DAS KIND UND DIE ZAUBERDINGE L`ENFANT ET LES SORTILÈGES

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DAS KIND UND DIE ZAUBERDINGE
L'ENFANT ET LES SORTILÈGES
EINE LYRISCH-PHANTASTISCHE BEGEBENHEIT VON MAURICE RAVEL
MATERIALIEN ZUSAMMENGESTELLT VON MUSIKTHEATERPÄDAGOGIN EVA BINKLE
SAARLÄNDISCHES STAATSTHEATER
SPIELZEIT 2014/15
1
INHALT
Vorwort ..................................................................................................................................................................................3
Entstehung des Werkes … ..............................................................................................................................................4
Trotz, Zerstörungswut und Mitgefühl .......................................................................................................................6
Komponist .............................................................................................................................................................................7
Die Oper .............................................................................................................................................................................. 10
Das Kind und die Zauberdinge .................................................................................................................................. 10
Was ist eine Oper? .......................................................................................................................................................... 11
Stimmgattungen .............................................................................................................................................................. 12
Wichtige Berufe an einem Opernhaus .................................................................................................................... 12
Handelnde Personen | Tiere | Objekte | Elemente ............................................................................................ 13
Handlung ............................................................................................................................................................................ 14
Interview ............................................................................................................................................................................ 15
Rokoko ................................................................................................................................................................................. 18
Musik .................................................................................................................................................................................... 20
Hörempfehlungen ........................................................................................................................................................... 36
Spielanlässe ....................................................................................................................................................................... 45
Materialien ......................................................................................................................................................................... 50
Rollenkarten...................................................................................................................................................................... 51
Standbilder ........................................................................................................................................................................ 54
Fragen zu Maurice Ravel .............................................................................................................................................. 55
Fragen zum Inhalt ........................................................................................................................................................... 55
Fragen zur Inszenierung .............................................................................................................................................. 56
Abbildungsverzeichnis ................................................................................................................................................. 57
Literaturverzeichnis ..................................................................................................................................................... 58
2
VORWORT
LIEBE LEHRERINNEN UND LEHRER,
MIT DER VORLIEGENDEN MATERIALSAMMLUNG ZU »DAS KIND UND DIE ZAUBERDINGE«
MÖCHTEN WIR IHNEN EINEN ÜBERBLICK ÜBER DIE OPER GEBEN. DIE
HINTERGRUNDINFORMATIONEN UND ANREGUNGEN FÜR DEN UNTERRICHT SIND FÜR EINE
MÖGLICHE VOR- UND NACHBEREITUNG DES THEATERBESUCHS GEDACHT.
ALS ERGÄNZUNG ZU DEN VORBEREITUNGEN IM UNTERRICHT ORGANISIEREN WIR AUF
ANFRAGE GERN EINE KURZE EINFÜHRUNG FÜR IHRE KLASSE.
WIR WÜNSCHEN IHNEN UND IHREN SCHÜLERN VIEL FREUDE BEIM VORBEREITEN UND
EINEN SPANNENDEN OPERNBESUCH! ÜBER SCHRIFTLICHE FEEDBACKS FREUEN WIR UNS
SEHR.
EVA BINKLE
(MUSIKTHEATERPÄDAGOGIN)
»Es gibt eigentlich nur zwei Arten von Musik, die eine
gefällt und die andere langweilt.«
Maurice Ravel
KONTAKT
SAARLÄNDISCHES STAATSTHEATER
SCHILLERPLATZ 1
66111 SAARBRÜCKEN
TEL. 0681 3092 248
[email protected]
3
ENTSTEHUNG DES WERKES
COLETTE (1873–1954)
Die Geschichte des Werkes beginnt im Jahr 1914, als Jacques Rouché, der
Direktor der Pariser Oper, die erfolgreiche Schriftstellerin,
Varietékünstlerin und Journalistin Colette (eigentlich Sidonie-Gabrielle
Claudine Colette) um ein Libretto zu einem Märchen-Ballett bittet.
Colette, die selbst als Tänzerin und Schauspielerin auftritt, ist sofort
begeistert eine phantasievolle Geschichte für das Ballett schreiben zu
dürfen und nimmt das Angebot an. Thematisch knüpft Colette an das
1865 erschienene Kinderbuch »Alice im Wunderland« des britischen
Schriftstellers Lewis Carroll an.
Colette bekommt den Auftrag in einer persönlich schweren Zeit. Im Jahr
1912 verliert sie durch den Tod der Mutter, Sidonie Landoy, ihre engste
Vertraute und setzt ihr mit der Figur »Sido« im gleichnamigen Roman ein
literarisches Denkmal. Im Jahr zuvor hatte Colette ihre Tochter BelGazou zur Welt gebracht, der sie das Werk mit dem Arbeitstitel
»Divertissement pour ma petite fille« widmet. Die Schriftstellerin sagt
selbst, dass sie diese moralische Geschichte nie geschrieben hätte, wenn
sie nicht Unterhaltung für ihre Tochter gesucht hätte.
Colette
Abbildung 1
Das Libretto gefällt Rouché sofort und er ermutigt Colette einen Komponisten zu suchen. Doch zunächst
schlägt sie alle seine Vorschläge aus, bis er ihr Maurice Ravel vorschlägt, dessen Musik Colette
sehr schätzt. Sie schreibt dazu in ihrer Autobiografie: »Und wenn ich ihnen Ravel vorschlüge?«
sagte Rouché nach einer kleinen Pause. Ich ließ alle Höflichkeit fallen und gab lauthals meiner
Hoffnung Ausdruck. ›Machen wir uns nichts vor‹, wandte Rouché ein, ›selbst wenn Ravel
zusagt, kann es lange dauern.‹ Er sagte zu. Es dauerte lange. Er nahm mein
Libretto mit, und wir hörten nichts mehr – weder von Ravel, noch von
›L'Enfant‹… Wo arbeitet Ravel? Arbeitet er überhaupt? […] Dann kam
Libretto ist ein italienisches
der Krieg, und ich gewöhnte mich daran, nicht mehr an ›L'Enfant‹ zu
Wort und heißt übersetzt
denken.«
»Büchlein«. Gemeint ist
damit der Text, der während
einer Oper gesungen wird.
Die erste Übersendung des Librettos erreicht Maurice Ravel wegen
der Wirren des ersten Weltkriegs nicht, er ist als Lastwagenfahrer in
der Nähe von Verdun eingesetzt. Doch der Kriegsdienst dauert
glücklicherweise nicht lange, denn 1917 wird er wegen Krankheit freigestellt
und kann sich wieder ganz seiner Musik widmen.
Endlich, im Februar 1918, schreibt Maurice Ravel an Colette: »Chère Madame, um dieselbe Zeit, als sie bei
Rouché Ihr Bedauern äußerten, von mir nicht gehört zu haben, dachte ich inmitten des Schnees, der mich
umgibt, daran, Sie zu fragen, ob Sie überhaupt noch mit einem derart unzuverlässigen Mitarbeiter zu tun
haben wollen. Meine einzige Entschuldigung ist mein Gesundheitszustand: Lange Zeit habe ich ernsthaft
Angst gehabt, nie wieder arbeiten zu können. Nun geht es wohl besser: Die Arbeitslust scheint
zurückzukommen. Hier geht es nicht; aber gleich nach meiner Rückkehr, Anfang April, will ich wieder
anfangen, und als erstes mit unserer Oper. Tatsächlich arbeite ich schon daran: Ich mache Notizen – ohne
eine einzige Note zu schreiben –; ich denke sogar an einige Änderungen … Keine Angst: es geht nicht um
Kürzungen; im Gegenteil. Zum Beispiel: Ließe sich die Erzählung des Eichhörnchens nicht ausbauen?
Stellen sie sich vor, was ein Eichhörnchen alles über den Wald erzählen kann, und was das in Musik
gesetzt ergeben würde! Etwas anderes: Was hielten Sie davon, wenn die Tasse und die Teekanne, in altem
– schwarzen – Wedgwood, einen Ragtime singen würden?«
4
Ravel und Colette sind sich in ihren Vorlieben für die Natur, Blumen und Tiere, vor allem Katzen und für
die Zauberwelt der Märchen einig. Beide verbindet außerdem eine tiefe Zuneigung zur Mutter. Alle diese
Gemeinsamkeiten sind sehr förderlich für die gemeinsame Arbeit.
Colette antwortet also sofort, erklärt sich mit den Änderungsvorschlägen einverstanden und hört
daraufhin Monate lang nichts von Ravel.
Nachdem Rouché die Hoffnung auf eine fertige Oper schon aufgegeben hat und der Vertrag mit der Opéra
de Paris geplatzt ist, tritt der Direktor der Oper von Monte Carlo an Ravel heran und bietet ihm an, das
Werk an seinem Theater uraufzuführen. Ravel stimmt zu und geht sogar auf die Bedingung ein, das Werk
bis Ende 1924 fertig zu stellen. Nach vielen Jahren des Zögerns vollendet Ravel die Partitur schließlich in
nur sechs Monaten. Die Kompositionsarbeiten setzen sich bis in die Probenzeit fort, so bittet Ravel Colette
noch fünf Tage vor der Uraufführung einen Text zu einigen kurzfristig eingeschobenen Takten zu liefern.
Am 21. März 1925 wird »L'Enfant et les Sortilèges« (»Das Kind und die Zauberdinge«) in Monte Carlo
uraufgeführt.
Der Erfolg bei Presse und Publikum ist gleichermaßen überwältigend, und Colette zerfließt bei dieser
Musik von fast überirdischer Schönheit in Tränen:
»Wie soll ich meine Rührung beschreiben beim ersten Hüpfen der Tamburine, die den Aufzug der
Hirtenknaben begleiten? Der Mondglanz des Gartens, der Flug der Libellen und Fledermäuse ... >Nicht
wahr, es ist amüsant?< Sagte Ravel. Mir indessen beengte ein Knoten von Tränen die Kehle.«
Das witzig-entzückende Katzenduett, das der Komponist Arthur Honegger als bemerkenswertesten Satz
der ganzen Partitur hervorhebt, erregt das Entsetzen von Teilen des Publikums, bei einigen der
anstoßerregenden Nummern wird laut auf Trillerpfeifen gepfiffen.
Zehn Tage nach der Pariser Erstaufführung ging in Brüssel eine von Ravel selber begleitete Inszenierung
unter allgemeinem Wohlgefallen über die Bühne, und bald folgten weitere Aufführungen in Prag, Leipzig,
Wien, San Francisco und schließlich 1939 am ursprünglich erdachten Aufführungsort: der Opéra de Paris.
Ravel
Abbildung 2
5
TROTZ, ZERSTÖRUNGSWUT UND MITGEFÜHL
»Komm sofort rein!« – »Sei jetzt endlich ruhig!« – »Tu, was ich dir sage!« – »Heb das auf, aber ganz fix!« –
»Entschuldige dich auf der Stelle!« So oder ähnlich lauten die Befehle, die Kindern, oft in dichter Abfolge,
erteilt werden. Die Liste ließe sich nahezu endlos fortsetzen. Eltern dulden keinen Aufschub, erwarten
prompten Gehorsam.
In aller Regel versuchen sie ein Kind dazu zu bewegen, eine Handlung zu vollziehen, die sie in einer
Situation für richtig halten. Doch nicht immer haben sie damit Erfolg. Die Kinder hören nicht, sind
ungehorsam, man muss ihnen alles dreimal sagen. Und wenn sie dann immer noch nicht das machen, was
sie machen sollen, wird der Erwachsene noch mal etwas lauter, ärgerlich – schließlich ist auch seine
Geduld am Ende.
Entweder wird eine Belohnung in Aussicht gestellt oder aber geschrien und mit mehr oder weniger harten
Strafen gedroht. Es kommt zu einem offenen Kampf zwischen dem Erwachsenen und dem Kind, das sich
mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln gegen die Übermacht zur Wehr setzt (Schreien, Trampeln, zu
Boden schmeißen u. a.). Ihren Unmut teilen Kinder ungefiltert mit: Sie können ihre Gefühle noch nicht
kontrollieren oder sie durch Worte ausdrücken. Deshalb stampfen, schreien, wüten sie.
Ein Kind in Zerstörungswut: »Ich mag niemanden. Ich bin sehr böse! Böse. Hurra! Ich bin frei, böse und
frei!«, spielt in Ravels Oper die Hauptrolle. Es hat keine Lust, seine Schulaufgaben zu machen, gibt
hässliche Widerworte, quält Katze und Eichhörnchen, verwüstet die Einrichtung. Doch die Gegenstände,
das Spielzeug, die Tiere, das Feuer im Kamin, die Möbel, die Teekanne werden plötzlich lebendig, rächen
sie sich an dem Kind.
Alle Schülerinnen und Schüler kennen solche Konflikte mit den Eltern oder Erziehern. So können sie bei
der Beschäftigung mit der Oper mit und durch die Musik an eigene Erfahrungen anknüpfen. Im Text sind
die Tätigkeiten und Gedanken des Kindes dargestellt, in der Musik die differenzierten, widersprüchlichen
und lebensnahen Emotionen und Handlungen.
Ein verträumtes Kind, das aus Unlust und Langeweile keine Hausaufgaben machen will. Dann das
trotzige Kind, das auf keinen Fall die Wünsche der Mutter erfüllen will und ermahnt wird. Das wütende
Kind (»Ich bin böse!«), lässt sich mehr und mehr von seiner Wut mitreißen, wird gewalttätig, bis zur
Tierquälerei.
Schülerinnen und Schüler kennen aus ähnlichen Situationen Wutfantasien im Kopf, kleine aggressive
Handlungen (gegen den Stuhl treten o. ä.), seltener auch gewalttätige Wutausbrüche. Sie kennen die
Situation, zu wissen etwas Falsches zu tun, aber trotzdem weiter machen, ohne eigentlich zu wissen
warum.
In der Oper ist das Kind nach der Raserei zunächst
unsicher, dann ängstlich. Es versteht nicht, warum in
der vertrauten Umgebung plötzlich alles so fremd ist.
Es wird traurig, als die geliebte Prinzessin aus dem
Kinderbuch verschwindet. Die daraus erscheinenden
Zahlen verwirren das Kind und es fühlt sich ganz
einsam, weil es keine Zuwendung durch den Kater
erfährt. Als das Kind durch die Tiere im Garten von
den Folgen seines Handelns erfährt, ist es sehr
betroffen und mitfühlend. Selbstlos hilft es dem
verletzten Eichhörnchen.
Abbildung 3
6
KOMPONIST
Maurice Ravel
*7. März 1875
† 28. Dezember 1937
Maurice Ravel wird am 7. März 1875 in Ciboure (bei Saint-Jean-deLuz, Frankreich) als erster von zwei Söhnen geboren. Seine aus
Spanien stammende Mutter singt ihn mit baskischen und spanischen
Liedern in den Schlaf und vermittelt ihm früh die Liebe zu Musik
und Tanz. Dieser Einfluss ist auch in seinen Kompositionen
wiederzufinden.
Die Familie des Vaters Joseph Ravel stammt aus der
französischsprachigen Schweiz und war 1868 nach Frankreich
eingewandert. Joseph Ravel arbeitet hier als Ingenieur an der
Weiterentwicklung des Gasmotors (Explosionsmotors).
Kurz nach der Geburt des kleinen Maurice zieht die Familie in ein
Haus in der Nähe des Montmartre in Paris, wo der Vater eine
Anstellung gefunden hat. Auch er ist Musikliebhaber und fördert die
musikalischen Interessen seines Sohnes von Anfang an. So erhält
Maurice bereits als Siebenjähriger seinen ersten Klavierunterricht
und wird ab 13 an einer privaten Musikschule in Klavier und
Harmonielehre unterrichtet.
Maurice Ravel
Abbildung 4
Ab 1889 besucht Ravel das Konservatorium in
Paris, wo er die Fächer Klavier, Komposition,
Kontrapunkt und Harmonielehre belegt. Er spielt
mit dem Gedanken, eine Pianistenlaufbahn
einzuschlagen, aber die Voraussetzungen dafür
sind nicht optimal. Wärme, Gefühl und
Temperament werden seinem Spiel zwar
bescheinigt, die Bravour anderer Mitschüler
erreicht er aber nicht. Das scheint sich auf seine
Motivation auszuwirken: Ravel ist ein fauler
Schüler, fällt durch Zwischenprüfungen und muss
die Meisterklasse vorzeitig verlassen. Sein
Interesse Pianist zu werden ist endgültig auf dem
Ravels Geburtshaus
Abbildung 5
Nullpunkt angelangt. In späteren Jahren setzt er
sich nur noch ans Klavier, um eigene Kompositionen zu Gehör zu bringen – und selbst das nur widerwillig.
Im Januar 1897 kehrt Ravel ans Konservatorium zurück und tritt in die Kompositionsklasse von Gabriel
Fauré ein. Fauré ist es auch, der Ravel Zutritt zu den mondänen Salons des damaligen Paris ermöglicht.
Über die Erlebnisse dort spottet Ravel zwar, aber als mittlerweile ausgeprägter Dandy kann er den
Abenden dort auch etwas abgewinnen. Seine blasiert zynischen Auftritte mit plissiertem Hemd und
Monokel irritieren sogar seinen besten Freund Ricardo Viñes. Auf die Frage, welcher Schule oder
Strömung er angehöre, pflegt Ravel zu antworten: »Überhaupt keiner, ich bin Anarchist.«
»Weiße und schwarze Haare vermischten sich und gaben ihm eine gefiederartige
Frisur. Beim Sprechen schlug er seine feinen Nagetier-Hände übereinander und
streifte alle Dinge mit seinem Blick eines Eichhörnchens.«
Colette, 1939
7
Mehrfach bewirbt sich Ravel um den »Prix de Rome«, die höchste Auszeichnung für Komponisten in
Frankreich, gewinnt ihn jedoch nie. 1902 beschert die Uraufführung der zwei Klavierwerke »Pavane pour
une infante défunte« und »Jeux d'eau« dem Komponisten erstmals öffentliche Anerkennung und zwei
Jahre später gelingt ihm mit dem Streichquartett »Quartour à Cordes« der endgültige Durchbruch.
Mit 34 Jahren hat sich Ravels Ruf in Künstlerkreisen so weit verbreitet, dass Serge Diaghilew, der
berühmte Leiter der »Ballets Russes«, ihn zur Vertonung des Librettos von »Daphnis und Chloé« bittet.
Mit diesem Stück gelingt Ravel eines seiner Meisterwerke.
Der Erste Weltkrieg geht auch an Maurice Ravel nicht spurlos vorbei. Anders als viele seiner Zeitgenossen
entscheidet Ravel sich bewusst zu einer aktiven Beteiligung am Krieg. Er wird im März 1915 als LKWFahrer eingezogen. Eine Bauchfellentzündung zwingt ihn aber schon im September 1916 dazu, wieder
nach Paris zurück zu kehren. Dort angekommen, findet er die Mutter schwer krank vor, und ihr Tod einige
Monate später hinterlässt unauslöschliche Spuren.
Auch nach dem Tod der Mutter lebt Maurice mit seinem Bruder in der Wohnung der Familie in Paris. Ihm
wird bewusst, wie sehr sich sein gesamtes Leben und Schaffen um seine Mutter gedreht hat und wie sehr
ihre Nähe und Zuneigung ihn inspiriert und ihm Selbstbewusstsein vermittelt hatte.
Erst im Jahr 1920 bezieht er die kleine Villa »Le
Belvédère« (zu Deutsch: Schöner Ausblick) in
Montfort-l'Amaury, nahe Paris, wo er inmitten
eines auserlesenen Freundeskreises, umgeben
von Tieren (vor allem Katzen) und
Kunstwerken, ein ausschließlich der Musik
gewidmetes Leben führt. Die Einrichtung des
Hauses gestaltet Ravel mit viel Liebe. Er
entwirft das Muster der Tapete, bemalt die
Stühle und sammelt viele kitschig-schöne
Gegenstände aus aller Welt. Er hat eine
mechanische Nachtigall, die singt, wenn man sie
aufzieht. Ganz besonders liebt Ravel seinen
kleinen Garten, pflanzt Bonsai-Bäumchen und
exotische Blumen, die überall wuchern.
Abbildung 6
In dieser Zurückgezogenheit komponiert er »L´Enfant«. Die Oper spielt in einem
alten Landhaus in der Normandie, das auf verblüffende Weise Ravels eigener
skurril eingerichteten Villa ähnelt. Im Mittelpunkt steht ein Kind – und das will
böse sein. Von der Mutter bei trockenem Brot und ungesüßtem Tee im Zimmer
eingesperrt, beginnt alsbald ein wildes Chaos voll von musikalischer Zauberei.
Anfang der 20er Jahre verschlechtert sich Ravels Gesundheitszustand
zunehmend und obwohl ihm ein Arzt 1927 ein Jahr Arbeitsruhe verordnet,
stürzt er sich wie ein Ertrinkender in neue Aufgaben.
1927/28 reist er durch Amerika, wo er auch eigene Werke dirigiert. Bei einem
Besuch in England 1928 ernennt ihn die Universität Oxford zum Ehrendoktor.
Trotz der gesundheitlichen Beeinträchtigung entstehen in dieser Zeit einige von
Ravels berühmtesten Kompositionen, unter anderem auch der »Boléro«. Der als
Ballett mit der Tänzerin Ida Rubinstein uraufgeführt und vom Publikum
begeistert aufgenommen wird. Ravel selbst bezeichnet das Werk als »simpel«
und als »Orchesterstoff ohne Musik«.
Abbildung 7
Im Oktober 1932 wird Ravel bei einem Autounfall, an dem er als Taxifahrgast
beteiligt ist, leicht verletzt. Diese Verletzungen reichen aus, um seine angeschlagene Gesundheit vollends
8
aus dem Gleichgewicht zu bringen. Er hatte schon zuvor an unerträglichen Kopfschmerzen und
Erschöpfungszuständen gelitten.
Störungen der Bewegungsmotorik machen es ihm bald nicht einmal mehr möglich, seinen Namen zu
schreiben – geschweige denn Noten. Auch die sprachlichen Fähigkeiten lassen stark nach, und er kann
nicht mehr komponieren.
Die Ursache seiner Erkrankung konnte bis heute nicht abschließend geklärt werden. Am 17. Dezember
1937 begibt Ravel sich in eine Klinik, um durch eine Schädeloperation dem Verdacht auf einen
Gehirntumor nachzugehen. Ein Tumor wird bei der Operation am 19. Dezember nicht gefunden. Ravel
erwacht aus der Narkose, fragt nach seinem Bruder, sinkt aber bald darauf in ein tiefes Koma, aus dem er
nicht mehr erwacht.
Am Morgen des 28. Dezember 1937 hört sein Herz auf zu schlagen. Am 30. Dezember wird Maurice Ravel
auf dem Friedhof von Levallois-Perret im Westen von Paris neben seinen Eltern begraben.
Abbildung 8
»Ich habe noch so viel Musik im Kopf. Ich habe noch nichts gesagt.
Ich habe noch alles zu sagen.«
Maurice Ravel
Interessante Links zum Leben von Maurice Ravel:
http://www.musicademy.de/index.php?id=1346
http://www.52composers.com/ravel.html
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DIE OPER
DAS KIND UND DIE ZAUBERDINGE
LYRISCH-PHANTASTISCHE BEGEBENHEIT
MUSIK von Maurice Ravel
LIBRETTO von Colette
URAUFFÜHRUNG 21. März 1925 an der Opéra de Monte Carlo
PREMIERE: 25. Januar 2015, Saarländisches Staatstheater
DAUER: ca. 1 Stunde 15 Minuten (ohne Pause)
ORT UND ZEIT DER HANDLUNG: Zimmer und Garten eines Landhauses in der Normandie
In französischer Sprache mit deutschen und französischen Übertiteln
Abbildung 9
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WAS IST EINE OPER?
Die Oper ist sehr alt, die erste wurde vor fast vierhundert Jahren in Italien geschrieben. Eine Oper ist ein
Schauspiel, in dem entweder nur gesungen wird, oder sich Sprache und Gesang abwechseln. Aber auch
das Haus, in dem die Oper gespielt wird, und auch die ganze Gruppe an Sängern, Tänzern und Musikern
werden als Oper bezeichnet.
Oper verbindet alle darstellerischen und technischen Möglichkeiten, die ein Theater bietet, um eine
abwechslungsreiche und unvergessliche Vorstellung auf die Bühne zu bringen: In einer Oper steckt
nämlich neben dem gedichteten Stück (dem sogenannten Libretto), natürlich die Musik (mit
Instrumenten und Gesang), aber auch die Schauspielkunst, die Kunst der Kostüm-, Masken- und
Bühnenbildner sowie die der Beleuchter.
Die meisten Opern beginnen mit einem Vorspiel oder einer Ouvertüre. Das Orchester spielt allein und
der Vorhang bleibt noch geschlossen. Die Musik soll den Zuschauer auf die Handlung der Oper
vorbereiten. Auf eine traurige, eine düstere oder auch lustige Geschichte.
Ältere Opern sind in viele kleine Abschnitte unterteilt, man nennt sie Nummernopern. Arien werden von
einem Sänger alleine gesungen, der hier seine Stimmungen und Gefühle ausdrückt. Außer den Arien gibt
es in der Oper auch so genannte Ensembles, bei denen mehrere Sänger gleichzeitig oder nacheinander
singen. Je nachdem wie viele Sänger daran beteiligt sind, heißen sie Duett (2), Terzett (3), Quartett (4),
Quintett (5), Sextett (6) oder Septett (7). Diese Ensembles sind große Opernkunst und man findet sie oft
an den dramatischen Höhepunkten der Handlung, also am Ende größerer Abschnitte.
Eine wichtige Rolle spielt in Opern auch der Chor, in dem viele Sänger (Sopran, Alt, Tenor, Bass)
zusammen die gleiche Stimme singen. Der Chor ist immer dann auf der Bühne, wenn größere
Volksmengen gebraucht werden. Begleitet werden die Chöre meist durch das Orchester.
Wenn diese Einzelteile der Oper durch gesprochenen Text verbunden werden, nennt man sie auch
Singspiele. Berühmt ist hier zum Beispiel Mozarts »Zauberflöte«. In vielen Opern sprechen die Sänger gar
nicht, sondern singen auch zwischen den Arien, Chören und Ensembles. In diesen Teilen hält sich das
Orchester meistens sehr zurück, spielt oft nur einzelne Harmonien oder schweigt ganz und überlässt dem
Cembalo (ein leiser Vorgänger des Klaviers) die Begleitung. Diese Abschnitte der Oper nennt man
Rezitativ (Sprechgesang). Diese Art der Oper stammt ursprünglich aus Italien.
Damit das Publikum der Handlung trotz der fremden Sprache folgen kann, gibt es in der Oper Übertitel.
Das bedeutet der Text wird über der Bühne auf eine Fläche projiziert und kann so von allen mitgelesen
werden.
Im letzten Jahrhundert entstanden die sogenannten durchkomponierten Opern, in denen es weder
Dialoge noch Rezitative gibt. Das Orchester spielt ununterbrochen und verbindet so die einzelnen Teile
miteinander. Ein berühmtes Beispiel ist »Der fliegende Holländer« von Richard Wagner, der zweieinhalb
Stunden ohne Pause durchgespielt wird.
Auch die durchkomponierten Opern sind in Aufzüge oder Akte gegliedert. Jeder Aufzug oder Akt lässt
sich in Arien, Ensembles oder nach dem Verlauf der Handlung unterteilen. Man unterscheidet Auftritte,
Szenen und Bilder. Ein neuer Auftritt beginnt immer dann, wenn eine Person von der Bühne auf- oder
abtritt. Ein Bild dauert so lange, bis das Bühnenbild sich verändert und ein Aufzug oder Akt besteht
mindestens aus einem, oder auch mehreren Bildern. Die Szene kann einerseits inhaltlich verbundene Teile
zusammenfassen, andererseits können Szenen auch den Auftritten entsprechen.
11
STIMMGATTUNGEN
SOPRAN
Höchste Frauenstimme, sehr hohe Sopranstimmen erreichen Spitzentöne bis f''''
(z. B. die Königin der Nacht in Mozarts »Zauberflöte«)
MEZZOSOPRAN
Bezeichnung für die Singstimme der Frau, die etwas tiefer als ein Sopran liegt,
aber etwas höher als ein Alt
ALT
Tiefste Frauenstimme, liegt zwischen Mezzosopran und Tenor
COUNTERTENOR
Als Countertenor bezeichnet man einen Sänger, der durch die Verwendung der
Kopfstimme bzw. der Falsett-Technik in Alt- oder sogar Sopranlage singt.
TENOR
Bezeichnung für die hohe Männerstimme, liegt über dem Bariton, nicht alle
Tenöre können das berühmte hohe »C« singen
BARITON
Mittlere Männerstimme zwischen Tenor und Bass
BASS
Tiefste Männerstimme
WICHTIGE BERUFE AN EINEM OPERNHAUS
BELEUCHTUNGSMEISTER
ist für das richtige, meist computergesteuerte Licht zuständig.
BÜHNENARBEITER
ist für den Auf- und Abbau der Bühne verantwortlich.
BÜHNENBILDNER
gestaltet die Bühne mit Licht, Farben, Kulissen.
DIRIGENT
ist der musikalische Leiter einer Aufführung.
DRAMATURG
ist ein Berater in Text-, Musik- oder Theaterwissenschaftlichen Fragen.
INTENDANT
ist der Leiter eines Theaters.
INSPIZIENT
ist für den organisatorischen Ablauf einer Vorstellung verantwortlich.
KORREPETITOR
studiert mit den Sängern am Klavier ihre Rollen (Partien) ein.
KOSTÜMBILDNER
entwirft die Kostüme.
LIBRETTIST
schreibt das Textbuch (Libretto) für die Oper.
MASKENBILDNER
gestaltet das Aussehen der Darsteller.
OPERNDIREKTOR
macht Programmplanung, engagiert Sänger und Regisseure.
ORCHESTERMUSIKER
ist ein Instrumentalist, der im Orchester spielt.
REGISSEUR
ist für die szenische Darstellung (Inszenierung) zuständig.
REQUISITEUR
verwaltet die Requisiten (Zubehör, Gegenstände für eine Aufführung).
SOUFFLEUR
flüstert den Darstellern aus dem Souffleurkasten den Text zu.
TONMEISTER
ist für die Tonmischung und akustische Einspielungen zuständig.
VERWALTUNGSDIREKTOR
ist für den finanziellen Haushalt eines Theaterbetriebes verantwortlich.
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HANDELNDE PERSONEN | TIERE | OBJEKTE | ELEMENTE
DAS KIND – lyrischer Mezzosopran
Tereza Andrasi
DIE MUTTER – Alt
Elena Kochukova
DIE PRINZESSIN – Koloratursopran
Herdís Anna Jónasdóttir
EINE SCHÄFERIN – Sopran
Elizabeth Wiles
EIN SCHÄFER – Alt
Judith Braun
DER KLEINE ALTE MANN – Tenor
János Ocsovai
TIERE
DIE KATZE – Mezzosopran
Elena Kochukova
DER KATER – Bariton
Stefan Röttig
DIE LIBELLE – Mezzosopran
Judith Braun
DIE NACHTIGALL – Koloratursopran
Herdís Anna Jónasdóttir
DIE FLEDERMAUS – Sopran
Elizabeth Wiles
DIE EULE – Sopran
Elizabeth Wiles
DAS EICHHÖRNCHEN – Mezzosopran
Elena Kochukova
DER FROSCH – Tenor
Algirdas Drevinskas
OBJEKTE | ELEMENTE
DIE BERGÈRE (POLSTERSESSEL) – Sopran
Elena Harsányi
DAS FAUTEUIL (LEHNSTUHL) – Bariton
James Bobby
DIE UHR – Bariton
Stefan Röttig
DIE CHINESISCHE TASSE – Mezzosopran
Judith Braun
DIE TEEKANNE – Tenor
Algirdas Drevinskas
DAS FEUER – Koloratursopran
Herdís Anna Jónasdóttir
EIN BAUM – Bariton
James Bobby
Der Kinderchor des SST – Der Opernchor des SST – Das Saarländische Staatsorchester
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HANDLUNG
PAVANE POUR UNE INFANTE DÉFUNTE – JE SUIS LIBRE!
L'ENFANT ET LES SORTILÈGES – JE SUIS LIBRE, MÉCHANT ET LIBRE!
IM ZIMMER
Das Kind hat keine Lust seine Hausaufgaben zu machen. Als die Mutter das Zimmer betritt und feststellt,
dass es noch nicht einmal damit angefangen hat, muss es zur Strafe bis zum Abendessen allein im Zimmer
bleiben. Kaum hat sich die Tür hinter der Mutter geschlossen, wird das Kind von einer »rasenden Wut«
ergriffen, die es an der Einrichtung des Zimmers auslässt. »Ich bin frei, böse und frei«, ruft es schließlich
und hält – »atemlos und berauscht von seinem Zerstörungswerk« – inne.
Da erwacht plötzlich ein misshandelter Gegenstand nach dem anderen zum Leben und beklagt die Taten
des Kindes: Das Fauteuil und die Bergère, ein französischer Sessel, beschließen, dem Kind in Zukunft ihre
Polster zu verweigern, die Uhr jammert, dass sie nun ohne Pendel auskommen muss und außer Takt
geraten ist, und die Wedgwood-Teekanne und die chinesische Teetasse beschweren sich in englischchinesischem Kauderwelsch über das Treiben des Kindes. Das Kind bedauert den Verlust der Teetasse –da
züngelt das Feuer aus dem Kamin hervor. Es rügt den Missbrauch des Schürhakens und droht dem Kind,
es zu verbrennen. Kaum ist das Feuer erloschen, ergreifen die Schäfer und Schäferinnen aus der
zerstörten Tapete das Wort: Sie beklagen, dass sie getrennt wurden und nicht mehr zusammenkommen
können. Das Kind beginnt zu weinen. Die Prinzessin aus dem Märchenbuch erscheint. Sie kann ihren
Prinzen nicht finden, der sie vor dem bösen Zauberer beschützt, da das Kind die Seiten herausgerissen hat.
Als es vergeblich versucht, der Prinzessin zu helfen und unter den verstreuten Seiten nach dem Ende des
Märchens sucht, erheben sich aus den Blättern Zahlen, angeführt von einem kleinen alten Mann. Das Kind
erkennt in ihm die ungeliebte Mathematik, die ihm im Staccato falsche Rechenaufgaben, Maßeinheiten
und Abzählreime entgegen schleudert. Auch der Kater wendet sich vom Kind ab; er geht lieber in den
Garten und umwirbt die Katze.
IM GARTEN
Das Kind tritt hinaus in den Garten. Aber auch hier trifft es nur auf Wesen, denen es Leid zugefügt hat: Die
Bäume stöhnen über die Wunden in ihrer Rinde, die Libelle und die Fledermaus trauern um ihre toten
Gefährten, und das Eichhörnchen warnt den Frosch vor dem bösen Kind und seinem Käfig. Das Kind fühlt
sich einsam. Es ruft nach der Mutter, womit es alle Aufmerksamkeit auf sich zieht. Die Tiere sinnen auf
Rache und beginnen, es zu bedrohen und zu umzingeln. Dabei werden das Kind und ein Eichhörnchen
verletzt. Als das Kind ihm die Pfote verbindet, halten die deren Tiere gerührt ein und bemerken: »Das Kind
ist gut, es ist brav, es ist so liebevoll«.
DAPHNIS ET CHLOÉ, SUITE NR. 2 – IL EST BON L'ENFANT, IL EST SAGE!
14
INTERVIEW
ICH BIN FREI, BÖSE UND FREI!
Die Musikdramaturgin Caroline Scheidegger im Gespräch mit der Regisseurin Solvejg Bauer
Caroline Scheidegger: Schon als wir dich fragten, ob du die Regie zu »Das Kind und die Zauberdinge«
übernehmen willst, war klar, dass die Oper mit ihrer Spieldauer von nur knapp einer Stunde zu kurz für einen
Abend sein würde. Ein Doppelabend kam für uns alle nicht in Frage, und so hast du schließlich die Oper mit
zwei Instrumentalstücken von Ravel flankiert. Was kam zuerst: Das Konzept für die Inszenierung oder die
Auswahl der Stücke?
Solvejg Bauer: Für mich stand relativ schnell fest, dass sich der Abend auf diese feine, ganz eigene
Klangwelt von Ravel beschränken soll. Und so habe ich mich erst mal durch Ravels Werk gegraben, habe
viel gehört, und in zwei Stücke habe ich mich dann – fast auf den ersten Blick – verliebt: In die »Pavane
pour une infante défunte«, die wir wie eine Ouvertüre vor die eigentliche Oper setzen und in die 2. Suite
aus »Daphnis et Chloé«, die den Abend beschließen wird. Erst in ihrem Zusammenspiel hat sich für mich
ergeben, wie ich das Stück und seine Figuren erzählen will. Die »Pavane«, deren vollständiger Titel sich ja
in etwa als »Tanz für eine verstorbene Prinzessin« übersetzen lässt, hat vor meinem inneren Auge eine
Welt von einem Kind eröffnet, dass gegen das ihm zugedachte Prinzessinnenbild aufbegehrt – ein Akt der
Befreiung, wie ihn dann das Kind der Oper mit seinem Wutanfall vollzieht. Und der Beginn von »Daphnis«
hört sich für mich wie eine gewaltige Rückwärtsbewegung an und hat mich auf die Idee gebracht, die
Geschichte der Oper nicht weiterzuerzählen, sondern sie zurückzuspulen. Zurück zu deiner Frage: Die
Auswahl der Musik kam vor der Idee zur Inszenierung.
Ravel bediente sich für die Oper, ganz nach seinem selbsterklärten Prinzip »freiwillige Untreue gegenüber
dem Vorbild«, ausgiebig bei anderen Komponisten und deren unterschiedlichen Stilen. Dieses Ravelsche Sotun-als-ob spielte ja auch für dich und dein Team keine unwesentliche Rolle.
Wenn man es genau nimmt, ist schon der Kern des Stücks, das Kind, eine Fälschung. Laut Libretto handelt
es sich um einen kleinen Jungen, etwa sechs bis sieben Jahre alt, notiert ist diese Partie aber für eine
gestandene Mezzosopranistin. Unser Kind, Tereza Andrasi, hat zwar eine sehr jugendliche, aber natürlich
trotzdem eine weibliche Ausstrahlung. Könnte denn der kleine wilde Junge nicht auch ein kleines wildes
Mädchen sein, das sagt: Ich will frei sein, böse und frei? Ein Gedanke, an dem ich festhielt und der für mich
viel Brisanz birgt.
Und das Umfeld des Kindes?
Die Dinge, die da nach dem Wutausbruch im Kinderzimmer und im Garten zum Leben erwachen, haben
alle etwas kindlich-verspieltes, aber zugleich seltsam künstliches, überspitztes: Da gibt es eine
Schäfertapete, chinesisches Porzellan, ein Fauteuil im Stil Ludwigs XV. und eine Bergère, ein
verschnörkelter Polstersessel aus der Zeit Marie Antoinettes. Mir war es sehr wichtig, auf der Bühne eine
Atmosphäre zu erschaffen, die diesen verschiedenen Facetten gerecht wird und landete schließlich beim
Rokoko. Das Rokoko war für uns der passende Kosmos, aus dem wir uns sowohl atmosphärisch als auch
gegenständlich bedienen konnten. Nur als Beispiel: Es ist etwas unfassbar Künstliches, sich eine Perücke
auf die echten Haare zu setzen und dann auch noch zu pudern. Es ist ein Vorgang, der etwas Natürliches
behauptet, aber auf unglaublich überhöhte Art und Weise.
Wenn wir auf der Bühne eine Rokoko-Welt behaupten, ist das ein ähnlich künstliches Verfahren.
15
Ein Prinzip, das ihr letztlich bis zum Medium Animation konsequent fortsetzt. Das Bühnenbild ist zu einem
großen Teil gezeichnet und kann sich verändern ...
... aber ist eigentlich nichts anderes als Leinwand und Licht, eine Illusion. In seiner ganz eigenen
Materialität behauptet es ein Zimmer mit Spiegel, Gemälde und Kamin mit loderndem Feuer, existiert aber
eben nur scheinbar. Im Grunde ist für mich das Kind die einzige wirkliche und menschliche Erscheinung in
Ravels Oper – auch wenn die Dinge auf der Bühne sehr real auf das Kind losgehen.
Und die Mutter?
Die Mutter-Kind Beziehung ist ein wichtiges Thema in »Das Kind und die Zauberdinge«. Die Mutter tritt
als Instanz von Ordnung auf, gegen die das Kind rebelliert. Dann stürzt dieser ganze, mit der rigiden
Erwachsenenwelt verbundene Kosmos – der dem Kind zwar ein Korsett anzieht, aber auch Sicherheit
bietet – auf es ein. Die Mutter, die Möbel, die Tiere – und alle sind sich einig: Das Kind ist böse. Das Kind ist
ausgeschlossen, alleine und glaubt am Ende vielleicht wirklich, es sei böse. Wenn man ernst nimmt, was
sich in Ravels Oper abspielt, dann ist das ein traumatisches Erlebnis für ein kleines Kind. Zumal die
Geschichte äußerst weitreichende, ja unverhältnismäßige Konsequenzen hat. Klar, das Kind hat einen
Wutanfall und schlägt die Einrichtung seines Zimmers kaputt – das ist nicht toll –, aber am Ende bezahlt es
dafür beinahe mit seinem Leben. Der Druck, der von außen auf das Kind einwirkt und ihm eine so schwere
Verletzung beibringt, muss also unglaublich groß sein. Für mich gewinnt dieser Konflikt noch an Kontur
und Schärfe, wenn man behauptet, das Kind sei ein Mädchen, vielleicht schon kurz vor der Vermählung,
das gegen den gesellschaftlichen Käfig aufbegehrt und sagt: Halt! Ich mach nicht mit! Ich steig aus! So
nicht!
Am Schluss scheint sich aber dann doch alles zum Guten zu wenden, zumindest machen die Tiere ihren
Frieden mit dem Kind.
Ja, die Tiere behaupten, das Kind sei »gut und brav« geworden, es selbst äußert sich aber nicht dazu.
Interessant ist, dass in dem Moment, in dem die innere Wandlung des Kindes »zum Guten« stattfinden
soll, sowohl Musik als auch Text schweigen. Weder Ravel noch Colette haben diese Stelle, an der das Kind
das verletzte Eichhörnchen verbindet, kommentiert. Das Ende der Oper, die mit dem »Maman«-Ausruf des
Kindes ziemlich abrupt aufhört, erscheint mir daher eher als Höhepunkt einer Katastrophe, an dem alles
Weitere offen bleibt. Und genau da setzen wir mit »Daphnis« an und spulen die ganze Geschichte zurück
zu dem Mädchen vom Anfang. Ein Mädchen, das gerade die albtraumhaft übersteigerten Konsequenzen
seines Ausbrechens durchlebt hat und sich fragt: Schaffe ich das? Will ich das wirklich sein, böse und frei?
Was hat es mit dem Bild von Colette auf sich, das im Kinderzimmer über dem Kamin hängt?
Wie die Musik war dieses Bild von Colette eine große Inspirationsquelle für meine Inszenierung. Sie ist
darauf etwa 10 Jahre alt, also ungefähr in dem Alter wie unser Stück-Kind, trägt ein eng geschnürtes Kleid
und sitzt vor einem künstlichen Hintergrund. Ich habe mich während der Vorbereitung immer wieder in
dieses Bild vertieft, und sah darin ein Mädchen, das sich unwohl fühlt, ausbrechen will aus dem weiblichen
Korsett, was – das weiß man aus der Biografie von Colette – es ja später auch tun wird. Colette hat den
Mut gehabt, sich aus einer furchtbaren, einengenden Ehe zu befreien, um dann ein relativ freies
Künstlerleben zu führen. Irgendwann kam mir der Gedanke: Eigentlich ist das mein »Kind«!
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Man liest, Colette habe sich nicht nur von ihren Ehemännern, sondern auch von ihrer Mutter emanzipieren
müssen.
Ja, wenn man Colettes Berichten Glauben schenkt, muss Sidonie so eine Art dominante Übermutter
gewesen sein, zu der sie eine seltsame Distanz-Nähe-Beziehung gepflegt hat. Sie haben sich zwar ein
Leben lang Briefe geschrieben, aber trotzdem ist Colette nicht zur Beerdigung ihrer Mutter gefahren.
Eine ähnliche Art des Mutter-Tochter Verhältnisses hat sich dann auch zwischen Colette und ihrer eigenen
Tochter fortgesetzt: Sie hat ihrer Tochter »Das Kind und die Zauberdinge« gewidmet, das ja ursprünglich
»Divertissement pour ma petite fille« hieß, ließ sie aber in der Ferne bei einer Kinderfrau aufwachsen.
Diesen Aspekt fand ich gerade für die Interpretation unserer Stück-Mutter sehr inspirierend. Für mich
scheint Colette nicht nur im Stück-Kind, sondern ebenso in der Stück-Mutter auf.
Da du gerade den ursprünglichen Stücktitel erwähnst. »Das Kind und die Zauberdinge« war ursprünglich als
Märchenballett geplant und Ravel verarbeitet darin unterschiedlichste Tanzformen. Auch die »Pavane pour
une infante défunte« basiert auf einem langsamen Schreittanz, und »Daphnis et Chloé« hat Ravel als
»Symphonie choréographique« konzipiert. Wie gehst du damit um?
Ich mache mir das tänzerische Element zunutze, denn all diese kleinen Tanz-Perlen, die Ravel komponiert,
sind einer oder mehreren Figuren zugeordnet und zeichnen ihren jeweiligen Charakter. Die Prinzessin aus
dem Märchenbuch scheint zum Beispiel aus einer alten, längst vergangenen Zeit zu kommen und so habe
ich gemeinsam mit der Sängerin versucht, eine passende Körpersprache dafür zu finden. Ähnlich wie
Ravel, der die verwendeten Formen immer wieder aufbricht und mit seiner eigenen Sprache füllt, haben
wir aus der Musik unterschiedliche Arten der Bewegung, so etwas wie kleine »Miniaturtänze« entwickelt.
Das macht unglaublichen Spaß, zumal die Musik trotz ihrer strengen, formalen Anlage, eine starke
Bildkraft besitzt. In der Szene mit der Libelle hört man z. B. ihre Flügelschläge im Orchester.
Apropos Miniaturen. In der Oper jagt eine kompositorische und szenische Miniatur die nächste. Wie gehst du
mit der schier unerschöpflichen Vielfalt um, die Ravel in dieser knappen Stunde vor uns ausbreitet?
Für mich als Regisseurin ist es tatsächlich eine große Herausforderung, dieser Vielfalt szenisch zu
entsprechen. Viele dieser Welten klappen ja nur für eine Dauer von einer bis zwei Minuten auf, dann
kommt schon die nächste, ganz andere. Ravel hat einmal gesagt, er halte sich nicht an Prinzipen, liebe es in
Freiheit zu schaffen. In »Das Kind und die Zauberdinge« sitzt ein großes Orchester im Graben. Ravel
behandelt es aber über weite Strecken weniger als großen Klangkörper, als einen Fundus, aus dem er
einzelne Instrumentengruppen herausgreift. Es ist unglaublich, aber die Geigen, die sonst fast immer
spielen, sitzen während der ersten zehn Minuten der Oper unbeschäftigt auf ihren Stühlen. Ich habe mir
dieses Motto zu Herzen genommen und versucht, nicht nach einer Einheitslösung zu suchen, sondern
diesem Disparaten, diesen unterschiedlichen Welten und Farben, Raum zu geben. Dabei ist das animierte
Bühnenbild, das das Kinderzimmer ohne technische Umbauten verwandeln und so dieser Zeitdramaturgie
entsprechen kann, ein Segen.
Es ist aber auch ein Fluch, hast du einmal gesagt.
Da es technisch sehr aufwändig ist, konnten wir bisher noch nicht oft mit den Animationen proben. Man
muss sich also sehr viel vorstellen und vor allem immer im Bewusstsein behalten, dass neben Musik und
Szene noch ein dritter Mitspieler auf der Bühne ist. Deswegen freue ich mich auch auf die nächsten
Bühnenproben, wo dann – so hoffe ich – alles zusammenkommen wird.
17
ROKOKO
Das Rokoko ist eine Stilrichtung der europäischen Kunst (von etwa 1730
bis 1770) und entwickelte sich aus dem Spätbarock. Ausgangspunkt ist
Frankreich. Der Name stammt von dem französischen Wort »Rocaille«
(»Grotten- und Muschelwerk«) nach einem immer wieder auftretenden
Ornamentmotiv.
Charakteristisch für das Rokoko ist charakteristisch für die Vorliebe für
Eleganz, Lebendigkeit, Leichtigkeit, Helligkeit, Schönheit, Farbgeschmack
und handwerkliche Virtuosität. Verspielte Verzierungen, Schnörkel,
Pastelltöne und Gold ließen im Rokoko Gebäude und Innenräume
märchenhaft, fast wie eine Kulisse für ein Theaterstück wirken. Das Leben
des Adels bestimmt eine oberflächliche Heiterkeit. Die Vergänglichkeit des
Augenblicks wird gefeiert. Vorbild dafür war Frankreich und seinen
Höhepunkt fand der Stil am Hof König Ludwigs XVI. und seiner Gemahlin
Marie Antoinette. Sie ließen künstliche Landschaften (Schäferidylle)
errichten.
Abbildung 11
Rocaille
Abbildung 10
Vereinfacht lässt sich sagen, dass die Kunst des Rokoko verspielter ist als die Kunst des Barock. RokokoKunst findet man weniger an großen Gebäuden, sondern meist bei kleineren Kunstobjekten wie zum
Beispiel Porzellan.
SCHLOSS SANSSOUCI ALS BEISPIEL FÜR DIE BAUKUNST DES ROKOKO
Abbildung 11
Ein ganz berühmtes Rokokoschloss ist das Schloss Sanssouci, das der preußische König Friedrich II.,
auch unter dem Namen Friedrich der Große bekannt, hat erbauen lassen. Sanssouci bedeutet übersetzt
»ohne Sorge«, was heißt, dass sich der König sein Schloss als Ort des Rückzugs und der Sorglosigkeit
gewünscht hat. Dies kam der Vorstellung des Rokoko sehr nahe.
ROKOKOSCHLÖSSER WAREN GEMÜTLICHER
Während es im Barock in erster Linie darum ging, die Macht des Fürsten durch die
Pracht seiner Schlösser zu zeigen, so wurde es jetzt wichtiger, dass die Schlösser
auch gemütlich und wohnlich wirkten. So gab es im Rokoko auch oft kleine
Lustschlösschen und Jagdschlösser, die sehr viel heimeliger aussahen als die oft viel
zu großen und stattlichen Riesenschlösser des Barock.
Abbildung 12
18
DIE ROKOKO-MODE
Bestimmt wurde die Mode in erster Linie vom Adel und vermehrt auch vom gehobenen Bürgertum in
Literatensalons, Palais und Apartments der wachsenden Städte. Bauern und Arbeiter trugen Kleidung, der
sich im Schnitt an die herrschende Mode anlehnte. Sie war aber praktischer und aus einfacheren
Materialien: Leinen und Wolle statt Samt und Seide.
Abbildung 13
Damen trugen Kleider mit Rückenfalten, Hüftpolstern und weiten Reifröcken in ovaler Form. (Frau konnte
mit diesen ausladenden Röcken nur seitwärts durch die Tür treten.) Unbedingt gehörte darunter ein
Korsett, das den Oberkörper einschnürte, eine mädchenhafte Taille formte und ziemlich unbequem war.
Durch eingearbeitete Materialien, meist Fischbein, sollte der Körper in Form gedrückt werden, um dem
damaligen Schönheitsideal näher zu kommen. Zudem wurde das Korsett am Rücken verschnürt. Die
Frauen, die es trugen, nahmen dadurch automatisch eine aufrechtere Haltung an, was auch
gesellschaftlich erwünscht war. Die Haare wurden zurückgekämmt und hochgesteckt, weiß gepudert und
von einer Haube bedeckt. Mit der Zeit wurden die Frisuren immer höher aufgetürmt, manchmal mit Hilfe
von Perücken und Haarteilen.
Herren trugen eine Kniebundhose (Culotte), eine Weste und eine lange Jacke bis zu den Knien, den
»Rock«. Spitzenmanschetten, glitzernde Goldpailletten und Silberstickereien wurden durch den Degen
komplettiert, der nur dekorative Zwecke hatte. Weiß gepuderte Perücken waren bei den Männern an der
Tagesordnung und der gebundene Haarzopf im Nacken wurde mit einer Schleife befestigt. Als
Kopfbedeckung diente der Dreispitz, also ein aufgeschlagener Hut.
Auch die Kleidung der Kinder wurde der der Erwachsenen nachgeahmt. Sie trugen nicht nur alle
Accessoires, sondern wurden auch geschminkt und gepudert und waren geübt in Hofknicks und
Handkuss.
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MUSIK
DAS ORCHESTER
DIE STREICHINSTRUMENTE
Geige, Bratsche, Cello, Kontrabass
Die Streichinstrumente werden mit einem Bogen gespielt. Über den Instrumentenkörper sind Saiten
gespannt. Damit diese klingen, streicht man mit dem Bogen über die Saiten.
Die Geige ist das kleinste Mitglied der Familie. Die Bratsche ist etwas größer als die Geige, und deshalb
klingt sie auch ein bisschen tiefer. Die Geige und die Bratsche werden beim Spielen zwischen Schulter und
Kinn geklemmt. Das Cello ist noch größer, deshalb wird es im Sitzen gespielt, zwischen den Knien
festgehalten und auf einen Stachel aufgestützt. Es klingt noch viel tiefer als Geige und Bratsche. Das größte
und tiefste Saiteninstrument ist der Kontrabass. Er ist so groß, dass man ihn nur stehend oder auf einem
hohen Hocker sitzend spielen kann.
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ZUPFINSTRUMENTE
Die Harfe ist wahrscheinlich eines der ältesten Instrumente überhaupt. Sie besteht aus Saiten, die über
einen Rahmen gespannt sind. Die große Konzertharfe hat 47 Saiten und sieben Pedale zum Umstimmen
der Saiten.
21
DIE HOLZBLASINSTRUMENTE
Querflöte, Oboe, Klarinette, Fagott
Um einem Holzblasinstrument einen Ton zu entlocken, muss man viel Luft durch ein Mundstück blasen
und dabei genau wissen, wie viel Luft in das Instrument muss, um einen schönen Ton zu erzeugen.
Die Querflöte ist zwar heutzutage aus Metall (meist silbern oder vergoldet). Weil sie aber früher aus Holz
gebaut wurde, zählt sie zu den Holzblasinstrumenten. Man hält sie seitlich und bläst Luft in, bzw. über das
Mundloch, als würde man auf einer Flasche blasen.
Die Oboe ist aus Holz und etwas größer und tiefer als die Flöte. Den Ton erzeugt man, indem man in ein
Doppelrohrblatt (aus Schilfholz) bläst.
Die Klarinette hat ein schnabelförmiges Mundstück auf dem ein einzelnes Rohrblatt befestigt ist. Der
Klang der Klarinette ist sehr weich und samtig, sie kann aber auch schrill und keck klingen.
Das Fagott ist das größte und somit auch tiefste Holzblasinstrument. Den Ton erzeugt man, wie bei der
Oboe durch ein Doppelrohrblatt, allerdings wird dieses nicht direkt in das Instrument, sondern auf einen
S-Bogen aus Metall gesteckt.
Zu allen vier Instrumenten gibt es so genannte Nebeninstrumente, die entweder größer oder kleiner sind
und dementsprechend auch höher oder tiefer klingen.
Piccoloflöte, Altflöte, Bassflöte
Englisch Horn, Oboe d'Amore
Bassklarinette, Es-Klarinette
Kontrafagott
22
23
DIE BLECHBLASINSTRUMENTE
Trompete, Posaune, Horn, Tuba
Die Blechblasinstrumente sind, wie der Name schon verrät, alle aus Blech gefertigt. Ihren Glanz in Gold
oder Silber bekommen sie durch eine Lackierung.
Die Trompete hat an einem Ende einen Trichter und den Ton erzeugt man durch ein Mundstück. Die
Tonhöhe kann man mit den Lippen und auch mit Ventilen ändern. Die Trompete verleiht dem Orchester
den strahlenden Glanz.
Mit einem Zug, zwei ineinander gesteckte Rohre, die sich verschieben lassen, verändert man die Tonhöhe
der Posaune. Das Rohr zwischen Schalltrichter und Mundstück ist bei der Posaune länger, weshalb sie
auch tiefer klingt als die Trompete.
Das Horn wird bis heute auf der Jagd verwendet und ist im Orchester schneckenförmig gewickelt. Eine
Hand des Hornisten steckt im Schaltrichter, mit ihr kann er die Klangfarbe und Tonhöhe verändern. Das
Horn hat außerdem Ventile, um bestimmte Töne spielen zu können.
Die Tuba ist das größte Blechblasinstrument und daher auch das tiefste. Ein Tubist braucht sehr viel Luft,
denn das Rohr zwischen Mundstück und Schalltrichter ist mehr als 4 Meter lang.
24
25
SCHLAGZEUG
Schlaginstrumente werden, im Gegensatz zu den bis jetzt vorgestellten Instrumenten, geschlagen,
geschüttelt oder gerieben. Bei den Schlagzeugern unterscheidet man zwischen Paukern und
Schlagzeugern. Der Pauker im Orchester spielt nur die Pauken, bei denen man die Tonhöhe durch
unterschiedlich starke Spannung der Felle verändern kann. Die Schlagzeuger hingegen müssen viele
verschiede Instrumente beherrschen, z.B. Trommeln, Becken, Glocken, Triangel, Glockenspiele und viele
viele mehr.
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27
DAS SAARLÄNDISCHE STAATSORCHESTER
Abbildung 14
Das Saarländische Staatsorchester wirkt einerseits in den Musiktheater-, Ballett- und
Musicalproduktionen des Saarländischen Staatstheaters mit. Andererseits sind in jeder Spielzeit acht
Sinfoniekonzerte in der Congresshalle fester Bestandteil des Spielplans. Im Mittelfoyer des Staatstheaters
finden außerdem Kammerkonzerte statt.
Auch für den Konzert-Nachwuchs gibt es regelmäßig ein Programm. Kinder- und Jugendkonzerte, sowie
mobile Produktionen die auf Reisen durch die Schulen der Region gehen.
Abbildung 15
28
L'ENFANT ET LES SORTILÈGES
»Das Kind und die Zauberdinge« ist eine durchkomponierte Oper, in der einzelne Nummern durch
Zwischenspiele verbunden sind.
Maurice Ravel wird häufig als Impressionist bezeichnet und in einem Atemzug mit Debussy genannt,
aber die Bandbreite seiner Musik geht weit darüber hinaus. In seinem Werk sind so verschiedene
Richtungen wie Romantik, Neoklassizismus, spanische Musik und Jazz vertreten und trotzdem bleibt es
stets von seinem ganz persönlichen Stil geprägt. Ravel schöpft auch aus der Auseinandersetzung mit der
traditionellen französischen Barockmusik. Außerdem nimmt er nach dem Besuch der Pariser
Weltausstellung 1889 die exotischen Strömungen auf. (Von dem Fremdreiz der »exotischen« Länder
machten auch Literatur, Malerei, Architektur und Kunstgewerbe Gebrauch.) In der Musik lässt sich der
Exotismus auf drei Ebenen beobachten: in der Stoffwahl und Ausstattung von Bühnenwerken sowie in der
musikalischen Verwendung »exotischen« Materials. Auf der Weltausstellung hatte sich erstmals die
Gelegenheit geboten, nichteuropäische Kulturen kennen zu lernen und besonders asiatische Musik und
Sujets faszinierten seither die Komponisten. In der Oper »Das Kind und die Zauberdinge« hören wir in der
Arie der chinesischen Tasse ein Beispiel von Ravels Exotismus.
Impression, »Soleil levant« von Claude Monet
Abbildung 16
Abbildung 17
Ravels Partituren waren stets von peinlicher Genauigkeit geprägt. Qualität war ihm immer wichtiger als
Quantität, und Strawinsky nahm seinen Arbeitsstil zum Anlass, ihn als »Schweizer Uhrmacher« zu
bezeichnen. Unübertroffen bleibt seine Kunst der Instrumentierung. Ravel liebte Tiere, die Natur, Kinder
und Märchen – eine Liebe, die sich trotz seiner Überzeugung, dass Musik nicht das beste Mittel zur
Wiedergabe von Emotionen darstellt, auch in seiner Musik spiegelt.
Als Musik des IMPRESSIONISSMUS bezeichnet man eine Stilrichtung der Musik ungefähr von 1890 bis
1920, deren Hauptvertreter der französische Komponist Claude Debussy war. Ebenso wie der
Impressionismus in Malerei und Literatur versucht der musikalische Impressionismus Eindrücke von
Augenblicken darzustellen. Aus diesem Grund liegt das Hauptaugenmerk der Komponisten auf dem
Klangbild. Dieses Klangbild vermittelt dem Zuhörer die Stimmung und Atmosphäre eines Augenblickes,
wobei es um subjektive Eindrücke und nicht um konkrete materielle Eigenschaften geht. Es entsteht ein
verschwommenes Gesamtbild, in dem normalerweise keine festen Formen auszumachen sind.
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ORCHESTERBESETZUNG »L'ENFANT«
2 Flöten
Piccolo
2 Oboen
Englisch Horn
Es-Klarinette
2 Klarinetten
Bass-Klarinette
2 Fagotte
Kontrafagott
4 Hörner (F)
3 Trompeten (C)
3 Posaunen
Tuba
Pauke
Kleine Pauke
Schlagwerk: Triangel, Tamburin, Becken, Große Trommel, Tam-Tam, Peitsche,
Ratsche, Käsereibe, Wood Block, Windmaschine, Crotales (antike Zimbeln),
Slide-Whistle (Lotus-Flöte), Xylophon,
Celesta
Kontrafagott
Abbildung 18
Harfe
Klavier
Violine 1 und 2
Viola
Violoncello
Kontrabass
Ravel sagt selbst über diese Oper: »Das Bestreben nach Melodik, das hier vorherrscht, entspricht dem
dichterischen Entwurf. Es hat mir gefallen, ihn im Geist der amerikanischen Operette zu bearbeiten. Das
Libretto von Madame Colette stützt diese Freiheit im Märchenreich. Die Gesangslinie sollte dominieren.
Das Orchester braucht zwar nicht auf Virtuosität zu verzichten, ist aber dennoch von zweitrangiger
Bedeutung.«
30
SZENEN
Szene
Personen
Inhalt
Das Kind im Gewand einer
Prinzessin befreit sich von
gesellschaftlichen Zwängen. Es
zerreißt ein Buch, schneidet das
Korsett auf, schneidet sich die
Haare ab.
Musikalische Form
Pavane pour une infante
défunte
1
Kind
Szene
Personen
Inhalt
Musikalische Form
2
Kind
Das Kind sitzt im Zimmer und
hat keine Lust seine
Hausaufgaben zu machen.
Vorspiel: Fremdartige
Klänge in Oboen (Quinten
und Quarten)
3
Kind, Mutter
Die Mutter kommt und
schimpft über die Faulheit des
Kindes. Zur Strafe soll es den
ganzen Tag alleine im Zimmer
bleiben.
Allein gelassen, lässt das Kind
seine Wut an den Möbeln aus,
zerreißt seine Bücher und
reißt die Tapete von der
Wand.
CD
Track
CD
Track
1
2
Mutter: Rezitativ
3
4
Kind
5
Kind, Lehnstuhl,
Sessel
Lehnstuhl und Sessel werden
lebendig.
Sarabande
4
Kind, Uhr
Die Uhr ist verzweifelt, weil
das Kind das Ziffernblatt
abgerissen hat. Sie kann nicht
mehr richtig schlagen und
schämt sich dafür sehr.
Allegro vivo
(marschartig)
5
Kind,
chin. Tasse,
engl. Teekanne
Tasse und Kanne zeigen kein
Interesse an dem Kind. Sie
flirten miteinander.
Das Kind bedauert, dass die
Tasse kaputt ist.
8
Kind, Feuer
9
Kind , Schäfer
(Chor)
6
7
Keine feste Form
6
Ragtime (Teekanne)
7
Arie der chin. Tasse (chin.
Elemente – Pentatonik)
8
Das Feuer kommt aus dem
Kamin. Es verfolgt das Kind
und wirft ihm seine Taten vor.
Feuer: Koloratur-Arie
9
Schäfer und Schäferinnen, die
auf der Tapete abgebildet
sind, klagen darüber, dass das
Kind die Tapete zerrissen hat.
Pastorale
10
31
Kind, Prinzessin
Die Prinzessin aus dem
Märchenbuch des Kindes tritt
auf. Sie ist seine erste Liebe
und das Kind wünscht, dass
sie bleibt, doch sie wird in die
dunkle Nacht gezogen.
Das Kind kann sie nicht retten.
Liebesduett
Kind
Über den Verlust der
Prinzessin ist das Kind sehr
traurig. Alles erscheint sinnlos
ohne sie.
Andante
Kind, kleiner alter
Mann
(Zahlen:
Kinderchor)
Der kleine alte Mann ist die
Mathematik in persona. Er
schmeißt mit Zahlen und
Aufgaben um sich. Das Kind
wird vom Treiben der Zahlen
mitgerissen.
Das Kind bekommt
Kopfschmerzen vor lauter
Zahlen.
Rondoform
(A_B C A_B)
A B A
Kind, schwarzer
Kater, weiße
Katze
Kater und Katze treten auf. Sie
singen ein »Miau«-Duett und
werben verliebt umeinander.
Das Kind folgt ihnen in den
Garten.
Duett
(»Arie«)
15
14
Kind
Chor
als Bäume und
Frösche
Konzert der Tiere und Bäume
Naturnachahmung
Rhythmische Pattern, die
sich überlagern
(Sextolen und Sechzehntel)
16
15
Kind, Baum
Bäume
(Männerstimmen)
Das Kind freut sich im Garten
zu sein, doch die Bäume
klagen über ihre Wunden, die
das Kind ihnen zugefügt hat.
10
11
12
13
11
12
13
14
Verwandlung
2. Bild:
16
Der Garten
Kind, Libelle,
Nachtigall
Frösche (Chor)
Der Libelle sucht ihren
Gefährten. Das Kind gibt zu,
sie mit einer Nadel an die
Wand gespießt zu haben. Der
Libellenmann fordert seine
Gefährtin zurück. Das Kind ist
verzweifelt, weil es das nicht
rückgängig machen kann.
17
Libelle: amerikanischer
Walzer
Nachtigall: Vokalisen mit
Chor der Frösche
32
18
17
Kind, Fledermaus
Die Fledermaus klagt das Kind
an, seine Fledermausfrau mit
dem Stock erschlagen zu
haben. Ihre Kinder müssen
jetzt ohne die Mutter
verhungern.
18
Frösche, Chor
Tanz der Frösche
Kind,
Eichhörnchen
Frosch
19
20
21
22
23
Das Eichhörnchen warnt den
Frosch vor dem Kind.
Es hat das Eichhörnchen in
den Käfig gesperrt, um es
besser anschauen zu können.
Das Eichhörnchen erzählt von
seinem Leid in der
Gefangenschaft und der
Sehnsucht nach Freiheit. Das
Kind ist erschüttert und ruft
»Mama«.
-
-
Rundtanz
19
Walzer
20
rezitativisch
21
Eichhörnchen:
Walzer wie Track
18
22
Kind,
Eichhörnchen,
Frosch, Nachtigall,
weiße Katze,
Baum, Libelle,
Kater
Tiere und Bäume
(Chor)
Mit einem Aufschrei
bedrängen die Tiere und
Bäume das Kind und klagen es
an.
Ein Kampf beginnt.
Fugato-Chor
23
Kind, alle Soli
gesamter Chor
Während des Kampfes
werden Eichhörnchen und
Kind verletzt. Das Kind
verbindet die Wunde des
Tieres.
Polyphone und homophone
Abschnitte
24
Kind, alle Soli
gesamter Chor
Die Tiere staunen über diese
Tat und sind bereuen ihren
Angriff. Sie beginnen »Mama«
zu rufen, um Hilfe zu holen.
Sie sind wieder mit dem Kind
versöhnt.
Choralartig
»gregorianisch«
25
Kind, alle Soli
gesamter Chor
Die Szenen
werden quasi
zurück auf den
Anfang gespult.
Daphnis et Chloé
Suite No. 2
Die Angaben der CD-Tracks beziehen sich auf die Einspielung: Maurice Ravel »L'Enfant et les Sortilèges «, London Symphony Chorus and
London Symphony Orchestra unter André Previn
33
PAVANE POUR UNE INFANTE DÉFUNTE
Die »Pavane für eine tote Prinzessi«n entstand 1899
während Ravels Studium unter Gabriel Fauré am
Conservatoire de Paris und ist damit eines seiner
Frühwerke. Gewidmet ist das Stück seiner Mäzenin
Winnaretta Singer (aus der Nähmaschinendynastie
Singer), der »Prinzessin von Polignac«, die Ravel in
einem mondänen Pariser Salon kennenlernte, in dem er
während seiner Studienzeit häufig verkehrte. 1911, über
ein Jahrzehnt später, veröffentlichte Ravel eine weitere
Fassung des Stückes für Orchester.
Ravel selbst beschrieb das Stück als »eine Erinnerung an
eine Pavane, die eine kleine Prinzessin in alter Zeit am
spanischen Hof getanzt haben könnte«; sie sei »keine
Totenklage für ein totes Kind, sondern eine Vorstellung
von einer Pavane, wie sie vielleicht von so einer kleinen
Gemälde von Velázquez
Abbildung 19
Prinzessin in einem Gemälde von Velázquez getanzt
wurde«. Der junge Pianist Charles Oulmont erinnert sich, Ravel die Pavane in recht langsamen Tempo
vorgespielt zu haben, wonach Ravel ihn zur Seite nahm und ihm auftrug: »Hören sie zu, mein Junge,
denken sie das nächste Mal daran, dass ich eine Pavane für eine verstorbene Infantin geschrieben habe
[…] und keine verstorbene Pavane für eine Infantin!«1
Orchesterbesetzung: 2 Flöten, Oboe, 2 Klarinetten, 2 Fagotte, 2 Hörner, Harfe und Streicher
Die Pavane (auch Paduan) ist ein meist geradtaktiger, sehr einfacher Schreittanz spanischitalienischer Herkunft, der über ganz Europa verbreitet war und im 16. und 17. Jahrhundert
seine Blütezeit erlebte.
HÖRÜBUNG:
In den Materialien (Seite 51) finden Sie Hörkarten (Kopiervorlagen) passend zu den einzelnen
Abschnitten des Stückes. Besprechen Sie zunächst die Instrumente mit den Schülern und fordern Sie sie
auf, die Musik genau zu verfolgen und die Hörkarten in die richtige Reihenfolge zu legen.
DIE VERWANDLUNG DES KINDES
Der Abend, der mit der Pavane beginnt, versetzt uns in die Zeit des Rokoko mit seinem Prunk, seinen
Schnörkeln und höfischen Tänzen. Wir sehen das Kind in einem aufwändigen Kleid mit Reifrock und
strengem Korsett. Es ist eingezwängt in die Enge der gesellschaftlichen Vorgaben. Nach und nach beginnt
das Kind sich zu befreien und zerschneidet das Korsett, zieht den riesigen Reifrock aus und schneidet sich
schließlich die Haare ab. Es entwickelt eine Lust am Zerstören und provoziert die kleine Begleiterin, die
entsetzt zusehen muss.
1
Charles Oulmont, »Souvenir«, in: La Revue musicale, 1938, Jg. 19, Nr. 187, Seite 400 f.
34
DAPHNIS ET CHLOÉ
Das »Griechenland meiner Träume, das dem ähnlich ist, wie die französischen Künstler des 18.
Jahrhunderts es sich vorstellten und malten«, hatte Maurice Ravel inspiriert, als er sich an die
Komposition einer Ballettmusik für die Truppe Sergej Diaghilews machte. Grundlage der Handlung ist ein
Hirtenroman des spätgriechischen Dichters Longus über den Schäfer Daphnis und seine Geliebte, die
Nymphe Chloé, die von Piraten geraubt wird und mit Hilfe des Gottes Pan gerettet wird. Herausgekommen
ist dabei nicht nur eines der besten Werke Maurice Ravels, sondern nach dem Urteil Igor Strawinskys
auch »eines der schönsten Produkte in der gesamten französischen Musik.«
So verwundert es auch nicht, dass sich die Musik des Balletts in Form zweier Konzert-Suiten als
einzigartiges Beispiel für Ravels raffiniert verfeinerten Impressionismus häufig auch im Konzertsaal zu
hören ist.
Die 2. Suite mit ihrer Klangpracht und den raffiniert wechselnden musikalischen Stimmungen setzt
Regisseurin Solvejg Bauer an das Ende ihrer Inszenierung und spult die Opernhandlung quasi wieder an
den Anfang zurück.
1.
2.
3.
Satz: »Lever du jour«
Satz: »Pantomime«
Satz: »Danse générale«
Léon Bakst: Bühnenbild für das Ballett Daphnis et Chloá von Ravel, 1912
Abbildung 20
35
HÖREMPFEHLUNGEN
Die Angaben der CD-Tracks beziehen sich auf die Einspielung: Maurice Ravel »L'Enfant et les Sortilèges «,
London Symphony Chorus and London Symphony Orchestra unter André Previn
Links:
Amazon: http://www.amazon.de/Ma-mere-loye-LEnfantSortileges/dp/B00000JLFX/ref=sr_1_3?s=music&ie=UTF8&qid=1421765875&sr=13&keywords=London+Symphony+Chorus+%26+Orchestra
itunes: https://itunes.apple.com/us/album/ravel-lenfant-et-les-sortileges/id4789236
Partitur:
»L'Enfant et les Sortilèges« von Maurice Ravel, Edition Durand, 1925
http://imslp.org/wiki/L'enfant_et_les_sortil%C3%A8ges_(Ravel,_Maurice)
ANFANG: DAS KIND VOR SEINEM HAUSAUFGABENBUCH
Zu Beginn des Stückes kreiert Ravel eine fremdartige Stimmung, die uns in die Vorstellungswelt des
Kindes entführt. Die beiden Oboen (siehe Notenbeispiel 1), begleitet von einem Solo-Kontrabass, erzeugen
mit ihren leeren Quinten die Stimmung von »es war einmal«, mit dem Märchen üblicherweise beginnen.
Die Quinten und Quarten der Oboen erinnern an fernöstliche und exotische Klänge. Während die Oboen
ihre helle, strömende und konturlose Melodie weiter ausbreiten, beginnt das Kind mit den Sätzen »ich
habe keine Lust meine Hausaufgaben zu machen« und steigert sich in seine Wut hinein. Der Auftritt der
Mutter unterbricht den Monolog des Kindes.
Das Kind wird von einem Mezzo-Sopran (nicht von einem Kind) gesungen und die Mutter singt in der
tieferen Alt-Lage. Anstatt der Mutter ihre Fragen zu beantworten, hebt das Kind den Kopf und streckt ihr
trotzig die Zunge heraus. Es bekommt ungezuckerten Tee und trockenes Brot und muss bis zum
Abendessen alleine im Zimmer bleiben.
Moderne halbautomatische Oboe mit aufgestecktem Doppelrohrblatt


Abbildung 21
Regen Sie Ihre Schülerinnen und Schüler an, selbst Sätze aufzuschreiben, die das trotzige Kind
sagen könnte.
Vergleichen Sie den Anfang und das Ende des Stückes. Sie werden bemerken, dass die Melodie der
Oboen auch zum Ende des Stückes wiederholt wird und wenn sie zum Aufzug ein »es war einmal«
evozieren, so markieren sie das Ende der Geschichte mit einem »und wenn sie nicht gestorben
sind…«. Auch das Motiv der Mutter (kurz vor der Stelle »Il est bon, l'Enfant, il est sage«, der
letzten Szene) wird vom Komponisten wiederholt.
36
NOTENBEISPIEL 1: BEGINN 1. UND 2. OBOE
37
NOTENBEISPIEL 2: ENDE 1. UND 2. OBOE
DER AUFSTAND DES KINDES
Der Ausbruch des Kindes kommt plötzlich und seine unkontrollierte Wut wird durch das Orchester mit
sehr lauten schrillen Klängen und schnellem Tempo (presto) unterstrichen. Das Kind wiederholt die
Worte der Mutter »ich bin böse«, immer und immer wieder, bis es am Höhepunkt den Zusatz »ich bin böse
und frei« hinzufügt.
In dieser Szene zerstört das Kind eine Teetasse, öffnet den Käfig des Eichhörnchens und piesakt es mit der
Schreibfeder bis das verletzte Tier flieh Es zieht die Katze am Schwanz, wühlt mit dem Schürhaken im
Feuer und stößt den Wasserkessel um. Es öffnet die große Standuhr und hängt sich an das blecherne
Pendel, zerreisst die Bücher und Schulhefte.

Erarbeiten Sie mit den Schülerinnen und Schülern die Aktionen des Kindes und die Reaktionen
der Opfer.

Achten Sie auf die beschreibende Funktion des Orchesters in dieser Szene: Triller, Schläge im
Schlagzeug, sarkastischer Ton und Flexibilität.
38
»HOW'S YOUR MUG?« FOXTROTT DER TEEKANNE UND DER CHINESISCHEN TASSE
Man hört zwei näselnde Stimmen dicht über dem Fußboden: die englische Wedgwood-Teekanne, ganz
britisch, und die aus Hongkong stammende chinesische Teetasse beklagen das zügellose Treiben des Kindes.
Der Foxtrott kommt ursprünglich aus den USA und startete 1917 einen Erfolgszug durch Frankreich. Er
entwickelte sich innerhalb kürzester Zeit zu einem der populärsten Paartänze für Tanzbegeisterte
unterschiedlicher gesellschaftlicher Herkunft. Getanzt wurde in Tanzetablissements, Cafés, Privathäusern
und sogar auf der Straße. Auch die begleitende Tanzmusik faszinierte mit ihren infernalischen Klängen auf
Banjos, Saxophonen, Trommeln, Hupen und Bratpfannen viele französische Künstler. So ist es kein
Wunder, dass Maurice Ravel in seiner kompositorischen Arbeit auch einen gesungenen Ragtime
entwickelte. Das bizarre Duo der Wedgwood-Teekanne und der chinesischen Tasse klingt wie ein
stilisierter Foxtrott und ist ein Beweis für Ravels Auseinandersetzung mit dem Jazz beziehungsweise der
damaligen Tanz- und Unterhaltungsmusik.
Ravel beginnt mit tiefen Instrumenten wie Bassposaune, Kontrafagott und Bassklarinette und begleitet
den witzigen Boxkampf zwischen Teetasse und Teekanne mit Holzblasinstrumenten, Klavier und viel
Schlagzeug. Die Besetzung erinnert an die einer Bigband.
»KENG-ÇA-FOU, MAH-JONG« – CHINESISCHE TASSE
Der Song der chinesischen Teetasse ist eine stilisierte Chinoiserie. Die Verwendung der Celesta und
pentatonischer Harmonien versetzt den Hörer in exotische Hörwelten. Das fantasievolle Sprachgemisch,
ein wahrhaftes Kauderwelsch, stellt den spielerischen Umgang der Kinder mit der Sprache da, ohne
Rücksicht auf den Sinn der Worte.
DIE CHINESISCHE TASSE:
Keng-ça-fou, mah-jong,
Keng-ça-fou, puis'-kong-pran-pa.
Ça-oh-râ, Ça-oh-râ …
Cas-ka-ra, hara-kiri, Sessue, Hayakawa
Hâ! Hâ! Ça-oh-râ toujours l'air chinoâ.
DIE TASSE+ DIE TEEKANNE: Hâ! Ça-oh-râ toujours l'air chinoâ.
Ping, pong, ping …
39
»AH! C'EST ELLE! C'EST ELLE! « – DIE ARIE DER PRINZESSIN
Das Kind liegt auf den zerrissenen Blättern der Bücher und Hefte. Eine Prinzessin, schön wie die Fee aus dem
Märchen, erscheint.
Unter Harfen-Arpeggien erscheint die Prinzessin, die von der Flöte symbolisiert wird und ihr Schicksal
beklagt. Das Kind will seine geliebte Prinzessin vor der Dunkelheit retten, doch unter der Begleitung von
Holzbläsern und Harfe verschwindet und lässt das Kind traurig zurück.
40
Abbildung 22
41
»DUO MIAULÉ« – KATZEN-DUETT
Humoristischer und kompositorischer Höhepunkt der Oper ist das Katzen-Duett. Sowohl Colette, als auch
Ravel liebten Katzen und zumindest bei Ravel weiß man von einer außergewöhnlichen Begabung diese
nachzuahmen. Er schrieb sogar Briefe im Katzenstil (»en styl chat«).
»J´ai fait votre commission à Mouni; et je vous lèche le bout du nez. (Ich haben ihren Auftrag Mouni (der
Katze) ausgerichtet, und ich lecke ihre Nasenspitze.«
Das Spiel der Katzen illustriert Ravel mit bewegten Arpeggien der beiden Klarinetten. Die Katzen
bedienen sich in ihrem Liebesduett der lautmalerischen Sprache, dargestellt durch Glissandi, auch in den
Instrumenten.

Hören Sie mit den Schülerinnen und Schülern das Katzenduett von Gioacchino Rossini oder die
Katze aus »Peter und der Wolf« von Sergeij Prokofjew.
https://www.youtube.com/watch?v=YF4qiRjoqXs
https://www.youtube.com/watch?v=qjracXGTtDU

Vergleichen Sie das vorher Gehörte mit Ravels Katzen-Duett
https://www.youtube.com/watch?v=axnhDVSyS9o
42
43
44
SPIELANLÄSSE
WARM-UP
Durch den Raum gehen:



mit klarem Ziel vor Augen, ohne anzustoßen
in unterschiedlichen Geschwindigkeiten (0 = Freeze; 1 = Zeitlupe; 2 = normal; 3 = schnell …)
in verschiedenen Gefühlslagen (cool, aggressiv, traurig, verliebt, fröhlich, wütend, ängstlich …)
1. »HAB' KEINE LUST ZUR DUMMEN ARBEIT«
Die ersten Sätze des Kindes sind bestimmend für die ganze Oper.

Setzen Sie den Text der Anfangsszene in Musik um und vergleichen Sie sie mit der Komposition
Ravels.
Es ist Nachmittag. Das Kind, sechs oder sieben, sitzt vor einer begonnenen Aufgabe. Es ist schrecklich faul,
zerschneidet seine Schulbücher und singt vor sich hin:
Das Kind:
»Hab' keine Lust zur dummen Arbeit,
ich möchte gern im Park spazieren gehen.
Hätte Lust aufzuessen alle Kuchen.
Am liebsten zöge ich die Katz' am Schwanz
und knipste ab den vom Eichhörnchen.
Hätte Lust alle Leute auszuschimpfen.
Am liebsten stelle ich Mama ins Eckchen dorthin.«

Nachdem die Schülerinnen und Schüler den Text gelesen haben, kann über das Verhalten des
Kindes diskutiert werden. Seine Hausaufgaben nicht machen zu wollen, ist ein alltäglicher
Vorgang des Heranwachsens.

Wie könnte der Komponist diese Sätze in Musik umgesetzt haben? Nach mehrmaligem lauten
Vorlesen der Texte können die Schülerinnen und Schüler prägnante Rhythmen zu den Worten
entwickeln. Experimentieren Sie mit langen und kurzen Rhythmen und schweren und leichten
Betonungen.
VORSCHLAG:
J'ai pas envie de faire ma page
_ .
J'ai
. . . . . . _ .
pas en - vie de
fai - re ma
pa - ge.
45

Hören Sie mit den Schülerinnen und Schülern den Beginn des Stückes und verfolgen Sie dabei die
Partitur. Vergleichen Sie die Version der Klasse mit der von Maurice Ravel.

Verfolgen Sie mit den Schülerinnen und Schülern die immer kürzer werdenden Pausen und die
melodische Linie, die immer spannungsvoller und lauter wird, sowie die plötzlich musikalischen
Ausbrüche und Akzente als Ausdruck der Gewalt.

Hören Sie erneut die Szene bis zum Auftritt des Lehnstuhls (Fauteuil) und richten Sie die
Aufmerksamkeit auf den Ausbruch des Kindes.
46
2. AUFTRITT DER MUTTER
Die Tür geht auf, die Mutter kommt herein:
MUTTER
KIND
Mein Kind, warst du artig?
Hast du deine Aufgaben gemacht?
schmollt,
rutscht tiefer in den Sessel
Oh, du hast nichts getan!
Du hast sogar den Teppich mit Tinte bespritzt!
Still
Schämst du dich nicht wegen deiner Faulheit?
Willst du mir nicht versprechen, jetzt zu arbeiten?
Schweigt
Willst du dich nicht bei mir entschuldigen?
Hebt den Kopf und streckt der Mutter die Zunge
heraus.
Oh!
Hier ist das Essen du ungezogenes Kind: Tee ohne Zucker.
Trockenes Brot. Du bleibst allein bis zum Abendessen.
Denk über deine Fehler und Pflichten nach.
Und denke vor allem an den Kummer deiner Mutter,
mein Kind!
Die Tür geht zu, die Mutter verschwindet, das Kind bleibt allein. Es wird von einem Wutanfall erfasst, es
trampelt und schreit aus voller Lunge gegen die Tür:
Mir doch egal, mir doch egal!
Hab' keinen Hunger!
Bleib gern allein!
Hab' niemand lieb!
Ich bin sehr böse!
Böse und frei!!

Die Mutter erkundigt sich bei ihrem Auftritt nach dem Fortschritt der Hausaufgaben. Sie sieht die
Tintenflecken und wird böse. Die gehaltenen Akkorde im Orchester verändern sich durch fallende
Quarten und der Umfang der Singstimme wird weiter und verliert die Weichheit (sie erhebt die
Stimme.) Hören Sie Takt 35 – 40 und fragen Sie die Schülerinnen und Schüler wie der Komponist
das böse Werden der Mutter vertont?

Sprechen Sie über das Kind, das der Mutter provozierend die Schere entgegen streckt. Hören Sie
die Stelle, Takt 40 – 50, und lenken Sie die Aufmerksamkeit auf die schnell abwärts führende Linie
der Flöte, die das Schere entgegenstrecken symbolisiert und auf das entsetzte »Oh!« der Mutter.
47
3. WUTANFALL
Was wird das Kind nun alleine im Zimmer tun?

Hören Sie mit den Schülerinnen und Schülern den Wutausbruch des Kindes. Sofort werden Sie
erkennen, dass etwas Furchtbares geschieht: schnelleres Tempo (presto), Fortissimo in
Instrumenten und Gesangsstimme und ein furioser Ausbruch im Orchester, der den Wutanfall des
Kindes bildhaft untermalt. Lassen Sie die Schülerinnen und Schüler nach dem Hören des
Abschnitts Vermutungen anstellen, was passiert sein könnte.

Hören Sie erneut die Wutausbruch-Szene und geben Sie den Schülerinnen und Schülern folgende
Anhaltspunkte. Sie sollen beschreiben, wie Ravel die jeweilige Aktion musikalisch umsetzt.
Das Kind trampelt und schreit.
Das höre ich dabei ______________________________________________________________________________
Es wirft die Teekanne und die Tasse herunter, beides zerbricht.
Das höre ich dabei ______________________________________________________________________________
Es sticht das Eichhörnchen mit der Stahlfeder, das verwundete Tier flieht.
Das höre ich dabei ______________________________________________________________________________
Es zieht die Katze am Schwanz, die sich unter einen Sessel verkriecht.
Das höre ich dabei ______________________________________________________________________________
Das Kind reißt die Schäfertapete herunter.
Das höre ich dabei ______________________________________________________________________________
Es hängt sich an die Uhr und bricht das Ziffernblatt heraus.
Das höre ich dabei ______________________________________________________________________________
Es zerreißt die Bücher und lacht.
Das höre ich dabei ______________________________________________________________________________
48
MUSIK HÖREN »KONZERT DER TIERE UND BÄUME«
♫ »Musique d'insectes, de rainettes«: CD Track 16; Partitur Ziffer 100

Die Schülerinnen und Schüler schließen die Augen und lauschen der Musik. Im Anschluss
tauschen sie im Kreisgespräch ihre Phantasien zur Musik aus.

Beim zweiten Hören sollen die Schülerinnen und Schüler einzelne Naturnachahmungen wie zum
Beispiel das Vogelgezwitscher (Piccoloflöte) und das zugehörige Instrument benennen.
♫ Zu hören sind: Lotusflöte (Kautz), Windmachine (Wind), Chor (Frösche)
Abbildung 23
49
MATERIALIEN
HÖRKARTEN »PAVANE«
Melodie: Horn
Begleitung: Streicher
Englisch Horn
Streicher
Melodie: Oboe/Holzbläser
Begleitung: Streicher
Melodie: Streicher
Melodie: ganzes Orchester (tutti)
Melodie: Flöte, Klarinette, Oboe
Begleitung: Streicher
Melodie: Holzbläser & Streicher
Flöte, Klarinette, Streicher, ganzes Orchester, Blech
– wiederholt
Melodie: Blechbläser & Streicher
Melodie: ganzes Orchester (tutti)
50
ROLLENKARTEN
DAS KIND
Das Kind steckt während das Orchester die »Pavane« spielt, in der ihm
vorgegebenen Rolle: Es ist eine Prinzessin zur Zeit des Rokoko. Im Laufe
des Stückes befreit es sich von den strengen Regeln und Zwängen, zerstört
Kleid und Korsett und schneidet sich schließlich einen frechen JungenHaarschnitt. Es wird »böse und frei«. Zur Beginn der Oper sehen wir das
Kind, wie es lustlos in einem Schulbuch blättert. Durch die Maßregelung
der Mutter bricht die Wut aus dem Kind heraus und es beginnt die
Gegenstände und Tiere im Zimmer mutwillig zu zerstören. Doch plötzlich
wird das Zimmer lebendig und die Malträtierten klagen ihr Leid. Das Kind
flieht in den Garten, doch auch hier entkommt es den wütenden Tieren und
Pflanzen nicht. Ängstlich ruft es nach der Mutter, worauf es von der Menge
attackiert wird. Nach dem wilden Durcheinander bleiben das Kind und ein
Eichhörnchen verletzt zurück. Mitleidig verbindet das Kind das verletzte
Tier und rührt damit die Tiere, die gemeinsam nach der Mutter rufen.
»ICH HABE KEINE LUST, MEINE AUFGABEN ZU MACHEN, ICH HABE KEINE LUST, NACH DRAUßEN ZU GEHEN. ICH HABE
LUST, ALLE KUCHEN AUFZUESSEN. ICH HABE LUST, DEN KATER AM SCHWANZ ZU ZIEHEN UND DEN DES
EICHHÖRNCHENS ABZUSCHNEIDEN.«
DIE MUTTER UND DAS EICHHÖRNCHEN
Die Mutter erwartet ein fleißiges und gehorsames Kind. Sie ermahnt und
straft es für seinen Ungehorsam. Mit trockenem Brot und ungesüßtem Tee
muss das Kind bis zum Abend alleine bleiben.
Das Eichhörnchen wird auf das Kleid (ähnlich einem Käfig) projiziert. Im
Kampfgetümmel wird es verletzt und das Kind verbindet ihm mitleidig die
Pfote.
(STRENG) »DIES IST DER IMBIS FÜR EIN UNARTIGES KIND: TEE OHNE ZUCKER,
TROCKENES BROT. DU BLEIBST ALLEIN BIS ZUM ABENDESSEN! UND DENKE ÜBER
DEIN UNRECHT NACH! UND DENKE AN DEINE SCHULAUFGABEN! DENKE, DENKE VOR ALLEM AN MAMMAS KUMMER.«
LE FAUTEUIL (DER LEHNSTUHL) UND LA BERGÈRE
(DER POLSTERSESSEL)
Die Sessel bewegen sich weg vom Kind, hindern es daran sich hinzusetzen
und beginnen einen grotesken Tanz.
»KEINE KISSEN MEHR FÜR SEINEN SCHLAF, KEIN SITZ MEHR FÜR SEINE
TRÄUMEREIEN, KEIN RUHEPLATZ MEHR FÜR DAS KIND AUSSER DER NACKTEN ERDE.
UND DANN … WER WEISS WAS WERDE?«
51
DIE UHR (L'HORLOGE COMPTOISE)
Während seines Wutausbruchs reißt das Kind der Uhr das Ziffernblatt ab. Die Uhr
gerät aus dem Takt und klagt lautstark über den Verlust des Metrums.
»DING, DING, DING, DING; UND NOCH EINMAL DING, DING, DING! KANN NICHT MEHR
AUFHÖREN ZU LÄUTEN! ICH WEISS NICHT MEHR, WIE SPÄT ES IST! ICH HABE
SCHRECKLICHE BAUCHSCHMERZEN! ICH FANGE SCHON AN ZU FANTASIEREN«
DIE TEEKANNE (LA THÉIÈRE) UND DIE CHINESISCHE TASSE (LA TASSE CHINOISE)
Die britische Wedgwood-Teekanne
und die chinesische Tasse werden
ebenfalls Opfer des tobenden Kindes.
In einem foxtrottartigen Box-Tanz
beschweren sie sich über die
Misshandlungen. Die Tasse singt
pseudochinesisches Kauderwelsch.
»SCHWARZ UND STÄMMIG, SCHWARZ UND
CHIC, MEIN FREUNDCHEN, HAUE ICH DIR,
SIR, HAUE ICH DIR EINS AUF DIE NASE, ICH
SCHLAGE DICH K.O., DUMMER BENGEL!
SCHWARZ UND DICKBAUCHIG UND
WIRKLICH EIN FLOTTER KERL, BOXE ICH
DICH ZUSAMMEN UND MACHE
MARMELADE AUS DIR …«
»KENG-ÇA-FOU, MAH-JONG, KENG-ÇA-FOU, PUIS'-KONG-KONG-PRAN-PA,…«
DAS FEUER (LE FEU)
Das Feuer züngelt zum Klang der Windmaschine aus dem Kamin und droht die Guten zu wärmen, aber die
Bösen zu verbrennen.
»ZURÜCK! ICH WÄRME DIE GUTEN, VERBRENNE DIE BÖSEN!«
DIE SCHÄFER UND SCHÄFERINNEN (PÂTRES ET PASTOURES)
Ein ganzer Zug kleiner, aufs Papier gemalter Figuren kommt näher, so komisch wie rührend.
Schäferin, Schäfer, Lämmer, ein Kind … Dazu ertönt schlichte Musik von Schalmeien und Tamburins.
Die Begriffe Pâtes und Pastoures stammen aus noch älterer Zeit und bedeuten auch (Seelen-)Hirte und
Seelsorger.
»NICHT LÄNGER GEHEN WIR ÜBER DAS GRAS, UNSERE GRÜNEN SCHAFE ZU WEIDEN! ACH, UNSERE ZARTROSA
LÄMMER … DAS KIND HAT UNSERE GESCHICHTE ZERRISSEN … IHR SCHÄFERINNEN UND SCHÄFER – ADIEU DENN,
ADIEU!«
52
DER KLEINE ALTE MANN
Der kleine alte Mann verkörpert die verhasste
Arithmetik (Teilgebiet der Mathematik) und verwirrt
das Kind gemeinsam mit den Zahlen (Kinderchor) mit
beschwörenden Zahlenformeln.
»MILLIMETER, ZENTIMETER, DEZIMETER, DEKAMETER,
HEKTOMETER, KILOMETER, MYRIAMETER …
DAS VERSTEHT DER GELDANBETER!«
KATZE UND KATER
Kater und Katze umkreisen einander. Zögerlich
folgt ihnen das Kind in den Garten.
In diesem Moment verschwinden die Wände, die
Decke hebt sich und schwebt nach oben … und das
Kind befindet sich mit Kater und Katze im Garten,
der vom Mondlicht erhellt ist und vom rosigen
Schein der versunkenen Sonne.
»BEGINNEN FRENETISCH ZU MAUNZEN UND ZU MIAUEN«
DIE PRINZESSIN
Aus dem zerstörten Märchenbuch erscheint die geliebte Prinzessin.
Sie befürchtet, der böse Zauberer könne sie in die Dunkelheit zurück
ziehen. Das Kind versucht sie zu retten, doch sie verschwindet.
»DOCH DU HAST ZERRISSEN DAS BUCH – WAS WIRD MIT MIR GESCHEHEN?«
53
STANDBILDER
Die Schüler bilden Dreiergruppen. Es gibt einen Bildhauer und zwei Statuen. Der Spielleiter gibt die
Szenen vor. Der Bildhauer formt die Statuen so, wie er sich das Standbild vorstellt. Die Mimik macht er
den Statuen vor. Die Blickrichtung kann der Statue gezeigt werden. Ansonsten zeigt die Statue keine
Eigeninitiative. Das Wichtigste ist, dass bei dieser Übung nicht gesprochen wird und dass der Bildhauer
vorsichtig mit seinem Material umgeht.
Folgende Standbilder könnten z.B. ausprobiert werden:
1. KIND UND MUTTER
Das Kind sitzt gelangweilt am Hausaufgabentisch und arbeitet nicht. Die Mutter kommt herein und
schimpft.
2. KIND UND MUTTER
Das Kind reagiert trotzig auf die Beschimpfungen der Mutter und streckt ihr die Zunge heraus.
3. KIND UND UHR
Das Kind reißt der Uhr das Pendel ab.
4. KATER UND KATZE
Katze und Kater tanzen und singen so laut, dass das Kind sich die Ohren zuhalten muss.
5. TIERE UND KIND
Die Tiere umzingeln das Kind und drohen mit wilden Gesten.
6. KIND UND EICHHÖRNCHEN
Das Eichhörnchen liegt verletzt am Boden und wird vom Kind verarztet.
54
FRAGEN ZU MAURICE RAVEL

In welchem Jahr wurde Maurice Ravel geboren?

Aus welchem Land stammt Maurice Ravel?

Woher kam seine Mutter?

Bist du schon einmal in einem der beiden Länder gewesen? Wenn ja, in welchem?

Welches Instrument lernte Maurice Ravel?

Welche Haustiere liebte Ravel?

Womit verdiente Ravel sein Geld?

Wie heißt das berühmteste Werk von Maurice Ravel?

Was hat Ravel für sein Haus selber entworfen?

Welche Gegenstände hat Ravel gesammelt?
FRAGEN ZUM INHALT

Warum schneidet sich das Kind zu Beginn der Oper die Haare ab?

Welche Gegenstände zerstört das Kind während seines Wutanfalls?

Was kommt aus dem Kamin?

Warum sind die Schäferinnen und Schäfer so verkohlt?

Wie reagiert das Kind, wenn die Prinzessin wieder verschwindet?

Welches Tier fällt aus dem Schnürboden auf die Bühne?

Welche tiefen Instrumente begleiten den Sofaflug?

Welche Tiere trifft das Kind im Garten? Wie werden diese Tiere musikalisch dargestellt?

Welches Tier warnt den Frosch vor dem Kind?

Nach wem oder was ruft das Kind in der Gartenszene?

Was passiert nach dem Tumult auf der Bühne?

Beschreibe wie du das Ende erlebt hast. Ist es ein Happy-End? Was passiert mit dem Kind? Und
warum?
55
FRAGEN ZUR INSZENIERUNG

Wie hat dir das Stück gefallen?

Wie haben dir das Bühnenbild und die Animationen gefallen?

Welche Stimmung strahlt die Bühne aus?

Wie ist die Bühne eingerichtet? Möbel, Wände, Plafond (Decke) etc.

Wie verändert sich das Bühnenbild im Laufe der Oper?

Wie haben dir die Kostüme gefallen?

Um was für Kostüme handelt es sich? Zeitgenössische Kostüme, historische Kostüme …

Aus welchen Materialien sind sie gearbeitet?

Was für Farben sind vorherrschend; helle/dunkle, leuchtende/gedeckte Farben?

Was sagt die Farbgestaltung über die jeweiligen Figuren aus?

Welche Figur hat dir am besten gefallen? Und warum?

Gab es Figuren, die du nicht sofort zuordnen konntest?

Welche Szene hat dir am besten gefallen und warum?
56
ABBILDUNGSVERZEICHNIS

Abbildung 1 Colette © www.peterlanczak.de ..............................................................................................................................4
Abbildung 2 Maurice Ravel © Pierre Petit 1907 .................................................................................................................... 5
Abbildung 3 A toddler girl crying © Crimfants - http://flickr.com/photos/crimfants/327861820/ ...............6
Abbildung 4 Maurice Ravel 1906 © Pierre Petit ................................................................................................................... .. 7
Abbildung 5 Ravels Geburtshaus © Nguyenld.............................................................................................................................7
Abbildung 6 »Le Belvédère« 2006© Henry Salomé (Jaser!) .................................................................................................8
Abbildung 7 Ravel mit Katze © https://lechatdanstousesetats.wordpress.com/2013/02/23/os-gatos-e-amusica-5-maurice-ravel-les-chats-et-la-musique-5-maurice-ravel/ ................................................................................8
Abbildung 8 Ravel Karikatur © http://www.jancso.ch......................................................................................9
Abbildung 9 Fotos der Bühnenhauptprobe © stage picture GmbH, Bettina Stöß .................................................... 10
Abbildung 10 Rocaille, Katholische Pfarr- und Klosterkirche Altomünster © Stuck von Jakob Rauch ......... 18
Abbildung 11 Südfassade des Schlosses Sanssousi, Potsdam © Raimond Spekking / CC BY-SA 4.0 ............. 18
Abbildung 12 Konzertzimmer im Schloss Sanssousi 2011 © Janstoecklin ................................................................. 18
Abbildung 13 La familie royale 1782 © Louis-Joseph-Xavier-François ........................................................................ 18
Abbildung 14 Saarländisches Staatsorchester 2014 © stage picture GmbH, Björn Hickmann .......................... 28
Abbildung 15 Saarländisches Staatsorchester 2014 © stage picture GmbH, Björn Hickmann .......................... 28
Abbildung 16 Impression, »soleil levant« von Claude Monet 1840 © wartburg.edu ............................................ 29
Abbildung 17 Werbeplakat für Der Mikado, 1885 © Gilbert & Sullivan…………………………………………………29
Abbildung 18 Kontrafagott © Binkle ............................................................................................................................................ 30
Abbildung 19 Diego Velázquez »Las Meninas« (Ausschnitt) 1656-57 © EeuHP ...................................................... 34
Abbildung 20 Léon Bakst: Bühnenbild für »Daphnis et Chloé« von Ravel, 1912 © Rob at Houghton ............ 34
Abbildung 21 Oboe der Firma Marigeaux © GalacticCircusDiplodocus
.................................................................. 35
Abbildung 22 Fotos der Bühnenhauptprobe © stage picture GmbH, Bettina Stöß ................................................. 41
Abbildung 23 Fotos der Bühnenhauptprobe © stage picture GmbH, Bettina Stöß ................................................. 41
Abbildung 24-31 Fotos der Bühnenhauptprobe © stage picture GmbH, Bettina Stöß ................................... 51-53
57
LITERATURVERZEICHNIS
M. Kosuch und A. K. Ostrop, Spielkonzept und Materialien »Das Kind und die Zauberdinge« ISIM - Institut
für Szenische Interpretation von Musik und Theater
Rolf Fath, Reclams Opernführer © 1994, 2010 Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart
Ulrich Rühle, Komponistenlexikon für junge Leute © 2007 Schott Music GmbH & Co. KG, Mainz
Rudolf Kloiber und Wulf Konold und Robert Maschka, Handbuch der Oper © 2002 Deutscher
Taschenbuchverlag GmbH & Co. KG, München
Egon Friedell, Kulturgeschichte der Neuzeit © 1928 C. H. Beck'sche Verlagsbuchhandlung, München
LINKS:
http://www.maurice-ravel.net/enfant.htm
www.opera-lille.fr/.../media_fichier_fr_dp.l.enfant.opa.ra.de.lille.pdf
ZEITSCHRIFT:
Musik und Unterricht, Heft 35, November 1995, 6. Jahrgang © Friedrich Verlag, Velber
PROGRAMMHEFT:
Programmheft des Saarländischen Staatstheaters © 2015 Caroline Scheidegger
PARTITUR:
Partitur »L'Enfant et les Sortilèges« von Maurice Ravel, Edition Durand, 1925
58
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