftreibungskraft und das Rollreibungsdrehmoment. Ueberprüfen Sie das Resultat, indem Sie eine Momentanenergiebilanz für das System Kugel aufstellen. 9.) An den Enden eines dünnen Stabes (Masse 20 kg, Länge 2 m) befinden sich die beiden Achsen von zwei Rädern (Massen 5 kg und 12 kg, Massenträgheitsmomente 0.5 kgm2 und 2 kgm2). Das ganze System sei auf einer horizontal Glatteisfläche rei5 kg 12 kg bungsfrei gelagert. Anfänglich ruht der Stab und beide Räder drehen sich mit zwei Umdrehungen pro Sekunde gegeneinander? Wie schnell dreht sich der Stab, wenn die Räder infolge der Lagerreibung ihren Endzustand erreicht haben? Wie gross müssen die Reibdrehmomente sein, damit der Ausgleichsvorgang zehn Sekunden dauert? Wieviel Energie wird dabei dissipiert? 10.) Die Gravitationsfeldstärke kann mit einer Atwoodschen Fallmaschine gemessen werden. Bei diesem Gerät wird eine Schnur über eine Rolle (Scheibe mit Radius 5 cm und Masse 200 g) geführt. Von den beiden an den Seilenden befestigten Körpern weise der schwerere eine Masse von 550 g auf und der andere sei um 50 g leichter. Die Rolle, die das Seil umlenkt, läuft praktisch reibungsfrei. Wie gross ist die Beschleunigung des einen Körpers bei einer Feldstärke von 9.79 N/kg? 500 g 550 g 11.) Ein Fadenspule (Masse 3 kg, Massenträgheitsmoment 0.003 kg·m2) rollt an zwei Schnüren ab, die um den grösseren Umfang (Radius 5 cm) gewickelt worden sind. Über dem Mittelteil der Spule (Radius 2 cm) ist gegenläufig eine weitere Schnur aufgerollt, an dem ein zweiter Körper (Masse 1 kg) hängt. Nun wird das Ganze aus der Ruhe heraus gestartet. Wir warten, bis sich der Körper um 5 cm abgesenkt hat. Mit welcher Winkelgeschwindigkeit dreht sich dann die Spule? 12.) Eine Kugel (Radius 7 cm, Masse 10 kg) wird auf dem Scheitel eines zylinderförmigen Daches (Radius 5 m) losgelassen. Sie rollt dann ohne zu rutschen ein Stück weit über die eine Seite hinunter. Zu einem bestimmten Zeitpunkt ist die Normalkraft nur noch halb so gross wie das Gewicht. Wieviel Drehimpuls hat dann die Erde an das System „vom Dach rollende Kugel“ abgegeben? 1 kg Rotationsmechanik Seite 87 5. Dynamische Systeme Nachdem wir das Bewegungsverhalten des starren Körpers studiert und uns mit den Grundgesetzen (Impuls-, Drehimpuls- und Energiebilanz) vertraut gemacht haben, wollen wir die Dynamik verschiedener Systeme untersuchen. Viele einfache Geräte benehmen sich entweder wie eine Kapazität, wie ein Widerstand oder wie eine Induktivität. Die Begriffe selber entstammen der Elektrizitätslehre, einem Zweig der Physik, in dem schon seit langer Zeit Systemdynamik betrieben worden ist. Mit der elektromechanischen Analogie kann das Verhalten einzelner Geräte direkt auf die Dynamik von elektrischen Netzwerken abgebildet und zusammen mit der gefundenen Lösung wieder zurücktransformiert werden. Die systemdynamische Methode unterstützt aber nicht nur das Denken in Analogien. Sie erlaubt es uns, unterschiedliche Bewegungsabläufe zu klassifizieren, zu modellieren und damit besser zu verstehen. Zwei Eigenschaften des Drehimpulses beeinträchtigen die Analogie zwischen Drehmechanik und Elektrizitätslehre. Die erste, die Vektoreigenschaft, verursacht keine grossen Probleme. Obwohl wir uns bisher auf ebene Drehbewegungen und damit auf nur eine Komponente des Drehimpulses beschränkt haben, konnten wir eine Fülle von Vorgängen analysieren und diskutieren. Die zweite Eigenschaft, die Nichtlokalisierbarkeit des Drehimpulses, wirkt sich viel störender aus. Anders als beim elektrischen Strom, der nur im Leiter drin fliesst, wird der Drehimpuls hauptsächlich zwischen und neben den einzelnen Bauteilen transportiert. Der Drehimpulsstrom kann sich folglich unbemerkt verzweigen. Insbesondere bei mechanischen Geräten mit mehr als nur einer Achse wird Drehimpuls über die kollektive Wirkung von zwei Lagern, als Drehmoment eines Kräftepaares, mit der Umgebung ausgetauscht. So fliessen bei einem Getriebe die meisten Drehimpulsströme über das Gehäuse zu oder weg, d.h. der Drehimpuls nimmt einen ganz andern Weg als die Energie. Um solche schwer zu lokalisierenden Transporte auszuschliessen, beschränken wir uns in diesem Kapitel auf mechanische Systeme, die auf einer einzigen Achse aufgereiht sind. Mit dieser Einschränkung können Drehmomente, die durch die Wirkung zweier Achslager hervorgerufen werden, schon gar nicht auftreten. Leistungsfähige Rechner und ausgeklügelte Software eröffnen dem Ingenieur ganz neue Perspektiven. Musste früher eine Problemstellung über mehrere Stufen vereinfacht und dann mit Hilfe von geschlossen lösbaren Differentialgleichungen beschrieben werden, genügt es heute, ein sauberes Abbild der Aufgabenstellung, ein Modell, zu erstellen und dieses dann in einer geeigneten Programmiersprache zu formulieren. STELLA, ein Modellierwerkzeug, welche das eigentliche Programmieren zum Kinderspiel macht, wird am Schluss dieses Kapitels vorgestellt. An einem einzigen Beispiel werde ich aufzeigen, wie effizient ein solches Werkzeug sein kann. Leider lassen sich Simulationsprogramme in einem Lehrbuch nicht direkt vorführen. Solche Programme einzusetzen, bleibt deshalb dem eigentlichen Unterricht vorbehalten. Erfahrungen, die wir in den letzten Jahren in Winterthur gesammelt haben, zeigen, dass die Studenten die Struktur einer Theorie erst richtig begreifen, wenn sie selber schon einiges modelliert haben. ! Lernziele Die Definitionsgleichung für die drei linearen Systemeigenschaften Kapazität, Widerstand und Induktivität kennen. Geeignete drehmechanische Systeme in einzelne Elemente auflösen und das zugehörige systemdynamische Modell skizzieren können. Seite 88 Rotationsmechanik 5.1 Die Drehimpulskapazität das Massenträgheitsmoment als Kapazität Rotierende Körper speichern proportional zur Winkelgeschwindigkeit Drehimpuls. Der Proportionalitätsfaktor, das Massenträgheitsmoment, erfüllt damit die Definitionsgleichung einer drehmechanischen Kapazität. Die Systemeingenschaft Drehimpulskapazität bleibt solange konstant, wie sich der zugehörige Körper unter dem Einfluss der Rotation nicht verformt. Die kapazitiv gespeicherte Energie, in der Drehmechanik auch Rotationsenergie genannt, berechnet sich denn auch analog zur im Kondensator gespeicherten, elektrischen Energie. Analogien reduzieren die Anzahl der zu verwendenden Formeln. Kennt man zum Beispiel den Ausdruck für die kinetische Energie eines Körpers, weiss man auch, wie die Rotationsenergie oder die Energie eines Kondensators zu berechnen ist. der Fliehkraftregler als Kapazitivglied Das Massenträgheitsmoment eines starren Körpers kann mit Hilfe von Formel (3.6) berechnet werden. Lassen sich Objekte mit komplizierter Architektur auf einfachere zurückführen, ist Formel (4.1) beizuziehen. In diesem Abschnitt wollen wir uns mit einem etwas komplexeren kapazitiven Systemen, einem vereinfachten Modell eines Fliehkraftreglers, beschäftigen. Bei diesem Apparat gehen von einem frei drehbar gelagerten Zylinder zwei Stäbe radial nach aussen, auf denen je eine Metallkugel so aufgesetzt ist, dass sie frei beweglich verschoben werden kann. Damit die Kugeln beim Einsetzten der Drehbewegung nicht einfach weggeschleudert werden, sind sie über eine Spiralfeder mit dem zentralen Zylinder verbunden. Eine viskose Reibvorrichtung sorgt für eine überkritische Dämpfung. Beginnt sich die ganze Anordnung zu drehen, wandern die Kugeln mit zunehmender Winkelgeschwindigkeit immer weiter nach aussen. Weil die Position der beiden Kugeln ein Mass für die Drehzahl abgibt, kann mit deren Hilfe der Antrieb geregelt werden. Fig. 5. - 1: Ein vereinfachtes Modell eines Fliehkraftregels. Die frei verschiebbaren Kugeln werden von je einer Feder festgehalten, wobei die weiter aussen angebrachte Dämpfvorrichtung die Eigenschwingung der beiden Kugeln dämpft. Kugelabstand und Winkelgeschwindigkeit Das Massenträgheitsmoment des Reglers setzt sich aus einem konstanten Beitrag (inklusive Trägheitsmomente der Kugeln) und einem Anteil zusammen, der quadratisch mit dem Achsabstand der Kugelmittelpunkte anwächst. Weil diese Distanz über die Härte der Federn und die Trägheit der Kugeln mit der Drehzahl verknüpft ist, lässt sich das gesamte Massenträgheitsmoment als Funktion der Winkelgeschwindigkeit schreiben. Doch zuerst suchen wir nur den Zusammenhang zwischen der Drehzahl und dem Abstand der Kugelmitten. Aus dem Schnittbild der einen Kugel folgt, dass neben der Gewichts- und der dazu kompensatorisch wirkenden Führungskraft nur noch die Federkraft angreift. Sie Rotationsmechanik Seite 89 sorgt dafür, dass die Kugel auf der Kreisbahn bleibt. Setzt man nun das Federgesetz in die Impulsbilanz für die eine Kugel ein und drückt die Zentralbeschleunigung durch die Winkelgeschwindigkeit aus, gewinnt man eine Formel, welche die Drehbewegung mit dem Kugelabstand verknüpft FF = m ⋅ an mit FF = D ⋅ ∆l und an = ω 2 ⋅ r D ⋅ (r - l 0 ) = m ⋅ ω 2 ⋅ r r= (5.1) D ⋅ l0 D − m ⋅ω 2 Aus dem Nenner von Formel (5.1) ist zu entnehmen, dass die Winkelge- die maximal mögliche Drehschwindigkeit des Apparates einen bestimmten Wert nicht überschreiten zahl darf. Die effektive Grenzdrehzahl ist jedoch um einiges tiefer anzusetzen, da die maximal mögliche Auslenkung der Kugeln durch die Länge der Haltestäbe begrenzt wird. Übrigens entspricht das theoretische Winkelgeschwindigkeitsmaximum der Kreisfrequenz eines einzigen KugelFeder-Oszillators. Nun sind wir in der Lage, das Massenträgheitsmoment des Reglers in das Massenträgheitsmoment Funktion der Winkelgeschwindigkeit anzugeben. Die Drehimpulskapa- des Reglers zität setzt sich aus einem konstanten und einem drehzahlabhängigen Anteil zusammen. Zum zweiten Teil tragen, wenn wir von der Trägheit der Federn und der Dämpfer einmal absehen, nur die beiden Kugeln etwas bei: die zusätzliche Drehträgheit ist gleich der doppelten Massen multipliziert mit dem Quadrat des Achsenabstandes. Zusammen mit dem in (5.1) berechneten Abstandsgesetz erhalten wir für die ganze Drehimpulskapazität die folgende Funktion D ⋅ l0 J = J0 + 2 ⋅ m ⋅ D − m ⋅ω 2 2 (5.2) Der Drehimpulsinhalt des Reglers darf zu jedem Zeitpunkt als Massen- die zugehörige Rotationsenerträgheitsmoment mal Winkelgeschwindigkeit geschrieben werden. Ent- gie scheidend für das kapazitive Verhalten ist einzig die momentane Massenverteilung. Etwas komplizierter sieht die Berechnung der zugehörigen Rotationsenergie aus. Den korrekten Wert erhält man über die Zeitintegration der Energieänderungsrate. Weil diese gleich der Leistung des Drehmomentes ist, darf sie zu jedem Zeitpunkt als Produkt von Winkelgeschwindigkeit und Drehimpulsänderungsrate geschrieben werden. Wrot te ωe 0 0 = ∫ ω ⋅ L« ⋅ dt = ωe + ∫ 8 ⋅ m2 ⋅ 0 ωe D⋅l ∫ J0 ⋅ ω ⋅ dω + ∫ 2 ⋅ m ⋅ D − m ⋅0ω 2 ⋅ ω ⋅ dω ( D ⋅ l0 ) 2 0 2 (D − m ⋅ω ) 2 3 ⋅ ω 2 ⋅ dω (5.3) Die Rotationsenergie des Drehzahlreglers setzt sich gemäss (5.3) aus Rotations- und Federenergie drei Teilen zusammen, wobei nur das erste Integral einfach zu interpre- Seite 90 Rotationsmechanik tieren ist. Es liefert die altbekannte Formel für die Rotationsenergie eines starren Körpers. Die beiden andern Integrale, die wir hier nicht berechnen wollen, beschreiben teilweise die Energie, die in den gespannten Federn gespeichert wird. Im Einklang mit der Definition habe ich den ganzen Ausdruck von (5.3) als Rotationsenergie bezeichnet, da die gesamte Menge freigesetzt wird, sobald der Drehimpuls langsam ans Bezugssystem abfliesst. Wird der Fliehkraftregler dagegen schnell abgebremst, macht sich die Wirkung der beiden Dämpfer bemerkbar. Diese verzögern den Abbau des Massenträgheitsmomentes und dissipieren dabei einen Teil der freisetzbaren Energie. Grundlegende Beziehungen In diesem Abschnitt haben wir anstelle eines gewöhnlichen Kapazitivgliedes ein etwas komplizierteres Element kennengelernt und diskutiert. Der praktische Nutzen dieser Übung liegt weniger im technischen als im methodischen Bereich. Wir konnten am Beispiel eines Körpers mit variablen Massenträgheitsmoment wesentliche Beziehungen der Drehmechanik wie die Definition des Massenträgheitsmomentes oder den Zusammenhang zwischen den Änderungsraten der Rotationsenergie und des Drehimpulses repetieren. Solche Abhängigkeiten bilden das Fundament, auf dem eine umfassende Systemdynamik aufgebaut werden kann. ? Kontrollfragen 1.) 2.) 3.) 4.) Wie ist die Drehimpulskapazität definiert? Wie hängt bei einem starren Körper die Rotationsenergie mit der Drehimpulskapazität zusammen? Wie kann die Rotationsenergie definiert werden? Skizzieren Sie für das Anfahren des Fliehkraftreglers ein Flüssigkeitsbild. Überlegen Sie sich dann anhand dieses Bildes, wie die drei Energiebeiträge zu interpretieren sind. 5.2 Widerstandselemente Drehimpulswiderstände Drehimpuls, der von einem ersten Schwungrad in ein zweites überfliesst, das eine andere Drehzahl aufweist, setzt zwischen den beiden Körpern Energie um. Das dazwischenliegende System heisst Widerstand, falls die Energie nicht gespeichert sondern dissipiert wird. Der Widerstand selber ist analog zum elektrischen Gegenstück zu definieren: RL = Elemente mit konstantem Widerstand ∆ω IL (5.4) Drehimpulswiderstände weisen selten eine lineare Charakteristik auf. Im Falle einer Reibschicht besteht nur Hoffnung auf ein Ohmsches Verhalten, falls diese von einem dicken Ölfilm gebildet wird. Ein solcher Film kann sich zum Beispiel zwischen einem Hohlzylinder und einem konzentrisch hineingeschobenen Vollzylinder ausbreiten. Sofern die zähe Flüssigkeit dem Newtonschen Gesetz gehorcht, wonach die Scher- Rotationsmechanik Seite 91 s r spannung proportional zum zugehörigen Geschwindigkeitsgradienten ist, bleibt der Widerstand drehzahlunabhängig. Zur Berechnung der Stärke des durch die Kupplung fliessenden Drehimpulsstromes multiplizieren wir die an den Zylinderoberflächen auftretende Scherspannung τ mit der Mantelfläche und dem Radius des Vollzylinders. Dann ersetzen wir die Scherspannung mit Hilfe der Viskosität durch das Geschwindigkeitsgefälle im innern der Ölschicht. Zuletzt drücken wir die Geschwindigekeit noch durch das Produkt aus Winkelgeschwindigkeit und Radius aus. h IL = τ ⋅ 2⋅ π ⋅ r ⋅ h⋅ r = η ⋅ Fig. 5. - 2: Ein Ölfilm, der sich zwischen zwei zylindeförmigen Flächen ausdehnt, wirkt als Drehimpulswiderstand. Der Widerstand selber ist definiert als Quotient von Winkelgeschwindigkeitsdifferenz und Drehimpulsstromstärke. Diese Systemeigenschaft kann folglich berechet werden, sobald der Drehimpulsstrom oder das Drehmoment in Abhängigkeit der Differenz der beiden Winkelgeschwindigkeiten bekannt ist. 2⋅ π ⋅ η ⋅ h⋅ r 3 ∆v ⋅ 2⋅ π ⋅ r ⋅h ⋅ r = ⋅ ∆ω s s Solange die Dicke des Oelfilms klein gegenüber dem Zylinderdurch- der Widerstand einer Oelfilmmesser ist, muss nicht zwischen Innen- und Aussenradius unterschieden kupplung werden. Wendet man die Definitionsgleichung (5.4) auf die formale Beschreibung der Ölkupplung an, erhält man den Drehimpulswiderstand in Abhängigkeit der Geometrie des Gerätes und der Viskosität η des Öls RL = s 2 ⋅ π ⋅ η ⋅ h ⋅ r3 (5.5) Die oben skizzierte Kupplung, bei der ein Ölfilm auf der Mantelfläche eines Zylinders für den Drehimpulsübertrag verantwortlich ist, lässt sich nur mit grossem konstruktivem Aufwand herstellen. Formel (5.5) ist deshalb ein bisschen praxisfremd. Technisch ausgereifte, ölgefüllte Kupplungen weisen trotz anderer Geometrie aber immer noch einen nahezu konstanten Drehimpulswiderstand auf und sind durchaus mit unserem Modell vergleichbar. Kühlt man das Öl ab, steigt dessen Viskosität an und der Drehimpulswiderstand der Kupplung wird kleiner. Sobald das Öl erstarrt, klemmt sich die Kupplung fest und der Drehimpulswiderstand sinkt auf Null zusammen. Ein solches Verhalten kann in Analogie zur Elektrizitätslehre mit supraleitend umschrieben werden. Seite 92 Rotationsmechanik Im vorletzten Kapitel haben wir die vom Drehimpulsstrom freigesetzte Prozessleistung eingehend besprochen. Setzt man nun die Definitionsgleichung des Widerstandes (5.4) in die Formel der Prozessleistung (3.2) ein, folgt ein Ausdruck, der einen Zusammenhang zwischen dem Widerstand und der dissipierter Leistung herstellt ∆ω 2 P = ∆ω ⋅ I L = = RL ⋅ I L2 (5.6) RL Beispiel 20: Das auf einen Ventilator einwirkende Drehmoment zeigt bei stationärem Betrieb die folgende Drehzahlabhängigkeit: M=M0+a·ω+b·ω2. Welche Werte müssen den drei unbekannten Paratern zugeschrieben werden, wenn der treibende Motor bei einer Drehzahl von 60 Umdrehungen pro Minute 43 Watt, bei 90 U/min 120 Watt und bei 120 U/min 258 Watt abgibt? Lösung 20: Da der Drehimpulswiderstand des Ventilators nicht konstant ist, führt Formel (5.6) nicht zu einer Vereinfachung des Lösungsweges. Wir gehen deshalb von der Prozessleistungsformel (3.2) aus. Mit dieser Beziehung und den gegebenen Werten für die drei Rotationszustände kann ein dreiteiliges Gleichungssystem aufgestellt werden. Die Lösung dieses Gleichungssystems liefert uns die gesuchten Werte: M0 = 1 Nm, a = 0.3 Nms, b = 0.1 Nms2. ? Kontrollfragen 5.) 6.) 7.) 8.) Welche Einheit muss dem drehmechanischen Widerstand zugewiesen werden. Statt eines Widerstandes hätten wir auch einen Leitwert definieren können. Geben Sie die zugehörige Definitionsgleichung an. Durch welche Beziehung ist die Viskosität einer Flüssigkeit definiert? Wie hängt die als homogen angenommene Scherspannung auf dem Zylindermantel der oben skizzierten Kupplung mit dem Drehmoment zusammen? 5.3 Induktivität elastische Wellen Eine starre Welle, welche zwei Schwungräder miteinander verbindet, leitet den Drehimpuls ohne Energieverlust weiter. Zudem scheint sich der Drehimpuls mit einer beliebig grossen Geschwindigkeit durch die Welle hindurch fortzupflanzen. Wird nun die starre Welle durch eine elastische ersetzt, verändert sich das dynamisches Verhalten des ganzen Systems: die beiden Räder lassen sich gegeneinander verdrehen und können sogar in eine Drehschwingung versetzt werden. Hätte man die starre Welle gegen eine viskose Kupplung ausgetauscht, sähe das Verhalten der Anordnung nochmals anders aus; elastische Teile verhalten sich grundlegend anders als plastisch verformbare. Erstere speichern die zur Verfügung gestellte Energie bis auf Abruf, letztere erzeugen damit Entropie. Definition der Indukitivität Verdrehbare Wellen zeichnen sich durch eine Eigenschaft aus, die nicht mit dem oben eingeführten Begriff des Widerstandes umschrieben werden kann. Zur weiteren Analyse denken wir uns die elastische Welle einseitig eingespannt. Verdrehen wir nun die andere Stirnfläche mit Rotationsmechanik Seite 93 ∆ω LL = « IL ω zunehmend konstanter Drehzahl, steigt der hindurchfliessende Drehimpuls linear mit der Zeit an. Sobald die Drehbewegung aufhört, verharrt der Drehimpulsstrom auf seinem momentanen Wert. Drehen wir nun die Stirnfläche langsam gegen die ursprüngliche Lage, schwillt der Strom wieder ab. Daraus folgt, dass der Drehimpulsstrom seine Stärke nur ändert, wenn die Differenz der Winkelgeschwindigkeiten an beiden Endflächen ungleich Null ist. Ein solches Verhalten, bei dem die Potentialdifferenz die Änderungsrate des durchfliessenden Stromes bestimmt, bezeichnet man allgemein als induktiv. Folglich ist die elastisch verdrehbare Welle ein Induktivglied der Drehmechanik. Die Eigenschaft selber, die Induktivität, ist durch das Verhältnis von Winkelgeschwindigkeitsdifferenz und Aenderungsrate des Drehimpulses definiert (5.7) Bei einem drehmechanischen Induktivglied legt die Differenz der Win- das Drehfedergesetz kelgeschwindigkeit fest, wie stark die Änderungsrate des hindurchfliessenden Drehimpulsstromes sein muss. Widerstand und Induktivität operieren damit auf verschiedenen Stufen: beim ersten Element bestimmt die Winkelgeschwindigkeitsdifferenz direkt die Stromstärke, beim zweiten nimmt dieses Gefälle nur indirekt über die Änderungsrate Einfluss auf den Strom. Besteht die Welle aus Stahl, gilt bekanntlich das Drehfedergesetzes. Dies bedeutet, dass das Drehmoment proportional mit dem Verdrehungswinkel zunimmt. I L = D* ⋅ ∆ϕ (5.8) Die Formulierung (5.8) ist ein kleines Stück präziser als die übliche die Winkelrichtgrösse Umschreibung des Drehfedergesetzes, bei der man links vom Gleichheitszeichen das Symbol für ein Drehmoment hinschreibt. Die Präzision ergibt sich aus dem Umstand, dass nur ein einziger Drehimpulsstrom hindurchfliesst, aber zwei Drehmomente auf die Welle einwirken. Die Drehfederkonstante D*, die im Sinne einer Verallgemeinerung auch Winkelrichtgrösse genannt wird, beschreibt modellmässig das Torsionsverhalten eines elastischen Bauteils. Für jedes Element muss die Winkelrichtgrösse zuerst bestimmt werden. Bei zylinder- und prismenförmigen Wellen ist diese Grösse aus dem Schubmodul des Materials und aus der Geometrie des Stabes zu berechnen. Im Abschnitt 2.5 haben wir diese Rechnung für einen homogenen Vollzylinder schon durchgeführt. Beachten Sie dazu Formel (2.3). Leitet man die Gleichung (5.8) nach der Zeit ab, geht der Verdrehungs- Winkelrichtgrösse und Induktiwinkel in die Differenz der Winkelgeschwindigkeit über. Damit lässt vität sich die Formel (5.8) mit der Definition der Induktivität (5.7) vergleichen. Dieser Vergleich liefert uns den Zusammenhang zwischen der allgemeinen Systemeigenschaft Induktivität und der rotationsmechanischen Grösse Drehfederkonstante: die Winkelrichtgrösse entspricht dem Reziprokwert der Drehimpulsinduktivität. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass jedes verdrehbare Bauteil sytemdynamisch eine Induktivität repräsentiert. Gehorcht das Element dem Federgesetz, ist die Seite 94 Rotationsmechanik Induktivität belastungsunabhängig. Systeme mit kombinierten Eigenschaften Jeder Welle kann ein Trägheitsmoment zugeschrieben werden. Damit verhält sie sich auch noch kapazitiv. Genaue Messungen zeigen, dass praktisch bei all diesen Bauteilen auch noch Energie dissipiert wird. Damit verhalten sich todierbare Wellen wie kleine Drehimpulswiderstände. Systemdynamisch gesehen handelt es sich bei der Welle um eine Induktivität, die zusätzlich eine kleine Kapazität und einen geringen Widerstand aufweist. Dass bei einem Bauteil gleich alle drei Eigenschaften nachgewiesen werden können, ist eher der Normalfall als die Ausnahme. Weil aber meistens eine der Eigenschaften dominiert, wird das Vorhandensein der beiden andern oft nicht bemerkt. ? Kontrollfragen 9.) Wie hängt bei einer Induktivität der Strom mit der Potentialdifferenz zusammen? 10.) Welche Einheit muss der Drehfederkonstanten zugeschrieben werden? 11.) Wie kann aus der Winkelrichtgrösse (Drehfederkonstante) die zugehörige Induktivität bezüglich des Drehimpulsstromes berechnet werden? 12.) Wie hängt beim Vollzylinder die Winkelrichtgrösse von seiner Länge und von seinem Durchmesser ab? 5.4 Energiebetrachtung kapazitiver Energiespeicher Kapazitäten und Induktivitäten sind reine Energiespeicher, d.h. beide Bauteile können Energie aufnehmen und ohne Verlust wieder abgeben. Kapazitive Elemente speichern Energie zusammen mit der Grundmenge, induktive Elemente zusammen mit dem zugehörigen Strom. Bei Systemen mit konstanter Kapazität wächst die gespeicherte Energie quadratisch mit der Grundmenge an. Den Energieinhalt eines Kapazitivgliedes der Drehmechanik haben wir unter dem Titel Rotationsenergie schon früher eingehend untersucht. Beachten Sie, dass ein Schwungrad umso mehr Energie pro Drehimpuls speichert, desto kleiner seine Kapazität ist. Sollte Ihnen diese Aussage nicht unmittelbar einleuchten, so skizzieren Sie schnell ein Flüssigkeitsbild für ein Schwungrad mit grossem Trägheitsmoment und eines für einen weniger trägen Körper. Beim erstgenannten muss eine vorgegebene Menge Drehimpuls weniger hoch hinaufgepumpt werden als beim zweiten, was mit einem kleineren Energieaufwand verbunden ist. induktive Energiespeicher Die induktiv gespeicherte Energie hängt nur vom hindurchfliessenden Strom ab . Den zugehörigen Wert berechnet man am einfachsten über die vom Drehimpulsstrom umgesetzte Leistung. Dazu ist in der Prozessleistungsformel (3.2) die Winkelgeschwindigkeitsdifferenz durch die Definitionsbeziehung für die zugehörige Induktivität (5.7) zu ersetzen. Der neue Ausdruck, der nur noch die Induktivität, die Stromstärke und die zugehörige Änderungsrate enthält, muss dann noch über die Zeit Rotationsmechanik Seite 95 aufintegriert werden. te te 1 Wind = ∫ ∆ω ⋅ I L ⋅ dt = ∫ L ⋅ I L ⋅ I«L ⋅ dt = ⋅ L ⋅ I L2 2 0 0 (5.9) Formel (5.9) verknüpft die gespeicherte Energie direkt mit der Stromstärke. Sie gilt für alle induktiv wirkenden Elemente, solange deren Drehimpulsinduktivität (Reziprokwert der Winkelrichtgrösse) stromunabhängig Systems ist. In allen andern Fällen muss das Integral zusammen mit der entsprechenden Funktion direkt ausgewertet werden. Die systemdynamische Betrachtungsweise ist leider viel zuwenig ver- die Federenergie breitet. Insbesondere die Mechanik ist noch stark statisch geprägt. Damit Sie den Zusammenhang mit der Ideenwelt der klassischen Lehrbücher erkennen können, schreibe ich die induktiv gespeicherte Energie noch als in Funktion des Drehwinkels auf. Wdef = 1 M2 1 * ⋅ = ⋅ D ⋅ ∆ϕ 2 (5.10) 2 D* 2 Beispiel 21: Zwischen zwei Schwungrädern (Massenträgheitsmomente 50 kgm2 und 150 kgm2), die auf einer gemeinsamen Achse reibungsfei gelagert sind, ist eine Torsionsfeder (Winkelrichtgösse 200 Nm) angebracht worden. Nun werden die beiden Räder gegeneinander gedreht, bis das eine Federende um zwei volle Umdrehungen gegenüber dem andern verschogen ist. Welche maximale Winkelgeschwindigkeit erreicht das grössere Rad, wenn man beide Körper miteinander loslässt. Lösung 21: Sobald man die Räder loslässt, wird mit Hilfe der Federenergie Drehimpuls von einem Körper in den andern gepumpt. Sobald die Feder entspannt ist, drehen sich die Räder am schnellsten. Aus dieser Überlegung heraus ergeben sich zwei Forderungen: die Federenergie muss gleich gross sein, wie die später gespeicherte Rotationsenergie und der total vorhandene Drehimpuls ist immer gleich Null. Die beiden Bedingungen lassen sich als direkt als Gleichungen hinschreiben D* ⋅ J1 ⋅ ∆ϕ J22 + J1 ⋅ J2 1 * 1 1 ⋅ D ⋅ ∆ϕ 2 = ⋅ J1 ⋅ ω12 + ⋅ J2 ⋅ ω 22 2 2 2 ω2 = J1 ⋅ ω1 + J2 ⋅ ω 2 = 0 ω 2 = 7.26s −1 Weil sowohl die Federenergie als auch die Rotationsenergie quadratisch mit dem Winkel bzw. mit der Winkelgeschwindigkeit zunehmen, wächst die maximal erreichbare Winkelgeschwindigkeit linear mit dem anfänglich erzeugten Verdrehungswinkel. ? Kontrollfragen 13.) Geben Sie die kapazitiv gespeicherte Energie als Funktion des Drehimpulsinhaltes an. 14.) Wie hängt die induktiv gespeicherte Energie mit der Stromstärke zusammen? 15.) Die beiden Endflächen einer Welle werden mit konstanter Winkelgeschwindigkeit gegeneinander verdreht. Wie verändert sich die Drehimpulsstromstärke? Wie wächst von der Welle aufgenommene Energie an? Seite 96 Rotationsmechanik 5.5 Einfache Bausteine Netzwerkanalyse Schwungräder, elastische Wellen und Kupplungen dürfen in beliebiger Reihenfolge auf einer Achse zusammengefügt werden. Der Umstand, dass alle Elemente hintereinander montiert sind, bedeutet noch lange nicht, dass sie auch eine Serieschaltung verkörpern. Ist zum Beispiel ein Schwungrad über einen Keil mit einer durchgehenden, drehbar gelagerten Welle fest verbunden, verzweigt sich der Drehimpulsstrom im Gebiet des Keils: der von der einen Seite her zufliessende Drehimpuls kann entweder im Rad gespeichert werden oder über den andern Teil der Welle weiterfliessen. Enthält die zu untersuchende Maschine gar mehrere Achsen, kann Drehimpuls, wie wir schon früher gesehen haben, durch das Zusammenspiel zweier Lagerkräfte über einen nicht lokalisierbaren Pfad ausgetauscht werden. Am komplexesten präsentiert sich Situation, falls eine oder mehrere Achsen nich parallel zu den andern ausgerichtet sind. Dann werden sogar mehrere, getrennt zu bilanzierende Drehimpulssorten ausgetauscht. Dazu mehr im nächsten Kapitel. Trotz dieser Eigenheiten der drehmechanischen Systeme orientieren wir uns bei der Analyse einfacher Apparate an den elektrischen Netzwerken. In keinem Zweig der Technik ist der systemdynamische Ansatz auch nur annähernd so weit entwickelt worden wie in der Elektrizitätslehre. Beispiel 22: Zwei Schwungräder, die auf einer gemeinsamen Achse gelagert sind, werden über eine verdrehbare Feder miteinander verbunden. Von den Lagern der Räder her wirkt je ein Reibdrehmoment mit Ohmscher Charakteristik ein. Eine Reibungt bezeichnen wir als Ohmsch, wenn die Kraft oder das Drehmoment linear mit der Differenz der entsprechenden Geschwindigkeit anwächst. Man zeichne für diese Anordnung eine elektrische Ersatzschaltung. Lösung 22: In jedem der beiden Räder befindet sich eine Verzweigung, ein sogenannter Knoten. Der Drehimpuls kann entweder über die Lager an die Erde oder über die Drehfeder an den andern Körper wegfliessen. Im Gegensatz zum elektrischen Kondendator, dessen totale Ladung immer gleich Null ist, handelt es sich beim Schwungrad um ein System mit einem echten Fassungsvermögen. Diesen Unterschied gilt es mit Hilfe eines kleinen Tricks wettzumachen: wir ergänzen das Massenträgheitsmoment durch ein Spiegelbild, das direkt mit dem Bezugssystem verbunden wird. Diese System, in der Regel die Erde, übt eine zentrale Funktion aus: alle freien Drehimpulsleitungen sind mit dem Bezugssystem direkt zu verbinden. Unser Netz weist also zwei Kapazität auf, die durch eine Induktivität miteinander verbunden sind und beidseits über einen Widerstand an die Erde ankoppeln. R1 R2 L1 C1 C2 Der schwarze Kasten steht für die Induktivität und die beiden weissen für je einen Widerstand. Kapazitäten werden durch Doppelstriche dargestellt. Rotationsmechanik Seite 97 Ein auslaufendes Schwungrad ist mit dem elektrischen RC-Glied ver- das RC-Glied gleichbar. Die Analogie ist modelltreu, sofern die Lagerreibung proportional mit der Winkelgeschwindigkeit abnimmt. In diesem Abschnitt wollen wir das Verhalten eines linearen RC-Gliedes untersuchen. Dazu schreiben wir zuerst die Drehimpulsbilanz für das System Schwungrad hin. Dann ist die Inhaltsänderungsrate durch das kapazitive Gesetz und der abfliessende Drehimpulsstrom durch das Widerstandsgesetz zu substituieren. ω I L = L« mit L« = J ⋅ ω« und I L = − RL RL ⋅ J ⋅ ω« + ω = 0 (5.11) Das Minuszeichen beim Widerstandsgesetz ist eine direkte Folge des Systemwechsels: die Drehimpulsstromstärke in der Bilanz bezieht sich auf das Schwungrad, die Stromstärke im Widerstandsgesetz beschreibt dagegen den Durchfluss durch das Lager. Die Differentialgleichung verlangt, dass die Winkelgeschwindigkeit umso schneller abfällt, je kleiner die Kapazität und je geringer der Widerstand ist. Die Lösung von (5.11) ist in der Elektrizitätslehre bestens bekannt: die Winkelgeschwindigkeit muss exponentiell mit der Zeit abnehmen. ω (t ) = ω 0 ⋅ e − tτ mit τ = RL ⋅ CL = RL ⋅ J (5.12) Das Produkt aus Widerstand und Kapazität, das mit der Einheit Sekunde gemessen wird und meistens mit dem griechischen Buchstaben für t, dem Tau, abgekürzt wird, heisst Zeitkonstante. Diese Konstante τ gibt die Zeitspanne an, in welcher der Inhalt des Schwungrades auf den e-ten Wert abgesunken ist. Beispiel 23: Auf ein Schwungrad (Massenträgheitsmoment 60 kgm2), das sich mit einer Winkelgeschwindigkeit von 50 rad/s dreht, wirkte vom Lager her ein bremsendes Drehmoment mit einer Stärke von 2 Nm ein. Wie lange dauert es, bis das Rad bei konstant gehaltenemDrehmoment stillsteht? Welche Winkelgeschwindigkeit würde das Schwungrad zu diesem Zeitpunkt aufweisen, wenn sich die Reibung Ohmsch verhielte? Lösung 23: Wieder gehen wir von der Drehimpulsbilanz oder vom Grundgesetz der Drehmechanik aus. Die Integration ist diesmal elementar: das abfliessente Drehmoment mal die gesuchte Zeit entspricht dem Impulsinhalt zum Zeitpunkt Null. Mit der Division durch das Drehmoment erhalten wir eine Bremszeit von 1500 Sekunden. Die soeben durchgeführte Rechnung lässt sich als Formel schreiben Weil im zweiten Fall die Lagerreibung dem Ohmschen Gesetz gehorcht, J ⋅ω t= bleibt der Quotient aus der Winkelgeschwindigkeit und der Stärke des M abfliessenden Drehimpulsstromes konstant. Die Bremszeit wird damit zur Zeitkonstante. Mit der Lösung dieses Problems haben wir einen allgemeingültigen Zusammenhang gefunden. Die Zeitkonstante entspricht der Zeit, die aufzuwenden ist, damit sich eine Kapazität bei festgehaltener Anfangsstromstärke vollständig entleert. Seite 98 Rotationsmechanik Der Schwingkreis J ω D* Ein frei drehbar gelagertes Schwungrad sei über eine Feder mit der Erde fest verbunden. Körper und Feder bilden zusammen mit dem Bezugssystem einen mechanischen Schwingkreis. Solange keine Dämpfung vorhanden ist, kann das angestossene Rad beliebig lange hin und her pendeln. Dabei tauscht es seinen Drehimpulsinhalt über die Feder mit der Erde aus. Zur Analyse des Bewegungsablaufes schreiben wir wieder die Drehimpulsbilanz für das System Schwungrad hin. Doch diesmal unterliegt der über die Feder abfliessende Drehimpuls dem induktiven Gesetz, was die Ableitung der Bilanzgleichung nach der Zeit erforderlich macht. Mit dieser Anpassung liegt eine Differentialgleichung zweiter Ordnung vor. ω I«L = L«« mit L«« = J ⋅ ω«« und I«L = − = − D* ⋅ ω LL J ⋅ ω«« + D* ⋅ ω = 0 die harmonische Schwingung Die Differentialgleichung (5.13) verlangt, dass die Winkelgeschwindigkeits-Zeit-Funktion und ihre zweite Ableitung bis auf das Vorzeichen und einen konstanten Faktor gleich aussehen. Weil diese Forderung nur von den harmonischen Funktionen erfüllt wird, ist jede Linearkombination einer Sinus- mit einer Cosinusfunktion Lösung von (5.13). Mathematisch äquivalent aber einfacher zu interpretieren ist eine einzige Lösungsfunktion, bei der eine zusätzliche additive Konstante im Argument die Lösungsvielfalt garantiert ) ω (t ) = ω ⋅ sin(ω 0 ⋅ t + δ ) mit ω 0 = die Bedeutung der drei Parameter (5.13) D* J (5.14) Die Winkelgeschwindigkeits-Zeit-Funktion enthält drei Parameter. Der eine, die sogenannte Kreisfrequenz ω0, hängt von den dynamischen Eigenschaften des Systems ab und kann nicht direkt beeinflusst werden. Die beiden andern Bestimmungsgrössen, die Amplitude und die Phasenverschiebung, sind dagegen frei wählbar. Ihre Werte sind durch die beim Zeitnullpunkt herrschenden Bedingungen vorzugeben: die Amplitude ist ein Mass für die Energie des Oszillators und mit der Phase wird der Zeitmassstab festgesetzt. Beispiel 24: Ein Metallzylinder (Masse 12 kg, Radius 8 cm) hängt aufrecht an einem fünf Meter langen Draht (Durchmesser 4 mm) aus Federstahl (Schubmodul 85 GPa). Wie gross ist die Schwingungsdauer dieses Drehpendels? Mit welcher maximalen Drehzahl wird der Zylinder rotieren, wenn er um eine Viertelumdrehung ausgelenkt und dann losgelassen wird? Lösung 24: Zuerst berechnen wir die beiden Systemgrössen. Die Formel für das Massenträgheitsmoment ist der Tabelle 1 zu entnehmen und zur Berechnung der Drehfederkonstanten ziehen wir (2.3) bei. Mit den vorgegebenen Werten erhält man für das Trägheitsmoment 0.0384 kg·m2 und für die Winkelrichtgrösse 0.427 Nm. Zieht man nun die Wurzel aus dem Quotienten der beiden Systemeigenschaften, folgt daraus gemäss (5.14) die Kreisfrequenz. Weil nach der Schwingungsdauer gefragt wird, müssen wir wissen, wie diese mit der Kreisfrequenz zusammenhängt. Die harmonische Funktion (5.14) nimmt den ursprünglichen Wert an, sobald das Produkt aus Kreisfrequenz und Zeit gleich einem Vielfachen von 2π ist. Die Zeit bis die Bedingung das erste Mal erfüllt ist, heisst Schwingungsdauer oder Periode. Kombiniert man die dynamische Formel für die Kreisfrequenz (5.4) mit dem kinematischen Zusammenhang von Kreisfrequenz und der Rotationsmechanik Seite 99 Schwingungsdauer, erhält man die erwünschte Formel. Mit den vorher berechneten Werten für Trägheitsmoment und WinkelrichtJ T = 2 ⋅π ⋅ grösse erhalten wir eine Schwingungsdauer von 1.88 s. Diese charakteriD* stische Zeit hängt, darauf sei nochmals explizit hingewiesen, nicht vom Auslenkungswinkel ab. Die maximale Drehzahl kann mit Hilfe der Energie berechenet werden. Dazu setzt man die Federenergie im sogenannten Totpunkt der Schwingung gleich der Rotationsenergie in der Gleichgewichtslage. Der direkte Weg geht von der Winkelgeschwindigkeits-Zeit-Funktion aus. Integriert man diese einmal über die Zeit, erhält man die Winkel-Zeit-Funktion: Aus dieser Beziehung folgt, dass die vorgegebenen Winkelamplitude ω√ √ J von π|2 mit der Kreisfrequenz zu ϕ (t ) = ϕ√⋅ cos(ω 0 ⋅ t + δ ) mit ϕ√ = =ω⋅ ω0 D* multiplizieren ist. Dies ergibt eine maximal Drehzahl von 50 Umdrehungen pro Minute. Mit dem RC-Glied umd dem LC-Schwingkreis haben wir zwei wichtige weitere Bauteile und Resonanz Bausteine der Systemdynamik kennengelernt. Kombiniert man alle drei linearen Elemente, resultiert ein gedämpfter Schwingkreis. Weiter können mehrere Schwingkreise gekoppelt oder gleichartige Elemente zu Ketten zusammenfügen werden. Ein ganz anderes Bewegungsverhalten bildet sich aus, sobald ein passives Bauteil mit einem Antrieb verbunden wird. Die zugeschaltete Energieversorgung vermag dann ein System entgegen der Dämpfung weiterzutreiben, d.h. der Eigenbewegung wird ein äusserer Rhythmus aufgeprägt. Auf eine periodischer Anregung kann ein Schwingkreis mit einer sogenannten Resonanz reagieren. Dazu müssen Anregungs- und Eigenfrequenz nahe genug beieinander liegen. Das System schwingt dann unter dem Einfluss der Störung immer stärker. Im schlimmsten Fall führt die periodische Einwirkung zu einer Resonankatastrophe, bei der das System infolge zu starker Beanspruchung zerstört wird. ? Kontrollfragen 16.) Wie heisst das elektrisch-analoge Element des Schwungrades? 17.) Wie berechnet man bei einem RC-Kreis die Zeitkonstante? Was passiert während dieser Zeitspanne? 18.) Ein Schwungrad (Trägheitsmoment J) wird über eine viskose Kupplung (Widerstand RL) abgebremst. Wie lange dauert es, bis die Drehzahl auf die Hälfte abgesunken ist? Geben Sie eine Formel für das Resultat an. 19.) Welche Grössen bestimmen die Schwingungsdauer eines Drehpendels? 20.) Wie hängen bei einer harmonischen Schwingung Periode, Frequenz und Kreisfrequenz zusammen? 21.) Wie berechnet man die Frequenz eines ungedämpften, elektrischer Schwingkreises? 22.) Wie erzeugt man bei einem Schwingkreis ein Resonanzverhalten? 5.6 Computerunterstützte Modellbildung Im Gegensatz zu den elektrischen Systemgrössen weisen viele Bauteile Modellieren mit Stella der Rotationsmechanik ein nichtlineares Verhalten auf. Bei solchen Pro- Seite 100 Rotationsmechanik blemstellungen macht es wenig Sinn, die ausgefeilte Mathematik der elektrischen Systemtheorie auf die Mechanik übertragen zu wollen. Stattdessen wählen wir einen unmittelbareren Zugang. Ein recht benutzerfreundliches Simulationsprogramm mit dem Namen STELLA soll uns dabei unterstützen. Das Programmieren mit STELLA ist leicht zu erlernen. Im Wesentlichen stehen nur drei Elemente (Speicher, Strom und Zusatzvariable) zur Verfügung. Speicher und Ströme werden mit der Maus zu einem System zusammengefügt. Die zugehörige Bilanzgleichung, das eigentliche Rückgrat jedes dynamischen Modells, wird im Hintergrund aufgestellt und numerisch integriert. Die Integrationsmethode (Euler oder Runge-Kutta) kann über ein Dialogfenster ausgewählt werden. Jeder weiteren Grösse wie Potential oder Systemeigenschaft wird ein Kreis als Symbol zugewiesen. Dann markiert man mit roten Pfeilen die gewünschten Relationen und gibt die zugehörigen konstitutiven Gleichungen über Dialogfenster ein. Weil diese Relationen nachher nicht mehr auf der Modellierungsoberfläche erscheinen, können sie auf einer separaten Liste jederzeit eingesehen werden. Modellbildung als Lernprozess Die eigentliche Modellbildung benötigt wenig Zeit: eine oder mehrere Bilanzbeziehungen aufstellen, jeder weiteren Variablen einen Kreis zuordnen, Verknüpfungen mit einem Pfeil markieren, die zugehörigen Gleichungen formulieren, Simulationszeit, Zeitschritt und Integrationsmethode festlegen und schon steht das ganze Modell zur Simulation bereit. Die gerechneten Daten können entweder als Diagramm oder in Form einer Tabelle eingesehen werden. Die Vorteile der Modellbildung im Bezug auf das Verständnis dynamischer Systeme lassen sich kaum in einem Lehrbuch adäquat darstellen. Deshalb soll hier nur exemplarisch gezeigt werden, wie die systemdynamische Formulierung mit der Philosophie der Modellbildungswerkzeuge im Einklang steht. In einem ersten Schritt soll nur die Drehimpulsbilanz untersucht werden. Beispiel 25: Auf ein Schwungrad wirke ein Drehmomen ein, dessen Grösse in Funktion der Zeit vorgegeben ist. DasLager produziert ein Reibdrehmoment, das linear mit der Winkelgeschwindigkeit wächst. Wie schnell bewegt sich das Rad nach einer vorgegebenen Zeit? Lösung 25: Zur Lösung dieses Problems fügen wir auf der Modellierungsebene von STELLA einen Kübel und zwei Pipelines zusammen. Der Kübelinhalt, den wir zum Zeitnullpunkt gleich Null setzen, verkörpert den Drehimpulsinhalt. Die beiden Leitungen stehen für die zwei Drehmomente. In das Dialogfeld des ersten Ventils schreiben wir die vorgegebene Funktion. Zur Formulierung der zweiten Stromstärke, des Reibmomentes, brauchen wir den aktuellen Wert der Winkelgeschwindigkeit. Diese berechnet sich als Quotient von Drehimpuls und Massenträgheitsmoment. Also setzen wir zwei neue Kreise, einen für das Massenträgheitsmoment und einen für die Winkelgeschwindigkeit, in unser Modell ein. Dann wird die gegenseitige Abhängigkeit mit roten Wirkpfeilen verdeutlicht. Die mathematischen Rotationsmechanik Seite 101 Zusammenhänge weist man den einzelnen Variablen über Dialogfenster zu. Der Drehimpulswiderstand, der den Zusammenhang zwischen dem abfliessenden Drehimpulsstrom und der Winkelgeschwindigkeit beschreibt, ist als weitere Grösse ins Modell eingefügt worden. Nun ist das Ganze schon lauffähig. Integrationsmethode, Zeitschritt und Simulationzeit sind standardmässig eingestellt und können bei Bedarf verändert werden. Einzelne Schwungräder dürfen in beliebiger Anzahl zusammengeschal- die konstitutiven Gesetze als tet werden. Lagerreibung, Elastizität der Antriebswellen und hydrauli- Stolpersteine sche Kupplungen sind schnell modelliert. Etwas aufwendiger gestaltet sich die Darstellung einer Rutschkupplung oder eines realistischen Elektromotors. Oft benötigt man eine rechte Portion Intuition, um ein wirklichkeitstreues Abbild eines gegebenen Apparates herzustellen. Andererseits darf man ruhig einmal ein unrealistisch Verhalten modellieren. STELLA bietet ein weites Feld, auf dem man der Phantasie freien Lauf lassen kann. Im Physikunterricht analysiert man auch heute noch die Werke alter Physik und Kreativität Meister, bestaunt sie und rechnet den vorgegebenen Lösungsweg nach. Leider bleibt dabei den meisten Schülern und Studenten die schöpferische Seite der exakten Wissenschaft verborgen. Bisher war es ganz wenigen Geistern vergönnt, eigene physikalische Modelle aufstellen zu dürfen. In dieser Hinsicht kann die dynamische Formulierung der Physik in Kombination mit graphikfähigen Modellbildungs- und Simulationswerkzeugen eine kleine Revolution auslösen, denn erst auf der Stufe Modellbildung wird physikalisches Schaffen zu einer kreativen Angelegenheit. Ich hoffe, dass im zukünftigen Physikunterricht dank der systemdynamischen Sichtweise die passive Nachbeterei alter Modelle auf ein erträgliches Mass reduziert wird. Die Physik könnte dann wieder eine Vorreiterrolle innerhalb der Naturwissenschaft spielen. ? Kontrollfragen 23.) Wieso lassen sich nicht alle Modelle der Drehmechanik auf elektrische Netzwerke abbilden? 24.) Welche Struktur bildet das Rückgrat eines dynamischen Modells? 25.) STELLA arbeitet hauptsächlich mit drei Strukturelementen. Mit welchen? 26.) Im oben aufgeführten Beispiel legt die Winkelgeschwindigkeit das Reibdrehmoment fest. Wie wird diese Grösse berechnet? Seite 102 Rotationsmechanik Zusammenfassung von Kapitel 5 Ein rotationsmechanisches System setzt sich aus verschiedenen Elementen zusammen. Die drei wichtigsten haben wir besprochen. Das Massenträgheitsmoment speichert als Kapazitivglied proportional zur Winkelgeschwindigkeit Drehimpuls. Bauteile mit variabler Kapazität verändern unter dem Einfluss der Drehbewegung ihre Geometrie. Unter dem Titel Widerstandselement werden sämtliche reibungsbehaftete Glieder zusammengefasst. Ein Ohmsches Verhalten liegt jedoch nur vor, wenn der hindurchfliessende Drehimpulsstrom proportional zur Differenz der Winkelgeschwindigkeiten anschwillt. Jede elastisch verdrehbare Welle verhält sich bezüglich des Drehimpulsstromes induktiv. Die Induktivität ist proportional zum Reziprokwert der Drehfederkonstanten, auch Winkelrichtgrösse genannt. Leider gehorchen nicht alle Materialien dem Hookeschen Gesetz. Antriebswellen aus Kunststoffen zum Beispiel verformen sich wesentlich anders als Stahlzylinder. Einerseits ändert sich ihre Federkonstante mit der Belastung, andererseits führt jede Verformung zu einer Energiedissipation. Will man solche Elemente originalgetreu modellieren, muss man einiges an Erfahrung mitbringen. Bauteile mit einer Kapazität oder einer Induktivität können Energie zwischenlagern. Die kapazitiv gespeicherte Energie, die Rotationsenergie, ist proportional zu Winkelgeschwindigkeit im Quadrat. Die induktiv aufgenommene Energie, oft auch elastische genannt, hängt bei einem linearen Glied nur von der Induktivität und vom durchfliessenden Drehimpulsstrom ab. Hier geht die Stromstärke quadratisch in die Beziehung ein. Widerstandselemente speichern keine mechanisch abrufbare Energie. Dafür produzieren sie mit Hilfe der freigesetzten Energie Entropie. Die energiefressende Entropieproduktion wird oft mit Dissipation umschrieben. Bei einem Element mit linearer Charakteristik ist die Dissipationsrate proportional zum Quadrat des hindurchfliessenden Drehimpulsstromes. Die Begriffe Kapazität, Widerstand und Induktivität entstammen der Elektrizitätslehre. Weil die Drehmechanik in ihrer formalen Struktur zur Elektrizitätslehre ähnlich ist, dürfen wir bestimmte Erkenntnisse von der elektrischen Netzwerkanalyse auf die Rotationsmechanik übertragen. Verhält sich ein mechanisches Systeme linear, darf die jeweilige Problemstellung direkt in die Elektrizitätslehre übersetzt und dann zusammen mit der Lösung wieder zurücktransformiert werden. In diesem Kapitel haben wir zwei wichtige Bauteilkombinationen besprochen. Die erste, bei dem ein Schwungrad über eine viskose Kupplung abgebremst wir, verhält sich analog zum RC-Glied des elektrischen Stromkreises. Dementsprechend nimmt die Winkelgeschwindigkeit des Rades exponentiell mit der Zeit ab. Nach einer Zeitspanne, die gleich dem Produkt aus Widerstand und Kapazität ist und Zeitkonstante heisst, sinkt die Winkelgeschwindigkeit auf den e-ten Teil des Anfangswertes ab. Das zweite System, das sich aus einem Schwungrad und einer verdrehbaren Welle zusammensetzt, verhält sich analog zum elektrischen Schwingkreis. Die zugehörige Schwingungsdauer ist proportional zur Wurzel aus dem Quotienten von Massenträgheitsmoment und Drehfederkonstante. Viele Bauteile der Rotationsmechanik weisen ein drehzahlabhängiges Verhalten auf. Insbesondere bei Widerstandsgliedern findet man die unterschiedlichsten Charakteristiken. Weil sich solche Systemen kaum mit der mechanisch-elektrische Analogie korrekt beschreiben lassen, müssen neue Lösungsstrategien entwickelt werden. Ein erfolgversprechender Ansatz liefert die direkte Modellbildung mit STELLA. Bei diesem Programm aus der Küche der allgemeinen Systemdynamik wird die Drehimpulsbilanz mit Kübeln und Piplines nachgebildet. Alle weiteren Grössen sind als Kreise darzustellen und mit Pfeilen zu einem Wirkkreis zu verbinden. Sobald die formalen Beziehungen über Dialogfelder eingegeben worden sind, ist das Programm lauffähig. Jede Funktion lässt sich entweder als Graph darstellen oder in Form einer Tabelle exportieren. Rotationsmechanik Seite 103 !? Lernzielkontrolle Die Definitionsgleichung für die drei linearen Systemeigenschaften Kapazität, Widerstand und Induktivität kennen. 1.) 2.) 3.) 4.) 5.) 6.) 7.) Mit welcher Einheit wird die Drehimpulskapazität gemessen? Wann weist ein rotierender Körper keine konstante Drehimpulskapazität auf? Wie muss Reibung eines Lagers mit der Winkelgeschwindigkeit zusammenhängen, damit sich dieses dynamische Element analog zum elektrischen Widerstand verhält? Führt der Luftwiderstand bei einem Ventilator zu einem konstanten Drehimpulswiderstand? Welche Kupplung zeigt ein Verhalten, das dem elektrischen Widerstand ähnlich ist? Bei einer Antriebswelle sei die Winkelrichtgrösse bekannt. Wie gross ist dann die Drehimpulsinduktivität? Welche Wirkung übt eine Induktivität auf den Strom aus? Was passiert, wenn bei einem Kreis mit Induktivglied der Strom plötzlich unterbrochen wird? Geeignete drehmechanische Systeme in einzelne Elemente auflösen und das zugehörige systemdynamische Modell skizzieren können. 8.) 9.) 10.) 11.) 12.) 13.) Zwei frei drehbar gelagerte Schwungräder koppeln über eine viskose Verbindung. Skizzieren Sie das elektrisch-analoge Schaltbild. Wie sieht die zugehörige Drehimpulsbilanz auf der Modellierungsoberfläche von STELLA aus? Ein Metallzylinder, der koaxial an einem sehr langen Stahldraht hängt, wird vollständig in Oel eingetaucht. Man skizziere eine elektrisch-analoge Schaltung. Ein Elektromotor treibt über eine weiche Welle ein Schwungrad an. Dabei fliesst über das elektromagnetische Feld ein konstanter Drehimpulsstrom zu. Skizzieren Sie das zugehörige Schaltbild unter Berücksichtigung des Massenträgheitsmomentes des Rotors. Zwei frei drehbare Schwungräder sind über eine Drehfeder miteinander verbunden. Wie sieht das elektrische Ersatzschaltbild aus? Von zwei Schwungrädern, die über eine verdrehbare Welle miteinander verbunde sind, wird das eine über eine zähe Ölschicht abgebremst. Das andere weist keine nennenswerte Reibung auf. Skizzieren Sie das Flüssigkeitsbild und die elektrische Ersatzschaltung. Eine Antriebswelle besitzt sowohl ein Massenträgheitsmoment als auch eine Torsionssteifigkeit. Wie lässt sich ein solches Bauteil möglichst wirklichkeitsgetreu modellieren. Seite 104 Rotationsmechanik A Übungsaufgaben 2.) Das Schwungrad aus Aufgabe 1.) sei über die oben erwähnte Kupplung mit einem zweiten (Trägheitsmoment 35 kg·m2) verbunden. Anfänglich drehe sich das erste Rad mit 500 Umdrehungen pro Minute in die als positiv angenommene Drehrichtung. Das andere rotiere mit gleicher Drehzahl auf die andere Seite. Mit welcher Winkelgeschwindigkeit drehen sich die beiden Räder nach ausreichend langer Zeit? Alle ausserhalb der Kupplung liegenden Reibungseinflüsse sind zu vernachlässigen. Wieviel Energie wird insgesamt in der Kupplung dissipiert? Wie lange dauert es, bis das eine Rad gegenüber dem andern nur noch eine relative Drehzahl von 300 Umdrehungen pro Minute aufweist? 3.) Ein Metallzylinder (Dichte 7300 kg/m3, Durchmesser 12 cm, Höhe 15 cm) hängt an einem Stahldraht (Durchmesser 4 mm, Schubmodul 85 kN/mm2). Wie lang muss der Draht sein, damit die Schwingungsdauer zehn Sekunden beträgt? 4.) Zwischen zwei ausgewuchteten, reibungsfrei gelagerten Rotoren (Massenträgheitsmomente 2 kg·m2 und 6 kg·m2) ist eine Drehfeder (Winkelrichtgrösse 15 Nm) eingespannt. Die beiden Körper werden nun um den Winkel 2 rad gegeneinander verdreht und dann losgelassen. Berechnen Sie die Maxima der beiden Winkelgeschwindigkeiten. Wie gross ist die Schwingungsdauer dieses Zweimassenschwingers? 5.) Ein Schwungrad (Trägheitsmoment 40 kg·m2) ist über eine verdrehbare Welle mit einem zweiten (Trägheitsmoment 100 kg·m2) verbunden. Dreht man den einen Rotor um einen Radianten und hält den andern gleichzeitig fest, so fliesst ein Drehimpulsstrom von 200 Nm durch die ganze Anordnung hindurch. Mit welcher Frequenz schwingt das trägere Rad, wenn man dieses loslässt und den andern weiterhin festhält? Nun lässt man beide Körper gleichzeitig los. Welche maximale Winkelgeschwindigkeit erreicht das kleiner Rad? Mit welcher Frequenz schwingen die Räder gegeneinander? 6.) In Aufgabe 5.) sei das grössere Rad über eine Viskokupplung (Widerstand RL) mit der Wand verbunden. Zudem wirke auf das andere ein harmonisch oszillierendes Drehmoment (Amplitude M, Frequenz f) ein. Schreiben Sie für beide Räder rein formal die Drehimpulsbilanz auf. Ersetzen Sie dann die einzelnen Terme durch die zugehörigen konstitutiven Gesetze. 6 kgm 2 Ein Schwungrad (Massenträgheitsmoment 75 kg·m2) wird über eine viskose Kupplung abgebremst. Nach vier Minuten ist die Drehzahl des Rades von 800 Umdrehungen pro Minute auf 500 abgesunken. Wie lange dauert es, bis sich das Rad nur noch mit 200 Umdrehungen pro Sekunde dreht? Die viskose Kupplung verhalte sich ideal, d.h. der durchfliessende Drehimpulsstrom ist proportional zur Winkelgeschwindigkeitsdifferenz. 2 kgm 2 1.) Rotationsmechanik 7.) Seite 105 Ein grosser Ventilator (Massenträgheitsmoment 5 kg·m2) muss, damit er mit 120 Umdrehungen pro Minute dreht mit 100 W angetrieben werden. Der Luftwiderstand sei proportional zum Quadrat der Drehzahl. Wie gross ist die Antriebsleistung bei einer Drehzahl von 60 Umdrehungen pro Minute? Formulieren Sie ein Impulsstromstärke-Winkelgeschwindigkeitsgesetz für den Luftwiderstand und geben Sie für die neu einzuführende Konstante den richtigen Wert an? Wie lange dauert es, bis der mit 60 Umdrehungen pro Minute rotierende Ventilator stillsteht? Hinweis: Schreiben Sie zuerst die Drehimpulsbilanz auf. Ersetzen Sie dann die Änderungsrate des Inhaltes durch das Kapazitivgesetz und die Stromstärke durch die oben formulierte Gesetzmässigkeit. Die so gebildete Differentialgleichung lässt sich durch Separieren lösen. Wie sieht das Winkelgeschwindigkeits-Zeit-Verhalten des Ventilators aus? Wie verändert sich das Luftreibungsdrehmoment mit der Zeit? 8.) Eine Viskokupplung besteht aus einem Kolben (Durchmesser 99.5 mm) und einem koaxial ausgerichteten, im Boden verankerten Hohlzylinder (Innendurchmesser 100.5 mm). Die ölgefüllte Zwischenschicht ist 0.5 mm dick und erstreckt sich über 100 mm. Die ganze Kupplung steht aufrecht und zwischen der unteren Stirnfläche des Kolbens und dem Zylinderboden befindet sich ebenfalls eine 0.5 mm dicke Ölschicht. Das zähe Öl weist eine Viskosität von 100 mPa·s auf. Berechnen Sie den Drehimpulswiderstand des stirnseitig wirkenden Ölfilms. Hinweis: Zerlegen Sie die Ölscheibe in lauter Ringe der Breite dr. Bestimmen Sie dann bei gegebener Winkelgeschwindigkeit das von der Kolbenoberfläche auf einen beliebigen Ölring einwirkende Drehmoment. Diese Einwirkung muss nun noch über alle Ringe zum Gesamtdrehmoment aufsummiert werden. Zum Schluss ist das Drehmoment durch die Winkelgeschwindigkeit zu dividieren. Wie stark ist der Drehimpulsstrom, der bei einer Kolbendrehzahl von 120 Umdrehungen pro Minute durch das Gerät hindurchfliesst? 9.) Ein langer, zylinderförmiger Stab werde an der einen Stirnfläche mit hoher Frequenz auf Torsion belastet. Die Belastung schwillt wechselseitig harmonisch an und ab. Infolge dieser Anregung pflanzen sich Drehschwingungen längs des Stabes fort. Modellieren Sie dieses System als Federkette, indem Sie es mit Schwungrädern und Drehfedern nachbilden. Wie berechnet man für einen kurzen Metallzylinder der Länge s die Systemeigenschaften Drehimpulskapazität und Drehimpulsinduktivität? Die kurzen Zylinder und die dazwischenliegenden Federn können fortlaufend nummeriert werden. Die Kette beginne mit der Feder Nummer 0. Dem ersten Zylinder werde der Index 1 zugewiesen. Wie sieht die Drehimpulsbilanz für den i-ten Zylinder aus? Ersetzen Sie in der Drehimpulsbilanz für den i-ten Zylinder den Inhalt durch das kapazitive Gesetz und die Ströme durch das induktive. Wie lautet die so gewonnene Bewegungsgleichung? 10.) Ein Schwungrad (Massenträgheitsmoment 80 kg·m2), das über eine starke Drehfeder fest mit der Wand verbunden ist, schwingt alle zehn Sekunden einmal hin und her. Dabei dreht es sich insgesamt um 180˚. Wie gross ist die Winkelrichtgrösse der Feder? Wie stark schwillt der durch die Feder fliessende Drehimpulsstrom an? Welche Maximalleistung setzt der Drehimpulsstrom in der Feder drin um? Seite 106 Rotationsmechanik 6. Der Drehimpuls als Vektor In der nichtrelativistischen Mechanik werden drei Sorten Drehimpuls unterschieden. Die drei Sorten transformieren sich wie die Komponenten eines Vektors. Drei getrennt aufzustellende Bilanzgleichungen, ein komplexes Speicherverhalten des starren Körpers und eine kaum überblickbare Vielfalt an Transportmöglichkeiten sind mit der Vektoreigenschaft des Drehimpulses verbunden. In diesem Kapitel beschränke ich mich auf einige wenige Phänomene. Dabei sollen vor allem Beispiele berücksichtig werden, die entweder technisch wichtig sind oder einen Bezug zum Rest der Drehmechanik herstellen. In einem ersten Schritt soll die systembezogene Drehimpulsstromstärke verallgemeinert werden, d.h. das Drehmoment ist zu einer vektorwertigen Grösse auszubauen. Die geometrische Struktur des Drehimpulses verlangt nun, dass Drehwirkung und Drehmomentenvektor normal zueinander stehen. Von den beiden sich anbietenden Möglichkeiten wird per Definition die rechthändig orientierte ausgewählt. Soll zum Beispiel eine Schraube angezogen werden, zeigt das zugehörige Drehmoment vom Kopf in den Schaft hinein. Dies gilt natürlich nur für handelsübliche Gewinde; beim Festdrehen einer Linksschraube weist das einwirkende Drehmoment vom Schaft gegen den Kopf. Die Händigkeit einer Schraube kann durch blosses Herumbewegen im Raum nicht verändert werden. Erst bei einer Spiegelung geht eine Rechts- in eine Linksschraube über. Weil ein Drehmomente als Schnittgrössen auf ein Objekt zu beziehen ist, tauchen an jeder Referenzfläche zwei Vektoren auf, die ein Wechselwirkungspaar bilden. Der eine Pfeil steht für die Drehimpulsstromstärke bezüglich des ersten Systems, der andere zeigt den Austausch des zweiten an. Zwei gegeneinander gerichtete Drehmomente, die auf ein gemeinsames Objekt einwirken, beschreiben dagegen eine Gleichgewichtssituation. Das eine Drehmoment steht für den Drehimpulseintritt, das andere für den Abfluss. Zur Illustration ein kleines Beispiel: dreht man bei einer Schraubverbindung mit der einen Hand die Mutter gegen die von der andern Hand festgehaltene Schraube, zeigen beide Drehmomente ins System hinein. Trotz dieser Symmetrie wird Drehimpuls durch die Verbindung hindurchtransportier, wobei die Durchflussrichtung von der Wahl des Koordinatensystems abhängt. Der in positive Koordinatenrichtung weisende Pfeil zeigt einen Drehimpulszufluss und der andere einen Abfluss an. Sowohl der Bahndrehimpuls als auch das in Begleitung einer Kraft einwirkende Drehmoment werden mit Hilfe des Vektorproduktes gebildet. Sollten Sie dieses mathematischen Werkzeug noch nicht kennen, müssen Sie sich unverzüglich damit vertraut machen. Im Anhang wird ein kleine Einführung ins Rechnen mit dem Vektorprodukt gegeben. Der im Kapitel 2 gefundene Zusammenhang zwischen dem seitwärts fliessenden Impulsstrom und dem damit verbundenen Drehimpulsaustausch entspricht der einen Komponente eines Vektorproduktes. Damit diese Relation vorzeichenmässig immer erfüllt ist, sind von nun an nur noch rechthändige Koordinatensysteme zulässig. Bei diesen Systemen richten sich die drei Achsen nach den Fingern der rechten Hand aus, d.h. wenn der Daumen in x-Richtung und der Zeigfinger in y-Richtung weisen, legt der Mittelfinger der rechten Hand die Orientierung der z-Achse fest. Zeichnet man aus Versehen ein linkshändiges Koordinatensystem ein, stimmt die komponentenweise Ausführung des Vektorproduktes nicht mehr mit der Definition des Drehmomentes überein. Im ersten Abschnitt dieses Kapitels soll einem Kräftepaar ein Drehmomentvektor zugeordnet werden. Im zweiten wird gezeigt, wie einer Einzelkraft ein Drehmoment zuzuweisen ist. Gegenüber der ebenen Darstellung mit nur eine Sorte Drehimpuls ändert sich dabei ausser der mathematischen Beschreibung kaum etwas. Im dritten Abschnitt werden wir das Speicherverhalten starrer Körper untersuchen. Leider ist der Zusammenhang zwischen Drehimpulsinhalt und Winkelgeschwindigkeit nicht mehr so elementar wie die entsprechende Beziehung in der Translationsmechanik. Im allge- Rotationsmechanik Seite 107 meinen Fall steht der Drehimpulsvektor nicht parallel zur Winkelgeschwindigkeit. Folglich kann das Massenträgheitsmoment keine skalare Grösse sein. Diese komplexe Struktur wird ein Stück plausibler, wenn man sich konsequent an der systemdynamischen Analyse orientieren. Mit dieser Methode lässt sich die Mechanik des starren Körpers in zweit Teilaspekte aufgespalten. Der dynamische Teil wird von der Drehimpulsbilanz beherrscht, der kinematische verknüpft den Drehimpulsinhalt mit der Winkelgeschwindigkeit. Der kinematische Aspekt bildet eindeutig den schwierigeren Teil. Primär generiert der gespeicherte Drehimpuls über die momentane Winkelgeschwindigkeit eine Drehung im Raum. Diese Bewegung transformiert die einzelnen Komponenten des Massenträgheitsmomentes, womit wiederum die Winkelgeschwindigkeit beeinflusst wird. Drehimpulsinhalt, Winkelgeschwindigkeit und Drehung im Raum bilden damit eine Rückkopplungsschleife, welche die Bewegung des Kreisels steuert. Im Gegensatz zur Translation kann sich also der Rotationszustand eines Körpers ändern, ohne dass die entsprechende Bewegungsmenge ausgetauscht wird. Wir werden uns aber nur am Rande mit solchen Kreiselproblemen beschäftigen und uns hauptsächlich auf technisch wichtige Fragen wie Lagerbelastung bei Schwenkbewegungen oder dynamischer Unwucht beschränken. ! Lernziele Einem Kräftepaar oder einer Einzelkraft einen Drehmomentenvektor zuordnen können. Wissen, wie die räumliche Drehimpulsbilanz formuliert wird. Die Energiebilanz für einen starren Körper formulieren können. Die Mechanik der Schwenkbewegung verstehen. Die Lagerbelastung bei einer dynamischen Unwucht bestimmen können. Die Begriffe Deviationsmoment und Hauptachsen verstehen. 6.1 Das Drehmoment eines Kräftepaares Ein Körper ist im Gleichgewicht, sobald die Summe über alle Kräfte Drehmomente am zweiarmiund die Summe über alle Drehmomente gleich Null sind. Dann wird gen Hebel netto weder Impuls noch Drehimpuls ausgetauscht. Den Zusammenhang zwischen Drehmoment und Kräftepaar haben wir in einem früheren Abschnitt am Beispiel des Winkelhebels schon einmal eingehend untersucht. Die dort gefundene Beziehung wollen wir an dieser Stelle weiter verallgemeinern. Die Schenkel des Hebels schliessen nun keinen rechten Winkel mehr ein und die Kräfte stehen schief zu den beiden Hebeln. Weil das Koordinatensystem nun nicht mehr nach den Schenkeln des Hebels ausgerichtet werden kann und jede einwirkende Kraft im Normalfall in zwei Komponenten zerfällt, fliesst in beiden Armen des Hebels sowohl ein x- als auch ein y-Impulsstrom. Nun kann jeder der beiden Ströme einen Drehimpulsaustausch erzwingen. Dazu muss er nur ein Stück weit seitwärts fliessen. Man darf die ganze Argumentation natärlich auch umkehren: der Drehimpuls, der über den einen Arm des Hebels zu- und über den andern wegfliesst, induziert in beiden Hebelteilen je nach Lage sowohl einen x- als auch einen y-Impulsstrom. Seite 108 Zerlegung in Kräftepaare Rotationsmechanik Im skizzierten Beispiel habe ich die Lagerkraft in zwei nichtkartesische Komponenten aufgespalten. Dadurch werden zwei Kräftepaare sichtbar, die je ein Drehmoment erzeugen. Damit Gleichgewicht herrscht, muss die Summe der beiden Drehmomente gleich Null sein. Fig. 6. - 1: Beim Winkelhebel bilden die Kräfte, die an den beiden Armen angreifen, zusammen mit den entsprechenden Komponenten der Lagerkraft je ein Paar. Die zugehörigen Impulsströme fliessen schief zu der jeweiligen Bezugsrichtung. x y komponentenweise Berechnung In beiden Armen des belasteten Hebels fliesst sowohl x- als auch y-Impuls schief zur Bezugsrichtung. Damit tragen beide Sorten zum Drehimpulsaustausch bei und für jeden Hebelarm ist ein zu (2.1) analoger Ausdruck hinzuschreiben. I L = I px ⋅ ∆y − I py ⋅ ∆x M = Fx ⋅ ∆y − Fy ⋅ ∆x (6.1) In Formel (6.1) sind zwei Schreibweisen aufgeführt. Die erste ist konsequenter, dafür ist die zweite gebräuchlicher. Der Ausdruck (6.1) scheint identisch mit (2.1) zu sein. Im Gegensatz zu jenem beschreibt dieser aber den Drehimpulsaustausch in nur einem Arm. Fig. 6.-2 zeigt, wie die Impulsströme aussehen, die durch den linken Arm des Winkelhebels fliessen. Fig. 6. - 2: Kräftepaar und Impulsströme im linken Teil des Winkelhebels. Jede Kraftkomponente steht für die Stromstärke des zugehörigen Impulses. Weil die Kräfte nichts über die Transportrichtung des Impulses aussagen, sind die Stromrichtungen an den Eintrittsstellen willkürlich gewählt worden. x y s F Kräftepaar x-Strombild y-Strombild Rotationsmechanik Seite 109 Dreht man das Koordinatensystems um die z-Achse, ändern sich die Das Drehmoment eines KräfteStärken sowohl des x- als auch des y-Impulsstromes. Der mit Hilfe von paares als eine Komponente (6.1) berechnete Wert des Drehmomentes bleibt jedoch invariant. Dies des Vektorproduktes folgt direkt aus der Struktur des mathematischen Ausdrucks. Bezeichnet man das Drehmoment in (6.1) als z-Komponente eines Vektors, kann der Term rechts vom Gleichheitszeichen als zugehöriger Teil eines Vektorproduktes gelesen werden. Die beiden andern Komponenten finden man durch zyklisches Vertauschen. Bei diesem Verfahren werden alle Indices in der Formel alphabetisch um einen Wert geschoben, d.h aus dem x wird ein y, das y verwandelt sich in ein z und das z geht über in ein x. Das zyklischen Vertauschens erzeugt keine neuen Gesetze. Es spiegelt nur die Isotropie des Raumes wieder. Der Drehmomentenvektor eines Kräftepaares kann auch auf elementa- elementargeometrische rem Weg bestimmt werden. Dazu bildet man zuerst das Produkt aus dem Betrachtungsweise Betrag der einen Kraft und dem Abstand der beiden zugehörigen Wirklinie. Nun überlegt man, auf welche Seite sich der Körper unter dieser Wirkung drehen würde, krümmt die Finger der rechten Hand und legt diese so auf die Zeichnung, dass die Fingerspitzen den zugehörigen Drehsinn anzeigen. Der Daumen der rechten Hand weist dann in Richtung des Drehmomentenvektors. Vergewissern Sie sich anhand der untenstehenden Figur, dass dieses Vorgehen das gleiche Resultat liefert wie Formel (6.1). Abstand Wirklinie x s Fig. 6. - 3: Das Drehmoment eines Kräftepaares ist gleich den Produkt aus dem Betrag der einen Kraft und dem Abstand der beiden Wirklinien. In der nebenstehend skizzierten Situation weist der Drehmomentenvektor aus dem Blatt heraus. F y Wirklinie Das Vektorprodukt lässt sich, wie schon erwähnt, koordinatenfrei for- koordinatenfreie Darstellung muliern. Insbesonder bei statischen Problemstellungen, wenn also nur ein Gleichgewicht zu untersuchen ist, erreicht man man manchmal das Ziel so schneller als mit einer komponentenweisen Berechnung. Deshalb wollen wir uns noch kurz mit koordinatenfreien Formulierung befassen: wirken auf ein System zwei entgegengesetzt gleich grosse Kräfte ein und kann der Abstand der beiden Kraftangriffsflächen mit dem Vektor s beschrieben werden, so ist das zugehörige Drehmoment gleich dem Vektorprodukt aus der Kraft und dem Distanzvektor r r r M = F×s (6.2) Kraft- und Distanzvektor müssen von einem gemeinsamen Punkt ausge- Vektorprodukt und Orientiehen, damit Formel (6.2) auch bezüglich des Vorzeichens korrekt ist. rung des Drehmomentes Seite 110 Rotationsmechanik Falls der andere Partner des Kräftepaares beigezogen wird, muss man die beiden Faktoren in (6.2 ) miteinander vertauschen. Diese Vorzeichenschwierigkeiten lassen sich auf operationellem Weg beseitigen. Dazu sind zwei Definitionen miteinander in Einklang zu bringen. Als erstes entnimmt man der Zeichnung die Richtung des Drehmomentenvektors. Dazu werden die Finger der rechten Hand wie schon besprochen in die Wirkrichtung des Kräftepaares gelegt. Der Daumen zeigt dann an, wie der Drehmomentenvektor orientiert ist. In einem zweiten Schritt überprüft man mit den Fingern der rechten Hand das Vektorprodukt. Diesmal muss der Daumen in die Richtung des Kraftpfeils zeigen und der Zeigfinger ist parallel zum Abstandsvektor auszurichten. Zeigt nun der abgewinkelte Mittelfinger entgegen der Richtung des vorher festgelegten Drehmomentes, sind die Faktoren im Vektorprodukt (6.2) zu vertauschen. Andernfalls hat man die richtige Definition erwischt. Beispiel 26: Eine Metallkugel (Durchmesser 25 cm) weise vier Bohrungen auf, die radial nach innen verlaufen und nach den Ecken eines Tetraeders ausgerichtet sind. Alle vier Bohrlöcher sind mit einem normalen Gewinde versehen. Nun wirken über drei eingeschraubte Bolzen drei gleich grosse Drehmomente von 10 Nm auf die Kugel ein. Das vierte, unbelastete Bohrloch zeigt genau vertikal nach unten. Damit sich die Kugel nicht dreht, wird sie am Äquator an zwei gegenüberliegen Punkten festgehalten. Die beiden Festhaltekräfte bilden zusammen eine Resultierende, welche die Gewichtskraft kompensieren muss und ein Kräftepaar, das die Kugel bezüglich Rotation stabilisiert. Wie gross ist eine der beiden Komponenten des Paares? Lösung 26: Falls man die Symmetrie des Problems einbezieht, ist diese Aufgabe recht einfach zu lösen. Über die vierte Bohrung müsste ebenfalls ein Drehmoment von 10 Nm einwirken, damit die Kugel nicht zu rotieren anfängt. Dieses Drehmoment soll nun durch das gesuchte Kräftepaar erzeugt werden. Weil der gegenseitige Abstand dieser Punkte 0.25 m beträgt, messen die beiden Kraftkomponenten je 40 N. Selbstverständlich kann man zuerst alle drei Drehmomente vektoriell addieren. Man wird dabei aber nur feststellen, dass die Summe 10 Nm beträgt und der zugehörige Vektor nach unten weist. die sechs Bilanzgleichungen Das Drehmoment eines Kräftepaars berechnet sich als Skalarprodukt aus Kraft und Abstandsvektor. Zudem steht der Drehmomentenvektor immer normal zur Wirkebene, wobei Wirkrichtung und Drehmomentvektor eine Rechtsschraube bilden. Trotz dieser abstrakten Regel dürfen wir nie vergessen, dass ein Drehmoment immer einen Drehimpulsaustausch beschreibt. Jede der drei Komponente des Drehmomentenvektors misst eine andere Stromstärke. Damit verhält sich das Drehmoment zum Drehimpuls wie die Kraft zum Impuls. Spaltet man alle Kräfte und alle Drehmomente bezüglich eines Koordinatensystems in ihre Komponenten auf, ergeben die Impuls- und die Drehimpulsbilanz sechs unabhängige Gleichungen, die das Bewegungsverhalten eines starren Körpers eindeutig festlegen. ? Kontrollfragen 1.) 2.) Bei einem Kräftepaar weise der eine Vektor in die positive y-Richtung und die beiden Wirklinien bilden eine Ebene, die von der x-Achse normal durchstossen wird. Welche Sorte Drehimpuls tauscht der fragliche Körper aus? Die y- und die z-Achse des Koordinatensystems liegen in der Wirkebene eines Kräftepaares Rotationsmechanik 3.) 4.) 5.) 6.) Seite 111 drin. Blickt man in Richtung der positiven x-Achse auf des Kräftepaar, wirkt dieses im Gegenuhrzeigersinn auf den Körper ein. Nimmt der Körper x-Drehimpuls auf oder gibt er solchen ab? Eine Schraube soll in ein Gewindeloch hineingedreht werden. Wie ist das Drehmoment, mit dem der Schraubenzieher auf den Schraubenkopf einwirkt, gerichtet? In welche Richtung zeigt das Drehmoment, das am Gewinde angreift? Wie lauten die Antworten auf die vorangehende Kontrollfrage bei einer Schraube mit Linksgewinde? Wir legen das Koordinatensystem in den einen Angriffspunkt eines Kräftepaares. Der andere Angriffspunkt habe die Koordinaten (0.2 m, 0.1m, 0). Die erste Kraft zeige in Richtung des Vektors (0, 0.3 m, 0.4 m) und sei 25 N stark. Wieviel x-, y- und z-Drehimpuls tauscht der zugehörige Körper über diese Wirkung pro Sekunde mit der Umgebung aus? Weil die Erde infolge ihrer Eigenrotation abgeplattet ist, kann sie in erster Näherung durch eine Kugel und einen äquatorialen Ring modelliert werden. Weil die Erdachse zudem schief zur Sonne steht, wirkt das Gravitationsfeld der Sonne mit einem Drehmoment auf diesen Ring ein. Überlegen Sie sich anhand einer Zeichnung wie der zugehörige Drehmomentenvektor gerichtet ist und ob sich diese Grösse im Laufe des Jahres ändert. 6.2 Das Drehmoment einer Kraft Im allgemeinen Fall ist ein Körper weder im Gleichgewicht noch Der MMP als Bezugspunkt tauscht er nur über Kräftepaare Impuls mit der Umgebung aus. Das Drehmoment sollte deshalb direkt einer einzelnen Kraft zugeordnet werden können. Wie schon oft erwähnt, hängt die Drehimpulsaustauschrate nur von der Stärke und von der seitlichen Versetzung der verschiedenen Impulsströme ab. Die Formel, mit der das Drehmoment eines Kräftepaares berechnet wird, darf damit auf die Einzelkraft übertragen werden. Nur ist diesmal die Distanz vom Ort des Impulsaustausches bis zum MMP des freigeschnittenen Körpers einzusetzen. Diese Distanz ergibt sich aus dem Umstand, dass die Lage des Trägheitszentrums angibt, wie weit der jeweilige Impulsstrom im Mittel seitwärts fliesst. Somit darf Formel (6.2) auch auf Einzelkräfte angewendet werden, nur muss der Vektor s von der Kraftangriffsstelle zum MMP zeigen. M MMP s M F F s Fig. 6. - 4: Das Drehmoment einer Kraft steht normal zur Ebene, die vom Kraft- und vom Distanzvektor aufgespannt wird. Der Distanzvektor misst die Entfernung zwischen dem Angriffspunkt der Kraft und dem MMP des freigeschnittenen Systems. Das einer Kraft mit Hilfe von (6.2) zugeordnete Drehmoment entspricht vektorielle oder Komponentender Rate, mit der ein Körper Drehimpuls austauscht. Da ein beliebiges darstellung? raumfestes Koordinatensystems den Drehimpulsvektor eindeutig in drei Teile zerlegt, beschreibt jede der drei Komponenten den Austausch einer anderen Sorte. Ob im konkreten Fall die komponentenweise Darstellung oder die Vektorschreibweise angewendet werden soll, lässt sich nicht generell entscheiden. Solange man Statik betreibt, solange der Drehim- Seite 112 Rotationsmechanik pulsinhalt eines Systems verschwindet, sind beid Darstellungsweisen, die vektorielle und die dreifach-skalare, äquivalent. Bewegungsaufgaben lassen sich aber meistens nur mit einer komponentenweise durchgeführten Rechnung bewältigen. der MMP als Hebelzentrum Geometrisch interpretiert besagt Formel (6.2), dass jeder Kraft ein Drehmoment zugeschrieben werden kann, das gleich dem Produkt aus dem Betrag der Kraft und dem Abstand der Wirklinie vom MMP ist. Der zugehörige Drehmomentenvektor steht zudem normal auf der von Wirklinie und MMP aufgespannten Ebene. Achten Sie darauf, dass Sie bei einem freien, starren Körper die Hebelwirkung einer Kraft immer auf das Trägheitszentrum bezogen wird. Beim starren Körper wird also immer um den MMP und nicht etwa um die momentane Drehachse gehebelt. ?Kontrollfragen 7.) 8.) 9.) Eine Kraft greift irgendwo an einem starren Körper an. Bekannt sind Betrag, Richtung und Angriffspunkt. Wie bestimmt man das begleitende Drehmoment? Wie hängt das Drehmoment einer Kraft mit der Drehachse des Körpers zusammen? Ein hochgeworfenes Holzstück werde etwas von der Mitte entfernt von einer Kugel durchbohrt. Infolge der Wechselwirkung verliert das Geschoss eine ganz bestimmte Menge Impuls. Geht dieser Impuls vollständig auf das Holzstück über, oder wird ein Teil davon in Drehimpuls oder sogar in Wärme umgewandelt? 6.3 Die drei Sorten die Drehimpulsbilanz Die Wörter Drehmoment und Drehimpulsstromstärke sind praktisch synonym, d.h. mit beiden Begriffen bezeichnet man die Grösse eines Drehimpulstransportes. Die beiden Begriffe unterscheiden sich eigentlich nur in einem Punkt: Drehmoment existieren nur im Zusammenhang mit einem ausgewählten System, wogegen die Stärke eines Drehimpulsstromes an jeder beliebigen Referenzfläche definiert ist. Soll die Rotationsbewegung eines isolierten Körpers untersucht werden, sind alle Drehimpulsströme als Drehmomente auf diesen zu beziehen. Die zugehörige Momentanbilanz liefert dann die Kernaussage r r« MRe s = L der Bahndrehimpuls als Vektor oder MRe s, x L«x M = L« Re s, y y MRe s, z L«z (6.3) Jedem noch so kleinen Teilstück eines starren Körpers darf ein Bahndrehimpuls bezüglich des gemeinsamen Massenmittelpunktes zugeschrieben werden. Dieser Bahndrehimpuls ist aus Konsistenzgründen analog zum Drehmoment einer Kraft zu definieren. Wir ordnen also jedem Körper mit Hilfe des Vektorproduktes einen Drehimpuls zu, der normal zu der Ebene steht, die vom Impuls- und vom Distanzvektor gebildet wird. Rotationsmechanik Seite 113 Fig. 6. - 5: Jedem Teilkörper eines Gesamtsystems darf ein Drehimpuls bezüglich des gemeinsamen Massenmittelpunktes werden. Dieser sogenannte Bahndrehimpuls berechnet sich aus dem Impuls wie das Drehmoment aus der Kraf. L m MMP MMP s v s p . r r r L = p×s (6.4) Wie schon im ersten Kapitel gezeigt worden ist, lässt sich der Impuls ei- der Eigendrehimpuls des starnes Teilkörpers immer in zwei Teile aufspalten. Der erste Anteil, der ren Körpers globale, trägt zum Impuls des Gesamtsystems bei und der zweite, der lokale, wird von der Bewegungsmenge der andern Teilkörper kompensiert. Entsprechend dieser Zerlegung kann auch der Drehimpuls in zwei Teile aufgespalten werden. Die erste Komponente, die mit dem globalen Impulsanteil zusammenhängt, verschwindet nach der Summation über alle Teilbeiträge. Die zweite Komponente, die aus dem lokalen Impulsanteil berechnet wird, ist mit den entsprechenden Beiträgen aller andern Teilsystemen zum Gesamtdrehimpuls des starren Körpers aufzuaddieren. Dieser Wert, Eigendrehimpuls genannt, ist dem starren Körper direkt zuzuschreiben. Er hängt weder vom Bewegungszustand des nichtrotierenen Bezugssystems noch von der Wahl des Koordinatensystems ab. L ω p s L MMP s p Fig. 6. - 6: Eine Hantel, die mit schief gelagerem Verbindungsstab um eine starre Achse rotiert, darf in erster Näherung durch zwei Massenpunkte dargestellt werden. Weil der Ortsvektor Kugel-Massenmittelpunkt nicht gegen das Kreiszentrum zeigt, steht der Drehimpulsvektor schief zur Winkelgeschwindigkeit. Zur weiteren Analyse wählen wir das Bezugssystem so, dass der Mas- der Drehimpuls bei Kreisbesenmittelpunkt des starren Körpers ruht. Unser Körper werde zudem wegungen von einer gut gelagerten Achse festgehalten. Damit ist garantiert, dass die Drehachse ihre räumliche Orientierung beibehält. Denken wir uns noch die Drehzahl stabilisiert, bleibt auch die Winkelgeschwindigkeit konstant. Obwohl nun alle Teile des Körpers die Achse auf Kreisbahnen umrunden, zeigen nicht alle Drehimpulsbeiträge in Richtung des Winkelgeschwindigkeitsvektors. Dies ist schon bei einer schief eingespannten Hantel einzusehen. Bei diesem Objekt geht die Verbindung Teilkörper-MMP nicht durch das Zentrum der Kreisbahn. Damit steht der Drehimpuls schief zur Winkelgeschwindigkeit. Seite 114 Rotationsmechanik die Zerlegung des Drehimpulses bezüglich einer Achse p r d s Drehimpuls und Winkelgeschwindigkeit Der Bahndrehimpuls der beiden Kugeln einer Hantel darf in zwei Teile zerlegt werden. Die eine Komponente, die parallel zum Vektor der Winkelgeschwindigkeit steht, bleibt während des Drehvorganges konstant. Die zweite Komponente, der normal zur Drehachse steht, läuft dagegen mit der Hantel um die Achse. Der umlaufende Drehimpuls belastet die Lager mit einem zeitlich variierenden Drehmoment. Im Abschnitt dynamische Unwucht werden wir uns näher mit diesem Phänomen beschäftigen. Zur mathematischen Behandlung schreiben wir den Impuls eines Teilkörpers mit Hilfe des kapazitiven Gesetzes als Produkt von Masse und Geschwindigkeit und drücken dann die Geschwindigkeit durch die Winkelgeschwindigkeit aus. Zusammen mit Formel (6.4) ergibt dies ein doppeltes Vektorprodukt. Ein solches Produkt darf gemäss einer allgemeinen Regel in eine Differenz von Vektoren aufgespalten werden r r r r r r r r r r L = p × s = m ⋅ (s × ω ) × s = m ⋅ (s 2 ⋅ ω − (s ⋅ ω ) ⋅ s ) r r r r (6.5) = m ⋅ (r 2 ⋅ ω − d ⋅ ω ⋅ r ) = La + Lr Den Ortsvektor s habe ich bei der Umformung in eine radiale Komponente r und in eine achsiale d aufgespalten. Die mit Formel (6.5) beschriebene Zerlegung des Bahndrehimpulses eines Einzelteils lässt sich auf den ganzen starren Körper ausdehnen. Damit zerfällt dessen Drehimpuls gleichermassen in zwei Anteile, wobei die radiale Drehimpulskomponente die Drehbewegung mitmacht und die achsiale unbeeinflusst bleibt. Der starre Körper weist zu einem festgelegten Zeitpunkt nur eine einzige Winkelgeschwindigkeit auf, d.h. alle materiellen Strecken drehen sich in einem bestimmten Augenblick mit einer einzigen Winkelgeschwindigkeit. Rotiert der Körpern zudem an Ort ohne sich wegzubewegen, geht die Drehachse durch sein Trägheitszentrum hindurch. Damit spaltet Formel (6.5) den Bahndrehimpuls aller Teilsysteme in je eine achsenparalle und eine radiale Komponenten auf. Summiert man nun all diese Beiträge auf und klammert dann die global gültige Winkelgeschwindigkeit aus, gewinnt man eine Formel, die den Zusammenhang zwischen Drehimpuls und Winkelgeschwindigkeit beschreibt. r r r r L = ∑ Li = ∑ mi ⋅ ri2 ⋅ ω + ∑ mi ⋅ di ⋅ ri ⋅ ω i i i (6.6) Der erste Summand besitzt die gleiche Struktur wie der entsprechende Term in der Translationsmechanik. Er beschreibt das kapazitive Verhalten des Drehimpulsspeichers. Der Klammerausdruck ist denn auch das in dieser Situation gültige Massenträgheitsmoment. Für den zweite Ausdruck gibt es bei der Translationsbewegung nichts Vergleichbares. Rotation und Nutation Rotiert ein starrer Körper um eine feste Achse, so sorgt der zweite Term von (6.6) für eine andauernde Lagerbelastung. Im umgekehrten Fall, wenn der Körper überhaupt nicht festgehalten wird, bleibt der Drehim- Rotationsmechanik Seite 115 pulsinhalt konstant. Dann erzwingt der zweite Ausdruck in (6.6) eine Taumelbewegung, eine sogenannte Nutation. Bei der Nutation läuft die Drehachse selber noch auf dem Mantel eines allgemeinen Kegels herum. Ein starrer Körper wird also bei konstantem Drehimpulsinhalt in der Regel rotieren und nutieren. Eine Nutation kann mit einem einfachen Freihandversuch erzeugt werden. Dazu nimmt man einen quaderförmigen Tafelschwamm in beide Hände und wirft ihn aus dem Handgelenk heraus hoch. Gelingt es, ihn um eine Diagonale rotieren zu lassen, kann man direkt beobachten, wie die Rotationsachse selber noch taumelt. Auf die kinematische Analyse dieser allgemeinen Kreiselbewegungen wollen wir nicht weiter eintreten. Der umgekehrte Fall, bei dem die Achse festgehalten wird und der Drehimpuls sich ändert, wird in einem späteren Abschnitt behandelt. Beispiel 27: Ein dünner Stab (Masse m, Länge l) rotiert mit konstanter Winkelgeschwindigkeit um eine festgehaltene Drehachse. Die Achse durchstösst den Schwerpunkt des Stabes und schliesst mit diesem den Winkel β ein. Man bestimme den Drehimpulsinhalt des Stabes. Lösung 27: Der Stab unterscheidet sich von der oben besprochenen Hantel durch seine kontinuierliche Massenverteilung. Bei einem Winkel von β = 90˚ kennen wir das Massenträgheitsmoment bereits: J = m·l2/12. Wird nun der Winkel geändert, passiert das geometrisch Analoge wie bei der Hantel. Damit darf die Zerlegung (6.6) direkt auf den Stab übertragen werden. Für die erste Klammer ist der Ausdruck J·sin2(β) und für die zweite J·sin(β)·cos(β) einzusetzen. Die entsprechenden Winkelfunktionen habe ich direkt der Zeichnung bei der Formel (6.5) entnommen. ? Kontrollfragen 10.) 11.) 12.) 13.) 14.) 15.) 16.) Das auf einen Körper einwirkende, resultierende Drehmoment ist gleich der Änderungsrate seines Drehimpulsinhaltes. Ist diese Aussage immer richtig? Wird ein ausgedehnter Körper in lauter kleine Teile zerlegt, so kann der Impulsinhalt der einzelnen Fragmente in einen relativen und globalen Anteil zerlegt werden. Welcher der beiden Impulsbestandteile ist für den im Körper gespeicherten Drehimpuls verantwortlich? Wie hängt der globale Anteil mit der Geschwindigkeit des Körpers zusammen? In Formel (6.6) wird zweimal summiert. Worin unterscheident sich die beiden Summationen? Wann verschwindet in (6.6) der zweite Term? Die Formel (6.6) zerlegt den Drehimpuls in zweit Teile. Wie ist diese Zerlegung zu interpretieren? Ein rotationssymmetrischer Körper dreht sich um seine Symmetrieachse. In welche Richtung zeigt der Drehimpulsvektor? Wie bewegt sich ein rotierender, starrer Körper, der keinen Impuls enthält? 6.4 Die Schwenkbewegung Die Vektorwertigkeit des Drehimpulses führt zu Erscheinungen, die dem Kippbewegung um die zgesunden Menschenverstand zuwiderlaufen. Betrachten wir dazu ein ro- Achse tierenden Rades, das eine Schwenkbewegung ausführt. Sie können dieses Experiment mit einem Velorad selber ausführen, indem Sie es mit beiden Händen an der Achse festhalten. Sie werden dabei feststellen, Seite 116 Rotationsmechanik L y ω Ω·t x dass das Rad die Tendenz hat, seitlich auszubrechen. Das Phänomen kann erklärt werden, indem man überlegt, was mit dem Drehimpuls passiert. Beim Wegdrehen des rotierenden Körpers sind zwei Sorten Drehimpuls beteiligt. Wird das bewegte Rad um neunzig Grad gekippt, gibt der Körper bei geeignet gewähltem Koordinatensystem den x-Drehimpuls vollständig ab und nimmt die gleiche Menge y-Drehimpuls auf. Verläuft die Kippbewegung mit konstanter Winkelgeschwindigkeit, kann die Änderungsrate des Drehimpulses direkt hingeschrieben werden Lx = L0 ⋅ cos(Ω ⋅ t ); Ly = L0 ⋅ sin(Ω ⋅ t ); das Drehmoment steht normal zum Drehimpuls Fig. 6. - 7: Dreht man ein rotierendes, reibungsarm gelagertes Rad mit der Winkelgeschwindigkeit Ω weg, so muss mit einem Drehmoment eingewirkt werden, das in jedem Moment normal zum Drehimpuls steht. Das Drehmoment selber darf man sich durch ein Kräftepaar ersetzt denken. die Wirkebene des Kräftepaares steht normal zur Dreh- und zur Kippebene Mx = L«x = −Ω ⋅ L0 ⋅ sin(Ω ⋅ t ) M = L« = Ω ⋅ L ⋅ cos(Ω ⋅ t ) y y (6.7) 0 Die Winkelgeschwindigkeit der Kippbewegung habe ich mit einem grossen Omega bezeichnet, um sie gegen die Winkelgeschwindigkeit des rotierenden Rades abzugrenzen. Weil das Skalarprodukt aus dem Momentanwert des Drehimpulses und der zugehörigen Änderungsrate unabhängig von der momentanen Lage verschwindet, muss das resultierende Drehmoment normal zum Drehimpulsvektor stehen. Das Drehmoment verhält sich zum Drehimpuls wie die resultierende Kraft zum Impuls bei der Kreisbewegung. Der Betrag der jeweiligen Speichergrösse bleibt in beiden Fällen erhalten und die Richtung ändert sich mit konstanter Winkelgeschwindigkeit. Die Analogie geht noch ein Stück weiter: die jeweilige Änderungsrate kann betragsmässig als Produkt aus der Grösse selber und der zugehörigen Winkelgeschwindigkeit geschrieben werden. Trotz dieser Strukturähnlichkeit bleibt ein kleiner, mehr begrifflicher Unterschied bestehen. Das Drehmoment entfaltet im Gegensatz zur Kraft in Richtung des Vektors keine unmittelbar nachvollziehbare Wirkung. Deshalb wird die eigentliche Aussage von Formel (6.7) erst richtig klar, wenn man sich die ganze Situation in einer Zeichnung vergegenwärtigt. L y ω Ω·t M L M x Das rotierende Rad kann nur durch ein normal zum Drehimpuls stehendes Drehmoment weggedreht werden. Weil wir im Falle des Velorades dieses Drehmoment über ein Kräftepaar erzeugen, dessen Wirkebene sowohl normal zur Rotations- als auch normal zur Schwenkeben steht, bereitet uns dieser Vorgang enorme Verständnisschwierigkeiten. Umgekehrt hat ein Kreisel die Tendenz, normal zur Wirkebene des angreifenden Kräftepaares auszuweichen. Diese eigenartige Dynamik hat eine ge- Rotationsmechanik Seite 117 wisse Ähnlichkeit mit dem Verhalten eines ungezogenen Kindes: jedem Versuch, seine Achse in eine bestimmte Richtung zu drehen, widersetzt sich der Kreisel mit einer seitwärts gerichteten Driftbewegung. Beim Motorradfahren setzt man diese Verhalten unbewusst ein, um das Motorrad in die Kurve hineinzuführen. Fährt man zum Beispiel auf eine Linkskurve zu, muss man kurz den rechten Teil des Lenkers gegen sich ziehen. Infolge dieses Kicks kippt das Vorderrad gegen links und zieht den Töff in die richtige Bahn. Beispiel 28: Ein Schwungrad (Massenträgheitsmoment 4 kgm2) dient bei einem Auto als Energiespeicher. Die Achse des Rades liege genau horizontal und der Drehimpulsvektor weise gegen das Heck. Mit welchem Drehmoment wirkt das Auto auf das mit 36’000 Umdrehungen pro Minute rotierend Schwungrad ein, wenn mit 108 km/h eine Kurve mit Radius 120 m gefahren wird? Lösung 28: Das Schwungrad speichert 2400 Nms Drehimpuls und das Auto dreht sich mit einer Winkelgeschwindigkeit von 0.25 s-1. Folglich muss ein Drehmoment von 600 Nm auf das Schwungrad einwirken. Der Drehmomentenvektor zeigt während der Kurvenfahrt radial nach ausssen, d.h. das Auto muss das Schwungrad vorne anheben und hinten auf den Boden drücken. Vom Auto aus gesehen, drückt das Schwung dieses vorne in den Boden hinein und hebt es hinten an. ? Kontrollfragen 17.) Was haben die Schwenkbewegung eines rotierenden Kreisels und Kreisbewegung eines kleinen Körpers gemein? 18.) Wie stehen der resultierende Kraft- und der Impulsvektor bei der Kreisbewegung zueinander? Wie ist bei der Schwenkbewegung eines Kreisels der Drehmomentenvektor gerichtet? 19.) Was passiert bei der Schwenkbewegung eines rotierenden Rades mit dessen Rotationsenergie? 20.) Sie halten ein rotierendes Rad vor sich hin, indem sie mit beiden Händen die vertikal stehende Achse oberhalb des Lagers fest umfassen. Die linke Hand umklammere die Achse in der Nähe des Rades und mit der rechten halten Sie das obere, freie Ende. Das Rad dreht sich von oben gesehen im Gegenuhrzeigersinn. In welche Richtung zeigt der Drehimpusvektor? Wie müssen Sie mit der rechten Hand gegen die Achse drücken, damit sich diese gegen rechts neigt? 6.5 Die dynamische Unwucht Ein frei drehbar gelagerter Körper kann auf zwei Arten eine Unwucht statische und dynamische erzeugen. Die eine, die statische Unwucht, entsteht, wenn die feste Ach- Unwucht se den Massenmittelpunkt nicht durchstösst. Der rotierende Körper ändert dann seinen Impulsinhalt fortlaufend, wobei eine umlaufende, betragsmässig konstante Kraft die Achsenlager belastet. Die dynamische Unwucht tritt dagegen auch auf, wenn der Massenmittelpunkt auf der Drehachse liegt. Ihre Ursache ist in der fehlenden Symmetrie des sich drehenden Körpers zu suchen: bei ungleicher Massenverteilung zeigt der Drehimpulsvektor nicht unbedingt in die Richtung der Winkelgeschwindigkeit. Deshalb muss der radiale Teil des Drehimpulsinhaltes über die Lager mit der Umgebung ausgetauscht werden, was ein betragsmässig konstantes, umlaufendes Drehmoment ergibt. Da wir uns mit der statischen Unwucht schon im ersten Kapitel auseinandergesetzt Seite 118 Rotationsmechanik haben, wollen wir in diesem Abschnitt nur noch die dynamische eingehend studieren. Unwucht mit zwei kleinen Körpern Für die nachfolgende Diskussion betrachten wir eine zylindrische Scheibe, die ausgewuchtet auf einer fest gelagerten Achse umläuft. Zwei kleine Körper können nun wahlweise an verschiedenen Punkten des Umfanges befestigt werden. Liegen die beiden Zusatzkörper auf einer gemeinsamen Matellinie der Scheibe, erzeugen sie eine statische Unwucht. Montiert man sie hingegen übers Kreuz auf die Scheibe, verursachen sie eine dynamische Unwucht. Beide Konfigurationen belasten die Lager umso stärker, je schneller sich die Scheibe dreht. Bei der kreuzweisen Anordnung bleibt der Impuls des Gesamtkörpers immer gleich Null bleibt und die Unwucht entsteht nur durch die Änderung des Drehimpulses selber. Zur Erklärung dieses Phänomens ziehen wir die Überlegungen von Abschnitt 6.3 bei Fig. 6. - 8: Befestigt man an einer ausgewuchteten Scheibe zwei kleine Körper, so lassen sich beide Formen der Unwucht erzeugen. Die linke Skizze zeigt die statische, die rechte die dynamische Unwucht. das Drehmoment der dynamischen Unwucht Der Drehimpuls der beiden Zusatzkörper steht wie bei der Hantel normal zu ihrer Verbindungslinie. Sein Betrag ist gleich dem Impuls des Einzelkörpers mal die gegenseitige Distanz. Dies folgt direkt aus Formel (6.4). Spaltet man nun diesen Drehimpuls in zwei Komponenten auf, darf der achsiale Anteil zum Drehimpuls der Scheibe geschlagen werden. Die radiale Komponente, die gleich dem Produkt aus Einzelimpuls und achsenparallelem Abstand der beiden Zusatzmassen ist, dreht sich mit der Scheibe mit. Diese vektorwertige Grösse führt also eine andauernde Schwenkbewegung normal zur Winkelgeschwindigkeit aus. Folglich lässt sich das damit zusammenhängende Drehmoment, mit dem die Lager einwirken müssen, damit die Drehachse stabil bleibt, mit Hilfe von Formel (6.7) berechnen. M = ω ⋅ Lr = ω ⋅ m ⋅ ω ⋅ r ⋅ d = m ⋅ r ⋅ d ⋅ ω 2 (6.8) In Formel (6.8) steht r für den radialen Abstand der Körper von der Drehachse. Mit d habe ich die achsenparallelen Distanz zwischen den beiden Störmassen bezeichnet. Weil die Winkelgeschwindigkeit der Kippbewegung von der Drehbewegung des Gesamtkörpers herrührt, habe ich dafür wieder ein kleines statt ein grosses Omega geschrieben. Das unwuchterregte Drehmoment wächst quadratisch mit der Winkelgeschwindigkeit, weil sowohl die radiale Drehimpulskomponente als auch Schwenkbewegung linear mit dieser Grösse zunehmen. auswuchten Das Verhalten jedes nicht ausgewuchteten Rotators kann durch einen Rotationsmechanik Seite 119 einfachen Körper nachgebildet werden, der aus einer Scheibe und zwei Zusatzkörpern besteht. Je nachdem, wie die beiden kleinen Massen angebracht werden, erzeugen diese mehr statische oder mehr dynamische Unwucht. Umgekehrt kann ein nicht ausgewuchtetes Schwungrad in seinem Laufverhalten verbessert werden, indem man auf dem Umfang kleine Massen anbringt oder Material abträgt. ? Kontrollfragen 21.) Ein Schwungrad weise eine rein dynamische Unwucht auf. Was passiert mit seinem Impulsinhalt? Was geschieht mit dem Drehimpulsinhalt? 22.) Ein um eine horizontale Achse laufendes Schwungrad weise eine Unwucht auf. Sie haben die Möglicht, in beiden Lagern, die symmetrisch zum Rad angebracht sind, die Vertikalkomponente der Lagerkraft in Funktion der Zeit zu messen. Wie bestimmen Sie aus diesen beiden Signalen die statische und die dynamische Unwucht? 23.) Wie hängt bei der dynamischen Unwucht die Lagerbelastung mit der Drehzahl zusammen? 6.6 Energie und Drehimpuls Im Kapitel 3 haben wir gelernt, wie einem Drehimpulsstrom ein Ener- zugeordneter Energiestrom giestrom zugeordnetet wird. Dieser Zusammenhang kann auf alle drei Drehimpulssorten ausgedehnt werden. Dazu muss Formel (3.1) verdreifacht und mit den richtigen Indices versehen werden. Der resultiertende Energiestrom ergibt sich dann als Summe über alle drei Anteile. IW = ω x ⋅ I Lx + ω y ⋅ I Ly + ω z ⋅ I Lz (6.9) Der totale Energiestrom ist demnach gleich dem Skalarprodukt aus der Drehimpulsstromstärke und der Winkelgeschwindigkeit der Fläche, bezüglich der die Stromstärke gemessen wird. Wie in der Translationsmechanik hängt das Ergebnis, die Stärke des Energietransportes, nicht von der Einteilung des Drehimpulses in drei unabhängige Sorten ab. Mathematisch manifestiert sich diese Unabhängigkeit in der Invarianz des Skalarproduktes gegenüber Drehungen des Koordinatensystems. Hinter dieser Invarianz versteckt sich ein fundamentales, physikalisches Symmetrieprinzip: weil der Raum isotrop ist und somit keine Richtung zum vornherein ausgezeichnet wird, hängen die grundlegenden Gesetze nicht von der Orientierung des Koordinatensystems ab. Bezieht man den Drehimpulsstrom auf einen bestimmten Körper, heisst die Leistung eines Drehmodie entsprechende Stromstärke Drehmoment. Den zugeordneten Ener- mentes giestrom nennt man dann die Leistung eines Drehmomentes. Diese Leistung beschreibt den momentanen Energieaustausch zwischen System und Umgebung. r r r (6.10) P( M ) = ω x ⋅ M x + ω y ⋅ M y + ω z ⋅ M z = ω ⋅ M Die Leistung eines Drehmomentes weist ein positives Vorzeichen auf, Seite 120 Rotationsmechanik sobald das System Energie aufnimmt. Eine negatives Vorzeichen zeigt dagegen einen Energieabfluss an. Stehen Drehmoment und Winkelgeschwindigkeit normal zueinander, erfolgt der Drehimpulsaustausch leistungsfrei. Einen leistungsfreien Austausch haben wir bei der Schwenkbewegung und bei der dynamischen Unwucht schon kennengelernt. Bei beiden Bewegungstypen stehen Drehmoment und Winkelgeschwindigkeit normal zueinander, womit die Leistung des Drehmomentes verschwindet und die Bewegungsenergie des fraglichen Körpers konstant bleibt. die Rotationsenergie Alle Radiusvektoren in der zweiten Summe von Formel (6.6) stehen normal zur Drehachse. Deshalb verschwindet dieser Ausdruck vollständig, sobald man den Drehimpulsinhalt des starren Körpers skalar mit seiner Winkelgeschwindigkeit multipliziert. Der übrigbleibende, erste Summand von (6.6) besagt dann, dass dieses Skalarprodukt auch als Massenträgheitsmoment mal das Quadrat der Winkelgeschwindigkeit geschrieben werden darf. Durch Ausmultiplikation ergibt sich eine Summe, deren Wert dem Zweifachen der kinetischen Energie aller Einzelteile entspricht. Folglich darf das Skalarprodukt aus Winkelgeschwindigkeit und Drehimpuls als das Doppelte der Rotationsenergie angesehen werden. 1 r r Wrot = ⋅ ω ⋅ L (6.11) 2 Das Skalarprodukt in Formel (6.11) lässt sich rein geometrisch interpretieren: die Rotationsenergie des Kreisels ist gleich der halben Winkelgeschwindigkeit multipliziert mit der achsialen Komponente des Drehimpulses. das Deviationsmoment Die erste Summe in der Formel (6.6) beschreibt das eigentliche Massenträgheitsmoment. Diese Grösse legt zusammen mit der Winkelgeschwindigkeit die Rotationsenergie fest. Demnach hat die zweite Summe nichts mit der Energie des starren Körpers zu tun. Sie ist nur für die dynamische Unwucht verantwortlich und heisst Deviations- oder Zentrifugalmoment. Das Deviationsmoment legt also zusammen mit der Winkelgeschwindigkeit fest, wie gross die umlaufende Drehimpulskomponente ist. Beispiel 29: Eine Hantel (Kugelmasse 7 kg, Kugelradius 6.5 cm, Stabmasse 3 kg, Stablänge 37 cm) rotiert schief eingespannt um eine feste Achse. Die Hantel dreht sich mit 600 Umdrehungen pro Minute und der Winkel zwischen der Symmetrieachse der Hantel und der Drehachse beträgt 50˚. Wieviel Rotationsenergie speichert die Hantel? Wie gross ist das Drehmoment, das auf die Hantel einwirken muss, damit diese stabil rotiert? Lösung 29: Die Rotationsenergie hängt nur mit dem achsialen Drehimpulsinhalt, der gleich dem Produkt aus Massenträgheitsmoment und Winkelgeschwindigkeit ist, zusammen. Bei der Berechnung des achsial gerichteten Drehimpulses dürfen die entsprechenen Beiträge der einzelnen Teilkörper direkt aufaddiert werden. Die beiden Kugeln tragen mit einem Bahn- und einem Eigendrehimpuls zum Gesamtwert bei, wobei der achsiale Bahndrehimpulsanteil nur vom Durchmesser und nicht von der Lage der Kreisbahnen abhängig Rotationsmechanik Seite 121 ist. Den Eigendrehimpuls des Stabes haben wir weiter oben schon berechnet (Beispiel 27). 2 m La = {2 ⋅ mK ⋅ [ ⋅ r 2 + ( s ⋅ sin β )2 ] + s ⋅ (ls ⋅ sin β )2} ⋅ ω = 33.6 Nms 5 12 Die Distanz Kugelmittelpunkt-MMP, die in der Berechnungsformel mit s abgekürzt wird, beträgt 25 cm. Zur Berechnung der Rotationsenergie ist der achsiale Drehimpulsanteil nochmals mit der halben Winkelgeschwindigkeit zu multiplizieren. Dies ergibt 2113 Joule. Der radiale oder variierende Drehimpulsinhalt setzt sich aus einem Beitrag des Stabes und aus je einem Anteil der beiden Bahndrehimpulse der Kugeln zusammen. Lr = {2 ⋅ mk ⋅ s 2 + ms 2 ⋅ ls } ⋅ sin β ⋅ cos β ⋅ ω = 28.1Nms 12 Für den Betrag des umlaufenden Drehmomentes berechnet man mit Hilfe von Formel (6.7) einen Wert von 1767 Nm. ? Kontrollfragen 24.) Kann ein starrer Körper mit der Umgebung über längere Zeit Drehimpuls austauschen, ohne dabei seinen Energieinhalt zu ändern? 25.) Geben Sie Rotationsenergie in Abhängigkeit des Drehimpulses und der Winkelgeschwindigkeit an? 26.) Wie hängt das Drehmoment der dynamischen Unwucht mit dem Deviationsmoment zusammen? 27.) Eine dünner Stab rotiert schief eingespannt um eine feste Achse. Wie berechnet sich das Massen- und wie das Deviationsmoment? 6.7 Die klassische Darstellung des Drehimpulses Jeder Planet, der um die Sonne fällt, speichert zusammen mit dieser der Flächensatz Drehimpuls, d.h. beide Körper bilden eine rotierende Hantel mit zeitlich veränderlicher Gestalt. Weil die Masse der Sonne einige Zehnerpotenzen grösser ist als die Trägheit aller Begleitobjekte, wird das Zentralgestirn kaum herumgewirbelt. Sie bildet das materielle Bezugssystem, auf das die Bewegung der andern Körper zu beziehen ist. Dies hat Nikolaus Kopernikus (1473 - 1543) geahnt und in seiner wegweisenden Schrift „De revolutionibus orbium coelestium“ ausführlich dargelegt. Johannes Kepler (1571 - 1630), kaiserlicher Mathematiker und Hofastronom Rudolfs II., kombinierte diese kopernikanische Weltsicht in jahrelanger Arbeit mit den astronomischen Daten seines Vorgängers Tycho Brahe. Dabei hat er drei fundamentale Gesetzmässigkeiten gefunden. Das zweite dieser Gesetze, der Flächensatz, besagt, dass der Verbindungsstrahl Planet Sonne unabhängig von der momentanen Distanz der beiden Körper in gleichen Zeiten gleiche Flächenstücke überstreicht. Hinter dieser Aussage steckt, wie mit Hilfe einer Skizze leicht gezeigt werden kann, die Drehimpulserhaltung des Systems Planet-Sonne. Das System Planet-Sonne speichert Drehimpuls. In der klassischen Dar- der Bahndrehimpuls eines stellung wird diese Grösse dem sich stärker bewegenden Körper, also materiellen Punktes Seite 122 Rotationsmechanik dem Planeten, alleine zugeordnet. Man redet dann vom Bahndrehimpuls der Erde, der Venus oder des Jupiters. Solange man sich nur mit stark asymmetrischen Zweikörpersystemen beschäftigt, stimmen beide Betrachtungsweisen überein. Die Sonnenmitte ist dann Bezugspunkt und Trägheitszentrum in einem. Mit der Entwicklung der Mechanik ist die objektzentrierte Sicht weiter verfestigt und damit die Mengenartigkeit des Drehimpulses in den Hintergrund gedrängt worden. Im Rahmen der klassischen Mechanik darf nun jedem materiellen Objekt bezüglich irgendeines Raumpunktes ein Bahndrehimpuls zugeschrieben werden. Mit dieser Definition werden sechs skalare Grössen willkürlich festgelegt, d.h. drei frei gewählte Lagekoordinaten und drei auf ein Beobachtersystem bezogene Geschwindigkeitskomponenten nehmen Einfluss auf die absolute Grösse des Drehimpulses. Die klassische Formulierung der Mechanik vermengt mit der Definition des Bahndrehimpulses Geometrie und Dynamik. Es ist nun meine Aufgabe, zu zeigen, dass die klassische Betrachtungsweise die gleichen Ergebnissen liefert wie die systemdynamische. klassischer und systemdynamischer Bahndrehimpuls Jeder starre Körper, der sich durch den Raum bewegt, darf gedanklich in viele sehr kleine Teile zerlegt werden. Die klassische Darstellung weist nun jedem Teilkörper einen Bahndrehimpuls zu. Die entsprechende Formel sieht gleich aus wie der Ausdruck in (6.4), nur ist der Ortsvektor auf den Ursprung des frei gewählten Koordinatensystems und nicht zwingend auf den Gesamtmassenmittelpunkt zu beziehen. Schreibt man nun den Impuls gemäss dem kapazitiven Gesetz als Produkt von Masse und Geschwindigkeit, kann sowohl der Orts- als auch der Geschwindigkeitsvektor in zwei Teile zerlegt werden. Die erste Komponente des Ortsvektors zeigt vom Ursprung des Koordinatensystems zum MMP des starren Körpers, die zweite beschreibt den Abstand MMP-Teilkörper. Analog zu dieser Idee darf der Geschwindigkeitsvekor in einen globalen und einen relativen Anteil aufgespalten werden, wobei der globale die Bewegung des des Gesamtsystems beschreibt. Zerlegt man die Orts- und die Geschwindigkeitsvektoren aller Einzelteile konsequent in ihre beiden Komponenten und zählt sodann alle Bahndrehimpulse zusammen, verschwindet die Summe bei zwei der vier Beiträge. r r r r r r r L = ∑ pi × si = ∑ mi ⋅ [(vi′ + vMMP ) × (ri ′+ rMMP )] i i r r r r = ∑ mi ⋅ (vi′ × ri ′) + m ⋅ (vMMP × rMMP ) (6.12) i Relativgrössen sind in (6.12) mit einem Apostroph gekennzeichnet worden. Die zwei Terme sind weggefallen, weil die gewichtete Summation über alle Relativgeschwindigkeiten bzw. über alle Relativdistanzen definitionsgemäss verschwindet. Der erste Ausdruck von (6.12) ist mit unserer Beschreibung des Drehimpulses identisch. Damit habe ich gezeigt, dass die klassische Definition bis auf einen Term, der den Bahndrehimpuls des Gesamtsytems liefert, mit der systemdynamischen identisch ist. Dieser Zusatzterm, der mit der freien Wahl des Bezugssystems und dessen Koordinatenursprungs zusammenhängt, darf als additive Konstante Rotationsmechanik Seite 123 angesehen werden, dem auch bei der klassischen Formulierung der Mechanik keine weitere Funktion zukommt. ? Kontrollfragen 28.) Welche Information steckt im zweiten Kepler-Gesetz (Flächensatz) drin? 29.) Worin liegt der Unterschied zwischen der klassischen und der systemdynamischen Definition des Drehimpulses? 6.8 Die Hauptachsen Rotiert ein starrer Körper um eine festgehaltene Achse, so kann sein Trägheits- und DeviatinsmoDrehimpuls in einen achsialen Anteil, der während der Rotations kon- ment stant bleibt, und in einen radialen, der sich fortwährend ändert, zerlegt werden. Beide Komponenten sind proportional zum Betrag der Winkelgeschwindigkeit. Der eine Proportionalitäsfaktor, das Massenträgheitsmoment, hängt nur von der radialen Massenverteilung ab, wogegen bei der Berechnung des zweiten, des Deviationsmomentes, auch noch die achsialen Verteilung berücksichtigt werden muss. r r (6.13) J = ∑ mi ⋅ ri2 D = ∑ mi ⋅ di ⋅ ri i i Der Radiusvektor ri zeigt von der Drehachse zum Element mit der Nummer i. Mit di habe ich wie schon in Formel (6.6) den längs der Achse gemessene Abstand des Teilkörpers i vom Gesamtmassenmittelpunkt bezeichnet. Das Vektorzeichen über dem Buchstaben D in (6.13) ist nicht ganz kor- das Massenträgheitsmoment rekt. Lässt man nämlich den Körper um eine andere Achse rotieren, als Tensor bleibt weder das Massenträgheitsmoment invariant noch transformiert sich das Deviationsmoment wie ein Vektor. Mathematisch sauber lässt sich das Problem nur lösen, wenn man beide Grössen zu einem einzigen Objekt, einem sogenannten Tensor, zusammenfasst. Tensoren transformieren sich wie das allgemeine oder äussere Produkt zweier Vektoren. Das tensormässige Verhalten des Massenträgheitsmomentes kann schon bei einem einfachen Stab beobachtet werden: aus der Lösung von Beispiel 27 ist zu entnehmen, dass sowohl das Massenträgheitsmoment als auch das Deviationsmoment des Stabes über ein Produkt von zwei trigonometrischen Funktionen mit dem Winkel zur Drehachse zusammenhängen. Tensoren zeichnen sich nun aber gerade dadurch aus, dass sich ihre Komponenten bei Drehung quadratisch mit dem Winkel verändern. Jeder beliebige Körper besitzt mindestens drei zueinander normal ste- die Hauptmassenträgheitsmohende Achsen, bezüglich denen die Deviationsmomente verschwinden. mente Diese ausgezeichneten Richtungen nennt man Hauptachsen und die zugehörigen Systemeigenschaften heissen Hauptachsenträgheitsmomente. Sind die drei Hauptachsenträgheitsmomente sowie die zugehörige Lage Seite 124 Rotationsmechanik der Hauptachsen bekannt, können Trägheits- und Deviationsmomente bezüglich einer beliebigen Drehrichtung berechnet werden. Körper, die eine hohe Symmetrie aufweisen, verfügen in der Regel über mehr als nur drei deviationsmomentenfreieAchsen. So zeichnet bei einem kugelsymmetrischen Körper jede Richtung eine Hauptachse aus und beim Zylinder darf jeder Durchmesser, der durch dessen MMP geht, als Hauptachse angesehen werden. Ein beliebiger Quader mit homogener Massenverteilung, weist genau drei Hauptachsen mit drei verschiedenen Massenträgheitsmomenten auf. Die zugehörige Berechnungsformel sieht gleich aus wie beim dünnen, langen Stab. Nur ist statt der Stablänge die entsprechende Seitendiagonale einzusetzen. der Quader m ⋅ (b 2 + c 2 ) Ja = 12 die Stabilität der Hauptachsen in sta bi l stabil stabil zyklisch Vertauschen (6.14) Rotiert der Quader um die Achse mit dem grössten Massenträgheitsmoment, speichert er bei vorgegebenem Drehimpuls die kleinstmögliche Energiemenge. Dreht er sich um die Achse mit dem kleinsten Trägheitsmoment, hat die Rotationsenergie bei festgehaltenem Drehimpuls ein Maximum. Weil bei einem isolierten Körper jede Abweichung von diesen beiden Hauptachsen entweder einen verbotenen Energieüberschuss oder einen unerlaubten Mangel produzieren würde, rotiert ein hochgeworfner Klotz in beiden Richtungen stabil. Falls man den Quader aber um die Hauptachse mit dem mittleren Trägheistmoment drehen lässt, verläuft die Bewegung ziemlich anders. Statt schön brav zu rotieren, trudelt der Klotz nur so herum. Die kleinste Strörung lässt die Drehachse einen irren Tanz aufführen. Dieses Verhalten ist nur möglich, weil bei vorgegebenem Drehimpuls und festgehaltener Energie ein ganzes Kontinuum von möglichen Drehachsen zur Verfügung steht. Diese Stabilitätsaussage gilt nun nicht nur für Quader. Sobald ein starrer Körper frei um die Hauptachse mit dem mittleren Trägheitsmoment rotiert, kommt er ins trudeln. ?Kontrollfragen 30.) Ein Körper, der um die Hauptachse mit dem mittleren Trägheistmoment rotiert, erzeugt eine dynamische Unwucht. Ist diese Aussage richtig oder falsch? 31.) Wie sind die Hauptachsen bei einem homogenen, geraden Kreiszylinder gerichtet? Zusammenfassung von Kapitel 6 In der Natur existieren drei Sorten Drehimpuls, die sich wie die Komponenten eines Vektors transformieren. Tauscht ein System Drehimpuls mit der Umgebung aus, ist jede Komponente separat zu bilanzieren. Eine Umwandlung der einen Sorte in die andere ist nicht möglich. Rotationsmechanik Seite 125 Häufig muss einer Kraft ein Drehmoment zugeordnet werden. Mit dem Impuls zusammen wird also auch noch Drehimpuls ausgetauscht. Das Drehmoment berechnet sich als Vektorprodukt von Kraft und Distanzvektor. Letzterer zeigt vom Mittelpunkt der Kraftangriffsfläche bis zum MMP des Gesamtsystems. Bei einem Kräftepaar ist das zugehörige Drehmoment gleich dem Vektorprodukt aus der einen Kraft und dem Abstand der beiden Kraftangriffspunkte. Die Vektoren sind so zu wählen, dass das Ergebnis, das Drehmoment, rechthändig zum Wirksinn der beiden Kräfte steht. Der Drehimpulsinhalt eines starren Körpers hängt bei vorgegebener Drehzahl von der Drehachse ab und kann mit Hilfe von zwei Systemgrössen beschrieben werden. Die eine, das Massenträgheitsmoment, ergibt zusammen mit der Winkelgeschwindigkeit den achsial gerichteten Drehimpulsanteil. Die zweite Grösse, das Deviationsmoment, legt den radialen Drehimpuls fest. Dazu muss das Deviationsmoment mit dem Betrag der Winkelgeschwindigkeit multipliziert werden. Bei festgehaltener Drehachse rotiert das bezüglich des Körpers unveränderliche Deviationsmoment mit und sorgt dafür, dass der radiale Drehimpulsvektor andauernd seine Richtung ändert. Der ganze Drehimpulsinhalt eines Rotators kann also immer in zwei Komponenten aufgespalten werden. Der achsiale Anteil bleibt konstant und der radialen läuft mit der vorgegebenen Winkelgeschwindigkeit um. Weil die radiale Komponente eine gleichförmige Kreisbewegung ausführt, steht das zugehörige Drehmoment normal zur Drehachse und normal zum sich ändernden Drehimpulsvektor. Sein Betrag ist gleich dem Produkt aus den Beträgen des radialen Drehimpulsanteils und der Winkelgeschwindigkeit. Dieser Zusammenhang gilt auch beim Abkippen eines Schwungrades. Nur muss dort der gesamte Drehimpuls mit der Winkelgeschwindigkeit der Schwenkbewegung multipliziert werden. Ein Körper, der sich um eine feste Achse frei drehen kann, erzeugt zwei Arten von Unwucht. Bei der statischen Unwucht verläuft die Mittellinie nicht durch den MMP. Die Achse wirkt dann mit einer umlaufenden Kraft auf den Körper ein, deren Betrag quadratisch mit der Drehzahl anwächst. Bei der dynamischen Unwucht weist der Körper bezüglich der Achse ein nicht verschwindendes Deviationsmoment auf. In diesem Fall muss die Achse mit einm umlaufenden Drehmoment einwirken, dessen Betrag ebenfalls mit der Quadrat der Winkelgeschwindigkeit anschwillt. Die Rotationsenergie ist gleich der Hälfte des Skalarprodukts aus Drehimpuls und Winkelgeschwindigkeit. Zusammen mit dem entsprechenden Kapazitivgesetz ergibt dies die gleiche Formel wie bei der ebenen Betrachtung. Nur ist hier das Massenträgheitsmoment nicht für den ganzen Drehimpulsinhalt verantwortlich. Mit dem Drehimpuls wird oft auch Energie transportiert. Üblicherweise schreibt man diesen Transport dem an der Systemoberfläche definierten Drehmoment zu. Diese Leistung eines Drehmomentes berechnet sich als Skalarprodukt aus Drehmoment und Winkelgeschwindigkeit. Weil bei der Schwenkbewegung eines Schwungrades oder bei der dynamischen Unwucht das Dremoment genau normal zur Winkelgeschwindigkeit steht, wird bei diesen Prozessen keine Energie ausgetauscht. Der Massenmittelpunkt eines im Vakuum geworfenen Körpers bewegt sich entlang der sogenannten Wurfparabel. Diese Bewegung verläuft unabhängig vom Rotationszustand des geworfenen Körpers. Würde man selber den Wurf mitmachen, könnte man erkennen, dass sich die Drehbewegung aus einer Rotation um eine momentane Achse und aus einer Bewegung der Achse selber zusammensetzt. Die Taumelbewegung der Achse stellt sich nicht ein, wenn man den Körper so hochwirft, dass er um eine der beiden stabilen Hauptachsen rotiert. Dann kann die Drehachse nicht ausweichen, ohne dass entweder die Impuls- oder die Energieerhaltung verletzt würde. Die Rotation um die Hauptachse mit dem mittleren Trägheitsmoment ist dagegen instabil. Diese Insabilität ist nur beim freien Körper erkennbar. Beim starr gelagerten Körper erzeugt sie dagegen keine dynamische Unwucht. Seite 126 Rotationsmechanik ?! Lernzielkontrolle Einem Kräftepaar oder einer Einzelkraft einen Drehmomentenvektor zuordnen können. 1.) 2.) 3.) 4.) 5.) Das Drehmoment berechnet sich aus der Kraft und dem zugehörigen Abstand. Muss man nun beim Drehmoment eines Kräftepaares nur eine Kraft ins Kreuzprodukt einsetzen oder müssen vorgängig beide Kräfte zusammengezählt werden? Wie stehen der Drehsinn (Wirkrichtung) eines Kräftepaares und das zugehörige Drehmoment zueinander? Einer Einzelkraft soll ein Drehmoment zugeordnet werden. Von wo nach wo zeigt der Abstandvektor, der in das entsprechende Vektorprodukt einzusetzen ist? Wie geht die Lage der Drehachse in die Berechnung des Drehmomentes ein? Gegeben sei die Grösse, die Richtung und die Wirklinie einer Kraft und die Lage des Schwerpunktes. Wie berechnen Sie rein formal das begleitende Drehmoment (Grösse und Richtung)? Wissen, wie die räumliche Drehimpulsbilanz formuliert wird. 6.) 7.) 8.) Wie hängt der Drehimpuls mit dem resultierenden Drehmoment zusammen? Sie kennen das resultierende Drehmoment. Können Sie damit die Winkelbeschleunigung des Körpers berechnen? Formulieren Sie die Momentanbilanz für die vektorwertige Grösse Drehimpuls. Die Energiebilanz für einen starren Körper formulieren können. 9.) Wann verschwindet die Leistung eines Drehmomentes? 10.) Bei einem starren Körper sind alle einwirkenden Kräfte und alle Drehmomente bekannt. Wie berechnet man rein formal die Änderungsrate der Bewegungsenergie? 11.) Einem starren Körper können drei Energiespeicher (kinetische, Rotations- und Gravitationsenergie) zugeordnet werden. Wie lassen sich diese drei Speicher gegeneinander abgrenzen? Welcher Kraft darf bei dieser Betrachtungsweise keine Leistung zugewiesen werden? Die Mechanik der Schwenkbewegung verstehen. 12.) Wie stehen der Drehimpuls, die Schwenkebene und das resultierende Drehmoment bei einer Kippbewegung eines rotierenden Rades zueinander? 13.) Wie berechnet man bei der Schwenkbewegung das dazu notwendige Drehmoment? Die Lagerbelastung bei einer dynamischen Unwucht bestimmen können. 14.) Wann liegt eine rein dynamische Unwucht vor? 15.) Ein unsymmetrischer Quader, der so eingespannt ist, dass die Drehachse durch die Körperdiagonale geht, belastet die Lager auch bei einer Rotation mit konstanter Drehzahl. Was passiert dabei mit dem Drehimpuls? Wie sieht der zeitliche Verlauf der Lagerbelastung aus? Die Begriffe Deviationsmoment und Hauptachsen verstehen. 16.) Mit welcher Einheit wird das Deviationsmoment gemessen? 17.) Was sind Hauptachsen? Wieviele Hauptachsen weist jeder starrer Körper mindestens auf? Was passiert, wenn ein fest eingespannter Körper um eine Achse rotiert, die nicht Hauptachse ist? Rotationsmechanik Seite 127 A Übungsaufgaben 200 300 Ein 600 mm langer Draht (Durchmesser 10 mm, Dichte 7.8 g/cm3), der zweimal rechtwinklig abgebogen worden ist, rotiert mit 3000 U/min um eine feste Achse, die durch das Symmetriezentrum des Körpers geht und parallel zu den beiden Schenkeln ausgerichtet ist. Wie werden die beiden Lager belastet? Die geometrischen Daten können Sie der nebenstehenden Skizze entnehmen. 200 1.) 2.) Eine Hantel, bestehend aus zwei Kugeln (Durchmesser 10 cm, Masse je 4 kg) und einem Verbindungsstab (Länge 40 cm, Masse 1.5 kg) ist auf einer Drehbank fest eingespannt worden. Der Verbindungsstab und die Drehachse, die durch den MMP der Hantel geht, schliessen einen Winkel von 65˚ ein. Wie gross ist das Drehmoment, das bei 500 Umdrehungen pro Minute auf die Hantel einwirkt? 3.) Eine Metallkugel (Masse 4 kg, Durchmesser 10 cm) rotiert mit einer Winkelgeschwindigkeit von 100 s-1 um eine Achse, die durch die Kugelmitte verläuft und kardanisch gelagert ist. Die kardanische Lagerung garantiert, dass die Drehachse selber in jede beliebige Richtung weggedreht werden kann. Wie stark muss das betragsmässig konstant gehaltene Drehmoment sein, damit sich die Achse in einer Minute um 90˚ dreht? 4.) Die Achse eines Schwungrades (Massenträgheitsmoment 120 kg·m2), das sich mit 3000 Umdrehungen pro Minute dreht, soll eine harmonische (zeitlich sinusartige) Schwenkbewegung in einer Ebene ausführen. Die beiden Umkehrrichtungen sollen einen Winkel von 90˚ einschliessen und die volle Schwingung soll zehn Sekunden dauern. Beschreiben Sie den Drehimpulsinhalt des Schwungrades in Funktion der Zeit. Führen Sie dazu ein Koordinatensystem ein, dessen x-Achse in Richtung der “Gleichgewichtslage“ der Kippschwingung zeigt. Wie gross ist der Maximalwert des die Kippschwingung erzeugenden Drehmomentes? 5.) Eine horizontal ausgerichtete Hantel (Durchmesser der Kugeln 10 cm, Kugelmassen 4 kg und 4.1 kg, Länge des Verbindungsstab 40 cm, Durchmesser des Verbindungsstabes 2.5 cm, Stabmasse 1.5 kg), rotiere mit 3000 Umdrehungen pro Minute um die Längsachse. Das Lager, das die Hantel festhält, weist praktisch keine Reibung auf und ist kardanisch montiert, d.h. die Achse selber kann sich in jede beliebig Richtung frei drehen. Das infolge der ungleich schweren Kugeln über das Gravitationsfeld einwirkende Drehmoment erzeugt nun eine Präzession. Wir beobachten, dass die anfänglich horizontal ausgerichtete Hantel leicht abkippt und sich dann langsam um die vertikale Achse dreht. Ein rechthändiges Korrdinatensystem mit vertikaler z-Achse teilt den Drehimpuls in drei Sorten auf. Welche Sorte Drehimpuls kann nicht über das Gravitationsfeld zufliessen? Mit welcher Winkelgeschwindigkeit wird die Hantel präzessieren? Durch die Präzessionsbewegung wird z-Drehimpuls gespeichert. Woher kommt diese Drehimpuls? Schätzen Sie ab, um welchen Winkel sich die Hantel bei Beginn der Präzession neigt. Seite 128 Rotationsmechanik 6.) Vier Metallkugeln (Durchmesser 10 cm, Massen je 4 kg) sind so zusammengefügt worden, dass ihre Mittelpunkte nach den Ecken eines regulären Tetraeders ausgerichtet sind. Die Kugeln berühren sich an ihren Oberflächen. Das ganze Tetraeder rotiere nun mit 400 Umdrehungen pro Minute um eine festgehaltene, vertikal ausgerichtete Achse, die durch zwei der vier Kugelzentren verläuft. Mit welcher Kraft und mit welchem Drehmoment müssen die Lager auf den rotierenden Körper einwirken, damit sich dieser weiterhin gleichmässig dreht? 7.) Bei einer kreisförmige Scheibe liefert die Scheibenachse eine Hauptachse. Das zugehörige Massenträgheitsmoment ist gleich der halben Masse multipliziert mit dem Quadrat des Radius. Alle weiteren Hauptachsen werden von den Durchmessern der Scheibe gebildet. Das Massenträgheitsmoment ist dann aber nur noch halb so gross. Nun wählt man eine Drehachse, die durch den Massenmittelpunkt der Scheibe geht und mit der Scheibenachse den Winkel β einschliesst. Ersetzen Sie die Scheibe so durch vier kreuzförmige angeordnete Punkte mit je einem Viertel der Scheibenmasse, dass diese bezüglich zwei speziell zu wählenden Achsen die gleichen Massenträgheitsmomente aufweisen wie die Scheibe. Berechnen Sie nun das Massenträgheitsmoment und das Deviationsmoment der Scheibe in allgemeiner Lage. 8.) Auf einer Achse sind zwei kreisrunde Scheiben (Durchmesser 400 mm, Masse 3 kg) aus drei Millimeter dickem Blech so befestigt worden, dass deren Flächennormale mit der Achse je einen Winkel von 45˚ einschliessen. Die beiden Metallteller neigen sich einander zu und ihre Zentren fluchten mit der Achse. Ist der Körper, der durch die zentrale Achse und die beiden Metallscheiben gebildet wird, ausgewuchtet? Wie gross ist die maximale Stromstärke des in der Achse zwischen den beiden Scheiben fliessenden Drehimpulses bei einer Drehzahl von 2400 Umdrehungen pro Minute? 9.) Bei einer rechteckigen, dünnen Platte (Masse 12 kg, Länge 500 mm, Breite 200 mm, Dicke 15 mm) bilden die beiden Symmetrieachsen je eine Hauptachse. Die zugehörigen Trägheitsmomente berechnen sich nach der Formel J = m·l2/12. Ersetzen Sie die Platte durch vier kreuzförmig angeordnete Punkte mit je einem Viertel der Scheibenmasse und bestimmen Sie dann das Massen- und das Deviationsmoment bei einer Rotation um die Scheibendiagonale. 10.) Ein Auto, das mit 108 km/h durch eine Kurve (Kurvenradius 400 m) fährt, verwendet als Energiezwischenspeicher ein Schwungrad (zylinderförmig, Durchmesser 60 cm, Masse 50 kg). Das Schwungrad dreht sich während der Kurvenfahrt mit 16’000 Umdrehungen pro Minute und seine Achse zeigt in Fahrtrichtung. Wieviel Bewegungsenergie enthält das Schwungrad? Mit welcher resultierenden Kraft wirkt das Auto auf das Schwungrad ein? Wie gross ist das Drehmoment, mit dem das Schwungrad gehalten werden muss? Rotationsmechanik 11.) Beim Kollergang läuft eine Walze an einer horizontalen Achse im Kreis herum und zerquetscht dabei das Mahlgut. Wir vereinfachen das Problem zu einem Rad (Durchmesser 1.2 m, Dicke 20 cm, Masse 600 kg), das an einer zylinderförmigen Achse (Länge 1.5 m, Masse 100 kg) befestigt ist. Die Reibung soll vernachlässigt werden. Mit welcher Kraft muss das freie Ende der Achse festgehalten werden? Wie gross ist die Normalkraft, mit welcher der Boden auf das Rad einwirkt? Seite 129 1300 12.) Auf einem geraden Kreiskegel (Durchmesser der Grundfläche 200 mm, Höhe 100 mm), der auf einer horizontalen Unterlage steht, rollt ein zweiter, gleich grosser (Masse 8 kg) mit zwanzig Umdrehungen pro Minute ab. Beide Kegelspitzen bleiben während der ganzen Bewegung dauernd am gleichen Ort, d.h. ein Durchmesser des umlaufenden Kegels berührt andauernd die Unterlage. Mit welcher Kraft und mit welchem Drehmoment muss man in einem beliebigen Moment auf den bewegten Kegel einwirken, damit er die vorgesehene Bewegung auch ausführt? 13.) Wieder läuft ein gerader Kreiskegel (Masse 8 kg) auf einem gleich grossen ab, der mit lotrechter Achse auf einer horizontalen Unterlage steht. Diesmal weisen die Kegel bei einer Höhe von 160 mm einen Basisdurchmesser von ebenfalls 160 mm auf. Berechnen Sie das Drehmoment, mit dem man auf den bewegten Kegel einwirken muss, damit er schön gleichmässig mit 600 Umdrehungen pro Minute auf dem ruhenden abrollt. 14. Bei einem Gyrobus dreht sich im Boden des Fahrzeuges ein grosses Schwungrad mit vertikaler Achse und liefert die für den Betrieb notwendige Energie. An jeder Haltestelle wird das Rad über einen eingebauten Elektromotor wieder in Schwung gesetzt. Das Schwungrad darf in erster Näherung als kurzer Hohlzylinder (Aussenradius 1.2 m, Innendradius 1m) mit einer Masse von zwei Tonnen angesehen werden. Wieviel Energie kann dieses ringförmige Rad maximal speichern, wenn die Zugspannung bei einer Dichte von 7.8 kg/dm3 den Wert von 100 N/mm2 nicht überschreiten darf? Der Bus durchfahre kurz nach einer Haltestelle eine Bodenwelle, wodurch der Wagenkasten eine Schaukelbewegung mit einer Winkelgeschwindigkeit von höchstens 0.1 rad/s vollführt. Welchen Maximalbetrag weist das Drehmoment auf, mit dem das Schwungrad dabei auf den Bus einwirken? 15.) Die Sonne wirkt über das Gravitationsfeld mit einem Drehmoment auf die abgeplattete Erde ein, d.h. sie versucht die gegenüber ihrer Umlaufbahn geneigte Erde aufzurichten. Infolge dieser Wirkung beschreibt die Erdachse vom Fixsternenhimmel aus gesehen einen Kegel. Das Wegweichen hat zur Folge, dass sich die Jahreszeiten gegenüber der Lage der Erde auf ihrer elliptischen Bahn fortlaufend verschieben. Eine Präzession (so nennt man dieses Kreiselphänomen) um den vollen Drehwinkel dauert ungefähr 26000 Jahre. Berechnen Sie das Drehmoment, mit dem die Sonne im Mittel auf die Erde einwirkt? Weil diese Einwirkung jahreszeitlichen Schwankungen unterworfen ist, können wir aus der Bewegung der Erdachse nur den Mittelwert des gravitativen Drehmomentes berechnen. Die Erde, die sich in 23 Stunden und 56 Minuten einmal um ihre Achse dreht, darf als Kugel mit einem Radius Seite 130 Rotationsmechanik von 6370 km und einer Masse von 6·1030 kg modelliert werden. 16.) Die Präzession der Erde kann in einem einfachen Demon400 mm stationsexperiment veranschaulicht werden. Dazu lässt man eine Scheibe (Masse 2 kg, Durchmesser 20 cm) mit 3000 Umdrehungen pro Minute auf einem Kugellager um eine horizontal ausgerichtete Achse (Masse 500 g, Länge 48 cm rotieren. Die Achse selber ist so gelagert, dass sie eine Schwenkbewegung in der Vertikalen und eine Drehbewegung in der Horizontalen ausführen kann. Die rotierende Scheibe, die 20 cm versetzt vom beweglichen Lager 2 kg 2 kg der Achse entfernt montiert ist, wird durch eine gleich grosse, symmetrisch angebrachte Scheibe im Gleichgewicht gehalten. Wird nun auf der ruhenden Scheibe ein Übergewicht von 100 g angebracht, neigt sich die horizontale Achse um einen kleinen Winkel und beginnt sich langsam im Kreis gerumzubewegen. Berechnen Sie die Winkelgeschwindigkeit dieser Präzessionsbewegung und den Neigungswinkel in guter Näherung. 17.) Auf eine Eisenkugel (Radius 5 cm, Masse 4 kg), die reibungsfrei gelagert ist und sich mit 6000 Umdrehungen pro Minute dreht, wirke ein Drehmoment von 0.04 Nm ein, das betragsmässig konstant bleibt und dessen Leistung immer gleich Null ist. Drehmoment und Drehimpulsvektor bilden zudem eine Ebene, die sich im Laufe der Zeit nicht ändern soll. Was passiert unter diesen Umständen mit der Kugel? Wie lange dauert es, bis die Kugel wieder im gleichen Rotationszustand ist? 18.) Eine Eisenkugel (Radius 5 cm, Masse 4 kg) ist so in ein stabiles und gut gelagertes Pendel eingebaut worden, dass sie sich um eine Achse frei drehen kann, die fest mit dem schwingenden System verbunden ist. Bei ruhendem Pendel befindet sich die Kugelmitte einen halben Meter unterhalb des Drehpunktes, die Drehachse ist genau horizontal ausgerichtet und liegt in der Pendelebene drin. Die ganze Anordnung (Pendel und Kugel) schwingt nun bei einer Auslenkung von 4˚ mit einer Frequenz von 0.5 Hz hin und her und die Kugel dreht sich rechtwinklig zur Schwingungsebene mit einer konstanten Drehzahl von 3000 Umdrehungen pro Minute. Mit welcher Kraft und mit welchem Drehmoment wirken die Lage auf die Kugel ein, in dem Moment, in dem das Pendel die Gleichgewichtslage durchschwingt? Rotationsmechanik Seite 131 7. Der Rotator Schwung- und Antriebsräder, Kurbelwellen, Schiffsschrauben, Propeller, CD-ROM und viele weitere Objekte aus unserer technischen Umwelt rotieren um eine starre Achse. Solch einachsig fixierte Körper nennt man Rotatoren. Das dynamische Verhalten der Rotatoren lässt sich mit einer eigenen Mechanik, einem Verschnitt aus Translations- und Rotationslehre, beschreiben. Viele Fragen, die nur die Kinematik dieser frei drehbar gelagerten Körper betreffen, können mit Hilfe der Rotatormechanik schnell und zielsicher beantwortet werden. Andere Gesichtspunkte, wie die für den Maschineningenieur so wichtige Abschätzung der Lagerbelastung durch dynamische oder statische Unwucht, treten bei dieser Formulierung der Rotationsmechanik dagegen in den Hintergrund. Mit der Rotatormechanik lassen sich einige Phänomene schnell und effizient erklären. Diese Hybridmechanik wird denn auch oft in elementaren Lehrbüchern als Standardtheorie verwendet. Leider produzieren solche Schnellkurse Fehlkonzepte, die sich später äusserst störend auf die Begriffsbildung auswirken können. Der Studierende gewöhnt sich an begriffliche Konstruktionen, die nur innerhalb des engen Rahmens der Rotatormechanik gültig sind. Insbesondere lernt er, jeder Kraft ein Drehmoment zuzuordnen, das gleich dem Produkt aus dem Betrag der Kraft und dem Abstand der Wirklinie von der Drehachse ist. Diese kinematische Fixierung des Drehmomentes verhindert eine echte Auseinandersetzung mit der Drehimpulsbilanz und führt nachweislich zu schwerwiegenden Fehlleistungen. So versuchen die Studierenden oft, Kraft- und Drehmoment gegeneinander aufzurechnen, oder es werden Lösungsvorschläge angeboten, die klar die Drehimpulserhaltung verletzten. In diesem kurzen Kapitel sollen die Grundgesetze der Translations- und der Rotationsmechanik repetiert und ihre Bedeutung als Momentanbilanz für den Impuls und den Drehimpuls nochmals herausgestrichen werden. Dann schreiten wir zu Hybridisierung und zeigen auf, wie unter den gegebenen Umständen zwei Gesetze vereint werden können. Anhand von einigen Beispielen soll der Unterschied zwischen den beiden Ansätzen, Translations- und Rotationsmechanik einerseits und Rotatormechanik andererseits, nochmals aufgezeigt werden. Insbesondere bei der Energiebilanz ist darauf zu achten, dass die verschiedenen Anteile der Bewegungsenergie richtig zusammengezählt werden. Zum Schluss führen wir die Rotatormechanik über die Dynamik der zusammengesetzten Körper wieder auf die allgemeine Darstellung zurück. ! Lernziele Wissen, wie man beim Rotator der Kraft ein Drehmoment zuordnet. Zwischen der rotatormechanischen Definition des Grundgesetzes und der analogen Beziehung in der Rotationsmechanik unterscheiden können. Den Satz von Steiner anwenden können. Für den Rotator eine Energiebilanz aufstellen können. Seite 132 Rotationsmechanik 7.1 Repetition der Grundgesetze das Grundgesetz der Translationsmechanik Bevor wir die Translationsmechanik zusammen mit der Drehmechanik zur Rotatordynamik hybridisieren, sollen die beiden Gundgesetze kurz rekapituliert werden. Zuerst einige grundlegende Bemerkungen zur Translationsmechanik. Wirken auf einen Körper verschiedene Kräfte ein, bestimmen sie gemäss der Formel (1.3) die Beschleunigung des Massenmittelpunktes. Diese Beziehung, das Grundgesetz von Newton, enthält keine Einschränkungen bezüglich der Kraftangriffsflächen. Insbesondere müssen die Wirklinien der Kräfte nicht durch den Massenmittelpunkt gehen. Betrachtet man das Grundgesetz als Spezialfall einer Impulsbilanz, wird sofort klar, wieso nur der Betrag und die Richtung der Kräfte, nicht aber deren Wirklinien eine Rolle spielen. Zum Aufstellen der Bilanz benötigt man nämlich nur die Stärken der einzelnen Ströme, aber nie die Lage der Oberflächenstücke, durch welche die Menge ins System hineinfliesst. Entscheidend für die Impulsinhaltsänderungsrate sind also ausschliesslich die Stärken der drei Impulsströme, d.h. die Summe über die drei Kraftkomponenten. Kräfte beeinflussen die Bewegung des Massenmittelpunktes Zur speziellen Bedeutung des Massenmittelpunktes sei hier nochmals der Kerngedanke aufgegriffen. Die Bewegung eines starren Körpers kann kinematisch in die Translation eines beliebigen Punktes und eine Rotation um denselben aufgeteilt werden. Wählt man für diese Zerlegung speziell das Trägheitszentrum, den Massenmittelpunkt, werden Impuls- und Drehimpulsbilanz geometrisch getrennt: der Körper enthält in jedem Moment gleichviel Impuls wie ein nichtrotierender Vergleichskörper gleicher Masse und gleicher Geschwindigkeit. Deshalb lässt sich der Impulsinhalt eines starren Körpers immer als Masse mal Mittelpunktsgeschwindigkeit schreiben. Spaltet man die Änderungsrate des Impulsinhaltes analog in Masse mal Beschleunigung des Massenmittelpunktes auf und setzt den Ausdruck in in die Impulsbilanz ein, erhält man wieder das Grundgesetz (1.3). Damit haben wir die grundlegende Aussage nochmals rekapituliert, wonach eine Kraft nur die Beschleunigung des Massenmittelpunktes verursachen und durch die gegebenenfalls auftretende Rotation in ihrer Wirkung nicht beeinträchtigt wird. das begleitende Drehmoment Ein ausgedehnter Körper speichert neben Impuls und Energie auch noch Drehimpuls. Alle drei Mengen sind eigenständig und dürfen nicht miteinander verrechnet werden, d.h. sie können sich unter keinen Umständen ineinander umwandeln oder sich gegenseitig vernichten. Ein starrer Körper, der sich durch den Raum bewegt, erfüllt also in jedem Moment sieben skalare Bilanzgesetze. Trotz des absoluten Umwandlungsverbotes sind alle sieben Grössen geometrisch voneinander abhängig. Beim abrollenden Körper ist zum Beispiel der Impulsinhalt über die Massenverteilung und den Abrollradius mit dem Drehimpuls und der Bewegungsenergie verknüpft. Eine zweite Relation verbindet die zugehörigen Ströme, d.h. eine Kraft kann von einem Drehmoment und einem Energiestrom begleitet sein. Das begleitende Drehmoment berechnet sich durch das Produkt aus der Kraft und dem Abstand der Kraftwirklinie vom Massenmittelpunkt des freigeschnittenen Körpers. Der zugeordne- Rotationsmechanik Seite 133 te Energiestrom oder die Leistung der Kraft ist gleich dem Skalarprodukt aus Kraft und Geschwindigkeit der Angriffsfläche. Soll ein Körper an Ort in Rotation versetzt werden, darf netto weder Im- Kräftepaar und Dyname puls zu- noch wegfliessen. Folglich muss der Impulsstrom, der für den Drehimpulsaustausch mitverantwortlich ist, das System durchfliessen. Den beiden Kräften, die den Impulsein- bzw. -austritt markieren, schreibt man ein einziges Drehmoment zu. Greift dagegen eine “Einzelkraft, deren Wirkungslinie nicht durch den Massenmittelpunkt geht”, an einem starren Körper an, wird sowohl Impuls- als auch Drehimpuls ausgetauscht. Diese Form der Einwirkung, die sowohl für die Änderung des Impuls- als auch des Drehimpulsinhaltes verantwortlich ist, die also aus Kraft und begleitendem Drehmoment besteht, nennt man Dyname. Fliesst der Impuls über ein ausgedehntes Oberflächenstück, muss der die Wirklinie bei Kräften mit Zusammenhang zwischen Kraft und Drehmoment weiter spezifiziert ausgedehnten Angriffsflächen werden. Als Beispiel sei die Wirkung des Wassers auf die Seitenwand eines Swimmingpools erwähnt. In diesem Fall ist die Grösse der Kraft gleich dem Druck im Flächenmittelpunkt mal die Fläche der Seitenwand. Die Wirklinie, die der Seitendruckkraft zuzuordnen ist, geht jedoch - wie man sich anhand einer Zeichnung überlegen kann - nicht durch diesen Flächenschwerpunkt. Im allgemeinen Fall muss das Drehmoment durch Addition vieler Teilbeiträge gefunden werden. Dazu ist die Kraftangriffsläche der Symmetrie entsprechend zu zerschneiden. Hat man dann jedem Stück die anteilsmässige Kraft zugeordnet, dürfen die begleitenden Drehmomente einzeln berechnet und zur resultierenden Einwirkung zusammengezählt werden. Bei diesem Verfahren wird die Wirklinie höchstens noch zur Berechnung der Teildrehmomente beigezogen. Bewegt sich ein starrer Körper durch den Raum, sind drei Sorten Dreh- das Massenträgheitsmoment impuls zu unterscheiden. Diese drei Drehimpulsarten transformieren ist keine Skalar sich wie die Komponenten eines Vektors. Das Drehmoment als körperbezogene Drehimpulsstromstärke verhält sich deshalb auch wie eine vektorielle Grösse. Der Drehmomentvektor kann gemäss Fig 6.-4 mit Hilfe des Vektorproduktes aus der Kraft und einem Distanzvektor, der vom Kraftangriffsort bis zum Massenmittelpunkt reicht, berechnet werden. Trotz der Strukturähnlich von Translations- und Rotationsmechanik lässt sich die Bewegung des starren Körpers nicht mit einer einfachen Formel analog zum Grundgesetz beschreiben. Das resultierende Drehmoment ist im allgemeinen Fall nicht proportional zur Winkelbeschleunigung. Schuld an dieser Schwierigkeit ist das etwas komlexere Kapazitivgesetz der Drehmechanik. Wohl lässt sich der Drehimpuls linear mit der Winkelgeschwindigkeit verknüpfen, doch ist die Verknüpfungsgrösse, das Massenträgheitsmoment, mathematisch gesehen ein Tensor und damit komplizierter gebaut als ein Skalar oder ein Vektor. Nur im Spezialfall des um eine Hauptachse rotierenden Kreisels kann, falls zudem noch alle Drehmomente achsial ausgerichtet sind, eine zum Newtonschen Gesetz äquivalente Formulierung angegeben werden. Seite 134 Rotationsmechanik ? Kontrollfragen 1.) 2.) 3.) 4.) 5.) 6.) 7.) Wie berechnet man den Massenmittelpunkt eines Körpers? Ein nicht festgehaltener Körper rotiere an Ort. Durch welchen Punkt verläuft die momentane Drehachse in jedem Fall? Ein sich drehender Körper werde mittels eine starre Achse festgehalten. Die Achse gehe nicht durch den Massenmittelpunkt. Was wird man feststellen? Ein Körper rotiere um eine starre Achse, die durch den Massenmittelpunkt geht. Ist der Körper ausgewuchtet? Eine Kraft greift mit relativ kleiner Angriffsfläche an einem starren Körper an. Welche Angaben brauchen Sie, um das begleitende Drehmoment auszurechnen? Wie berechnen Sie dieses Moment? Wie gross ist das Massenträgheitsmoment einer beidseits offenen Stahlhülse mit der Masse m und mit dem Durchmesser d? Ein Schwungrad werde mittels einer tordierten Welle in Rotation versetzt. Bei geeigneter Wahl des positiven Drehsinns nimmt der Drehimpulsinhalt des Rades zu. Der Zustrom von Drehimpuls ergibt bezüglich des Schwungrades ein positives Drehmoment. Ist dieses Drehmoment in Begleitung einer Kraft oder eines Kräftepaares? 7.2 Die Hybridisierung der frei drehbar gelagerte Köper Zur Herleitung des Grundgesetzes der Rotatormechanik untersuchen wir das Bewegungsverhalten eines frei drehbar gelagerten Körpers. Dieser Rotator sei weder statisch noch dynamisch ausgewuchtet sein, d.h. die Achse muss weder durch den Massenmittelpunkt gehen, noch parallel zu einer der Hauptachsen verlaufen. Im Moment drehe sich der Rotator mit der Winkelgeschwindigkeit ω und im Punkt P wirke die Kraft F auf ihn ein. Zudem durchstösst die Achse die Zeichenebene lotrecht. y FL ω Fig. 7. - 1: Auf einen starren Körper, der sich als Rotator mit der momentanen Winkelgeschwindigkeit ω um eine starre Achse dreht, wirke eine Kraft F ein. Kräfte am Rotator MMP s Achse x d r F Zeigt die Summe über alle Drehmomente schief zur Achse oder ist der Körper dynamisch nicht ausgewuchtet, wirkt von den Lagern her ein zusätzliches Moment ein, das den Vektor der Winkelgeschwindigkeit in achsiale Richtung stabilisiert. Infolge dieser Fixierung können wir uns auf eine ebene Beschreibung beschränken. Zudem darf das Koordinatensystem so gelegt werden, dass die Verbindungslinie Drehachse-MMP im zu diskutierenden Moment auf die x-Achse zu liegen kommt. Mit Rotationsmechanik Seite 135 dieser Wahl sind die x-Komponenten der beiden Kräfte für die Normalbeschleunigung und die y-Komponenten für die Tangentialbeschleunigung verantwortlich. Auf den rotierenden Körper wirken zwei Kräfte ein, die je von einem Drehmomente Drehmoment begleitet sind r r r r r r r MRe s = M1 + M2 = r × F + FL × s (7.1) Im Ausdruck (7.1) kann die Lagerkraft, von der wir weder die Grösse noch die Richtung kennen, mit Hilfe des Grundgesetzes der Translation eliminiert werden r r r r r r r r r r MRe s = r × F + s × ( F − m ⋅ aMMP ) = d × F + s × m ⋅ aMMP (7.2) Mit der Zerlegung von aMMP in eine Normal- und eine Tangentialkomponente erhält man für das resultierende Drehmoment einen Ausdruck, der als rein skalar Beziehung hingeschrieben werden kann: MRe s = d ⋅ F ⋅ sin β − m ⋅ s 2 ⋅ α y MMP s x d β (7.3) F Die Normalbeschleunigung ist aus der Formel (7.3) verschwunden, weil kollinear zueinander stehende Komponenten keinen Beitrag zum Vektorprodukt liefern. Zudem habe ich Tangentialbeschleunigung durch das Produkt aus der Länge s und der Winkelbeschleunigung α ersetzt. Ersetzt man in der Drehimpulsbilanz (2.2) das resultierende Drehmo- Drehimpulsbilanz ment durch den Ausdruck (7.3) und schreibt auf der rechten für die Drehimpulsänderungsrate das Produkt aus Trägheitsmoment und Winkelbeschleunigung hin, nimmt die Drehimpulsbilanz die folgende Form an d ⋅ F ⋅ sin β − m ⋅ s 2 ⋅ α = J ⋅ α (7.4) Nun addieren wir den Term mit der Winkelbeschleunigung noch auf die rechte Seite d ⋅ F ⋅ sin β = ( J + m ⋅ s 2 ) ⋅ α (7.5) Die Gleichung (7.5) hat die gleiche Gestalt wie das Grundgesetz der Drehmechanik. Einzig das Massenträgheitsmoment ist um einen Summanden ergänzt worden, der das Quadrat des Abstandes DrehachseMassenmittelpunkt enthält. Formel (7.5) kann auf beliebig viele äussere Einwirkungen ausgedehnt werden. Dann steht auf der linken Seite die Summe über alle “Drehmomente” und auf der rechten erscheint das Produkt aus korrigiertem Massenträgheitsmoment und Winkelgeschwindigkeit. r Seite 136 Rotationsmechanik Im Grundgesetz der Rotatormechanik (7.5) ordnet man jeder äusseren Kraft ein begleitendes “Drehmoment” zu, das gleich dem Produkt aus der Kraft und dem Abstand der Wirklinie von der Drehachse ist. Gemäss dieser Regel muss der Gewichtskraft immer dann ein “Drehmoment” zugewiesen werden, wenn die Drehachse nicht durch den Schwerpunkt geht. Auf der rechten Seite der Gleichung ist die Drehträgheit durch den schon erwähnten Zusatzterm zu ergänzen das Grundgesetz der Rotatormechanik ∑ Mƒ i = Jƒ ⋅ α mit Jƒ = J + m ⋅ s 2 (7.6) i Die Korrektur des Massenträgheitsmomentes bei einem nicht ausgewuchteten Rotator gemäss (7.6) heisst in der Literatur Satz von Steiner. Der Steinersche Satz beschreibt, wie man das Massenträgheitsmoment ergänzen muss, damit es zusammen mit der Winkelgeschwindigkeit den Gesamtdrehimpulsinhalt eines Körpers, der sich um eine starre Achse dreht, korrekt wiedergibt. der Satz von Steiner Beispiel 30: Eine Fadenspule (Masse m, Massenträgheitsmoment J, äusserer Radius R, Wickelradius r) werde eine schiefe Ebene (Neigungswinkel β) hinaufgezogen. Die Kraft, die an der parallel zur Ebene verlaufenden Schnur angreift, sei gegeben. Man berechne die Winkelbeschleunigung der Fadenspule. Lösung 30: Zuerst lösen wir das Beispiel nach dem allgemeinen Lösungsverfahren. Wir schneiden den Körper frei, zeichnen alle Kräfte und autonomen Drehmomente ein, führen ein Koordinatensystem ein, formulieren die drei unabhängigen Grundgesetze und schreiben die kinematische Verknüpfung hin. F x F y r R FG β Lageplan FN x: F + FHR − FG ⋅sin β = m ⋅ aMMP y: FN − FG ⋅cos β = 0 R: FHR ⋅ R − F ⋅ r = J ⋅ α kV : a MMP = − α ⋅ R FHR freigeschnittener Körper Gleichungssystem Die Lösung des Gleichungssytems ergibt den gesuchten Wert. Den genau gleichen Wert für die Winkelbeschleunigung erhält man, wenn die Fadenspule als Rotator behandelt wird. Bei dieser Betrachtungsweise muss der Kraft F und der Gewichtskraft je ein Drehmoment zugeschrieben werden. Zudem ist das Massenträgheitsmoment durch den Zusatz m·R2 zu ergänzen. Dann lässt sich die Lösung mit nur einem Bewegungsgesetz direkt hinschreiben F ⋅ ( R + r ) − FG ⋅ R ⋅ sin β = ( J + m ⋅ R2 ) ⋅ α Das zweite Lösungsverfahren ist deutlich schneller, doch können damit nur wenige Fragen beantwortet werden. Wenn wir zum Beispiel Grösse und Richtung der Haftreibungskraft wissen wollen, müssen wir wieder auf das Schnittbild und auf den vollständigen Satz von Bilanzgleichungen zurückgreifen. Rotationsmechanik Seite 137 Die Rotatormechanik reduziert die ganze Problematik der Bewegung ei- Bemerkung zur Lagerbelanes auf einer Achse montierten Körpers auf eine zur eindimensionalen stung Mechanik analogen Betrachtungsweise. Sie ermöglicht damit, dass die zugehörig e Drehbewegung bei gegebenen Einwirkungen schnell und effizient berechnet werden kann. Man sollte sich aber auch immer die Grenzen dieser Betrachtungsweise vor Augen halten. Lagerkräfte können zum Beispiel mit Hilfe von Formel (7.6) nicht direkt berechnet werden. ? Kontrollfragen 8.) Wie wird bei einem freien, starren Körper das Drehmoment einer Kraft berechnet? Wie bestimmt man das Drehmoment in der Rotatormechanik? 9.) Ist das Drehmoment einer Kraft auf die Drehachse oder auf den Massenmittelpunkt zu beziehen? 10.) Wie berechnet man die Drehträgheit eines Rotators? 7.3 Energie Ein starrer Körper, der sich als Rotator um eine festgehaltene Achse die Energie eines starren Kördreht, speichert zusammen mit dem Impuls kinetische Energie und zu- pers sammen mit dem Drehimpuls Rotationsenergie Wkin = 1 2 ⋅ m ⋅ vMMP 2 Wrot = 1 ⋅ J ⋅ω 2 2 (7.7) Fasst man beide Energieanteile zur Bewegungsenergie zusammen und Bewegungsenergie ersetzt die Geschwindigkeit des Massenmittelpunktes durch das Produkt aus Winkelgeschwindigkeit ω und Abstand s, erhält man einen Ausdruck, der wieder wie eine Rotationsenergie aussieht WBew = 1 1 1 ⋅ m ⋅ (ω ⋅ s)2 + ⋅ J ⋅ ω 2 = ⋅ Jƒ ⋅ ω 2 2 2 2 (7.8) Die Bewegungsenergie eines Rotators und die Rotationsenergie des Kreisels werden durch die gleiche Formel beschrieben. Der einzige Unterschied liegt beim Massenträgheitsmoment. Diese Diskrepanz wollen wir uns einprägen: entweder berechnet man die Bewegungsenergie mit (7.7) als Summe aus kinetischer und Rotationsenergie oder man handelt das Problem als Rotator ab und verwendet Formel (7.8). Beispiel 31: Ein Pendel, bestehend aus einem Stab (Länge 1.2 m, Masse 6 kg) und einer Vollkugel (Radius 7 cm, Masse 10 kg), wird um neunzig Grad ausgelenkt und dann losgelassen. Die Drehachse befindet sich 20 cm vom einen Stabende entfernt und die Kugel ist auf die andere Stirnfläche des Stabes aufgesetzt worden. Wie gross ist die Beschleunigung der Kugelmitte, wenn das Pendel die Gleichgewichtslage durchschwingt? Lösung 31: Der Gesamtmassenmittelpunkt des Pendel liegt 81.88 cm von der Drehachse entfernt. Um diese Höhe senkt sich die Masse im Mittel ab und setzt dabei Gravitationsenergie frei. Nun ermitteln wir noch das auf die Drehachse bezogene Massenträgheitsmoment, indem wir die beiden mit Hilfe von (7.6) berechneten Seite 138 Rotationsmechanik Beiträge von Stab und Kugel zusammenfassen J= mStab ⋅ l2 2 + mstab ⋅ s12 + ⋅ mKugel ⋅ r 2 + mKugel ⋅ s22 = 13.149kg ⋅ m 2 12 5 Die freigesetzte Gravitationsenergie geht vollständig inRotationsenergie über. Durch Gleichsetzen der beiden Energieumsätze erhält man für die Winkelgeschwindigkeit 4.42 rad/s. In der Gleichgewichtslage steht die Beschleunigung normal zur Bewegungsrichtung und ihr Betrag ist gleich dem Quadrat der Winkelgeschwindigkeit multipliziert mit dem Bahnradius. Für die Kugelmitte ergibt dies 20.9 m/s2. ? Kontrollfragen Ein Zylinder (Masse m, Radius R) rolle mit der Winkelgeschwindigkeit ω auf einer horizontalen Ebene ab. Wo liegt die momentane Drehachse? Wie gross sind die kinetische und die Rotationsenergie? 12.) Ein dünner Stab mit der Masse m und der Länge l sei ein Drittel von einem Ende entfernt frei drehbar aufgehängt. Wie gross kann seine Winkelgeschwindigkeit werden, wenn er vorher bis in die Horizontallage ausgelenkt worden ist? 13.) Wieso ist das Formelzeichen für das Massenträgheitsmoment in (7.8) mit einer Tilde versehen worden? 11.) 7.4 Impuls und Drehimpuls des Rotators statische Unwucht Jeder starre Körper, der sich mit der Winkelgeschwindigkeit ω um eine Hauptachse dreht, speichert Drehimpuls im Betrag von Massenträgheitsmoment mal Winkelgeschwindigkeit. Wird der gleiche Körper so festgehalten, dass die Achse nicht mehr durch den Massenmittelpunkt geht, kommt noch ein Impulsinhalt dazu, der gleich dem Produkt aus Masse und Geschwindigkeit des MMP ist. Bei einem asymmetrisch gelagerten Rotator ändert sich der Impulsinhalt im Rhythmus der Drehbewegung. Der dadurch erzwungene Impulsstrom, der zwischen Körper und Erde hin- und herfliesst, führt in den Achsenlagern zu einer umlaufenden Kraft. Der Rotator gilt dann als statische nicht ausgewuchtet. Eigen- und Bahndrehimpuls Fasst man den nicht ausgewuchteten Rotator und die Erde zu einem Gesamtsystem zusammen, bilden die beiden Körper einen dreifachen Drehimpulsspeicher: neben der rotierenden Erde und dem sich drehenden Körper enthalten beide Systeme gemeinsam einen Bahndrehimpuls, der in der kollektiven Bewegung der zugehörigen Trägheitszentren gespeichert ist. Weil die Erde eine riesige Masse aufweist und gleichzeitig die materielle Basis für die meisten Koordinatensystem darstellt, ordnen wir den Bahndrehimpuls ganz dem Rotator zu. Der nicht ausgewuchtete Körper mit festgehaltener Achse, der Rotator, speichert also auf zwei Arten Drehimpuls r r r r r r L = J ⋅ω LBahn = s × p = m ⋅ ( s × vMMP ) (7.9) Beim Rotator dürfen Bahn- und Eigendrehimpuls als skalare Grössen Rotationsmechanik Seite 139 addiert werden, weil sie zur gleichen „Sorte“gehören Lƒ = J ⋅ ω + m ⋅ s 2 ⋅ ω = Jƒ ⋅ ω (7.10) In Formel (7.10) sind beide Drehimpulsspeicher zu einem einzigen Sy- Gesamtdrehimpuls stem mit grösserem Fassungsvermögen zusammengefügt worden. Das mit einer Tilde charakterisierte Gesamtträgheitsmoment ist identisch mit dem entsprechenden Ausdruck in (7.6), d.h. das mit dem Satz von Steiner auf eine feste Achse bezogene Trägheitsmoment beschreibt zusammen mit der Winkelgeschwindikeit den totalen Drehimpulsinhalt des Systems. Ein freigeschnittener Körper enthält Impuls- und Drehimpuls. Dement- Bewegungs- und Rotationsensprechend teilt man die Bewegungsenergie in kinetische und Rotations- ergie energie ein. Weil beim Rotator der gespeicherte Impuls den Bahndrehimpuls festlegt und dieser zusammen mit dem Eigen- zum Gesamtdrehimpuls zusammengefasst werden darf, kann man dessen ganze Bewegungsenergie als reine Rotationsenergie bezeichnen. In drei Schritten haben wir nun gezeigt, dass der freie starre Körper und Kreisel und Rotator der Rotator durch analoge Grundgesetze beschrieben werden können. Für beide Systeme sieht die Formulierung der Rotationsenergie gleich aus und bei beiden Körpern kann der Drehimpulsinhalt als Produkt von Massenträgheitsmoment und Winkelgeschwindigkeit geschrieben werden. Einzig für die Berechnung des Massenträgheitsmomentes und für die Drehmoment-Kraft-Beziehung gelten unterschiedliche Regeln. Das begleitende Drehmoment ist beim freien Körper auf den Massenmittelpunkt zu beziehen, wogegen beim Rotator der Bezugspunkt auf der Drehachse liegen muss. Das Trägheitsmoment ist beim Rotator eine skalare Grösse, die sich aus den auf die Achse bezogenen Beiträge allerTeilkörper zusammensetzt. Beim freien Körper wird zuerst eine Achse ausgewählt werden. Diese hat durch den Massenmittelpunkt zu gehen und muss in Richtung der momentanen Winkelgeschwindigkeit zeigen. Weil sich die Richtung der Winkelgeschwindigkeit ändern kann, muss im allgemeinen Fall das Massenträgheitsmoment andauernd neu berechnet werden. Fällt beim Rotator die Drehachse mit keiner der drei Hauptachsen des nochmals dynamische starren Körpers zusammen, ändert der Drehimpulsinhalt trotz konstanter Unwucht Winkelgeschwindigkeit seine Richtung. In diesem Fall kann der Drehimpulsinhalt, wie schon früher gezeigt, mit einem geeignet gewählten Koordinatensystem in einen tangentialen und in zwei radiale Anteil zerlegt werden. So bleibt die eine “Sorte” gespeichert und die beiden andern werden harmonisch ausgetauscht. Die durch den Austausch erzwungenen Drehimpulsströme oder Drehmomente führen zu einer umlaufenden Lagerbelastung, die der Fachmann als dynamische Unwucht bezeichnet. Seite 140 Rotationsmechanik ? Kontrollfragen 14.) Bei einem starren Körper (Masse m, Massenträgheitsmoment J), der mit konstanter Drehzahl um eine feste Achse rotiert, laufe der Massenmittelpunkt auf einem Kreis mit Radiusr um die Drehachse herum. Wie gross ist die resultierende Lagerkraft, die infolge der statischen Unwucht entsteht? 15.) Wann ist ein Körper statisch, wann dynamisch ausgewuchtet? 16.) Schätzen Sie beim System Erde-Mond die Drehimpulsinhalte der beiden Himmelskörper und den Bahndrehimpuls ab? Die genauen Zahlen können Sie einem Lexikon oder einem Atlas entnehmen. Zusammenfassung von Kapitel 7 Die Rotatormechanik liefert eine schlanke Behandlung des fest gelagerten oder reibungsfrei rollenden Körpers. Die zugehörige theoretische Struktur lässt sich direkt aus der Translations- und der Rotationsmechanik gewinnen. Dazu müssen die beide Betrachtungsweisen geschickt vereinigt werden. Statt der üblichen drei Gleichungen benötigt man dann nur noch eine einzige. Im Gegenzug ist das Massenträgheitsmoment mit dem Steinerschen Satz zu korrigieren und die begleitenden Drehmomente sind auf die Drehachse und nicht wie bei der Mechanik des freien Körpers auf den Massenmittelpunkt zu beziehen. Im Zentrum der Rotatormechanik steht ein einziges Grundgesetz, das wie eine gewöhnliche Drehimpulsbilanz aussieht. Links ist die Summe über alle Drehmomente einzusetzen, rechts kommt das Produkt aus Massenträgheitsmoment und Winkelbeschleunigung hin. Die Drehmomente der einzelnen Kräfte sind wie üblich zu berechnen, doch muss diesmal, wie oben schon erwähnt, der Abstand von der Drehachse genommen werden. Demnach ist das zugeordnete Drehmoment gleich dem Produkt aus dem Betrag der Kraft und der Distanz der Wirklinie von der Drehachse. Ausserdem ist das eigentliche Massenträgheitsmoment mit einem Zusatzterm zu ergänzen. Diese Korrektur ist unter dem Namen Satz von Steiner bekannt. Der sich drehende Rotator speichert Drehimpuls und Rotationsenergie. Im Körper selber ist nur ein Teil des Drehimpulses gelagert. Der Rest steckt in der Relativbewegung von Rotator und Erde drin. Dieser Teil darf, weil die Erde relativ zum gewählten Bezugssystem ruht, als Bahndrehimpuls direkt dem um die Drehachse kreisenden Rotatorschwerpunkt zugeschrieben werden. Der Satz von Steiner kann damit auch als Addition von Eigen- und Bahndrehimpuls bei einem Rotator aufgefasst werden, wobei der Ergänzungsterm des Trägheitsmomentes multipliziert mit der Winkelgeschwindigkeit den Bahndrehimpuls wiedergibt. Mit der Energie verhält es sich analog. Die gesamte Bewegungsenergie, die gleich gross ist wie das Produkt aus Drehimpuls und halber Winkelgeschwindigkeit, gehört teils zum Eigendrehimpuls teils zum Bahndrehimpuls. Man könnte den zweiten Beitrag auch als kinetische Energie bezeichnen, darf doch dieser Teil auch als Impulsinhalt mal halbe Massenmittelpunktsgeschwindigeit geschrieben werden. Aus Konsistenzgründen redet man beim starr gelagerten Körper jedoch nur von Rotationsenergie. Die Rotatormechanik wird in vielen Lehrbüchern als eigentliche Rotationsmechanik verkauft. Dies funktioniert solange, wie nur die eigentliche Drehbewegung untersucht wird. Interessiert man sich dagegen für die Lagerbelastung oder die Grösse der Haftreibungskraft bei Rollkörpern, führt der Weg zu Lösung nur über die vollständige Dynamik mit ihren maximal sechs skalaren Bilanzgleichungen, d.h. die Bewegeung des starren Körpers ist vollständig festgelegt, sobald zu jeder Zeit Rotationsmechanik Seite 141 bekannt ist, wie gross die einwirkenden Kräfte und die Drehmomente sind. ?! Lernzielkontrolle Wissen, wie man beim Rotator der Kraft ein Drehmoment zuordnet. 1.) 2.) 3.) Um einen Zylinder (Masse m, Radius r), der aufrecht auf einem horizontalen Tische steht, ist eine Schnur gewickelt. Nun zieht man mit der Kraft F genau horizontal an der Schnur. Wie gross ist das auf den Zylinder einwirkende Drehmoment? Ein dünner, zylindeförmiger Stab, der an einem Ende frei drehbar aufgehängt ist, wird um einen festimmten Winkel ausgelenkt und dann losgelassen. Wie gross ist das Drehmoment, das der Gewichtskraft zugeordnet werden muss? Beantworten Sie die Frage, indem Sie den Stab als Rotator behandeln. Wie lautet die richtige Antwort, wenn der Stab als freier starrer Körper angesehen wird? Das Drehmoment einer Kraft ist gleich dem Vektorprodukt aus Kraft und Abstand. Welche zwei Punkte verbindet dieser Abstandsvektor? Beantworten Sie diese Frage einmal, indem Sie den Körper als frei ansehen und ein zweites Mal, indem Sie ihn als Rotator behandeln. Zwischen der rotatormechanischen Definition des Grundgesetzes und der analogen Beziehung in der Rotationsmechanik unterscheiden können. 4.) 5.) 6.) Die Summe über alle Drehmomente ist gleich der Änderungsrate des Drehimpulses. Gilt diese Aussage auch, falls die Drehmomente räumlich verschieden orientiert sind? Auf ein statisch ausgewuchtetes, reibungsfrei gelagertes Schwungrad wirke eine Kraft mit beliebiger Lage der Wirklinie ein. Das Rad ist als Rotator anzusehen. Wie berechnet man das begleitende Drehmoment? Ist dieses Drehmoment gleich der Änderungsrate des Drehimpulses? Auf ein statisch nicht ausgewuchtetes, reibungsfrei gelagertes Schwungrad wirke eine Kraft mit bliebiger Wirklinie ein. Wir behandeln das Rad wieder als Rotator. Wie berechnet man nun das begleitende Drehmoment? Ist dieses Drehmoment gleich der Änderungsrate des Drehimpulses? Den Satz von Steiner anwenden können. 7.) 8.) Eine Metallscheibe ist mit einer Achse versehen worden, die parallel zur Scheibenachse verläuft und diese in der Mitte zwischen einem Punkt auf dem Mantel und dem Zentrum durchstösst. Um welchen Wert ist das ursprüngliche Massenträgheitsmoment zu ergänzen, damit die Scheibe als Rotator behandelt werden kann? Wenn man das mit dem Satz von Steiner korrigierte Massenträgheitsmoment mit der momentanen Winkelgeschwindigkeit multipliziert, erhält man einen Drehimpuls. Wo steckt dieser Drehimpuls? Welche Bedeutung haben die beiden Terme? Für den Rotator eine Energiebilanz aufstellen können. 9.) Lässt man ein ausgelenktes Pendel los, so schwingt es mehr oder weniger gedämpft hin und her. Bei der ungebremsten Schwingung verwandelt sich während der ersten Viertelperiode die potentielle Energie des Pendels in seine Bewegegungsenergie. Wie berechnet man die Bewegungsenergie des Pendels? 10.) Speichert ein Pendel nur Rotationsenergie, oder muss zwischen kinetischer und Rotationsenergie unterschieden werden? 11.) Beim freien Körper bezieht man das Drehmoment einer Kraft auf dessen Massenmittelpunkt Seite 142 Rotationsmechanik und beim Rotator auf seine Drehachse. Führt diese Wahlmöglichkeit bei der Energiebilanz nicht zu einem Widerspruch? A Übungsaufgaben 1.) Ein Pendel besteht aus einem Vierkantstab (Masse 1.5 kg, Länge 80 cm) und einer Scheibe (Masse 2.5 kg, Durchmesser 20 cm). Der Stab hängt 20 cm vom einen Ende entfernt frei drehbar an einer horizontalen Achse und die Scheibe ist so befestigt, dass das untere Ende des Stabes auf den Umfang der Kreisscheibe zu liegen kommt. Nun wird das Pendel um 30˚ ausgelenkt und dann losgelassen. Wie gross ist die Geschwindigkeiten des oberen Stabendes, in dem Moment, in dem das Pendel durch die Gleichgewichtslage schwingt? Mit welcher Kraft wirkt dann das Lager auf das Pendel ein? 2.) Das Pendel aus Aufgabe 1.) wird diesmal um 45˚ ausgelenkt und dann losgelassen. Berechnen Sie dessen Winkelbeschleunigung unmittelbar nach dem Loslassen. Wie gross ist nun die Kraft, mit der das Lager auf das Pendel einwirkt? 3.) Ein zylinderförmiger Metallstab (Masse 1 kg, Länge 1 m), der lotrecht auf einer horizontalen Unterlage steht, wird ganz leicht angestossen. Wie gross sind seine Winkelgeschwindigkeit und seine Winkelbeschleunigung in dem Moment, in dem seine Achse mit der Vertikalen einen Winkel von 30˚ einschliesst? Mit welcher Kraft wirkt dann die Unterlage auf den Stab ein? 4.) Ein scheibenförmiges Schwungrad (Masse 10 kg, Radius 20 cm) ist exentrisch auf einer vertikalen Antriebsachse gelagert. Die Achse durchstösst die Scheibe an einem Punkt, der 10 cm von deren Mitte entfernt ist. Nun wird die Scheibe mit einem konstanten Drehmoment in Rotation versetzt. Wie gross muss dieses Drehmoment sein, damit die Scheibe nach fünf Sekunden mit 1800 Umdrehungen pro Minute dreht? Welche Leistung weist das Drehmoment zwei Sekunden nach Beginn der Einwirkung auf? Wie sieht das Leistungs-Zeit-Verhalten des Antriebsmomentes aus? 5.) Ein waagrecht ausgerichteter Holzbalken (Masse 10 kg, Länge 2 m), der 50 cm vom einen Ende entfernt auf einer vertikalen Achse gelagert ist, wird von einer Bleikugel (Masse 10 g, Geschwindigkeit 500 m/s) getroffen. Die Kugel schlägt einen Meter von der Achse entfernt genau horizontal ein und bleibt dann stecken. Mit welcher Winkelgeschwindigkeit dreht sich der Balken nach dem Schuss? Wieviel Energie wird während des Aufpralles dissipiert? Wieviel Impuls fliesst von der Kugel über den Balken ans Lager ab? Rotationsmechanik Seite 143 8. Energetik Die Impuls- und die Drehimpulsbilanz bilden das Fundament der Mechanik, d.h. die Kräfte bestimmen die Impulsänderungsrate (Grundgesetz der Translationsmechanik) und die Drehmomente legen die entsprechende Grösse für den Drehimpuls fest (Grundgesetz der Rotationsmechanik). Ersetzt man in beiden Bilanzgleichungen die Stromstärken und die Änderungsraten durch die zugehörigen konstitutiven Gesetze, erhält man ein Differentialgleichungssystem. Die Bewegung des starren Körpers ist dann durch einen Satz von Anfangsbedingungen vollständig determiniert. Obwohl die Energie als weitere mengenartige Grösse in der Mechanik keine zusätzlichen Erkenntnisse liefert, lassen sich bestimmte Probleme mit Hilfe der Energiebilanz schneller und eleganter lösen. Dies trifft insbesondere dann zu, wenn einem komplexen System nur ganz wenige Bewegungsmöglichkeiten offen stehen. Die energetische Betrachtungsweise drängt sich speziell dann auf, wenn eine Maschine oder ein Gerät ein reines input-output-Verhalten zeigt. Leider versteht man unter der Energiebilanz meistens ein Vergleich von Energieinhalten zu verschiedenen Zeitpunkten. Zudem werden die Probleme so gewählt, dass die Arbeit der Oberflächenkräfte verschwindet. Unter diesen einschränkenden Umständen degeneriert die Energiebilanz zu einer reinen Speicherbetrachtung. Aufgaben, die nur verlangen, dass man die Änderung der potentiellen Energie eines Körpers in die entsprechende Differenz der Bewegungsenergie umrechnet, tragen wenig zum Vertsändnis der Mechanik bei. Schon ein kurzer Besuch in einem Fitness-Center genügt, um einzusehen, dass Energieumsätze viel mehr beinhalten, als nur das Studium einer auf der schiefen Ebene hinunterrollenden Kugel. Wir werden die Energiebilanz so formulieren, dass sie auf Systeme mit beliebig vielen Freiheitsgraden angewendet werden kann. Wieder soll zwischen einer Momentanbilanz und einer Bilanz zu zwei Zeitpunkten unterschieden werden. Aus der Energiebilanz alleine lassen sich keine gültigen Aussagen über das Verhalten eines Systems ableiten. Erst wenn die ausgetauschte Energie und die Inhaltsänderung mit weiteren Grössen verknüpft wird, liefert die Bilanz die gesuchte Beziehung zwischen Ursache und Wirkung. Ist die Endgeschwindigkeit eines Maschinenteils oder die Drehzahl einer Welle gefragt, muss eine Bilanz zu zwei Zeitpunkten aufgestellt werden. Sucht man dagegen die Beschleunigung eines bestimmten Punktes oder die Winkelbeschleunigung eines starren Körpers, führt der Lösungsweg immer über die Momentanbilanz. Diese kann durch eine Differentiation aus der Bilanz zu zwei Zeitpunkten gewonnen werden. Der formale Apparat liefert meistens kein tiefgreifendes Verständnis. Viel wichtiger ist das Bild, das man sich von der Energiebilanz macht. Dieses Bild soll im folgenden Theorieteil gezeichnet werden. Lernziele Wissen, wie man einem Impuls- oder Drehimpulsstrom einen Energiestrom zuordnet, wie die Leistung einer Kraft oder eines Drehmomentes zu berechnen ist. Die Änderungsrate der Gravitations-, der kinetischen und der Rotationsenergie eines Körpers formulieren können. Wissen, wie man mit Hilfe des Schnittbildes eine Momentanenergiebilanz aufstellt. Für komplexe Systeme die Energiebilanz zu zwei Zeitpunkten formulieren können. Seite 144 Rotationsmechanik 8.1 Die Grundgesetze der Mechanik und die Energiebilanz die Bilanzgleichungen für ebene Bewegungen In der Ebene besitzt der starre Körper drei Freiheitsgrade: er kann in zwei aufeinander senkrecht stehende Richtungen verschoben oder um eine dazu normal ausgerichtete Achse gedreht werden. Drei skalare Bilanzgesetze bestimmen deshalb sein Bewegungsverhalten. Zwei dieser Beziehungen dürfen zu einer Vektorbeziehung zusammengefasst werden: r r (8.1) FRe s = p« MRe s = L« die Primärmengen Impuls und Drehimpuls Sie haben gelernt, dass man diese Gesetzmässigkeiten auch bildhaft interpretieren darf. Die systemdynamischen Formulierung der Physik geht davon aus, dass sowohl der Impuls als auch der Drehimpuls als Primärgrössen existieren und nicht über irgendwelche Wirkzusammenhänge abgeleitet werden müssen. Alle Primärmengen können in den Körpern gespeichert oder von einem System zum andern transportiert werden. Ein Körper tauscht demnach bei ebenen Bewegungen sowohl x- und yImpuls als auch z-Drehimpuls aus. Die Masse und das Massenträgheitsmoment übernehmen je die Funktion einer Kapazität, wobei die Geschwindigkeit oder die Winkelgeschwindigkeit des Körpers angeben, wie stark dieser mit Impuls beziehungsweise mit Drehimpuls “gefüllt” ist. Kräfte und Drehmomente sind körperbezogene Stromstärken, also Bilanzgrössen bezüglich eines Systems und damit überhaupt nicht so grundlegend wie oft behauptet wird. Statik als Spezialfall Beim ruhenden Körpern ändert sich weder der Drehimpuls- noch der Impulsinhalt, d.h. in der Statik werden die rechten Seiten der Grundgesetze (8.1) gleich Null gesetzt. In dieser speziellen Situation benötigt man zur Formulierung des Gleichgewichtes weder das Massenträgheitsmoment noch den korrekten Zusammenhang zwischen Kraft und zugeordnetem Drehmoment. Statt des Massenmittelpunktes darf ein beliebiger Bezugspunkt ausgewählt werden. Wichtig ist nur, dass alle zugeordneten Drehmomente auf die gleiche Örtlichkeit bezogen werden. Mehr zu diesem Thema im nächsten Kapitel. der zugeordnete Energiestrom An einfachen Maschinen wie Hebel, Flaschenzüge und Getrieben lässt sich zeigen, dass das Produkt aus Kraft und Geschwindigkeit der Angriffsfläche oder aus Drehmoment und zugehöriger Winkelgeschwindigkeit eine Grösse ist, die durch das Gerät hindurch erhalten bleibt. Diese Feststellung erlaubt es, die Energie als neue Menge einzuführen. Damit werden Geschwindigkeit und Winkelgeschwindigkeit zu eigentlichen Potentialen, d. h. die beiden rein geometrischen Grössen verknüpfen die transportierte Energie mit dem Impuls bzw. mit dem Drehim-puls. Fliesst also irgendwo ein Impulsstrom leitungsartig durch das Material hindurch, darf ihm über die Geschwindigkeit ein Energiestrom zugewiesen werden. Mit jeder Impulssorte ist ein eigener Teilenergiestrom verbunden. Die zugehörige Geschwindigkeitskomponente legt dann fest, Rotationsmechanik Seite 145 wieviel Energie vom jeweiligen Strom transportiert wird. IW = vx ⋅ I px + vy ⋅ I py + vz ⋅ I pz (8.2) Eine zu (8.2) analoge Formel haben wir mit (6.9) im vorletzten Kapitel für den Drehimpulsstrom hingeschrieben. Bei der Zuordnung ist darauf zu achten, dass der Energietransport nicht doppelt gezählt wird. Falls dem Impulsstrom über die Geschwindigkeit schon ein Energiestrom zugeordneten worden ist, darf man dem damit verbundenen Drehimpulstransport nicht noch einen weiteren Energiefluss zuweisen. Wird ein bestimmtes System ausgewählt und freigeschnitten, verwan- die Leistung einer Kraft oder deln sich die Impulsstromstärken in systembezogene Kräfte und aus den eines Drehmomentes Drehimpulsströmen werden Drehmomente. Die zugeordneten Energieströme nennt man dann Leistungen der Kräfte bzw. Leistungen der Drehmomente. Jede dieser Leistung entspricht einem Energiestrom, der dem Vorzeichen entsprechend entweder das System verlässt oder in dieses hineinfliesst. Sind bei einem freigeschnittenen Körper alle Einwirkungen und die Geschwindigkeiten der einzelnen Angriffsflächen bekannt, können sämtliche Leistungen berechnet werden. Wichtig ist, dass man sich diese Energieströme möglichst konkret vorstellt. Nur eine bildhafte Vorstellung von der transportierten und der gespeicherten Energie erlaubt ein zielsicheres Aufstellen der zugehörigen Bilanz. Formel (8.2) ordnet jedem beliebigen Impulsstrom eindeutig einen En- die Geschwindigkeit als Enerergietransport zu. Tritt zum Beispiel ein x-Impulsstrom durch eine Kör- giebeladungsmass peroberfläche, legt die x-Komponente der Geschwindigkeit des belasteten Oberflächenstückes fest, wieviel Energie vom geflossenen Impuls befördert worden ist. Der mathematische Zusammenhang lässt sich ohne Verlust an Allgemeingültigkeit in eine bildhafte Darstellung bringen. Dazu muss man sich die Bewegungsmenge als Flüssigkeit vorstellen, die geschwindigkeitsmässig hinaufgepumpt werden kann oder unter Energieabgabe hinunterfliesst. Der Impuls, der durch einen schnell bewegten Körper hindurchgeht, gleicht im übertragenen Sinn einem hochgelegenen Fluss, der potentiell die Möglichkeit hat, hinunterzustürzen und dabei Energie freizusetzen. Strömt der Impuls durch ein Stück Materie, das sich in negative Koordinatenrichtung bewegt, kann dieser Transport mit einem Fluss verglichen werden, dessen Wasser gegenüber den Weltmeeren eine negative potentielle Energie aufweist. Analoge Bilder sind für die Elektrizitätslehre entwickelt worden. Der elektrische Strom schleppt umso mehr Energie mit, je höher das zugehörige Potential ist. Das elektrische Potential und die Geschwindigkeit üben in den entsprechenden Gebieten die gleiche Funktion aus, d.h. beide stellen ein Mass für die Energiebeladung dar. Formel (8.2) kann für die Gewichtskraft, also für den volumenmässigen potentielle Energie oder Arbeit Impulsaustausch über das Gravitationsfeld, sinngemäss übernommen der Gewichtskraft werden. Oft billigt man der Gewichtskraft keinen Energieaustausch zu. Dann muss die mit dem Gravitationsfeld ausgetauschte Energie dem Seite 146 Rotationsmechanik Körper als potentielle zugeordnet werden. Dies ist bei der Energiebilanz zu berücksichtigen: entweder hat der Körper potentielle Energie und die Gewichtskraft leistet keine Arbeit oder diese Energie wird dem Gravitationsfeld zugeschrieben und die Arbeit der Gewichtskraft muss in der Energiebilanz explizit aufgeführt werden. der zugeordnete Energiestrom ist vom Bezugssystem abhängig Wechselt man von einem Inertialsystem in ein anderes, erweist sich die Energiezuordnung in Formel (8.2) als problematisch. Einzelne Energieströme können durch den Beobachterwechsel ihre Stärke ändern, andere verschwinden ganz. Oft entstehen sogar neue Ströme. Formel (8.2) ist, wie der Physiker sagt, nicht galileiinvariant. Weil die Geschwindigkeit meistens von der Erdoberfläche aus gemessen wird, bildet die Relativität des zugeordneten Energiestromes und der damit verknüpften Leistung einer Kraft praktisch nie ein echtes Problem. der translationsmechanische Prozess Eine beobachterunabhängige Beschreibung des Energieumsatzes wird erst durch die Prozessdarstellung geliefert. Als Beispiel soll uns die Reibung zwischen den Gleitflächen zweier bewegter Körper dienen. Der Impuls, der aus dem einen Körper herausströmt, muss unmittelbar in den zweiten hineinfliessen (Actio gleich Reactio). Bewegen sich bei diesem Austauschvorgang die beiden Objekte mit verschiedenen Geschwindigkeiten, so liegen Impulsein- und -austritt nicht auf dem gleichen Potential. Der Impuls transportiert also beim Austritt aus dem einen Körper nicht gleichviel Energie wie beim Eintritt in den andern. Die Differenz der zugeordneten Energieströme bezeichnet man als Prozessleistung. Diese Leistung ist von der Wahl des Bezugssystems unabhängig. Fig. 8. - 2: Die linke Skizze zeigt die freigeschnittenen Körper mit den horizontal wirkenden Kraftkomponenten. Rechts sind die Leistungen dieser Kräfte angegeben. Das Vorzeichen bezieht sich immer auf das System, auf das die Kräfte einwirken. Zusammenfassung 10 N 5 m/s 5 m/s 10 N 15 N 100 W -5 m/s -5 m/s Fig. 8. - 1: Der Impulsstrom, der von rechts her in den oberen Klotz hineinfliesst, setzt zwischen den beiden Körpern eine Leistung von 100 W frei. Ein zweiter Strom, der von der Unterlage in den unteren Klotz eindringt, gibt bei einer Stärke von 5 N und einer Fallhöhe von 5 m/s eine Leistung von 25 W ab. 5N 25 W x 5 m/s 10 N 50 W 10 N - 50 W - 50 W 10 N 15 N 5 m/s 75 W 5N -25 W Jedem Impuls- und jedem Drehimpulsstrom kann ein Energiestrom zugeordnet werden. Die Summe über alle Energieströme eines Systems er- Rotationsmechanik Seite 147 gibt die Änderungsrate des Energieinhaltes. Fällt der Impuls oder der Drehimpuls von einem beliebigen Potential (Geschwindigkeit oder Winkelgeschwindigkeit) auf ein anderes, wie das in einer Grenzschicht zwischen zwei Maschinenteilen häufig der Fall ist, gibt der Impuls- bzw. der Drehimpulsstrom einen Teil des zugeordneten Energiestromes frei. Soche Vorgänge bezeichnen wir als Prozesse und den zugehörigen Energieumsatz als Prozessleistung. Falls der Impuls oder der Drehimpuls direkt ans Bezugssystem abfliesst, ist der zugeordnete Energiestrom gleich gross wie die Prozessleistung. ? Kontrollfragen 1.) 2.) 3.) 4.) 5.) 6.) 7.) 8.) 9.) Was verstehen wir unter dem zugeordneten Energiestrom? Wem wird die Energie zugeordent? Wie berechnet sich die Stärke dieses Stromes? Wann fliesst der zugeordnete Energiestrom gegen den Impulsstrom? Wie lautet die Formel zur Berechnung der Leistung einer Kraft? Die Leistung einer Kraft sei negativ. Welche Aussage ist mit diesem Minuszeichen verbunden? Wie ändert sich die Gravitationsenergie eines Körpers im homogenen Feld? Auf ein reibungsfrei gelagertes, ruhendes Schwungrad wirke ein konstantes Drehmoment ein. Dadurch erfährt es eine konstante Winkelbeschleunigung. Wie stark ist der begleitende Energiestrom, die Leistung des Drehmomentes, zu einem beliebigen Zeitpunkt? Wie ändert sich der Energiestrom mit der Zeit? Ein Körper werde im Vakuum mit v0 hochgeworfen. Wie gross ist die Leistung der Gewichtskraft beim Abwurf, am höchsten Punkt und vor dem Aufschlag auf gleicher Höhe? Müssen die beiden Partner eines Actio-Reactio-Paares immer die gleiche Leistung aufweisen? Wann ist der zugeordneter Energiestrom gleich gross wie die Prozessleistung ? 8.2 Die Energiebilanz bei komplexen Systemen Die Impuls- und die Drehimpulsbilanz legen die Bewegung eines star- die Energiebilanz liefert keine ren Körpers vollständig fest. Sind also alle einwirkenden Kräfte und zusätzlichen Informationen Drehmomente sowie die Systemeigenschaften Masse und Massenträgheitsmoment bekannt, können aus einem gegebenen Anfangszustand alle folgenden berechnet werden. Auch die Energiebilanz hat sich diesem Diktat zu beugen. Mit ihrer Hilfe können keine zusätzlichen Schlüsse gezogen werden. Jede Folgerung aus der Energiebilanz lässt sich im Prinzip aus den beiden andern Bilanzgleichungen ableiten. Die mechanische Energiebilanz ist aus den beiden Grundgesetzen der Mechanik ableitbar. Dies soll an einem einfachen Beispiel gezeigt werden. Tauscht ein starrer Körper nur an wenigen Stellen mit der Umgebung die Energiebilanz beim starren Impuls aus, wirken also nur Einzelkräfte mit beinahe punktförmiger An- Körper griffsflächen auf einen Körper ein, weist jede Kraft eine Leistung auf, die gleich dem skalaren Produkt aus Kraft und Geschwindigkeit ist. Nun schreiben wir die Energiebilanz formal hin und ersetzen dann die systembezogenen Energieströme durch das Skalarprodukt aus Kraft und Geschwindigkeit. Durch weitere Umformungen gewinnt man zwei Terme, die den Änderungsraten der kinetischen und der Rotationsenergie Seite 148 Rotationsmechanik entsprechen. ∑I i Wi r r r r r r r = ∑ Fi ⋅ vi = ∑ Fi ⋅ (ω × ri ) + ∑ Fi ⋅ vMMP i i r r r r r = ∑ (ri × Fi ) ⋅ ω + ∑ Fi ⋅ vMMP i i (8.3) i r r r r = Mres ⋅ ω + FRe s ⋅ vMMP = W«rot + W«kin die Energiebilanz verursacht wenig Aufwand Im Normalfall fliesst bei einem Körper Impuls über verschiedene Oberflächenstücke und häufig wirken an ausgewählten Stellen noch reine Drehmomente ein. Einzelne Maschinenteile können sogar von einem ganzen Bündel von Impuls- und Drehimpulsströmen durchflossen werden. Weil technische Systeme trotz der Unzahl von Wechselwirkungen meist nur eine einzige Bewegung zulassen, lohnt es sich selten, alle Einwirkungen im Detail zu studieren. In solchen Fällen führt die Energiebilanz viel schneller zum gesuchten Resultat. Das aus dieser Einsicht heraus entstandene Energiestrombild ist eine eigenständiges Hilfsmittel, das immer dann anzuwenden ist, wenn ein mechanisches System nur ganz wenige Freiheitsgrade besitzt. das Energiestrombild Das Energiestrombild baut auf dem altbekannten Schnittbild auf, d.h. zuerst sind alle Kräfte und Momente, die auf ein System einwirken, nach Betrag und Richtung zu bestimmen. Danach berechnet man die Leistungen dieser Einwirkungen, interpretiert sie als Energieströme und summiert über all diese Ströme auf. Diese Summe liefert beim starren Körper direkt die Änderungsrate der Bewegungsenergie. Bei defomierbaren Objekten muss noch die Änderung der Innere Energie berücksichtigt werden. Weil die Bewegungsenergie selber nur noch mit den beiden Systemeigenschaften Masse und Massenträgheitsmoment sowie mit der Geschwindigkeit des MMP und der Winkelgeschwindigkeit zusammenhängt, lassen sich aus der Energiebilanz klare Aussagen über Bewegungsverhalten des starren Körpers ableiten. Die Herstellung des Energiestrombildes ist operationalisierbar, d.h. man kann dieses Bild nach einem einfachen Rezept herstellen: 1. Systeme definieren und abgrenzen. 2. Alle Energiespeicher (Bewegungs-, Gravitations- und innere Energie) explizit aufzählen. 3. Kräfte und Drehmomente einzeichnen und ihre Leistung berechnen. 4. Jede Leistung als mechanische Energiestromstärke bezüglich des Systems auffassen und das Vorzeichen als Zu- oder Abfluss interpretieren. 5. Die Energiebilanz formal aufstellen: die Summe über alle Energieströme (Leistungen der Kräfte und Drehmomente) ist gleich der Summe über die Änderungsraten alle Speicher. 6. Die Energieänderungsrate durch Trägheit und geometrische Grössen ersetzen. die Änderungsrate der Bewegungsenergie Den letzten Punkt des Rezeptes haben wir noch nicht eingehend genug Rotationsmechanik Seite 149 besprochen. Dies soll hier nachgeholt werden. Die geometrische Darstellung der Änderungsrate der kinetischen Energie ergibt sich aus Formel (8.3). Zuerst ersetzt man die resultierende Kraft durch die Impulsänderungsrate und das totale Drehmoment durch die entsprechende Rate für den Drehimpuls. Die Impulsänderungsrate darf nun als Produkt aus Masse und Beschleunigung geschrieben werden. Falls der Körper eine feste Achse besitzt, kann man mit dem zweiten Term analog verfahren. Dabei ist darauf zu achten, dass das Massenträgheitsmoment auch wirklich bezüglich der in Frage kommenden Drehachse berechnet worden ist. WBew = W«rot + W«kin = J ⋅ ω ⋅ ω« + m ⋅ vMMP ⋅ v«MMP (8.4) Gemäss der Herleitung müsste die Änderungsrate der kinetischen Energie durch Masse mal Skalarprodukt aus Geschwindigkeit und Beschleunigung ersetzt werden. Weil bei den nachfolgenden Beispielen Beschleunigung und Geschwindigkeit meistens kollinear sind, habe ich auf die vektorielle Schreibweise verzichtet. Falls die Beschleunigung doch einmal schief zur momentanen Geschwindigkeit steht, trägt nur deren Tangentialkomponente zur Änderung der kinetischen Energie bei. Schreibt man der Gewichtskraft keine Leistung zu, muss auf der rechten Die Energiebilanz im GravitaSeite von (8.3) noch die Änderungsrate der Gravitationsenergie beige- tionsfeld fügt werden. Diese Rate ist gleich dem Produkt aus Masse, Gravitationsfeldstärke und Geschwindigkeit des Schwerpunktes. Reine Drehmomente, wie sie etwa in Achslagern oder Antriebswellen auftreten, müssen selbstverständlich auch noch in die Bilanzbeziehung aufgenommen werden. Damit sieht die momentane Energiebilanz für ein Maschinenteil wie folgt aus r r (8.5) ∑ Fi ⋅ vi + ∑ Mi ⋅ ω = m ⋅ vMMP ⋅ v«MMP + J ⋅ ω ⋅ ω« + m ⋅ g ⋅ vMMP i i Eine Maschine besteht oft aus vielen starren Körpern, die alle so mitein- Die Energiebilanz bei Maschiander verbunden sind, dass nur eine einzige Bewegungsmöglichkeit frei nen bleibt. In diesem Fall lässt sich die ganze Energiebilanz auf eine Zeile bringen, bei der auf der linken Seite die Leistungen aller äusseren Einwirkungen und rechts die Änderungsraten aller möglichen Speicher aufgelistet werden. Weil die geometrischen Grössen Drehzahl, Geschwindigkeit und Beschleunigung voneinander abhängig sind, können diese in der Regel bis auf die gesuchte eliminiert werden. Formel (8.5) lässt sich wie jede Momentanbilanz durch eine Integration Die aufintegrierte Energiebiin eine Bilanz über eine ganze Zeitspanne umformen. Man erhält dann lanz analog zur Formel (3.5) eine Gleichung, auf der links die Arbeit der Kräfte und Drehmomente und rechts die Änderung aller Speicher aufgelistet sind. Statt eine Formel hinzuschreiben, skizziere ich hier nochmals die allgemeine Strategie: zuerst zählt man verbal alle Speicher auf, dann berechent man die Arbeit der äusseren Einwirkungen und setz schlussendlich die resultierende Arbeit mit der Summe über alle Inhaltsände- Seite 150 Rotationsmechanik rungen gleich. In der Regel lassen sich dann unbestimmte geometrische Grössen wie Verschiebungen, Drehungen und Geschwindigkeiten über sogenannte kinematische Verknüpfungen eliminieren. Beispiel 32: An den beiden Enden eines Seiles, das über eine Umlenkrolle (Massenträgheitsmoment 1.6 kg·m2, Durchmesser 80 cm) gelegt worden ist, hängt je ein Körper (Massen 10 kg und 5 kg). Die Reibung im Lager wirkt mit einem Drehmoment von 2 Nm auf die Umlenkrolle ein. Wie gross ist die Endgeschwindigkeit des grösseren Klotzes nach Fallstrecke von einem Meter. Wie gross ist seine Beschleunigung? Ø 0.8 m 1.6 kg.m2 2 Nm 10 kg Lösung 32: 5 kg Bevor man die einzelnen Beziehungen formelmässig hinschreibt, sollten alle Lieferanten, Speicher und Verbraucher aufgelistet werden. Das Gravitationsfeld tritt einerseits als Lieferant (schwerer Klotz), andererseits als Verbraucher (leichter Klotz) auf. Beide Körper sowie die Umlenkrolle speichern Energie, indem sie sich bewegen. Die Reibung entzieht dem mechanischen System proportional zur Drehzahl Energie. Nun brauchen wir nur noch ein Energiebilanz zu zwei Zeitpunkten hinzuschreiben. Dabei fügen wir die Lieferanten mit positivem und die Verbraucher mit negativem Vorzeichen in die Linke Seite der Bilanz ein. Auf der rechten Seite führen wir die verschiedenen Speicher auf. W ( FG1 ) + W ( FG 2 ) + W ( M ) = ∆Wkin1 + ∆Wkin 2 + ∆Wrot m1 ⋅ g ⋅ s − m2 ⋅ g ⋅ s − M ⋅ ϕ = 1 1 1 m1 ⋅ v 2 + m2 ⋅ v 2 + J ⋅ ω 2 2 2 2 Statt der Arbeit der Gewichtskräfte hätte man auch die Änderung der Gravitationsenergie mit umgekehrtem Vorzeichen auf der rechten, der Speicherseite aufführen können. Formal würde dies an der Energiebilanz nichts ändern. Sobald der Winkel durch die Verschiebung und die Winkelgeschwindigkeit durch die Geschwindigkeit ersetzt worden ist, kann die Gleichung nach der Unbekannten aufgelöst werden. s 1 1 v ( m1 − m2 ) ⋅ g ⋅ s − M ⋅ = ( m1 + m2 ) ⋅ v 2 + ⋅ J ⋅ R R 2 2 v= 2 2 ⋅ ( ∆m − M R ) ⋅ s = 1.88 m/s m1 + m2 + J R2 Zur Beantwortung der zweiten Frage gehen wir genau gleich vor, nur schreiben wir links die Leistungen der Einwirkungen und rechts die Änderungsraten der Speicher hin. P( FG1 ) + P( FG 2 ) + P( M ) = W«kin1 + W«kin 2 + W«rot m1 ⋅ g ⋅ v − m2 ⋅ g ⋅ v − M ⋅ ω = m1 ⋅ v ⋅ v« + m2 ⋅ v ⋅ v« + J ⋅ ω ⋅ ω« Indem man sich in der Momentanenergiebilanz die Leistungen bildlich als Energiströme vorstellt und alle Speicher als Kübel auffasst, lässt sich die ganze Gleichung nochmals überprüfen. Sind wirklich alle Speicher aufgeführt und ist kein Energiestrom vergessen gegangen? Nun gilt es, die Winkelgrössen über die kinematischen Verknüpfungen durch die entsprechenden Translationsgrössen zu ersetzen. Weil in jedem Term die Geschwindigkeit einmal auftaucht, lässt sie sich ausge- Rotationsmechanik Seite 151 klammern und wegkürzen. Den Rest löst man nach der Beschleunigung auf. ( m1 − m2 ) ⋅ g ⋅ v − M ⋅ v« = v J = m1 ⋅ v ⋅ v« + m2 ⋅ v ⋅ v« + 2 ⋅ v ⋅ v« R R ∆m ⋅ g − M R = 1.76 m/s2 2 m1 + m2 + J R Bei dieser Aufgabe hätte man die Beschleunigung auch über eine einfache kinematische Beziehung aus der Endgeschwindigkeit und dem Verschiebeweg berechnen können. Dies ist jedoch nur bei einer konstanten Beschleunigung möglich. Im allgemeinen Fall liefert nur die Momentanenergiebilanz den korrekten Beschleunigungswert. Jeder Term der Momentanenergiebilanz enthält entweder eine Ge- Energiebilanz und Grundgeschwindigkeit oder eine Drehzahl. Über kinematische Verknüpfungen setz lassen sich all diese Bewegungsgrössen in eine einzige umformen und durch Division aus der Gleichung entfernen. Der Rest sieht dann aus wie ein Grundgesetz der Mechanik (Summe über alle Kräfte gleich Masse mal Beschleunigung). Die Momentanenergiebilanz liefert also eine Beziehung, welche die Form einer gewöhnlichen Impulsbilanz annimmt. Die formale Ähnlichkeit darf aber nicht falsch interpretiert werden, denn in der Regel verknüpft die Energiebilanz mehrere Sorten Impuls mit einer Sorte Drehimpuls. Damit die rotationsmechanischen Grössen einheitenmässig zu den translationsmechanischen passen, ist jedes Drehmoment durch den zugehörigen Radius und jedes Massenträgheitsmomente durch das Quadrat des Wickelradius zu teilen. Löst man die Energiebilanz nach einer Winkelgrösse auf, sind alle Kräfte und Massen geometrisch zu korrigieren. Beispiel 33: Zwei auf je einer Achse gelagerte Walzen (Radius 40 cm und 20 cm) werden längs einer Mantellinie so stark zusammengedrückt, dass sie einander ohne Schlupf anzutreiben vermögen. An den beiden Walzen ist je eine Wickelspule (Radius 20 cm und 30 cm) mit angehängtem Klotz (20 kg und 2 kg) montiert. Die grössere Walze weist zusammen mit der Spule ein Massenträgheistmoment von 4 kg·m2 auf. Die Drehträgheit des andern Systems beträgt 1.5 kg·m2. Die Achsen wirken mit einem konstanten Reibdrehmoment von je 2 Nm auf beide Walzen ein, Wie gross wird die Beschleunigung des schwereren Körpers, wenn man das System sich selbst überlässt? Lösung 33: 4 kg·m2 20 kg 1.5 kg·m2 2 kg Wieder gilt es, ein vollständige Momentanenergiebilanz aufzustellen. P( FG1 ) + P( FG 2 ) + P( M1 ) + P( M2 ) = W«kin1 + W«kin 2 + W«rot1 + W«rot 2 m1 ⋅ g ⋅ v1 − m2 ⋅ g ⋅ v2 − M1 ⋅ ω1 − M1 ⋅ ω1 = m1 ⋅ v ⋅ v« + m2 ⋅ v ⋅ v« + J1 ⋅ ω1 ⋅ ω«1 + J2 ⋅ ω 2 ⋅ ω«2 Alle Bewegungsgrössen müssen nun auf die Geschwindigkeit und die Beschleunigung des grösseren Klotzes umgerechnet werden. Dazu benötigen wir drei kinematische Beziehungen. ω1 ⋅ r1 = ω 2 ⋅ r2 ; v1 = ω1 ⋅ w1 ; v 2 = ω 2 ⋅ w2 Die Walzenradien kennzeichne ich mit r und die Wickelradien mit w. Ersetzt man nun alle unerwünschten Bewegungsgrössen durch die entsprechenden Werte für den grossen Klotz, klammert die verbleibende Geschwindigkeit aus allen Termen aus, kürzt sie weg und löst dann die Gleichung nach der gesuchten Be- Seite 152 Rotationsmechanik schleunigung auf, erhält man ( m1 − m2 ⋅ v«1 = r1 ⋅ w2 M M ⋅r )⋅g − 1 − 2 1 r2 ⋅ w1 w1 w1 ⋅ r2 2 r ⋅w J J ⋅r m1 + m2 1 2 + 12 + 22 w1 w1 ⋅ r r2 ⋅ w1 2 1 2 2 = 0.142 m / s 2 Im Zähler des Hauptbruches stehen die mechanischen Einwirkungen und im Nenner sind alle auf die Bewegung des grossen Klotzes umgerecheneten Trägheiten aufgeführt. ? Kontrollfragen 10.) 11.) 12.) 13.) 14.) Eine Metallkugel, die am unteren Ende einer Feder befestigt ist, schwingt auf und ab. Schneiden Sie die Kugel frei und bestimmen Sie formal alle Energieströme bezüglich der Kugel, in dem Moment, in dem sie von oben her die Gleichgewichtslage durchfliegt. Skizzieren Sie das Energiestromdiagramm. Schneiden Sie die als masselos angenommene Feder frei und bestimmen Sie für den gleichen Zeitpunkt die zugeordneten Energieströme. Skizzieren Sie wieder ein Energiestromdiagramm. Schneiden Sie das Antriebsrad eines anfahrenden Autos frei und bestimmen Sie formal die Energieströme. Skizzieren Sie ein Energiestromdiagramm. Zeichnen Sie ein kleines Getriebe, bei dem drei Zahnräder ineinander greifen. Dann wählen Sie am Eingang ein Drehmoment, führen an jeder Achse ein Reibmoment ein und berechnen das Drehmoment am Ausgang. Wie sieht das zugehörige Energiestromdiagramm aus? Können Sie angeben, wie der Drehimpuls durch das Getriebe strömt? Wie erhält man aus der Momentanenergiebilanz, die für eine beliebige Maschine aufgestellt worden ist, die Beschleunigung eines Bauteiles. Skizzieren Sie mit wenigen Stichworten den Lösungsweg. 8.3 Ein ausführliches Beispiel Geräte mit nur einem Freiheitsgrad Weist ein technisches System viele Bauteile auf, die starr miteinander verzahnt sind, und sucht man nur eine Aussage über die Antriebskraft oder über das Eingangsdrehmoment, führt der Weg über die Energiebilanz am schnellsten zum Ziel. Statt die einzelnen Elemente freizuschneiden, behandelt man dann ganzen Apparat als ein Objekt mit nur einem Freiheitsgrad. Obwohl wir im letzten Abschnitt schon zwei Beispiele diskutiert haben, soll hier die gleiche Idee nochmals abgehandelt werden. Doch diesmal soll die Fragestellung so komplex sein, dass nur ein systematisches Vorgehen Erfolg garantiert. .die Aufgabenstellung Eine Skiliftanlage habe eine Länge von 500 Meter und eine mittlere Hangneigung von 20%. Das Drahtseil wiege drei Kilogramm pro Meter und werde von 100 Führungsrollen (Durchmesser 25 cm, Masse 12 kg) gehalten. An beiden Enden der Anlage sei das Seil über eine grosse Scheibe geführt (Masse 320 kg, Radius 75 cm, Massenträgheitsmoment 150 kg·m2). Der Lift sei voll besetz, d.h. 40 Personen à 75 kg hängen in den Bügeln. Wie gross muss das Drehmoment auf die Antriebsscheibe sein, wenn der Lift ein Beschleunigung von 2 m/s2 erhalten soll. Die La- Rotationsmechanik Seite 153 gerreibung betrage in den Führungsrollen 0.02 Nm und in den beiden Scheiben je 10 Nm. Für den Gleitreibungskoeffizienten der Grenzfläche Ski-Schnee darf 0.12 gesetzt werden. Die Bügelseile schliessen mit der Piste einen Winkel von 15˚ ein. Bevor wir uns der Analyse des Gesamtsystems zuwenden, soll die Glei- Zuerst die Kräfte treibungskraft zwischen den Skis und der Unterlage bestimmt werden. Dazu schneiden wir einen Skifahrer frei, führen ein Koordinatensystem y ein, stellen das Grundgesetz für beide Koordinatenrichtungen auf und lösen bei der gegebenen Beschleunigung zuerst nach der Seilkraft auf. Die vertikale Komponente der Seilkraft vermindert die Normalkraft und damit auch die gesuchte Gleitreibungskraft. x: FS ⋅ cos β − FG ⋅ sin α − FR = m ⋅ a FR = µ ⋅ FN y: FN + FS ⋅ sin β − FG ⋅ cos α = 0 FN = FG ⋅ cos α − FS ⋅ sin β FS = x FS FG ⋅ sin α + µ ⋅ FG ⋅ cos α + m ⋅ a = 382 N cos β + µ ⋅ sin β FG FR = µ ⋅ ( FG ⋅ cos α − FS ⋅ sin β ) = 74.7 N FN FR Nun, da wir wissen, wie gross die Wechselwirkung zwischen den Skis und der Unterlage ist, können wir die Energiebilanz formulieren. Diese Bilanz unterscheidet sich von (8.5) durch eine viel grössere Zahl von Speichern. Schreiben wir also die Energiebilanz einmal so formal wie möglich hin und setzen dann nachträglich links und rechts alle notwendigen Terme ein. ∑I i W , mechi = ∑ W«j (8.6) j Auf der linken Seite von (8.6) werden alle mechanischen Energieströme Energieströme aufsummiert. Diese Ströme nennt man üblicherweise Leistung eines Drehmomentes oder Leistung einer Oberflächenkraft. Die Leistung der Gewichtskraft zählen wir diesmal nicht zu den Energieströmen. Dafür muss auf der rechten, der Speicherseite der Energiebilanz die Änderungsrate der potentiellen Energie aufgelistet werden. Zufliessende Ströme werden positiv, abfliessenden negativ gezählt. Die Vorzeichenregel ist automatisch erfüllt, wenn wir die Leistung einer Kraft über das Skalarprodukt berechnen. Bei der Leistung der Drehmomente sieht die Sache ähnlich aus. Sie wird positiv und enspricht damit einer Energiezufuhr, sobald Drehmoment und zugehörige Winkelgeschwindigkeit gleichgerichtet sind. In unserem Beispiel fliesst nur über die Antriebsachse Energie zu. In sämtliche Reibflächen wird Energie dissipiert, also Entropie produziert. Die Dissipationsrate entspricht entweder der Leistung einer Reibkraft oder der Leistung eines Reibdrehmomentes. ∑I W , mechi = M ⋅ ω Sch − 2 ⋅ M R, Sch ⋅ ω Sch − 100 ⋅ M R, Ro ⋅ ω Ro − 40 ⋅ FR ⋅ v i Auf der rechten Seite von (8.6) setzen wir die Änderungsraten aller En- Energieänderungsraten Seite 154 Rotationsmechanik ergiespeicher ein. Dazu gehören die Rotationsenergie der beiden grossen Scheibenräder und der hundert Rollen. Die kinetische Energie des Seils und der vierzig Skifahrer bilden weitere Speicher. Weil wir der Gewichtkraft keine Leistung zugeschrieben haben, muss auch noch Gravitationsenergie aller Skifahrer berücksichtigt werden. ∑ W« j = 100 ⋅ J Ro ⋅ ω Ro ⋅ ω«Ro + 2 ⋅ JSch ⋅ ω Sch ⋅ ω«Sch j + ( 40 ⋅ mSf + mSeil ) ⋅ v ⋅ v« + 40 ⋅ mSf ⋅ g ⋅ h« kinematische Verknüpfungen Gesucht ist das auf die Antriebsachse einwirkende Drehmoment. Deshalb ist die Winkelgeschwindigkeit der Führungsrollen und die Seilgeschwindigkeit auf die Winkelgeschwindigkeit der antreibenden Scheibe umzurechnen. ω Ro = ω Sch ⋅ rSch rRo v = ω Sch ⋅ rSch Die Führungsrollen dürfen als Zylinder gerechnet werden. Die Hubgeschwindigkeit hängt über die mittlere Steigung der Piste mit der Seilgeschwindigkeit zusammen. J Ro die dynamische Grundgleichung mRo ⋅ rRo2 = 2 h = v ⋅ sin α Setzt man sowohl die Energieströme als auch die Änderungsraten aller Energiespeicher in die Bilanz (8.6) ein und bezieht alle kinematischen Grössen mit Hilfe oben angegebenen Umrechnungsformeln auf die Treiberscheibe, erhält man die folgende Beziehung rSch − 40 ⋅ FR ⋅ rSch ⋅ ω Sch M − 2 ⋅ M R, Sch − 100 ⋅ M R, Ro ⋅ rRo ( ) 2 2 } ⋅ ω«Sch + 40 ⋅ mSf ⋅ g ⋅ rSch ⋅ sin α ⋅ ω Sch = {50 ⋅ mRo ⋅ rSch + 2 ⋅ JSch + ( 40 ⋅ mSf + mSeil ) ⋅ rSch das treibende Drehmoment Die verbleibende Bewegungsgrösse, die Winkelgeschwindigkeit der Scheibe, kann wieder weggestrichen werden. Der Rest weist die gleiche Struktur auf wie das Grundgesetz der Drehmechanik. Links stehen die auf die Scheibe bezogenen “Drehmomente” und rechts in der geschweiften Klammer ist das “Gesamtmassenträgheitsmoment” aufgeführt. Die Winkelbeschleunigung hängt über den Scheibenradius mit der Beschleunigung des Drahtseiles zudammen und beträgt 1.5 s-1. Wird nun die Gleichung noch nach dem gesuchten Drehmoment aufgelöst, erhält man 12’614.6 Nm. Mit diesem Drehmoment muss der Motor auf die Treiberscheibe einwirken, damit der Lift eine Beschleunigung von 2 m/s2 erhält. das Pendel als Energiewandler Die Momentanenergiebilanz liefert oft eine Gleichung, die wie das Grundgesetz der Mechanik aussieht. Deshalb besteht die Gefahr, dass zwei unterschiedliche Betrachtungsweisen vermengt werden. Dies geschieht wohl am häufigsten bei der Diskussion des mathematischen Pen- Rotationsmechanik Seite 155 dels. Das mathematische Pendel ist ein Modell, bei dem ein wirkliches, physisch genanntes Pendel auf einen Massenpunkt und eine als masselos gedachte Schnur abgebildet wird. Ein mathematisches Pendel kann näherungsweise durch eine Bleikugel, die an einem dünnen Faden hängt, realisiert werden. Auf die Bleikugel wirken nur die Gewichtsund die Fadenkraft ein. Da im reibungsfreien Fall die Fadenkraft immer normal zur Geschwindigkeit steht, ist die Leistung dieser Kraft während der ganzen Bewegung immer gleich Null, d.h. die Kugel tauscht nur mit dem Gravitationsfeld Energie aus. Damit “wandeln“ bei der Schwingung des reibungsfrei gelagerten Pendels nur potentielle und kinetische Energie ineinander um. FS v FG Die Momentanenergiebilanz eines Pendels sieht denkbar einfach aus: die Energiebilanz beim Pendel die Änderungsraten der kinetischen und der potentiellen Energie heben sich auf. Man könnte auch argumentieren, dass die Leistung der Gewichtskraft die Änderungsrate der kinetischen Energie hervorruft. P( FG ) = W«kin m ⋅ g ⋅ v ⋅ sin ϕ = m ⋅ v ⋅ v« ⇒ g ⋅ sin ϕ = ϕ««⋅ l Die Energiebilanz legt nur die Tangentialkomponente der Beschleuni- die Beschleunigung des Fadengung fest. Es wäre deshalb falsch, wenn man in der Energiegleichung pendels die Geschwindigkeit wegkürzen und den Rest als Impulsbilanz lesen an = v2/l würde. Auch beim idealisierten Pendel ist die eigentliche Impulsbilanz eine delikate Angelegenheit. Insbesondere steht der Beschleunigungsvektor beliebig zur Geschwindigkeit. Nur an drei Punkten kann dieser Vektors ohne grosse Rechnung bestimmt werden. Bei den beiden Umkehr- oder Totpunkten ist die Beschleunigung tangential zur Bahn geat = g·sinϕ richtet und ihr Betrag enspricht dem Wert, der aus der Energiebilanz folgt. Am tiefsten Punkt zeigt der Beschleunigungsvektor normal zur Bahn und sein Betrag ist gleich dem Quadrat der Geschwindigkeit dividiert durch den Bahnradius. Zu allen andern Zeitpunkten setzt sich die Beschleunigung und damit die Impulsänderungsrate aus einem Normalund einem Tangentialanteil zusammen. ? Kontrollfragen 15.) Wieso ist die Reibkraft beim Skifahrer nicht gleich dem Produkt aus Reibungskoeffizient und Normalkomponente der Gewichtskraft? 16.) In der letzten Gleichung des Skiliftproblems sind die Reibdrehmomente der Führungsrollen mit einem Faktor multipliziert worden, der grösser als eins ist. Damit wirkt diese Reibung stärker auf die Antriebsachse ein, als wenn sie direkt dort ansetzen würde. Wie kann man das erklären? 17.) Die Masse des Seils und der Skifahrer wird auf den Antrieb umgerechnet, indem man diese Grössen mit dem Quadrat des Scheibenradius multipliziert. Wie ist dieser Faktor zu erklären? 18.) Wie berechnet man die Beschleunigung des Pendelkörpers zu einem beliebigen Zeitpunkt? Seite 156 Rotationsmechanik Zusammenfassung von Kapitel 8 Maschinen und andere mechanische Geräte funktionieren oft als einfache Input-Qutput-Systeme. Üblicherweise wird bei diesen Apparaten eine Drehbewegung am Eingang in eine Rotation oder in eine Pendelbewegung am Ausgang umgesetzt. Da alle Teile fest miteinander verbunden sind, kann eine kinematische Grösse rein geometrisch in jede andere, die zu ihr analog ist, umgerechnet werden. Damit lässt sich der Inhalt alle Bewegungsenergiespeicher mit einer einzigen Drehzahl oder mit nur einer Referenzgeschwindigkeiten angeben. Entsprechend hängen die zugehörigen Änderungsraten mit einer einzigen Beschleunigung zusammen. Soll bei einer Maschine nur das Antriebsmoment bei gegebener Beschleunigung gerechnet werden, stellt man eine Momentanenergiebilanz auf. Dabei werden die Leistungen der Kräfte und der Drehmomente den Änderungsraten der Energiespeicher gleichgesetzt. Zählt man die Gravitationsenergie zum System, darf den Gewichtskräften nicht auch noch eine eigene Leistung zugeschrieben werden. Nachdem alle Terme notiert sind, gilt es, die Geschwindigkeiten und die auftretenden Beschleunigungen auf je eine Bezugsgrösse umzurechnen. Bei diesem Verfahren achte man auf die richtige mentale Einstellung. Am besten stellt man sich den Bewegungsablauf vor und überlegt dabei, welche Speicher Energie aufnehmen und welche Energie abgeben. Ausserdem führe man sich den Transportweg der Energie möglichst plastisch vor Augen. Dazu muss jede Leistung als Energiestrom gelesen werden. Das Vorzeichen gibt dann an, ob die Energie hinein- oder herausfliesst. Sind alle kinematischen Grössen auf eine Referenzbewegung umgerechnet worden, nimmt die Energiebilanz eine altbekannte Form an: links stehen kraft- oder drehmomentähnliche Grössen, rechts ein Ausdruck, der entweder als Masse mal Beschleunigung oder als Massenträgheitsmoment mal Winkelbeschleunigung gelesen werden kann. Interessiert man sich für den Bewegungszustand einer Maschine nach erfolgter Einwirkung, muss die Energiebilanz über eine Zeitspanne formuliert werden. Bei dieser Form der Bilanz schreibt man links die in der fraglichen Zeit insgesamt ausgetauschte Energie hin. Rechts zählt man die Energieänderung aller beteiligten Speicher auf. Wieder lassen sich alle Bewegungsgrössen über rein geometrische Beziehungen auf eine einzige umrechnen. Im Gegensatz zur Momentanenergiebilanz ist bei diesem Verfahren keine Bewegungsgrösse auszuklammern und wegzukürzen. Unter der Energiebilanz versteht man in der Regel nur die rein buchhalterische Aussage über den Verbleib der Energie nach einem bestimmten Zeit. Auf die Momenanbilanz glaubt man verzichten zu können, weil dieselbe Aussage direkt aus den Grundgesetzen ableitbar ist. Dies mag bei einfachen Problemstellungen zutreffen. Doch immer dann, wenn Zwangs- oder Führungskräfte auftreten, liefert die Energiebilanz einen reduzierten Satz Gleichungen, wogegen aus den Impuls- und Drehimpulsbilanzen bis zu sechs Beziehungen pro Bauteil folgen. Dieses Gleichungssystem muss dann mit Hilfe der geometrischen Verknüpfungen mühsam auf das richtige Masse vekleinert werden. Die Energiebilanz verkürzt also bei mechanischen Geräten den Lösungsweg beträchtlich. Andererseits liefert diese Bilanz keine Angaben über die Grösse der Führungskräfte. Solche Erkenntnisse können nur mit Hilfe der Grundgesetze gewonnen werden. Rotationsmechanik Seite 157 ?! Lernzielkontrolle Wissen, wie man einem Impuls- oder Drehimpulsstrom einen Energiestrom zuordnet, wie die Leistung einer Kraft oder eines Drehmomentes zu berechnen ist. 1.) 2.) 3.) 4.) Eine Walze rollt eine schiefe Ebene hinunter. Schneiden Sie das System frei und weisen Sie jeder Kraft formal eine Leistung zu. In der Kette eines Fahrrades fliesst, sobald der Velofahrer auf die Pedale drückt, ein beträchtlicher Impulsstrom. Wie ordnet man diesem Impulsstrom einen Energiestrom zu? Wann ist der zugeordnete Energiestrom gleich der umgesetzten Leistung? Eine Antriebswelle, die mit höchstens 50 Nm belastet werden darf, soll eine Leistung von 2 kW übertragen. Wie gross muss die Drehzahl der Welle mindestens sein? Eine Bohrmaschine dreht sich 250 Mal in der Minute gibt dabei eine Leistung von 500 W ab. Mit welchem Drehmoment wirkt der Bohrer auf die Unterlage ein? Die Änderungsrate der Gravitations-, der kinetischen und der Rotationsenergie eines Körpers formulieren können. 5.) 6.) 7.) 8.) Ein Fahrzeug, das anfänglich in Ruhe ist, erfährt während einer gewissen Zeit eine konstante Beschleunigung. Wie sieht die Änderungsrate der kinetischen Energie in Funktion der Zeit aus? Wie hängt die Änderungsrate der Rotationsenergie mit den Grössen Winkelgeschwindigkeit und Winkelbeschleunigung zusammen? Darf man behaupten, dass die Änderungsrate der potentiellen Energie gleich gross ist wie die Leistung der Gewichtskraft? Eine Walze rollt eine schiefe Ebene hinunter. Wie kann die Änderungsrate der Bewegungsenergie beschrieben werden? Wissen, wie man mit Hilfe des Schnittbildes eine Momentanenergiebilanz aufstellt. 9.) Eine Walze rollt eine schiefe Ebene hinunter. Zwischen dem Rollkörper und der Unterlage tritt eine sogenannte Rollreibung auf. Schneiden Sie die Walze frei und formulieren Sie die Momentanenergiebilanz. 10.) Bei einem Jo-Jo bewegt sich der Faden zusammen mit der Hand auf und ab. Gleichzeitig rollt das Jo-Jo selber auf dem vertikal ausgerichteten Faden ab. Schneiden Sie das Jo-Jo frei und formulieren Sie für eine beliebige Situation die Momentanenergiebilanz. 11.) An einem starr gelagerten Körper, der sich im Moment mit der Winkelgeschwindigkeit ω dreht, greifen verschiedene Kräfte an. Zudem wirkt vom Lager her ein Reibdrehmoment ein. Stellen Sie für dieses System eine Momentanenergiebilanz auf und erklären Sie, wie die einzelnen Grössen zu berechnen sind. Für komplexe Systeme die Energiebilanz zu zwei Zeitpunkten formulieren können. 12.) Eine anfänglich ruhende Walze rollt eine schiefe Ebene hinunter. Formulieren Sie die Energiebilanz für die Rollstecke s. 13.) Zwei unterschiedlich schwere Klötze hängen an den beiden Enden eines Seils frei in der Luft. Das Seil selber wird über eine starr gelagerte Umlenkrolle geführt. Wie berechnet man die Endgeschwindigkeit der Klötze für eine bestimmte “Fallhöhe“? Von den verschiedenen dissipativen Phänomenen ist nur die Lagerreibung zu berücksichtigen. Seite 158 Rotationsmechanik A Übungsaufgaben 3.) In der nebenstehend skizzierten Anordnung hängt ein Metallzylinder (Masse 15 kg) an einem Faden, der über eine Umlenkrolle (Massenträgheitsmoment 0.8 kg·m2, Radius 0.3 m) mit einer Feder (Richtgrösse 40 N/cm) verbunden ist. Nun wird der Zylinder angehoben, bis die Federspannung verschwindet. Dann lässt man ihn los. Wie gross kann die maximale Winkelgeschwindigkeit der Umlenkrolle werden, wenn die Reibungseffekte vernachlässigbar klein sind? Wie gross ist die Anfangsbeschleunigung des Zylinders? Wie stark wird der Zylinder nach einer “Fallhöhe“ von 10 cm noch beschleunigt? Das Lager wirke mit einer Reibung von 1 Nm auf die Umlenkrolle ein. Wie gross ist nun die Anfangsbeschleunigung des Metallkörpers? In welcher Position erreicht der Zylinder seine Maximalgeschwindigkeit? Wie schnell bewegt er sich dann? 5 kg 3 kg 0.4 kg·m2 15 kg 2.) An einer Art Fadenspule (Massenträgheitsmoment 0. 4 kg·m2) hängen zwei Klötze (Masse 5 kg und 3 kg). Der Haltefaden des schwereren Klotzes ist auf einem Zylinder von 40 cm Durchmesser aufgerollt. Der leichtere Körper hängt an einem Faden mit einem Wickelradius von 10 cm. Bei einer Drehbewegung der Spule wird der eine Faden aufgerollt und der andere abgewickelt. Für die Lagerreibung kann ein konstanter Wert von 0.5 Nm angenommen werden. Wie schnell bewegt sich der schwerere Körper, nachdem er sich aus dem Stillstand heraus um einen Meter abgesenkt hat? 40 N/m 1.) 0.4 kg·m2 Ein Getriebe weise drei Achsen auf. Auf der ersten Achse sitzt ein Zahnrad mit 36 Zähnen. Dieses Rad treibt ein zweites mit 12 Zähnen. Das dritte Zahnrad, das die Achse mit dem zweiten teilt, ist gleich gross wie das erste und greift in ein viertes Rad mit 18 Zähnen. Alle Körper auf der ersten Achse weisen zusammen ein Massenträgheitsmoment von 0.05 kg·m2 auf. Der zweite Rotator hat eine Drehträgheit von 0.12 kg·m2 und für die dritte Achse kann ein Wert von 0.8 kg·m2 angenommen werden. Von den Lagern her wirkt ein Reibdrehmoment von 0.2 Nm auf jede der drei Achsen ein. Nun greift an der Antriebsachse ein Drehmoment von 15 Nm an. Wie gross muss das Drehmoment sein, das auf die Abtriebsachse einwirkt, damit sich das Getriebe gleichförmig dreht? Das ganze Getriebe soll in 0.2 s gleichmässig hochgefahren werden, bis sich die dritte Achse mit 300 Umdrehungen pro Minute dreht. Die Abtriebsachse sei nicht belastet. Wie gross muss das auf die Antriebsachse einwirkende Drehmoment sein? Das erste Zahnrad dreht sich anfänglich mit 1500 Umdrehungen pro Minute. Die Abtriebsachse wird mit einem Drehmoment von 50 Nm gebremst. Wie lange dauert es, bis das Getriebe stillsteht? Wieviel Energie ist dann in der Bremse dissipiert worden? Rotationsmechanik 5.) 6.) Eine Walze (Masse 30 kg, Radius 15 cm) wird von einem zweiten Körper (Masse 15 kg), der über einen Faden und eine Rolle (Massenträgheitsmoment 0.4 kg·m2, Radius 20 cm) am Umfang der Walze angreift, in Bewegung versetzt. Welche Geschwindigkeit erreicht die Walzenachse, wenn der zweite Körper 20 cm an Höhe verloren hat? 30 kg 0.4 kg·m2 15 kg 40 kg 120 cm Ein Hebel besteht aus einem Stab (Länge 1.2 m, Masse 20 kg) und einem als Gegengewicht dienenden Zylinder (Masse 40 kg, 20 kg Durchmesser 20 cm). Die Drehachse befindet sich 20 cm von der Zylindermitte entfernt auf der Symmetrieachse des Stabes. Eine Feder, die über eine Schnur am Umfang des Zylinders angreift, hat die Aufgabe, den Hebel aus der horizontalen Lage heraus vertikal aufzurichten. Die Feder soll so beschaffen sein, dass sie den Hebel in jeder Lage zwischen der Horizontalen und der Vertikalen mindestens im Gleichgewicht zu halten vermag. Zudem soll sie bei senkrechter Stellung völlig entspannt sein. Reibungseffekte sind zu vernachlässigen. Wie gross muss die Federkonstane sein? Mit welcher Winkelgeschwindigkeit durchquert der Hebel die vertikale Stellung, wenn man ihn in der horizontalen Lage losgelassen hat? Welche Winkelbeschleunigung erfährt der Hebel bei waagrechter Ausrichtung? Ein Pendel, das aus einem Stab (Länge 1.6 m, Masse 10 5 kg kg) und einer Kugel (Masse 10 kg, Durchmesser 20 cm) 10 kg 10 kg besteht, soll einen zweiten Körper (Masse 5 kg) in eine vertikale Schwingung versetzen. Dieser Körper hängt an 160 cm einer Schnur, die um den Umfang eines starr mit dem Pendel verbundenen Zylinders (Masse 5 kg, Radius 40 cm) gewickelt worden ist. Die Achsen des Wickelzylinders und des Pendels fallen zusammen und befinden sich 40 cm vom freien Ende des Pendelstabes entfernt. Nun wird das gut gelagerte Pendel um 90˚ ausgelenkt und losgelassen. Wie schnell bewegt sich der aufgehängt Klotz, in dem Moment, in dem das Pendel genau vertikal ausgerichtet ist? Wie gross ist dann seine Beschleunigung? Berechnen Sie für diesen Zeitpunt die Seilkraft. Welche Wirkung übt dann die Achse auf das Pendel aus? In welcher Lage ist die Winkelbeschleunigung des Pendels gleich Null? Welchen Wert nimmt dann seine Winkelgeschwindigkeit an? Wie weit schwingt das Pendel auf die andere Seite? Geben Sie den Winkel an. Der aufgehängte Klotz werde durch einen grösseren ersetzt. Wie gross darf dessen Masse maximal gewählt werden, damit das Pendel bei gleicher Auslenkung immer noch die vertikale Lage erreicht? 5 kg 4.) Seite 159 Seite 160 Rotationsmechanik 7.) Eine Standseilbahn soll in fünf Sekunden auf eine Geschwindigkeit von 36 km/h gebracht werden. Das Trasse weist ein Gefälle von 50% auf. Der vollbesetzte Wagen (Gesamtmasse 15 t) befindet sich in der Talstation und der leere Wagen (Masse 12 t) steht bereit für die Talfahrt. Das Zugseil (Masse 4 t), das die beiden Wagen verbindet, wird von 20 Führungsrollen (Masse 20 kg, Durchmesser 30 cm) positioniert. Von den Lagern her wirkt auf jede Führungsrolle eine Reibung von 1.2 Nm ein. Für den Einfluss der Schienen auf die beiden Fahrzeuge kann ein Reibungskoeffizient von 0.04 angenommen werden. Mit welchem Drehmoment muss der Motor auf das Antriebsrad (Radius 2 m, Massenträgheitsmoment 800 kg·m2, Lagerreibung 10 Nm) einwirken, damit die Wagen die erforderliche Beschleunigung erhalten? 8.) In der nebenstehend skizzierten Anordnung ist die Feder (Richtgrösse 2000 N/m) gegenüber dem unbelasteten Zustand um 10 cm verlängert und die beiden Quader sind noch in Ruhe. Die Reibung im Lager der Umlenkrolle ist zu vernachlässigen. Wie schnell bewegt sich der grössere Quader in dem Augenblick, in dem die Feder entspannt ist? Wie gross ist dann dessen Beschleunigung? Die Daten sind der Skizze zu entnehmen. 2000 N/m 10 kg J = 0.4 kg·m2 Radius 0.2 m µ = 0.2 2 kg 9.) Eine Fadenspule (Masse 2 kg, Abrollradius 10 cm, Wickelradius 5 cm, Massenträgheitsmoment 0.004 kg·m2) ist über ein Umlenkrolle (Durchmesser 10 cm, Massenträgheitsmoment 0.01 kg·m2, Lagerreibung 0.05 Nm) mit einem aufgehängtem Klotz (Masse 5 kg) verbunden. Mit welcher Geschwindigkeit senkt sich der Klotz ab, wenn die Fadenspule aus der Ruhe heraus um 20 cm nach rechts gerollt ist? 10.) In der nebenstehend skizzierten Anordnung tritt nur zwischen dem schwereren Klotz und der Unterlage dissipative Reibung auf. Der zugehörige Gleitreibungskoeffizient beträgt 0.2. Die Umlenkrolle hat einen Radius von 0.1 m, ein Massenträgheitsmoment von 0.01 kg·m2 und eine Masse von 2 kg. Wie stark muss man am schwereren Klotz horizontal nach links ziehen, damit der leichtere eine Beschleunigung von 7 m/s2 nach oben erhält? Mit welcher Kraft wirken dann die beiden Seile auf die Umlenkrolle ein? 0.01 kg·m2 2 kg 2 kg 10 kg 8 kg Rotationsmechanik Seite 161 11.) Ein Pendel, das aus zwei exzentrisch angeordneten Scheiben (Massen 12 kg und 4 kg, Radien 100 mm und 40 mm, Exzentrizität 60 mm) besteht und in der Symmetrieachse der kleinen Scheibe frei drehbar aufgehängt ist, werde um 90˚ ausgelenkt und dann losgelassen. Am Umfang der kleinen Scheibe ist ein Faden aufgewickelt, an dem ein kleiner Klotz (Masse 2 kg) und eine Feder (Richtgrösse 10 N/cm) befestigt ist. In der Ausgangsposition ist die Feder gerade entspannt. Die folgenden Fragen beziehen sich auf den Moment, in dem das Zentrum der grossen Scheibe den tiefsten Punkt durchquert. Wie gross sind die Geschwindigkeit und die Beschleunigung des aufgehängten Klotzes? Mit welcher Geschwindigkeit bewegt sich der unterste Punkt der grossen Scheibe? Bestimmen Sie die Beschleunigung des Massenmittelpunktes des Pendelkörpers und geben Sie an, mit welcher Kraft das Lager auf die beiden Scheiben einwirken muss, damit diese Bewegung überhaupt stattfinden kann. 12.) Eine Walze (Masse 6 kg, Radius 5 cm) werde durch ein Gegengewicht (Masse 4 kg) über ein Rolle (Massenträgheitsmoment 0.002 kg·m2, Radius 5 cm) eine schiefe Ebene (Neigungswinkel 30˚) hinaufgezogen. Ausser der Lagerreibung in der Umlenkrolle (0.05 Nm) ist keine weitere Energiedissipation zu berücksichtigen. Welche Geschwindigkeit hat das Gegengewicht nach 20 cm Fallstrecke erreicht? Wie gross ist dann die Beschleunigung des Körpers? 1000 N/m 2 kg 6 kg 4 kg Seite 162 Rotationsmechanik 9. Statik In der Statik werden die Bedingungen untersucht, unter denen ein Körper in Ruhe bleibt. Die Statik beschäftigt sich also nur mit dem Gleichgewichtszustand eines Systems. Trotzdem wird die ganze Starrkörpermechanik oft anhand von rein statischen Prinzipien entwickelt. Kraft und Drehmoment werden dabei zu Grössen degradiert, die sich nur gegenseitig auszugleichen haben. Diese, sich an der historischen Entwicklung orientierende Methode weist drei Schwachstellen auf. Erstens wird der Studierende in seinem Vorurteil bestärkt, dass nur ruhende Körper im Gleichgewicht sein können. Zweitens lernt man bei dieser Vorgehensweise das Drehmoment als geometrische Nebenbedingung der Kraft kennen. Nichts weist auf den damit verbundenen Austausch eines eigenständigen Drehimpulses hin. Der dritte Nachteil wiegt am schwersten. Die klassische Statik vermittelt dank ihres axiomatischen Aufbaus oft nur blutleeres Formelwissen. Insbesondere findet die ganze Erfahrungswelt des angehenden Ingenieurs, die sich beim Praktiker zum Bild des Kraftflusses verdichtet hat, kaum Eingang in die übliche Darstellung der Statik. Die Physik der dynamischen Systeme beschreitet einen andern Weg. Sie versucht, die in jedem Menschen vorhandene Vorstellung von den statisch belasteten Brücken und Gebäuden direkt in eine wissenschaftlich abgestützte Theorie umzuformen. Die neue Art der statischen Analyse befasst sich deshalb in erster Linie mit den durch die Wirkung der Gravitation ausgelösten Transportvorgängen. Der durch das Gravitationsfeld ausgelöste Impulsstrom induziert dank den geometrischen und materiellen Eigenschaften der einzelnen Bauteile zusätzliche Flüsse. Neben dem Impuls strömt auch noch Drehimpuls durch die belastete Struktur hindurch. Die Impuls-Drehimpuls-Verknüpfung bildet denn auch den eigentlichen Kern der Statik. Wir haben also zu lernen, wie die beiden Mengen Impuls und Drehimpuls bei reinen Transportvorgängen lokal miteinander verknüpft sind. Seile und frei drehbar gelagerte Stäbe können keinen Drehimpuls weiterleiten. Die Funktion des Seils als Impulsleiter und seine materielle Beschaffenheit, welche keinen Drehimpulstransport zulässt, haben in unseren Köpfen einen Kraftbegriff geprägt, der viel mehr beinhaltet, als von der Mechanik her vorgesehen wäre. Ein Seil kann, je nach Orientierung des Koordinatensystems, eine, zwei oder sogar drei Sorten Impuls transportieren. Dabei fliessen alle drei Impulskomponenten in die gleiche Richtung, nämlich in die des Seils. Transportrichtung und Ströme sind aber nicht unabhängig voneinander. Beide Grössen sind so miteinander verknüpft, dass längs des Seils weder Drehimpuls ausgetauscht noch mitgeführt wird. Als Folge dieser Einschränkung zeigt der Kraftpfeil genau in Seilrichtung. Kraft- und Seilrichtung fallen also nur zusammen, weil das Seil unfähig ist, Drehimpuls zu transportieren. Das zweite Bauteil, das wir untersuchen werden, ist der horizontal ausgerichtete Träger. Solche Balken haben die Aufgabe, den gravitativ zufliessenden Impulsstrom seitwärts zur Bezugsrichtung an die Mauern und Stützpfeiler weiterzuleiten. Mit dem Seitwärtsfliessen erzwingt der Impulsstrom einen Drehimpulsaustausch. Weil der Drehimpuls selber wieder nur längs des Balkens transportiert werden kann und der zugehörige Strom von einem zweiten Impulsstrom begrenzt werden muss, fliessen im belasteten Trägerbalken zusätzliche Impulsströme, deren Stärken den primären Impulsstrom um das vielfache übertreffen können. Damit überlagern sich in einem unter Biegung stehenden Balken drei verschiedene Transportvorgänge. Der seitwärts abzuführende, vom Gravitationsfeld herkommende Impulsstrom induziert im Träger einen Drehimpulstransport, der weitere, zirkulär verlaufende Impulsströme hervorruft. Diese sekundären Transportvorgänge belasten das Material weit stärker als der primäre Impulsstrom. Torsion, neben der Biegung die zweite Form von Drehimpulstransport, haben wir schon einmal Rotationsmechanik Seite 163 untersucht. Im Gegensatz zur Biegung, bei der Drehimpuls seitwärts zur Bezugsebene transportiert wird, fliesst bei der Torsion der Drall vor- oder rückwärts. Die damit verbundenen Impulsströme verhalten sich gerade komplementär: im gebogenen Balken fliessen die begleitenden Impulsströme längs zur eigenen Bezugsrichtung, bei der verdrehten Welle quer. Ein grundlegendes Prinzip verlangt nun, dass kein Impulsstrom quer zur eigenen Bezugsrichtung fliessen kann, ohne dass nicht gleichzeitig eine zweite Sorte ebenfalls seitwärts transportiert wird. Konkret verlangt das Prinzip, dass zu jedem i-Impuls, der in k-Richtung fliesst, ein k-Impulsstrom gehört, der in i-Richtung fliesst. Aufgrund dieses Prinzips wird der im tordierten Stab transportierte Drehimpuls nicht nur von zwei Sorten querfliessenden Impulsströmen begleitet, sondern von der dritten Sorte längs des ganzen Transportweges wirbelförmig umströmt. Die pro Querschnitt gemessene Stromstärke des Impulsstromwirbels heisst in der Literatur Schubfluss. Anhand der Schubflusserhaltung können Spannungszustände in verdrehten Bauteilen recht gut abgeschätzt werden. Der letzte Teil des vorliegenden Kapitels befasst sich mit der klassischen Statik. Ausgerüstet mit einem kohärenten Bild von den Impuls- und Drehimpulstransporten werden wir uns rasch mit den grundlegenden Prinzipien vertraut machen. Die koordinatenfreie Formulierung des Gleichgewichts bildet eine natürliche Ergänzung zur Stromdarstellung. Orientiert sich die klassische Analyse eher am Einzelobjekt, versucht die Stromdarstellung alle beteiligten Körper miteinzubeziehen. Deshalb liefern Schnittprinzip und Strombild zusammen ein umfassendes Verständnis für das ganze Gebiet der Statik. Um die Lösungsvorgänge nicht allzustark mit Mathematik zu belasten, werden wir uns häufig mit ebenen Problemstellungen befassen. Dabei darf jedoch nicht vergessen werden, dass reale Gegenstände immer dreidimensional sind. Ansonsten besteht die Gefahr, dass Einflüsse, die sich aufgrund der räumlichen Konfiguration ergeben, vergessen werden. Aus didaktischen Gründen diskutiere ich zuerst das Verhalten der einzelnen Elemente bezüglich Drehimpulsleitfähigkeit. Erst dann wende ich mich der Frage zu, wie Kräfte und Drehmomente zu identifizieren sind. Vom fachlogischen Standpunkt aus gesehen, sollte man gerade den umgekehrten Weg beschreiten. Zuerst müssten die einzelnen Teile freigeschnitten und die Gleichgewichtsbedingungen formuliert werden. Nachher lassen sich die unbekannten Einflussgrössen direkt aus dem so generierten Gleichungssystem berechnen. Mit Kenntnis der äusseren Kräfte und Drehmomente diskutiere man später die Frage der internen Belastung. Die didaktisch motivierte Umkehrung der üblichen Vorgehensweise hat nun zur Folge, dass eine vollständige Diskussion statisch belasteter Strukturen frühestens am Schluss des vorliegenden Kapitels möglich sein wird. Diesem Umstand wird durch die Auswahl der Beispiele Rechnung getragen. Eine vertiefte Fertigkeit im Umgang mit statischen Problemstellungen kann sich der Leser jedoch erst mit dem Lösen der eigentlichen Übungsaufgaben aneignen. Lernziele Wissen, wie in einem gespannten Seil oder einer belasteten Pendelstütze die Ströme der verschiedenen Impulssorten voneinander abhängen. In Wort und Bild beschreiben können, wie bei der Biegung der seitwärts fliessende Impuls einen Drehimpulsstrom hervorruft. Wissen, wie der in der Bezugsebene herumtransportierte Drehimpuls von sekundären Impulsströmen begleitet wird. Die Drehimpuls-Impulsstromverknüpfung bei der Torsion mit Hilfe eines Bildes und der zugehörigen Formel beschreiben können. Aufgaben zur ebenen Statik lösen können. Seite 164 Rotationsmechanik 9.1 Seile und Stäbe Seile und Stäbe transportieren keinen Drehimpuls Biegsame Seile und beidseits drehbar gelagerte Stäbe können keinen Drehimpuls transportieren. Folglich darf längs des belasteten Bauteils auch kein Drehimpuls zu- oder wegfliessen. Gemäss den Überlegungen aus Kapitel 2 bedeutet dies, dass in einem Seil oder in einem Stab mindestens zweite Sorten Impuls fliessen, sobald die eine Menge schief zur Bezugsrichtung transportiert wird. Setzen wir uns nur mit ebenen Problemen auseinander, sind höchstens zwei Impuls- und eine Drehimpulssorte beteiligt. Weil die fraglichen Bauteile selber weder Drehimpuls austauschen noch transpotieren dürfen, weil also kein Drehmoment einwirken kann, muss gemäss Formel (2.1) das Produkt aus der x-Impulsstromstärke und der zugehörigen y-Komponente der Fliessstrecke gleich gross sein wie das entsprechende Produkt mit dem y-Impulsstrom und der Strecke längs der x-Achse. Diese umgekehrte Proportion lässt sich auch mit Hilfe des Neigungswinkels des Seils oder des Stabes formulieren: I py ∆y = = tgβ I px ∆x β : Neigungswinkel (9.1) Versteht man unter Neigungswinkel die gegen die Horizontale gemessene Grösse, so ist bei der Anwendung von Formel (8.1) die x-Achse waagrecht und die y-Achse vertikal zu orientieren. Seilkräfte zeigen in Seilrichtung Die aus der Formel (2.1) abgeleitete Bedingung kann auch auf die Kräfte übertragen werden. Schneidet man das Seil oder den Stab an einem Beliebigen Querschnitt entzwei, entsteht ein Actio-Reactio-Paar, dessen Kraftpfeile in Richtung des Impulsleiters zeigen. Seilkräfte wirken also genau in Seilrichtung, d.h. Seile zeigen immer die Wirkrichtung der zugehörigen Kraft an. Diese Eigenschaft hat viel zur Popularität des Kraftbegriffes beigetragen. Leider kommt man mit diesem unmittelbar anschaulichen Kraftbegriff nicht allzuweit. Dies lässt sich schon anhand der Kreisbewegung eines Körpers zeigen. Bewegt sich zum Beispiel ein Metallstück mit glatter Oberfläche, das an einem Seil festgebunden ist, auf einer horizontalen Glatteisfläche im Kreis herum, steht die Seilkraft andauernd normal zur Bewegungsrichtung und damit zum Impuls des Körpers. Nun verleitet die konstante Seilspannung viele, auch naturwissenschaftlich gebildete Leute zur Annahme, dass die Seil- oder Zentripetalkraft während der Bewegung konstant sei. Assoziert man dann noch die Bewegungsmenge mit der kinetischen Energie, die bei diesem Vorgang konstant bleibt, so sieht man sich förmlich gezwungen, eine unsinnige Zentrifugalkraft einzuführen. Impulsströme in Seilen Ein Körper der an einem Seil aufgehängt ist, gibt den über das Gravitationsfeld zufliessenden Impus sofort an das Seil weiter. Bindet man nun noch ein zweites Seil am Körper fest und zieht diesen etwas seitwärts weg, so verteilt sich der gravitativ induzierte Impulsstrom auf beide Seile. Weil beiden Teilströme nicht mehr genau vertikal fliessen, lösen sie Rotationsmechanik Seite 165 einen zweiten Transport aus, bei dem Horizontalimpuls im einen Seil abwärts und im zweiten aufwärts strömt. Zu dieser Problematik das folgende Beispiel. Beispiel 34: Eine Strassenlampe (Masse 15 kg) hängt an zwei Seilen, die unter einem gegenseitigen Winkel von 60˚ nach oben laufen. Ein Meter über der Lampe ändern die beiden Seile ihre Richtung und schliessen dann mit der Horizontalebene einen Winkel von 30˚ ein. Wie gross sind die Kräfte in den einzelnen Seilabschnitten? Wie stark ist das Verbindungsstück, das die Richtungsänderung der Seile erst ermöglicht, belastet? Lösung 34: Falls die y-Achse nach unten orientiert wird, fliesst von der Lampe her ein y-Impulsstrom mit einer Stärke von 150 N über beide Seil nach oben weg. Aus Symmetriegründen teilt sich der Strom in zwei gleich grosse Teiltransporte auf. Der rechte Teilstrom induziert im ersten Seilabschnitt einen nach links unten fliessenden x-Impulsstrom, der gemäss Formel (9.1) 43.3 N stark sein muss. Im oberen Seilstück steigt der zugehörige x-Impulsstrom auf 130 N an. Damit kennen wir beide Transporte und können die zugehörigen Stromstärken in je eine Skizze eintragen. 130 N x y 43.3 N 86.7 N 130 N 75 N 43.3 N x-Impulsstrom 75 N 75 N 75 N y-Impulsstrom Die Belastbarkeit des Seils wird in der Regel mit einer maximalen „Seilkraft“ angegeben. Diese Grösse kann eingezeichnet werden, sobald man das Seil irgendwo mit einer Schnittfläche versieht. Dadurch verwandeltn sich die beiden Impulsstromstärken in die entsprechenden Komponenten des Actio-Reactio-Paares. Die „Seilkraft“ ist also immer gleich dem Betrag der Vektorsumme der hindurchfliessenden Impulsstromstärken. Für die beiden unteren Seilabschnitte ergibt dies je eine Kraft von 86.6 N. Die aus der Formel (2.1) abgeleitete Bedingung (9.1) verknüpft nicht Seile transportieren den Impuls nur die beiden Stromstärken miteinander, sondern macht auch noch eine nur rückwärts Aussage über die Richtung der Transportvorgänge. Fliesst zum Beispiel der y-Impulsstrom gegen die Bezugsrichtung, so muss an der gleichen Stelle auch der zugehörige x-Impulsstrom gegen die entsprechende Koordinatenrichtung fliessen. Für ein unter Zugspannung stehendes Seil bedeutet dies, dass es unabhängig von der Richtung alle drei Impulssorten nur gegen die jeweilige Koordinatenrichtung transportieren kann. Ein seilartiger “Kraftleiter“ befördert den Impuls also immer nur rückwärts. Viele Kunstbauten wie Brücken oder Dachkonstruktionen müssen den Fachwerke gravitativ zufliessenden Strom seitwärts wegtransportieren. Wie aus dem oben vorgelösten Beispiel hervorgeht, ist dies mit Seilen nur zu bewerkstelligen, wenn man den y-Impuls schief und unter spitzem Winkel auf beide Seiten hin abfliessen lässt. Soll der Impuls nur auf eine Seite abgeführt werden, muss als Leiter ein Balken oder ein Fachwerk einge- Seite 166 Rotationsmechanik setzt werden. Ein Fachwerk besteht aus starren Stäben, die beidseits drehbar gelagert sind, d.h. in den einzelnen Stäben eines Fachwerkes gilt weiterhin die Bedinung (9.1). Mit dieser Forderung ist die Bauweise eigentlich schon vorgegeben. Der seitwärts wegzuführende y-Impuls wird über eine zick-zack-förmige Stabstrecke abgeleitet. Weil in den einzelnen Stäben der y-Impuls abwechslungsweise einmal gegen und einmal in die positive Richtung fliesst, gilt für den durch die Forderung (9.1) induzierten x-Strom die gleiche Regel. Dies impliziert, dass in allen Querstäben der x-Impuls von unten nach oben strömt. Damit der zugehörige Stromkreis geschlossen wird, muss in einem unteren Band der x-Impulsstrom zu- und in einem oberen wieder weggeführt werden. N 4·57.7 N 2·57.7 N x y 57.7 N 3·57.7 N x-Impulsstrom 57.7 N y-Impulsstrom Fig. 9. - 1: Bei einem Kranausleger wird der gravitativ zufliessende Vertikalimpuls über eine Zick-Zack-Strecke seitwärts abgeführt. Gemäss Formel (9.1) muss in all den 30˚ schief stehenden Stäben Horizontalimpuls nach oben fliessen. Das Verhältnis der beiden Stromstärken ist dabei gleich dem Tangens des Neigungswinkels. Am einfachsten führt man den durch den Transport des y-Impulses ausgelösten x-Strom über horizontal gelagerte Druck- und Zugstäbe zu oder weg. Schnittprinzip oder Impulstrommethode? 2 3 150 N 1 3 1 2 Beide Beispiele, die aufgehängte Lampe und den Kranausleger, hätte man auch mit Hilfe des Kraftbegriffes diskutieren können. Bei dieser Vorgehensweise sind alle Knoten freizuscheneiden und mit Kraftpfeilen zu versehen. Dabei müssen sämtliche Pfeile in Richtung des Seil- oder Stabstückes zeigen. Vernachlässigt man bei den einzelnen Bauteilen deren Masse, gilt zwischen den einzelnen Knoten das Wechselwirkungsprinzip. Aus den Gleichgewichtsbedingungen folgen dann die Beträge der verschiedenen Kräfte. Weil die Forderung, dass die Kraft in Richtung des Stabes oder des Seiles zeigen muss, identisch mit der Bedingung (9.1) ist und weil das Kräftegleichgewicht dem Knotensatz für die Impulsströme entspricht, ergeben beide Verfahren ein identisches Gleichungssystem. Bei symmetrischen Anordnungen führt die Impulsstromidee eindeutig schneller zum Ziel. Im Falle eines komplizierten Fachwerkes dürfte das systematisch angewendete Schnittprinzip zusammen mit dem graphischen Lösungsverfahren, das unter dem Namen Cremonaplan bekannt ist, am anschaulichsten sein. Beschränkt man sich hingegen auf rein analytische Methoden, geht es also darum eine Berechnung durchzuführen oder ein entsprechendes Programm zu entwickeln, dürfte die Impulsstrommethode schneller den richtigen Algorythmus liefern. Rotationsmechanik Seite 167 Welche Form nimmt ein Seil an, das nur an seinen beiden Enden festge- die differentielle Beschreibunden ist? Wie sieht die Funktion y(x) aus, die den Verlauf des Seiles bung des Seils beschreibt? Will man diese Frage exakt beantworten, kommt man nicht um die Lösung einer Differentialgleichung herum. Aufgabe der Physik ist es, diese Gleichung zu formulieren. Zuerst zerlegen wir das ganze Seil in lauter kurze Einzelstücke. In jedem dieser Abschnitte sind die Stromstärken der beiden Menge durch die Bedingung (9.1) gekoppelt. Lösen wir nun diese Beziehung nach der y-Impulsstromstärke auf und lassen die Länge des Seilstücks gegen Null gehen, so erhalten wir eine erste Gleichung I py = I px ⋅ ∆y dy = I px ⋅ = I px ⋅ y ′ ∆x dx (9.2) Der Strich neben dem Formelzeichen einer Funktion weist darauf hin, die y-Impulsbilanz bezüglich dass die erste Ableitung nach der Variablen x gemeint ist. Formel (9.2) eines Seilstücks verlangt also, dass die Stromstärke des y-Impulses an jeder Stelle gleich dem Produkt aus x-Impulsstromstärke und Seilsteigung ist. Im Gegenx satz zum x-Impulsstrom, dessen Stärke konstant bleibt, nimmt der y-Impulsstrom infolge der Eigenmasse des Seils zu. Pro Seilstück der Länge y s ds liefert das Gravitationsfeld y-Impuls mit einer Rate von m*·g·ds (der d Stern neben einem Formelzeichen bedeutet, dass die Grösse durch die zugehörige Länge dividiert worden ist). Nun formulieren wir die ImIpy2 pulsbilanz für ein kurzes Seilstück: die Änderung der y-Impulsstromstärke längs des infinitesimal kurzen Seilstückes ist gleich gross wie die Ipy1 auf den Seilabschnitt einwirkende Gewichtskraft m*·g·ds. Die Länge ds darf mit Hilfe des Satzes von Pythagoras durch die horizontale und die vertikale Komponente ausgedrückt werden. I py 2 − I py1 = m * ⋅g ⋅ ( dx )2 + ( dy)2 (9.3) I py ′ = m * ⋅g ⋅ 1 + ( y ′)2 Die zweite Zeile von (9.3) entsteht aus der ersten durch Division mit dx. die Differentialgleichung der Die entsprechenden Quotienten sind dann als Differentialquotienten zu Seilkurve interpretieren. An der tiefsten Stelle fliesst gemäss (9.2) kein y-Impuls durch den Querschnitt des aufgehängten Seils hindurch. Weil die Ableitung der zugehörigen Stromstärke nach der Variablen x immer grösser als Null sein muss, fliesst der y-Impuls links vom Minimus in die negative x-Richtung. Rechts davon wächst der Strom kontinuierlich an. Nun leiten wir Gleichung (9.2) nochmals nach x ab und setzen das Ergebnis auf der linken Seite von (9.3) ein y ′′ = c ⋅ 1 + ( y ′)2 c= m * ⋅g I px (9.4) Die Konstante c in (9.4) ist positiv und besitzt die Einheit einer rezipro- die Seil- oder Kettenlinie ken Länge. Weil der zweite Faktor, der Wurzelausdruck, unabhängig vom Ort ebenfalls grösser als Null ist, weist die Seilkurve eine durchgehend konkave Krümmung auf. Zur Integration von (9.4) substituiert man am besten y’ durch eine neue Funtion in x, separiert dann die Glei- Seite 168 Rotationsmechanik chung, führt die Integration durch, macht die Substitution rückgängig und integriert ein zweites Mal. Als Lösung erhält man im wesentlichen eine Cosinushyperbolicusfunktion y= 1 ⋅ cosh(c ⋅ x − c1 ) + c2 c c= m * ⋅g − I px (9.5) Mit den beiden Integrationskonstanten c1 und c2 kann der Nullpunkt des Koordinatensystems relativ zum Seil in der Ebene herumgeschoben werden. Weil eine Kette im homogenen Gravitationsfeld die gleich Gestalt wie ein Seil annimmt, heisst die Kurve auch Kettenlinie. ? Kontrollfragen 1.) 2.) 3.) 4.) 5.) Welche mengenartige Grösse kann nicht durch ein Seil oder einen drehbar gelagerten Stab hindurchtransportiert werden? Wie umschreibt man diesen Sachverhalt mathematisch? Geben Sie eine möglichst exakte Formulierung an. Wieso zeigt der Kraftpfeil immer in Seilrichtung? Eine Lampe hängt an zwei unterschiedlich geneigten Seilen. Welches Seil wird stärker belastet. Welche Grösse ist bei beiden Seilen unabhängig vom Neigungswinkel immer gleich gross? Wieso weist ein belasteter Kranausleger im unteren Teil immer eine Druckbelastung und im oberen eine Zugbelastung auf? Ein Torbogen, der aus einer einzigen Schicht von etwa gleich grossen Steinen geformt werden soll, ist so zu gestalten, dass zwischen den leicht angeschrägten Seitenflächen nur Normalkräfte auftreten. Welche Form muss die Bogenlinie annehmen? 9.2 Biegung Ströme beim belasteten Balken x y Biegung entsteht, wenn zum Beispiel ein schwerer Körper mit Hilfe eines Seils in der Mitte eines beidseits aufliegenden Balkens aufgehängt wird. Dann fliesst der gravitativ dem Körper zugeführte Impuls unmittelbar über das Seil an den Träger weg. Dort teilt sich der Impulsstrom in zwei Teile auf, von denen der eine nach links und der andere nach rechts wegfliesst. Diesmal genügt die Bedingung (9.1) nicht, um die Aufteilung des y-Impulsstromes in zwei Stränge festzulegen. Hier muss das eigentliche Hebelgesetz (2.1) angewendet werden Mz = − I py ⋅ ∆x (9.6) Weil wir uns in diesem Kapitel hauptsächlich mit der durch die Gravitation ausgelösten Belastung von Körpern beschäftigen wollen, habe ich von der rechten Seite der Formel (2.1) nur den zweiten Summanden übernommen. Auf den ersten Teil des ursprünglichen Ausdrucks, der den Zusammenhang zwischen dem vertikal fliessenden x-Impulsstrom und der zugehörigen Drehimpulsaustauschrate berschreibt, können wir hier verzichten. Rotationsmechanik Seite 169 Gemäss (9.6) erzeugt der im Balken seitwärts transportierte y-Impuls Drehimpusaustausch bei Biepro Streckenabschnitt ein Drehmoment. Je weiter der Impulsstrom quer gung fliesst, desto grösser wird die Austauschrate. Dividiert man diese Rate Drehimpuls durch den zugehörigen Streckenabschnitt, ergibt sich wieder die Strom-zufuhr -abfuhr stärke des erzeugenden Impulsstromes. Formel (9.6) legt auch noch das richtige Vorzeichen fest. Strömt der y-Impuls zum Beispiel in Richtung Impulsder x-Achse, ist der Streckenabschnitt ∆x mit positivem Vorzeichen in strom x den Ausdruck (9.6) einzusetzen. Zusammen mit dem ausgewiesenen Minuszeichen ergibt dies ein negatives Drehmoment, d.h. der Balken verliert auf diesem Abschnitt fortlaufend z-Drehimpuls. Im umgekehry ten Fall sorgt ein in die negative x-Richtung fliessender y-Impulsstrom für eine andauernde, streckenproportionale Drehimpulszufuhr. Mit dem Lokalisieren des Drehimpulsaustausches haben wir das Pro- Drehimpulsströme bei der Bieblem im Prinzip gelöst. Der vom aufgehängten Körper zufliessende Im- gung puls teilt sich im Balken drin in zwei Teilströme auf. Nun sorgt der in negative Koordinatenrichtung fliessende Anteil längs des ganzen TransDrehimpulsstrom portweges für eine Drehimpulszufuhr und der andere Teilstrom bewirkt eine Drehimpulsabfuhr. Beide Austauschraten müssen sich exakt wegheben, weil der Drehimpuls weder gespeichert noch über die Stützflächen wegfliessen kann. Der Balken ist also nur dann im Gleichgewicht, x wenn der Drehimpulsabfluss die Zufuhr präzis ausgleicht. Diese Aussage beinhaltet den eigentlichen Kern des Hebelgesetzes. In jedem Hebelsystem sorgen die seitwärtsfliessenden Impulsströme dafür, dass an y verschiedenen Stellen Drehimpuls zu- oder weggeführt wird. Das Hebelgesetz verlangt nun, dass die Summe über alle Drehimpulsaustauschraten verschwindet. Aufgabe des Hebels ist es, den Drehimpuls vom Ort des Zuflusses an die Abflussstelle zu befördern. Wie wir noch sehen werden, erzeugt der dadurch hervorgerufene Drehimpulsstrom zusätzliche Impulsströme. Diese fliessen ausschliesslich im Kreis herum und belasten den Hebel in der Regel viel stärker als der ursprünglich vorhandene y-Impulstransport. Beispiel 35: Ein horizontal ausgerichteter Balken, der an seinen beiden Enden aufliegt, werde durch drei Haken in vier gleich lange Abschnitte unterteilt. Am ersten Haken hängt ein Körper mit einer bestimmten Masse m, am zweiten ist ein doppelt so schwerer Gegenstand befestigt und der dritte Haken wird mit einem vierfachen Gewicht belastet. Wie sieht die Drehimpulsstromsträrkefunktion im Balken drin aus? Lösung 35: Alle drei aufgehängten Körper wirken als y-Impulsquellen. Von dort fliesst die Bewegungsmenge über die Haken nach oben an den Balken weiter. Im Träger selber verzweigen sich die drei Ströme. Der Impuls kann entweder nach links oder nach rechts abfliessen. Die Aufteilung in die beiden Richtungen ist durch die Drehimpulsblilanz festgelegt: der zufliessende Drehimpulsstrom muss gleich stark wie der aus dem Balken abfliessenden sein. Zur Berechnung der einzelnen Stromstärken gehen wir wie in der Elektrizitätslehre vor: Zuerst markieren wir die einzelnen y-Impulsstrome im Balken mit einem Bezugspfeil. Um Vorzeichenfehler zu vermeiden, sollten alle Bezugspfeile in die positive x-Richtung zeigen. Nun wählen wir den Strom im am meisten rechts liegenden Balkenstück aus und bezeichnen dessen Stärke mit einem ausgewählten Buchstaben. Durch konsequentes Anwenden des Knotensatzes erhalten wir für alle Abschnitte eine wohldefinierte Stromstärke. Insgesamt bleibt nur die anfangs gewählte Grösse unbekannt. Diese ist Seite 170 Rotationsmechanik festgelegt, sobald wir verlangen, dass die Summe über alle Drehimpulsstromstärken gleich Null ist. A-7G A-6G A-4G A x G y 2G 4G Zur Abwechslung habe ich die y-Impulsstromstärken mit verschiedenen Grossbuchstaben bezeichnet. Nun berechnen wir mit Hilfe von (9.6) die vier Drehmomente. Gemäss Formel (9.6) sind alle Impulsstromstärken mit der Länge des stromdurchflossenen Stückes zu multiplizieren. Weil alle Ströme schon auf die positive x-Richtung bezogen sind, müssen die zugehörigen Vorzeichen nicht mehr extra festgelegt werden. Zählt man nun die vier Produkte, die je ein Drehmoment beschreiben, zusammen und setzt die Summe gleich Null, kann dank der Symmetrie der Anordnung der jeweilige Streckenabschnitt, der ein Viertel der Gesamtlänge beträgt, wieder weggekürzt werden. Übrig bleibt ein Gleichung, die verlangt, dass 4·A - 17·G gleich Null ist. Die Auflagekraft A ist also gleich dem Viereinviertelfachen von G. Mit dieser Beziehung sind auch alle andern Stromstärken festgelegt. Das Biegemoment Der vom seitwärts fliessenden Impuls erzwungene Zu- oder Aberfluss von Drehimpuls führt im Balken zu internen Ausgleichsströmen. Wie schon erwähnt, muss der auf dem linken Abschnitt zufliessende Drehimpuls durch den Balken auf die rechte Seite transportiert werden. In der technischen Mechanik nennt man die Stärke dieses Stromes Biegemoment. Kennt man die Geometrie des Balkenquerschnittes und weiss man, wie sich das Material bei mechanischer Beanspruchung verhält, so kann mit Hilfe des Biegemomentes die maximal auftretende Impulsstromdichte, der sogenannte kritische Spannungszustand, berechnet werden. Aus dem Biegemomentenverlauf lässt sich demnach ablesen, wo der Spannungszustand im Balken drin ein bedrohliches Ausmass angenommen hat. Die Biegemomentenfläche Die Stärke des im belasteten Trägers fliessenden Drehimpulsstromes lässt sich graphisch gegen die Balkenlänge auftragen. Diese Darstellung heisst Biegemomentenfläche. Der zugehörige Biegemomentenverlauf ergibt sich aus der Formel (9.6), sobald die Stromstärken des seitwärts fliessenden Impulses bekannt ist. Die Formel besagt, dass pro Balkenstück der Länge ∆x ein Drehimpulsstrom zufliest, dessen Stärke ∆Mz gleich dem Produkt aus der Stärke des querfliessenden Impulsstromes Ipy und dem Streckenabschnitt ∆x ist. Der streckenproportionale Zufluss an Drehimpuls verstärkt den im Träger schon vorhandenen Hauptstrom, d.h der im Balken nach rechts fliessende Drehimpulsstrom wird so lange vergrössert, wie y-Impuls nach links strömt. Sobald der y-Impuls selber in die positive x-Richtung transportiert wird, nimmt die Stärke des Drehimpulstransportes wieder ab. Angewendet auf unser Beispiel mit den drei Haken heisst das, dass zwischen den einzelnen, gravitativ induzierten Impulszuflüssen der Drehimpulstransport linear zu- oder abnimmt und dass die Zunahme proportional zur Stärke des im Balken drin seitwärts fliessenen y-Impulsstromes ist. ILz x Rotationsmechanik Seite 171 Beispiel 36: Wie sieht der Biegemomentverlauf im vorhergehenden Beispiel aus? Lösung 36: Zuerst zeichnen wir die im Balken auftretende y-Impulsstromstärke in Funktion der x-Achse auf. Dann skizzieren wir den Drehimpulsstromverlauf. Am linken Ende des Balkens kann weder Drehimpuls zu noch abfliessen. Folglich ist dort die Stromstärke gleich Null. Bis zum ersten Haken fliesst auf dem ganzen Teilabschnitt Drehimpuls zu. Die dort erreichte Gesamtstromstärke kann mit Hilfe von (9.6) berechnet werden. Im zweiten Abschnitt wird der Drehimpulsstrom weiter verstärkt. Wieder liefert (9.6) den Zuwachs. Im dritten und vierten Teil des Balkens nimmt die Drehimpulsstromstärke ab. Dass der Drehimpulsstrom beim rechten Ende des Balkens genau auf Null absinkt, ist kein Zufall. Wir haben das Hebelgesetz ja schon zur Berechnung der einzelnen Impulsströme angewendet. I py ILz 4G 2G -2G Die Drehimpulsstromstärke ändert sich offensichtlich umso stärker, je grösser der querfliessende Impulsstrom ist. Dividiert man Formel (9.6) beidseits durch den Streckenabschnitt ∆x der Biegemomentenverlauf als und fügt die so gewonnene Änderungsrate pro Länge in die Drehimpuls- Integral bilanz ein, erhält man einen Zusammenhang für die beiden Balkenströme: der im Balken seitwärts fliessende Impulsstrom ist gleich gross wie der negative Gradient (Gefälle) der Drehimpulsstromstärke. Umgekehrt entspricht der Biegemomentenverlauf dem Integral über die Stromstärke des querfliessenden Impulses in Funktion des zugehörigen Ortes. Graphisch gesehen stellt der Biegemomentenverlauf die Fläche unter der Querkraft-Balkenlänge-Kurve dar. Längs des horizontal ausgerichteten, durch reine Gewichtskräfte bela- die mathematische Beschreisteten Balken fliesst sowohl Impuls als auch Drehimpuls. Beide Ströme bung der Biegung sind durch die Beziehung (9.6) verknüpft. Wählen wir die positive xRichtung nach rechts und die y-Richtung nach unten, so strömt der zDrehimpuls im belasteten Träger immer von links nach rechts. Weil beide Ströme ihre Strärke nur durch Zu- oder Abfluss ändern können, legt der vertikale Austausch von y-Impuls zusammen mit der Art und Weise, wie der Balken gehalten wird, die mechanische Belastung eindeutig fest. Die ganze Problematik kann mit nur zwei Beziehungen mathematisch umschrieben werden. Die erste Gleichung verknüpft den im Balken seitwärts fliessenden Impulsstrom mit dem entsprechenden Zufluss, den sogenannten Querkräften. Die zweite Gleichung beschreibt die Änderung der zugehörigen Drehimpulsstromstärke. Billigt man dem Balken selber noch eine Masse zu, so muss der vom Gravitationsfeld direkt in den Träger hineinfliessende Impulsstrom auch noch berücksichtigt Seite 172 Rotationsmechanik werden. dI py = m * ⋅g ⋅ dx + FQ i dI Lz = − I py ⋅ dx (9.7) Die beiden Formeln in (9.7) legen den Biegemomentenverlauf eindeutig fest. Eine erste Integration bzw. Addition liefert die Stärke des seitwärts fliessenden Impulsstromes. Die zweite Integration beschreibt dann den Verlauf des zugehörigen Drehimpulstransportes. Treten Querkräfte FQ mit punktförmigen Angriffsflächen auf, ändert der im Balken seitwärts fliessende Impuls seine Stärke sprunghaft. Bei diesen Sprungstelle weist der zugehörige Biegemomentverlauf jeweils einen Knick auf. Die an den Balkenenden herrschenden Bedingungen betreffen oft beide Ströme, was zu mathematischen Schwierigkeiten führen kann. Diese lassen sich teilweise umgehen, indem man den Balken zuerst freischneidet, alle Kräfte und Drehmomente einzeichnet und die unbekannten Grössen aus der Gleichgewichtsbedingung ableitet. Berechnungsverfahren Beispiel 37: Ein gerader Balken, der einseitig fest eingemauert ist, erleidet durch sein Eigengewicht ein Biegebelastung. Wie sieht der Biegemomentenverlauf aus, wenn der Balken genau horizontal ausgerichtet ist eine konstane Masse pro Länge (m*) aufweist? Lösung 37: Wir nehmen an, dass sich die Mauer rechts vom Balken befindet. Damit fliesst der auf der ganzen Länge gravitativ zugeführte y-Impuls mit zunehmender Stärke nach rechts weg. Zur mathematischen Behandlung des Problems, führen wir ein Koordinatensystem ein, dessen Nullpunkt auf der freien Stirnfläche des Balkens liegt. Mit dieser Wahl liegen alle relevanten x-Werte im positiven Bereich. Nun integrieren wir die erste Gleichung von (9.7) nach x und erhalten so eine Funktion, die den Verlauf der Impulsstromstärke wiedergibt. Diese wächst proportional mit x an, wobei der Proportionalitätsfaktor gleich m*·g ist. Die zweite Gleichung von (9.7) verlangt eine nochmalige Integration nach x. Dies ergibt einen Biegemomentenverlauf, der sich quadratisch mit x ändert. Mz ≡ I Lz = − m * ⋅g 2 ⋅x 2 Das Minuszeichen weist darauf hin, dass der Drehimpuls von der Mauer her in den Balken hineinfliesst und diesen auf seiner ganzen Länge mit abnehmender Stärke wieder verlässt. Drehimpuls kann sich nicht in Luft auflösen Drehimpulsstrom x ? y ? ? ? Der Drehimpuls, der im oben diskutierten Beispiel, von der Wand in den Balken hineinfliesst, um diesen dann bis zur freien Stirnfläche wieder zu verlassen, darf sich nicht einfach in Luft auflösen. Doch wo geht der Drehimpuls nachher hin? Lässt sich der Drehimpulstransport über den Balken hinaus weiterverfolgen? Dazu ein paar grundsätzliche Bemerkungen. In der Statik fliessen alle mengenartigen Grössen mangels Speicher im Kreis herum. Zudem treten Drehimpulsströme nie ohne begleitende Impulstransporte auf. Mathematisch lässt sich der Zusammenhang zwischen den einzelnen Transportvorgängen durch einen Satz von partiellen Differentialgleichungen beschreiben. Diese Gleichunge gelten, solange der Impulstransport im statisch belasteten Material drin erfolgt. Fliesst die Bewegungsmenge jedoch über das Gravitationsfeld von einem Körper zum andern, sind weder der Impuls- noch der Drehimpulstrom lokalisierbar. Somit fliesst der Drehimpuls, der aus dem einseitig eingespannten Balken weggeht, auf unbestimmten Pfaden ins Innere der Erde ab. Damit der ganze Kreis geschlossen wird, muss der Rotationsmechanik Seite 173 Drehimpuls von dort zum Fundament und durch die Mauer nach oben an das festgehaltene Balkenstück zurückfliessen. Beispiel 38: Ein Körper der Masse m hängt an einem galgenförmigen Kran. Wie sieht der Biegemomentenverlauf in den beiden Teilen des Krans aus? Lösung 38: Wir wählen das Koordinatensystem wie gewohnt mit der x-Achs nach rechts und der y-Achse nach unten. Bei dieser Wahl fliesst vom Gravitatiationsfeld her y-Impuls mit der Stärke m·g in den Körper hinein und von dort über den Quer- und dann über den Vertikalbalken in die Erde ab. Im Querbalken induziert der seitwärts fliessende yImpuls einen streckenproportionalen Zufluss von zDrehimpuls. Dieser Drehimpuls muss ebenfalls über den vertikal ausgerichteten Teil des Galgens an die Erde abgeführt werden. Dort ändert er aber seine Stromstärke nicht mehr. Die nebenstehend abgebildete Skizze zeigt den y-Impulsstrom sowie den Biegemomentenverlauf im Querbalken. Der nicht gezeichnete Momentenverlauf im Vertikalstück ist weniger interessant. Dort ist die Drehimpulsstromstärke konstant und gleich dem Maximalwert im Querbalken. Sobald ein System ausgezeichnet oder eine Schnittfläche definiert wird, heissen Impuls- und Drehimpulsströme Kräfte und Drehmomente. Grenzt man den galgenförmigen Kran gegen die Umgebung ab, lassen sich zwei Kräfte identifizieren. Eine greift vom Seil her an und die andere wirkt vom Boden auf das unteren Ende des senkrecht stehenden Balkens ein. Dort tritt zudem noch ein reines Drehmoment auf. Solange wir dem Kran keine Masse zubilligen, bilden die beiden Kräfte ein Paar, das die Wirkung des reinen Drehmomentes exakt kompensiert. a x y M Mmax= m·g·a x Im soeben diskutierten Beispiel quillt der Impuls volumenmässig aus Impulsströme im Gravitationsdem Gravitationsfeld in den aufgehängten Körper hinein, um dann über feld das Seil und den galgenförmigen Kran an die Erde abzufliessen. Irgendwo im Innern der Erde muss der Impuls wieder ans Gravitationsfeld abgegeben werden, damit er von neuem im Körper erscheinen kann. Der über das Gravitationsfeld fliessende Impuls hinterlässt keine nachweisbaren Spuren. Ohne eine vollständige Gravitationstheorie lässt sich der Weg, den der Impuls im Feld drin einschlägt, nicht verfolgen. Was im Falle des elektromagnetischen Feldes noch exakt möglich ist, nämlich eine vollständige Beschreibung der lokal vorhandenen Energie- und Impulstransportes, schafft man beim Gravitationsfeld nur noch näherungsweise. Zudem ist die zugehörige Theorie, die allgemeine Relativitätstheorie, für solche Überlegungen viel zu kompex. Ohne präzise Kenntnisse der Impulsströme lassen sich keine näheren geschlossene DrehimpulsAngaben über den Verlauf der begleitenden Drehimpulstransporte ma- kreise chen. Deshalb wenden wir uns nun einer statischen Anordnung zu, bei der das Gravitationsfeld nicht an den Transportvorgängen beteiligt ist. Seite 174 Rotationsmechanik Beispiel 39: Zwei gleich lange Balken, die parallel auf einer horizontalen Unterlage ausgerichtet sind, werden von zwei Federn zusammengezogen. In der Mitte zwischen den beiden Federn drückt ein Stab die Balken auseinander. Die Federn sind somit auf zug und der Stab auf druck belastet. Wie fliessen die beiden Impulssorten der zugehörige Drehimpuls durch diese Anordnung hindurch? Lösung 39: Zuerst führen wir ein raumfestes Koordinatensystem ein, das den Impuls in zwei Sorten zerlegt. Die xAchse zeige in Richtung der Balken und die y-Achse soll parallel zu den Federn ausgerichtet sein. Im zusammengedrückten Stab fliesst dann y-Impuls vorwärts d.h. in Richtung der positiven Achse von einem Balken zum andern. Im Balken angelangt, verzweigt sich der Strom. Beide Teilströme fliessen längs der zugehörigen Balkenhälften nach aussen, um dann durch die Federn an den Ursprungsort zurückzuströmen. Mit Hilfe der Formel (9.6) lässt sich der Weg, den der Drehimpuls nimmt, verfolgen. x y Der Drehimpuls fliesst auf der rechten Seite der Anordnung gegen die y-Achse und auf der linken wieder zurück. Der ganze Stromkreis schliesst sich, indem im oberen Balken Drehimpuls nach links und unten nach rechts fliesst. In der Balkenmitte strömt am meisten Drehimpuls durch den Balkenquerschnitt hindurch. An dieser Stelle tritt das grösste Biegemoment auf und dort würden die beiden Bauteile auch auseinanderbrechen, wenn die Belastung zu gross wird. Drehimpulsströme zwischen beschleunigten Körpern In einer statischen Anordnung drin sind Impuls- und Drehimpulsströme lokal verknüpft. Jeder Drehimpulstransport wird von einem Impulsstrom begrenzt und die Verknüpfung lässt sich geschlossen darstellen. Im Anhang habe ich den vollständigen Satz von Verknüpfungsgleichungen angegeben. Wendet man diese Beziehungen auf bewegte Körper an, liefern sie keine eindeutigen Resultate oder führen zu absurden Ergebnissen. Wird nun Vversucht, das Gleichungssystem von den Strömen auf die Speicher zu erweitern, stösst man auf unüberwindliche Schwierigkeiten. Dafür können mindestens zwei Gründe angegeben werden. Einerseits tranportieren die Körpern, indem sie sich bewegen, selber Impuls durch den Raum. Andererseits verlangt die Relativitätstheorie, dass der Drehimpuls im allgemeinen Fall aus sechs und nicht nur aus drei Sorten besteht. Eine dritte Ursache dürfte in der neuen Physik, der Quantenmechanik, zu finden sein. Elementarvorgänge lassen sich gemäss der neuen Philosophie nicht mehr in ein einfaches wenn-dannSchema pressen. Trotz dieser theoretischen Schwierigkeiten eignet sich die Stromdarstellung als Hilfsmittel zur Lösung ausgewählter Probleme. Rotationsmechanik Seite 175 ? Kontrollfragen 6.) 7.) Wann tritt bei einem Balken Biegung auf? Wie fliesst der gravitativ zugeführte Impuls durch eine alte Apothekerwaage hindurch? Wie fliesst der dabei induzierte Drehimpulsstrom? 8.) Welche Grösse wird mit dem Biegemomentverlauf graphisch dargestellt? 9.) Zwei Kinder sitzen auf einer horiozontal ausgerichteten Wippschaukel. Wie verläuft das Biegemoment im Querbalken der Schaukel? 10.) Ein lange Holzlatte, die auf beiden Seiten aufliegt, biegt sich unter dem Eigengewicht durch. Wie sieht der zugehörige Biegemomentenverlauf aus. 11.) Ein stabiler Metallring, der einen Durchmesser von etwa einem halben Meter aufweist, wird diametral mit beiden Händen gepackt. Nun versucht man den Ring zu verformen, indem man ihn mit beiden Händen auseinanderzieht. Wie sieht der dadurch induzierte Drehimpulsstrom aus? 9.3 Impuls- und Drehimpulsströme bei Biegung Im Kapitel 2 haben wir uns ein erstes Mal mit den Eigenheiten des Impulskreisströme schliessen Drehimpulstransportes beschäftigt. Dabei konnten wir festgestellt, dass einen Drehimpulsstrom ein praktisch alle Drehimpulsströme von mindestens einem Impulsstrom umgeben sind. Fliesst zum Beispiel z-Drehimpuls in einem Riementrieb in Richtung der positiven x-Achse, so strömt parallel dazu x-Impuls im Riemen von einer Scheibe zur andern und über die Lager wieder zurück. Im Zusammenhang mit der Biegung sind wir nun ein weiteres Mal auf diesen Sachverhalt gestossen. Damit die einzelnen Drehimpulstransporte besser gegeneinander abgegrenzt werden können, modifiziere ich das letzte Beispiel aus dem vorangegangenen Abschnitt ein wenig. Dazu ersetze ich die beiden Federn durch vier Gewindestangen.Belastet man nun zwei Stangen auf Zug und die beiden andern auf Druck, werden zwei getrennte Impulskreisströme induziert, zwischen denen je ein Drehimpulsstrom fliesst. x y Fig. 9. - 2: Werden zwei Vierkanthölzer mit vier Gewindestangen so fixiert, dass je zwei Verbindungsstäbe auf Druck und zwei auf Zug beansprucht werden, bilden sich zwei getrennt Impulsströme aus, die je einen Drehimpulsstrom umschliessen. Der Drehimpulsstromkreis selber ist über die beiden Balken kurzgeschlossen. Zwischen den beiden linken Gewindestangen fliesst der Drehimpuls ge- die seitliche Begrenzung eines gen die die y-Richtung. Sobald er das Vierkantholz erreicht hat, wird er seitwärts fliessenden Drehimnach rechts transportiert, um dann über das andere Stangenpaar und das pulsstromes Seite 176 Rotationsmechanik zweite Holz an den ursprünglichen Ort zurückzukehren. Die Stärke des in den Hölzern drin fliessenden Drehimpulsstromes heisst, wie wir schon wissen, Biegemoment. Konsequenterweise müsste man die Stärke des zwischen den Gewindestangen fliessenden Drehimpulsstromes auch so nennen. Den Ausdruck Biegemoment verwendet man jedoch nur für die Drehimpulströme, die zur Hauptsache im Innern eines Festkörpers verlaufen. Trotz dieser begrifflichen Nuancen präsentiert sich der ganze Drehimpulskreis als eine Einheit: auf allen vier Abschnitten beranden Impulsströme den Drehimpulstransport. Nur sind die Impulsströme im Balken drin anders als bei den Gewindestangen inhomogen und weniger stark lokalisiert. Sie deformieren aber auch dort das Material und reissen es bei Überbeanspruchung auseinander. Der Impulsstrom, der den Drehimpulstransport im linken Teil der Anordnung 2.-9 umkreist, legt zusammen mit der Breite des durchflossenen Gebietes im Sinne von Kraft mal Hebelarm die Drehimpulsstromstärke fest. Die zugehörige Formel, der zweite Ausdruck in (9.7), darf nun in etwas modifizierter Form auch quer zum Drehimpulsstrom angewendet werden. Dies folgt aus der Erhaltung der beteiligten Grössen. Um eine differenzielle Beschreibung zu ermöglichen, zerlegt man vorgängig das ganze Stromgebiet in beliebig schmale Streifen. Die neue Gleichung gilt dann nur noch für die Stromstärken, die bezüglich solcher Streifen gemessen worden sind. Zugebelastung Die Drehimpuls-Impuls-Verknüpfung längs des Transportweges max. Drehimpulsstrom Der einzige Unterschied zwischen dem Transport im Stangen- und im Balkenbereich liegt bei der räumlichen Verteilung der begleitenden Impulsströme. Bei den Gewindestangen ist der Impuls an die kleinen Querschnitte der Spannelemente gebunden, wogegen er im belasteten Balken durch die ganze Querschnittfläche fliessen kann. Weil bei den beiden Balken diskrete Leiterbahnen fehlen, muss die Verknüpfung zwischen der Impuls- und der Drehimpulsstromstärke differentiell beschrieben werden. Bevor ich die Gleichung formuliere, soll in wenigen Sätzen umschrieben werden, wie der Drehimpuls zusammen mit dem Impuls ein Gebiet durchquert. Auf der linken Seite der Anordnung in Figur 9.-2 fliesst im oberen Balken y-Impuls mit konstanter Stromstärke gegen die x-Richtung und erzwingt dabei gemäss Formel (9.6) eine z-Drehimpulszufuhr. Da die Zufuhrrate pro Streckenabschnitt proportional zum querfliessende Impulsstrom ist und dieser im fraglichen Abschnitt konstant bleibt, ist die Drehimpulsstromstärke gleich dem Produkt aus der Stromstärke des y-Impulses und dem Abstand der beiden Gewindestangen, d.h. das auf dieses Balkenstück einwirkende Drehmoment ist gleich Kraft mal Hebelarm. Im Gegensatz zu vielen früheren Beispielen wissen wir hier aber sehr genau, woher der Drehimpuls kommt: er fliesst zwischen den beiden Gewindestangen zu. Dabei wird er links und rechts von einem y-Impulsstrom begrenzt. Druckbelastung Impulsströme umkreisen den Drehimpulstransport + dI pz+ = − I py ⋅ dx (9.8) Formel (9.8) verknüpft den y-Impulsstrom mit dem z-Drehimpulstrans- Rotationsmechanik Seite 177 port. Sie gilt, solange beide Grössen in y-Richtung fliessen. Die beiden Kreuzchen weisen darauf hin, dass mit I eine differentielle Grösse, also eine Stromstärke pro Streifen mit der Breite dx, gemeint ist. Gleichung (9.8) kann auch auf Ströme angewendet werden, die in x-Richtung fliessen. Dazu muss auf der linken Seite die x-Impulsstromstärke pro dy und das Linienelement in y-Richtung hingeschrieben werden. Zudem fällt das Minuszeichen weg. + ⋅ dy dI pz+ = I px (9.9) Die Kernaussage ist in beiden Gleichungen identisch: ein Drehimpulsstrom kann seine Stärke seitwärts zur Transportrichtung nur ändern, wenn an dieser Stelle ein parallel fliessender Impulsstrom vorhanden ist. Umgekehrt bewirkt jeder Impulsstrom, der in einer statischen Anordnung das Material auf Zug oder Druck belastet, eine Änderung der Stromstärke des parallel dazu fliessenden Drehimpulses. So grenzt bei einem Riementrieb der gespannte Flachriemen das drehimpulsdurchflossene Gebiet seitlich gegen den stromfreien Raum ab. Eine erste Integration der Gleichung (9.8) über x liefert die Änderung, die Integration der lokalen Verwelche die differentielle Drehimpulsstromstärke auf dem zugehörigen knüpfung Abschnitt erfährt. Sucht man nach dem absoluten Wert dieser Grösse, diff. Impulsstromstärke muss die Integration aus einem drehimpulsstromfreien Gebiet heraus erfolgen. Da weder der Drehimpuls noch seine Ströme direkt Spuren hinerste Integration terlassen, ist der experimentelle Nachweis der absoluten Stromfreiheit gar nicht möglich. Die Drehimpulsstromstärke ist immer eine relative diff. Drehimpulsstromstärke Grösse und ihr Wert hängt vom gewählten Bezugspunkt ab. Durch eine zweite Integration zweite Integration über x gewinnt man aus der differentiellen Drehimpulsstromstärke die totale. Damit ist das Berechnungsverfahren für die tot. Drehimpulsstromstärke Materialbelastung bei ebener Biegung im Prinzip festgelegt: aus der Impulsstromverteilung kann durch zweimaliges Integrieren die Drehimpulsstromstärke oder das Biegemoment berechnet werden. Die der Integration zugrundeliegende Funktion, die genaue Impulsstromverteilung, erhält man jedoch erst, wenn die Geometrie des Balkenquerschnitts und das Spannungs-Dehnungsverhalten des Materials bekannt ist. Statt Holzbalken mit quadratischem Vollquerschnitt verwendet man oft der Doppel-T-Träger Doppel-T-Träger aus Stahl. Den Namen verdankt dieser Träger der Form seines Querschnitts, besteht er doch aus einem dünnwandigen Steg und zwei rechtwinklig dazu angeschweissten Gurten. Die Wirkweise eines horizontal ausgerichteten Tägers lässt sich anhand des DoppelT-Balkens sehr gut erklären. Jeder Stützbalken hat primär die Aufgabe, den in einem Gebäude gravitativ zufliessenden Impuls abzuleiten. Indem der Vertikalimpuls im Steg des Doppel-T-Trägers seitwärts zu seiner Bezugsrichtung abfliesst, induziert er einen streckenproportionalen Drehimpulsaustausch. Dieser Drall fliesst dann ebenfalls längs des Balkens. Doch im Gegensatz zum Impuls kann der Drehimpuls nicht einfach über eine der beiden Stützstellen wegfliessen. Der Träger müsste Seite 178 Rotationsmechanik dazu mindestens an einem Ende fest eingemauert sein. Stattdessener wird der induzierte Drehimpulsstrom mit veränderlicher Stärke von einem Balkenabschnitt zum andern transportiert. Dabei erzeugt er einen sekundären Impulsstromkeis, der den Drehimpulstransport beidseits begleitet und dabei die Gurten belastet. Auf der Druckseite strömt der sekundäre Impuls mit und auf der Zugseite gegen seine eigene Bezugsrichtung. Die Funktion der Gurten z-Drehimpuls y-Impuls z-Drehimpuls x-Impuls x-Impuls Drei mengenartige Grössen fliessen bei der ebenen Biegung durch den belasteten Träger: der seitwärts wegfliessende Vertikalimpuls, der dadurch ausgetauschte Drehimpuls und der Horizontalimpuls, der den Drehimpulstransport mit einem Kreisstrom umgibt. Der Querschnitt des Doppel-T-Trägers verknüpft nun diese drei Mengenströme optimal miteinander, d.h. mit möglichst wenig Material wird ein maximaler Drehimpulsstrom weitergeleitet. Der begleitende Impulsstrom ist dabei räumlich ähnlich wie bei den Gewindestangen verteilt. Nur fliesst er statt durch zwei völlig getrennten Leiter hauptsächlich in den beiden starr verbundenen Gurten. Dazwischen baut sich im Belastungsfall auf der ganzen Balkenhöhe ein praktisch homogener Drehimpulsstrom auf. Nur im Bereich des Stegs sieht die Sache etwas komplizierter aus. Dort fliesst neben dem querströmenden Vertikalimpuls auch noch ein schwacher Strom der Horizontalsorte im Kreis herum, was einen zusätzlichen Drehimpuls ermöglicht Beton kann den Impuls nicht zurückleiten Beton, im Brücken und im Hochbau der häufigst verwendete Baustoff, erträgt selber keine Zugspannung. Deshalb werden spezielle Armierungseisen eingelegt, welche die zurückfliessenden Impulsströme aufnehmen müssen. Der Bauingenieur baut also überall dort viel Eisen ein, wo ein Träger eine Zugspannung erleidet. Ein anderes Konstruktionsprinzip lässt schon gar keine Zugspannungen entstehen. Bei den sogenannt vorgespannten Brücken werden die tragenden Elemente mittels Stahlseilen zusammengedrückt. Bevor das Bauwerk belastet ist, fliesst Impuls durch die Zugseile rückwärts und im Beton vorwärts. Sobald Vertikalimpuls abgeleitet werden muss, belasten die dadurch induzierten Drehimpulstransporte die Bauteile auf Biegung. Dann fliesst im unterer Bereich des Querschnitts entsprechend weniger Horizontalimpuls durch den Beton als im oberen Teil. Hookesches Gesetz Viele Werkstoffe zeigen bei kleiner Beanspruchung ein lineares Spannungs-Dehnungs-Verhalten. Besteht ein homogener Trägerbalken aus einem solchen Material, so dürfen wir näherungsweise annehmen, dass eine ebene Querschnittfläche bei Biegung wieder in eine ebene Fläche übergeht. Dann wachsen die Zug- bzw. die Druckspannungen linear mit dem Abstand von den unbelasteten Stellen, den neutralen Fasern, an. Solange sich das Material eines Trägers linear verhält, solange es das Hookesche Gesetz erfüllt, können die Spitzenwerte der Zug- und Druckspannung alleine aus dem Biegemoment und der Geometrie des Querschnitts berechnet werden. Rotationsmechanik Seite 179 Beispiel 40: Bei einem auf Biegung belasteten, rechteckigen Metallbalken sei das Biegemoment an einer bestimmten Stelle bekannt. Der z-Drehimpulsstrom fliesse in Richtung der positiven x-Achse. Dann erzeugt er in der unteren Hälfte eine Zugspannung und im ob eren Teil eine Druckbelastung. Infolge des linearen Materialverhaltens nimmt die Impulsstromdichte von der Oberseite her kontinuierlich ab, bis sie an der Unterseite den kleinsten Wert, die betragsmässig grössten Zugbeanspruchung, erreicht hat. Wie hängt diese Zugspannung mit dem Biegemoment zusammen? Lösung 40: Im Balken der Höhe h fliesst parallel zu dessen Längsachse ein z-Drehimpulsstrom in die positive x-Richtung. Weil der begleitende x-Impulsstrom längs der y-Richtung linear vom grössten Wert (Druckspannung) auf den kleinsten (Zugspannung) abnimmt, ist gemäss Formel (9.8) der zugehörige z-Drehimpulsstrom quadratisch verteilt. Zur formelmässigen Auswertung platzieren wir den Koordinatennullpunkt an die Stelle, an der der Balken nicht belastete ist (die durch die Biegung nicht beanspruchten Balkenelemente heissen auch neutrale Fasern). Damit wächst die differentielle x-Impulsstromstärke proportional zur y-Koordinate an. Nun bezeichnen wir die Proportionalitätskonstante mit -c und integrieren diese Impulsstromstärke pro Breite ein erstes Mal nach y. Als Ergebnis erhalten wir eine quadratische Funktion, die gemäss (9.8) die differentielle Stärke des z-Drehimpulsstromes beschreibt. I Lz+ ( y) = y y + ∫ I px ⋅ dyƒ = ∫ (−c) ⋅ yƒ ⋅ dyƒ = −h / 2 −h / 2 -h/2 + Ipx h/2 y c h2 ⋅ ( − y2 ) 2 4 Weil wir voraussetzen, dass ausserhalb des Balkens kein Drehimpuls transportiert wird, verschwindet die differentielle Drehimpulsstromstärke an der Unter- und an der Oberseite des Balkens. Ihren Maximalwert erreicht diese Grösse im Bereich der neutralen Fasern. Dort kann kein parallel fliessender Impulsstrom ein Änderung der lokalen Drehimpulsstromstärke bewirken. Eine zweite Integration über y liefert das Biegemoment oder die totale Drehimpulsstromstärke. h/2 I Lz = ∫ I ⋅dy = + Lz −h / 2 c h2 c ⋅ h3 2 ⋅ ( − y ) ⋅ dy = ∫ 2 4 12 −h / 2 h/2 Die Zug- oder Druckspannung lässt sich aus der differentiellen Impulsstromstärke berechnen. Dazu dividiert man diese durch die lokale Breite des Balkens. Folglich steigt bei unserem Balken mit rechteckigem Querschnitt und linearem Materialverhalten die Zug- oder Druckspannung auf den Wert (c·h)/(2·b) an. Damit ist der Proportionalitätsfaktor gleich dem zwei-b-Fachen der maximalen Zug- oder Druckspannung dividiert durch die Balkenhöhe. Nun sind wir in der Lage, einen algebraischen Zusammenhang zwischen dem Biegemoment M, d.h. der Drehimpulsstromstärke, und der maximalen Druck- oder Zugspannung σmax herzustellen M = I Lz = c ⋅ h 3 b ⋅ h 2 ⋅ σ max = 12 6 Die Annahme, dass die Zug- oder Druckspannung linear mit dem Abstand von den neutralen Phasern anwächst, dürfte bei Holz kaum zutreffen. Folglich ist der hier hergeleitete Zusammenhang zwischen dem Biegemoment und der maximalen Spannung bei Werkstoffen, die nicht dem Hookeschen Gesetz unterliegen, kaum sehr präzis. Wird der Doppel-T-Balken durch einen einfachen T-Träger ersetzt, fällt Träger mit beliebigem Quermit dem unteren Gurt ein Impulsleiter weg. Der x-Impuls, der bei gravi- schnitt tationsbedingter Biegung im oberen Querband in die negative Koordinatenrichtung fliesst, kehrt dann im Steg drin zurück, womit infolge der Asymmetrie Formel (9.9) nicht mehr direkt angewendet werden darf. Eine eingehendere Untersuchung würde zeigen, dass im einfachen T- Seite 180 Rotationsmechanik Träger ein zusätzlicher Strom induziert wird, der y-Drehimpuls transportiert und den Steg aussen umfliesst. Damit steigt die Zahl der involvierten Mengen auf vier. Selbstverständlich kann man auch diesen Belastungsfall vollständig lokal beschreiben. Nur bilden all die miteinander verhängten Stromdichten ein sehr kompliziertes Rechenschema.. Bei reiner Biegung reicht eine halblokale Beschreibung völlig aus. Die zugehörigen Drehimpulsströme lassen sich dann viel einfacher mit Hilfe des Hebelgesetzes ermitteln. Drehmomente, die auf den Querschnitt einwirken dM dA r z y Ein belastete Trägerbalken transportiert unabhängig von der Geometrie seines Querschnitts Drehimpuls seitwärts zur Bezugsrichtung. Der Impulskreis, der diesen Transport umgibt, beansprucht das Material auf der einen Seite auf Zug und auf der andern auf Druck. Weil sich die Impulsstromdichte innerhalb eines nicht durchbrochenen Querschnitts kontinuierlich ändert, d.h. weil der Übergang von Zug- auf Druckbelastung keine Sprünge aufweist, muss das Material an mindestens einem Punkt spannungsfrei sein. Wenn wir nun gedanklich allen x-Impuls gegen diesen neutralen Punkt strömen lassen, fällt die Berandung für den Drehimpulstransportweg weg. Der Drall könnte so nicht mehr weiter durch den Träger fliessen. Er müsste entweder in diesem Querschnitt gespeichert oder an einen zweiten Stromkreis weitergereicht werden. Mit diesem Gedankengang haben wir den ausgewählten Balkenquerschnitt in einen starrer Körper verwandelt, auf den von einer Seite her die flächig verteilte Schnittkraft ein resultierendes Drehmoment ausübt. Der zugehörige Wert, der dem im Balken transportierten Drehimpulsstrom entspricht, kann durch Summation über alle Teilbeträge berechnet werden. Dazu ist jedem infinitesimal kleinen Flächenstück dA ein eigendes Drehmoment bezüglich der neutralen Faser zuzuordnen. dM = dF × r dF = σ ⋅ dA (9.10) Spannungszustand und Vorzeichen Bei vor- oder rückwärts fliessenden Impulsströmen nennt man die Komponenten der Impulsstromdichten Zug- oder Druckspannung und weist ihnen das Formelzeichen σ zu. Leider entspricht die gängige Vorzeichenwahl nicht der natürlichen Konvention. Fliesst zum Beispiel Impuls gegen die Bezugsrichtung, versieht man die zugehörige Zugspannung mit einem positiven Vorzeichen. Mit Formel (9.10) sind beide Vorzeichenkonventionen erfüllbar. Man muss nur die Orientierung des Flächenelementes dA der Abmachung entsprechend wählen. Gerade Biegung Steht die Bezugsrichtung des im Balken drin transportierten Drehimpulses normal zu einer Symmetrieachse der Querschnittfläche, nennt man die Biegung gerade. Bei gerader Biegung kann mit Hilfe der Formel (9.10) ein formal einfacher Zusammenhang zwischen den Impulsstromdichten, der Spannungsverteilung, und dem Drehimpulsstrom (Biegemoment) hergestellt werden. Das Koordinatensystem, dessen Ursprung in den Schnittpunkt der Symmetrieachse mit der Linie der neutralen Fasern gelegt wird, zeige weiterhin mit der x-Achse in Richtung der beiden Transporte, die y-Achse verlaufe längs der Symmetrieachse und die z-Achse weise in Bezugsrichtung des zu transportierenden Drehimpulses. Dank der Symmetrie darf der ganze Querschnitt in dünne Streifen dy z y Rotationsmechanik Seite 181 zerlegt werden, die alle parallel zur z-Achse verlaufen. Jeder Streifen liefert dann einen Beitrag zum Drehimpulstransport. Der entsprechende Wert ist gleich dem Produkt aus der Stärke des hindurchfliessenden Impulsstromes und dem Abstand des Streifens von der neutralen Faser. Setzt man diesen Zusammenhang in die Formel (9.10) ein und integriert über y, erhält man einen Zusammenhang zwischen dem Biegemoment und der Spannungsverteilung. Mz = I Lz = ∫ σ ⋅ z ⋅ y ⋅ dy I px = ∫ σ ⋅ z ⋅ dy = 0 (9.11) Das zweite Integral in (9.11) soll uns daran erinnern, dass bei der reinen Biegung der x-Impuls im Kreis herumfliesst und seine Stromstärke bezüglich des vollen Querschnittes verschwindet. Die beiden Integrale in (9.11) verknüpfen die Impulsstromdichte mit lineares Materialverhalten dem Impuls- bzw. dem Drehimpulsstrom. Ohne detailierte Kenntnisse des Spannungs-Dehnungsverhaltens kann auch bei gegebenem Biegemoment nicht gesagt werden, wo die Belastungsspitzen auftreten und wie stark sie sein werden. Besteht der Balken zum Beispiel aus einem zähen Metall und überschreitet die Belastung an keiner Stelle des Querschnitts den kritischen Wert, darf voraussetzen werden, dass die Spannung linear mit dem Betrag der y-Koordinate zu- oder abnimmt. Damit wird die Spannung σ zu einer linearen Funktion in y. Im Falle eines linearen Materialverhaltens dürfen wir für die Spannung c·y schreiben, wobei die Konstante c von der jeweiligen Belastung abhängig ist. Mz = I Lz = c ⋅ ∫ z ⋅ y 2 ⋅ dy I px = c ⋅ ∫ z ⋅ y ⋅ dy = 0 (9.12) y Die beiden Integrale in (9.12) enthalten nur noch rein geometrische Grössen. Damit hängt ihr Wert lediglich noch von derkonkreten Gestalt des Querschnittes ab. Das erste Integral heisst Flächenmoment 2. Ordnung. Der Name weist auf die mathematischen Ähnlichkeit mit dem Massenträgheitsmoment hin. Der zweite Ausdruck in (9.12) verlangt, dass der Ursprung des Koordinatensystems in den Flächenschwerpunkt gelegt werden muss, d.h. die neutrale Faser, die auf der Symmetrieachse des Querschnittes liegt, durchstösst den Flächenschwerpunkt. Die bei einer Biegung auftretenden Zug- oder Druckspannungen errei- Flächenmoment 2. Ordnung chen um so grössere Werte, je weiter sich die fragliche Stelle von der neutralen Faser entfernt befindet. Bei linearem Materialverhalten, wenn also die Spannung proportional mit dem Abstand von der neutralen Faser zunimmt, kann das Biegemoment durch nur zwei Einflussgrössen, der maximal auftretenden Spannung und der Geometrie der Querschnittfläche, berechnet werden. Dabei geht die Gestalt der Schnittfläche immer als achsiales Flächenmoment 2. Ordnung in die Berechnung ein. Umgekehrt kann bei bekanntem Flächenträgheitsmoment die maximale Zug- oder Druckspannungen direkt aus dem Biegemoment ermittelt werden. Die Flächenträgheitsmomente der häufigsten Querschnitte findet man in vielen Lehr- und Handbüchern tabelliert. Ein Ingenieur z Seite 182 Rotationsmechanik steht also kaum je vor dem Problem, ein Flächenträgheitsmoment selber berechnen zu müssen. Entweder ist Integration einfach auszuführen, dann findet er die Lösung in einem Buch, oder das Integral ist in keinem Tabellenwerk vorhanden, dann dürfte die Auswertung kaum gelingen. Trotzdem soll man sich nicht nur darauf beschränken, bloss Formeln anwenden zu wollen. Oft lassen sich komplizierte Problemstellungen auf zwei oder drei einfache reduzieren. Eine solche Reduktion kann jedoch nur vornehmen, wer den Zusammenhang prinzipiell und nicht nur formelmässig verstanden hat. Beispiel 41: Ein T-Träger soll einen Drehimpulsstrom der Stärke M weiterleiten. Der Träger wird von einem Gurt der Breite b und einem gleich grossen Steg gebildet. Die Dicke d von Gurt und Steg sind klein im Vergleich zur Kantenlänge b. Zudem steht die Bezugsrichtung des zu transportierenden Drehimpulses normal zur Symmetrieachse des Trägerquerschnittes. Welche Werte nehmen die Impulsstromdichten an der Unterund an der Oberseite des Trägers an? Lösung 41: Der Flächenschwerpunkt liegt auf der Symmetrieachse und teilt die Steghöhe im Verhältnis 1:3. Weil wir die Blechdicke der beiden Teile vernachlässigen, läuft die Integration nur über die Steghöhe. Der Gurt liefert einen additiven Beitrag, der gleich dem Produkt aus seinem Querschnitt und dem Quadrat des Schwerpunktabstandes ist. b/4 Mz = c ⋅ ∫ d ⋅ y 2 ⋅ dy + c ⋅ d ⋅ −3 b / 4 b3 5 = ⋅ c ⋅ d ⋅ b3 16 24 Diese Gleichung lässt sich nach dem Proportionalitätsfaktor c aufösen. Für die maximale Spannung an der oberen Kante kann den Wert c·b/4 und für die untere Kante des Trägers c·b·(3/4) eingesetzt werden. Damit erhält man für die beiden Zugspannungen σ oben = 6 ⋅ Mz 5 ⋅ d ⋅ b2 σ unten = 3 ⋅ σ oben = 18 ⋅ Mz 5 ⋅ d ⋅ b2 Versuchen Sie das Problem nochmals zu lösen, indem Sie für den Steg eine andere Höhe einsetzen. homogen parabelförmig homogen Drehimpulstransport im Doppel-T-Träger Ergänzt man den einfachen T-Träger mit einem zweiten Gurt zu einem Doppel-T-Balken, verschiebt sich der Flächenschwerpunkt in die Mitte des Steges. Die Auswertung des Integrals (9.12) und die anschliessende Umrechnung in die maximale Zug- oder Druckspannung liefert einen Wert (Übungsaufgabe), der deutlich kleiner ist als beim gewähnlichen TTräger. Zudem wird ersichtlich, dass die weiter oben gemachte Annahme, wonach nur die Gurten zum Drehimpulstransport beitragen, nicht exakt zutrifft. Der Steg, in dem ja auch Zug- und Druckspannung herrscht, verstärkt den Drehimpulstransport je nach Abmessungen des Trägers um ein paar Prozent. Funktional gesehen setzt sich ein DoppelT-Träger aus zwei Gurten, die für den Hauptteil des Drehimpulstransportes verantwortlich sind, und einem Steg zusammen, der den Drehimpulstransport wie ein schmaler Balken verstärkt. Weil die Impulsstromdichte (Zug- oder Druckspannung) gemäss unseren Annahmen proportional mit dem Abstand zur neutralen Fasern anwächst, bildet die Drehimpulsstromdichte im ganzen materiellen Querschnitt eine parabelförmige Verteilung. Ausserhalb des Stegs ist der Drehimpulsstrom homogen und die zugehörige Stromdichte ist gleich gross wie auf der Schnittfläche zwischen Gurt und Steg. Rotationsmechanik Seite 183 Ein auf Biegung belasteter T-Träger werde durch die Mitte des Steges in schiefe Biegung zwei symmetrische Teile zersägt. Infolge der Belastung weichen die beiden Hälften des Gurtes mit den Aussenkanten nach unten weg und geben dabei oben bei der Schnittstelle eine Öffnung frei. Das Trennverfahren zeigt, dass der Zusammenhang zwischen Drehimpulstransport und Materialreaktion komplizierter wird, sobald die Bezugsrichtung des durch den Träger fliessenden Drehimpulses nicht normal zu einer Symmetrieachse des Querschnitts steht. Schiefe Biegung nennt der Statiker diesen Belastungsfall. Rein mathematisch lässt sich die schiefe Biegung ebenfalls mit dem Ansatz von Formel (9.10) behandeln. Wiederum ergibt die Summe über alle Teildrehmomente das totale Biegemoment. Einzig die Richtung, in welche die Zug- und die Druckspannung linear ansteigt, steht bei der schiefen Biegung nicht mehr normal zur Bezugsrichtung des Drehimpulses. Infolge dieser geometrischen Komplikation erweist sich die Auswertung der zugehörigen Integration als etwas komplizierter als im symmetrischen Fall. Ich verzichte hier aber auf eine weitere Diskussion der schiefen Biegung und verweise auf die Fachliteratur. ? Kontrollfragen 12.) Wie kann ein Drehimpulstransport nachgewiesen werden? 13.) Wie hängt ein Drehimpulstransport, der seitwärts zur Bezugsrichtung verläuft, mit den begleitenden Impulsströmen zusammen? 14.) Ein Hohlprofil mit quadratischem Querschnitt wird auf Biegung beansprucht. Wie ist der Drehimpulsstrom verteilt? 9.4 Impuls- und Drehimpulsströme bei der Torsion Biegung und Torsion bilden zwei komplementäre Belastungsfälle. Bei Begleit- und Wirbelströme der Biegung wird der Drehimpuls seitwärts transportiert und die begleitenden Impulsströme fliessen entweder vor- oder rückwärts. Torsion tritt auf, sobald Drehimpuls in seine eigene Bezugsrichtung durch einen fex sten Körper strömt. Dann hüllen Impulsströme, die seitwärts fliessen, den durch die tordierte Welle wandernde Drehimpuls vollständig ein. Im x Kapitel 2 haben wir uns ein erstes Mal mit diesem Transportphänom bey y fasst und gesehen, dass der ganze Drehimpulsstrom von einer kompaky ten Hülle aus seitwärts fliessenden Impulsströmen umgeben sein muss. x Infolge eines allgemeinen Symmetrieprinzips darf die eine Sorte Impuls jedoch nur dann in die Richtung einer andern transportiert werden, wenn an derselben Stelle die andere Sorte mit gleicher Stärke in die Bezugsrichtung der ersten fliesst. Diese Regel bewirkt, dass bei der Torsion neben den Impulsströmen, die den Drehimpulstransport begleiten, auch noch Wirbelströme auftreten, die normal zur Transportrichtung fliessen. Der Impuls, der den Drehimpuls bei der Torsion begleitet, fliesst genau die lokale Verknüpfung senkrecht zu seiner Definitionsrichtung. Damit gehören Drehimpuls und Impuls verschiedenen Sorten an. Fliesst also zum Beispiel z-Drehimpuls Seite 184 Rotationsmechanik s durch eine in z-Richtung orientierte Welle, wird dieser Transport von einem Impulsstrom begrenzt, welcher der x- oder der y-Sorte angehört und entweder mit oder gegen die z-Richtung fliesst. Infolge der oben erwähnten allgemeinen Regel über die zugeordneten Schubspannungen muss in jedem Querschnitt auch noch ein Wirbelstrom vorhanden sein, der den Drehimpulstransport vollständig umfliesst. Rein Qualitativ haben wir uns schon in Kapitel 2 mit diesem Schubfluss beschäftigt. Hier geht es nun darum, den Schubfluss-Drehimpuls-Zusammenhang auch noch quantitativ zu fassen. Das zugehörige Gesetz, das aus einer allgemeinen Drehimpuls-Impuls-Verknüpfungen abgeleitet werden kann, besagt, dass der Drehimpuls überall dort seine Stromstärke ändert, wo ein Schubfluss vorhanden ist. djLz = 2 ⋅ j pz ⋅ ds Formel (9.13) verknüpft die Dichte des seitwärts im Querschnitt herumfliessenden Impulsstromes mit der Dichte des in Richtung der tortierten Welle zu transportierenden Drehimpulsstromes. Das Linienelement ds steht normal zum Vektor der Impulsstromdichte jpz. Die vollständige Verknüpfung von Drehimpuls- und Impulsstromdichte ist viel komplexer als Formel (9.13). Eine umfassende Beschreibung dieser Fundamentalbeziehung würde den Rahmen des vorliegenden Lehrbuches sprengen. Hier soll nur dargelegt werden, wieso der vollständige Zusammenhang nicht mit der Vektorrechnung abgehandelt werden kann. Ein Transporte ist vollständig bekannt, wenn an jedem Ort und zu jeder Zeit eine Stromdichte gegeben ist. Jede Stromdichte beschreibt, wieviel von einer bestimmten Menge pro Sekunde und pro Quadratmeter an einem ausgewählten Punkt in eine vorgegebene Richtung transportiert wird. Die einfachste Stromdichte, die als Begriff nicht weiter hinterfragt werden muss, findet man in der Hydraulik. Die dort auftretende Volumenstromdichte, die angibt, wieviel Volumen pro Zeit und pro Fläche an einem Punkt vorbeifliessen, ist uns als Strömungsgeschwindigkeit bestens bekannt. Stromdichten j pxx j pxy j pxz vx v y vz Tensoren j pxx j pyx j pzx j pxy j pyx j pzx (9.13) j pxy j pyx j pzx Erläuterung der lokalen Beziehung Alle Stromdichten, die den Transport einer skalaren Menge wie Masse, Ladung oder Entropie lokal beschreiben, verhalten sich geometrisch analog zur Strömungsgeschwindigkeit, d.h. sie sind zu jedem Zeitpunkt und an jedem Ort als Vektoren darstellbar. Bei mengenartigen Grössen, die selber schon Vektoreneigenschaft besitzen, verhalten sich die zugehörigen Stromdichten wie ein totales oder äusseres Produkt zweier Vektoren. Solche „zweifachen Vektoren“ nennt man Tensoren, weil diese mathematischen Objekte ein erstes Mal beim Spannungszustand oder eben bei der Impulsstromdichte untersucht worden sind. Sobald ein Koordinatensystems fest vorgegeben ist, nehmen Tensoren die Form einer Matrize an. Dreht man das Koordinatensystem um eine bestimmte Achse, gehen die Tensorkomponenten auf kompliziertere Art und Weise ineinander über, als diesVektorkomponenten tun würden. Eine Formulierung, die zwei Transporte lokal miteinander verknüpft, kommt nicht ohne den Begriff der Stromdichte aus. Für die Mechanik bedeutet dies, dass die allgemeine Drehimpuls-Impuls-Beziehung nur Rotationsmechanik Seite 185 mit Hilfe der Tensoranalysis formuliert werden kann. Der Ausdruck in (9.13), der die Änderung einer Komponente der Drehimpulssstromdichte in Abhängigkeit von einer skalar hingeschriebenen Impulsstromdichte beschreibt, enthält also nur einen der vielen Terme, die notwendig sind, um den Drehimpulstransport vollständig mit dem Impulsstrom zu verknüpfen. Zudem habe ich die Schreibweise vereinfacht. Der Index z weist nur auf die transportierte Sorte hin. Die Transportrichtung selber, die üblicherweise mit einem zweiten Index angegeben wird, muss aus einer Skizze entnommen werden. Formel (9.13) setzt voraus, dass der zDrehimpuls in z-Richtung fliesst und der z-Impuls in der x-y-Ebene drin einen Wirbel bildet. Das Linienelement ds muss, damit die Formel exakt gilt, normal zur Impuls- und zur Drehimpulsstromrichtung gemessen werden. Impuls- und Drehimpulsstrom bilden eine Rechtsschraube, d.h. wenn man mit dem Daumen der rechten Hand in die Richtung des Drehimpulstransportes zeigt, geben die andern Finger den Wirbelsinn des Impulsstromes an. Beispiel 42: Ein dünnwandiger Hohlzylinder (Radius r, Wandstärke d) werde auf Torsion beansprucht. Das zu übertragende Drehmoment oder die Stärke des hindurchfliessenden Drehimpulsstromes sei bekannt und habe den Wert M. Wie gross sind die Schubspannungen, die bei dieser Belastung im materiellen Querschnitt des Rohres auftreten? Lösung 42: Weil die Wandstärke des Hohlzylinders klein ist, dürfen wir von einer konstanten Schubspannung τ ausgehen. Die Drehimpulsstromdichte hat dann im Innern des Rohres gemäss Formel (9.13) den konstanten Wert 2·τ·d. Multipliziert man diesen Wert mit der offenen Querschnittfläche des Rohres, erhält man das Drehmoment M. Aufgelöst nach der Schubspannung ergibt dies τ = M/(2·π·d·r2). Beispiel 43: Ein homogener Vollzylinder (Radius R) werde auf Torsion beansprucht. Wieder soll ein Drehimpulsstrom der Stärke M hindurchfliessen. Wie gross sind die grössten Schubspannungen, die bei dieser Belastung auftreten können? Lösung 43: Setzt man für den ganzen Querschnitt ein lineares Materialverhalten voraus, wächst die Schubspannung oder die Stromdichte des Schubflusses von der Symmetrieachse her stetig gegen aussen an. Weil der Drehimpuls nur innerhalb des Zylinderquerschnitts transportiert wird, ergib Formel (9.13) eine Stromdichteverteilung, die auf der Symmetrieachse ein Maximum hat und gegen aussen mit zunehmender Stärke auf Null absinkt. Zur mathematisch exakten Lösung schreibt man die Schubspannung als homogene, lineare Funktion des Radius hin, setzt diese Beziehung in (9.13) ein und integriert einmal längs des Radius von der Mitte bis zur gewünschten Position. Der Wert auf der Achse ist so zu wählen, dass die Drehimpulsstromdichte beim Zylindermantel verschwindet. r r 0 0 jLz (r ) = jLz 0 − ∫ 2 ⋅ j pz ⋅ drƒ = jLz 0 − ∫ 2 ⋅ a ⋅ rƒ ⋅ drƒ = a ⋅ ( R2 − r 2 ) Multipliziert man die Drehimpulsstromdichte mit der Fläche eines Kreisringes der Breite dr und integriert nochmals längs eines Radius von der Mitte bis zum Mantel, erhält man die ganze Drehimpulsstromstärke M. a ⋅ π ⋅ R4 M = ∫ jLz (r ) ⋅ 2 ⋅ π ⋅ r ⋅ dr = 2 0 R τ max = a ⋅ R = 2⋅M π ⋅ R3 Bei gegebener Schubspannungsgrenze nimmt der Maximalwert der Drehimpulsstromstärke mit der dritten Potenz des Radius zu. Verdoppelt man zum Beispiel den Durchmesser einer Welle, so darf achtmal mehr Seite 186 Rotationsmechanik Drehimpuls hindurchfliessen, bis die gleiche Schubspannung erreicht wird wie vorher. lokale und nichtlokale Verknüpfungen nichtlokal: Impulstromdichte Hebelgesetz Integration über Fläche lokal: Impulsstromdichte Drehimpulsstromdichte Integration über Fläche Schubfluss und Höhenlinien Die Spannungsverteilung im verdrehten Vollzylinder haben wir im Kapitel 2 schon einmal angeschaut. Ersetzt man in der Formel (2.3) den Faktor (G·∆ϕ/l) durch a, folgt der gleiche Ausdruck wie in Beispiel 41. Dass ich hier im Gegensatz zum zweiten Kapitel das Formelzeichen M für die Drehimpulsstromstärke verwende, ist eine kleine Konzession an den üblichen Sprachgebrauch und tut nichts zur Sache. Die Herleitung von Formel (2.3) unterscheidet sich jedoch grundlegend von der Lösung im Beispiel 41. Bei der ersten Diskussion des tordierten Stabes ist der Schubspannung über das Hebelgesetz ein Drehmoment zugeordnet worden. Dieses Teildrehmoment liess sich nachher über den ganzen Querschnitt aufsummieren. Oben, bei der zweiten Herleitung, habe ich aus den Randbedingungen und einer Hypothese über das Materialverhalten eine Verteilungsfunktion für die Drehimpulsstromdichte konstruiert. Daraus liess sich die zugehörgie Stromstärke berechnen, indem wir die Stromdichte über die Referenzfläche aufintegriert haben. Im letzten Abschnitt, als die Normalspannungsverteilung bei der gerader Biegung zu berechnen war, bin ich umgekehrten Weg gegangen. Die Zug- und Druckspannungen im einfachen und im Doppel-T-Balken liessen sich noch mit Hilfe der halblokalen Verknüpfungen (9.8) und (9.9) bestimmen. Doch als beim nächsten Beispiel der Querschnitt des belasteten Trägers nur noch eine Symmetrieachse aufwies, musste ich zur alten Methode mit dem Hebelgesetz zurückgreifen. Trotz ihrer komplexen Struktur enthält die lokale Beschreibung Bilder, die das physikalische Verständnis der Transportvorgänge bei Torsion enorm erleichtern. Die Methode funktioniert jedoch nur, falls man ein wirkliches Bild aufbaut und sich nicht etwa nur den Formalismus aneignet. Den ersten Teil der Geschichte kennen wir schon: Drehimpuls wird in seine eigene Bezugsrichtung transportiert, falls der zugehörige Strom überall von einem Impulswirbel umflossen wird. Wohl kann sich dieser querfliessende Impulsstrom verzweigen, doch darf er nirgends verschwinden oder neu auftauchen. Ein Impulsstrom in einem statisch belasteten Bauteil weist nie Quellen oder Senken auf. Aus Formel (9.13) geht nun hervor, dass sich die Drehimpulsstromdichte überall dort ändert, wo ihm ein seitwärts fliessender Impulsstrom in die Quere kommt. Stellt man nun den Impulsstrom durch Stromlinien dar, markieren diese gleichzeitig die Flanken, an denen die Stärke des Drehimpulsstromes ansteigt oder abfällt. Die Impulsstromlinien dürfen damit als Höhenlinien angesehen werden, die angeben, wie gross die Drehimpulsdichte an der jeweiligen Stelle ist. Der Drehimpulsstrom ändert also immer nur an den Stellen seine Dichte, an denen ein Impulsstrom normal zu seiner Transportrichtung querfliesst. In den Hohlräumen des tortierten Stabes, dort wo keine Schubspannungen auftreten können, bleibt die Dichte des Drehimpulsstromes konstant. Durch nichtmaterielle Querschnitte fliessen also bestenfalls homogene Drehimpulsströme. Rotationsmechanik Seite 187 jLz Fig. 9. - 3: Die Skizze links zeigt die Stromlinien des in einem verdrehten Stab mit rechteckigem Querschnitt querfliessenden Impulsstromes. Rechts ist die Dichte des längs der Stabachse beförderten Drehimpulsstromes in Funktion der grösseren Symmetrieachse des Querschnittes aufgetragen. Die Drehimpulsstromdichteverteilung kann man sich immer als Gebirge vorstellen. Die Stromlinien des querfliessenden Impulses bilden dann die Höhenlinien. Durch Integration der Drehimpulsstromdichte über den Querschnitt des das Volumen als Drehimpulstordierten Stabes erhält man die totale Stromstärke. Übersetzt ins Bild stromstärke mit dem Hügel und den Höhenlinien bedeutet dies, dass das Volumen des Hügels gerade das auf eine Fläche einwirkende Drehmoment darstellt. Ist die Stromdichteverteilung des Impulswirbels für einen bestimmten Profilquerschnitt bekannt, kann mit Hilfe von (9. 13) die zugehörige Drehimpulsstromdichte ermittelt und graphisch als Gebirge über der Geometrie des Querschnittes gezeichnet werden. Das zugehörige Volumen ist dann proportional zur totalen Stromstärke des hindurchfliessenden Drehimpulses. Die Drehimpuls-Impulsstromverknüpfung basiert auf einer Aussage, Materialgesetze und Methode wonach die Dichte des querfliessenden Impulsstromes die Änderung der der finiten Elemente Drehimpulsstromdichte festlegt. Zudem darf ausserhalb des verdrehten Stabes die Drehimpulsstromdichte gleich Null gesetzt werden. Vom Impuls aus gesehen wächst die Drehimpulsstromdichte immer von links nach rechts an, d.h. der querfliessende Impulsstromwirbel und der Drehimpulsstrom bilden, wie weiter oben schon einmal erwähnt, eine Rechtsschraube. Die genaue Stromdichteverteilung innerhalb des Impulswirbels kann berechnet werden, sobald man weiss, wie das durchflossene Material auf die Belastung reagiert. Bei Metallen und bei nicht allzuhoher Belastung darf angenommen werden, dass sich das Material proportional mit derSchubspannung verformt. Unter diesen Umständen ist die zugehörige Differentialgleichung linear und für geometrisch einfache Randbedingungen geschlossen lösbar. Mit der Methode der finiten Elemente, lassen sich die Schubspannungen auch bei beliebigen Querschnittsflächen und sogar bei nichtlinearer Materialreaktion recht genau brechnen. Bei dünnwandigen Profilen sind die querfliessenden Impulsströme fast dünnwandige Profile homogen und die Materialgesetze spielen nur noch eine untergeordnete Rolle. Das Verhältnis zwischen der Drehimpulsstromstärke oder dem totalen Drehmoment und den auftretenden Schubspannungen hängt dann nur noch von der Geometrie des Querschnitts ab. Seite 188 Rotationsmechanik Beispiel 44: Auf ein Hohlprofil mit quadratischem Querschnitt (Seitenlänge 22 mm, Wandstärke 2 mm) wirkt axial ein Drehmoment von 4 Nm ein. Man schätze die Scherspannunen ab, die in den Querschnittflächen drin auftreten. Lösung 44: Vereinfachend darf angenommen werden, dass der ganze Drehimpulstransport als homogener Strom durch eine Fläche von 4 cm2 hindurchtritt. Die zugehörige Stromdichte beträgt demnach 10’000 N/m. Diese Stromdichte wird von einem querfliessenden Impulsstrom aufgebaut, der nur 2 mm breit ist. Für die zugehörige Stromdichte liefert Formel (9. 13) einen Wert 2.5 MPa oder 250 N/mm2. Der mit dieser Abschätzung ermittelte Wert dürfte auf den grössten Teil des materiellen Querschnittes in etwa zutreffen. Nur bei den Kanten, dort wo der Impuls um eine enge Kurve fliessen muss, könnte es zu namhaften Abweichungen kommen. der Schubfluss als physikalische Grösse Die Stärke des querfliessender Impulsstrom kann mit mit dem Begriff Schubfluss umschrieben werden. Der Schubfluss misst den im Kreis herumfliessenden Impuls pro Profillänge. Man erhält den Schubfluss durch Integration der Schubspannung über die ganze Breite eines einzelnen Impulsstromzweiges. Der Schubfluss als Grösse ist demnach gleich der Hälfte der Änderung der Drehimpulsstromdichte zwischen den beiden „Ufern“ des zugehörigen Impulsstromarmes. Schubflussumkehr Der Querschnitt eines Profilstabes bietet dem Impulsstrom oft keine geschlossene Rundstrecke. Dann muss der durch die Torsion induzierte Impulsstrom einzelne Streckenabschnitte zweimal durchfliessen. An solchen Stellen schrumpft die vom Impulswirbel umflossene Fläche stark zusammen. Entsprechend klein wird dann der zugehörige Wert des Drehimpulsstromes. Entfernt man zum Beispiel bei einem Hohlprofil mit quadratischem Querschnitt die eine Seitenfläche, kann der Impuls nur noch im verbleibenden U herumfliessen. Ein U-Profils vermag deshalb nur vergleichsweise wenig Drehimpuls in Bezugsrichtung transportieren. Eine ähnliche Verminderung der Torsionssteiffigkeit tritt auch bei einer runden Hohlwelle auf, sobald man diese längs einer Mantellinie aufschlitzt. jLz Fig. 9. - 4: Der Schlitz in einem auf Torsion belasteten Rohr zwingt den Impulsstrom zur Umkehr. Er umfliesst deshalb eine wesentlich kleinere Fläche als beim intakten Rohr. Entsprechen klein wird denn auch der „Drehimpulsstromdichtehügel“. Die Skizze ganz rechts zeigt die Drehimpulsstromdichteverteilung über einem beliebigen Durchmesser für die beiden Belastungsfälle. Rotationsmechanik Seite 189 ? Kontrollfragen 15.) 16.) 17.) 18.) 19.) Wie fliesst der Drehimpuls bei Biege- und bei Torsionsbelastung durch das belastete Bauteil hindurch? Wie fliessen die begleitenden Impulsströme bei Biegung? Wie bei Torsion? Formulieren Sie die Drehimpuls-Impulsstromdichte-Verknüpfung bei der Torsion mit Ihren eigenen Worten! Welche Einheit hat der Schubfluss als physikalische Grösse? Wie hängt der Schubfluss mit der Drehimpulsstromdichte zusammen? 9.5 Zur Statik des starren Körpers Jeder starre Körper vermag Impuls und Drehimpuls zu speichern. Wird Aufgabe der Statik ein Objekt festgehalten, fliessen beide Mengen verzögerungsfrei hindurch. Der Statik kommt nun die Aufgabe zu, die zugehörigen Kräfte und Drehmomente zu identifizieren, d.h. die Statik beschreibt, wieviel Impuls und wieviel Drehimpuls das System über die verschiedenen Kanäle mit der Umgebung austauscht. In der Statik untersucht man jedoch nicht, wie der Impuls durch den Körper hindurchfliesst. Solche Fragestellungen sind Gegenstand der Festigkeitslehre. Weil ein System Drehimpuls auch über unbelastete Oberflächenstücke abgeben oder aufnehmen kann, bietet die korrekte Darstellung aller Drehmomentmacht einige Schwierigkeiten. Dies erfordert oft ein systematisches, rezeptartiges Vorgehen. In einem ersten Schritt grenzt man das zu untersuchende Objekt gegen Schnittprinzip die Umgebung ab und identifiziert alle Kräfte und Drehmomente. Da sämtliche sechs skalaren Mengen der Mechanik durch ein einziges Oberflächenstück ein- oder austreten können, wirkt im allgemeinen Fall auf eine einzige Schnittfläche eine beliebig gerichtete Kraft und ein davon unabhängiges Drehmoment ein. Neben den Oberflächenkräften muss die Gewichtskraft gesondert berücksichtigt werden. Diese Kraft berechnet sich immer durch das Produkt aus der Masse des Systems und der lokal messbaren Gravitationsfeldstärke. Am besten zeichnet man den ausgewählten Körper als separate Skizze und markiert alle Einwirkungen (Kräfte und Drehmomente) mit je einem Pfeil. Die GesamtwirFG kung der Gewichtskraft wird mit einem einzigen Vektor dargestellt, dessen Wirklinie den Schwerpunkt enthält. In der ebenen Darstellung ersetzt man mit Vorteil den Drehmomentenvektor durch einen gebogenen Pfeil, dessen Spitze in Wirkrichtung weist. Grössen, die durch die Aufgabenstellung bekannt sind, müssen korrekt, also mit Angabe des Betrages und der Richtung angegeben werden. Alle nichtspezifizierten Einwirkungen dürfen mit einem frei gewählten Pfeil markiert werden. Die zugehörigen Werte gehen dann als Unbekannte in die Gleichgewichtsbetrachtung ein. Ein System heisst statisch bestimmt, wenn jeder Freiheitsgrad durch statisch bestimmt eine eindeutig identifizierbare Bedingung eingefroren worden ist. Da an einer einzigen Befestigungsstelle bis zu sechs Freiheitsgrade eliminiert FW MW Seite 190 Rotationsmechanik werden können, ist ein einseitig eingemauerter Balken schon vollständig fixiert; er lässt sich durch keine Einwirkung mehr Bewegen. Wird der fest eingespannte Balken am andern Ende zusätzlich gestützt, kann im Belastungsfall nicht mehr gesagt werden, an welcher Stelle welche Kräfte und Drehmomente einwirken. Der zweiseitig eingemauerte Balken ist demnach statisch überbestimmt. eingefrorene Freiheitsgrade Kugel einwertige Lagerung statisches Drehmoment P + s F r r r M= F ×s zur Lösungsstrategie Die Art, wie der Körper an einer bestimmten Stelle festgehalten wird, entscheidet darüber, wieviele Freiheitsgrade dort „eingefroren“ werden. Eine ebene Fläche kann bis zu drei Freiheitsgrade einschränken, wobei die Tangentialkräfte in ihrem Betrag durch die Haftreibungsbedingung beschränkt sind. Man könnte nun eine Tabelle mit allen möglichen Befestigungsarten erstellen und jedesmal angeben, wieviele Freiheitsgrade damit eingefroren werden. Ich verzichte hier auf eine vollständige Diskussion der möglichen Fälle. In einer konkreten Situation wird mit etwas Erfahrung und gründlichem Überlegen recht schnell klar, mit welchen Kräfte und Drehmomenten welche Bewegungsmöglichkeiten eingeschränkt werden. Beim Freischneiden sollte man sich aber jedesmal vergewissern, wie die entsprechende Kraft im allgemeinsten Fall gerichtet sein könnte und ob eventuell zusätzlich ein reines Drehmoment auftritt. Drehmomente, die in Begleitung einer Kraft auf einen starren Körper einwirken, haben wir in Kapitel 2 schon untersucht. Dabei haben Sie gelernt, dass sich jedes dieser Drehmomente als Produkt aus dem Betrag der Kraft und dem Abstand der Wirklinie vom Massenmittelpunkt berechnen lässt. Die Massenmitte ist der Ort, von dem alle Impulsströme im Mittel wegfliessen oder auf den sie zuströmen. Deshalb zeichnet das Trägheitszentrum den Punkt aus, auf den die Drehmomente der Einzelkräfte zu beziehen sind. In der Statik verliert nun der Massenmittelpunkt seine dynamische Bedeutung. Einzig bei der Reduktion der Gravititationswirkung auf eine Einzelkraft spielt er als Schwerpunkt noch eine gewisse Rolle. Das statische Drehmoment kennt keine geometrischen Einschränkungen: beim ruhenden Körper darf ein beliebiger Punkt ausgewählt und alle Drehmomente auf diesen Ort bezogen werden. Dies funktioniert, weil der festgehaltene Körper selber weder Impuls noch Drehimpuls zu speichern vermag, weil alle beteiligten Mengen nur noch durch das System hindurchfliessen. Eine weitere Begründung liefert die Rotatormechanik (Kapitel 8). Der ruhende Körper kann theoretisch um jede beliebige Achse in Rotation versetzt werden. Unter diesem Gesichtspunkt muss das Drehmoment der einwirkenden Kräfte auf die Rotationsachse bezogen werden. Weil aber durch jeden ausgewählten Punkt immer ein ganzes Bündel von frei wählbaren Drehachsen läuft, sind die Drehmomente aller Kräfte auf diesen einen Punkt zu beziehen. Gleichgewicht wird so zu einem Spezialfall von mehreren möglichen Rotatorbewegungen. Probleme aus der Statik löst man am sichersten mit einer eindeutigen Strategie. Dazu eignet man sich ein gut strukturiertes Rezept an. Zuerst wählt man den zu untersuchenden Körper aus und überlegt sich genau, Rotationsmechanik Seite 191 was dazu gehört und was man weglassen möchte. Dann schneidet man das ausgewählte System frei, d.h. man bestückt jede Kontaktfläche mit höchstens einem Kraft- und einem Drehmomentenvektor. Vorgegebene Werte sind korrekt anzugeben, unbestimmten Grössen weist man eine willkürlich gewählte Bezugsrichtung zu. Als nächstes entscheidet man sich für einen geeigneten Punkt und setzt dort den Ursprung des Koordinatensystems hin. Bezugspunkt und Richtung der Koordinatenachsen sind so zu wählen, dass der Rechenaufwand minimal wird. In einem weiteren Schritt formuliert man dann die sechs Gleichgewichtsbedingungen. Enthält das Gleichungssystem genau sechs unbekannte Grössen, besitzt es in der Regel eine eindeutige Lösung. Am Anfang wende man dieses Lösungsschema auf ebene Problemstellungen an. Obwohl mit dieser Einschränkung pro System nur drei Gleichungen aufgestellt und gelöst werden müssen, können schon recht komplexe Problemstellungen auftreten. Beispiel 45: Der nebenstehend skizzierte Balken (Masse 15 kg, Länge 2.4 m) wird mit einer Kraft von 250 N belastet. Die Wirkungslinie der Kraft steht 30˚schief zur Vertikalen. Das linke Lager kann horizontale und vertikale Kräfte aufnehmen. Das rechte Lager kann nur vertikal belastet werden. Beide Lager sind symmetrisch zum Balken angeordnet und ihr gegeseitiger Abstand beträgt 1.6 m. Wie gross sind die Lagerkräfte? Lösung 45: 30˚ 1600 F 15 kg Zuerst schneiden wir den Balken frei, d.h. wir zeichnen alle Kräfte ein, die auf das System einwirken. y Dann führen wir ein Koordinatensystem ein, dessen F Ursprung bei der linken Stützstelle liegt. Mit dieser Wahl sorgen wir dafür, dass der Lagerkraft links kein FAv FB Drehmoment zugewiesen werden muss. Dies vereinfacht die Rechnung. x Die Kräfte, die von der linken Stützstelle her einwirF ken, sind leicht versetzt skizziert. Dies hat mit der graAh phischen Gestaltung zu tun und beeinflusst die hier FG durchgeführte Rechnung nicht. Die Dicke des Balkens berücksichtigen lassen wir unberücksichtigt. Das Gleichungssystem enthält drei Aussax : FAh − F ⋅ sin 30 = 0 gen. Die erste verlangt, dass die Summe über aller horizontalen Kräfte gleich Null y : FAv + FB − FG − F ⋅ cos 30 = 0 ist. Die zweite Gleichung fügt alle vertikalen Kräfte zu einer Nullsumme zusammen R : FB ⋅ 1.6 m − F ⋅ cos 30⋅1.2 m − FG ⋅ 0.8m = 0 und die letzte Aussage postuliert das Rotationsgleichgewicht. Aus der ersten Gleichung folgt, dass die horizontale Komponente der Lagerkraft links gleich gross ist wie die entsprechende Komponente der schief wirkenden Kraft, also 125 N. Das Rotationsgleichgewicht liefert für die Auflagekraft rechts einen Wert von 236 N. Aus der Gleichgewichtsbedingung in y-Richtung lässt sich noch die letzte Grösse, die Vertikalkomponente beim linken Lager, ermitteln. Für diese Grösse erhält man 127.7 N. Die hier skizzierte Strategie zur Lösung von Statikproblemen lässt sich auf praktisch alle Aufgaben ausdehnen. Schwierigkeit treten hauptsächlich beim Freischneiden auf. So erweisen sich viele Annahmen, die man Seite 192 Rotationsmechanik zur Wirkrichtung einzelner Kräfte macht, bei sorgfälltiger Prüfung als falsch oder zu eingeschränkt. ? Kontrollfragen 20.) Wieviele Freiheitsgrade besitzt ein starrer Körper in der Ebene? Wieviele im Raum? 21.) Wieviele Freiheitsgrade schränkt eine starre Achse ein? 22.) Ein Körper soll so festgehalten werden, dass er keine Translation aber eine beliebige Rotation ausführen kann. Wie sieht eine solche Einspannvorrichtung aus? 23.) Wie berechnet man das Drehmoment einer Kraft in der Statik? 24.) Wie sieht das Gleichungssytem aus, welches das Gleichgewicht eines starren Körpers vollständig beschreibt? Zusammenfassung von Kapitel 9 Seile und Pendelstützen übertragen Impuls ohne sich durchzubiegen. Demnach fliesst die Bewegungsmenge durch diese Bauteile hindurch, ohne Drehimpuls mitzunehmen. Mathematisch manifestiert sich die Forderung nach biegefreiem Impulstransport in der Verknüpfung der Stromstärke mit dem durchflossenen Streckenabschnitt. Gemäss einer allgemeinen Relation muss der Quotient aus Impulsstromstärke und zugehörigem Wegstück für alle drei Koordinatenrichtungen gleich gross sein. Schneidet man das unter Zug stehende Seil oder die belastete Pendelstütze quer zur Stromrichtung entzwei, zeigen die beiden Pfeile der neu entstandenen Kraftvektoren denn auch exakt in Transportrichtung. Impuls, der quer zu seiner Bezugsrichtung fliesst, induziert einen Drehimpulsaustausch. Die Austauschrate ist proportional zum Produkt aus Impulsstromstärke und seitliche Versetzung des Stromes. Zudem stehen Impuls, Transportrichtung und Drehimpuls rechtwinklig zueinander. Fliesst also in einem Balken x-Impuls in y-Richtung, wird auf der ganzen Transportstrecke entweder z-Drehimpuls zu- oder weggeführt. Weil der fest verankerte Träger selber keinen Drehimpuls speichert, leitet er diesen unmittelbar weiter. Deshalb induziert beim beidseits aufliegenden Balken der gravitativ zufliessende Impuls auf dem einen Teil eine Drehimpulszufuhr und auf dem andern eine entsprechende Abfuhr. Die Festigkeit des Balkens sorgt dafür, dass der Drehimpuls verzögerungsfrei vom Ort des Zuflusses zu der Stelle geführt wird, an der er wieder verschwinden kann. Der im Träger seitwärts fliessende Drehimpulsstrom wird beidseits von je einem Impulsstrom eingegrenzt. Diese Ströme belasten den Träger in der Regel bedeutend stärker als der Primärstrom, der den Drehimpulstransport ausgelöst hat. Weist der Querschnitt des Trägers zwei zueinander senkrecht stehende Symmetrieachsen auf und zeigt die eine in Bezugsrichtung des Drehimpulses, hängen die Stromstärken von Drehimpuls und begleitendem Impuls recht einfach zusammen: die Impulsstromstärke legt fest, wie stark sich an dieser Stelle der Drehimpulsstrom ändert. Bei der mathematischen Formulierung dieser Aussage müssen sowohl der Impuls- als auch der Drehimpulsstrom differentiell, d.h. pro Höhenabschnitt, angegeben werden. Dabei ist die Höhe immer parallel zur zweiten Symmetrieachse zu messen. Weist der Querschnitt nur eine Symmetrieachse auf, greift man mit Vorteil auf die klassische Beschreibung zurück. Zu diesem Zweck zerlegt man den ganzen Querschnitt in lauter kleine Stücke und ordnet den zugehörigen differentiellen Impulsstromstärken je einen Drehimpuls bezüglich der die Symmetrieachse durchstossenden neutralen Faser zu. Die Summation über alle Teilflächen liefert dann die korrekte Drehimpuls-Impulsstrom-Verknüpfung. Wird vorausgesetzt, Rotationsmechanik Seite 193 dass sich die Querschnittfläche unter Belastung infolge linearem Materialverhalten nur abgekippt, kann die Verknüpfung rein geometrisch mit Hilfe des sogenannten achsialen Flächenträgheitsmomentes angegeben werden. Seite 194 Rotationsmechanik 10. Rotierende Bezugssysteme Damit ein starrer Körper seinen Bewegungszustand ändert, muss er mit einem zweiten System Impuls oder Drehimpuls austauschen können. Fehlt ihm diese Möglichkeit, so behält er seine Geschwindigkeit und seine Winkelgeschwindigkeit bei. Bis jetzt haben wir uns keine Gedanken darüber gemacht, wie man diese beiden Grössen weit draussen im All messen kann. Auf der Erdoberfläche ist dies kein Problem. Hier kann immer ein festes Koordinatensystem eingeführt werden, bezüglich dem die Bewegung eines Objektes beschrieben wird. Sobald vier feste Punkte auf dem starren Körper auswählt sind, kann man diese in der Zeit verfolgt und die Werte der zugehörigen Ortsvektoren laufend ermittel. Aus diesen Angeben kann dann ermittelt werden, wie schnell sich das ausgewählte Objekt bewegt und mit welcher Winkelgeschwindigkeit es rotiert. Aufgrund unserer irdischen Erfahrungen, stellen wir uns den Weltraum als Kasten vor, in dem sich all die Galaxien mit ihren Sternen und ihren sonstigen Objekten bewegen. Die absolute Ruhe lässt sich jedoch experimentell nicht feststellen. Wir können einzig das gewichtete arithmetische Mittel über die Geschwindigkeiten sehr vieler Objekte in der Umgebung unseres Sonnensystems bilden und uns ein Koordinatensystem vorstellen, das mit dem so ermittelten Massenmittelpunkt fest verbunden ist. Bezüglich dieses Ruhesystems dürfen wir dann die Bewegung der Körper studieren und die zugehörige Impuls- und Drehimpulsbilanz aufstellen. Wählen wir nun gedanklich ein zweites Bezugssystem, das sich gegenüber dem Ruhesystem mit einer konstanten Geschwindigkeit bewegt, sieht die Impulsbilanz oder das Grundgesetz der Translationsmechanik genau gleich wie vorher aus. Weil im neuen Bezugssystem nur der Impulsinhalt, aber nicht die zugehörige Änderungsrate einen andern Wert angenommen hat, sind die Impulsströme oder Kräfte gleich gross, wie im alten Bezugssystem. Alle Bezugssysteme, die sich gegenüber dem Fixsternenhimmel mit einer konstanten Geschwindigkeit bewegen, nennt man Inertialsysteme. Bezüglich dieser ausgewählten Klasse von Systemen darf die Impuls- und die Drehimpulsbilanz formuliert werden. Obwohl Einstein schon vor mehr als siebzig Jahren gezeigt hat, dass alle denkbaren Bezugssysteme bei geeignet gewählter Koordinatentransformation gleichberechtigt sind, wollen wir bei der alten Idee der Inertialsystem bleiben und uns fragen, wie die Mechanik von einem rotierenden Bezugssystem aus formuliert werden muss. Wir stellen uns also vor, dass wir auf einem rotierenden Teller sitzen und dabei felsenfest überzeugt sind, dass dieses Karussell ruht und die Umgebung gegenläufig rotiert. Dies ist genau die Vorstellung, die unsere Urahnen von der Erde und dem Himmel hatten. Seltsamerweise funktioniert die Mechanik auch in einem rotierenden Bezugssystem. Der Grund ist im Äquivalenzprinzip zu suchen, wonach sich die schwere Masse auf keine Art und Weise von der trägen unterscheidet. Damit die Karussellmechanik in sich konsistent bleibt, muss eine feldinduzierte Kraft eingeführt werden. Den ortsabhängigen Teil dieser Trägheitskraft nent man Zentrifugalkraft und den geschwindigkeitsabhängigen Anteil Corioliskraft. Mit diesen beiden Korrekturtermen darf auf jedem gegenüber dem Fixsternenhimmel rotierender Bezugssytem Mechanik betrieben werden. Wie dies im Detail zu geschehen hat und welche Auswirkungen diese beiden Schein- oder Trägheitskräfte auf das Bewegungsverhalten der einzelnen Körper hat, soll in diesem Kapitel näher untersucht werden. Mit der Ausweitung der Mechanik auf rotierende Bezugssysteme erhalten wir eine Theorie, die immer dann eingesetzt werden kann, wenn es gilt, Vorgänge auf rotierenden Maschinenbestandteilen zu untersuchen. Nebenbei werden wir noch begreifen, wieso wir von der Erdrotation eigentlich nitchts spüren. Rotationsmechanik Seite 195 ! Lernziele 1. In einem rotierenden Bezugssystem das Grundgesetz der Mechanik formulieren können. 2. Die potentielle Energie eines Körpers im rotierenden Bezugssystem berechnen können. 3. Wissen, wie man die Corioliskraft bestimmt, die auf einen irdischen Körper einwirkt. 10.1 Grundgesetz und absoluter Raum Die Impulsbilanz, das Grundgesetz der Translationsmechanik, ver- der ruhende Weltraum knüpft die Impulsströme mit der Inhaltsänderungsrate, beziehungsweise die einwirkenden Kräfte mit der Beschleunigung. Mit Hilfe dieser Gleichung darf von den Kräften auf die Beschleunigung oder von der Beschleunigung auf die resultierende Kraft geschlossen werden. Weil für die Gewichtskraft im Gegensatz zu den Einwirkungen an der Oberfläche keine unmittelbare Messmethode existiert, kann das Gewicht entweder nur statisch über eine Kompensationskraft oder rein dynamisch über die Beschleunigung bestimmt werden. In beiden Fällen setzt die Messmethode ein Bezugssystem voraus. Newton selber ging von einem absolut ruhenden Raum aus, bezüglich dessen sein Grundgesetz anzuwenden ist. Doch auch er konnte kein Verfahren für den direkten Nachweis dieses Raumes angeben. Im neunzehnten Jahrhundert befasste sich Ernst Mach die Idee des absoluten Raumes. Dabei kam er zum Schluss, dass das Vorhandensein der Fixsterne für die Trägheit der einzelnen Körper verantwortlich sei. Nach der Machschen Vorstellung spannen die Fixsterne den absoluten Raum auf. Sobald man die Idee des absolut ruhenden Raumes akzeptiert hat, folgt Inertialsysteme aus dem Grundgesetz oder Aktionsprinzip von Newton, dass alle nichtrotierenden, gleichförmig bewegten Bezugssysteme mechanisch gleichwertig sind. Misst man nämlich die Beschleunigung eines ausgewählten Körpers bezüglich eines dieser Systeme, erhält man jedesmal den gleichen Wert. Weil die Beschleunigung die einzige geometrische Grösse ist, die in das Grundgesetz eingeht, stimmt die Kräftesumme jedesmal mit dem Produkt aus Masse und Beschleunigung überein. Das Grundgesetz der Mechanik gilt somit für die ganze Klasse der gegeneinander gleichförmig bewegten Bezugssysteme. Insbesondere behält ein kräftefreier Körper seine Relativgeschwindigkeit bezüglich des in einem dieser Systeme sitzenden Beobachters bei. Weil damit der Trägheitssatz von Galileo Galilei in all den zum absoluten Raum gleichförmig bewegten Bezugssystemen seine Gültigkeit beibehält, nennt man diese auch Inertialsysteme. ? Kontrollfragen 1.) 2.) Welche Kraft ist nicht direkt als Impulsstromstärke messbar? Weshalb hat Newton den absolut ruhenden Raum eingeführt? Seite 196 3.) Rotationsmechanik Wodurch unterscheidet sich ein Inertialsystem von den andern Bezugssystemen? 10.2 Verallgemeinertes Relativitätsprinzip und Trägheitsfelder Schwere und Trägheit Das Wort Masse steht für zwei verschiedene Eigenschaften der Materie. Die eine, die statisch messbare Eigenschaft der schweren Masse, bestimmt die Stärke, mit der ein Körper an ein Gravitationsfeld koppelt. Man könnte diese Grösse in Anlehnung an die Elektrostatik auch Gravitationsladung nennen. Die zweite Eigenschaft, die träge Masse, legt die Geschwindigkeitsänderung eines Körper bei gegebenem Impulsaustausch fest. Die träge Masse verhält sich bezüglich des Impulses kapazitiv. Aus der klassischen Mechanik heraus lässt sich keinen zwingenden Grund für die Identität dieser beiden Grössen angeben. Deshalb wurde seit Newton immer wieder nach einem kleinen Unterschied zwischen diesen beiden Eigenschaften der Materie gesucht. In ausgeklügelten Experimenten hat man zwei verschiedene Stoffe miteinander verglichen und dabei gehofft, dass das Verhältnis von Schwere und Trägheit um einen kleinen Bruchteil voneinander abweichen. Experimentell ist bis auf eine relative Genauigkeit von eins zu einer Billion nie ein Unterschied festgestellt worden. Weil bis heute kein Unterschied auszumachen ist, dürfen die beiden Eigenschaften gleich gesetzt und mit der gleichen Einheit gemessen werden. Einstein hat diese Identität von schwerer und träger Masse als eine Basisidee in seine Relativitätstheorie aufgenommen. Würde ein kleiner Unterschied zwischen Schwere und Trägheit festgestellt, so müsst die allgemeine Relativitätstheorie wenigstens modifiziert werden. frei fallende Systeme sind lokal inertial Die Äquivalenz von schwerer und träger Masse stellt die Idee des Inertialsystems in Frage. Lässt man zum Beispiel im innern einer Weltraumstation einen Körper los, behält dieser seine Geschwindigkeit bezüglich der Raumkapsel bei. Diese Erscheinung ist eine direkte folge der Gleichheit von Schwere und Trägheit: weil die Gravitationskraft proportional zur schweren Masse ist und die Trägheit den Zusammenhang zwischen Impulsaustausch und Beschleunigung festlegt, wird jeder Körper im Umfeld der Kapsel gleich beschleunigt, d.h. die Beschleunigung eines frei fallenden Körpers ist immer gleich der Gravitationsfeldstärke. Frei fallende Körper müssen untereinander gar keinen Impuls austauschen um zusammenzubleiben. Da sie ohnehin mit der gleichen Beschleunigung bewegt werden, genügt es, dass sie irgend einmal gleich schnell gewesen sind. Ein um die Erde fallender Astronaut fühlt sich deshalb schwerelos. Alle seine Organe erfahren in jedem Moment die gleiche Beschleunigung, ohne dass der Impuls im seinem Körperinnern herumtransportiert wird. Zwischen den eigentlichen Inertialsysteme, die sich weit weg von Gravitationszentren gleichförmig gegen den Sternenhimmel verschieben, und den frei fallenden lässt sich experimentell kein Unterschied feststellen. Einstein hat denn auch bei Formulierung seiner Gravitationstheorie, der allgemeinen Relativitätstheorie, alle frei fallenden Systeme als Inertialsysteme angesehen. Rotationsmechanik Seite 197 Untersucht man die Bewegung eines Körpers von einem nichtrotieren- das Trägheitsfeld den, aber gegenüber der Erdoberfläche beschleunigten Beobachterstandpunktes aus, so kann die im erdfesten Koordinatenssystem gemessene Beschleunigung rein geometrisch durch die im beschleunigten Bezugssytem gemessene und durch die Relativbeschleunigung ersetzt werden. Indem man die so in zwei Vektorkomponenten zerlegte Beschleunigung ins Grundgesetz einfügt und den Relativanteil mal die Masse beidseits subtrahiert, erhält man eines neues Gesetz, bei dem auf der rechten Seite wieder das Produkt aus einer Masse und einer Beschleunigung steht. Die in Gleichung (10.1) aufgeführte Beschleunigung ist vom beschleunigten System aus zu messen. Infolge der Äquivalenz von schwerer und träger Masse darf die Gravitationsfeldstärke mit dem negativen Wert der Systembeschleunigung vektoriell zu einer Gesamtfeldstärke addiert werden. Die Beschleunigung des neuen Systems macht sich somit als zusätzliches, homogenes Trägheitsfeld bemerkbar. Falls das beschleunigte Bezugsssystem stabil gebaut ist, kann dieses Trägheitsfeld experimentell nicht von einem echten Gravitationsfeld unterschieden werden. Weil die Feldstärke des Trägheitsfeldes gleich dem negativen Wert der in frei fallenden Systemen Systembeschleunigung ist, wird bei einem frei fallenden System das spürt man keine äusseren Graäussere Gravitationsfeld durch ein internes Trägheitsfeld kompensiert. vitationsfelder Dieser Sachverhalt kann auch noch anders formuliert werden: in einem frei fallenden System werden äussere Gravitationsfelder wegtransformiert. Mit der Feststellung, dass Gravitationsfelder durch die Beschleunigung die Einsteinergänzung oder das des Bezugssystems erzeugt und vernichtet werden können, haben wir verallgemeinerte Relativitätsder Idee des Inertialsystems den Todesstoss versetzt. Wir kennen nun prinzip eine Vorschrift, mit der jedes nichtrotierende System zu einem vollwertigen Bezugssystem für die Mechanik umfunktioniert werden kann: beim Uebergang von einem Beobachterstandpunkt zu einem andern ist das gemessene Gravitationsfeld durch ein homogenes Trägheitsfeld zu ergänzen, dessen Feldstärke entgegengesetzt gleich gross ist wie die im alten System gemessene Relativbeschleunigung des neuen Bezugssystems. Ich nenne diese Vorschrift das verallgemeinertes Relativitätsprinzip der Mechanik oder die Einsteinergänzumg. Gemäss dem verallgemeinerten Relativitätsprinzip darf in jedem nichtrotierenden System eine Impulsbilanz aufgestellt werden. Dieses Grundgesetz hat dann den gleichen Anspruch, die Bewegung eines Körpers korrekt zu beschreiben, wie das ursprüngliche Gesetz von Newton, das eigentlich nur in einem absolut ruhenden Weltraum angewendet werden darf. Beschleunigung und Gravitation sind nur bedingt gegeneinander ab- das Gewicht ist keine absolute grenzbar, weil infolge der Äquivalenz von schwerer und träger Masse Grösse nicht gesagt werden kann, ob ein über die Systemgrenze fliessender Impulsstrom gespeichert oder mit einem Gravitationsfeld ausgetauscht wird. So kann der Impulszufluss vom einen Bezugssystem aus gesehen eine Inhaltsänderung bewirken, wogegen man von einem zweiten, mitbewegten Standpunkt aus den Eindruck erhält, dass der zugeführte Im- Seite 198 Rotationsmechanik puls fortlaufend an ein Gravitationsfeld weiterfliesst. Diese Relativität der Gravitationsfeldstärke ist dafür verantwortlich, dass die Grösse der Gewichtskraft vom jeweiligen Bezugssystem mitbestimmt wird. Das Gewicht eines Körpers hängt also nicht nur vom Ort, sondern auch noch von der Beschleunigung des Bezugssystems ab. ? Kontrollfragen 4.) 5.) 6.) 7.) 8.) Was veranlasst uns anzunehmen, dass schwere und träge Masse äquivalent sind? Wie kann man feststellen, ob man sich in einem Inertialsystem befindet? Wieso fühlen sich Astronauten schwerelos? Die Gravitationsfeldstärke der Sonne am Ort der Erde beträgt etwa 6·10-3 N/kg. Ist man infolge dieser Wirkung tagsüber leichter als in der Nacht? Die Sonne wirkt mit einer um 179 mal grösseren Kraft auf die Erde ein als der Mond. Wie kann da der Mond die grössere Gezeitenwirkung entfalten? 10.3 Koordinatentransformation Im letzten Abschnitt habe ich nur translatorisch beschleunigte Bezugssysteme diskutiert, weil bei diesen die Beschleunigung überall gleich gross ist. Bevor wir uns mit der Dynamik der rotierenden Systeme beschäftigen, müssen der rein geometrische Aspekt, die Koordinatentransformation, gründlich diskutiert und die zugehörigen Formeln sauber hergeleitet werden. Dazu betrachten wir die ebene Bewegung eines materiellen Punktes. Die momentane Position des punktförmigen Körpers werde durch die Spitze des Ortsvektor r markiert. Nun darf dieser Ortsvektor bezüglich des ruhenden Koordinatensystems in die Komponenten x und y zerlegt werden. Im rotierenden System heissen die Komponenten x’ und y’. Weil die Summe über die beiden Komponenten für beide Zerlegungen wieder den Ortsvektor ergeben muss, kann die eine Vektorsumme durch die andere ausgedrückt werden In der Komponentenschreibweise kann diese Gleichung rein algebraische als Matrizenrechnung formuliert werden, Den Drehwinkel in der zweiten Matrix habe ich durch das Produkt aus Winkelgeschwindigkeit und Zeit ersetzt. Leitet man diese Matrizengleichung einmal nach der Zeit ab, erhält man einen Ausdruck, der aus zwei Teilen besteht Der erste Term steht für den im rotierenden System gemessene Geschwindigkeitsvektor, zerlegt in die Komponenten des Ruhesystems. Die Klammer im zweiten Summanden stellt einen Vektor dar, dessen Länge gleich dem Radius ist und der normal zum Radiusvektor steht. Die Gleichung wird übersichtlicher, falls man in eine koordinatenfreie Darstellung wechselt Rotationsmechanik Seite 199 Gleichung () sagt, dass die Relativgeschwindigkeit des materiellen Punktes plus die Tangentialgeschwindigkeit des zugehörigen Ortes auf dem rotierenden System die Geschwindigkeit des Punktes im Ruhesystem ergibt. Leitet man Formel () ein zweites Mal nach der Zeit ab, erhält man die Beschleunigungstransformation In der koordinatenfreien Darstellung können wir Formel () besser diskutieren Der erste Term steht für die Relativbeschleunigung. Der zweite Ausdruck ist nur geschwindigkeits- und der dritte nur ortsabhängig. Die soeben durchgeführte Zerlegung der Beschleunigung in drei Terme, ist eine rein geometrische Angelegenheit, die mit der Struktur der Mechanik eigentlich nichts zu tun hat. Erst die Äquivalenz von schwerer und träger Masse nacht aus dieser kinematischen Zerlegung eine neue dynamische Sicht. ?Kontrollfragen 9.) 10.) Zeigen Sie, dass der Vektor im zweiten Term von Formel () normal zum Radius steht. Berechnen Sie mit Hilfe von () und () die Geschwindigkeit bzw. die Beschleunigung eines Körpers, der auf dem sich drehenden Karussell ruht. 10.4 Trägheitskräfte Die Summe über alle Kräfte ist gleich Masse mal Beschleunigung. Diese Aussage, das Grundgesetz von Newton, gilt in jedem Inertialsystem. Im rotierenden Bezugssystem kann die Resultierende der einwirkenden Kräfte jedoch nicht direkt mit Hilfe dieses Gesetztes aus der kinematisch bestimmten Beschleunigung berechnet werden. Zur Berechnung der korrekten Gleichung setzen wir die Beschleunigungstransformation () ins Grundgesetz der Mechanik ein und bringen zwei Terme durch Addition auf die andere Seite Weil für alle bekannten Materialien die Schwere und die Trägheit streng proportional zueinander sind und somit gleichgesetzt werden können, vereinfacht sich () zu Mit der Formel () haben wir ein neues Grundgesetz konstruiert, das nur auf gleichmässig rotierenden Systemen gültig ist. Somit „wirken“ auf einem Karussell neben der Gewichtskraft noch zwei weitere, massenproportionale, nicht direkt messbare Kräfte. Die eine ist ortsabhängig und heisst Zentrifugalkraft. Die andere, die geschwindigkeitsabhängige, nennt man Corioliskraft. Zentrifugal- und Corioliskraft bezeichnet werden oft als Scheinkräfte bezeichnet, weil sie für einen Teil der Impulsänderungsrate und nicht für eine Impulsaustauschrate stehen. Alle in Nichtinertialsystemen zusätzlich einzuführende Trägheits- oder Scheinkräfte ersetzen einen Teil der Impulsänderungsrate. Sie stehen nie für Seite 200 Rotationsmechanik eine Impulsstromstärke zwischen zwei Systemen und erfüllen daher das Wechselwirkungsprinzip nicht. ?Kontrollfragen 11.) Was unterscheidet die Zentrifugal- von der Corioliskraft? 12.) Ein Motorrad (Masse mit Fahrer 120 kg) fährt auf einem Karussell, das sich vier Mal pro Minute um die eigene Achse dreht, fünf Meter von der Drehachse entfernt mit einer Relativgeschwindigkeit von 4 m/s im Kreis herum. Berechnen Sie die Haftreibungskraft auf zwei verschiedene Arten. Das erste Mal argumentieren Sie im Ruhesystem und das zweite Mal im Karussellsystem. 13.) Die Bewegung einer von der Decke herunterhängenden Glühbirne ist von einem rotierenden System aus zu diskutieren. Zeigen Sie, dass mit Hilfe von () die richtige Relativbeschleunigung berechnet werden kann. 10.5 Das Zentrifugalfeld Zentrifugalfeld und Gravitationsfeld sind lokal ununterscheidbar Die Zentrifugalkraft ist nur vom Ort im rotierenden System abhängig. Als massenproportionale Volumenkraft ist sie lokal nicht von einer Gewichtskraft zu unterscheiden. Die erzeugende Zentrifugalfeldstärke ω2·r lässt sich folglich auch nicht gegen eine normale, masseninduzierte Gravitationsfeldstärke abgrenzen. Lokale, mittels gravimetrischen Methoden gemessene Feldstärken, wie sie von Geologen ermittelt und in spezielle geophysikalische Karten eingetragen werden, enthalten - je nach geographischer Breite - einen kleinen Anteil, der vom Zentrifugalfeld der Erde stammt. der Geotropismus zeigt die Richtung des Gravitationsfeldes an Auch Pflanzen können nicht zwischen einem Zentrifugal- und einem Gravitationsfeld unterscheiden. Dies zeigt ein mit wenig Aufwand durchzuführendes Experiment. Getreide muss, damit es unter dem Gewicht der Ähre nicht zusammenbricht, genau senkrecht nach oben wachsen. Dieses Wachstum wird hormonell gesteuert und als negativer Geotropismus bezeichnet. Sät man nun Getreidekörner auf einem rotierenden Nährboden aus, so kann nach einigen Tagen beobachtet werden, wie die Halme gegen die Rotationsachse geneigt nach oben wachsen. Dabei ist die Lotabweichung umso grösser, je weiter sich der Halm von der Drehachse entfernt befindet. Die Halme wachsen an jeder Stelle gegen die auf dem Drehteller lokal nachweisbare Feldstärke. Nur ein aussenstehender Beobachter hat die Möglichkeit, das durch die Getreidehalme sichtbar gemachte Feld in ein echtes, homogenes Gravitations- und ein unechtes, zylindersymmetrisches Zentrifugalfeld zu zerlegen. das Potential des Zentrifugalfeldes Das Zentrifugalfeld besitzt auch ein Potential. Seine Äquipotentialflächen bilden der Symmetrie entsprechend konzentrische Zylinder um die Drehachse herum. Die Funktion für den Potentialverlauf gewinnt man durch Integration der Feldstärke längs des Radius Rotationsmechanik Seite 201 Das Zentrifugalpotential weist nur negative Werte auf, weil der zugehörige Potentialnullpunkt, der Bezugspunkt für die Integration, willkürlich auf der Drehachse gewählt worden ist. Ruhender Gewässer bilden die Äquipotentialflächen des lokal nachweis- die Wasseroberfläche in einem baren Gravitationsfeldes stückweise durch ihre Oberfläche nach. Mit rotierenden Glas dieser Erkenntnis lässt sich die Form der Wasseroberfläche in einem gleichmässig rotierenden Gefäss über das Potential des Gesamtfeldes bestimmen. Im rotierenden Behälter herrscht ein Gravitationsfeld, das man sich als Überlagerung des homogenen Feld der Erde und des Zentrifugalfeld vorstellen darf. Dem homogenen Erdfeld darf ein proportional mit der Höhe zunehmendes Potential zugewiesen werden und für das Zentrifugalfeld gilt Formel (). Das Superpositionsprinzip erlaubt nun, dass diese beiden Potentialfelder zusammengzählt werden dürfen. Wird nun für das Potential ein festen Wert eingesetzt, am besten Null, erhält man die für die Wasseroberfläche die Höhe als Funktion des Radius Ein ganz kleines Schiff, das in einem rotierenden, wassergefüllten Gefäss von der Drehachse aus nach aussen fährt, schwimmt auf einer Äquipotentialfläche. Es benötigt für diese Bewegung gleichviel Energie wie bei einer Fahrt in einer gewöhnlichen Badewanne. Die Abnahme der Zentrifugalenergie wird an jedem Ort auf der parabolisch geformten Wasseroberfläche durch eine entsprechende Zunahme der Gravitationsenergie exakt kompensiert. Würde man in einem Freizeitpark den Badelustigen rotierende Bassins zur Verfügung stellen, so könnten diese bergauf und bergab schwimmen, ohne einen Unterschied festzusellen. Die Relativitätstheorie lehrt, dass die Unterteilung in kinetische und po- die Leistung der Zentralkraft tentielle Energie eine Frage des Bezugssystems ist. Diesen doch überra- bei Radialbewegung schenden Sachverhalt wollen wir an einem kleinen Beispiel diskutieren. Ein Spielzeugauto werde auf einem gleichmässig rotierenden Teller mit Hilfe eines Seils radial nach innen gezogen. Dabei wird darauf geachtet, dass sich das Fahrzeug mit einer konstanten Geschwindigkeit v’ längs eines Radius nach innen bewegt. Die Stärke des über das Seil ins Auto fliessenden Energiestromes entspricht der Leistung der Seilkraft. Diese Leistung ist bezüglich des Tellers gleich dem Produkt aus der Seilkraft und der Relativgeschwindigkeit v’. Ein aussenstehender Beobachter muss der Seilkraft die gleiche Leistung zuordnen, weil die zusätzlich in Erscheinung tretende Umfangsgeschwindigkeit genau normal zur Seilkraft steht. Normalstehende Geschwindigkeitskomponenten geben aber keinen Beitrag zur Leistung, da diese als Skalarprodukt aus Kraft und Geschwindigkeit der Kraftangriffsfläche zu berechnen ist. Die oben diskutierten Äquipotentialflächen schneiden den rotierenden Hubarbeit im Zentrifugalfeld Teller auf konzentrischen Kreisen; auf dem rotierenden Teller ist aussen eigentlich unten. Diese Tatsache wird vielleicht bei interplanetaren Raumflügen einmal ausgenutzt. Damit die Astronauten nicht jahrelang der Schwerelosigkeit ausgesetzt sind und dabei Knochen und Muskeln abbauen, lässt man sie dannzmal in einer radförmigen Raumstation hau- Seite 202 Rotationsmechanik sen. Dreht sich diese Station mit der richtigen Winkelgeschwindigkeit um die Radachse, können die Astronauten auf der Innenseite der „Felge“ herumlaufen und sich ganz zu hause fühlen. Für den auf dem rotierenden Teller sitzenden Beobachter wird das Auto quasi den Berg hinaufgezogen. Er sieht, wie das Auto gezogen wird und dabei an Höhe gewinnt. Folgerichtig muss er annehmen, dass die über das Seil zugeführte Energie als potentielle Energie im Zentrifugalfeld gespeichert ist. Für ihn ist die Leistung der Seilkraft gleich der Änderungsrate der potentiellen Energie im Zentrifugalfeld. die Änderungsrate der kinetischen Energie bei Radialbewegung Ein aussenstehender Beobachter kommt hingegen zu einem ganz andern Schluss. Er sieht kein Zentrifugalfeld, das Energie speichern könnte. Zudem kann er zusehen, wie das Fahrzeug umso langsamer wird, je weiter es nach innen fährt. Von aussen gesehen nimmt die Bewegungsenergie des Autos ab. Die Änderungsrate der kinetischen Energie lässt sich leicht berechnen, wenn man bedenkt, dass diese Bewegungsenergie additiv aus einem radialen und einem tangentialen Anteil zusammengesetzt ist. Der radiale Anteil ändert sich nicht, weil die Relativgeschwindigkeit konstant bleibt. Die Änderungsrate rührt folglich nur von der Abnahme der Umfangsgeschwindigkeit her und kann über die Differentiation des tangentialen Anteils der kinetischen Energie nach der Zeit berechnet werden bei Radialbewegungen wird Energie mit dem rotierenden System ausgetauscht Der aussenstehende Beobachter steht nun vor der paradoxen Situation, dass die kinetische Energie des Autos abnimmt, obwohl fortlaufend ein Energiestrom über das Seil ins Auto hineinfliesst. Das Paradoxon löst sich auf, sobald wir die Haftreibungskraft vom Karussell auf die Räder in die Analyse miteinbeziehen. Diese Kraft, die normal zur Relativgeschwindigkeit steht, kompensiert im mitbewegten Sytem die Corioliskraft und hat deshalb den Betrag Im Karussellsystem ist diese Haftreibung als Führungskraft leistungsfrei. Vom Standpunkt eines aussenstehenden Beobachters aus muss dieser Kraft jedoch ein Energiestrom zugeordnet werden. Diese Leistung ensteht, weil sich die Angriffsflächen der Haftreibungskraft gegen die Wirkrichtung derselben bewegen. Ordnet man der Haftreibungskraft die korrekte Leistung zu, indem man sie mit der im Bezugssystem gemessenen Geschwindigkeit der Kraftangriffsfläche skalar multipiziert, erhält man ein bemerkenswertes Resultat Die Energieerhaltung für einen aussenstehenden Beobachter Die Summe aus der Seilkraftleistung und der Leistung der Haftreibungskraft ergibt die Änderungsrate der kinetischen Energie. Damit ist die Energieerhaltung wieder gewährleistet. Von aussen gesehen strömt Energie über das Seil zu und mit doppelter Stromstärke an den Karussellboden weg. Die zusätzlich ans Karussell wegfliessende Energie entsprignt der Änderung der kinetischen Energie des absolut gesehen langsamer werdenden Autos. Der ganze Energiestrom kann an der Achse des Karussells als Leistung des zur Drehzahlstabilisierung notwendigen Drehmomentes wieder nachgewiesen werden. Könnte sich der Teller nämlich frei drehen, würde sich seine Drehzahl beim Hineinzie- Rotationsmechanik Seite 203 hen des Autos ändern (Drehimpulserhaltung). Damit käme er aber als gleichmässig rotierendes Bezugssystem nicht mehr in Frage. ?Kontrollfragen 14.) Mit welcher Winkelgeschwindigkeit muss eine Raumstation rotierenden, damit an der Peripherie, zehn Meter von der Drehachse entfernt, ungefähr das gleiche Gravitationsfeld herrscht wie an der Erdoberfläche? 15.) Weit über der Erdoberfläche heben sich das im System der Erde einzuführende Zentrifugalfeld und das von der Erdmasse erzeugte Gravitationsfeld auf. Wo liegen diese Punkte? Was befindet sich dort? 16.) In einer Neuauflage des Turmbaus zu Babel sei es gelungen, mit Hilfe extremer Leichtbautechnik einen Liftschacht zu konstruieren, der weit in den Weltraum hinausreicht. In diesem Schacht werde ein Satellit mittels eines Seils in die geostationäre Bahn gehievt. Wie berechnet sich die Arbeit der Seilkraft? 10.6 Der Angriffspunkt der Zentrifugalkraft Die Zentrifugalkraft zeichnet man in der Regel zusammen mit einer greift die Zentrifugalkraft im Wirklinie ein, die durch den Massenmittelpunkt des betreffenden Kör- Schwerpunkt an? pers verläuft. Bevor wir den Wahrheitsgehalt dieser Konstruktion überprüfen, sei eine Bemerkung zum Angriffspunkt beigefügt. Kräfte greifen entweder an einem Teil der Oberfläche oder am ganzen Volumen an. Der Begriff des Angriffspunktes ist somit hypothetisch und für die Formulierung der Impulsbilanz, des Grundgesetzes der Translationsmechanik, unnötig und ein Stück weit irreführend. Erst wenn man sich für die Rotation eines Körpers interessiert, muss mehr über die Lage der Kraftangriffsfläche bekannt sein. Dann ist das begleitende Drehmoment über einen Steckenvektor zu berechnen, der vom Massenmittelpunkt zum Ort des Impulsaustausches zeigt (Formel ). Man schreibt der Kraft also nur eine Wirklinie zu, damit das begleitende Drehmoment bestimmt werden kann. Bei einer Volumenkraft ist die Wirklinie analog definiert. Der Gewichtskraft ist kein Drehmoment zuzuordnen, sobald sich der Körper im homogenen Gravitationsfeld befindet, d.h. die Wirklinie der Gewichtskraft verläuft unabhängig von der Stellung des Körpes durch dessen Massenmittelpunkt. Deshalb kann bezüglich der Translations- und die Rotationswirkung die Wirkung des homogenen Gravitationsfeldes auf eine Ersatzkraft mit punktförmiger Angriffsfläche reduziert werden, die selber genau im Massenmittelpunkt angreift. Diesen Ort nennt man denn oft auch Schwerpunkt. Nach dieser kleinen Repetition des Begriffes Wirkline soll die Frage neu die kreisende Hantel. formuliert werden: kann die Zentrifugalkraft durch eine Einzelkraft ersetzt werden, welche im Massenmittelpunkt angreift? Dazu ein einfaches Beispiel. Eine ideale Hantel, bestehend aus zwei punktförmigen Körpern der Masse m und einem masselosen Verbindungsstab der Länge s , kreise an einem Seil festgebunden um eine starre Achse. Der Massenmittelpunkt der Hantel beschreibe einen Kreis mit dem Radius r. Ein Seite 204 Rotationsmechanik Gravitationsfeld sei nicht vorhanden, dafür schliesse die Hantel mit dem Seil den Winkel α ein. Wo muss die Seilkraft angreifen, damit der Hantelstab längs der Mantellinie eines Kegels ausgerichtet bleibt? Statik im mitbewegten System Vom mitrotierenden Bezugssystem aus betrachtet, herrscht Gleichgewicht, d.h. die Summe der drei Kräfte und die Summe der zugehörigen statischen Drehmomente muss gleich Null sein. Daraus folgt, dass die Seilkraft betragsmässig gleich gross ist, wie die Summe der beiden Zentrifugalkräfte die Wirklinie der Zentrifugalkraft geht nicht durch den Schwerpunkt Die beiden Zentrifugalkräfte dürfen, wie aus Formel () hervorgeht, durch eine Einzelkraft ersetzt werden, deren Betrag gleich gross ist, wie die eines punktförmigen Vergleichskörpers mit gleicher Masse und gleicher Lage des Massenmittelpunktes. Dieser Ersatz funktioniert jedoch nicht bei den zugehörigen Drehmomenten. Im mitrotierenden System stellt sich nur ein Gleichgewicht ein, wenn das Seil näher bei der äusseren als bei der inneren Kugel befestigt ist. Die Angriffsstelle des Seils muss deshalb gegenüber der Mitte der Hantel längs des Stabes um den Betrag versetzt gewählt werden. Nur so heben sich alle drei Kräfte in ihrer Drehwirkung auf. Was wir an dieser idealen Hantel eingesehen haben, ist von allgemeiner Gültigkeit. Im mitrotierenden System ist die zusätzlich einzuführende Zentrifugalkraft immer gleich gross wie diejenige eines punktförmigen Vergleichskörpers gleicher Masse und gleicher Lage. Die Wirklinie, die wir der Zentrifugalkraft zuschreiben müssen, verläuft jedoch nicht durch den Massenmittelpunkt. Dies, weil das Zentrifugalfeld eine andere geometrische Struktur aufweist als das homogene Gravitationsfeld. Die Aussage, wonach die Zentrifugalkraft im Massenmittelpunkt angreift, wäre damit widerlegt. die Hantel ändert fortdauernd ihren Drehimpulsinhlat Nun analysieren wir die kreisende Hantel vom sogenannten Ruhesystem aus. Bei dieser Betrachtungsweise wirkt nur noch die Seilkraft. Die Seilkraft bewirkt eine Impulsänderungsrate, die gleich Masse mal Beschleunigung des Massenmittelpunktes ist. Dieser Wert stimmt mit der Grösse der im rotierenden System einzuführenden Zentrifugalkraft überein. Weil der Angriffspunkt einer Oberflächenkraft unabhängig vom Beobachter ist, muss die Seilkraft auch im Ruhesystem von einem Drehmoment begleitet sein. Damit ändert sich der Drehimpuls der Hantel fortdauernd. Doch wie wirkt sich diese dauernde Drehimpulsänderung bei der Hantel aus? die dynamische Unwucht der Hantel Der Drehimpuls der kreisenden Hantel kann in einen Bahn- und einen Eigendrehimpuls aufgespalten werden. Auf die Bahndrehimpulsanalyse kann verzichtet werden, weil sie dieselbe Information über das Verhalten eines Systems liefert wie die Translationsmechanik. Wir diskutieren deshalb nur den Eigendrehimpuls der Hantel. Da diese Grösse unabhängig von der Bewegung des Massenmittelpunktes ist, können wir uns auf eine Hantel beschränken, die in schiefer Lage um eine durch den Massenmittelpunkt gehende Achse rotiert. Der Drehimpulsvektor der Hantel Rotationsmechanik Seite 205 steht damit schief zur Drehachse und wird auf der Mantelfläche eines Kegels herumgewirbelt. Diese dauernde Richtungsänderung des Drehimpulsvektors erzeugt eine Aenderungsrate darstellt, die genau so gross ist wie das Drehmoment des Seils. Damit haben wir gezeigt, dass die Grösse und die versetzte Lage der Seilkraft auch im Ruhesystem Sinn macht: das Seil wirkt mit einer Kraft und einem Drehmoment auf die Hantel ein, weil diese weder statisch noch dynamisch ausgewuchtet ist. Zur quantitativen Untersuchung der Rotationsbewegung beschränke ich der Eigendrehimpuls der Hanmich wieder auf eine Hantel, die schief um eine durch den Massenmit- tel telpunkt gehende Achse rotiert. Der Eigendrehimpuls der Hantel, der sich aus den beiden Bahndrehimpulsen der punktförmigen Kugeln zusammensetzt, liegt in der Ebene drin, die durch den Stab und die Winkelgeschwindigkeit definiert ist. Zudem steht er normal zur Hantelachse Nun darf der Eigendrehimpuls in zwei rechtwinklig aufeinander stehende Komponenten zerlegt werden Die Achsialkomponente des Drehimpulses änder sich während eines Umlaufes nicht. Für die Änderungsrate der Radialkomponente gilt mathematisch der gleiche Zusammenhang wie für die Änderungsrate des Impulses bei der Kreisbwegung (vergl.) Bei der dritten Umformung in () wurden Formel (18) und (19) verwen- das Seildrehmoment ist gleich det. Wie Formel () zeigt, ist die Änderungsrate des Hanteldrehimpulses der Änderungsrate des Hanteldrehimpulses gleich dem vom Seil erzeugten Drehmoment. ?Kontrollfragen 17.) Wann ist ein Körper statisch, wann dynamisch ausgewuchtet? 18.) Greift die Zentrifugalkraft im Schwerpunkt eines Körpers an? 10.7 Die Corioliskraft Die Corioliskraft hat die gleiche mathematische Struktur wie die Lor- Coriolis- und Lorentzkraft entzkraft Nur wirkt bei der Lorentzkraft ein Magnetfeld auf einen elektrisch geladenen Körper und bei der Corioliskraft ein Winkelgeschwindigkeitsfeld auf einen massiven Körper ein. Die Corioliskraft verschwindet, sobald man die Bewegung von einem nichtrotierenden Bezugssystem aus diskutiert. Doch auch die Lorentzkraft kann zum Verschwinden gebracht werden. Man muss den geladenen Körper nur von dessen momentanen Ruhesystem aus betrachtet werden. Seite 206 Rotationsmechanik die Corioliskraft wirkt selten alleine Leider taucht die Corioliskraft als siamesischer Zwilling der Zentrifugalkraft selten ohne Partner auf. Einzig auf der Drehachse des rotierenden Systems wirkt sie alleine auf den bewegten Körpers ein. Leider ist auch an diesem Punkt das Studium der Corioliskraft ohne den störenden Einfluss des Zwillingpartners kaum möglich. Sobald der bewegte Körper die Mitte wieder verlässt, dominiert die Zentrifugalkraft wieder. die Corioliskraft erzeugt eine Kreisbewegung Als Gedankenexperiment kann man sich jedoch einen Drehteller vorstellen, auf dem nur die Corioliskraft eine Wirkung entfaltet. Dazu muss der zu studierende Körper reibungsfrei gelagert und mit einem Seil festgehalten werden. Dieses Seil wird in der Mitte des Drehtellers durch ein vertikales Loch ins Innere der Achse geführt und dort an einer Feder festgebunden. Ist die Federkonstante gleich der Masse des Körpers mal das Quadrat der Winkelgeschwindigkeit des Drehtellers und hat die Schnur die richtige Länge, so kompensiert diese Vorrichtung die Zentrifugalkraft an jeder Stelle auf dem Teller. Selbstverständlich müsste noch dafür gesorgt werden, dass nirgends eine namhafte Reibung auftritt. Ein so fixierter Körper, der irgendwo auf den Drehteller abgesetzt worden ist, würde sich mit dem Teller im Kreis berum bewegen, bis man ihn anstösst. Nach dem Stoss würde er sich wie ein geladenes Teilchen im homogenen Magnetfeld bewegen. Er würde also relativ zum Drehteller eine Kreisbewegung vollführen die Corioliswirkung lässt die Tiefdruckgebiete rotieren Infolge der relativ kleinen Winkelgeschwindigkeit ist die Corioliskraft auf der Erdoberfläche sehr gering. Ihre Wirkung ist nur bei grossräumigen Bewegungen beobachtbar. Ein bekanntes Phänomen bildet die Ablenkung der Winde in grossen geographischen Breiten: die Corioliskraft treibt auf der Nordhalbkugel die Luft im Gegenuhrzeiger- und auf der Südhalbkugel im Uhrzeigersinn in die Tiefdruckgebiete hinein. die Corioliskraft auf der Erdoberfläche Auf der gewölbten Erdoberfläche kann der Geschwindigkeitsvektor eines bewegten Gegenstandes je nach geographischer Lage beliebig zur Drehachse stehen. Formel () gilt auch für solch allgemeine Bewegungen. Zur Berechnung der Corioliskraft kann die Geschwindigkeit des Körpers in eine bezüglich der Erdachse normale und in eine kollineare Komponente aufgeteilt werden. Dann bildet man das Produkt der Beträge von Winkelgeschwindigkeit und Normalkomponente. die Corioliskraft ist leistungsfrei Coriolis- und Lorentzkraft sind in jedem Fall leistungsfrei, weil beide Kräfte in jedem Moment normal zur Geschwindigkeit stehen. Deshalb vermag ein Magnetfeld geladene Körper nur abzulenken, aber nicht abzubremsen oder schneller zu machen. Dass der Corioliskraft keine Leistung zugeschrieben werden kann, folgt mathematisch aus der Formel (). Multipliziert man diesen Ausdruck skalar mit der Geschwindigkeit, entsteht ein Spatprodukt mit zwei identischen Vektoren. Corioliskräfte verändern deshalb nie die kinetische Energie eines Körpers, d.h. die einzige Wirkung der Corioliskraft liegt in der Änderung der Bewegungsrichtung. Umgangssprachlich würde man die Corioliskraft als nichtbeschleunigende Kraft bezeichnen (ich hoffe, dass Sie den Unterschied zwischen dem physikalischen und dem alltäglichen Gebrauch Rotationsmechanik Seite 207 des Wortes Beschleunigung mittlerweile kennen). ? Kontrollfragen 19.) 20.) 21.) 22.) 23.) Ein Körper mit einer Masse von einem Kilogramm bewegt sich mit einer Relativgeschwindigkeit von zwei Metern pro Sekunde auf einem Teller, der mit einer Winkelgeschwindigkeit von fünf Radianten pro Sekunde rotiert. Durch eine spezielle Vorrichtung werde die Zentrifugalkraft an jedem Punkt exakt ausgeglichen. Wie sieht die Bahn des Körpers auf dem Teller aus, wenn dieser vier Meter vom Drehzentrum entfernt genau normal zum Radius angestossen worden ist? Ein Körper (Masse 10 kg) bewegt sich mit 10 m/s horizontal über den Nordpol. Wie gross ist die Corioliskraft, die auf ihn einwirkt? Derselbe Körper bewege sich mit der gleichen Geschwindigkeit einmal in Nord-Süd- und einmal in Ost-West-Richtung horizontal über den oder längs des Aequators. Wie gross ist die Corioliskraft in beiden Fällen? Wie ist sie gerichtet? Der Auto (Masse 1000 kg) fährt in Winterthur mit 72 km/h einmal in Nord-Süd und einmal in Ost-West-Richtung. Wie gross ist die Corioliskraft bei diesen zwei Bewegungen? Wie ist sie gerichtet? Wie muss ein Windkraftwerk gebaut sein, damit es die Corioliskraft ausnutzen kann? Antworten zu den Kontrollfragen 1.1 Oberflächenkräfte und Geschwindigkeitsänderungsrate (Beschleunigung) sind im Prinzip direkt messbar. Nicht direkt messbar ist die Gewichts- oder Gravitationskraft. 1.2 Newton hat in seinem Grundgesetz die Einwirkung (resultierende Kraft) auf ein System mit einer rein geometrischen Grösse (Beschleunigung des Körpers) verknüpft. Eine geometrische oder kinematische Grösse ist aber nur messbar, falls ein Referenzsystem vorhanden ist. Von diesem Bezugssystem hat Newton angenommen, dass es ohne Voraussetzung als absoluter Raum existiert. 1.3 Die Gewichtskraft misst man entweder indirekt über die Kompensationskraft, die den Körper im Gleichgewicht hält, oder über die Wirkung, die Beschleunigung. 1.4 In allen Inertialsystemen darf die Newtonmechanik angewendet werden. Insbesondere gilt in Inertialsystemen der Trägheitssatz. 1.5 Alle zu einem bestimmten Inertialsystem gleichförmig bewegten Systeme sind ebenfalls inertial, d.h. es gibt beliebig viele Inertialsysteme. 2.1 Die Aequivalenz von Schwere und Trägheit ist eine Erfahrungstatsache. 2.2 Inertialsysteme können experimentell nicht nachgewiesen werden, Seite 208 Rotationsmechanik da eine lokal gemessene Gravitationsfeldstärke auf eine Beschleunigung des Systems oder auf eine felderzeugende Masse zurückgeführt werden kann. 2.3 Ein Astronaut fühlt sich schwerelos, weil in einem frei fallenden System nie eine Gravitationsfeldstärke messbar ist. 2.4 Die Erde ist ein frei fallendes Bezugssystem. Aeussere Gravitationsfelder werden durch den Fall bis auf einen kleinen Rest (Gezeitenfeld) wegtransformiert. Deshalb kann die Gravitationsfeldstärke der Sonne auf der Erde keine Wirkung hervorrufen. 2.5 Das Gezeitenfeld wird durch die Inhomogenität des äusseren Gravitationsfeldes hervorgerufen. Der Mond hat eine grössere Gezeitenwirkung als die Sonne, weil sein Feld im Gebiet der Erde absolut gemessen inhomogener ist. 3.1 Der zweite Term von Formel (6) kann in eine zu (5) analoge Matrix verwandelt werden, wenn der momentane Winkel (w·t) durch einen um 90˚ grösseren (ω·t + π/2) ersetzt wird. 3.2 Der Faktor zwei im Ausdruck (9) weist darauf hin, dass diese Grösse aus je einer Ableitung der beiden Summanden von Formel (6) besteht. 3.3 Die Geschwindigkeit ist gleich dem zweiten Ausdruck in Formel (7) und die Beschleunigung gleich dem dritten Summanden in Formel (9). 4.1Die Zentrifugalkraft ist orts- und die Corioliskraft geschwindigkeitsabhängig. 4.2 Im Ruhessystem fährt das Motorrad mit einer Geschwindigkeit von 6.1 m/s und einer Beschleunigung von 7.43 m/s2 im Kreis herum. Die Haftreibungskraft, die diese Beschleunigung verursacht, muss deshalb einen Betrag von 891.4 N aufweisen. Im mitbewegten System fährt das Motorrad nur mit 4 m/s und erfährt eine Beschleunigung von 3.2 m/s2. Die für diese Beschleunigung notwendige, resultierende Kraft ist deshalb gleich 384 N. Die resultierende Kraft setzt sich aus der Coriolis(402.1 N), der Zentrifugal- (105.3 N) und der Haftreibungskraft (891.4 N) zusammen. Weil die Zentrifugal- und die Corioliskraft nach aussen und die Haftreibungskraft nach innen weisen, erhält man den richtigen Zahlenwert. 4.3 Vom Karussell aus gesehen läuft die Glühbirne mit der Relativgeschwindigkeit ω·r auf einer Kreisbahn. Die Glühbirne wird folglich gegen die Kreismitte zu beschleunigt. Um diese Zentralbeschleunigung zu erzeugen, hätte die Zentrifugalkraft gerade den richtigen Wert, doch zeigt sie leider nach aussen. Weil sich die Glühbirne Rotationsmechanik Seite 209