DAS KIND UND DIE ZAUBERDINGE L'ENFANT ET LES SORTILÈGES EINE LYRISCH-PHANTASTISCHE BEGEBENHEIT VON MAURICE RAVEL MATERIALIEN ZUSAMMENGESTELLT VON MUSIKTHEATERPÄDAGOGIN EVA BINKLE SAARLÄNDISCHES STAATSTHEATER SPIELZEIT 2014/15 1 INHALT Vorwort ..................................................................................................................................................................................3 Entstehung des Werkes … ..............................................................................................................................................4 Trotz, Zerstörungswut und Mitgefühl .......................................................................................................................6 Komponist .............................................................................................................................................................................7 Die Oper .............................................................................................................................................................................. 10 Das Kind und die Zauberdinge .................................................................................................................................. 10 Was ist eine Oper? .......................................................................................................................................................... 11 Stimmgattungen .............................................................................................................................................................. 12 Wichtige Berufe an einem Opernhaus .................................................................................................................... 12 Handelnde Personen | Tiere | Objekte | Elemente ............................................................................................ 13 Handlung ............................................................................................................................................................................ 14 Interview ............................................................................................................................................................................ 15 Rokoko ................................................................................................................................................................................. 18 Musik .................................................................................................................................................................................... 20 Hörempfehlungen ........................................................................................................................................................... 36 Spielanlässe ....................................................................................................................................................................... 45 Materialien ......................................................................................................................................................................... 50 Rollenkarten...................................................................................................................................................................... 51 Standbilder ........................................................................................................................................................................ 54 Fragen zu Maurice Ravel .............................................................................................................................................. 55 Fragen zum Inhalt ........................................................................................................................................................... 55 Fragen zur Inszenierung .............................................................................................................................................. 56 Abbildungsverzeichnis ................................................................................................................................................. 57 Literaturverzeichnis ..................................................................................................................................................... 58 2 VORWORT LIEBE LEHRERINNEN UND LEHRER, MIT DER VORLIEGENDEN MATERIALSAMMLUNG ZU »DAS KIND UND DIE ZAUBERDINGE« MÖCHTEN WIR IHNEN EINEN ÜBERBLICK ÜBER DIE OPER GEBEN. DIE HINTERGRUNDINFORMATIONEN UND ANREGUNGEN FÜR DEN UNTERRICHT SIND FÜR EINE MÖGLICHE VOR- UND NACHBEREITUNG DES THEATERBESUCHS GEDACHT. ALS ERGÄNZUNG ZU DEN VORBEREITUNGEN IM UNTERRICHT ORGANISIEREN WIR AUF ANFRAGE GERN EINE KURZE EINFÜHRUNG FÜR IHRE KLASSE. WIR WÜNSCHEN IHNEN UND IHREN SCHÜLERN VIEL FREUDE BEIM VORBEREITEN UND EINEN SPANNENDEN OPERNBESUCH! ÜBER SCHRIFTLICHE FEEDBACKS FREUEN WIR UNS SEHR. EVA BINKLE (MUSIKTHEATERPÄDAGOGIN) »Es gibt eigentlich nur zwei Arten von Musik, die eine gefällt und die andere langweilt.« Maurice Ravel KONTAKT SAARLÄNDISCHES STAATSTHEATER SCHILLERPLATZ 1 66111 SAARBRÜCKEN TEL. 0681 3092 248 [email protected] 3 ENTSTEHUNG DES WERKES COLETTE (1873–1954) Die Geschichte des Werkes beginnt im Jahr 1914, als Jacques Rouché, der Direktor der Pariser Oper, die erfolgreiche Schriftstellerin, Varietékünstlerin und Journalistin Colette (eigentlich Sidonie-Gabrielle Claudine Colette) um ein Libretto zu einem Märchen-Ballett bittet. Colette, die selbst als Tänzerin und Schauspielerin auftritt, ist sofort begeistert eine phantasievolle Geschichte für das Ballett schreiben zu dürfen und nimmt das Angebot an. Thematisch knüpft Colette an das 1865 erschienene Kinderbuch »Alice im Wunderland« des britischen Schriftstellers Lewis Carroll an. Colette bekommt den Auftrag in einer persönlich schweren Zeit. Im Jahr 1912 verliert sie durch den Tod der Mutter, Sidonie Landoy, ihre engste Vertraute und setzt ihr mit der Figur »Sido« im gleichnamigen Roman ein literarisches Denkmal. Im Jahr zuvor hatte Colette ihre Tochter BelGazou zur Welt gebracht, der sie das Werk mit dem Arbeitstitel »Divertissement pour ma petite fille« widmet. Die Schriftstellerin sagt selbst, dass sie diese moralische Geschichte nie geschrieben hätte, wenn sie nicht Unterhaltung für ihre Tochter gesucht hätte. Colette Abbildung 1 Das Libretto gefällt Rouché sofort und er ermutigt Colette einen Komponisten zu suchen. Doch zunächst schlägt sie alle seine Vorschläge aus, bis er ihr Maurice Ravel vorschlägt, dessen Musik Colette sehr schätzt. Sie schreibt dazu in ihrer Autobiografie: »Und wenn ich ihnen Ravel vorschlüge?« sagte Rouché nach einer kleinen Pause. Ich ließ alle Höflichkeit fallen und gab lauthals meiner Hoffnung Ausdruck. ›Machen wir uns nichts vor‹, wandte Rouché ein, ›selbst wenn Ravel zusagt, kann es lange dauern.‹ Er sagte zu. Es dauerte lange. Er nahm mein Libretto mit, und wir hörten nichts mehr – weder von Ravel, noch von ›L'Enfant‹… Wo arbeitet Ravel? Arbeitet er überhaupt? […] Dann kam Libretto ist ein italienisches der Krieg, und ich gewöhnte mich daran, nicht mehr an ›L'Enfant‹ zu Wort und heißt übersetzt denken.« »Büchlein«. Gemeint ist damit der Text, der während einer Oper gesungen wird. Die erste Übersendung des Librettos erreicht Maurice Ravel wegen der Wirren des ersten Weltkriegs nicht, er ist als Lastwagenfahrer in der Nähe von Verdun eingesetzt. Doch der Kriegsdienst dauert glücklicherweise nicht lange, denn 1917 wird er wegen Krankheit freigestellt und kann sich wieder ganz seiner Musik widmen. Endlich, im Februar 1918, schreibt Maurice Ravel an Colette: »Chère Madame, um dieselbe Zeit, als sie bei Rouché Ihr Bedauern äußerten, von mir nicht gehört zu haben, dachte ich inmitten des Schnees, der mich umgibt, daran, Sie zu fragen, ob Sie überhaupt noch mit einem derart unzuverlässigen Mitarbeiter zu tun haben wollen. Meine einzige Entschuldigung ist mein Gesundheitszustand: Lange Zeit habe ich ernsthaft Angst gehabt, nie wieder arbeiten zu können. Nun geht es wohl besser: Die Arbeitslust scheint zurückzukommen. Hier geht es nicht; aber gleich nach meiner Rückkehr, Anfang April, will ich wieder anfangen, und als erstes mit unserer Oper. Tatsächlich arbeite ich schon daran: Ich mache Notizen – ohne eine einzige Note zu schreiben –; ich denke sogar an einige Änderungen … Keine Angst: es geht nicht um Kürzungen; im Gegenteil. Zum Beispiel: Ließe sich die Erzählung des Eichhörnchens nicht ausbauen? Stellen sie sich vor, was ein Eichhörnchen alles über den Wald erzählen kann, und was das in Musik gesetzt ergeben würde! Etwas anderes: Was hielten Sie davon, wenn die Tasse und die Teekanne, in altem – schwarzen – Wedgwood, einen Ragtime singen würden?« 4 Ravel und Colette sind sich in ihren Vorlieben für die Natur, Blumen und Tiere, vor allem Katzen und für die Zauberwelt der Märchen einig. Beide verbindet außerdem eine tiefe Zuneigung zur Mutter. Alle diese Gemeinsamkeiten sind sehr förderlich für die gemeinsame Arbeit. Colette antwortet also sofort, erklärt sich mit den Änderungsvorschlägen einverstanden und hört daraufhin Monate lang nichts von Ravel. Nachdem Rouché die Hoffnung auf eine fertige Oper schon aufgegeben hat und der Vertrag mit der Opéra de Paris geplatzt ist, tritt der Direktor der Oper von Monte Carlo an Ravel heran und bietet ihm an, das Werk an seinem Theater uraufzuführen. Ravel stimmt zu und geht sogar auf die Bedingung ein, das Werk bis Ende 1924 fertig zu stellen. Nach vielen Jahren des Zögerns vollendet Ravel die Partitur schließlich in nur sechs Monaten. Die Kompositionsarbeiten setzen sich bis in die Probenzeit fort, so bittet Ravel Colette noch fünf Tage vor der Uraufführung einen Text zu einigen kurzfristig eingeschobenen Takten zu liefern. Am 21. März 1925 wird »L'Enfant et les Sortilèges« (»Das Kind und die Zauberdinge«) in Monte Carlo uraufgeführt. Der Erfolg bei Presse und Publikum ist gleichermaßen überwältigend, und Colette zerfließt bei dieser Musik von fast überirdischer Schönheit in Tränen: »Wie soll ich meine Rührung beschreiben beim ersten Hüpfen der Tamburine, die den Aufzug der Hirtenknaben begleiten? Der Mondglanz des Gartens, der Flug der Libellen und Fledermäuse ... >Nicht wahr, es ist amüsant?< Sagte Ravel. Mir indessen beengte ein Knoten von Tränen die Kehle.« Das witzig-entzückende Katzenduett, das der Komponist Arthur Honegger als bemerkenswertesten Satz der ganzen Partitur hervorhebt, erregt das Entsetzen von Teilen des Publikums, bei einigen der anstoßerregenden Nummern wird laut auf Trillerpfeifen gepfiffen. Zehn Tage nach der Pariser Erstaufführung ging in Brüssel eine von Ravel selber begleitete Inszenierung unter allgemeinem Wohlgefallen über die Bühne, und bald folgten weitere Aufführungen in Prag, Leipzig, Wien, San Francisco und schließlich 1939 am ursprünglich erdachten Aufführungsort: der Opéra de Paris. Ravel Abbildung 2 5 TROTZ, ZERSTÖRUNGSWUT UND MITGEFÜHL »Komm sofort rein!« – »Sei jetzt endlich ruhig!« – »Tu, was ich dir sage!« – »Heb das auf, aber ganz fix!« – »Entschuldige dich auf der Stelle!« So oder ähnlich lauten die Befehle, die Kindern, oft in dichter Abfolge, erteilt werden. Die Liste ließe sich nahezu endlos fortsetzen. Eltern dulden keinen Aufschub, erwarten prompten Gehorsam. In aller Regel versuchen sie ein Kind dazu zu bewegen, eine Handlung zu vollziehen, die sie in einer Situation für richtig halten. Doch nicht immer haben sie damit Erfolg. Die Kinder hören nicht, sind ungehorsam, man muss ihnen alles dreimal sagen. Und wenn sie dann immer noch nicht das machen, was sie machen sollen, wird der Erwachsene noch mal etwas lauter, ärgerlich – schließlich ist auch seine Geduld am Ende. Entweder wird eine Belohnung in Aussicht gestellt oder aber geschrien und mit mehr oder weniger harten Strafen gedroht. Es kommt zu einem offenen Kampf zwischen dem Erwachsenen und dem Kind, das sich mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln gegen die Übermacht zur Wehr setzt (Schreien, Trampeln, zu Boden schmeißen u. a.). Ihren Unmut teilen Kinder ungefiltert mit: Sie können ihre Gefühle noch nicht kontrollieren oder sie durch Worte ausdrücken. Deshalb stampfen, schreien, wüten sie. Ein Kind in Zerstörungswut: »Ich mag niemanden. Ich bin sehr böse! Böse. Hurra! Ich bin frei, böse und frei!«, spielt in Ravels Oper die Hauptrolle. Es hat keine Lust, seine Schulaufgaben zu machen, gibt hässliche Widerworte, quält Katze und Eichhörnchen, verwüstet die Einrichtung. Doch die Gegenstände, das Spielzeug, die Tiere, das Feuer im Kamin, die Möbel, die Teekanne werden plötzlich lebendig, rächen sie sich an dem Kind. Alle Schülerinnen und Schüler kennen solche Konflikte mit den Eltern oder Erziehern. So können sie bei der Beschäftigung mit der Oper mit und durch die Musik an eigene Erfahrungen anknüpfen. Im Text sind die Tätigkeiten und Gedanken des Kindes dargestellt, in der Musik die differenzierten, widersprüchlichen und lebensnahen Emotionen und Handlungen. Ein verträumtes Kind, das aus Unlust und Langeweile keine Hausaufgaben machen will. Dann das trotzige Kind, das auf keinen Fall die Wünsche der Mutter erfüllen will und ermahnt wird. Das wütende Kind (»Ich bin böse!«), lässt sich mehr und mehr von seiner Wut mitreißen, wird gewalttätig, bis zur Tierquälerei. Schülerinnen und Schüler kennen aus ähnlichen Situationen Wutfantasien im Kopf, kleine aggressive Handlungen (gegen den Stuhl treten o. ä.), seltener auch gewalttätige Wutausbrüche. Sie kennen die Situation, zu wissen etwas Falsches zu tun, aber trotzdem weiter machen, ohne eigentlich zu wissen warum. In der Oper ist das Kind nach der Raserei zunächst unsicher, dann ängstlich. Es versteht nicht, warum in der vertrauten Umgebung plötzlich alles so fremd ist. Es wird traurig, als die geliebte Prinzessin aus dem Kinderbuch verschwindet. Die daraus erscheinenden Zahlen verwirren das Kind und es fühlt sich ganz einsam, weil es keine Zuwendung durch den Kater erfährt. Als das Kind durch die Tiere im Garten von den Folgen seines Handelns erfährt, ist es sehr betroffen und mitfühlend. Selbstlos hilft es dem verletzten Eichhörnchen. Abbildung 3 6 KOMPONIST Maurice Ravel *7. März 1875 † 28. Dezember 1937 Maurice Ravel wird am 7. März 1875 in Ciboure (bei Saint-Jean-deLuz, Frankreich) als erster von zwei Söhnen geboren. Seine aus Spanien stammende Mutter singt ihn mit baskischen und spanischen Liedern in den Schlaf und vermittelt ihm früh die Liebe zu Musik und Tanz. Dieser Einfluss ist auch in seinen Kompositionen wiederzufinden. Die Familie des Vaters Joseph Ravel stammt aus der französischsprachigen Schweiz und war 1868 nach Frankreich eingewandert. Joseph Ravel arbeitet hier als Ingenieur an der Weiterentwicklung des Gasmotors (Explosionsmotors). Kurz nach der Geburt des kleinen Maurice zieht die Familie in ein Haus in der Nähe des Montmartre in Paris, wo der Vater eine Anstellung gefunden hat. Auch er ist Musikliebhaber und fördert die musikalischen Interessen seines Sohnes von Anfang an. So erhält Maurice bereits als Siebenjähriger seinen ersten Klavierunterricht und wird ab 13 an einer privaten Musikschule in Klavier und Harmonielehre unterrichtet. Maurice Ravel Abbildung 4 Ab 1889 besucht Ravel das Konservatorium in Paris, wo er die Fächer Klavier, Komposition, Kontrapunkt und Harmonielehre belegt. Er spielt mit dem Gedanken, eine Pianistenlaufbahn einzuschlagen, aber die Voraussetzungen dafür sind nicht optimal. Wärme, Gefühl und Temperament werden seinem Spiel zwar bescheinigt, die Bravour anderer Mitschüler erreicht er aber nicht. Das scheint sich auf seine Motivation auszuwirken: Ravel ist ein fauler Schüler, fällt durch Zwischenprüfungen und muss die Meisterklasse vorzeitig verlassen. Sein Interesse Pianist zu werden ist endgültig auf dem Ravels Geburtshaus Abbildung 5 Nullpunkt angelangt. In späteren Jahren setzt er sich nur noch ans Klavier, um eigene Kompositionen zu Gehör zu bringen – und selbst das nur widerwillig. Im Januar 1897 kehrt Ravel ans Konservatorium zurück und tritt in die Kompositionsklasse von Gabriel Fauré ein. Fauré ist es auch, der Ravel Zutritt zu den mondänen Salons des damaligen Paris ermöglicht. Über die Erlebnisse dort spottet Ravel zwar, aber als mittlerweile ausgeprägter Dandy kann er den Abenden dort auch etwas abgewinnen. Seine blasiert zynischen Auftritte mit plissiertem Hemd und Monokel irritieren sogar seinen besten Freund Ricardo Viñes. Auf die Frage, welcher Schule oder Strömung er angehöre, pflegt Ravel zu antworten: »Überhaupt keiner, ich bin Anarchist.« »Weiße und schwarze Haare vermischten sich und gaben ihm eine gefiederartige Frisur. Beim Sprechen schlug er seine feinen Nagetier-Hände übereinander und streifte alle Dinge mit seinem Blick eines Eichhörnchens.« Colette, 1939 7 Mehrfach bewirbt sich Ravel um den »Prix de Rome«, die höchste Auszeichnung für Komponisten in Frankreich, gewinnt ihn jedoch nie. 1902 beschert die Uraufführung der zwei Klavierwerke »Pavane pour une infante défunte« und »Jeux d'eau« dem Komponisten erstmals öffentliche Anerkennung und zwei Jahre später gelingt ihm mit dem Streichquartett »Quartour à Cordes« der endgültige Durchbruch. Mit 34 Jahren hat sich Ravels Ruf in Künstlerkreisen so weit verbreitet, dass Serge Diaghilew, der berühmte Leiter der »Ballets Russes«, ihn zur Vertonung des Librettos von »Daphnis und Chloé« bittet. Mit diesem Stück gelingt Ravel eines seiner Meisterwerke. Der Erste Weltkrieg geht auch an Maurice Ravel nicht spurlos vorbei. Anders als viele seiner Zeitgenossen entscheidet Ravel sich bewusst zu einer aktiven Beteiligung am Krieg. Er wird im März 1915 als LKWFahrer eingezogen. Eine Bauchfellentzündung zwingt ihn aber schon im September 1916 dazu, wieder nach Paris zurück zu kehren. Dort angekommen, findet er die Mutter schwer krank vor, und ihr Tod einige Monate später hinterlässt unauslöschliche Spuren. Auch nach dem Tod der Mutter lebt Maurice mit seinem Bruder in der Wohnung der Familie in Paris. Ihm wird bewusst, wie sehr sich sein gesamtes Leben und Schaffen um seine Mutter gedreht hat und wie sehr ihre Nähe und Zuneigung ihn inspiriert und ihm Selbstbewusstsein vermittelt hatte. Erst im Jahr 1920 bezieht er die kleine Villa »Le Belvédère« (zu Deutsch: Schöner Ausblick) in Montfort-l'Amaury, nahe Paris, wo er inmitten eines auserlesenen Freundeskreises, umgeben von Tieren (vor allem Katzen) und Kunstwerken, ein ausschließlich der Musik gewidmetes Leben führt. Die Einrichtung des Hauses gestaltet Ravel mit viel Liebe. Er entwirft das Muster der Tapete, bemalt die Stühle und sammelt viele kitschig-schöne Gegenstände aus aller Welt. Er hat eine mechanische Nachtigall, die singt, wenn man sie aufzieht. Ganz besonders liebt Ravel seinen kleinen Garten, pflanzt Bonsai-Bäumchen und exotische Blumen, die überall wuchern. Abbildung 6 In dieser Zurückgezogenheit komponiert er »L´Enfant«. Die Oper spielt in einem alten Landhaus in der Normandie, das auf verblüffende Weise Ravels eigener skurril eingerichteten Villa ähnelt. Im Mittelpunkt steht ein Kind – und das will böse sein. Von der Mutter bei trockenem Brot und ungesüßtem Tee im Zimmer eingesperrt, beginnt alsbald ein wildes Chaos voll von musikalischer Zauberei. Anfang der 20er Jahre verschlechtert sich Ravels Gesundheitszustand zunehmend und obwohl ihm ein Arzt 1927 ein Jahr Arbeitsruhe verordnet, stürzt er sich wie ein Ertrinkender in neue Aufgaben. 1927/28 reist er durch Amerika, wo er auch eigene Werke dirigiert. Bei einem Besuch in England 1928 ernennt ihn die Universität Oxford zum Ehrendoktor. Trotz der gesundheitlichen Beeinträchtigung entstehen in dieser Zeit einige von Ravels berühmtesten Kompositionen, unter anderem auch der »Boléro«. Der als Ballett mit der Tänzerin Ida Rubinstein uraufgeführt und vom Publikum begeistert aufgenommen wird. Ravel selbst bezeichnet das Werk als »simpel« und als »Orchesterstoff ohne Musik«. Abbildung 7 Im Oktober 1932 wird Ravel bei einem Autounfall, an dem er als Taxifahrgast beteiligt ist, leicht verletzt. Diese Verletzungen reichen aus, um seine angeschlagene Gesundheit vollends 8 aus dem Gleichgewicht zu bringen. Er hatte schon zuvor an unerträglichen Kopfschmerzen und Erschöpfungszuständen gelitten. Störungen der Bewegungsmotorik machen es ihm bald nicht einmal mehr möglich, seinen Namen zu schreiben – geschweige denn Noten. Auch die sprachlichen Fähigkeiten lassen stark nach, und er kann nicht mehr komponieren. Die Ursache seiner Erkrankung konnte bis heute nicht abschließend geklärt werden. Am 17. Dezember 1937 begibt Ravel sich in eine Klinik, um durch eine Schädeloperation dem Verdacht auf einen Gehirntumor nachzugehen. Ein Tumor wird bei der Operation am 19. Dezember nicht gefunden. Ravel erwacht aus der Narkose, fragt nach seinem Bruder, sinkt aber bald darauf in ein tiefes Koma, aus dem er nicht mehr erwacht. Am Morgen des 28. Dezember 1937 hört sein Herz auf zu schlagen. Am 30. Dezember wird Maurice Ravel auf dem Friedhof von Levallois-Perret im Westen von Paris neben seinen Eltern begraben. Abbildung 8 »Ich habe noch so viel Musik im Kopf. Ich habe noch nichts gesagt. Ich habe noch alles zu sagen.« Maurice Ravel Interessante Links zum Leben von Maurice Ravel: http://www.musicademy.de/index.php?id=1346 http://www.52composers.com/ravel.html 9 DIE OPER DAS KIND UND DIE ZAUBERDINGE LYRISCH-PHANTASTISCHE BEGEBENHEIT MUSIK von Maurice Ravel LIBRETTO von Colette URAUFFÜHRUNG 21. März 1925 an der Opéra de Monte Carlo PREMIERE: 25. Januar 2015, Saarländisches Staatstheater DAUER: ca. 1 Stunde 15 Minuten (ohne Pause) ORT UND ZEIT DER HANDLUNG: Zimmer und Garten eines Landhauses in der Normandie In französischer Sprache mit deutschen und französischen Übertiteln Abbildung 9 10 WAS IST EINE OPER? Die Oper ist sehr alt, die erste wurde vor fast vierhundert Jahren in Italien geschrieben. Eine Oper ist ein Schauspiel, in dem entweder nur gesungen wird, oder sich Sprache und Gesang abwechseln. Aber auch das Haus, in dem die Oper gespielt wird, und auch die ganze Gruppe an Sängern, Tänzern und Musikern werden als Oper bezeichnet. Oper verbindet alle darstellerischen und technischen Möglichkeiten, die ein Theater bietet, um eine abwechslungsreiche und unvergessliche Vorstellung auf die Bühne zu bringen: In einer Oper steckt nämlich neben dem gedichteten Stück (dem sogenannten Libretto), natürlich die Musik (mit Instrumenten und Gesang), aber auch die Schauspielkunst, die Kunst der Kostüm-, Masken- und Bühnenbildner sowie die der Beleuchter. Die meisten Opern beginnen mit einem Vorspiel oder einer Ouvertüre. Das Orchester spielt allein und der Vorhang bleibt noch geschlossen. Die Musik soll den Zuschauer auf die Handlung der Oper vorbereiten. Auf eine traurige, eine düstere oder auch lustige Geschichte. Ältere Opern sind in viele kleine Abschnitte unterteilt, man nennt sie Nummernopern. Arien werden von einem Sänger alleine gesungen, der hier seine Stimmungen und Gefühle ausdrückt. Außer den Arien gibt es in der Oper auch so genannte Ensembles, bei denen mehrere Sänger gleichzeitig oder nacheinander singen. Je nachdem wie viele Sänger daran beteiligt sind, heißen sie Duett (2), Terzett (3), Quartett (4), Quintett (5), Sextett (6) oder Septett (7). Diese Ensembles sind große Opernkunst und man findet sie oft an den dramatischen Höhepunkten der Handlung, also am Ende größerer Abschnitte. Eine wichtige Rolle spielt in Opern auch der Chor, in dem viele Sänger (Sopran, Alt, Tenor, Bass) zusammen die gleiche Stimme singen. Der Chor ist immer dann auf der Bühne, wenn größere Volksmengen gebraucht werden. Begleitet werden die Chöre meist durch das Orchester. Wenn diese Einzelteile der Oper durch gesprochenen Text verbunden werden, nennt man sie auch Singspiele. Berühmt ist hier zum Beispiel Mozarts »Zauberflöte«. In vielen Opern sprechen die Sänger gar nicht, sondern singen auch zwischen den Arien, Chören und Ensembles. In diesen Teilen hält sich das Orchester meistens sehr zurück, spielt oft nur einzelne Harmonien oder schweigt ganz und überlässt dem Cembalo (ein leiser Vorgänger des Klaviers) die Begleitung. Diese Abschnitte der Oper nennt man Rezitativ (Sprechgesang). Diese Art der Oper stammt ursprünglich aus Italien. Damit das Publikum der Handlung trotz der fremden Sprache folgen kann, gibt es in der Oper Übertitel. Das bedeutet der Text wird über der Bühne auf eine Fläche projiziert und kann so von allen mitgelesen werden. Im letzten Jahrhundert entstanden die sogenannten durchkomponierten Opern, in denen es weder Dialoge noch Rezitative gibt. Das Orchester spielt ununterbrochen und verbindet so die einzelnen Teile miteinander. Ein berühmtes Beispiel ist »Der fliegende Holländer« von Richard Wagner, der zweieinhalb Stunden ohne Pause durchgespielt wird. Auch die durchkomponierten Opern sind in Aufzüge oder Akte gegliedert. Jeder Aufzug oder Akt lässt sich in Arien, Ensembles oder nach dem Verlauf der Handlung unterteilen. Man unterscheidet Auftritte, Szenen und Bilder. Ein neuer Auftritt beginnt immer dann, wenn eine Person von der Bühne auf- oder abtritt. Ein Bild dauert so lange, bis das Bühnenbild sich verändert und ein Aufzug oder Akt besteht mindestens aus einem, oder auch mehreren Bildern. Die Szene kann einerseits inhaltlich verbundene Teile zusammenfassen, andererseits können Szenen auch den Auftritten entsprechen. 11 STIMMGATTUNGEN SOPRAN Höchste Frauenstimme, sehr hohe Sopranstimmen erreichen Spitzentöne bis f'''' (z. B. die Königin der Nacht in Mozarts »Zauberflöte«) MEZZOSOPRAN Bezeichnung für die Singstimme der Frau, die etwas tiefer als ein Sopran liegt, aber etwas höher als ein Alt ALT Tiefste Frauenstimme, liegt zwischen Mezzosopran und Tenor COUNTERTENOR Als Countertenor bezeichnet man einen Sänger, der durch die Verwendung der Kopfstimme bzw. der Falsett-Technik in Alt- oder sogar Sopranlage singt. TENOR Bezeichnung für die hohe Männerstimme, liegt über dem Bariton, nicht alle Tenöre können das berühmte hohe »C« singen BARITON Mittlere Männerstimme zwischen Tenor und Bass BASS Tiefste Männerstimme WICHTIGE BERUFE AN EINEM OPERNHAUS BELEUCHTUNGSMEISTER ist für das richtige, meist computergesteuerte Licht zuständig. BÜHNENARBEITER ist für den Auf- und Abbau der Bühne verantwortlich. BÜHNENBILDNER gestaltet die Bühne mit Licht, Farben, Kulissen. DIRIGENT ist der musikalische Leiter einer Aufführung. DRAMATURG ist ein Berater in Text-, Musik- oder Theaterwissenschaftlichen Fragen. INTENDANT ist der Leiter eines Theaters. INSPIZIENT ist für den organisatorischen Ablauf einer Vorstellung verantwortlich. KORREPETITOR studiert mit den Sängern am Klavier ihre Rollen (Partien) ein. KOSTÜMBILDNER entwirft die Kostüme. LIBRETTIST schreibt das Textbuch (Libretto) für die Oper. MASKENBILDNER gestaltet das Aussehen der Darsteller. OPERNDIREKTOR macht Programmplanung, engagiert Sänger und Regisseure. ORCHESTERMUSIKER ist ein Instrumentalist, der im Orchester spielt. REGISSEUR ist für die szenische Darstellung (Inszenierung) zuständig. REQUISITEUR verwaltet die Requisiten (Zubehör, Gegenstände für eine Aufführung). SOUFFLEUR flüstert den Darstellern aus dem Souffleurkasten den Text zu. TONMEISTER ist für die Tonmischung und akustische Einspielungen zuständig. VERWALTUNGSDIREKTOR ist für den finanziellen Haushalt eines Theaterbetriebes verantwortlich. 12 HANDELNDE PERSONEN | TIERE | OBJEKTE | ELEMENTE DAS KIND – lyrischer Mezzosopran Tereza Andrasi DIE MUTTER – Alt Elena Kochukova DIE PRINZESSIN – Koloratursopran Herdís Anna Jónasdóttir EINE SCHÄFERIN – Sopran Elizabeth Wiles EIN SCHÄFER – Alt Judith Braun DER KLEINE ALTE MANN – Tenor János Ocsovai TIERE DIE KATZE – Mezzosopran Elena Kochukova DER KATER – Bariton Stefan Röttig DIE LIBELLE – Mezzosopran Judith Braun DIE NACHTIGALL – Koloratursopran Herdís Anna Jónasdóttir DIE FLEDERMAUS – Sopran Elizabeth Wiles DIE EULE – Sopran Elizabeth Wiles DAS EICHHÖRNCHEN – Mezzosopran Elena Kochukova DER FROSCH – Tenor Algirdas Drevinskas OBJEKTE | ELEMENTE DIE BERGÈRE (POLSTERSESSEL) – Sopran Elena Harsányi DAS FAUTEUIL (LEHNSTUHL) – Bariton James Bobby DIE UHR – Bariton Stefan Röttig DIE CHINESISCHE TASSE – Mezzosopran Judith Braun DIE TEEKANNE – Tenor Algirdas Drevinskas DAS FEUER – Koloratursopran Herdís Anna Jónasdóttir EIN BAUM – Bariton James Bobby Der Kinderchor des SST – Der Opernchor des SST – Das Saarländische Staatsorchester 13 HANDLUNG PAVANE POUR UNE INFANTE DÉFUNTE – JE SUIS LIBRE! L'ENFANT ET LES SORTILÈGES – JE SUIS LIBRE, MÉCHANT ET LIBRE! IM ZIMMER Das Kind hat keine Lust seine Hausaufgaben zu machen. Als die Mutter das Zimmer betritt und feststellt, dass es noch nicht einmal damit angefangen hat, muss es zur Strafe bis zum Abendessen allein im Zimmer bleiben. Kaum hat sich die Tür hinter der Mutter geschlossen, wird das Kind von einer »rasenden Wut« ergriffen, die es an der Einrichtung des Zimmers auslässt. »Ich bin frei, böse und frei«, ruft es schließlich und hält – »atemlos und berauscht von seinem Zerstörungswerk« – inne. Da erwacht plötzlich ein misshandelter Gegenstand nach dem anderen zum Leben und beklagt die Taten des Kindes: Das Fauteuil und die Bergère, ein französischer Sessel, beschließen, dem Kind in Zukunft ihre Polster zu verweigern, die Uhr jammert, dass sie nun ohne Pendel auskommen muss und außer Takt geraten ist, und die Wedgwood-Teekanne und die chinesische Teetasse beschweren sich in englischchinesischem Kauderwelsch über das Treiben des Kindes. Das Kind bedauert den Verlust der Teetasse –da züngelt das Feuer aus dem Kamin hervor. Es rügt den Missbrauch des Schürhakens und droht dem Kind, es zu verbrennen. Kaum ist das Feuer erloschen, ergreifen die Schäfer und Schäferinnen aus der zerstörten Tapete das Wort: Sie beklagen, dass sie getrennt wurden und nicht mehr zusammenkommen können. Das Kind beginnt zu weinen. Die Prinzessin aus dem Märchenbuch erscheint. Sie kann ihren Prinzen nicht finden, der sie vor dem bösen Zauberer beschützt, da das Kind die Seiten herausgerissen hat. Als es vergeblich versucht, der Prinzessin zu helfen und unter den verstreuten Seiten nach dem Ende des Märchens sucht, erheben sich aus den Blättern Zahlen, angeführt von einem kleinen alten Mann. Das Kind erkennt in ihm die ungeliebte Mathematik, die ihm im Staccato falsche Rechenaufgaben, Maßeinheiten und Abzählreime entgegen schleudert. Auch der Kater wendet sich vom Kind ab; er geht lieber in den Garten und umwirbt die Katze. IM GARTEN Das Kind tritt hinaus in den Garten. Aber auch hier trifft es nur auf Wesen, denen es Leid zugefügt hat: Die Bäume stöhnen über die Wunden in ihrer Rinde, die Libelle und die Fledermaus trauern um ihre toten Gefährten, und das Eichhörnchen warnt den Frosch vor dem bösen Kind und seinem Käfig. Das Kind fühlt sich einsam. Es ruft nach der Mutter, womit es alle Aufmerksamkeit auf sich zieht. Die Tiere sinnen auf Rache und beginnen, es zu bedrohen und zu umzingeln. Dabei werden das Kind und ein Eichhörnchen verletzt. Als das Kind ihm die Pfote verbindet, halten die deren Tiere gerührt ein und bemerken: »Das Kind ist gut, es ist brav, es ist so liebevoll«. DAPHNIS ET CHLOÉ, SUITE NR. 2 – IL EST BON L'ENFANT, IL EST SAGE! 14 INTERVIEW ICH BIN FREI, BÖSE UND FREI! Die Musikdramaturgin Caroline Scheidegger im Gespräch mit der Regisseurin Solvejg Bauer Caroline Scheidegger: Schon als wir dich fragten, ob du die Regie zu »Das Kind und die Zauberdinge« übernehmen willst, war klar, dass die Oper mit ihrer Spieldauer von nur knapp einer Stunde zu kurz für einen Abend sein würde. Ein Doppelabend kam für uns alle nicht in Frage, und so hast du schließlich die Oper mit zwei Instrumentalstücken von Ravel flankiert. Was kam zuerst: Das Konzept für die Inszenierung oder die Auswahl der Stücke? Solvejg Bauer: Für mich stand relativ schnell fest, dass sich der Abend auf diese feine, ganz eigene Klangwelt von Ravel beschränken soll. Und so habe ich mich erst mal durch Ravels Werk gegraben, habe viel gehört, und in zwei Stücke habe ich mich dann – fast auf den ersten Blick – verliebt: In die »Pavane pour une infante défunte«, die wir wie eine Ouvertüre vor die eigentliche Oper setzen und in die 2. Suite aus »Daphnis et Chloé«, die den Abend beschließen wird. Erst in ihrem Zusammenspiel hat sich für mich ergeben, wie ich das Stück und seine Figuren erzählen will. Die »Pavane«, deren vollständiger Titel sich ja in etwa als »Tanz für eine verstorbene Prinzessin« übersetzen lässt, hat vor meinem inneren Auge eine Welt von einem Kind eröffnet, dass gegen das ihm zugedachte Prinzessinnenbild aufbegehrt – ein Akt der Befreiung, wie ihn dann das Kind der Oper mit seinem Wutanfall vollzieht. Und der Beginn von »Daphnis« hört sich für mich wie eine gewaltige Rückwärtsbewegung an und hat mich auf die Idee gebracht, die Geschichte der Oper nicht weiterzuerzählen, sondern sie zurückzuspulen. Zurück zu deiner Frage: Die Auswahl der Musik kam vor der Idee zur Inszenierung. Ravel bediente sich für die Oper, ganz nach seinem selbsterklärten Prinzip »freiwillige Untreue gegenüber dem Vorbild«, ausgiebig bei anderen Komponisten und deren unterschiedlichen Stilen. Dieses Ravelsche Sotun-als-ob spielte ja auch für dich und dein Team keine unwesentliche Rolle. Wenn man es genau nimmt, ist schon der Kern des Stücks, das Kind, eine Fälschung. Laut Libretto handelt es sich um einen kleinen Jungen, etwa sechs bis sieben Jahre alt, notiert ist diese Partie aber für eine gestandene Mezzosopranistin. Unser Kind, Tereza Andrasi, hat zwar eine sehr jugendliche, aber natürlich trotzdem eine weibliche Ausstrahlung. Könnte denn der kleine wilde Junge nicht auch ein kleines wildes Mädchen sein, das sagt: Ich will frei sein, böse und frei? Ein Gedanke, an dem ich festhielt und der für mich viel Brisanz birgt. Und das Umfeld des Kindes? Die Dinge, die da nach dem Wutausbruch im Kinderzimmer und im Garten zum Leben erwachen, haben alle etwas kindlich-verspieltes, aber zugleich seltsam künstliches, überspitztes: Da gibt es eine Schäfertapete, chinesisches Porzellan, ein Fauteuil im Stil Ludwigs XV. und eine Bergère, ein verschnörkelter Polstersessel aus der Zeit Marie Antoinettes. Mir war es sehr wichtig, auf der Bühne eine Atmosphäre zu erschaffen, die diesen verschiedenen Facetten gerecht wird und landete schließlich beim Rokoko. Das Rokoko war für uns der passende Kosmos, aus dem wir uns sowohl atmosphärisch als auch gegenständlich bedienen konnten. Nur als Beispiel: Es ist etwas unfassbar Künstliches, sich eine Perücke auf die echten Haare zu setzen und dann auch noch zu pudern. Es ist ein Vorgang, der etwas Natürliches behauptet, aber auf unglaublich überhöhte Art und Weise. Wenn wir auf der Bühne eine Rokoko-Welt behaupten, ist das ein ähnlich künstliches Verfahren. 15 Ein Prinzip, das ihr letztlich bis zum Medium Animation konsequent fortsetzt. Das Bühnenbild ist zu einem großen Teil gezeichnet und kann sich verändern ... ... aber ist eigentlich nichts anderes als Leinwand und Licht, eine Illusion. In seiner ganz eigenen Materialität behauptet es ein Zimmer mit Spiegel, Gemälde und Kamin mit loderndem Feuer, existiert aber eben nur scheinbar. Im Grunde ist für mich das Kind die einzige wirkliche und menschliche Erscheinung in Ravels Oper – auch wenn die Dinge auf der Bühne sehr real auf das Kind losgehen. Und die Mutter? Die Mutter-Kind Beziehung ist ein wichtiges Thema in »Das Kind und die Zauberdinge«. Die Mutter tritt als Instanz von Ordnung auf, gegen die das Kind rebelliert. Dann stürzt dieser ganze, mit der rigiden Erwachsenenwelt verbundene Kosmos – der dem Kind zwar ein Korsett anzieht, aber auch Sicherheit bietet – auf es ein. Die Mutter, die Möbel, die Tiere – und alle sind sich einig: Das Kind ist böse. Das Kind ist ausgeschlossen, alleine und glaubt am Ende vielleicht wirklich, es sei böse. Wenn man ernst nimmt, was sich in Ravels Oper abspielt, dann ist das ein traumatisches Erlebnis für ein kleines Kind. Zumal die Geschichte äußerst weitreichende, ja unverhältnismäßige Konsequenzen hat. Klar, das Kind hat einen Wutanfall und schlägt die Einrichtung seines Zimmers kaputt – das ist nicht toll –, aber am Ende bezahlt es dafür beinahe mit seinem Leben. Der Druck, der von außen auf das Kind einwirkt und ihm eine so schwere Verletzung beibringt, muss also unglaublich groß sein. Für mich gewinnt dieser Konflikt noch an Kontur und Schärfe, wenn man behauptet, das Kind sei ein Mädchen, vielleicht schon kurz vor der Vermählung, das gegen den gesellschaftlichen Käfig aufbegehrt und sagt: Halt! Ich mach nicht mit! Ich steig aus! So nicht! Am Schluss scheint sich aber dann doch alles zum Guten zu wenden, zumindest machen die Tiere ihren Frieden mit dem Kind. Ja, die Tiere behaupten, das Kind sei »gut und brav« geworden, es selbst äußert sich aber nicht dazu. Interessant ist, dass in dem Moment, in dem die innere Wandlung des Kindes »zum Guten« stattfinden soll, sowohl Musik als auch Text schweigen. Weder Ravel noch Colette haben diese Stelle, an der das Kind das verletzte Eichhörnchen verbindet, kommentiert. Das Ende der Oper, die mit dem »Maman«-Ausruf des Kindes ziemlich abrupt aufhört, erscheint mir daher eher als Höhepunkt einer Katastrophe, an dem alles Weitere offen bleibt. Und genau da setzen wir mit »Daphnis« an und spulen die ganze Geschichte zurück zu dem Mädchen vom Anfang. Ein Mädchen, das gerade die albtraumhaft übersteigerten Konsequenzen seines Ausbrechens durchlebt hat und sich fragt: Schaffe ich das? Will ich das wirklich sein, böse und frei? Was hat es mit dem Bild von Colette auf sich, das im Kinderzimmer über dem Kamin hängt? Wie die Musik war dieses Bild von Colette eine große Inspirationsquelle für meine Inszenierung. Sie ist darauf etwa 10 Jahre alt, also ungefähr in dem Alter wie unser Stück-Kind, trägt ein eng geschnürtes Kleid und sitzt vor einem künstlichen Hintergrund. Ich habe mich während der Vorbereitung immer wieder in dieses Bild vertieft, und sah darin ein Mädchen, das sich unwohl fühlt, ausbrechen will aus dem weiblichen Korsett, was – das weiß man aus der Biografie von Colette – es ja später auch tun wird. Colette hat den Mut gehabt, sich aus einer furchtbaren, einengenden Ehe zu befreien, um dann ein relativ freies Künstlerleben zu führen. Irgendwann kam mir der Gedanke: Eigentlich ist das mein »Kind«! 16 Man liest, Colette habe sich nicht nur von ihren Ehemännern, sondern auch von ihrer Mutter emanzipieren müssen. Ja, wenn man Colettes Berichten Glauben schenkt, muss Sidonie so eine Art dominante Übermutter gewesen sein, zu der sie eine seltsame Distanz-Nähe-Beziehung gepflegt hat. Sie haben sich zwar ein Leben lang Briefe geschrieben, aber trotzdem ist Colette nicht zur Beerdigung ihrer Mutter gefahren. Eine ähnliche Art des Mutter-Tochter Verhältnisses hat sich dann auch zwischen Colette und ihrer eigenen Tochter fortgesetzt: Sie hat ihrer Tochter »Das Kind und die Zauberdinge« gewidmet, das ja ursprünglich »Divertissement pour ma petite fille« hieß, ließ sie aber in der Ferne bei einer Kinderfrau aufwachsen. Diesen Aspekt fand ich gerade für die Interpretation unserer Stück-Mutter sehr inspirierend. Für mich scheint Colette nicht nur im Stück-Kind, sondern ebenso in der Stück-Mutter auf. Da du gerade den ursprünglichen Stücktitel erwähnst. »Das Kind und die Zauberdinge« war ursprünglich als Märchenballett geplant und Ravel verarbeitet darin unterschiedlichste Tanzformen. Auch die »Pavane pour une infante défunte« basiert auf einem langsamen Schreittanz, und »Daphnis et Chloé« hat Ravel als »Symphonie choréographique« konzipiert. Wie gehst du damit um? Ich mache mir das tänzerische Element zunutze, denn all diese kleinen Tanz-Perlen, die Ravel komponiert, sind einer oder mehreren Figuren zugeordnet und zeichnen ihren jeweiligen Charakter. Die Prinzessin aus dem Märchenbuch scheint zum Beispiel aus einer alten, längst vergangenen Zeit zu kommen und so habe ich gemeinsam mit der Sängerin versucht, eine passende Körpersprache dafür zu finden. Ähnlich wie Ravel, der die verwendeten Formen immer wieder aufbricht und mit seiner eigenen Sprache füllt, haben wir aus der Musik unterschiedliche Arten der Bewegung, so etwas wie kleine »Miniaturtänze« entwickelt. Das macht unglaublichen Spaß, zumal die Musik trotz ihrer strengen, formalen Anlage, eine starke Bildkraft besitzt. In der Szene mit der Libelle hört man z. B. ihre Flügelschläge im Orchester. Apropos Miniaturen. In der Oper jagt eine kompositorische und szenische Miniatur die nächste. Wie gehst du mit der schier unerschöpflichen Vielfalt um, die Ravel in dieser knappen Stunde vor uns ausbreitet? Für mich als Regisseurin ist es tatsächlich eine große Herausforderung, dieser Vielfalt szenisch zu entsprechen. Viele dieser Welten klappen ja nur für eine Dauer von einer bis zwei Minuten auf, dann kommt schon die nächste, ganz andere. Ravel hat einmal gesagt, er halte sich nicht an Prinzipen, liebe es in Freiheit zu schaffen. In »Das Kind und die Zauberdinge« sitzt ein großes Orchester im Graben. Ravel behandelt es aber über weite Strecken weniger als großen Klangkörper, als einen Fundus, aus dem er einzelne Instrumentengruppen herausgreift. Es ist unglaublich, aber die Geigen, die sonst fast immer spielen, sitzen während der ersten zehn Minuten der Oper unbeschäftigt auf ihren Stühlen. Ich habe mir dieses Motto zu Herzen genommen und versucht, nicht nach einer Einheitslösung zu suchen, sondern diesem Disparaten, diesen unterschiedlichen Welten und Farben, Raum zu geben. Dabei ist das animierte Bühnenbild, das das Kinderzimmer ohne technische Umbauten verwandeln und so dieser Zeitdramaturgie entsprechen kann, ein Segen. Es ist aber auch ein Fluch, hast du einmal gesagt. Da es technisch sehr aufwändig ist, konnten wir bisher noch nicht oft mit den Animationen proben. Man muss sich also sehr viel vorstellen und vor allem immer im Bewusstsein behalten, dass neben Musik und Szene noch ein dritter Mitspieler auf der Bühne ist. Deswegen freue ich mich auch auf die nächsten Bühnenproben, wo dann – so hoffe ich – alles zusammenkommen wird. 17 ROKOKO Das Rokoko ist eine Stilrichtung der europäischen Kunst (von etwa 1730 bis 1770) und entwickelte sich aus dem Spätbarock. Ausgangspunkt ist Frankreich. Der Name stammt von dem französischen Wort »Rocaille« (»Grotten- und Muschelwerk«) nach einem immer wieder auftretenden Ornamentmotiv. Charakteristisch für das Rokoko ist charakteristisch für die Vorliebe für Eleganz, Lebendigkeit, Leichtigkeit, Helligkeit, Schönheit, Farbgeschmack und handwerkliche Virtuosität. Verspielte Verzierungen, Schnörkel, Pastelltöne und Gold ließen im Rokoko Gebäude und Innenräume märchenhaft, fast wie eine Kulisse für ein Theaterstück wirken. Das Leben des Adels bestimmt eine oberflächliche Heiterkeit. Die Vergänglichkeit des Augenblicks wird gefeiert. Vorbild dafür war Frankreich und seinen Höhepunkt fand der Stil am Hof König Ludwigs XVI. und seiner Gemahlin Marie Antoinette. Sie ließen künstliche Landschaften (Schäferidylle) errichten. Abbildung 11 Rocaille Abbildung 10 Vereinfacht lässt sich sagen, dass die Kunst des Rokoko verspielter ist als die Kunst des Barock. RokokoKunst findet man weniger an großen Gebäuden, sondern meist bei kleineren Kunstobjekten wie zum Beispiel Porzellan. SCHLOSS SANSSOUCI ALS BEISPIEL FÜR DIE BAUKUNST DES ROKOKO Abbildung 11 Ein ganz berühmtes Rokokoschloss ist das Schloss Sanssouci, das der preußische König Friedrich II., auch unter dem Namen Friedrich der Große bekannt, hat erbauen lassen. Sanssouci bedeutet übersetzt »ohne Sorge«, was heißt, dass sich der König sein Schloss als Ort des Rückzugs und der Sorglosigkeit gewünscht hat. Dies kam der Vorstellung des Rokoko sehr nahe. ROKOKOSCHLÖSSER WAREN GEMÜTLICHER Während es im Barock in erster Linie darum ging, die Macht des Fürsten durch die Pracht seiner Schlösser zu zeigen, so wurde es jetzt wichtiger, dass die Schlösser auch gemütlich und wohnlich wirkten. So gab es im Rokoko auch oft kleine Lustschlösschen und Jagdschlösser, die sehr viel heimeliger aussahen als die oft viel zu großen und stattlichen Riesenschlösser des Barock. Abbildung 12 18 DIE ROKOKO-MODE Bestimmt wurde die Mode in erster Linie vom Adel und vermehrt auch vom gehobenen Bürgertum in Literatensalons, Palais und Apartments der wachsenden Städte. Bauern und Arbeiter trugen Kleidung, der sich im Schnitt an die herrschende Mode anlehnte. Sie war aber praktischer und aus einfacheren Materialien: Leinen und Wolle statt Samt und Seide. Abbildung 13 Damen trugen Kleider mit Rückenfalten, Hüftpolstern und weiten Reifröcken in ovaler Form. (Frau konnte mit diesen ausladenden Röcken nur seitwärts durch die Tür treten.) Unbedingt gehörte darunter ein Korsett, das den Oberkörper einschnürte, eine mädchenhafte Taille formte und ziemlich unbequem war. Durch eingearbeitete Materialien, meist Fischbein, sollte der Körper in Form gedrückt werden, um dem damaligen Schönheitsideal näher zu kommen. Zudem wurde das Korsett am Rücken verschnürt. Die Frauen, die es trugen, nahmen dadurch automatisch eine aufrechtere Haltung an, was auch gesellschaftlich erwünscht war. Die Haare wurden zurückgekämmt und hochgesteckt, weiß gepudert und von einer Haube bedeckt. Mit der Zeit wurden die Frisuren immer höher aufgetürmt, manchmal mit Hilfe von Perücken und Haarteilen. Herren trugen eine Kniebundhose (Culotte), eine Weste und eine lange Jacke bis zu den Knien, den »Rock«. Spitzenmanschetten, glitzernde Goldpailletten und Silberstickereien wurden durch den Degen komplettiert, der nur dekorative Zwecke hatte. Weiß gepuderte Perücken waren bei den Männern an der Tagesordnung und der gebundene Haarzopf im Nacken wurde mit einer Schleife befestigt. Als Kopfbedeckung diente der Dreispitz, also ein aufgeschlagener Hut. Auch die Kleidung der Kinder wurde der der Erwachsenen nachgeahmt. Sie trugen nicht nur alle Accessoires, sondern wurden auch geschminkt und gepudert und waren geübt in Hofknicks und Handkuss. 19 MUSIK DAS ORCHESTER DIE STREICHINSTRUMENTE Geige, Bratsche, Cello, Kontrabass Die Streichinstrumente werden mit einem Bogen gespielt. Über den Instrumentenkörper sind Saiten gespannt. Damit diese klingen, streicht man mit dem Bogen über die Saiten. Die Geige ist das kleinste Mitglied der Familie. Die Bratsche ist etwas größer als die Geige, und deshalb klingt sie auch ein bisschen tiefer. Die Geige und die Bratsche werden beim Spielen zwischen Schulter und Kinn geklemmt. Das Cello ist noch größer, deshalb wird es im Sitzen gespielt, zwischen den Knien festgehalten und auf einen Stachel aufgestützt. Es klingt noch viel tiefer als Geige und Bratsche. Das größte und tiefste Saiteninstrument ist der Kontrabass. Er ist so groß, dass man ihn nur stehend oder auf einem hohen Hocker sitzend spielen kann. 20 ZUPFINSTRUMENTE Die Harfe ist wahrscheinlich eines der ältesten Instrumente überhaupt. Sie besteht aus Saiten, die über einen Rahmen gespannt sind. Die große Konzertharfe hat 47 Saiten und sieben Pedale zum Umstimmen der Saiten. 21 DIE HOLZBLASINSTRUMENTE Querflöte, Oboe, Klarinette, Fagott Um einem Holzblasinstrument einen Ton zu entlocken, muss man viel Luft durch ein Mundstück blasen und dabei genau wissen, wie viel Luft in das Instrument muss, um einen schönen Ton zu erzeugen. Die Querflöte ist zwar heutzutage aus Metall (meist silbern oder vergoldet). Weil sie aber früher aus Holz gebaut wurde, zählt sie zu den Holzblasinstrumenten. Man hält sie seitlich und bläst Luft in, bzw. über das Mundloch, als würde man auf einer Flasche blasen. Die Oboe ist aus Holz und etwas größer und tiefer als die Flöte. Den Ton erzeugt man, indem man in ein Doppelrohrblatt (aus Schilfholz) bläst. Die Klarinette hat ein schnabelförmiges Mundstück auf dem ein einzelnes Rohrblatt befestigt ist. Der Klang der Klarinette ist sehr weich und samtig, sie kann aber auch schrill und keck klingen. Das Fagott ist das größte und somit auch tiefste Holzblasinstrument. Den Ton erzeugt man, wie bei der Oboe durch ein Doppelrohrblatt, allerdings wird dieses nicht direkt in das Instrument, sondern auf einen S-Bogen aus Metall gesteckt. Zu allen vier Instrumenten gibt es so genannte Nebeninstrumente, die entweder größer oder kleiner sind und dementsprechend auch höher oder tiefer klingen. Piccoloflöte, Altflöte, Bassflöte Englisch Horn, Oboe d'Amore Bassklarinette, Es-Klarinette Kontrafagott 22 23 DIE BLECHBLASINSTRUMENTE Trompete, Posaune, Horn, Tuba Die Blechblasinstrumente sind, wie der Name schon verrät, alle aus Blech gefertigt. Ihren Glanz in Gold oder Silber bekommen sie durch eine Lackierung. Die Trompete hat an einem Ende einen Trichter und den Ton erzeugt man durch ein Mundstück. Die Tonhöhe kann man mit den Lippen und auch mit Ventilen ändern. Die Trompete verleiht dem Orchester den strahlenden Glanz. Mit einem Zug, zwei ineinander gesteckte Rohre, die sich verschieben lassen, verändert man die Tonhöhe der Posaune. Das Rohr zwischen Schalltrichter und Mundstück ist bei der Posaune länger, weshalb sie auch tiefer klingt als die Trompete. Das Horn wird bis heute auf der Jagd verwendet und ist im Orchester schneckenförmig gewickelt. Eine Hand des Hornisten steckt im Schaltrichter, mit ihr kann er die Klangfarbe und Tonhöhe verändern. Das Horn hat außerdem Ventile, um bestimmte Töne spielen zu können. Die Tuba ist das größte Blechblasinstrument und daher auch das tiefste. Ein Tubist braucht sehr viel Luft, denn das Rohr zwischen Mundstück und Schalltrichter ist mehr als 4 Meter lang. 24 25 SCHLAGZEUG Schlaginstrumente werden, im Gegensatz zu den bis jetzt vorgestellten Instrumenten, geschlagen, geschüttelt oder gerieben. Bei den Schlagzeugern unterscheidet man zwischen Paukern und Schlagzeugern. Der Pauker im Orchester spielt nur die Pauken, bei denen man die Tonhöhe durch unterschiedlich starke Spannung der Felle verändern kann. Die Schlagzeuger hingegen müssen viele verschiede Instrumente beherrschen, z.B. Trommeln, Becken, Glocken, Triangel, Glockenspiele und viele viele mehr. 26 27 DAS SAARLÄNDISCHE STAATSORCHESTER Abbildung 14 Das Saarländische Staatsorchester wirkt einerseits in den Musiktheater-, Ballett- und Musicalproduktionen des Saarländischen Staatstheaters mit. Andererseits sind in jeder Spielzeit acht Sinfoniekonzerte in der Congresshalle fester Bestandteil des Spielplans. Im Mittelfoyer des Staatstheaters finden außerdem Kammerkonzerte statt. Auch für den Konzert-Nachwuchs gibt es regelmäßig ein Programm. Kinder- und Jugendkonzerte, sowie mobile Produktionen die auf Reisen durch die Schulen der Region gehen. Abbildung 15 28 L'ENFANT ET LES SORTILÈGES »Das Kind und die Zauberdinge« ist eine durchkomponierte Oper, in der einzelne Nummern durch Zwischenspiele verbunden sind. Maurice Ravel wird häufig als Impressionist bezeichnet und in einem Atemzug mit Debussy genannt, aber die Bandbreite seiner Musik geht weit darüber hinaus. In seinem Werk sind so verschiedene Richtungen wie Romantik, Neoklassizismus, spanische Musik und Jazz vertreten und trotzdem bleibt es stets von seinem ganz persönlichen Stil geprägt. Ravel schöpft auch aus der Auseinandersetzung mit der traditionellen französischen Barockmusik. Außerdem nimmt er nach dem Besuch der Pariser Weltausstellung 1889 die exotischen Strömungen auf. (Von dem Fremdreiz der »exotischen« Länder machten auch Literatur, Malerei, Architektur und Kunstgewerbe Gebrauch.) In der Musik lässt sich der Exotismus auf drei Ebenen beobachten: in der Stoffwahl und Ausstattung von Bühnenwerken sowie in der musikalischen Verwendung »exotischen« Materials. Auf der Weltausstellung hatte sich erstmals die Gelegenheit geboten, nichteuropäische Kulturen kennen zu lernen und besonders asiatische Musik und Sujets faszinierten seither die Komponisten. In der Oper »Das Kind und die Zauberdinge« hören wir in der Arie der chinesischen Tasse ein Beispiel von Ravels Exotismus. Impression, »Soleil levant« von Claude Monet Abbildung 16 Abbildung 17 Ravels Partituren waren stets von peinlicher Genauigkeit geprägt. Qualität war ihm immer wichtiger als Quantität, und Strawinsky nahm seinen Arbeitsstil zum Anlass, ihn als »Schweizer Uhrmacher« zu bezeichnen. Unübertroffen bleibt seine Kunst der Instrumentierung. Ravel liebte Tiere, die Natur, Kinder und Märchen – eine Liebe, die sich trotz seiner Überzeugung, dass Musik nicht das beste Mittel zur Wiedergabe von Emotionen darstellt, auch in seiner Musik spiegelt. Als Musik des IMPRESSIONISSMUS bezeichnet man eine Stilrichtung der Musik ungefähr von 1890 bis 1920, deren Hauptvertreter der französische Komponist Claude Debussy war. Ebenso wie der Impressionismus in Malerei und Literatur versucht der musikalische Impressionismus Eindrücke von Augenblicken darzustellen. Aus diesem Grund liegt das Hauptaugenmerk der Komponisten auf dem Klangbild. Dieses Klangbild vermittelt dem Zuhörer die Stimmung und Atmosphäre eines Augenblickes, wobei es um subjektive Eindrücke und nicht um konkrete materielle Eigenschaften geht. Es entsteht ein verschwommenes Gesamtbild, in dem normalerweise keine festen Formen auszumachen sind. 29 ORCHESTERBESETZUNG »L'ENFANT« 2 Flöten Piccolo 2 Oboen Englisch Horn Es-Klarinette 2 Klarinetten Bass-Klarinette 2 Fagotte Kontrafagott 4 Hörner (F) 3 Trompeten (C) 3 Posaunen Tuba Pauke Kleine Pauke Schlagwerk: Triangel, Tamburin, Becken, Große Trommel, Tam-Tam, Peitsche, Ratsche, Käsereibe, Wood Block, Windmaschine, Crotales (antike Zimbeln), Slide-Whistle (Lotus-Flöte), Xylophon, Celesta Kontrafagott Abbildung 18 Harfe Klavier Violine 1 und 2 Viola Violoncello Kontrabass Ravel sagt selbst über diese Oper: »Das Bestreben nach Melodik, das hier vorherrscht, entspricht dem dichterischen Entwurf. Es hat mir gefallen, ihn im Geist der amerikanischen Operette zu bearbeiten. Das Libretto von Madame Colette stützt diese Freiheit im Märchenreich. Die Gesangslinie sollte dominieren. Das Orchester braucht zwar nicht auf Virtuosität zu verzichten, ist aber dennoch von zweitrangiger Bedeutung.« 30 SZENEN Szene Personen Inhalt Das Kind im Gewand einer Prinzessin befreit sich von gesellschaftlichen Zwängen. Es zerreißt ein Buch, schneidet das Korsett auf, schneidet sich die Haare ab. Musikalische Form Pavane pour une infante défunte 1 Kind Szene Personen Inhalt Musikalische Form 2 Kind Das Kind sitzt im Zimmer und hat keine Lust seine Hausaufgaben zu machen. Vorspiel: Fremdartige Klänge in Oboen (Quinten und Quarten) 3 Kind, Mutter Die Mutter kommt und schimpft über die Faulheit des Kindes. Zur Strafe soll es den ganzen Tag alleine im Zimmer bleiben. Allein gelassen, lässt das Kind seine Wut an den Möbeln aus, zerreißt seine Bücher und reißt die Tapete von der Wand. CD Track CD Track 1 2 Mutter: Rezitativ 3 4 Kind 5 Kind, Lehnstuhl, Sessel Lehnstuhl und Sessel werden lebendig. Sarabande 4 Kind, Uhr Die Uhr ist verzweifelt, weil das Kind das Ziffernblatt abgerissen hat. Sie kann nicht mehr richtig schlagen und schämt sich dafür sehr. Allegro vivo (marschartig) 5 Kind, chin. Tasse, engl. Teekanne Tasse und Kanne zeigen kein Interesse an dem Kind. Sie flirten miteinander. Das Kind bedauert, dass die Tasse kaputt ist. 8 Kind, Feuer 9 Kind , Schäfer (Chor) 6 7 Keine feste Form 6 Ragtime (Teekanne) 7 Arie der chin. Tasse (chin. Elemente – Pentatonik) 8 Das Feuer kommt aus dem Kamin. Es verfolgt das Kind und wirft ihm seine Taten vor. Feuer: Koloratur-Arie 9 Schäfer und Schäferinnen, die auf der Tapete abgebildet sind, klagen darüber, dass das Kind die Tapete zerrissen hat. Pastorale 10 31 Kind, Prinzessin Die Prinzessin aus dem Märchenbuch des Kindes tritt auf. Sie ist seine erste Liebe und das Kind wünscht, dass sie bleibt, doch sie wird in die dunkle Nacht gezogen. Das Kind kann sie nicht retten. Liebesduett Kind Über den Verlust der Prinzessin ist das Kind sehr traurig. Alles erscheint sinnlos ohne sie. Andante Kind, kleiner alter Mann (Zahlen: Kinderchor) Der kleine alte Mann ist die Mathematik in persona. Er schmeißt mit Zahlen und Aufgaben um sich. Das Kind wird vom Treiben der Zahlen mitgerissen. Das Kind bekommt Kopfschmerzen vor lauter Zahlen. Rondoform (A_B C A_B) A B A Kind, schwarzer Kater, weiße Katze Kater und Katze treten auf. Sie singen ein »Miau«-Duett und werben verliebt umeinander. Das Kind folgt ihnen in den Garten. Duett (»Arie«) 15 14 Kind Chor als Bäume und Frösche Konzert der Tiere und Bäume Naturnachahmung Rhythmische Pattern, die sich überlagern (Sextolen und Sechzehntel) 16 15 Kind, Baum Bäume (Männerstimmen) Das Kind freut sich im Garten zu sein, doch die Bäume klagen über ihre Wunden, die das Kind ihnen zugefügt hat. 10 11 12 13 11 12 13 14 Verwandlung 2. Bild: 16 Der Garten Kind, Libelle, Nachtigall Frösche (Chor) Der Libelle sucht ihren Gefährten. Das Kind gibt zu, sie mit einer Nadel an die Wand gespießt zu haben. Der Libellenmann fordert seine Gefährtin zurück. Das Kind ist verzweifelt, weil es das nicht rückgängig machen kann. 17 Libelle: amerikanischer Walzer Nachtigall: Vokalisen mit Chor der Frösche 32 18 17 Kind, Fledermaus Die Fledermaus klagt das Kind an, seine Fledermausfrau mit dem Stock erschlagen zu haben. Ihre Kinder müssen jetzt ohne die Mutter verhungern. 18 Frösche, Chor Tanz der Frösche Kind, Eichhörnchen Frosch 19 20 21 22 23 Das Eichhörnchen warnt den Frosch vor dem Kind. Es hat das Eichhörnchen in den Käfig gesperrt, um es besser anschauen zu können. Das Eichhörnchen erzählt von seinem Leid in der Gefangenschaft und der Sehnsucht nach Freiheit. Das Kind ist erschüttert und ruft »Mama«. - - Rundtanz 19 Walzer 20 rezitativisch 21 Eichhörnchen: Walzer wie Track 18 22 Kind, Eichhörnchen, Frosch, Nachtigall, weiße Katze, Baum, Libelle, Kater Tiere und Bäume (Chor) Mit einem Aufschrei bedrängen die Tiere und Bäume das Kind und klagen es an. Ein Kampf beginnt. Fugato-Chor 23 Kind, alle Soli gesamter Chor Während des Kampfes werden Eichhörnchen und Kind verletzt. Das Kind verbindet die Wunde des Tieres. Polyphone und homophone Abschnitte 24 Kind, alle Soli gesamter Chor Die Tiere staunen über diese Tat und sind bereuen ihren Angriff. Sie beginnen »Mama« zu rufen, um Hilfe zu holen. Sie sind wieder mit dem Kind versöhnt. Choralartig »gregorianisch« 25 Kind, alle Soli gesamter Chor Die Szenen werden quasi zurück auf den Anfang gespult. Daphnis et Chloé Suite No. 2 Die Angaben der CD-Tracks beziehen sich auf die Einspielung: Maurice Ravel »L'Enfant et les Sortilèges «, London Symphony Chorus and London Symphony Orchestra unter André Previn 33 PAVANE POUR UNE INFANTE DÉFUNTE Die »Pavane für eine tote Prinzessi«n entstand 1899 während Ravels Studium unter Gabriel Fauré am Conservatoire de Paris und ist damit eines seiner Frühwerke. Gewidmet ist das Stück seiner Mäzenin Winnaretta Singer (aus der Nähmaschinendynastie Singer), der »Prinzessin von Polignac«, die Ravel in einem mondänen Pariser Salon kennenlernte, in dem er während seiner Studienzeit häufig verkehrte. 1911, über ein Jahrzehnt später, veröffentlichte Ravel eine weitere Fassung des Stückes für Orchester. Ravel selbst beschrieb das Stück als »eine Erinnerung an eine Pavane, die eine kleine Prinzessin in alter Zeit am spanischen Hof getanzt haben könnte«; sie sei »keine Totenklage für ein totes Kind, sondern eine Vorstellung von einer Pavane, wie sie vielleicht von so einer kleinen Gemälde von Velázquez Abbildung 19 Prinzessin in einem Gemälde von Velázquez getanzt wurde«. Der junge Pianist Charles Oulmont erinnert sich, Ravel die Pavane in recht langsamen Tempo vorgespielt zu haben, wonach Ravel ihn zur Seite nahm und ihm auftrug: »Hören sie zu, mein Junge, denken sie das nächste Mal daran, dass ich eine Pavane für eine verstorbene Infantin geschrieben habe […] und keine verstorbene Pavane für eine Infantin!«1 Orchesterbesetzung: 2 Flöten, Oboe, 2 Klarinetten, 2 Fagotte, 2 Hörner, Harfe und Streicher Die Pavane (auch Paduan) ist ein meist geradtaktiger, sehr einfacher Schreittanz spanischitalienischer Herkunft, der über ganz Europa verbreitet war und im 16. und 17. Jahrhundert seine Blütezeit erlebte. HÖRÜBUNG: In den Materialien (Seite 51) finden Sie Hörkarten (Kopiervorlagen) passend zu den einzelnen Abschnitten des Stückes. Besprechen Sie zunächst die Instrumente mit den Schülern und fordern Sie sie auf, die Musik genau zu verfolgen und die Hörkarten in die richtige Reihenfolge zu legen. DIE VERWANDLUNG DES KINDES Der Abend, der mit der Pavane beginnt, versetzt uns in die Zeit des Rokoko mit seinem Prunk, seinen Schnörkeln und höfischen Tänzen. Wir sehen das Kind in einem aufwändigen Kleid mit Reifrock und strengem Korsett. Es ist eingezwängt in die Enge der gesellschaftlichen Vorgaben. Nach und nach beginnt das Kind sich zu befreien und zerschneidet das Korsett, zieht den riesigen Reifrock aus und schneidet sich schließlich die Haare ab. Es entwickelt eine Lust am Zerstören und provoziert die kleine Begleiterin, die entsetzt zusehen muss. 1 Charles Oulmont, »Souvenir«, in: La Revue musicale, 1938, Jg. 19, Nr. 187, Seite 400 f. 34 DAPHNIS ET CHLOÉ Das »Griechenland meiner Träume, das dem ähnlich ist, wie die französischen Künstler des 18. Jahrhunderts es sich vorstellten und malten«, hatte Maurice Ravel inspiriert, als er sich an die Komposition einer Ballettmusik für die Truppe Sergej Diaghilews machte. Grundlage der Handlung ist ein Hirtenroman des spätgriechischen Dichters Longus über den Schäfer Daphnis und seine Geliebte, die Nymphe Chloé, die von Piraten geraubt wird und mit Hilfe des Gottes Pan gerettet wird. Herausgekommen ist dabei nicht nur eines der besten Werke Maurice Ravels, sondern nach dem Urteil Igor Strawinskys auch »eines der schönsten Produkte in der gesamten französischen Musik.« So verwundert es auch nicht, dass sich die Musik des Balletts in Form zweier Konzert-Suiten als einzigartiges Beispiel für Ravels raffiniert verfeinerten Impressionismus häufig auch im Konzertsaal zu hören ist. Die 2. Suite mit ihrer Klangpracht und den raffiniert wechselnden musikalischen Stimmungen setzt Regisseurin Solvejg Bauer an das Ende ihrer Inszenierung und spult die Opernhandlung quasi wieder an den Anfang zurück. 1. 2. 3. Satz: »Lever du jour« Satz: »Pantomime« Satz: »Danse générale« Léon Bakst: Bühnenbild für das Ballett Daphnis et Chloá von Ravel, 1912 Abbildung 20 35 HÖREMPFEHLUNGEN Die Angaben der CD-Tracks beziehen sich auf die Einspielung: Maurice Ravel »L'Enfant et les Sortilèges «, London Symphony Chorus and London Symphony Orchestra unter André Previn Links: Amazon: http://www.amazon.de/Ma-mere-loye-LEnfantSortileges/dp/B00000JLFX/ref=sr_1_3?s=music&ie=UTF8&qid=1421765875&sr=13&keywords=London+Symphony+Chorus+%26+Orchestra itunes: https://itunes.apple.com/us/album/ravel-lenfant-et-les-sortileges/id4789236 Partitur: »L'Enfant et les Sortilèges« von Maurice Ravel, Edition Durand, 1925 http://imslp.org/wiki/L'enfant_et_les_sortil%C3%A8ges_(Ravel,_Maurice) ANFANG: DAS KIND VOR SEINEM HAUSAUFGABENBUCH Zu Beginn des Stückes kreiert Ravel eine fremdartige Stimmung, die uns in die Vorstellungswelt des Kindes entführt. Die beiden Oboen (siehe Notenbeispiel 1), begleitet von einem Solo-Kontrabass, erzeugen mit ihren leeren Quinten die Stimmung von »es war einmal«, mit dem Märchen üblicherweise beginnen. Die Quinten und Quarten der Oboen erinnern an fernöstliche und exotische Klänge. Während die Oboen ihre helle, strömende und konturlose Melodie weiter ausbreiten, beginnt das Kind mit den Sätzen »ich habe keine Lust meine Hausaufgaben zu machen« und steigert sich in seine Wut hinein. Der Auftritt der Mutter unterbricht den Monolog des Kindes. Das Kind wird von einem Mezzo-Sopran (nicht von einem Kind) gesungen und die Mutter singt in der tieferen Alt-Lage. Anstatt der Mutter ihre Fragen zu beantworten, hebt das Kind den Kopf und streckt ihr trotzig die Zunge heraus. Es bekommt ungezuckerten Tee und trockenes Brot und muss bis zum Abendessen alleine im Zimmer bleiben. Moderne halbautomatische Oboe mit aufgestecktem Doppelrohrblatt Abbildung 21 Regen Sie Ihre Schülerinnen und Schüler an, selbst Sätze aufzuschreiben, die das trotzige Kind sagen könnte. Vergleichen Sie den Anfang und das Ende des Stückes. Sie werden bemerken, dass die Melodie der Oboen auch zum Ende des Stückes wiederholt wird und wenn sie zum Aufzug ein »es war einmal« evozieren, so markieren sie das Ende der Geschichte mit einem »und wenn sie nicht gestorben sind…«. Auch das Motiv der Mutter (kurz vor der Stelle »Il est bon, l'Enfant, il est sage«, der letzten Szene) wird vom Komponisten wiederholt. 36 NOTENBEISPIEL 1: BEGINN 1. UND 2. OBOE 37 NOTENBEISPIEL 2: ENDE 1. UND 2. OBOE DER AUFSTAND DES KINDES Der Ausbruch des Kindes kommt plötzlich und seine unkontrollierte Wut wird durch das Orchester mit sehr lauten schrillen Klängen und schnellem Tempo (presto) unterstrichen. Das Kind wiederholt die Worte der Mutter »ich bin böse«, immer und immer wieder, bis es am Höhepunkt den Zusatz »ich bin böse und frei« hinzufügt. In dieser Szene zerstört das Kind eine Teetasse, öffnet den Käfig des Eichhörnchens und piesakt es mit der Schreibfeder bis das verletzte Tier flieh Es zieht die Katze am Schwanz, wühlt mit dem Schürhaken im Feuer und stößt den Wasserkessel um. Es öffnet die große Standuhr und hängt sich an das blecherne Pendel, zerreisst die Bücher und Schulhefte. Erarbeiten Sie mit den Schülerinnen und Schülern die Aktionen des Kindes und die Reaktionen der Opfer. Achten Sie auf die beschreibende Funktion des Orchesters in dieser Szene: Triller, Schläge im Schlagzeug, sarkastischer Ton und Flexibilität. 38 »HOW'S YOUR MUG?« FOXTROTT DER TEEKANNE UND DER CHINESISCHEN TASSE Man hört zwei näselnde Stimmen dicht über dem Fußboden: die englische Wedgwood-Teekanne, ganz britisch, und die aus Hongkong stammende chinesische Teetasse beklagen das zügellose Treiben des Kindes. Der Foxtrott kommt ursprünglich aus den USA und startete 1917 einen Erfolgszug durch Frankreich. Er entwickelte sich innerhalb kürzester Zeit zu einem der populärsten Paartänze für Tanzbegeisterte unterschiedlicher gesellschaftlicher Herkunft. Getanzt wurde in Tanzetablissements, Cafés, Privathäusern und sogar auf der Straße. Auch die begleitende Tanzmusik faszinierte mit ihren infernalischen Klängen auf Banjos, Saxophonen, Trommeln, Hupen und Bratpfannen viele französische Künstler. So ist es kein Wunder, dass Maurice Ravel in seiner kompositorischen Arbeit auch einen gesungenen Ragtime entwickelte. Das bizarre Duo der Wedgwood-Teekanne und der chinesischen Tasse klingt wie ein stilisierter Foxtrott und ist ein Beweis für Ravels Auseinandersetzung mit dem Jazz beziehungsweise der damaligen Tanz- und Unterhaltungsmusik. Ravel beginnt mit tiefen Instrumenten wie Bassposaune, Kontrafagott und Bassklarinette und begleitet den witzigen Boxkampf zwischen Teetasse und Teekanne mit Holzblasinstrumenten, Klavier und viel Schlagzeug. Die Besetzung erinnert an die einer Bigband. »KENG-ÇA-FOU, MAH-JONG« – CHINESISCHE TASSE Der Song der chinesischen Teetasse ist eine stilisierte Chinoiserie. Die Verwendung der Celesta und pentatonischer Harmonien versetzt den Hörer in exotische Hörwelten. Das fantasievolle Sprachgemisch, ein wahrhaftes Kauderwelsch, stellt den spielerischen Umgang der Kinder mit der Sprache da, ohne Rücksicht auf den Sinn der Worte. DIE CHINESISCHE TASSE: Keng-ça-fou, mah-jong, Keng-ça-fou, puis'-kong-pran-pa. Ça-oh-râ, Ça-oh-râ … Cas-ka-ra, hara-kiri, Sessue, Hayakawa Hâ! Hâ! Ça-oh-râ toujours l'air chinoâ. DIE TASSE+ DIE TEEKANNE: Hâ! Ça-oh-râ toujours l'air chinoâ. Ping, pong, ping … 39 »AH! C'EST ELLE! C'EST ELLE! « – DIE ARIE DER PRINZESSIN Das Kind liegt auf den zerrissenen Blättern der Bücher und Hefte. Eine Prinzessin, schön wie die Fee aus dem Märchen, erscheint. Unter Harfen-Arpeggien erscheint die Prinzessin, die von der Flöte symbolisiert wird und ihr Schicksal beklagt. Das Kind will seine geliebte Prinzessin vor der Dunkelheit retten, doch unter der Begleitung von Holzbläsern und Harfe verschwindet und lässt das Kind traurig zurück. 40 Abbildung 22 41 »DUO MIAULÉ« – KATZEN-DUETT Humoristischer und kompositorischer Höhepunkt der Oper ist das Katzen-Duett. Sowohl Colette, als auch Ravel liebten Katzen und zumindest bei Ravel weiß man von einer außergewöhnlichen Begabung diese nachzuahmen. Er schrieb sogar Briefe im Katzenstil (»en styl chat«). »J´ai fait votre commission à Mouni; et je vous lèche le bout du nez. (Ich haben ihren Auftrag Mouni (der Katze) ausgerichtet, und ich lecke ihre Nasenspitze.« Das Spiel der Katzen illustriert Ravel mit bewegten Arpeggien der beiden Klarinetten. Die Katzen bedienen sich in ihrem Liebesduett der lautmalerischen Sprache, dargestellt durch Glissandi, auch in den Instrumenten. Hören Sie mit den Schülerinnen und Schülern das Katzenduett von Gioacchino Rossini oder die Katze aus »Peter und der Wolf« von Sergeij Prokofjew. https://www.youtube.com/watch?v=YF4qiRjoqXs https://www.youtube.com/watch?v=qjracXGTtDU Vergleichen Sie das vorher Gehörte mit Ravels Katzen-Duett https://www.youtube.com/watch?v=axnhDVSyS9o 42 43 44 SPIELANLÄSSE WARM-UP Durch den Raum gehen: mit klarem Ziel vor Augen, ohne anzustoßen in unterschiedlichen Geschwindigkeiten (0 = Freeze; 1 = Zeitlupe; 2 = normal; 3 = schnell …) in verschiedenen Gefühlslagen (cool, aggressiv, traurig, verliebt, fröhlich, wütend, ängstlich …) 1. »HAB' KEINE LUST ZUR DUMMEN ARBEIT« Die ersten Sätze des Kindes sind bestimmend für die ganze Oper. Setzen Sie den Text der Anfangsszene in Musik um und vergleichen Sie sie mit der Komposition Ravels. Es ist Nachmittag. Das Kind, sechs oder sieben, sitzt vor einer begonnenen Aufgabe. Es ist schrecklich faul, zerschneidet seine Schulbücher und singt vor sich hin: Das Kind: »Hab' keine Lust zur dummen Arbeit, ich möchte gern im Park spazieren gehen. Hätte Lust aufzuessen alle Kuchen. Am liebsten zöge ich die Katz' am Schwanz und knipste ab den vom Eichhörnchen. Hätte Lust alle Leute auszuschimpfen. Am liebsten stelle ich Mama ins Eckchen dorthin.« Nachdem die Schülerinnen und Schüler den Text gelesen haben, kann über das Verhalten des Kindes diskutiert werden. Seine Hausaufgaben nicht machen zu wollen, ist ein alltäglicher Vorgang des Heranwachsens. Wie könnte der Komponist diese Sätze in Musik umgesetzt haben? Nach mehrmaligem lauten Vorlesen der Texte können die Schülerinnen und Schüler prägnante Rhythmen zu den Worten entwickeln. Experimentieren Sie mit langen und kurzen Rhythmen und schweren und leichten Betonungen. VORSCHLAG: J'ai pas envie de faire ma page _ . J'ai . . . . . . _ . pas en - vie de fai - re ma pa - ge. 45 Hören Sie mit den Schülerinnen und Schülern den Beginn des Stückes und verfolgen Sie dabei die Partitur. Vergleichen Sie die Version der Klasse mit der von Maurice Ravel. Verfolgen Sie mit den Schülerinnen und Schülern die immer kürzer werdenden Pausen und die melodische Linie, die immer spannungsvoller und lauter wird, sowie die plötzlich musikalischen Ausbrüche und Akzente als Ausdruck der Gewalt. Hören Sie erneut die Szene bis zum Auftritt des Lehnstuhls (Fauteuil) und richten Sie die Aufmerksamkeit auf den Ausbruch des Kindes. 46 2. AUFTRITT DER MUTTER Die Tür geht auf, die Mutter kommt herein: MUTTER KIND Mein Kind, warst du artig? Hast du deine Aufgaben gemacht? schmollt, rutscht tiefer in den Sessel Oh, du hast nichts getan! Du hast sogar den Teppich mit Tinte bespritzt! Still Schämst du dich nicht wegen deiner Faulheit? Willst du mir nicht versprechen, jetzt zu arbeiten? Schweigt Willst du dich nicht bei mir entschuldigen? Hebt den Kopf und streckt der Mutter die Zunge heraus. Oh! Hier ist das Essen du ungezogenes Kind: Tee ohne Zucker. Trockenes Brot. Du bleibst allein bis zum Abendessen. Denk über deine Fehler und Pflichten nach. Und denke vor allem an den Kummer deiner Mutter, mein Kind! Die Tür geht zu, die Mutter verschwindet, das Kind bleibt allein. Es wird von einem Wutanfall erfasst, es trampelt und schreit aus voller Lunge gegen die Tür: Mir doch egal, mir doch egal! Hab' keinen Hunger! Bleib gern allein! Hab' niemand lieb! Ich bin sehr böse! Böse und frei!! Die Mutter erkundigt sich bei ihrem Auftritt nach dem Fortschritt der Hausaufgaben. Sie sieht die Tintenflecken und wird böse. Die gehaltenen Akkorde im Orchester verändern sich durch fallende Quarten und der Umfang der Singstimme wird weiter und verliert die Weichheit (sie erhebt die Stimme.) Hören Sie Takt 35 – 40 und fragen Sie die Schülerinnen und Schüler wie der Komponist das böse Werden der Mutter vertont? Sprechen Sie über das Kind, das der Mutter provozierend die Schere entgegen streckt. Hören Sie die Stelle, Takt 40 – 50, und lenken Sie die Aufmerksamkeit auf die schnell abwärts führende Linie der Flöte, die das Schere entgegenstrecken symbolisiert und auf das entsetzte »Oh!« der Mutter. 47 3. WUTANFALL Was wird das Kind nun alleine im Zimmer tun? Hören Sie mit den Schülerinnen und Schülern den Wutausbruch des Kindes. Sofort werden Sie erkennen, dass etwas Furchtbares geschieht: schnelleres Tempo (presto), Fortissimo in Instrumenten und Gesangsstimme und ein furioser Ausbruch im Orchester, der den Wutanfall des Kindes bildhaft untermalt. Lassen Sie die Schülerinnen und Schüler nach dem Hören des Abschnitts Vermutungen anstellen, was passiert sein könnte. Hören Sie erneut die Wutausbruch-Szene und geben Sie den Schülerinnen und Schülern folgende Anhaltspunkte. Sie sollen beschreiben, wie Ravel die jeweilige Aktion musikalisch umsetzt. Das Kind trampelt und schreit. Das höre ich dabei ______________________________________________________________________________ Es wirft die Teekanne und die Tasse herunter, beides zerbricht. Das höre ich dabei ______________________________________________________________________________ Es sticht das Eichhörnchen mit der Stahlfeder, das verwundete Tier flieht. Das höre ich dabei ______________________________________________________________________________ Es zieht die Katze am Schwanz, die sich unter einen Sessel verkriecht. Das höre ich dabei ______________________________________________________________________________ Das Kind reißt die Schäfertapete herunter. Das höre ich dabei ______________________________________________________________________________ Es hängt sich an die Uhr und bricht das Ziffernblatt heraus. Das höre ich dabei ______________________________________________________________________________ Es zerreißt die Bücher und lacht. Das höre ich dabei ______________________________________________________________________________ 48 MUSIK HÖREN »KONZERT DER TIERE UND BÄUME« ♫ »Musique d'insectes, de rainettes«: CD Track 16; Partitur Ziffer 100 Die Schülerinnen und Schüler schließen die Augen und lauschen der Musik. Im Anschluss tauschen sie im Kreisgespräch ihre Phantasien zur Musik aus. Beim zweiten Hören sollen die Schülerinnen und Schüler einzelne Naturnachahmungen wie zum Beispiel das Vogelgezwitscher (Piccoloflöte) und das zugehörige Instrument benennen. ♫ Zu hören sind: Lotusflöte (Kautz), Windmachine (Wind), Chor (Frösche) Abbildung 23 49 MATERIALIEN HÖRKARTEN »PAVANE« Melodie: Horn Begleitung: Streicher Englisch Horn Streicher Melodie: Oboe/Holzbläser Begleitung: Streicher Melodie: Streicher Melodie: ganzes Orchester (tutti) Melodie: Flöte, Klarinette, Oboe Begleitung: Streicher Melodie: Holzbläser & Streicher Flöte, Klarinette, Streicher, ganzes Orchester, Blech – wiederholt Melodie: Blechbläser & Streicher Melodie: ganzes Orchester (tutti) 50 ROLLENKARTEN DAS KIND Das Kind steckt während das Orchester die »Pavane« spielt, in der ihm vorgegebenen Rolle: Es ist eine Prinzessin zur Zeit des Rokoko. Im Laufe des Stückes befreit es sich von den strengen Regeln und Zwängen, zerstört Kleid und Korsett und schneidet sich schließlich einen frechen JungenHaarschnitt. Es wird »böse und frei«. Zur Beginn der Oper sehen wir das Kind, wie es lustlos in einem Schulbuch blättert. Durch die Maßregelung der Mutter bricht die Wut aus dem Kind heraus und es beginnt die Gegenstände und Tiere im Zimmer mutwillig zu zerstören. Doch plötzlich wird das Zimmer lebendig und die Malträtierten klagen ihr Leid. Das Kind flieht in den Garten, doch auch hier entkommt es den wütenden Tieren und Pflanzen nicht. Ängstlich ruft es nach der Mutter, worauf es von der Menge attackiert wird. Nach dem wilden Durcheinander bleiben das Kind und ein Eichhörnchen verletzt zurück. Mitleidig verbindet das Kind das verletzte Tier und rührt damit die Tiere, die gemeinsam nach der Mutter rufen. »ICH HABE KEINE LUST, MEINE AUFGABEN ZU MACHEN, ICH HABE KEINE LUST, NACH DRAUßEN ZU GEHEN. ICH HABE LUST, ALLE KUCHEN AUFZUESSEN. ICH HABE LUST, DEN KATER AM SCHWANZ ZU ZIEHEN UND DEN DES EICHHÖRNCHENS ABZUSCHNEIDEN.« DIE MUTTER UND DAS EICHHÖRNCHEN Die Mutter erwartet ein fleißiges und gehorsames Kind. Sie ermahnt und straft es für seinen Ungehorsam. Mit trockenem Brot und ungesüßtem Tee muss das Kind bis zum Abend alleine bleiben. Das Eichhörnchen wird auf das Kleid (ähnlich einem Käfig) projiziert. Im Kampfgetümmel wird es verletzt und das Kind verbindet ihm mitleidig die Pfote. (STRENG) »DIES IST DER IMBIS FÜR EIN UNARTIGES KIND: TEE OHNE ZUCKER, TROCKENES BROT. DU BLEIBST ALLEIN BIS ZUM ABENDESSEN! UND DENKE ÜBER DEIN UNRECHT NACH! UND DENKE AN DEINE SCHULAUFGABEN! DENKE, DENKE VOR ALLEM AN MAMMAS KUMMER.« LE FAUTEUIL (DER LEHNSTUHL) UND LA BERGÈRE (DER POLSTERSESSEL) Die Sessel bewegen sich weg vom Kind, hindern es daran sich hinzusetzen und beginnen einen grotesken Tanz. »KEINE KISSEN MEHR FÜR SEINEN SCHLAF, KEIN SITZ MEHR FÜR SEINE TRÄUMEREIEN, KEIN RUHEPLATZ MEHR FÜR DAS KIND AUSSER DER NACKTEN ERDE. UND DANN … WER WEISS WAS WERDE?« 51 DIE UHR (L'HORLOGE COMPTOISE) Während seines Wutausbruchs reißt das Kind der Uhr das Ziffernblatt ab. Die Uhr gerät aus dem Takt und klagt lautstark über den Verlust des Metrums. »DING, DING, DING, DING; UND NOCH EINMAL DING, DING, DING! KANN NICHT MEHR AUFHÖREN ZU LÄUTEN! ICH WEISS NICHT MEHR, WIE SPÄT ES IST! ICH HABE SCHRECKLICHE BAUCHSCHMERZEN! ICH FANGE SCHON AN ZU FANTASIEREN« DIE TEEKANNE (LA THÉIÈRE) UND DIE CHINESISCHE TASSE (LA TASSE CHINOISE) Die britische Wedgwood-Teekanne und die chinesische Tasse werden ebenfalls Opfer des tobenden Kindes. In einem foxtrottartigen Box-Tanz beschweren sie sich über die Misshandlungen. Die Tasse singt pseudochinesisches Kauderwelsch. »SCHWARZ UND STÄMMIG, SCHWARZ UND CHIC, MEIN FREUNDCHEN, HAUE ICH DIR, SIR, HAUE ICH DIR EINS AUF DIE NASE, ICH SCHLAGE DICH K.O., DUMMER BENGEL! SCHWARZ UND DICKBAUCHIG UND WIRKLICH EIN FLOTTER KERL, BOXE ICH DICH ZUSAMMEN UND MACHE MARMELADE AUS DIR …« »KENG-ÇA-FOU, MAH-JONG, KENG-ÇA-FOU, PUIS'-KONG-KONG-PRAN-PA,…« DAS FEUER (LE FEU) Das Feuer züngelt zum Klang der Windmaschine aus dem Kamin und droht die Guten zu wärmen, aber die Bösen zu verbrennen. »ZURÜCK! ICH WÄRME DIE GUTEN, VERBRENNE DIE BÖSEN!« DIE SCHÄFER UND SCHÄFERINNEN (PÂTRES ET PASTOURES) Ein ganzer Zug kleiner, aufs Papier gemalter Figuren kommt näher, so komisch wie rührend. Schäferin, Schäfer, Lämmer, ein Kind … Dazu ertönt schlichte Musik von Schalmeien und Tamburins. Die Begriffe Pâtes und Pastoures stammen aus noch älterer Zeit und bedeuten auch (Seelen-)Hirte und Seelsorger. »NICHT LÄNGER GEHEN WIR ÜBER DAS GRAS, UNSERE GRÜNEN SCHAFE ZU WEIDEN! ACH, UNSERE ZARTROSA LÄMMER … DAS KIND HAT UNSERE GESCHICHTE ZERRISSEN … IHR SCHÄFERINNEN UND SCHÄFER – ADIEU DENN, ADIEU!« 52 DER KLEINE ALTE MANN Der kleine alte Mann verkörpert die verhasste Arithmetik (Teilgebiet der Mathematik) und verwirrt das Kind gemeinsam mit den Zahlen (Kinderchor) mit beschwörenden Zahlenformeln. »MILLIMETER, ZENTIMETER, DEZIMETER, DEKAMETER, HEKTOMETER, KILOMETER, MYRIAMETER … DAS VERSTEHT DER GELDANBETER!« KATZE UND KATER Kater und Katze umkreisen einander. Zögerlich folgt ihnen das Kind in den Garten. In diesem Moment verschwinden die Wände, die Decke hebt sich und schwebt nach oben … und das Kind befindet sich mit Kater und Katze im Garten, der vom Mondlicht erhellt ist und vom rosigen Schein der versunkenen Sonne. »BEGINNEN FRENETISCH ZU MAUNZEN UND ZU MIAUEN« DIE PRINZESSIN Aus dem zerstörten Märchenbuch erscheint die geliebte Prinzessin. Sie befürchtet, der böse Zauberer könne sie in die Dunkelheit zurück ziehen. Das Kind versucht sie zu retten, doch sie verschwindet. »DOCH DU HAST ZERRISSEN DAS BUCH – WAS WIRD MIT MIR GESCHEHEN?« 53 STANDBILDER Die Schüler bilden Dreiergruppen. Es gibt einen Bildhauer und zwei Statuen. Der Spielleiter gibt die Szenen vor. Der Bildhauer formt die Statuen so, wie er sich das Standbild vorstellt. Die Mimik macht er den Statuen vor. Die Blickrichtung kann der Statue gezeigt werden. Ansonsten zeigt die Statue keine Eigeninitiative. Das Wichtigste ist, dass bei dieser Übung nicht gesprochen wird und dass der Bildhauer vorsichtig mit seinem Material umgeht. Folgende Standbilder könnten z.B. ausprobiert werden: 1. KIND UND MUTTER Das Kind sitzt gelangweilt am Hausaufgabentisch und arbeitet nicht. Die Mutter kommt herein und schimpft. 2. KIND UND MUTTER Das Kind reagiert trotzig auf die Beschimpfungen der Mutter und streckt ihr die Zunge heraus. 3. KIND UND UHR Das Kind reißt der Uhr das Pendel ab. 4. KATER UND KATZE Katze und Kater tanzen und singen so laut, dass das Kind sich die Ohren zuhalten muss. 5. TIERE UND KIND Die Tiere umzingeln das Kind und drohen mit wilden Gesten. 6. KIND UND EICHHÖRNCHEN Das Eichhörnchen liegt verletzt am Boden und wird vom Kind verarztet. 54 FRAGEN ZU MAURICE RAVEL In welchem Jahr wurde Maurice Ravel geboren? Aus welchem Land stammt Maurice Ravel? Woher kam seine Mutter? Bist du schon einmal in einem der beiden Länder gewesen? Wenn ja, in welchem? Welches Instrument lernte Maurice Ravel? Welche Haustiere liebte Ravel? Womit verdiente Ravel sein Geld? Wie heißt das berühmteste Werk von Maurice Ravel? Was hat Ravel für sein Haus selber entworfen? Welche Gegenstände hat Ravel gesammelt? FRAGEN ZUM INHALT Warum schneidet sich das Kind zu Beginn der Oper die Haare ab? Welche Gegenstände zerstört das Kind während seines Wutanfalls? Was kommt aus dem Kamin? Warum sind die Schäferinnen und Schäfer so verkohlt? Wie reagiert das Kind, wenn die Prinzessin wieder verschwindet? Welches Tier fällt aus dem Schnürboden auf die Bühne? Welche tiefen Instrumente begleiten den Sofaflug? Welche Tiere trifft das Kind im Garten? Wie werden diese Tiere musikalisch dargestellt? Welches Tier warnt den Frosch vor dem Kind? Nach wem oder was ruft das Kind in der Gartenszene? Was passiert nach dem Tumult auf der Bühne? Beschreibe wie du das Ende erlebt hast. Ist es ein Happy-End? Was passiert mit dem Kind? Und warum? 55 FRAGEN ZUR INSZENIERUNG Wie hat dir das Stück gefallen? Wie haben dir das Bühnenbild und die Animationen gefallen? Welche Stimmung strahlt die Bühne aus? Wie ist die Bühne eingerichtet? Möbel, Wände, Plafond (Decke) etc. Wie verändert sich das Bühnenbild im Laufe der Oper? Wie haben dir die Kostüme gefallen? Um was für Kostüme handelt es sich? Zeitgenössische Kostüme, historische Kostüme … Aus welchen Materialien sind sie gearbeitet? Was für Farben sind vorherrschend; helle/dunkle, leuchtende/gedeckte Farben? Was sagt die Farbgestaltung über die jeweiligen Figuren aus? Welche Figur hat dir am besten gefallen? Und warum? Gab es Figuren, die du nicht sofort zuordnen konntest? Welche Szene hat dir am besten gefallen und warum? 56 ABBILDUNGSVERZEICHNIS Abbildung 1 Colette © www.peterlanczak.de ..............................................................................................................................4 Abbildung 2 Maurice Ravel © Pierre Petit 1907 .................................................................................................................... 5 Abbildung 3 A toddler girl crying © Crimfants - http://flickr.com/photos/crimfants/327861820/ ...............6 Abbildung 4 Maurice Ravel 1906 © Pierre Petit ................................................................................................................... .. 7 Abbildung 5 Ravels Geburtshaus © Nguyenld.............................................................................................................................7 Abbildung 6 »Le Belvédère« 2006© Henry Salomé (Jaser!) .................................................................................................8 Abbildung 7 Ravel mit Katze © https://lechatdanstousesetats.wordpress.com/2013/02/23/os-gatos-e-amusica-5-maurice-ravel-les-chats-et-la-musique-5-maurice-ravel/ ................................................................................8 Abbildung 8 Ravel Karikatur © http://www.jancso.ch......................................................................................9 Abbildung 9 Fotos der Bühnenhauptprobe © stage picture GmbH, Bettina Stöß .................................................... 10 Abbildung 10 Rocaille, Katholische Pfarr- und Klosterkirche Altomünster © Stuck von Jakob Rauch ......... 18 Abbildung 11 Südfassade des Schlosses Sanssousi, Potsdam © Raimond Spekking / CC BY-SA 4.0 ............. 18 Abbildung 12 Konzertzimmer im Schloss Sanssousi 2011 © Janstoecklin ................................................................. 18 Abbildung 13 La familie royale 1782 © Louis-Joseph-Xavier-François ........................................................................ 18 Abbildung 14 Saarländisches Staatsorchester 2014 © stage picture GmbH, Björn Hickmann .......................... 28 Abbildung 15 Saarländisches Staatsorchester 2014 © stage picture GmbH, Björn Hickmann .......................... 28 Abbildung 16 Impression, »soleil levant« von Claude Monet 1840 © wartburg.edu ............................................ 29 Abbildung 17 Werbeplakat für Der Mikado, 1885 © Gilbert & Sullivan…………………………………………………29 Abbildung 18 Kontrafagott © Binkle ............................................................................................................................................ 30 Abbildung 19 Diego Velázquez »Las Meninas« (Ausschnitt) 1656-57 © EeuHP ...................................................... 34 Abbildung 20 Léon Bakst: Bühnenbild für »Daphnis et Chloé« von Ravel, 1912 © Rob at Houghton ............ 34 Abbildung 21 Oboe der Firma Marigeaux © GalacticCircusDiplodocus .................................................................. 35 Abbildung 22 Fotos der Bühnenhauptprobe © stage picture GmbH, Bettina Stöß ................................................. 41 Abbildung 23 Fotos der Bühnenhauptprobe © stage picture GmbH, Bettina Stöß ................................................. 41 Abbildung 24-31 Fotos der Bühnenhauptprobe © stage picture GmbH, Bettina Stöß ................................... 51-53 57 LITERATURVERZEICHNIS M. Kosuch und A. K. Ostrop, Spielkonzept und Materialien »Das Kind und die Zauberdinge« ISIM - Institut für Szenische Interpretation von Musik und Theater Rolf Fath, Reclams Opernführer © 1994, 2010 Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart Ulrich Rühle, Komponistenlexikon für junge Leute © 2007 Schott Music GmbH & Co. KG, Mainz Rudolf Kloiber und Wulf Konold und Robert Maschka, Handbuch der Oper © 2002 Deutscher Taschenbuchverlag GmbH & Co. KG, München Egon Friedell, Kulturgeschichte der Neuzeit © 1928 C. H. Beck'sche Verlagsbuchhandlung, München LINKS: http://www.maurice-ravel.net/enfant.htm www.opera-lille.fr/.../media_fichier_fr_dp.l.enfant.opa.ra.de.lille.pdf ZEITSCHRIFT: Musik und Unterricht, Heft 35, November 1995, 6. Jahrgang © Friedrich Verlag, Velber PROGRAMMHEFT: Programmheft des Saarländischen Staatstheaters © 2015 Caroline Scheidegger PARTITUR: Partitur »L'Enfant et les Sortilèges« von Maurice Ravel, Edition Durand, 1925 58