Die Schlacht von Cannae aus militärhistorischer Sicht

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Universität Mannheim
Philosophische Fakultät
Hauptseminar: Karthago und Rom
Dozent: PD. Dr. Klaus Geus
Referent: Björn Reinhard
08.10.2008
Die Schlacht von Cannae aus militärhistorischer
Sicht
Q1: Rede des Lucius vor der Schlacht: „Denn es wäre seltsam, oder vielmehr, es ist
geradezu unmöglich, daß wir in den kleineren Gefechten, wenn wir in gleicher Stärke mit
dem Gegner zusammentreffen, zumeist den Sieg davontragen, wenn wir aber alle zusammen
mehr als doppelt so stark ihm entgegentreten, unterliegen sollten. […] Deshalb, Leute, auch
ohne daß ich es euch ausmale, stellt euch selbst die Bedeutung einerseits der Niederlage,
andererseits des Sieges und seiner Folgen vor Augen; dann werdet ihr in den Kampf gehen
mit dem Bewußtsein, daß für das Vaterland jetzt nicht diese Legionen allein, sondern alles auf
dem Spiele steht. Denn sollte die Entscheidung anders ausfallen, so hat es nichts mehr, was es
nach der jetzt im Felde stehenden Streitmacht noch aufbieten könnte, um der Feinde Herr zu
werden. Denn alle seine Anstrengungen und seine Kräfte hat es in euch vereinigt, alle
Hoffnungen auf Rettung hat es auf euch gesetzt.“ (Pol. III, 109)
Q2: „Sobald Gaius am folgenden Tag den Oberbefehl übernommen hatte, ließ er gleich bei
Sonnenaufgang das Heer aus beiden Lagern zugleich ausrücken, führte die Truppen aus dem
größeren Lager über den Fluß und stellte sie hier sogleich in Schlachtordnung auf, […] und
zwar mit Front nach Süden.“ (Pol. III, 113)
Q3: „Nur diese eine Sache hinderte sie, sofort über den Fluß zu gehen und ihre Front zu
bilden: der Oberbefehl lag an diesem Tag bei Paulus. Daher gab am folgenden Tage Varro,
dem der Oberbefehl an diesem Tage zugefallen war, ohne vorherige Beratung mit seinem
Amtsgenossen das Zeichen zum Aufbruch und führte die Truppen in Schlachtordnung über
den Fluß. Paulus folgte, weil er dem Plan zwar nicht zustimmte, ihm aber seine Unterstützung
auch nicht versagen konnte. Sie überquerten den Fluß, […] und stellten das Heer
folgendermaßen zum Kampfe auf: Auf dem rechten Flügel – er stand dem Fluß näher – teilten
sie den römischen Reitern ihren Platz zu; anschließend kam das Fußvolk. Die Reiter der
Bundesgenossen hielten den äußersten linken Flügel; weiter innen stand das Fußvolk, das sich
in der Mitte den römischen Legionen anschloß. Die Wurfschützen der übrigen leichten
Hilfstruppen bildeten die erste Kampflinie. Die Konsuln führten den Oberbefehl auf den
Flanken, Terentius auf der linken, Aemilius auf der rechten. Geminus Servilius erhielt die
Leitung des Kampfes in der Mitte.“ (Liv. XXII, 45)
Q4: „Die Zahl des gesamten Fußvolkes damals in der Kampflinie betrug 40 000, die der
Reiterei 10 000. Hasdrubal führte das Kommando auf dem linken Flügel, Maharbal auf dem
rechten. Das Zentrum befehligte Hannibal selbst mit seinem Bruder Mago. Die Sonne schien
von der Seite her, für beide Teile günstig, weil sie mit Absicht oder zufällig so aufgestellt
waren: Die Römer standen nach Süden, die Punier nach Norden.“ (Liv. XXII, 46)
Q5: „In der Schlacht traf Hannibal zwei kluge Maßregeln. Zum ersten sorgte er dafür, daß er
den Wind in den Rücken bekam. Denn gleich einem heißen Wirbelsturm brauste er daher,
wehte beißenden Staub […] auf und fegte ihn über die karthagischen Linien hinweg den
Römern ins Gesicht, daß sie sich abwenden mußten und in Unordnung gerieten. Zum zweiten
überlistete er die Römer durch seine Schlachtordnung. Auf den beiden Flügeln stellte er die
stärksten und tapfersten Leute hin, das Zentrum füllte er mit den unbrauchbarsten Elementen
auf und ließ es zudem wie einen Keil aus der übrigen Linie hervorragen. Die Kerntruppen
hatten Befehl, zuzuwarten, bis die Römer die Mitte durchbrochen und die weichenden
Abteilungen so weit zurückgedrängt hätten, daß die punische Frontlinie im Zentrum sich nach
hinten ausbuchten würde und die Angreifer zwischen die Flügel gerieten. In diesem
Augenblick sollten sie rasch von beiden Seiten einschwenken und den Gegnern in die Flanken
fallen, sie gleichzeitig im Rücken umfassen und vollends einschließen. Es scheint, daß dieses
Manöver vor allem das furchtbare Gemetzel verursacht hat. Denn als das Zentrum zu weichen
begann und die nachsetzenden Römer hinter sich herzog, änderte Hannibals Schlachtlinie ihre
Gestalt und bog sich wie eine Mondsichel zurück. Jetzt ließen die Offiziere auf den Flügeln
nach links und rechts einschwenken, die Elitetruppen stürzten sich auf die ungedeckten
Flanken der Römer und machten alles nieder, was sich nicht rechtzeitig der Umzingelung
entziehen konnte.“ (Plut. 16)
Q6: „Kurze Zeit nun hielten die Reihen der Iberer und Kelten stand und kämpften mannhaft
gegen die Römer, dann aber wichen sie, durch die feindlichen Massen bedrängt, und gingen
zurück, so daß die halbmondförmige Vorwölbung verschwand. Die römischen Manipeln, die
ihnen hitzig folgten, durchbrachen leicht die Schlachtordnung des Gegners, da ja die Kelten in
dünner Linie standen, während sie sich selbst von den Flügeln her zur Mitte, dem Ort des
Kampfes, dicht zusammengeschoben hatten. Denn die Flügel und das Zentrum stießen nicht
gleichzeitig aufeinander, sondern zuerst das Zentrum, weil die Kelten, in Halbmondform
aufgestellt, den Flügel weit vorausstanden, denn die Wölbung des Halbmonds war dem
Feinde zugekehrt. Die Römer aber folgten den Kelten, liefen nach der Mitte, der Stelle, wo
die Feinde wichen, zusammen und gerieten so weit nach vorn, daß die schwerbewaffneten
Libyer ihnen auf beiden Seiten in der Flanke zu stehen kamen. […] So kam es, daß die
Römer, wie Hannibal es beabsichtigt hatte, infolge ihres Vordringens gegen die Kelten von
den Libyern in der Mitte eingeschlossen wurden. Jene nun fochten nicht mehr in
Schlachtordnung, sondern Mann für Mann und Manipel für Manipel sich gegen die Feinde
wendend, die von den Flanken auf sie eingedrungen waren.“ (Pol. III, 115)
Q7: „7000 Menschen flohen in das kleinere Lager, 10 000 in das größere, etwa 2000
unmittelbar in das Dorf Cannae. Diese wurden sofort von Carthalo und seinen Reitern
überwältigt, da keine Befestigungsanlage das Dorf schützte. Der zweite Konsul, der sich
zufällig oder auch mit Absicht keinem Haufen Fliehender beigestellt hatte, entkam mit etwa
50 Reitern nach Venusi. Vom Fußvolk sollen 45 000 Mann, von den Reitern 2700
niedergemacht worden sein, wobei der Anteil der Bürger und der Bundesgenossen etwa gleich
groß gewesen sei. Unter ihnen befanden sich auch beide Quästoren der Konsuln, Lucius
Atilius und Lucius Furius Bibaculus, dazu 29 Militärtribunen, einige ehemalige Konsuln,
Prätoren und Ädilen – unter ihrer Zahl werden Gnaeus Servilius Geminus und Marcus
Minucius genannt, der im vergangenen Jahr Reiteroberst und einige Jahre früher Konsul
gewesen war -: außerdem 80 Senatoren oder doch Leute, die schon Ämter bekleidet hatten,
von denen aus sie in den Senat gewählt werden mußten. Sie waren freiwillig Legionssoldaten
geworden. 3000 Soldaten und 1500 Reiter sollen in dieser Schlacht gefangen worden sein.“
(Liv. XXII, 49)
Q8: „Zum Sieg der Karthager hatte diesmal wie früher am meisten die Menge ihrer Reiterei
beigetragen. Dadurch wurde für die Nachwelt der Beweis geliefert, daß es für die
Entscheidung im Kriege besser ist, halb soviel Infanterie, aber die völlige kavalleristische
Überlegenheit zu haben, als mit völlig gleichen Streitkräften dem Feinde gegenüberzustehen.
Auf Hannibals Seite fielen gegen viertausend Kelten, gegen fünfzehnhundert Iberer und
Libyer und etwa zweihundert Reiter. Die Römer, die gefangengenommen wurden, hatten an
der Schlacht nicht teilgenommen“ (Pol. III, 117)
Q9: „Nur der Reiteroberst Maharbal war der Meinung, man dürfe die Möglichkeit keinesfalls
ungenützt lassen, und sagte: „Im Gegenteil! Damit du weißt, was durch diese Schlacht
gewonnen ist: Nach vier Tagen wirst du als Sieger auf dem Capitol speisen. Folge mir! Mit
den Reitern will ich vorauseilen, damit die Römer eher merken, daß du gekommen bist, als
daß du kommen wirst.“ Hannibal erschien die Lage zu glücklich und zu groß, um sie sofort
begreifen zu können. Daher entgegnete er: Er lobe zwar den guten Willen Maharbals, aber er
brauche Zeit, um seinen Vorschlag zu überprüfen. Darauf antwortete Maharbal: „Nicht alles
haben die Götter freilich einem einzigen Manne gegeben; zu siegen verstehst du, Hannibal;
den Sieg zu nutzen verstehst du nicht.“ Man nimmt als ziemlich sicher an, daß der Aufschub
dieses einen Tages die Rettung für Hauptstadt und Reich bedeutete.“ (Liv. XXII, 51)
Q10: „Welche Überlegungen den Punier von dem Unternehmen abhielten, ist schwer zu
sagen; es scheint aber, sein Zögern, seine Bedenklichkeit sei eher das Werk eines Dämons
oder Gottes gewesen, der ihm in den Weg trat. Deshalb soll ihm auch der Karthager Barkas
zornig zugerufen haben: << Du verstehst zu siegen, Hannibal, den Sieg auszunützen verstehst
du nicht! >> Und doch veränderte dieser Sieg von Grund auf seine Lage. Vor der Schlacht
hatte Hannibal keine Stadt, keinen Handelsplatz, keinen Hafen Italiens in seiner Hand;
mühselig, durch Raub und Plünderung, verschaffte er seinen Truppen, was sie zum Leben
brauchten. Er führte Krieg ohne feste Basis und zog mit seinem Heerlager wie mit einer
großen Räuberbande kreuz und quer durch das Land – jetzt fiel ihm fast ganz Italien zu. Die
meisten und größten Völkerschaften traten freiwillig auf seine Seite, und Capua, nach Rom
die angesehenste Stadt der Halbinsel, öffnete ihm ohne Widerstand die Tore.“ (Plut. 17)
Q11: „Die Karthager bekamen durch ihren Sieg auf der Stelle fast das ganze übrige
Küstenland in ihre Gewalt […], und sie hatten große Hoffnungen, Rom selbst im ersten
Ansturm zu nehmen. Die Römer dagegen hatten infolge ihrer Niederlage sofort die Herrschaft
über die Italiker verlorengegeben und schwebten in großer Angst und Gefahr um sich selbst
und um den Bestand ihrer Stadt, da sie erwarteten, Hannibal werde jeden Augenblick da sein,
um sie von Grund auf zu zerstören. […] Denn obwohl die Römer damals eine eindeutige
Niederlage erlitten hatten und die Waffenehre dem Feinde hatten überlassen müssen,
gewannen sie doch durch die eigentümlichen Vorzüge ihrer Verfassung und ihre umsichtigen
Gegenmaßnahmen nicht nur die Herrschaft über Italien zurück, indem sie in der Folge die
Karthager besiegten, sondern wurden auch nach kurzer Zeit Herren über die gesamte
bewohnte Erde.“ (Pol. III, 118)
Literatur:
Christ, Karl, Hannibal (=Gestalten der Antike), Darmstadt 2003.
Seibert, Jakob, Hannibal, Darmstadt 1993.
Seibert, Jakob, Forschungen zu Hannibal. Darmstadt 1993.
Daly, Gregory, Cannae. The Experience of Battle in the Second Punic War, New York 2002.
Barceló, Pedro, Hannibal. Stratege und Staatsmann, Stuttgart 2004.
Cornelius, Friedrich, Cannae. Das militärische und das literarische Problem, In: Klio, Beiheft
26 (N.F. Heft 13), Aalen 1963, ND 1932.
Delbrück, Hans, Geschichte der Kriegskunst im Rahmen der politischen Geschichte. Erster
Teil: Das Altertum, Berlin 1964, ND 1920.
Judeich, Walther, Cannae, In: Historische Zeitschrift 136 (1927), S. 1-24.
Kussmaul, Peter, Der Halbmond von Cannae, In: Museum Helveticum 35 (1978), S. 249-57.
Kromayer, J./Veith, G. (Hrsg.), Antike Schlachtfelder. In Italien und Afrika (=Antike
Schlachtfelder. Bausteine zu einer Antiken Kriegsgeschichte; Dritter Band: Italien und Afrika.
Erste Abteilung: Italien), Berlin 1912.
Kromayer, J./Veith, G. (Hrsg.), Schlachtfelder aus den Perserkriegen, aus der späteren
Griechischen Geschichte und den Feldzügen Alexanders und aus der Römischen Geschichte
bis Augustus (=Antike Schlachtfelder. Bausteine zu einer Antiken Kriegsgeschichte; Vierter
Band (Ergänzungsband)), Berlin 1931.
von Schlieffen, Alfred Graf von, Die Schlacht bei Cannae, In: Karl Christ (Hrsg.), Hannibal
(=Wege der Forschung; 371), Darmstadt 1974, S. 222-226.
Speidel, Michael Alexander, Halbmond und Halbwahrheit. Cannae, 2. August 216 v. Chr., In:
Stig Förster (Hrsg.), Schlachten der Weltgeschichte. Von Salamis bis Sinai, München 2001,
S. 48-62.
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