10-057

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Hessischer Rundfunk
hr2-kultur
Redaktion: Dr. Karl-Heinz Wellmann
Wissenswert
Weltraumstaub – ein Fenster zur Vergangenheit
Von Frank Eckhardt
Montag, 17.05.2010, 08.30 Uhr, hr2-kultur
Sprecher: Jochen Nix
10-057
COPYRIGHT:
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Seite 2
Anmod:
Wenn ein Meteorit auf die Erde fällt, ist das für Forscher mehr als ein
Klumpen Gestein: Es ist ein Fenster in die Vergangenheit des Weltalls. Denn
Meteoriten enthalten Staubkörner, die vor Milliarden Jahren aus den Resten
explodierter Sterne hervorgegangen sind. Der atomare Fingerabdruck der
Muttersterne ist auch heute noch in ihnen konserviert. Mit neuen Methoden
der Nano-Materialforschung nehmen Forscher diesen Sternenstaub
inzwischen unter die Lupe. Frank Eckhardt hat sie bei ihrer Arbeit
beobachtet.
Atmo
Nano-SIMS
Sprecher: Ein Labor in Mainz, im Max-Planck-Institut für Chemie. Eine mehrere Meter
lange, etwa mannshohe Apparatur füllt fast den ganzen Raum aus: ein
mattglänzendes Metallgehäuse mit einem komplizierten Gewirr aus Röhren,
Kabeln und Spulen, ergänzt um ein paar Computer-Monitore.
O-Ton 1
Hoppe
Ja, also wir stehen jetzt hier vor der Nano-SIMS und SIMS steht für
Sekundär-Ionen-Massenspektrometrie.
Sprecher: … erklärt der Astrophysiker Dr. Peter Hoppe. Die Anlage mit dem
komplizierten Namen ist eine der weltweit besten ihrer Art und kann
Sternenstaub aufspüren – winzige, Milliarden Jahre alte Staubkörner, die in
Meteoriten eingeschlossen sind.
Atmo
ausblenden
Sprecher: Bis der Sternenstaub ins Mainzer Labor gelangt ist, hat er eine lange Reise
hinter sich. Er ist älter als unser Sonnensystem, und das entstand immerhin
schon vor 4,6 Milliarden Jahren. Es ist der Überrest eines sterbenden
Sterns. Peter Hoppe.
O-Ton 2
Hoppe
Wenn ein Stern alt wird, verliert er sehr viel Masse. Das kann auf sehr
dramatische Art und Weise passieren, in einer Explosion, eine so genannte
Supernova, oder auf etwas ruhigere Art und Weise in roten Riesensternen,
Seite 3
die Materie durch Winde verlieren. Und in diesen Winden ist halt dieses
frisch synthetisierte Material, eben die schweren Elemente enthalten, und
die können dann zu Staub kondensieren, beispielsweise in der Umgebung
des Sterns. Dieser Staub bewegt sich dann durch das interstellare Medium
und ist auf diese Art und Weise letztlich auch in unser Sonnensystem
gelangt.
Sprecher: Diese Staubkörner sind mit dem bloßen Auge nicht zu sehen. Ihr
Durchmesser beträgt nur ungefähr ein Tausendstel eines menschlichen
Haares. Der feine, im ganzen Universum vorhandene Sternenstaub ist quasi
das Recyclingmaterial, aus dem neue Sterne entstehen. Das geschieht,
wenn sich Wolken aus solchem Staub und aus Gas bilden. Wird eine Wolke
groß genug, klumpen sich Staub und Gas unter ihrem eigenen Gewicht zu
einem neuen kompakten Himmelskörper zusammen. Dabei entsteht
ungeheuer große Hitze.
O-Ton 3
Hoppe
Es wird ja Gravitationsenergie freigesetzt, das ganze System wird heiß, im
Zentrum bildet sich ein Stern. Und bei solchen Temperaturen hat der
ursprünglich vorhandene Staub überhaupt keine Chance zu überleben, der
wird komplett zerstört. In den äußeren Bereichen des sich bildenden
Sternensystems ist es aber nicht so heiß. Und ein ganz kleiner Teil des
ursprünglich vorhandenen Staubs hat dort die Chance zu überleben.
Sprecher: Genau das geschah, als sich vor etwa 4,6 Milliarden Jahren unser
Sonnensystem aus den Resten von Vorläufersternen bildete. In den äußeren
Bereichen unseres Sonnensystems, weit entfernt von unserer Sonne,
„überlebte“ ein gewisser Anteil Sternenstaub. Allerdings blieb er zumeist
nicht als Staub erhalten, er wurde vielmehr von größeren Himmelkörpern
eingesammelt – von so genannten Asteroiden.
O-Ton 4
Hoppe
Ein Asteroid ist im Wesentlichen ein Kleinstplanet, Größenordnung
Kilometer bis, sagen wir mal, 1000 Kilometer groß. Die befinden sich zur
Hauptsache in Bahnen zwischen Mars und Jupiter. Die Asteroiden, die
kollidieren miteinander, es gibt sehr viele davon, dabei werden Bruchstücke
freigesetzt, und unter günstigen Voraussetzungen können solche
Bruchstücke auf die Erde gelangen.
Seite 4
Sprecher: Meteoriten heißen diese Bruchstücke, und jedes Jahr prasseln etwa 50.000
Tonnen Meteoriten-Material auf die Erde nieder. Das ist ungefähr so viel,
wie auf 1.200 Lastzüge passt. Die meisten Meteoriten sind kleiner als ein
Millimeter, doch nach den größeren kann man gezielt suchen.
O-Ton 5
Hoppe
Jedes Jahr gibt es Expeditionen, die gezielt nach Meteoriten suchen. Wo
findet man die? Zum Beispiel in der Antarktis. Wenn man einen Stein auf
dem Eis findet, dann ist die Chance sehr, sehr groß, dass es sich dabei um
einen Meteoriten handelt. Deswegen ist ein bevorzugtes Zielgebiet die
Antarktis, um Meteorite zu sammeln. Es gibt auch Expeditionen, die gehen in
die Sahara. Auch dort, wenn dort ein größerer Stein rumliegt, und eventuell
noch mit einer schwarzen Kruste versehen, ist auch da die Chance groß,
dass man einen Meteorit gefunden hat.
Sprecher: Die schwarze Kruste vieler Meteoriten entsteht, weil sie beim Eintritt in die
Erdatmosphäre erhitzt werden. Die Hitze ist allerdings nicht stark genug,
um den im Inneren enthaltenen Sternenstaub zu verändern oder zu
zerstören. Wird solch ein Meteorit gefunden, machen sich die Forscher
daran, den Sternenstaub in seinem Inneren aufzuspüren.
O-Ton 6
Hoppe
Der Meteorit besteht aus verschiedenen Bestandteilen. Einmal Sternenstaub, aber das ist nur ein ganz kleiner Bestandteil des Meteoriten, und
andererseits aus Mineralien, die im Sonnensystem selber entstanden sind.
Es gibt jetzt zwei verschiedene Arten, wie man an den Sternenstaub kommt.
Einmal kann man den chemisch separieren, das funktioniert aber nur für
kohlenstoffreichen Sternenstaub. Beispielsweise für Siliziumcarbid.
Siliziumcarbid können Sie relativ rein aus dem Meteoriten separieren.
Sprecher: Will man Sternenstaub zwischen den anderen Bestandteilen finden, muss
man dafür eine spezielle Methode anwenden – nämlich die Untersuchung
mit einer Nano-SIMS-Anlage, wie sie in Mainz steht. Dazu wird eine glatt
polierte Oberfläche des Meteoriten mit Ionen beschossen, das heißt mit
elektrisch geladenen Atomen. Durch diesen Beschuss werden kleinste
Teilchen des Meteoriten hochgeschleudert, und die kann man anschließend
untersuchen.
Seite 5
O-Ton 7
Hoppe
Ein Teil dieses Materials ist elektrisch geladen, die so genannten Ionen, und
diese Ionen, die kann man in ein Massenspektrometer überführen und dann
massenspektrometrisch untersuchen. Wir bestimmen damit dann IsotopenVerhältnisse…
Sprecher: …also die Mengen der unterschiedlich schweren Varianten eines
chemischen Elements…
O-Ton 8
Hoppe
… in diesem Fall beispielsweise für Sauerstoff. Und wir können jetzt so
genannte Isotopen-Landkarten erstellen, und finden dann, dass in gewissen,
lokal begrenzten Gebieten beispielsweise beim Sauerstoff, das Isotop mit
der Masse 17 stark erhöht ist. Und das ist eine ganz typische Charakteristik
für Sternenstaub.
Sprecher: Diese Isotopen sind vergleichbar mit Fingerabdrücken; mit ihrer Hilfe kann
man den Sternenstaub identifizieren.
O-Ton 9
Hoppe
Und dann kann man in einem zweiten Schritt sagen, o.k., jetzt habe ich die
Isotopenhäufigkeiten bestimmt, jetzt möchte ich noch etwas über Struktur
und Chemie dieser Körner wissen. Und da kommt dann die Elektronenmikroskopie ins Spiel.
Sprecher: Damit lassen sich dann weitere Aussagen machen: beispielsweise, aus
welchen Materialien das Staubkorn besteht, ob es eine Kristallstruktur hat,
wie hoch der Druck war, unter dem es entstand. Ein winziges Korn, ein
Tausendstel so dick wie ein Haar – doch für die Forscher ist es ein Fenster
in die Vergangenheit des Universums.
Musik
Sprecher: Es gibt aber nicht nur in Meteoriten gebundenen Sternenstaub – sondern
auch solchen, der frei durch das Weltall fliegt. Dieser interstellare Staub,
wie er genannt wird, kann nicht auf die Erde fallen – er verglüht vorher in
Seite 6
der Atmosphäre. Um dennoch Proben davon zu bekommen, startete die
NASA im Jahr 1999 ihre Mission „Stardust“. Sieben Jahre lang war eine
unbemannte Raumsonde unterwegs, ausgerüstet mit einem speziellen
Staubfänger, erläutert Frank Brenker. Er ist Professor für
extraterrestrische Prozesse an der Universität Frankfurt.
O-Ton 10
Brenker
Der Fänger, der ist etwa einen Quadratmeter groß, und der sieht ein
bisschen aus wie ein Tennisschläger. Man kann sich das wirklich auch wie
einen Tennisschläger vorstellen, nur dass halt die Lücken zwischen den
Saiten gefüllt sind. Und in dem Fall gefüllt mit einem Hightechstoff, den
nennt man Aerogel. Das ist eine Art Glasschaum, der fast nur aus Luft
besteht, also zu 99,9 Prozent aus Luft. Und die Idee dabei ist, diese Partikel,
die ja mit sehr hohen Geschwindigkeiten auftreffen, sehr schonend
abzubremsen. Und das ist wirklich schwierig. Bei dem Kometenstaub waren
das etwa 20.000 Stundenkilometer, die Auftreffgeschwindigkeit, bei dem
interstellaren Staub sind es sogar etwa 50.000 Stundenkilometer.
Sprecher: Der Schaum aus hauchdünnem Glas sollte verhindern, dass Partikel beim
Aufprall erhitzt oder zerstört wurden. Das Prinzip: Ein Staubpartikel
durchschlägt Tausende von winzigen, hintereinander liegenden
Glasscheiben und wird dadurch schonend abgebremst.
O-Ton 11
Brenker
Wir rechnen bei dieser Stardust-Mission mit etwa 30, vielleicht 40 Körnern,
die eingeschlagen sind tatsächlich, die wir wiederfinden können. Und
dadurch, dass die Partikel sehr klein sind, sind natürlich auch die Einschlagspuren und die Spuren, die hinterlassen werden auf der Oberfläche, sehr
gering.
Sprecher: Einen Quadratmeter nach Staubkörnern abzusuchen – das klingt nach einer
lösbaren Aufgabe. Doch die Staubpartikel sind derart klein, dass es extrem
schwierig ist, sie zu finden. Die Suche nach der Nadel im Heuhaufen ist
dagegen ein Kinderspiel.
O-Ton 12
Brenker
Seite 7
Man muss sich das so vorstellen, dass wenn Sie ein Fußballfeld haben und
Sie suchen jetzt nach dem einen Grashalm, der relevant ist für unsere
Untersuchungen. Und da muss man wirklich Grashalm für Grashalm sich
angucken, um herauszufinden, welcher – in dem Fall – interstellar wäre.
Und das sind inzwischen etwa 30.000 Laien und Profis, die da mitarbeiten,
um diese Einschläge zu suchen.
Sprecher: Die Stardust-Forscher haben bisher ein Drittel des Staubfängers mit dem
Elektronenmikroskop abfotografiert. Dabei sind Millionen von Bildern
entstanden, die einzeln abgesucht werden müssen, um Einschlagspuren von
Sternenstaub zu finden. Fast 30.000 Freiwillige haben sich daher bereit
erklärt, den Forschern unentgeltlich zu helfen. Manche von ihnen opfern
dafür einen Großteil ihrer Freizeit. Doch die Ausbeute ist, vorsichtig
ausgedrückt, bisher noch bescheiden.
O-Ton 13
Brenker
Da gibt es bisher eigentlich nur eine Einschlagspur, bei der man sich relativ
sicher ist, dass es interstellar sein könnte, sag ich mal. Zumindest ist das
der beste Kandidat, der bisher gefunden wurde. Und da sitzen zwei Körner
drin, in dieser Einschlagspur. Und die haben wirklich chemische
Zusammensetzungen auch, die darauf hinweisen, dass es interstellar sein
sollte.
Musik
Sprecher: Eine Raumsonde durchstreift sieben Jahre lang das Weltall. Zehntausende
Freiwillige investieren Hunderttausende von Arbeitsstunden, um Bilder zu
sichten. Expeditionen werden in die Antarktis und in die Sahara geschickt,
um Meteoriten zu sammeln. Diese werden in aufwändigen Anlagen mit
Atomen beschossen. [zweifelnd:] Und das alles, um ein paar winzige Körner
Sternenstaub zu finden...
O-Ton 14
Hoppe
<lacht> Das ist natürlich Grundlagenforschung pur… <Stimme oben>
Seite 8
Sprecher: …sagt der Astrophysiker Peter Hoppe. Denn der Sternenstaub gibt den
Forschern Antworten auf Fragen, die grundlegender kaum sein könnten:
zum Beispiel zum Entstehen der Sterne und der chemischen Elemente.
O-Ton 15
Hoppe
Ein Stern typischerweise besteht zur Hauptsache aus Wasserstoff und
Helium, wenn er sein Leben beginnt. Und er kontrahiert unter der
Gravitationskraft, und dann wird es heiß im Inneren des Sterns, und dann
zünden Kernfusionsreaktionen. Und in diesen Kernfusionsreaktionen wird
einerseits Energie erzeugt, das bringt die Sterne zum Leuchten. Auf der
anderen Seite werden dabei aber auch schwerere chemische Elemente
erzeugt. Beispielsweise führt die Fusion von drei Helium-Kernen zu einem
Kohlenstoff-12-Kern. Und dieser Prozess setzt sich fort bis zu schweren
Elementen in der Eisengruppe beispielsweise.
Sprecher: Sterne sind quasi die Fabriken, in denen die chemischen Elemente
hergestellt wurden und werden. Was dabei passiert, können die
Wissenschaftler mit Hilfe des Sternenstaubs genauer in Erfahrung bringen.
O-Ton 16
Hoppe
Wir können also quasi über diesen Sternenstaub die KernfusionsReaktionen im Inneren der Sterne nachvollziehen. Also diese Sternenstaubkörner sind sozusagen ein Tagebuch der Sterne, in denen ihr Leben
aufgezeichnet wird.
Sprecher: Und nicht nur das, ergänzt Frank Brenker: Die in Meteoriten
eingeschlossenen Staubkörner erlauben einen Blick zurück zu den
Anfängen unseres eigenen Sonnensystems. Denn für die Forscher steht
fest…
O-Ton 17
Brenker
… dass das die Grundbausteine unseres Sonnensystems sind und waren. Sie
haben natürlich an der Durchmischung unseres Sonnensystems nicht
teilgenommen, aber deshalb erlaubt es uns ja auch einen Blick direkt auf
das Umfeld der Bildung unseres Sonnensystems. Es ist natürlich schon
spannend zu gucken, was waren das überhaupt für Sterne, die Material
geliefert haben für unser Sonnensystem. Waren da viele Rote Riesen
Seite 9
beteiligt, oder waren Supernova-Explosionen beteiligt etc. Das ist einfach
der Ursprung unseres Sonnensystems, den wir versuchen zu
rekonstruieren.
Sprecher: Auch der frei im All herum schwebende Staub, den die Stardust-Mission
gesammelt hat, kann den Wissenschaftlern wichtige Informationen liefern:
Ein Strom aus Staubkörnern führt nämlich kontinuierlich Materie aus
anderen Teilen der Galaxie in unser Sonnensystem.
O-Ton 18
Brenker
Wir wissen noch nicht so wahnsinnig viel über die Körner bisher, aber von
den Messungen, die im Weltall bisher durchgeführt wurden, ist man sich
relativ sicher, dass etwa die Hälfte dieser Materie organische Zusammensetzung hat, also Kohlenwasserstoffverbindungen sind. In dem Augenblick,
wo Kohlenwasserstoffe transportiert werden können, die nicht mal aus
unserm eigenen Sonnensystem kommen, ist das natürlich eine spannende
Frage – was wird da transportiert?
Sprecher: Die Antwort darauf hat möglicherweise etwas mit dem Ursprung des Lebens
zu tun. Schon lange wird spekuliert, dass die Grundbausteine des Lebens
aus dem All auf die Erde gelangt sein könnten. Sind die organischen
Verbindungen im Sternenstaub ein Hinweis in diese Richtung? Das ist bisher
noch ungeklärt. Doch die Forschung am Sternenstaub geht weiter – und
könnte noch für so manche Überraschung gut sein.
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