Das Löwenhoroskop vom Nemrud Dag˘ı

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1 Was sagen die Sterne?
freilich esoterische und neoheidnische Strömungen ein.
Die antike Astrologie kam aus dem Orient.
Den Griechen war bewusst geblieben, dass sie
diese Kenntnisse aus Mesopotamien und Ägypten erhalten hatten; die eigentliche Wiege der
Astrologie war Mesopotamien. Die Sterndeuter
Babylons haben dieser Geisteswelt den Siegeszug
über die Zeiten eröffnet. Im Zweistromland entstand seit dem frühen 2. Jahrtausend v. Chr. ein
System der Deutung von Vorzeichen (Omen);
die Himmelserscheinungen kündigen Ereignisse
auf Erden an. Der Mond und die Mondfinsternisse spielten dabei eine herausragende Rolle.
Aus der Vorhersage dessen, was die Gestirne anzuzeigen schienen, entstanden die Horoskope,
auch sie ein Beitrag Babylons zur Geistesgeschichte des Menschen, der bis heute fortwirkt.
Astrologen des Altertums
1,5 Moderne Tierkreissymbole.
Es lassen sich im Altertum Astronomie und das,
was wir Astrologie nennen, nicht klar trennen;
auch hat man in der Antike selbst zwischen der
Sterndeutung und der wissenschaftlichen Astronomie keinen deutlichen Unterschied gesehen.
Die Griechen haben vom 5. Jh. v. Chr. an zwar
die Astronomie der Babylonier (Chaldäer) kennen gelernt und viel von ihnen übernommen,
freilich am Anfang wenigstens nicht den damit
zusammenhängenden astrologischen Aberglauben.
Die Ostfeldzüge des Makedonenkönigs Alexander (336–323) öffneten den Griechen die
Welt des Orients. Im nachfolgenden hellenistischen Zeitalter nahmen auch die Erlösungsreligionen und Mysterienkulte einen großen Aufschwung. Es begann die Zeit der ersten astrologischen Fachbücher. Ein Zeitgenosse Alexanders
des Großen war der Mardukpriester Berossos aus
Babylon; babylonische Kultur, darunter auch Astrologisches, vermittelte den Griechen seine Ba-
Das Löwenhoroskop vom Nemrud Dağı
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bylonische Geschichte (Babyloniaká oder Chaldaiká;
mit Chaldäer meint man immer Babylonier).
Ägypten leistete seinen immer schon gleich
nach Babylon eingeschätzten Beitrag; unter dem
Namen Nechepso-Petosiris firmiert eine anonyme astrologische Sammlung des 2. Jhs. v. Chr.
Im Römerreich des frühen 1. Jhs. n. Chr., also
am Beginn der Kaiserzeit, erschien unter dem
Namen Marcus Manilius ein astrologisches Lehrgedicht Astronomica. Vettius Valens aus Antiochia in Syrien schrieb im 2. Jh. n. Chr. ein Buch
über griechische Astrologie. Reiches Material zur
spätantiken Astrologie findet sich in der Mathesis des Iulius Firmicus Maternus, einem aus Sizilien stammenden Autor des 4. Jhs. n. Chr.
Claudius Ptolemaeus, der Verfasser der Megále
Sýnthesis (Almagest), des größten astronomischen Werkes des Altertums, ist zugleich mit seinem Tetrábiblos (Vier Bände) auch einer der größten Astrologen des Altertums. Seine Zeit, das
2. Jh. n. Chr., gilt überhaupt als Höhepunkt antiker Astrologie. Johannes Kepler, der Entdecker
der Planetenbahnen, stand also in guter antiker
Tradition, als er Wallensteins Geburthoroskop
stellte.
Die Tierkreiszeichen (Zodiacus)
Die Ekliptik ist jene Linie am Himmel, welche die
scheinbare Wanderung der Sonne im Lauf eines
Jahres anzeigt. Der Streifen beiderseits der Ekliptik und mit ihr als Mittellinie ist der Zodiak
(griech. Zodiakos; lat. Zodiacus), der Tierkreis. Er
umfasste zuerst elf, dann seit dem 3. Jh. v. Chr.
jene zwölf Sternzeichen, die ihn immer noch
kennzeichnen: Widder, Stier, Zwillinge, Krebs,
Löwe, Jungfrau, Waage, Skorpion, Schütze, Steinbock, Wassermann, Fische.
Die Formulierung des Zodiacus, wie wir ihn
kennen, ist eine griechische Errungenschaft; freilich scheinen die Griechen hier viel von den Babyloniern gelernt zu haben. In Babylon, welches
in den Jahren kurz vor 400 v. Chr. unter persischer Herrschaft stand, hat man Vorstellungen
des Zodiacus entwickelt, die von den griechischen Astronomen Kallipos von Kyzikos und Eudoxos von Knidos weiterentwickelt wurden. Der
griechische Historiker Herodot (5. Jh. v. Chr.) sagt
zum babylonischen Einfluss auf Griechenland (2,
109): Denn was die Sonnenuhr und den Schattenzeiger und die Tageseinteilung in zwölf Teile betrifft, so
haben dies die Hellenen nicht von den Ägyptern, sondern von den Babyloniern übernommen.
Die uns geläufigen Zodiaksymbole (Abb. 1,5)
sind aber keine antiken Formen, sondern stam-
men aus dem späten Mittelalter. Das Altertum
kannte keine abstrakten Symbole für die zwölf
Tierkreiszeichen, sondern stellte sie immer figürlich dar.
Horoskope
Die ältesten aus dem Altertum bekannten Horoskope kennt man aus Babylonien (seit 410
v. Chr.). Zusammen mit den griechischen und
den ägyptischen Horoskopen beläuft sich die
Zahl auf etwa 220 Belege; die ägyptischen Horoskope stammen aus griechisch-römischer Zeit
des 1. Jhs. v. Chr. bis zum Ende des 1. Jhs. n. Chr.
Es sind nicht nur Geburthoroskope einzelner
Menschen; auch Stadtgründungen oder Krönungshoroskope von Herrschern können das
Thema sein.
In der modernen Definition ist das Horoskop
die schematische Darstellung des Momentes der
Geburt und seiner Konstellationen von Sonne,
Mond und Planeten. Den Tierkreiszeichen entsprechen Felder oder Häuser (Abb. 1,10). Dekane
sind die Unterteilungen jedes Tierkreiszeichens
in drei Teile zu je 10 Grad (déka: griech. zehn);
ein Tierkreiszeichen umfasst also 30 Grad mit
drei Dekanen. Den Tierkreiszeichen werden bestimmte charakterliche Eigenschaften zugeord-
net. In einem genauen Geburthoroskop sind
neben den Positionen von Sonne und Mond
auch die acht Planeten – außer der Erde – enthalten: Merkur, Venus, Mars, Jupiter, Saturn,
Uranus, Neptun, Pluto.
Das Löwenhoroskop vom
Nemrud Dağı
Der Löwe ist eines der strahlenden, großen Bilder des Zodiacus. Zu den bekanntesten antiken
1,6 Nemrud Dağı, Osttürkei.
Das große Grabmal des Königs
Antiochos I. von Kommagene.
Westterrasse.
1,7 Westterrasse des Grabmals
des Antiochos I. von Kommagene auf dem Nemrud Dağı
in der Osttürkei. Sog. Löwenhoroskop.
Sternpositionen: Äquatorsystem und Horizontsystem
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Die nötigsten Astronomiebegriffe
Mit den Augen des Kindes
2,1 Milchstraße auf modernem
Himmelsglobus. Im Zentrum
der Bereich Gemini und Taurus.
Jeder Mensch erlebt als Kind einen prägenden
Moment: Er merkt irgendwann zum ersten Mal,
dass er auf festem Boden steht, dass sich aber
über ihm ein ungeheures Gewölbe auftürmt, ein
durchsichtiger Raum, bei Tag erleuchtet von
einem strahlenden heißen Himmelslicht, bei
Nacht belebt durch Leuchtpunkte aller Art. Und
alle diese Himmelskörper bewegen sich; sie
durchlaufen alle, ob Sonne, Mond und Gestirne,
einen Weg, der sie scheinbar von Osten nach
Westen ziehen lässt. Später lernt das Kind dann
in der Schule, dass sich nur der nächtliche Mond
als Trabant um die Erde dreht, und dass sich
außerdem die übrigen Planeten unserer Sonne
um diese bewegen; alle Sterne dagegen sind Fixsterne, sind Sonnen wie unsere Sonne, und sie
bewegen sich nicht. Unsere Erde dreht und bewegt sich, und spielt uns damit die vermeintlichen Gestirnbewegungen vor.
Wird das Kind älter, fragt es vielleicht nach
dem Wesen jenes schwach leuchtenden, unregelmäßig geformten Streifens quer über das nächtliche Firmament (Abb. 2,1). Wir antworten ihm
nicht mehr mit dem Mythos von der vergossenen Milch der Göttin Hera (Juno); seit der griechischen Astronomie des Altertums wissen wir,
dass es sich um Abermillionen von Sternen wie
unsere Sonne handelt, dass es das Bild einer Galaxie, also eines Milchstraßensystems, einer Sternenansammlung ist, der wir selbst angehören.
Milliarden Galaxien
Später hören wir dann in Schule und Hochschule von der Position unserer Sonne mit unseren Planeten und also auch der Erde fast am
Rande unserer Galaxie; wir sehen rekonstruierte
Bilder unserer Galaxie, die von der Seite wie ein
flacher Diskus, von oben wahrscheinlich wie ein
rotierender Feuerball mit einem hell leuchtenden Zentrum erscheint: Wir leben in einer Spiralgalaxie.
Zahlen wie Hammerschläge: Allein in unserer
eigenen Milchstraße rechnet man mit gut 200
Milliarden Sonnen. Kann man sich dies schon
kaum vorstellen, so überfordert die Vorstellung
von einem expandierenden Universum mit
wiederum Abermilliarden Galaxien schließlich
jedes Menschen Herz, so er denn nicht gelernt
hat, diese Schockwellen zu abstrahieren, um mit
dem Gefühl der eigenen winzigen Existenz leben
zu können.
Erdkugel und Himmelsgewölbe
Angefangen von den unzähligen Generationen
von Himmelsbeobachtern seit der Jungsteinzeit
hat sich im Laufe der Geschichte ein astronomisches System herausgebildet, mit dem man sich
verständigt. Bezugspunkt aller Messungen am
Himmel ist für uns Erdenmenschen natürlich
unsere Erdkugel. Ihre Messsysteme liefern die
Projektion für die Himmelskugel.
Die Vorstellung vom Weltall als einer Himmelskugel erreichte man mit der Projektion des
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irdischen Globusgradnetzes auf die theoretische
Himmelskugelfläche (Abb. 2,2). Der Erdäquator
wird zum Himmelsäquator; die Pole werden zu
den Himmelspolen im Norden wie im Süden;
den irdischen Nord- und Südhalbkugeln entsprechen die nördlichen und südlichen Hemisphären des Sternenhimmels.
Sternpositionen: Äquatorsystem
und Horizontsystem
Die Sternpositionen am Himmel verlangen nach
einem allgemein akzeptierten Ortungssystem.
Man wird beispielsweise in einem modernen
Sternkatalog zum Sirius folgende Angaben finden können:
Name
Rektaszension α
(Horizontsystem)
α Canis Maioris „Sirius“
α = 6h 45m
Deklination δ
(Äquatorsystem)
Datumsbezug
δ = -16° 43’
Äquinoktium 2000
Die kurzen Angaben sagen, dass es sich um den
ersten Stern des Großen Hundes (Canis Maior =
CMa) handelt, dass sein allgemein gebräuchlicher Beiname Sirius ist, und dass die Angaben
sich auf das Jahr 2000 beziehen. Die Position des
Sterns ist nach dem Äquatorsystem 16° 43’ südlich des Himmelsäquators (δ = -16° 43’); zugleich
liegt er nach dem Horizontsystem 6 h 45 m (101°
15’) östlich vom Frühlingspunkt (s. u.), der wie
ein Nullmeridian zu verstehen ist (Abb. 2,5).
Vereinfacht ausgedrückt hat man mit der Deklination den Winkelabstand des Sterns zum
Himmelsäquator nach Norden (δ +) und nach
Süden (δ -); mit der Rektaszension hat man
den Winkelabstand zwischen dem Stundenkreis
(Kolur) des Frühlingspunktes und dem Kolur
des betreffenden Sterns, gemessen in Stunden
oder Grad. Die Deklination entspricht also im
geographischen System der Breitengradzählung,
die Rektaszension der Längengradzählung (Abb.
2,3 –4).
Im Horizontkoordinatensystem heißt ein
durch ein Gestirn gehender und mit dem Horizont parallel laufender Kreis Horizontalkreis
oder Azimutalkreis. Das Azimut meint den Winkelabstand zwischen dem Südpunkt (oder einem
anderen verabredeten Punkt) des Horizonts und
2,2 (oben) Projektion des irdischen Gradnetzes auf das Himmelsgewölbe ohne die Ekliptik.
2,3 (unten) Projektion des irdischen Gradnetzes auf das Himmelsgewölbe mit der Ekliptik.
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