Länderfokus Irland: Sieben magere Jahre?

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Helaba Volkswirtschaft/Research
Länderfokus
11. Mai 2010
Irland: Sieben magere Jahre?
Autor:
Patrick Franke
Telefon: 0 69/91 32-47 38
[email protected]
Redaktion:
Rezession und Finanzkrise haben der einstigen Vorzeigewirtschaft der Eurozone stark zugesetzt. Wenn sich die Panik an den Finanzmärkten legt und die Furcht vor einer „Ansteckung“
zurückgeht, wird die rationale Analyse der Fundamentalfaktoren in den einzelnen Ländern der
Eurozone wieder an Bedeutung gewinnen. Dann sollte sich zeigen, dass Irland trotz nennenswerter Risiken im Vergleich zu Griechenland wesentlich bessere Aussichten hat, ohne eine
Umschuldung oder massive Hilfe von außen aus seiner schwierigen Lage herauszukommen.
Dr. Stefan Mitropoulos
Being Irish, he had an abiding sense of tragedy,
which sustained him through temporary periods of joy.
Herausgeber:
William Butler Yeats
Dr. Gertrud R. Traud
Chefvolkswirt/Leitung Research
Landesbank Hessen-Thüringen
MAIN TOWER
Neue Mainzer Str. 52-58
60311 Frankfurt am Main
Telefon: 0 69/91 32-20 24
Telefax: 0 69/91 32-22 44
Die Griechenland-Krise hat gezeigt, dass auch ein kleines Land schnell zu einem großen Problem
für die Eurozone als Ganzes werden kann. Im vergangenen Jahr sah es zeitweise so aus als wäre
Irland der kritischste Fall. In der aktuellen Phase der Krise wird das Land aber nicht mehr als führender Kandidat für einen Staatsbankrott gehandelt. Dies ist vor allem eine Folge des beherzten
Vorgehens der irischen Regierung und den verglichen mit einigen Mittelmeerländern günstigeren
langfristigen Perspektiven der irischen Wirtschaft. Auch scheint die Akzeptanz in der Bevölkerung
für die mit der scharfen Anpassung verbundenen Belastungen bisher überraschend hoch.
Die internationale Finanzkrise hat die Iren auf dem falschen Fuß erwischt. Nachdem die Immobilienblase Ende 2006 zu platzen begann, rutschte die Wirtschaft auf der Insel in eine „hausgemachte“ Anpassungsrezession. Als dann die Weltkonjunktur Ende 2008 plötzlich einbrach und die
Spannungen im globalen Bankensystem spürbar zunahmen, verschärfte sich die Bankenkrise in
Irland massiv. Mit öffentlichen Garantien und zusätzlichem Kapital musste die Dubliner Regierung den Banken des Landes unter die Arme greifen. Die resultierende sehr hohe Belastung für die
Staatsfinanzen führte dazu, dass sich am Rentenmarkt der Abstand zu deutschen Bundesanleihen
deutlich ausweitete – zeitweise war die Risikoprämie in Irland höher als in Griechenland.
Schulden teurer als für Deutschland – aber Zinsen sind nicht viel höher als in den letzten Jahren
Rendite zehnjähriger Staatsanleihen, %
14
14
Griechenland
12
Die Publikation ist mit größter Sorgfalt
12
10
10
8
8
6
6
bearbeitet worden. Sie enthält jedoch lediglich
unverbindliche Analysen und Prognosen zu
den gegenwärtigen und zukünftigen Marktverhältnissen. Die Angaben beruhen auf
Quellen, die wir für zuverlässig halten, für
deren Richtigkeit, Vollständigkeit oder Aktualität wir aber keine Gewähr übernehmen können. Sämtliche in dieser Publikation getroffenen Angaben dienen der Information. Sie
dürfen nicht als Angebot oder Empfehlung für
Anlageentscheidungen verstanden werden.
Irland
4
Deutschland
2
2
0
0
Jan 08
4
Apr 08
Jul 08
Okt 08
Jan 09
Quellen: EcoWin, Helaba Volkswirtschaft/Research
Apr 09
Jul 09
Okt 09
Jan 10
Apr 10
Länderfokus: Irland
Konjunktur: Irland steckt noch in der Rezession
Auch in Irland ist die aktuelle Wirtschaftskrise die schwerste seit vielen Jahrzehnten. Der Schock
der Kontraktion ist umso höher, als das Land in den Boomjahren zuvor als „keltischer Tiger“ die
mit Abstand höchsten Wachstumsraten in den Industrieländern verzeichnete. Von 1994 bis 2007
wuchs die irische Wirtschaft gemessen am Bruttoinlandsprodukt 1 (BIP) im Schnitt mit über 7 %
pro Jahr. Bei diesem Wachstumstempo verdoppelt sich das BIP in nur zehn Jahren. Allerdings war
die Expansion von 2002 bis 2007 schon weniger ausbalanciert als die vorhergehende von 1995 bis
2000. Sie war stärker auf die Inlandsnachfrage fokussiert und zeichnete sich durch niedrigeres
Produktivitätswachstum und eine Verschlechterung der preislichen Wettbewerbsfähigkeit der
irischen Unternehmen aus.
Der Einbruch begann schon vor fast drei Jahren. Auf Quartalsbasis schrumpft die irische Wirtschaft seit Q2 2007, wobei sich die Kontraktion ab Q4 2008 noch einmal spürbar verschärfte. In
der Folge sprang die Arbeitslosenquote vom Vollbeschäftigungsniveau von rund 4,5 % im Jahr
2006 auf fast 14 % Anfang 2010. Dies belastet natürlich die Nachfrage. Preisbereinigt schrumpfte
der private Konsum 2009 um über 7 %. Zum Vergleich: In den USA gaben die nun angeblich so
sparsamen privaten Haushalte im vergangenen Jahr gerade mal 0,6 % weniger aus als 2008. Das
reale BIP nahm in Irland 2009 um 7 % ab, nach -3 % im Jahr 2008.
Seit 2007 in
der Rezession
In diesem Umfeld fallen die Verbraucherpreise seit der Ölpreisschock von 2008 abgeklungen ist.
Nach einem durchschnittlichen Rückgang um 1,7 % 2009 lag der harmonisierte Verbraucherpreisindex im März 2010 2,4 % unter Vorjahr. Dies ist der mit Abstand niedrigste Wert in der Eurozone
(Durchschnitt: +1,4 %) und wird derzeit innerhalb der EU nur vom Krisenland Lettland unterboten. Die Preise geben in Irland auf breiter Front nach. Dies geht Hand in Hand mit niedrigeren
Löhnen – die durchschnittlichen Wochenlöhne im Verarbeitenden Gewerbe fallen seit Q4 2008.
Massiver Konjunktureinbruch…
…bringt Deflation auf der Insel
Veränderung gg. Vj. in %
15
%
"Celtic Tiger"
Krise in den Achtzigern
10
0
-5
5
18
16
14
4
6
4
2
0
Arbeitslosenquote (RS)
reales BIP (LS)
-10
1970
20
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10
8
5
1975
1980
1985
1990
1995
2000
2005
Harmonisierter Verbraucherpreisindex, Veränderung gg. Vj. in %
2010
Quellen: EcoWin, Helaba Volkswirtschaft/Research
5
4
Eurozone
3
3
2
2
1
1
0
0
-1
-1
-2
-2
Irland
-3
-3
-4
2005
-4
2006
2007
2008
2009
2010
Quellen: EcoWin, Helaba Volkswirtschaft/Research
Immobilienmarkt: Vom Konjunkturmotor zum Krisenherd
Treiber der Rezession und ein wichtiger Faktor im vorherigen Boom war und ist der Immobilienmarkt. Auf dem Höhepunkt arbeitete fast jeder sechste Beschäftigte in der Privatwirtschaft im
Baugewerbe. Insgesamt war der Anteil der durch den Immobilienboom geschaffenen Stellen
(durch Multiplikatoreffekte und in baunahen Dienstleistungssektoren) noch höher. Die Häuserpreise und die Zahl fertig gestellter Häuser lassen den Immobilienzyklus in den Vereinigten Staaten
vergleichsweise moderat erscheinen. Sicher waren nicht die gesamten Zuwächse am irischen Wohnungsmarkt Ausdruck einer Blase. So nahm die Zahl der Haushalte zwischen 1996 und 2006 um
1
Aufgrund der Präsenz von vielen multinationalen Firmen in Irland ist der Unterschied zwischen Bruttoinlands- und Brut-
tosozialprodukt (BSP) ungewöhnlich hoch. Im Jahr 2009 war das BIP fast 20 % höher als das BSP. Das reale BSP
schrumpfte 2009 sogar um mehr als 11 %.
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2
Länderfokus: Irland
rund 30 % zu. Das allgemeine Preisniveau stieg im selben Zeitraum um 35 % und das nationale
Realeinkommen um 83 %. Aber selbst vor diesem Hintergrund waren die Zuwächse bei den Hauspreisen und bei der Bauaktivität exzessiv. Zumindest gemessen an der Investitionsquote ist die
Korrektur dann auch kräftiger ausgefallen als in den USA. In Irland hatte der Anteil des Wohnungsbaus am BIP schon 2008 (Zahlen für 2009 liegen noch nicht vor) um rund 4,5 Prozentpunkte
auf 8,6 % abgenommen. In den USA liegt der Vergleichswert bei etwa 3,5 Prozentpunkten. In
anderen Ländern (Deutschland, Japan) dauerte es ein Jahrzehnt oder länger, bevor Korrekturen in
vergleichbarer Größenordnung abgeschlossen waren.
Die Mutter aller Immobilienhaussen…
…lässt die Blase in den USA klein erscheinen
Hauspreise, Q1 1995 = 100
Fertig gestellte Wohneinheiten, Q1 1996 = 100
450
450
500
400
350
450
400
300
300
350
350
250
250
300
300
200
200
250
200
250
200
Irland
(Permanent TSB)
400
350
150
150
USA (FHFA)
100
100
50
50
0
0
50
0
1998
2000
2002
2004
2006
2008
Quellen: FHFA, EcoWin, Helaba Volkswirtschaft/Research
2010
450
400
Irland
150
100
1996
500
1995
150
100
USA
1997
1999
2001
2003
50
0
2005
2007
2009
Quellen: EcoWin, Helaba Volkswirtschaft/Research
Öffentliche Finanzen: Am Tropf des Immobilienmarktes
Der Immobiliensektor stellte sich als die Achillesferse der irischen Wirtschaft, des Bankensystems
und schließlich des öffentlichen Haushalts heraus. Der Boom war von den Banken des Landes
massiv unterstützt worden. Sie verdoppelten von 2004 bis 2007 ihre Hypothekenkredite, wobei
Zuwachsraten von bis zu 30 % pro Jahr verzeichnet wurden. Selbst im Jahr 2007, als die Hauspreise bereits nachgaben, war 60 % der Kreditvergabe „property related“. Dies schließt nicht nur Hypotheken der privaten Haushalte ein, sondern auch Kredite an Unternehmen für gewerbliche Immobilien. Hinzu kommen – ein wichtiger Posten – Kredite an Projektentwickler, die während des
Booms im ganzen Land Straßenzüge oder sogar komplette neue Viertel hochzogen, zunehmend
spekulativ, d.h. ohne bei Baubeginn schon Käufer gefunden zu haben.
Schieflage im
Bankensystem
Fallende Preise für Häuser wie auch für gewerbliche Immobilien und steigende Arbeitslosigkeit
führten dann 2007/2008 zu erheblichen Belastungen für die Banken in der Form von Problemkrediten. Die irischen Banken hatten das dynamische Bilanzwachstum der Vorjahre am internationalen Geldmarkt, d.h. meist kurzfristig, refinanziert. Nach der Verschärfung der Finanzkrise im
September 2008 kamen sie daher schnell in massive Liquiditätsprobleme. Angesichts einer Bilanzsumme von 500 % des irischen BIP sah sich die Regierung Cowen einer Herausforderung gegenüber, die innerhalb von Europa wohl nur noch von der Lage in Island übertroffen wurde.
Der Staat handelte entschlossen: Eine der drei großen Banken wurde komplett verstaatlicht, bei
den beiden anderen stieg die öffentliche Hand im Umfang von 7 Mrd. Euro in der Form von Vorzugsaktien ein. Zudem wurde ein großer Teil der Verbindlichkeiten des Bankensektors durch eine
Staatsgarantie abgedeckt – diese Garantie betraf Mitte 2009 Bankschulden in Höhe von 275 Mrd.
Euro (150 % des BIP). Schließlich beschloss die Regierung eine „National Asset Management
Agency“ (NAMA), die den Banken Problemkredite im Buchwert von fast 80 Mrd. Euro abkaufen
soll. Dies entspricht 50 % des irischen BIP (in Deutschland würde dies einer Summe von 1.200
Mrd. Euro entsprechen). Wie sich die Belastung hierbei auf Steuerzahler und Banken verteilt,
hängt entscheidend vom Preis ab, den NAMA für die Kredite bezahlt. Derzeit wird von einem
durchschnittlichen Abschlag von rund 30 % auf den Buchwert ausgegangen.
Helaba Volkswirtschaft/Research · 11. Mai 2010· © Helaba
3
Länderfokus: Irland
Vom Boom am Immobilienmarkt hatte der irische Finanzminister auch direkt über kräftig steigenden Einnahmen profitiert. Angesichts der positiven Entwicklung des Steueraufkommens erhöhte
die Regierung die Ausgaben spürbar. Als dann die Rezession zu einem Einbruch der Einnahmen
(besonders vom Immobiliensektor) führte, entstand ein erhebliches Haushaltsdefizit, zumal gleichzeitig auch die Ausgaben für Arbeitslosenunterstützung kräftig stiegen.
In dieser Gemengelage wurde schnell klar, dass dramatische Schritte zur Haushaltskonsolidierung
erforderlich sind. Nach einem weitgehend ausgeglichenen Haushalt 2007 war bereits 2008 ein
Defizit von 7,2 % des BIP verzeichnet worden. Im folgenden Jahr weitete es sich auf 14,3 % aus,
und selbst dies wurde nur erreicht, weil die Dubliner Regierung Notmaßnahmen beschloss, die das
Defizit im Umfang von etwa 5 % des BIP reduzierten. Im Jahr 2009 geschah dies hauptsächlich
über höhere Steuern und Abgaben, aber auch die Gehälter der öffentlichen Beschäftigten wurden
bereits im Schnitt um 7 % gesenkt.
Harter Sparkurs
notwendig
Im Dezember 2009 stimmte das Parlament dem Budget für 2010 zu. Hier verschob sich der
Schwerpunkt des Sparkurses weg von Steuererhöhungen und hin zu Ausgabenkürzungen. Die
Gehälter der Staatsangestellten wurden um 5 % bis 15 % reduziert, Sozialtransfers im Schnitt um
4 % und die öffentlichen Investitionen um 12 % gesenkt. Gleichzeitig wurde eine Ökosteuer
(„carbon tax“) eingeführt. Damit soll das Defizit im laufenden Jahr auf 11,6 % des BIP gesenkt
werden. 2 Im März 2010 stellte die Regierung die Reform des öffentlichen Pensionssystems vor.
Das Renteneintrittsalter soll von derzeit 65 bis 2014 auf 66 Jahre steigen und 2028 67 Jahre erreichen. Weitere kurzfristigere Sparmaßnahmen sind für 2011 (1,5 % des BIP) und 2012 (2 % des
BIP) fest eingeplant, müssen aber zum großen Teil noch konkretisiert werden. Im Jahr 2014 soll
das Defizit wieder unter 3 % des BIP liegen. Bislang gibt es keine Pläne, die Unternehmensertragsteuer von ihrem im EU-Vergleich niedrigen Niveau von 12,5 % zu erhöhen.
Erheblicher Konsolidierungsbedarf
Starker Anstieg von sehr niedrigem Niveau
Saldo des öffentlichen Haushalts, % am BIP (2010 geschätzt)
Staatsschulden (Eurostat-Definition), % am BIP
5
5
Irland
140
140
120
0
0
-5
-5
-10
-10
1970
1975
1980
1985
1990
1995
2000
100
100
80
80
60
60
40
40
Irland
20
Griechenland
-15
120
Griechenland
-15
2005
2010
Quellen: EcoWin, EU-Kommission, Helaba Volkswirtschaft/Research
20
0
0
1998
2000
2002
2004
2006
2008
2010
Quellen: Eurostat, Helaba Volkswirtschaft/Research
Prognosen 2010/2011: Eurostat und Irisches Finanzministerium
Obwohl die aktuellen Defizitzahlen schlimmer aussehen als in Griechenland, ist die Lage in Irland
günstiger. Die öffentlichen Schulden hatte man während des Booms deutlich zurückgefahren – sie
lagen vor der Krise bei nur rund 25 % des BIP. Hohe Defizite und die schrumpfende Wirtschaft
ließen die Schulden bis 2009 auf 64 % klettern. Dies ist aber noch immer deutlich niedriger als in
Griechenland (115 %), auch wenn einige potenzielle Verbindlichkeiten nicht mit einberechnet
sind: die Schulden der verstaatlichten Bank, die Garantien für die Verbindlichkeiten der anderen
2
Für das laufende Jahr hat die Regierung eine zusätzliche Einlage von 10,9 Mrd. Euro in das Bankensystem angekündigt.
Sollte dies als öffentliche Investition und nicht als Finanztransaktion verbucht werden, so würde das offizielle Defizit für
2010 um rund 7 % höher ausfallen.
Helaba Volkswirtschaft/Research · 11. Mai 2010· © Helaba
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Länderfokus: Irland
Institute und die von der NAMA emittierten Anleihen. 3 In den kommenden Jahren wird die Schuldenquote wohl weiter zunehmen, sie bleibt allerdings deutlich niedriger als in anderen Krisenländern. Im Stabilitätsreport vom Dezember 2009 strebt die Regierung Cowen für 2011 einen Schuldenstand von rund 83 % und für 2014 von rund 80 % an. Verglichen mit Griechenland führen der
niedrigere Schuldenstand und die niedrigeren Zinsen zu einer geringeren Belastung des Haushalts
durch Zinszahlungen. Dies erleichtert es, den Schuldenstand zu stabilisieren.
Guter „track record“
Irlands
Die Glaubwürdigkeit Irlands am Kapitalmarkt profitiert auch von der Tatsache, dass das Land vor
dem langjährigen Boom schon einmal ein erhebliches Schuldenproblem hatte, das es in den achtziger Jahren in den Griff bekommen hat. Von 1986 bis 1990 fiel das strukturelle Haushaltsdefizit
um acht Prozentpunkte. Im Laufe der neunziger Jahre gelang es Irland dann, aus seinen Schulden
„herauszuwachsen“, wobei finanzielle Mittel der EU und – zumindest am Anfang – Abwertungen
des irischen Pfunds halfen.
Um die langfristige Tragfähigkeit der Staatsschuld zu beurteilen und das Risiko eines Zahlungsausfalls abzuschätzen, kommt es nicht zuletzt auf den Ausblick für eine konjunkturelle Erholung
und die mittelfristigen Wachstumsperspektiven an.
Konjunktureller Ausblick: Regnerisch, mit sonnigen Abschnitten
Die unmittelbaren Perspektiven für einen Aufschwung sind mäßig. Die Geldpolitik der EZB, die
sich an der Eurozone insgesamt orientiert, ist für Irland tendenziell noch immer zu restriktiv. Der
kurzfristige Realzins ist angesichts negativer Teuerungsraten deutlich zu hoch. Von Seiten der
Fiskalpolitik werden die Belastungen in der Form von Sparmaßnahmen hoch bleiben.
Als kleine, sehr offene Volkswirtschaft kann sich Irland kaum auf eine Belebung der Binnennachfrage verlassen, aber die Aussichten auf außenwirtschaftliche Impulse sind besser als zum Beispiel
in Griechenland. So sind Abwertungen mangels eigener Währung zwar nicht mehr möglich, aber
die preisliche Wettbewerbsfähigkeit der irischen Unternehmen profitiert von der Abwertung des
handelsgewichteten Euro. Diese fällt größer aus als für viele andere Länder der Eurozone, denn im
irischen Außenhandel spielt Kontinentaleuropa eine vergleichsweise kleine Rolle. Fast 20 % ihrer
Exporte liefern die Iren auf die andere Seite des Atlantiks, in die USA, und weitere knapp 20 %
gehen auf die andere Seite der Irischen See, nach Großbritannien. Während sich die Wachstumsaussichten in Großbritannien nur unwesentlich von denen des Euroraums unterscheiden, läuft die
Konjunktur in den USA derzeit schon wieder deutlich besser.
Auf Abwertungskurs
Kein schlechter Produkt-Mix
Handelsgewichteter Außenwert des Euro in Irland, 1993 = 100
Exportstruktur Irland, Anteil an den Warenexporten
130
125
120
115
120
115
real
110
110
105
100
105
100
95
90
85
85
80
80
1995
1997
1999
2001
2003
2005
Quellen: EcoWin, Helaba Volkswirtschaft/Research
3
Andere
verarbeitete
Produkte
11%
95
nominal
90
1993
Andere
16%
130
125
2007
Maschinen &
Fahrzeuge
17%
2009
Insgesamt: 83,5 Mrd. €
(2009)
Chemie &
Pharma
56%
Quellen: CSO, EcoWin, Helaba Volkswirtschaft/Research
Die Berechnung der Schuldenquote ohne diese Verbindlichkeiten ist im Einklang mit der Praxis von Eurostat. Da dies
aber potenziellen Belastungen für den irischen Steuerzahler sind, lohnt es sich, sie im Auge zu behalten.
Helaba Volkswirtschaft/Research · 11. Mai 2010· © Helaba
5
Länderfokus: Irland
Überhaupt unterscheidet sich die Zahlungsbilanzsituation Irlands grundsätzlich von der Griechenlands oder Portugals. So hat das Land zwar in den vergangenen Jahren ein Leistungsbilanzdefizit
verzeichnet. Allerdings liegt der Fehlbetrag in einer ganz anderen Größenordnung (2009: Irland
2,9 % des BIP, Griechenland 13,1 %). Die Exporte sind in Irland mit 83 % des BIP nicht nur viel
wichtiger als in Griechenland (23 %), sie sind zudem auch höher als die Importe (73 % des BIP,
Griechenland: 33 %). Aus dem irischen Handelsbilanzüberschuss wurde zuletzt nur deshalb ein
Leistungsbilanzdefizit, weil die repatriierten Gewinne multinationaler Unternehmen zu einem
massiven Defizit in der Einkommensbilanz geführt haben. Dies spiegelt die hohe Attraktivität der
Insel als Produktionsstandort wider – der Bestand an ausländischen Direktinvestitionen (FDI) in
Irland liegt bei fast 70 % des BIP, im internationalen Vergleich ein Spitzenwert.
Irland orientiert sich nicht nur zu anderen Absatzmärkten als die Eurozone insgesamt. Auch die
Art der Exporte unterscheidet sich deutlich von denen der Mittelmeerländer. Im irischen Exportsektor sind vor allem multinationale Unternehmen tätig. Hier dominieren die Chemie- und Pharmabranchen, gefolgt von der Herstellung von elektronischen Hightech-Geräten wie Computern
(siehe Schaubild auf S. 5 und Tabelle S. 7). Im Gegensatz dazu sind in Griechenland Vorerzeugnisse (23 % der Exporte) und Nahrungsmittel (16 %) die wichtigsten Ausfuhrgüter.
Im laufenden Jahr dürfte die irische Leistungsbilanz bereits weitgehend ausgeglichen sein. In den
kommenden Jahren sind Überschüsse wahrscheinlich.
Die vergleichsweise hohe Flexibilität der irischen Wirtschaft verbessert nicht nur die mittel- bis
langfristigen Perspektiven (siehe unten), sondern schlägt sich auch kurzfristig nieder. So war Irland seit Jahrzehnten, wenn nicht seit Jahrhunderten, ein klassisches Auswanderungsland. Doch
Mitte der neunziger Jahre begann die Zahl der Einwanderer die der Auswanderer nachhaltig zu
übersteigen. In zunehmendem Maße kehrten nicht nur Iren aus dem Ausland zurück, sondern Ausländer 4 zogen nach Irland, um am dortigen Wirtschaftsaufschwung zu partizipieren. Während des
Booms stieg die Bevölkerungszahl alleine durch Einwanderung um bis zu 1,7 % im Jahr. Nun
wird diese Zuwanderung zu einem Überdruckventil für den Arbeitsmarkt. Im Jahr 2009 wanderten
erstmals seit 1995 wieder mehr Personen aus als ein. Iren orientieren sich angesichts der angespannten Lage auf dem heimischen Arbeitsmarkt wieder verstärkt ins Ausland, während ein Teil
der zugewanderten ausländischen Arbeitskräfte das Land wohl wieder verlassen wird.
Fallende Nominallöhne
Gleichzeitig verbessert sich die Wettbewerbsfähigkeit der irischen Wirtschaft bereits durch eine
nominale Anpassung des inländischen Preisniveaus. Die Preise fallen auf der Verbraucherebene.
Noch beeindruckender ist aber der Rückgang der Nominallöhne. Die OECD erwartet, dass die
gesamtwirtschaftlichen Löhne um etwa 5 % fallen werden, eine Entwicklung, die die Pariser Organisation für ein Industrieland als „unprecedented in recent times“ bezeichnet. Zwar formiert sich
im Frühjahr 2010 erster Protest seitens der Gewerkschaften, insbesondere im öffentlichen Sektor,
doch alles in allem ist erstaunlich, mit welcher stoischen Gelassenheit die Bevölkerung bisher auf
die Krise reagiert hat.
Die Konjunkturindikatoren deuten darauf hin, dass die Rezession in Irland langsam zu Ende geht,
obwohl die Arbeitslosigkeit zunächst noch weiter steigen dürfte. Nicht zuletzt wegen des anhaltenden Sparkurses der Regierung dürfte das reale BIP 2010 noch einmal um 1 % schrumpfen. Für
das nächste Jahr erwarten wir wieder ein Wachstum von 1,5 %. Die Deflation auf der Verbraucherpreisebene sollte auslaufen – für den Jahresdurchschnitt 2011 rechnen wir mit einem leichten
Preisanstieg (0,8 %).
4
Vor allem aus der Eurozone, aber auch aus Osteuropa (innerhalb und außerhalb der EU) und aus Südamerika.
Helaba Volkswirtschaft/Research · 11. Mai 2010· © Helaba
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Länderfokus: Irland
Langfristige Perspektiven: Silberstreifen am Horizont
Ist der kurzfristige konjunkturelle Ausblick noch etwas getrübt, so ist der mittel- bis langfristige
Wachstumsausblick besser. Zwar haben sich Schätzungen des irischen Wachstumstrends von vor
der Krise als überhöht herausgestellt. Die Perspektiven bleiben aber verglichen mit anderen Industrieländern sehr gut. Die OECD geht derzeit für die nächsten Jahre von einem Trendwachstum um
die 3 % aus, wobei sie auf eine gewisse Unsicherheit im Zusammenhang mit der Nettozuwanderung verweist. Irland hat mit knapp zwei eine im europäischen Vergleich hohe Geburtenrate. Darüber hinaus ist aber unklar, ob es in den nächsten Jahren dabei bleibt, dass mehr Personen aus- als
einwandern – oder ob dies nur eine unmittelbare Folge der Rezession war.
Ausgewählte Indikatoren zur Wettbewerbsfähigkeit
Irland
Bestand an FDI
Ausgaben für F&E
Patente
Wertschöpfung in der ICT-Branche *
Universitätsabschlussrate
Haushalte mit Internetanschluss
% am BIP
% am BIP
pro Mio. Einwohner
% des Verarb. Gewerbe
% der Altersgruppe
% aller Haushalte
Griechenland
65,0
1,4
69,7
11,5
39,1
65,5
Portugal
15,4
0,6
15,0
2,9
20,4
40,1
45,0
1,2
10,0
2,8
32,9
39,6
Quellen: OECD, Helaba Volkswirtschaft/Research. Jeweils letzter verf. Stand. * Informations- und Kommunikationstechnologie.
Vergleichsweise gute
Position im globalen
Wettbewerb
Die Wettbewerbsfähigkeit der irischen Wirtschaft spricht ebenfalls dafür, dass die zu erwartenden
außenwirtschaftlichen Impulse in Zukunft auf fruchtbaren Boden fallen. Eine ganze Reihe von
Strukturindikatoren (vgl. Tabelle) zeigt, dass Irland in der Weltwirtschaft mit seinem „Geschäftsmodell“ besser positioniert ist als z.B. Griechenland. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommen auch
internationale Standortvergleiche. Im jüngsten „Global Competitiveness Report“ des World Economic Forum erreicht Irland den 25. Platz unter 133 Ländern (Spanien 33, Portugal 43, Italien 48,
Griechenland 71). In der Rangliste „Ease of Doing Business“ der Weltbank liegt Irland sogar als
bestes Land der Eurozone auf Platz 7 unter 183 Ländern.
Das beste Maß für die preisliche Wettbewerbsfähigkeit einer Wirtschaft sind die Lohnstückkosten,
also die Lohnkosten, die unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Produktivitätsentwicklung
anfallen. Leider sind Daten, die einen absoluten Vergleich zwischen Ländern ermöglichen, Mangelware. Hilfsweise lässt sich aber die Veränderung seit einem Basisjahr betrachten. Gemessen
daran sind die Lohnkosten in Griechenland seit 2000 stärker gestiegen als im Euroraum insgesamt.
Auch in Irland stiegen die Lohnstückkosten überdurchschnittlich. Verglichen mit den Mittelmeerstaaten verbesserte sich die Position Irlands allerdings. Bis Q3 2009 sind die Lohnstückkosten in
Irland von ihrem Hoch bereits um fast 7 % gefallen. Damit verbessern sich die Chancen, dass die
Exporte in der kommenden Expansion der wohl zunächst eher schwachen Binnennachfrage unter
die Arme greifen können und die irische Wirtschaft auf ihren Wachstumstrend zurückkehrt.
Kräftiges Bevölkerungswachstum
Irische Lohnstückkosten fallen wieder
Bevölkerung, Veränderung gegenüber Vorjahr in %
Lohnstückkosten, Index, Q1 2000 = 100
3
3
150
2
2
140
1
1
130
0
120
150
Nettozuwanderung
0
-1
natürliches Wachstum
-2
-3
1988 1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008
Quellen: CSO, Helaba Volkswirtschaft/Research
-1
Griechenland
130
120
Eurozone
110
-2
100
-3
90
140
Irland
110
100
90
2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009
Quellen: EcoWin, OECD, Helaba Volkswirtschaft/Research
Helaba Volkswirtschaft/Research · 11. Mai 2010· © Helaba
7
Länderfokus: Irland
Fazit: Ein schwieriger Weg, aber die Erfolgsaussichten sind nicht schlecht
Angesichts der beachtlichen Risiken für den öffentlichen Haushalt, vor allem seitens des Bankensystems, ist trotz der verglichen mit Griechenland guten Lage Irlands nicht auszuschließen, dass
das Land letztlich gezwungen sein könnte, Finanzhilfen der EU und des IWF in Anspruch zu nehmen. Kurzfristig besteht hierbei insbesondere die Gefahr, dass Panik an den Finanzmärkten Investoren dazu bewegen könnte, nicht mehr zwischen Risiken zu differenzieren, sondern ihre Mittel
nur noch den sichersten Schuldnern anzuvertrauen.
Klarer
Konsolidierungskurs
Sowohl die Fundamentaldaten wie auch das politische Umfeld geben für Irland aber Anlass zur
Hoffnung, dass sich die Lage stabilisieren wird. Obwohl die irische Regierung sich auf eine Dreiparteienkoalition stützt, sind von der Seite der Politik derzeit keine Querschüsse zu erwarten. Den
Verantwortlichen ist der Ernst der Lage bewusst. Die nächsten Wahlen zum Dáil (Unterhaus)
stehen erst 2012 an. Zudem profitiert die Glaubwürdigkeit der Regierung davon, dass Premier
Cowen nicht wie sein Vorgänger von Korruptionsvorwürfen und einer zu engen Verstrickung mit
der Bauindustrie belastet ist. Der harte Sparkurs zeigt, dass die Regierung entschlossen ist, die
Lage aus eigener Kraft in den Griff zu bekommen.
Ein mittel- bis langfristig kräftigerer Wachstumstrend ermöglicht einem Land, höhere Zinsen
und/oder höhere Defizite zu tragen, ohne dass es zu einer Schuldenspirale kommt. Hierfür ist Irland vergleichweise gut positioniert. Allerdings setzt ein geordnetes Abarbeiten der Probleme des
Bankensystems und ein Abbau der Schulden voraus, dass sich die Lage an den Finanzmärkten
nachhaltig beruhigt und es nicht zu einer „Ansteckung“ kommt. Die konzertierte Aktion von EUKommission, Regierungen und EZB am vergangenen Wochenende wirkt in diese Richtung. Es ist
schwer vorstellbar, dass die EU die Iren fallen lassen würde, nachdem sie der griechischen Regierung mit einem so massiven Einsatz ausgeholfen hat.
Wirtschaftsdaten und Prognosen Irland
Nominales BIP
Reales BIP-Wachstum
BIP pro Kopf
Bevölkerung
Arbeitslosenrate (ILO)
Inflationsrate (HVPI)
Staat
Einnahmen
Ausgaben
Budgetsaldo
Struktureller Saldo
Schulden
Leistungsbilanz
Handelsbilanzsaldo
Leistungsbilanzsaldo
2008
2009
2010p
2011p
181,8
-3,0
41131
4,42
6,3
3,1
159,2
-7,0
35695
4,46
11,6
-1,7
155,2
-1,0
35683
4,35
14,0
-1,5
158,8
1,5
37362
4,25
14,5
0,8
BIP
34,7
42,0
-7,2
-7,0
79,8
43,9
34,1
48,4
-14,3
-9,4
104,7
64,5
-11,6
-9,2
77,9
-10,0
-8,5
82,9
Mrd €
% des BIP
Mrd €
% des BIP
28,8
15,8
-9,4
-5,2
38,7
24,3
-4,8
-3,0
-1,0
1,0
Mrd €
% gg Vj
€
Mio.
%
% gg Vj
% des
% des
% des
% des
Mrd €
% des
BIP
BIP
BIP
BIP
p = Prognose
Quellen: EIU, EcoWin, CSO, Eurostat, Helaba Volkswirtschaft/Research
%
Helaba Volkswirtschaft/Research · 11. Mai 2010· © Helaba
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