ANALYSIS EINER VERÄNDERLICHEN (WS 08/09) BERNHARD HANKE Wir werden uns in weiten Teilen auf die Bücher [F] O. Forster: Analysis 1, 7. Auflage (2004), Vieweg-Verlag [A] K. Königsberger: Analysis 1, 6. Auflage, Springer-Verlag beziehen. Daher werde ich diejenigen Abschnitte dieser Bücher, die ich nur wenig verändert übernehme, in diesem Skript nicht noch einmal ausführen, sondern nur die Referenz angeben. 1. Vollständige Induktion Referenz: [F], Kapitel 1. In der Vorlesung gehen wir von folgendem Induktionsprinzip aus: Es sei An eine Aussage über natürliche Zahlen n ∈ N. Angenommen, wir können die folgenden beiden Aussagen zeigen: • A0 ist wahr. • Für alle n ≥ 0 gilt: Falls An richtig ist, so auch An+1 . Dann ist An für alle n ∈ N wahr. Das in [F] angebenene Induktionsprinzip kann daraus abgeleitet werden, indem man (mit n0 und An wie im Buch von Forster) das obige Prinzip auf die Aussage An+n0 anwendet, wobei n ≥ 0. Ein weitere schöne Anwendung der vollständigen Induktion existiert im Zusammenhang mit den sogenannten Ramsey-Zahlen: Definition. Es sei n ≥ 2 eine natürliche Zahl. Wir definieren R(n) als die kleinste natürliche Zahl R mit der folgenden Eigenschaft: In jeder Gruppe von R Personen gibt es (mindestens) n Personen, die sich alle gegenseitig kennen oder es gibt n Personen, die sich alle gegenseitig nicht kennen, (oder eventuell beides). In dieser Form ist die Definition noch nicht sinnvoll, denn es könnte ja sein, dass für eine gewisse natürliche Zahl n ≥ 2 gar kein R mit der eben beschriebenen Eigenschaft existiert. Wir wollen zeigen, dass dies nicht passieren kann. Definition. Es seien n, k ≥ 2 natürliche Zahlen. Wir definieren R(n, k) als die kleinste Zahl R mit der folgenden Eigenschaft: In jeder Gruppe von R Personen gibt es n Personen, die sich alle gegenseitig kennen, oder k Personen, die sich alle gegenseitig nicht kennen. 1 2 BERNHARD HANKE Für die Zahlen R(n, k) besteht natürlich das gleiche Problem wie oben: Es könnte für gewisse Paare (n, k) gar kein R mit der angegebenen Eigenschaft existieren. Falls jedoch R(n, n) existiert, dann sicher auch R(n) und es ist R(n) = R(n, n). Der folgende berühmte Satz von Ramsey zeigt also insbesondere, dass R(n) für alle n wohldefiniert ist. Satz 1.1 (Ramsey). Für alle n, k ≥ 2 existiert ein R mit der in der letzten Definition beschriebenen Eigenschaft. Insbesondere ist R(n, k) für alle (n, k) wohldefiniert. Beweis. Man zeigt schnell direkt mit Hilfe der Definition, dass für alle n und k die Zahlen R(2, k) und R(n, 2) existieren und dass R(2, k) = k und R(n, 2) = n gilt. Wir zeigen nun für alle n, k ≥ 3: Falls R(n − 1, k) und R(n, k − 1) existieren, so existiert auch R(n, k) und es gilt die Ungleichung R(n, k) ≤ R(n − 1, k) + R(n, k − 1) . Da die Existenz von R(2, 3) und R(3, 2) vorhin schon gezeigt wurde, folgt damit die Existenz von R(n, k) für alle n, k ≥ 2 durch Induktion nach n + k. Es seien also n, k ≥ 3 und die Existenz von R(n − 1, k) und R(n, k − 1) bereits gezeigt. Es sei nun X eine Menge bestehend aus R(n−1, k)+R(n, k− 1) Personen. Wähle eine beliebige, aber feste, Person P in dieser Menge. Unter den restlichen R(n − 1, k) + R(n, k − 1) − 1 Personen gibt es nun sicher R(n − 1, k) Personen, die P kennen, oder R(n, k − 1) Personen, die P nicht kennen (sonst hätte man ja neben P insgesamt höchstens R(n − 1, k) + R(n, k − 1) − 2 weitere Personen). Wir betrachten den Fall, dass es R(n − 1, k) Personen gibt, die P kennen. Unter diesen gibt es aber nun entweder n − 1 Personen, die sich alle gegenseitig kennen - d.h. in diesem Fall bilden diese Personen zusammen mit P eine Gruppe von n Personen in X, die sich alle gegenseitig kennen - oder es gibt in dieser Gruppe k Personen, die sich gegenseitig alle nicht kennen - und wir haben also auch in X eine Gruppe von k Personen gefunden, die sich alle gegenseitig nicht kennen. Die Existenz von R(n, k) und die obige Ungleichung sind also in diesem Fall gezeigt. Im Fall, dass es R(n, k − 1) Personen gibt, die P nicht kennen, argumentiert man analog. Wir haben früher schon eingesehen, dass R(3) = 6 gilt. Mit etwas mehr Aufwand zeigt man R(4) = 18. Es ist eine erstaunliche Tatsache, dass R(5) nicht bekannt ist. Die beste derzeit bekannte Abschätzung besagt 43 ≤ R(5) ≤ 49. ANALYSIS EINER VERÄNDERLICHEN (WS 08/09) 3 2. Die reellen Zahlen Die Struktur von R ist fundamental für die Analysis. Sie wird durch folgende Axiome charakterisiert: I Körperaxiome, II Anordnungsaxiome, III Vollständigkeitsaxiom. Zu I und II siehe die Ausführungen in [F], Kapitel 2 und Kapitel 3 (zunächst ohne das Archimedische Axiom). Wir führen bereits an dieser Stelle die Bezeichnungen für abgeschlossene, offene, halboffene und uneigentliche Intervalle von R ein, die in [F] erst auf Seite 80 angegeben werden. Das Vollständigkeitsaxiom behandeln wir in der folgenden Form, die von der Diskussion in [F] zunächst abweicht. Definition. Es sei T ⊂ R. Wir nennen T nach oben beschränkt, falls ein K ∈ R existiert mit t ≤ K für alle t ∈ T . Wir nennen dann K eine obere Schranke von T . Wir nennen T nach unten beschränkt, falls ein K ∈ R existiert mit t ≥ K für alle t ∈ T . In diesem Fall heißt K untere Schranke von T . Wir nennen T beschränkt, falls T nach oben und unten beschränkt ist. Ist T nicht beschränkt, so nennen wir T unbeschränkt. Wir brauchen noch die folgende, am Anfang nicht ganz leicht zu erfassende Definition. Definition. Es sei T ⊂ R. Wir nennen eine Zahl K ∈ R ein Supremum von T , falls K eine kleinste obere Schranke von T ist, d.h. K ist obere Schranke von T und ist K 0 ∈ R eine weitere obere Schranke, so gilt K 0 ≥ K. Entsprechend heißt K Infimum von T , falls K eine größte untere Schranke von T ist. Man überlegt sich schnell, dass das Supremum und Infimum im Falle der Existenz eindeutig bestimmt sind. Diese werden dann sup T , bzw. inf T genannt. Das Vollständigkeitsaxiom besagt: In R hat jede nicht-leere nach oben beschränke Teilmenge ein Supremum. Wir wollen die detaillierte Diskussion dieses Axioms noch etwas zurückstellen. Definition. Es sei K eine Menge zusammen mit zwei Verknüpfungen +K : K × K → K und ·K : K × K → K und zwei ausgezeichneten Elementen 0K , 1K ∈ K, wobei 0K 6= 1K . Wir nennen K einen • Körper, falls (K, +K , ·K , 0K , 1K ), die Axiome (A1) bis (A4), (M1) bis (M4), sowei (D) erfüllt. • angeordneten Körper, falls gewisse Elemente in K als positiv ausgezeichnet sind (Schreibweise: x >K 0), so dass zusätzlich die Axiome (O1) bis (O3) gelten. 4 BERNHARD HANKE • vollständigen angeordneten Körper, falls K ein angeordneter Körper ist, der das Vollständigkeitsaxiom erfüllt. Ohne Beweis geben wir das folgende Resultat an: Satz 2.1 (Charakterisierung der reellen Zahlen). Es gelten die folgenden Aussagen. i. (R, +, ·, 0, 1, >) ist ein vollständiger angeordneter Körper. ii. Ist (K, +K , ·K , 0K , 1K , >K ) ein beliebiger vollständiger angeordneter Körper, so gibt es genau eine Abbildung φ : K → R, die die folgenden Eigenschaften besitzt: – φ(0K ) = 0, φ(1K ) = 1. – Für alle x, y ∈ K ist φ(x +K y) = φ(x) + φ(y) und φ(x ·K y) = φ(x) · φ(y). Diese eindeutig gegebene Abbildung ist bijektiv und ordnungserhaltend, d.h. es gilt die Äquivalenz x <K y ⇔ φ(x) < φ(y) für alle x, y ∈ K. Die erste Aussage ist im Grunde erst dann sinnvoll, wenn man R zusammen mit den Verknüpfungen und der Ordnungsrelation explizit konstruiert hat. Die zweite Aussage besagt in anderen Worten, dass R bis auf ordnungserhaltende Isomorphie der einzige vollständige angeordnete Körper ist und dass diese Isomorphie darüberhinaus eindeutig ist. Wir wollen in dieser Vorlesung nicht weiter auf die Konstruktion von R eingehen, sondern die Existenz von R mit den besprochenen Eigenschaften als gegeben annehmen. Für weitere Informationen zur Konstruktion von R und zu Satz 2.1 verweise ich auf das exzellente Buch Zahlen, das im Springer-Verlag erschienen ist. Satz 2.2 (Archimedische Eigenschaft von R). Es seien a, b > 0 reelle Zahlen. Dann gibt es eine natürliche Zahl n mit na > b. Beweis. Wir leiten dies aus dem Vollständigkeitsaxiom her. Angenommen, es ist na ≤ b für alle n ∈ N. Dann ist also die Menge M := {na | n ∈ N} nach oben beschränkt (durch b) und besitzt nach dem Vollständigkeitsaxiom ein Supremum s. Da s kleinste obere Schranke von M und a positiv ist, gibt es ein N ∈ N mit s − a < N a. Addition von a auf beiden Seiten führt auf s < (N + 1)a. Dann ist aber s keine obere Schranke von M . Widerspruch. Mit Hilfe der Archimedischen Eigenschaft von R leiten wir für x ∈ R wie in [F] (3.15), die Existenz genau einer ganzen Zahl m ∈ Z mit m ≤ x < m+1 her. Diese wird dann [x] genannt (Gauß-Klammer, bzw. Floor-Funktion). Weiterhin zeigen wir die fundamentale Aussage, dass es für jede positive reelle Zahl > 0 ein n ∈ N gibt mit n1 < . Mit Hilfe der Bernoullischen Ungleichung ([F], Satz 2 in Kapitel 3) leiten wir noch wichtige Abschätzungen zum Wachsumsverhalten von Potenzen her ([F], Satz 3 in Kapitel 3). ANALYSIS EINER VERÄNDERLICHEN (WS 08/09) 5 Im Gegensatz zu [F] formulieren wir die Archimedische Eigenschaft von R nicht als Axiom, sondern folgern sie aus unserer Formulierung des Vollständigkeitsaxioms. Dieses ist nicht äquivalent zum Vollständigkeitsaxiom in [F], Kapitel 5. Wir werden auf den logischen Zusammenhang unseres Vorgehens zu dem in [F] im nächsten Kapitel genauer eingehen. 3. Folgen, Konvergenz Das Konzept der Folgen und der Konvergenz von Folgen ist fundamental für die gesamte Analysis. Wir richten uns in der Darstellung nach [F], Kapitel 4 (zunächst ohne unendliche Reihen auf S. 35 Mitte mit S. 37). Wir diskutieren anschließend monotone Folgen (siehe [F], Definition auf S. 49) und zeigen: Satz 3.1. Ist (an )n∈N eine beschränkte monotone Folge, so ist an konvergent. Beweis. Wir behandeln zunächst den Fall, dass an monoton wächst. Nach Voraussetzung ist M := {an | n ≥ 0} nach oben beschränkt, besitzt also nach dem Vollständigkeitsaxiom ein Supremum s. Wir zeigen nun, dass (an ) gegen s konvergiert. Sei dazu > 0. Da s kleinste obere Schranke von M ist, gibt es ein N ∈ N mit s − < aN . Da (an ) monoton wächst, folgt s − < an ≤ s für alle n ≥ N , dabei gilt die letzte Ungleichung, da s obere Schranke von M ist. Für alle n ≥ N ist also an − s ≤ 0 < und s − an < nach obiger Ungleichung. Somit ist |an − s| < für n ≥ N und dies zeigt lim an = s. Falls an monoton fällt, beachte man, dass jede nichtleere nach unten beschränkte Teilmenge T von R ein Infimum besitzt, wie man leicht aus dem Vollständigkeitsaxiom ableitet (durch Betrachtung der Menge −T := {−t | t ∈ T }). Man zeigt nun ganz ähnlich wie vorhin, dass lim an = inf M . Dieser Satz sagt noch nicht, wie man den Grenzwert einer beschränkten monotonen Folge bestimmt. Dies erfordert in der Regel weitere Argumente. Ein schönes Beispiel dazu ist die Konstruktion der Quadratwurzel einer positiven reellen Zahl a durch eine rekursiv definierte Folge. Für Details siehe [F], Satz 1 und Satz 2 in Kapitel 6. Definition. Ist (an )n∈N eine Folge und n0 < n1 < . . . eine streng monoton wachsende Folge natürlicher Zahlen, so nennt man die Folge (ank )k∈N eine Teilfolge von (an )n∈N . Wir nennen x ∈ R einen Häufungspunkt der Folge (an )n∈N , falls es eine Teilfolge von (an ) gibt, die gegen x konvergiert. Interessante Beispiel von Häufungspunkten finden sich in [F], S. 48. Lemma 3.2. Jede Folge (an ) besitzt eine monotone Teilfolge. 6 BERNHARD HANKE Beweis. Für N ∈ N nennen wir aN eine Spitze von (an )n∈N , falls an ≤ aN für alle n ≥ N . Wir unterscheiden nun zwei Fälle: i. (an ) hat unendlich viele Spitzen. ii. (an ) hat nur endlich viele Spitzen. Im ersten Fall konstruieren wir induktiv eine Folge n0 < n1 < n2 < . . . natürlicher Zahlen wie folgt: Es sei n0 ∈ N so gewählt, dass an0 eine Spitze ist. Ist nk , schon definiert, so sei nk+1 so gewählt, dass nk+1 > nk und so dass ank+1 eine Spitze ist. Dies ist immer möglich, da wir uns im ersten Fall befinden. Nach Konstruktion ist (ank )k∈N eine monoton fallende Teilfolge von (an )n∈N . Im zweiten Fall konstruieren wir n0 < n1 < . . . wie folgt: Es sei N ∈ N so groß, dass an keine Spitze ist, falls n ≥ N . Dies ist möglich, da wir uns im zweiten Fall befinden. Wir setzen nun n0 := N . Ist nk schon definiert, so sei nk+1 so gewählt, dass nk+1 > nk und so dass ank+1 > ank . Dies geht, da ank keine Spitze ist. Nach Konstruktion ist nun (ank )k∈N eine (sogar streng) monoton wachsende Teilfolge von (an )n∈N . Wir zeigen damit folgenden fundamentalen Satz: Satz 3.3 (Bolzano-Weierstraß). Jede beschränkte Folge reeller Zahlen besitzt eine konvergente Teilfolge. Beweis. Sei (an ) eine beschränkte Folge. Nach Lemma 3.2 hat (an )n∈N eine monotone Teilfolge (ank )k∈N . Diese ist offensichtlich wieder beschränkt. Aber beschränkte monotone Folgen konvergieren, wie wir in Satz 3.1 gezeigt haben. Wir diskutieren noch die Begriffe des limes superior und limes inferior, siehe [F], S. 88 ff. und charakterisieren lim sup ähnlich wie in [F], Satz 4 in Abschnitt 9, durch den folgenden Satz. Satz 3.4. Es sei (an )n∈N eine Folge reeller Zahlen und a ∈ R. Dann gilt lim sup an = a genau dann, wenn für alle > 0 folgende beiden Bedingungen erfüllt sind: i. Es gibt ein N ∈ N, so dass an < a + für alle n ≥ N . ii. Es ist an > a − für unendlich viele Indizes n. Beweis. Für n ∈ N schreiben wir sn := sup{ak | k ≥ n}. Es sei nun lim sup an = a, d.h. lim sn = a. Sei > 0. Es gibt es dann nach Definition der Konvergenz ein N ∈ N, so dass sn < a+ für alle n ≥ N . Wegen an ≤ sn für alle n ∈ N folgt daraus Eigenschaft i. Angenommen, Eigenschaft ii. sei nicht erfüllt, d.h. an > a − ist nur für endlich viele Indizes n erfüllt. Dann gibt es ein N ∈ N, so dass an ≤ a − für alle n ≥ N . Dann ist sn = sup{ak | k ≥ n} ≤ a− für alle n ≥ N . Daraus folgt aber lim sn ≤ a−, im Gegensatz zur Annahme lim sn = a. Umgekehrt seien nun die beiden obigen Bedingungen i. und ii. für (an )n∈N erfüllt. Wir zeigen, dass lim sup an = a. Aus i. folgt, dass für alle > 0 ein N existiert mit an < a + für alle n ≥ N . Dann ist sN ≤ a + und ANALYSIS EINER VERÄNDERLICHEN (WS 08/09) 7 wir folgern limn→∞ sn ≤ a + . Da dies für alle > 0 erfüllt ist, folgern wir lim sup an = lim sn ≤ a. Wäre lim sup an < a, so hätten wir ein > 0 und ein N ∈ N mit sN ≤ a − . Dann wäre aber an ≤ a − für alle n ≥ N , im Widerspruch zu ii. Als Anwendungen dieser Charakterisierung sieht man, dass für beliebige beschränkte Folgen (an ) und (bn ) immer lim sup(an + bn ) ≤ lim sup an + lim sup bn gilt. Gleichheit muss nicht immer erfüllt sein: Für die Folge an := (−1)n und bn := (−1)n+1 , n ∈ N, ist lim sup an = lim sup bn = 1, aber lim sup(an + bn ) = 0. Definition. Wir nennen eine Folge (an )n∈N eine Cauchy-Folge, falls es für alle > 0 ein N ∈ N gibt, so dass |an − am | < für alle n, m ≥ N gilt. Satz 3.5. Eine Folge ist genau dann konvergent, wenn Sie eine CauchyFolge ist. Beweis. Dass jede konvergente Folge eine Cauchy-Folge ist, wird in [F], Satz 1 in Abschnitt 5 gezeigt. Sei nun umgekehrt (an )n∈N eine Cauchy-Folge. Wir zeigen zunächst, dass (an ) beschränkt ist. Sei dazu N ∈ N so gewählt, dass |an − am | < 1 für alle n, m ≥ N gilt. Wir haben dann unter Benutzung der Dreicksungleichung |an | ≤ max{|a1 |, |a2 |, . . . , |aN −1 |, |aN | + 1} und somit ist (an )n∈N beschränkt. Nach dem Satz von BolzanoWeierstraß besitzt (an )n∈N eine konvergente Teilfolge (ank )k∈N . Sei a ∈ R der Grenzwert dieser Teilfolge. Wir zeigen, dass die ganze Folge (an )n∈N gegen a konvergiert. Sei > 0. Da limk→∞ ank = a existiert ein K ∈ N mit |ank − a| < /2 für alle k ≥ K. Da (an )n∈N eine Cauchy-Folge ist, gibt es weiterhin ein N ∈ N mit |an − am | < /2 für alle n, m ≥ N . Sei nun L ∈ N so groß , dass L ≥ K und nL ≥ N . Dann ist für alle n ≥ nL die Ungleichung |an − a| ≤ |an − anL | + |anL − a| < /2 + /2 = erfüllt. Daher ist in der Tat limn→∞ an = a. Manchmal wird die Tatsache, dass Cauchy-Folgen konvergieren, als Axiom für die reellen Zahlen gefordert. Wenn man zusätzlich die Archimedische Eigenschaft als Axiom fordert, kann man (ohne Benutzung unseres Vollständigkeitsaxioms) beweisen, dass nach oben beschränkte, nichtleere Teilmengen von R ein Supremum besitzen. Unter der Annahme der Körperund Anordnungsaxiome ist also das Vollständigkeitsaxiom (in unserer Formulierung) äquivalent zur Archimedischen Eigenschaft und zur Tatsache, dass Cauchy-Folgen konvergieren. In [F] wird dieser alternative Zugang zu den reellen Zahlen gewählt. Definition. Eine Intervallschachtelung ist eine absteigende Folge I0 ⊃ I1 ⊃ I2 ⊃ . . . von abgeschlossenen Intervallen [an , bn ] ⊂ R mit limn→∞ diam In = 8 BERNHARD HANKE 0. Dabei ist der Durchmesser diam In = diam[an , bn ] durch diam In := bn − an ≥ 0 definiert. Der folgende Satz gibt eine wichtige Art an, reelle Zahlen zu beschreiben. Satz 3.6 (Intervallschachtelungsprinzip). Es sei I0 ⊃ I1 ⊃ . . . eine Intervallschachtelung. Dann gibt es genau eine reelle Zahl x ∈ R, die in allen In liegt. Umgekehrt lässt sich jede reelle Zahl so darstellen. Beweis. Die Folge (an )n∈N ist monoton wachsend und nach oben beschränkt (durch b0 ), besitzt also nach Satz 3.1 einen Grenzwert a. Die Folge (bn ) ist monoton fallend und beschränkt und besitzt daher ebenfalls einen Grenzwert b. Da an ≤ bn für alle n ∈ N, gilt a ≤ b. Insgesamt haben wir an ≤ a ≤ b ≤ bn für alle n und somit liegt a in allen Intervallen In = [an , bn ]. Angenommen a0 liegt ebenfalls in allen Intervallen In und a 6= a0 . Ohne Einschränkung der Allgemeinheit können wir a0 > a annehmen. Sei := a0 − a. Da lim diam In = 0, existiert ein N ∈ N mit diam IN = bN − aN < . Wir erhalten = a0 − a ≤ bN − aN < , wobei wir aN ≤ a und b ≤ bN benutzt haben. Die erhaltene Ungleichung < ist ein Widerspruch. Also muss a = a0 gelten. Ist x ∈ R eine beliebige reelle Zahl, so betrachten wir die durch In := [x − 1/n, x + 1/n], n ≥ 1, definierte Intervallschachtelung. Dann ist offensichtlich x ∈ In für alle n ∈ N. Wir behandeln zum Schluss dieses Kapitels noch einige Eigenschaften von Punktmengen in R. Definition. Es sei T ⊂ R eine Teilmenge. Wir nennen T offen, falls es für jedes t ∈ T ein > 0 gibt, so dass (t − , t + ) ⊂ T . Wir nennen T abgeschlossen, wenn R \ T offen ist. Beispielsweise sind die Intervalle (a, b), (−∞, b) und R offene Teilmengen von R. Die Intervalle [a, b], (−∞, b] sind abgeschlossen. Das Intervall (0, 1] ist weder offen noch abgeschlossen. Durchschnitte endlich vieler offener Mengen sind offen und damit sind Vereinigungen endlich vieler abgeschlossener Mengen (wie zum Beispiel [0, 1] ∪ [2, 5]) ebenfalls abgeschlossene Teilmengen von R. Wir haben die folgende Charakterisierung abgeschlossener Teilmengen von R. Satz 3.7. Eine Teilmenge T ⊂ R ist genau dann abgeschlossen, falls folgendes gilt: Ist (an )n∈N eine beliebige konvergente Folge und an ∈ T für alle n ∈ N, so gilt limn→∞ an ∈ T . Beweis. Es sei T ⊂ R eine abgeschlossene Teilmenge und (an )n∈N eine konvergente Folge mit an ∈ T für alle n ∈ N. Angenommen, a := lim an ∈ / T . Da R \ T nach Voraussetzung offen ist, gibt es ein > 0, so dass (a − , a + ) ∩ T = ∅. Da lim an = a gibt es aber ein N ∈ N, so dass ANALYSIS EINER VERÄNDERLICHEN (WS 08/09) 9 |an − a| < für alle n ≥ N . Dann ist also insbesondere aN ∈ (a − , a + ). Dies widerspricht der Annahme, dass alle Folgenglieder an in T liegen. Es sei nun T nicht abgeschlossen, also R\T nicht offen. Dann gibt es einen Punkt a ∈ R \ T , so dass für alle > 0 die Menge (a − , a + ) nicht ganz in R \ T liegt, also T schneidet. Wir können also für alle n ∈ N, n ≥ 1, ein an ∈ T finden mit an ∈ (a − 1/n, a + 1/n). Dies bedeutet, dass lim an = a. Da nach Konstruktion a ∈ / T , ist also die zweite im Theorem angegebene Bedingung nicht erfüllt. Erfüllt umgekehrt T ⊂ R diese Bedingung, so muss also T abgeschlossen sein. Wir können jeder Teilmenge T ⊂ R eine weitere Teilmenge T zuordnen, die wie folgt definiert ist: T := {x ∈ R | ∃ (an )n∈N mit an ∈ T ∀n ∈ N und lim an = x} . n→∞ T besteht also genau aus den Limiten konvergenter Folgen in T . Satz 3.8. Es gilt i. T ist abgeschlossen. ii. T ⊂ T . iii. Ist S ⊂ R eine beliebige abgeschlossene Teilmenge mit T ⊂ S, so ist T ⊂ S. Mit anderen Worten: Die Menge T ist die kleinste abgeschlossene Teilmenge von R, die T enthält. Wir nennen T den Abschluss von T . Beweis. Angenommen, R \ T ist nicht abgeschlossen. Wir finden dann ein a ∈ R \ T und eine Folge (an )n∈N>0 mit an ∈ T und |an − a| < 1/n für alle n (siehe den zweiten Teil des vorherigen Beweises). Da an ∈ T , gibt es (abhängig von n) eine konvergente Folge (tk )k∈N mit tk ∈ T für alle k ∈ N und limk→∞ tk = an . Insbesondere existiert also ein a0n ∈ T mit |a0n − an | < 1/n. Nach Konstruktion konvergiert dann die Folge (a0n )n∈N gegen a. Da alle a0n ∈ T , folgt a ∈ T , Widerspruch. Der Beweis von i. ist damit abgeschlossen. Ist t ∈ T , so konvergiert die konstante Folge (tn )n∈N mit tn := t gegen t, somit ist t ∈ T . Dies zeigt ii. Es sei nun S ⊂ R eine beliebige abgeschlossene Menge mit T ⊂ S. Dann enthält nach Satz 3.7 die Menge S alle Limiten konvergenter Folgen in S, also insbesondere auch die Limiten aller konvergenter Folgen in T . Das bedeutet aber gerade T ⊂ S. Ist T ⊂ R selbst schon abgeschlossen, so folgt also, dass T = T . Insbesonere ist für jede Teilmenge T ⊂ R die Gleichheit (T ) = T erfüllt. 4. Reihen, Konvergenzkriterien für Reihen Zur Definition von Reihen und zu einigen Beispielen siehe [F], S. 35-37 und S. 62-64. 10 BERNHARD HANKE Als erste Anwendung besprechen wir die b-adischen Entwicklungen reeller Zahlen bezüglich einer Basis b (d.h. b ∈ N und b ≥ 2). Dies ist in [F], S. 44-46 , nachzulesen. Bei der Darstellung der Konvergenzkriterien für Reihen richten wir uns nach [F], Abschnitt 7. Insbesondere besprechen wir den Umordnungssatz und Beispiel 7.9 in [F]. 5. Mächtigkeiten Definition. Zwei Mengen M, N haben die gleiche Mächtigkeit, falls es eine bijektive Abbildung ϕ : M −→ N gibt. Eine Menge heißt M abzählbar, wenn es eine surjektive Abbildung ϕ : N −→ M gibt. M ist abzählbar unendlich wenn M nicht endlich, jedoch abzählbar ist. Beispielsweise sind N und Z abzählbar unendlich. Endliche Mengen sind abzählbar. Lemma 5.1. Sei M abzählbar unendlich. Dann hat M die gleiche Mächtigkeit wie N. Beweis. Sei M unendlich und ϕ : N −→ M surjektiv. Wir definieren induktiv eine Folge (fn )n∈N von Abbildungen fn : N −→ M durch f0 := ϕ und für n ≥ 0 durch fn (x) falls x 6= n + 1 , fn (x) falls x = n + 1 und fn (n + 1) ∈ / fn ({0, . . . , n}) , fn+1 (x) := η falls x = n + 1 und fn (n + 1) ∈ fn ({0, . . . , n}) . Dabei ist η ∈ M \ fn ({0, . . . , n}) ein beliebiges Element (dieses existiert, da M unendlich ist). Durch vollständige Induktion beweist man für alle n ∈ N: (i) fn ist injektiv auf {0, . . . , n}, (ii) fn (x) = fn0 (x) falls x ≤ n0 ≤ n und (iii) ϕ({0, . . . , n}) ⊂ fn ({0, . . . , n}). Wir zeigen exemplarisch (iii) durch Induktion nach n. Der Induktionsanfang n = 0 ist klar, da f0 ({0}) = ϕ({0}) nach Definition von f0 . Aussage (iii) sei nun für n ∈ N bereits gezeigt. Wir beweisen, dass sie dann auch für n + 1 gilt. Wir unterscheiden wie bei der Definition von fn+1 zwei Fälle. Falls fn (n + 1) 6∈ f ({0, . . . , n}), so folgt fn+1 = fn und wir haben fn+1 ({0, . . . , n + 1}) = fn ({0, . . . , n}) ∪ {ϕ(n + 1)} ⊃ ϕ({0, . . . , n + 1}). Hier haben wir in der letzten Gleichung die Induktionsvoraussetzung benutzt und in der ersten Gleichung die Tatsache ϕ(n + 1) = fn (n + 1). Diese folgt daraus, dass bei der Konstruktion von fn die Werte von f0 = ϕ höchstens an den Stellen 1, . . . , n verändert wurden. Falls aber fn (n + 1) ∈ fn ({0, . . . , n}), dann erhalten wir die Inklusion ϕ({0, . . . , n + 1}) = ϕ({0, . . . , n}) ∪ {fn (n + 1)} ⊂ fn ({0, . . . n}) ⊂ ANALYSIS EINER VERÄNDERLICHEN (WS 08/09) 11 fn+1 ({0, . . . , n + 1}), wobei wir bei der vorletzten Inklusion wieder die Induktionsvoraussetzung verwendet haben. Insgesamt beweist dies (iii) für n + 1. Wir definieren nun ψ : N −→ M durch ψ(n) := fn (n) und zeigen, dass ψ bijektiv ist. Daraus folgt dann die Aussage des Lemmas. Für die Injektivität seien n, n0 ∈ N mit ψ(n) = ψ(n0 ). schränkung nehmen wir n0 ≤ n an. Dann gilt wegen (ii) Ohne Ein- fn (n0 ) = fn0 (n0 ) = ψ(n0 ) = ψ(n) = fn (n). Nach (i) istfn auf {0, . . . , n} injektiv. Daher haben wir n0 = n und ψ ist in der Tat injektiv. Für die Surjektivität von ψ sei m ∈ M . Wegen (iii) und weil ϕ surjektiv ist, ist die Menge {k ∈ N|m ∈ {fk (0), . . . , fk (k)}} nicht leer. Sei n das kleinste Element dieser Menge. Falls fn (n0 ) = m mit n0 < n, so gilt auch m ∈ {fn0 (0), . . . , fn0 (n0 )} nach (ii). Dies widerspricht der Minimalität von n. Also gilt m = fn (n) = ψ(n). Dies zeigt, dass ψ surjektiv ist. Aus Kapitel 9 von [F] wurden bewiesen: Satz 1, Corollar 1 (Abzählbarkeit von Q) und Satz 2 (R ist nicht abzählbar). Nicht besprochen wurde Corollar 2 (S. 83 in [F]) 6. Die Exponentialreihe Nach einem Exkurs über die komplexen Zahlen (Definition, Rechenregeln, Konvergenz von Folgen und Reihen in C, Vollständigkeit von C, Beziehung zwischen Konvergenz in R und Konvergenz in C) behandeln wir die Exponentialreihe wie in Kapitel 8 von [F]. Insbesondere haben wir das CauchyProdukt absolut konvergenter Reihen besprochen (in C). Nicht behandelt wurde der Abschnitt “Numerische Berechnung von e” (S. 74–75 von [F]). Im Unterschied zu [F] verwenden wir gleich komplexe Variablen. An den Beweisen ändert sich dadurch nichts. In [F] wird die Exponentialfunktion im Komplexen in Kapitel 13 besprochen. Hier findet man auch alles, was über C gesagt wurde. Bis auf Satz 9 (Stetigkeit der Exponentialfunktion) haben wir Kapitel 13 von [F] behandelt. Mit Hilfe der Exponentialreihe definiert man die Funktionen sin, cos. An dieser Stelle folgen wir Kapitel 14 in [F], insbesondere verwenden wir reelle Variablen. Kapitel 14 aus [F] wurde bis einschließlich Satz 5 erklärt. Manchmal definiert man sin x und cos x als die y-, bzw. x-Koordinate des Punktes auf dem Einheitskreis, den man erhält, wenn man von 1 ausgehend auf dem Einheitskreis einen Bogen der Länge x gegen den Urzeigersinn durchläuft. Diese Definition stimmt mit der unsrigen (über die im Komplexen definierte Exponentialfunktion) überein. Da wir an dieser Stelle den Begriff der Bogenlänge noch nicht zur Verfügung haben, begnügen wir uns mit 12 BERNHARD HANKE der folgenden Plausibilitätsüberlegung. Es sei x ∈ R≥0 eine nicht-negative reelle Zahl und γ : [0, 1] → C , t 7→ eixt der Bogen auf dem Einheitkreis von 1 nach eix . Später werden wir sehen, dass dieser Bogen wirklich entgegen dem Urzeigersinn verläuft. Hier wollen wir nur den Ausdruck Ln := n−1 X k=0 n−1 |γ( X ix(k+1) ixk k k+1 ) − γ( )| = |e n − e n | n n k=0 für großes n behandeln. Dieser Ausdruck ist gleich der Länge des Polygonix 2ix zugs von 1 über e n , e n etc. nach eix und wir stellen uns vor, dass für wachsendes n dieser Ausdruck die Länge“ des Kreisbogens von 1 nach eix ” immer besser approximiert. Für alle k ∈ {0, . . . , n − 1} haben wir ix(k+1) ix(k+1/2) ix/2 −ix/2 ixk x |e n − e n | = |e n | · |e n − e n | = 1 · |2 sin( )| . 2n Somit erhalten wir sin( x ) x Ln = n · |2 sin | = |x| · | x2n | 2n 2n und letzerer Ausdruch strebt für wachsendes n gegen |x| · 1 = x (siehe [F], Kapitel 14, Corollar zu Satz 5). Damit ist im Rahmen dieser Plausibilitätsbetrachung die in Frage stehende Bogenlänge in der Tat gleich x. 7. Stetigkeit Wir folgen [F], Kapitel 10 und Kapitel 11 (ohne S. 103 unten bis S. 105 Mitte). 8. Elementare Funktionen, π Wir besprechen [F], Kapitel 12 ohne die Landau-Symbole (S. 118 unten bis S. 120 unten). Anschließend diskutieren wir die Definition von π mit Hilfe trigonometrischer Funktionen, siehe [F], Kapitel 14, S. 136 f. Die Umkehrungen der trigonometrischen Funktionen und die Polardarstellung komplexer Zahlen besprechen wir wie in [F], S. 141 f. 9. Differentiation [F], Kapitel 15 und 16 bis S. 168 oben. Für die Kettenregel ([F], Abschnitt 15, Satz 4) geben wir zusätzlich den folgenden alternativen Beweis, der auf der Charakterisierung von differenzierbaren Funktionen gemäß [F], Abschnitt 15, Satz 1, beruht. Satz 9.1 (Kettenregel). Seien f : D → R und g : E → R Funktionen mit g(E) ⊂ D. Ist g in x ∈ E differenzierbar und f in g(x) differenzierbar, so ist f ◦ g in x differenzierbar und es gilt (f ◦ g)0 (x) = f 0 (g(x)) · g 0 (x). ANALYSIS EINER VERÄNDERLICHEN (WS 08/09) 13 Beweis. Sei y = g(x). Da g in x und f in y differenzierbar sind, können wir schreiben g(x + h) = g(x) + g 0 (x) · h + R(h) f (y + k) = f (y) + f 0 (y) · k + S(k) wobei R und S Funktionen sind mit R(h) lim = 0, h→0,h6=0 h Damit erhalten wir lim k→0,k6=0 S(k) = 0. k (f ◦ g)(x + h) = f (g(x) + g 0 (x) · h + R(h)) = f (y) + f 0 (y) · k(h) + S(k(h)) wobei wir k(h) := g 0 (x) · h + R(h) gesetzt haben. Wir haben damit (f ◦ g)(x + h) = f (y) + f 0 (y) · g 0 (x) · h + f 0 (y)R(h) + S(k(h)) und unsere Behauptung folgt, wenn wir mit T (h) := f 0 (y) · R(h) + S(k(h)) zeigen können, dass T (h) lim = 0. h→0,h6=0 h Dies ist aber richtig, denn lim (f 0 (y) · h→0 R(h) h ) gilt nach Voraussetzung. Wei- terhin ist |k(h)| ≤ |g 0 (x)h + R(h)| ≤ c|h| mit einer festen Konstante c > 0, falls |h| klein ist (hier haben wir benutzt, dass nach Voraussetzung R(h) h beschränkt bleibt, falls h → 0). Wir erhalten somit S(k(h)) ≤ c S(k) h k und dieser Ausdruck geht für h → 0 gegen 0, denn falls h gegen 0 geht, dann auch k(h) (wegen |k| ≤ c|h|) und lim S(k) k = 0 nach Annahme. k→0 Wir beschließen dieses Kapitel mit einer kurzen Diskussion des NewtonVerfahrens (vgl. [F], S. 180 ff.), das einen effizienten Algorithmus zur Bestimmung von Nullstellen bereitstellt. Satz 9.2. Es sei f : [a, b] → R zweimal differenzierbar mit f (a) < 0, f (b) > 0 und f 00 (x) > 0 für alle x ∈ (a, b). Sei x0 ∈ [a, b] mit f (x0 ) ≥ 0. Wir definieren die Folge (xn )n∈N induktiv durch xn+1 := xn − f (xn ) . f 0 (xn ) Dann konvergiert (xn )n∈N monoton fallend gegen eine Nullstelle p ∈ (a, b) von f . Die Funktion f hat keine weiteren Nullstellen. Ist zusätzlich f ” nach oben beschränkt auf [a, b], so gibt es eine Konstante C > 0, so dass für alle n∈N |xn+1 − p| ≤ C|xn − p|2 , d.h. es liegt quadratische Konvergenz vor. 14 BERNHARD HANKE Beweis. Wir zeigen zunächst, dass f genau eine Nullstelle p ∈ (a, b) hat und dass f 0 (p) > 0. Nach dem Zwischenwertsatz gibt es jedenfalls eine Nullstelle p ∈ (a, b). Angenommen, f 0 (p) ≤ 0. Da f konvex, also f 0 monoton wachsend ist, gilt dann f 0 (x) ≤ 0 für alle x ∈ [a, p]. Somit ist f monoton fallend auf [a, p] und wegen f (a) < 0 gilt dann f (p) < 0. Widerspruch. Wir haben also gezeigt, dass f 0 (p) > 0 für jede Nullstelle p von f ist. Angenommen, es gibt noch eine weitere Nullstelle q 6= p. Ohne Einschränkung der Allgemeinheit ist q < p. Nach dem Mittelwertsatz ist f 0 (ξ) = 0 für ein ξ ∈ (q, p). Da f 0 monoton wachsend ist, folgt f 0 (q) ≤ 0, im Widerspruch zu f 0 (q) > 0. Wir zeigen nun, dass xn ≥ p für alle n ≥ 0. Insbesondere ist dann (nach dem gerade Gezeigten) auch f 0 (xn ) > 0 für alle n. Da f (x0 ) ≥ 0 nach Voraussetzung haben wir x0 ≥ p, denn f (x) < 0 für alle x ∈ [a, p) wie wir schon gesehen haben. Sei nun xn ≥ p schon bewiesen. Falls xn = p, so ist auch xn+1 = p und es folgt xn+1 ≥ xn ≥ p. Falls aber xn > p, so finden wir nach dem Mittelwertsatz ein ξ ∈ (p, xn ) mit f (xn ) = f 0 (ξ) ≤ f 0 (xn ) xn − p wobei die letzte Ungleichung benutzt, dass f 0 monoton wächst. Es folgt p ≤ xn − f (xn ) = xn+1 f 0 (xn ) wie behauptet. Aus dem bereits gezeigten folgt f (xn ) ≥ 0 und f 0 (xn ) > 0 für alle n ≥ 0. Daher ist für alle n ∈ N xn+1 = xn − f (xn ) ≤ xn f 0 (xn ) und die Folge (xn ) ist monoton fallend. Da außerdem (xn ) durch p nach unten beschränkt ist, konvergiert (xn ) - sagen wir gegen x ∈ [a, b]. Es gilt x = lim xn+1 = lim (xn − n→∞ n→∞ f (x) f (xn ) )=x− 0 0 f (xn ) f (x) da f und f 0 nach Voraussetzung differenzierbar, also stetig sind und außerdem f 0 (x) 6= 0, da x ≥ p. Aus dieser Gleichung folgt aber f (x) = 0 und damit gilt x = p, denn p ist die einzige Nullstelle von f . Die Folge (xn ) konvergiert also in der Tat monoton fallend gegen p. Zur Fehlerabschätzung: Falls xn = p, so ist p = xn = xn+1 = . . . und die Fehlerabschätzung gilt mit einem geeigneten C (es sind ja nur endlich viele Ungleichungen zu kontrollieren). Es sei also xn > p. Nach dem Mittelwertsatz gibt es ein α ∈ (p, xn ), so dass f (xn ) = f 0 (α) xn − p ANALYSIS EINER VERÄNDERLICHEN (WS 08/09) 15 also f (xn ) . f 0 (α) Setzen wir die rekursive Definition von xn+1 ein, führt dies auf p = xn − xn+1 − p = f (xn ) f (xn ) f (xn ) − 0 = 0 (f 0 (xn ) − f 0 (α)) . 0 f (α) f (xn ) f (α) · f 0 (xn ) Wieder nach dem Mittelwertsatz gibt es ein γ ∈ (α, xn ) mit f 0 (xn ) − f 0 (α) = f 00 (γ)(xn − α) . Setzen wir dies und die Gleichung f (xn ) = f 0 (α)(xn − p) in die vorherige Gleichung ein, liefert dies xn+1 − p = f 0 (α) · f 00 (γ) (xn − p)(xn − α) . f 0 (α) · f 0 (xn ) Nach Annahme existiert eine obere Schranke K > 0 von f 00 : [a, b] → R. Da f 0 (p) ≤ f 0 (xn ) (denn f 0 ist ja monoton wachsend) ist also xn+1 − p ≤ so dass mit C := K f 0 (p) K f 0 (p) (xn − p)2 , die letzte Behauptung des Satzes gilt. Als Beispiel betrachten wir die auf [0, ∞) definierte Funktion f (x) := xk − a wobei a > 0 eine feste reelle Zahl und k ≥ 2 eine natürliche Zahl ist. f ist zweimal differenzierbar und f 0 (x) = kxk−1 und f 00 (x) = k(k − 1)xk−2 . Insbesondere ist f 00 auf (0, ∞) und ist b > 0 eine beliebige reelle Zahl, so ist f 00 > 0 auf [0, b] nach oben beschränkt. Das Newtonverfahren ist also anwendbar. Sei x0 > 0 eine reelle Zahl mit xk0 > a. Wir definieren rekursiv 1 f (xn ) xkn − a a = x − = (k − 1)xn + k−1 n 0 k−1 f (xn ) k kxn xn für n ≥ 0. Die so erhaltene Folge (xn )n∈N konvergiert monoton fallend √ und quadratisch gegen k a. Wir haben also das schon früher betrachtete rekursive Verfahren zur Berechnung der k-ten Wurzel wiedergefunden. xn+1 = x − 10. integration Wir richten und nach [F], Abschnitt 18. In der Vorlesung haben wir das Ober-, bzw. Unterintegral einer beschränkten Funktion f : [a, b] → R mit R b∗ I ∗ (f ), bzw. I∗ (f ) bezeichnet. In [F] wird hingegen die Notation a f (x)dx, Rb bzw. a∗ f (x)dx verwendet. Die Diskussion der Hölder- und MinkowskiUngleichung wird in [F] auf die entsprechende Diskussion in [F], Abschnitt 16, und die Betrachtung von Riemannschen Summen zurückgeführt. Wir wählen den folgenden, etwas direkteren Weg. 16 BERNHARD HANKE Definition. Es sei f : [a, b] → R eine integrierbare Funktion und p ≥ 1 eine reelle Zahl. Wir definieren die Lp -Norm von f durch kf kp := kf kLp [a,b] := Zb |f (x)|p dx 1 p . a Es folgt aus Sätzen der Vorlesung (siehe auch [F], Abschnitt 18, Satz 6), dass kf kp definiert ist. Satz 10.1. Für integrierbare Funktionen f, g : [a, b] → R gilt Rb a) (Höldersche Ungleichung) |f (x)g(x)|dx ≤ kf kp kf kq für alle reellen a Zahlen p, q > 1 mit p1 + 1q = 1. b) (Minkowskische Ungleichung) kf + gkp ≤ kf kp + kgkp für alle reellen Zahlen p ≥ 1. Beweis. Zu a). Es seien p, q > 1. Angenommen kf kp = 0. Wegen der UnR p gleichung |f (x)| ≤ |f (x)| für alle x ∈ [a, b] gilt dann auch 0 ≤ |f (x)|dx ≤ R |f (x)|p dx = 0. Ist nun g : [a, b] → R ebenfalls integrierbar, und somit beschränkt, haben wir also, Z Z Z |f (x)g(x)|dx ≤ |f (x)| · |g(x)|dx ≤ max |g(x)| · |f (x)|dx = 0 x∈[a,b] und die behauptete Ungleichung gilt. Ebenso zeigt man, dass die Ungleichung gilt, falls kgkq = 0. Wir nehmen also an, dass kf kp 6= 0 und kf kq 6= 0. Wir betrachten die integrierbaren Funktionen f1 , g1 : [a, b] → R, definiert durch |f (x)|p |g(x)|q f1 (x) := g1 (x) := . p , kf kp kgkqq Nach der verallgemeinerten Ungleichung zwischen dem arithmetischen und geometrischen Mittel (die wir aus der Konkavität der Logarithmusfunktion gefolgert haben, siehe auch [F], Hilfssatz auf Seite 168) ist für alle x ∈ [a, b] f1 (x)1/p g1 (x)1/q ≤ f1 (x) g1 (x) + p q und damit Zb a 1 |f (x)g(x)| dx ≤ kf kp kgkq p Zb 1 f1 (x)dx + q a Zb g1 (x)dx . a Da die rechte Seite gleich 1 ist, folgt die Höldersche Ungleichung. Zu b) Falls p = 1, folgt die Minkowksische Ungleichung direkt aus der Dreiecksungleichung und der Monotonie des Integrals: kf + gk1 = Zb a |f (x) + g(x)|dx ≤ Zb a (|f (x)| + |g(x)|)dx = kf k1 + kgk1 . ANALYSIS EINER VERÄNDERLICHEN (WS 08/09) 17 Es sei also nun p > 1. Wir wählen (das eindeutig bestimmte) q > 1 mit 1 1 p + q = 1 und betrachten die integrierbare Funktion h(x) := |f (x) + g(x)|p−1 . Hier setzen wir (wie auch schon früher) 0ξ := 0 für alle reellen Zahlen ξ > 0. Dann ist h(x)q = |f (x) + g(x)|q(p−1) = |f (x) + g(x)|p und somit khkq = kf + gkp/q p , wobei die Identität p = q(p − 1) benutzt wurde. Daraus folgt Zb |(f +g)h| ≤ a Zb a Zb |f h|+ |gh| ≤ (kf kp +kgkp )khkq ≤ (kf kp +kgkp )kf +gkp/q p . a p/q gkp Falls kf + = 0, so ist auch kf + gkp = 0 und die Minkowskische p/q Ungleichung gilt. Falls aber kf + gkp > 0, so können wir die letzte Ungleichung durch diese Zahl teilen und erhalten (da die linke Seite mit kf + gkpp übereinstimmt) die Ungleichung p− pq kf + gkp Da p − p q ≤ kf kp + kgkq . = 1 ist das genau die Minkowskische Ungleichung. Definition. Es sei V ein reeller Vektorraum. Eine Abbildung k−k : V → R heißt Norm auf V , falls folgendes gilt: i. Für alle v ∈ V gilt kvk ≥ 0 und Gleichheit tritt genau dann ein, falls v = 0. ii. Für alle v ∈ V und λ ∈ R ist kλvk = |λ|kvk. iii. Für alle v, w ∈ V gilt die Dreicksungleichung kv + wk ≤ kvk + kwk. Wir haben also gezeigt, dass für alle p ≥ 1 die Lp -Norm auf dem RVektorraum der integrierbaren Funktionen [a, b] → R alle Eigenschaften einer Norm besitzt, außer derjenigen, dass kf kp = 0 nur dann eintreten kann, falls f = 0. Beispielsweise ist die Funktion f : [0, 1] → R mit f (t) := 0, R1 falls t 6= 0 und f (0) := 1 integrierbar mit 0 f (x)dx = 0, aber f ist nicht die Nullfunktion. Im Rahmen der Lebesgueschen Integrationstheorie werden Funktionenräume konstruiert, auf denen die Lp -Normen echte Normen sind. Für Vektoren (x1 , . . . , xn ) ∈ Rn und reelle Zahlen l ≥ 1 definiert man die sogenannten lp -Norm durch die Vorschrift kxkp := n X k=1 Lp -Norm |xk |p 1 p . Dies können wir auch als einer geeigneten, auf [0, n] definierten Treffenfunktion auffassen. Aus Theorem 10.1 erhalten wir somit 18 BERNHARD HANKE P • (Höldersche Ungleichung) nk=1 |xk yk | ≤ kxkp · kykq für alle p, q > 1 mit p1 + 1q = 1. • (Minkowskische Ungleichung) kx + ykp ≤ kxkp + kykp , falls p ≥ 1. Man überlegt sich leicht, dass die lp -Norm auf Rn wirklich eine Norm ist. Für p = 2 ist das die gewöhnliche Euklidische Norm. Die Höldersche Ungleichung heißt in diesem Zusammenhang Cauchy-Schwarzsche Ungleichung. Wichtig ist nun [F], Abschnitt 19, bis (19.20). Einige Beispiele zur Berechnung unbestimmer Integrale wurden in der Vorlesung nicht besprochen, sollten aber selbständig nachgearbeitet werden. Zur Integration rationaler Funktionen mittels Partialbruchzerlegung verweisen wir auf Walter: Analysis 1, 11.5. (das allgemeine Verfahren zur Partialbruchzerlegung wurde nicht besprochen und ist nicht prüfungsrelevant). Wir besprechen [F], Abschnitt 20, bis einschließlich Satz 3. In der Vorlesung am 26.1. wird zunächst das Beispiel (19.21) aus [F] besprochen und damit die Wallis’sche Produktdarstellung von π/2 hergeleitet (siehe [F], Beispiel (19.22)). Weiterhin wird mit dem Riemannschen Lemma ([F], Satz 6 in Abschnitt 19) Beispiel (19.23) aus [F] diskutiert und damit die Leibniz’sche Reihendarstellung von π/4 hergeleitet. 11. Gleichmäßige Konvergenz von Funktionenfolgen Siehe [F] Abschnitt 21 (ohne Beispiel (21.6)). Zusätzlich leiten wir noch explizite Formeln für den Konvergenzradius von Potenzreihen her. Als Vorbereitung beweist man Proposition 11.1 (Wurzelkriterium). Es sei (an )n∈N eine Folge komplexer p n ∗ Zahlen und L := lim sup |an |. Dann gilt P • Falls L∗ < 1, so konvergiertP ∞ n=0 an absolut. • Falls L∗ > 1, so divergiert ∞ n=0 an . Beweis. Es sei L∗ < 1. Wir wählen ein q ∈ R mit L∗ < p q < 1. Nach der Definition von lim sup gibt es dann ein N ∈ N, so dass n |an | ≤ q für alle n ≥ N . Dies bedeutet |an | ≤ q n für n ≥ N und die Behauptung P∞ folgt aus dem Majorantenkriterium und der absoluten Konvergenz von n=0 q n . Falls L∗ > 1, so existieren unendlich viele n ∈ N, so dass |an | > 1. Daher ist (an ) keine Nullfolge. Satz 11.2 (Cauchy-Hadamard). Es sei (an )n∈N eine Folge P komplexer Zahlen n und z0 ∈ C. Der Konvergenzradius R der Potenzreihe ∞ n=0 an (z − z0 ) ist gegeben durch 1 R= L p 1 wobei L := lim sup n |an |. Hier werden die Konventionen 10 = ∞ und ∞ =0 verwendet. Beweis. Nach dem Wurzelkriterium müssen wir den Ausdruck p p L∗ = lim sup n |an (z − z0 )n | = |z − z0 | lim sup n |an | = |z − z0 | · L ANALYSIS EINER VERÄNDERLICHEN (WS 08/09) 19 betrachten. Falls |z − z0 | < L1 , so gilt L∗ < 1 und falls |z − z0 | > L1 , so gilt L∗ > 1. Daher folgt die Behauptung aus dem Wurzelkriterium. P∞ existiert, Falls für die Reihe n=0 an (z − z0 )n der Grenzwert q := an+1 an so ist der Konvergenzradius dieser Potenzreihe gleich 1q wie man sich leicht mit Hilfe des Quotientenkriteriums überlegt. Diese Formel zur Berechnung des Konvergenzradius geht auf Euler zurück, ist aber im Gegensatz zur Cauchy-Hadamard’schen Formel nicht auf alle Potenzreihen anwendbar.