1 Einleitung

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1
Einleitung
Theodor Mommsen hielt nichts von Kaiser Gallienus. Er schreibt in einem Brief
an seinen Schwiegersohn vom 5. Februar 1884 Folgendes: „Grüß Marien; ich
hätte ihr geschrieben längst, wenn mir nicht Kaiser Gallienus alle Laune
verdorben hätte ... .“1 Diese launige Bemerkung blieb nicht die einzige; auch in
seinen Vorlesungen äußerte er sich in diese Richtung: „Man muss zugeben, dass
vielleicht nie ein Mensch vor einer schwierigeren Aufgabe gestanden hat als
Gallienus. Er soll früher als Offizier ganz tüchtig gewesen sein, aber der großen
Feldherrenaufgabe war er nicht gewachsen. Er ließ die Dinge gehen,
gleichgültig und weibisch. Es ist ein eigenes Verhängnis, dass in derselben Zeit,
wo Zenobia, ein heldenhaftes Weib, Palmyra gegen den östlichen Ansturm
mannhaft verteidigte, Gallienus sich in Weibertracht auf seinen Münzen als
Galliena Augusta verherrlichte - es ist der Gipfel der Schande. Die einzelnen
Reichsteile mussten selbst für ihre Sicherheit sorgen.“2 Ähnlich auch das Bild
im fünften Band seiner „Römischen Geschichte“: „Valerian war schwach und
bejahrt, Gallienus fahrig und wüst, und der Lenkung des Staatsschiffs im Sturme
weder jener noch dieser gewachsen. Zu einer wirklichen Wendung zum
Besseren kam es nicht, solange Gallienus den Thron einnahm.“3 Dieses Bild von
der Herrschaft des Gallienus beeinflusste in der Forschung Zeitgenossen und
Nachwelt auf Jahrzehnte hin.
Im Jahr 253 wurde Licinius Gallienus von seinem Vater Licinius Valerianus
I. zum Mitaugustus berufen.4 Damit amtierten das letzte Mal gebürtige
Senatoren als Kaiser. Während Valerian I. angeblich während der Wirren des
Jahres 238 sowie unter den Kaisern Decius und Trebonianus Gallus eine
politische Rolle spielte,5 liegt Gallienus’ Werdegang vor diesem Jahr im Dunkel.
Er tritt wie aus dem Nichts in die Geschichte.
Vater und Sohn einigten sich auf eine Aufgabenteilung in der
Grenzverteidigung. Erstmals seit dem ähnlichen Ansatz unter Marc Aurel und
Lucius Verus6 sowie teilweise unter Philippus I. Arabs mit dessen Bruder Priscus
im Osten und wahrscheinlich dem Schwiegervater an der Donau7 wurde ein
solches Konzept verwirklicht. Diesmal geschah es aber deutlicher erkennbar. Im
1
2
3
4
5
6
7
12
Calder / Kierstein 2003, 251.
Mommsen 2005, 469.
Mommsen 2001, 225.
S. Kapitel 4,1.
H A Gord. 9,7; HA Val. 5,4-6. 5,9, Zos. 1,14,1; Zon. 12,20.
Birley 1987.
Körner 2002, 54ff.
Laufe der Herrschaft wurden auch nacheinander Gallienus’ Söhne Valerian II.
und Saloninus als Teilherrscher herangezogen.8 Dieses zukunftsweisende Prinzip
sollte sich in der Tetrarchie und in der konstantinisch-valentinianischen Dynastie
des vierten Jahrhunderts ebenfalls durchsetzen. Ein Herrscher allein konnte die
zahlreichen Aufgaben nicht mehr bewältigen. Zugleich waren die Gegner, die
sich häufig zu Großverbänden zusammengeschlossen hatten, gefährlicher
geworden. Bereits in den Jahrhunderten zuvor wären vermutlich ähnliche
Probleme aufgetreten, wenn die außenpolitische Situation für Rom damals nicht
günstiger gewesen wäre. Durch neue Zentren mit Münzstätten unter Gallienus
und Valerian I. wie Mediolanum, Colonia Agrippinensis, Viminacium oder
Siscia9 wurde der Trend des immer häufiger aus Rom abwesenden Herrschers
verstärkt und die Dezentralisierung des Reiches befördert, was der
Verteidigungsfähigkeit zugute kam. Andererseits erleichterten es diese
Änderungen Usurpatoren, sofort ein eigenes Herrschaftszentrum mit Münzstätte
vorzufinden und so ihre Herrschaft einfacher konsolidieren zu können, wie es in
der hier behandelten Zeit vorkam.10
Im Jahr 260 wurde Gallienus Alleinherrscher, wobei er allerdings
unfreiwillig in Postumus einen Konkurrenten im Westen dulden und in
Odaenathus im Osten einen de facto-Mitherrscher selbst ernennen musste.11 Im
Jahr 268 schließlich kam Gallienus durch eine Verschwörung seiner hohen
Offiziere ums Leben.12
In mancherlei Hinsicht hatte sich das Reich während seiner Herrschaft in
einem fortlaufenden Prozess deutlich verändert: Die Vergabe von Ämtern in
Militär und Verwaltung folgte ungefähr seit der Alleinherrschaft des Gallienus
teilweise anderen Prinzipien als noch vor deren Beginn.13 In seiner Zeit wurden
gerade auf dem Gebiet der Münzprägung neue Möglichkeiten der
Herrschaftsdarstellung geschaffen.14 Die Christen waren im Zeitraum 260/2 bald
nach Antritt der Alleinherrschaft erstmals in der römischen Geschichte offiziell
anerkannt worden und konnten Rechtssicherheit genießen. Unter Valerian I.
waren sie noch schwer verfolgt worden.15 Diese Änderungen wurden alle unter
Gallienus vollzogen oder beschleunigt. Wenngleich im Jahr 268 keiner der
großen Problemherde wirklich gelöst war und die Lage sich wieder
8
9
10
11
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15
S.
S.
S.
S.
S.
S.
S.
S.
Kapitel
Kapitel
Kapitel
Kapitel
Kapitel
Kapitel
Kapitel
Kapitel
4,4.
5.
4,13.
4,10 und 4,13.
4,14.
12.
5.
8.
13
verschlechtert hatte, trug Gallienus doch indirekt zu deren Lösung bei, da seine
Nachfolger viele seiner Prinzipien übernahmen und weiterentwickelten. Damit
beeinflusste dieser Kaiser seine Zeit in erheblichem Ausmaß, auch wenn er
persönlich scheiterte.
Durch seine Förderung der Karrieresoldaten ermöglichte er den Aufstieg
vieler vor allem aus bescheidenen Verhältnissen in Illyrien stammender
Personen, die mit Claudius II., Aurelian und Probus auch die nächsten Kaiser
stellten. Ob ein Diokletian oder Konstantin I., die Gallienus’ Politik in Militär
und Verwaltung teils weiterführten, ohne die Veränderungen unter Gallienus in
der Personalpolitik ihre Positionen erreicht hätten, scheint fraglich, gehörten
Diokletian und Konstantins Vater Constantius I. doch zu jenen Karrieremilitärs,
denen durch die Reformen des Gallienus der Aufstieg in höchste Ämter erst
ermöglicht wurden.
Gallienus regierte auf dem Höhepunkt der krisenartigen Zuspitzung der
Ereignisse im dritten Viertel des dritten Jahrhunderts. Erste innere und äußere
Faktoren, die auf bedeutende strukturelle Probleme hinwiesen, begannen bereits
während des zweiten Jahrhunderts zu wirken und verstärkten sich ab den 230erJahren zunehmend.
Die traditionelle römische Militärstrategie war für die nun nötige defensive
Kriegsführung nicht mehr geeignet. Militärische Auseinandersetzungen fanden
jetzt auf Reichsgebiet statt, was große Schäden auf dem eigenen Territorium
verursachte, anstatt, wie in der Zeit davor, auf dem Terrain des Gegners.
Gallienus herrschte mit einer Regierungsdauer von 15 Jahren trotzdem am
längsten von allen sogenannten Soldatenkaisern, deren Regierung sonst nie
länger als neun Jahre (Postumus) währte. Alle Soldatenkaiser kamen auf
unnatürliche Weise ums Leben, die meisten wurden im Rahmen einer
Usurpation oder eines Militäraufstandes ermordet, Decius kam gegen die Goten
um, Valerian I. wurde von den Persern gefangengenommen und Claudius II.
starb an einer Seuche. Gallienus wurde als einziger im Rahmen einer exklusiven
Offiziersverschwörung ohne Beteiligung der Truppe beseitigt.
Valerian I. und Gallienus werden zu den Soldatenkaisern gezählt, obwohl sie
zum senatorischen Stand gehörten und ihren Aufstieg in einer klassischen
senatorischen Laufbahn vollzogen hatten.16 Valerian I. allerdings erlangte dank
eines militärischen Sonderkommandos an der oberen Donau und am Rhein die
Herrschaft, wenngleich er vom Senat nach Schaffung vollendeter Tatsachen
bestätigt wurde.
16
14
Eigentliche Soldatenkaiser waren lediglich Maximinus Thrax, Claudius II., Aurelian
und Probus.
Durch seine Reformen im Militärsektor, die zahlreichen Kriege und durch
seine offenbar intensive persönliche Beteiligung an den militärischen
Auseinandersetzungen ist die Bezeichnung des Gallienus als Soldatenkaiser
trotzdem zutreffend, zumal dieser Herrscher in der Notsituation von 260/1
besonders eng von den ihm verbliebenen Heeresteilen und den nun überwiegend
aus den Donauprovinzen stammenden Karriereoffizieren abhängig war. Für
Gallienus war somit aufgrund der großen militärischen Gefährdung militärischer
Erfolg noch wichtiger als für seine Vorgänger. Der Spagat zwischen einem aus
der senatorischen Oberschicht stammenden Kaiser, der sich von Haus aus mit
anderen Aristokraten, die häufig über unzureichende militärische Fähigkeiten
verfügten, umgeben musste, und einem Pragmatiker, der das Funktionieren des
Verwaltungssystems sicherzustellen hatte und dafür geeignetes Personal
benötigte, war auf Dauer nicht zu halten. Gallienus entsprach also trotz seiner
senatorischen Herkunft dem Bild eines Soldatenkaisers durchaus. Ein ,echter‘
Soldatenkaiser war vor ihm ohnehin nur Maximinus Thrax gewesen, wenngleich
auch die anderen Vorgänger ebenfalls bereits das Heer oder Teile davon als
einzige Stützen ihrer Herrschaft gehabt hatten und von diesem an die Macht
gebracht worden waren.17 M. Heil führt plausibel aus, dass sich durch das
Militär erhobene Kaiser zu jener Zeit nicht mehr auf andere Autoritäten berufen
konnten, zumal sie selbst durch diese Art ihrer Machtübernahme die frühere
Kontinuität zerstört hätten. Solche Umstände machten die jeweilige Herrschaft
unsicher, zumal sich der Kaiser oft nur des Heeresteils sicher sein konnte, der
ihn direkt an die Macht gebracht hatte, und dessen Unterstützung war nicht
selbstverständlich. Auch deshalb erscheint „Soldatenkaiser“ als passende
Bezeichnung.18 Gallienus hatte es insofern besser, als er im Jahr 260 bereits als
Kaiser eingeführt war. Andererseits musste er aber die durch die
Gefangennahme des Vaters drohende ,Sippenhaftung‘ in Form mehrerer
Usurpationen abwehren, was auch die betont militärische Münzprägung in den
Jahren 260 und 261 zeigt.19
Der Kaiser konnte es in jener Zeit nicht mehr wagen, umfassende
militärische Befugnisse zu delegieren und Unterführer größere Erfolge
gewinnen zu lassen. Für die Armee mussten in diesem System immer höhere
Ausgaben getätigt werden, die bereits seit den Severern durch eine zunehmende
Metallwertverschlechterung finanziert wurden. Vor allem der Silbergehalt der
Münzen ging zurück.20
17
18
19
20
Heil 2006, 421.
Heil 2006, 422.
S. Kapitel 5,1,2,1
S. Kapitel 11.
15
Versuche, die eigene Machtbasis etwa durch Dynastiebildung wie bei
Valerian I. oder Überhöhung der eigenen Herrschaft zu verbreitern und weniger
angreifbar zu machen, scheiterten an der zu kurzen Herrschaftsdauer aller
Kaiser.21 R. MacMullen schildert die herrschende Wahrnehmung der
zeitgenössischen Situation treffend: „We must imagine a government
confronting the gravest and most perplexing confusion of problems which it has
neither the historical sense to arrange in a chain of causes and effects nor the
individual analytical skills to divide into the man-made and the natural.“
Schlechte Ereignisse aber waren Zeichen fur einen schlechten, nicht ausreichend
tugendhaften Kaiser.22
Gallienus, erweckte seit der Antike bei den Historikern Interesse. Während
seiner Herrschaft vollzogen sich, den Zeitgenossen vermutlich großteils nicht
bewusst, in einer Krisenzeit unter Fortführung von im Gang befindlichen
Transformationen wichtige Prozesse und Weichenstellungen, die auf die Zeit der
Tetrarchie und danach hindeuten. In viele davon griff dieser Kaiser aktiv ein.
Die Herrschaft des Gallienus hatte somit an einem wichtigen Punkt der
Reichsgeschichte mit teils widersprüchlichen Entwicklungen eine bedeutende
Verbindungsfunktion. Zugleich versuchte dieser Kaiser aber auch, sich als
Herrscher im Stil der ,guten alten Zeit‘ darzustellen, wie für alle römischen
Kaiser üblich.
Bis zum Jahr 253 bezogen sich die Herrscher noch deutlich auf die 235
untergegangene Severerdynastie. Auch Valerian I. berücksichtigte severische
Herrschaftspraktiken, ohne dabei auf Neuerungen zu verzichten: So beteiligte er
seinen erwachsenen Sohn, wie oben erwähnt, als gleichberechtigten Mitregenten
an der Herrschaft und teilte so die militärischen Zuständigkeitsgebiete zwischen
zwei Herrschern auf, wodurch er seine Basis gegenüber etlichen Vorgängern
stärkte, und ging erstmals gezielt gegen die Christen vor.
Teils baute auch Gallienus auf der Tradition seiner Amtsvorgänger auf; ein
völliger Bruch wäre auch schwer vorstellbar. Die Bildung eines
Kaiserkollegiums wurde von Gallienus nach dem Tod des Saloninus im Jahr 260
aufgegeben. In vielen anderen Teilgebieten, vor allem dem militärisch­
verwaltungstechnischen, wo nun Karrieresoldaten in breitem Ausmaß in die
Spitzenpositionen gelangten, Reiterverbände immer mehr ins Zentrum rückten
und Militär- und Zivilverwaltung zunehmend getrennt wurden,23 sowie in der
den Kaiser überhöhenden Darstellung seiner Herrschaft,24 löste Gallienus sich
21
22
23
24
16
Heil 2006, 423f.
MacMullen 1976, 30f.
S. Kapitel 12.
S. Kapitel 5.
aber von seinen Vorgängern. Seine gezielten, teils auf einer im Fluss
befindlichen Entwicklung aufbauenden Maßnahmen führten hier zu neuen
Strukturen.25
Die alte Ideologie und damit die Rolle des Kaisers genügten offenbar durch
die Verdichtung der krisenhaften Zustände mit deren Höhepunkt in den 250erund 260er-Jahren allein nicht mehr zur Rechtfertigung der Herrschaft. Diese
Krise des Kaisertums erforderte neue Methoden. Einzelne Randgebiete wie das
„Dekumatland“ und zunehmend Dacia wurden aufgegeben, die Provinzen an
den gefährdeten Grenzen bezeichnet A. Alföldi als „Pufferstaaten“,26 während
die besten Truppen im Binnenland stationiert wurden und nur im Bedarfsfall in
die gefährdeten Randprovinzen ausrückten.27 Das Zentrum verlagerte sich damit
weg von der Stadt Rom.
Die fiskalische Krise des Staats mit erhöhten Kosten für Militärsold,
Donative, Grenzverteidigung, Befestigungsanlagen, Subsidien sowie im
Zusammenhang damit vermutlich spürbarer Erhöhung der Steuer- und
Abgabenlasten durch Kranzgold, Durchzug von Militäreinheiten oder
Einquartierungen bei gleichzeitiger Verwüstung vieler Grenzregionen, die damit
für die Bereitstellung finanzieller Mittel ausfielen, machte sich verstärkt
bemerkbar.28
Probleme wie eine Verschlechterung der Lage der Kolonen, Landflucht
sowie Probleme für die städtischen Oberschichten bei der Erfüllung ihrer
Liturgien sind bereits in der Zeit des Gallienus Tatsachen. Da diese Prozesse
sich über eine sehr lange Periode erstreckten, scheint die Situation in jener Zeit
aber noch nicht zu negativ bewertet werden zu dürfen.29 Solche wirtschaftlich­
gesellschaftlichen Probleme wurden außerdem von der militärischen und der
Legitimitätskrise überlagert. Auch die negativen Auswirkungen von Seuchen in
jener Zeit vor allem unter Trebonianus Gallus und Claudius II. sind nicht
quantifizierbar.30 Dasselbe gilt für das schwere Erdbeben unter Gallienus um
262.31
Die gegenwärtige Forschungsdiskussion kreist um die Anwendbarkeit des
Begriffes Krise, seitdem K. Strobel und C. Witschel meist gut begründete
Argumente gegen die Propagierung einer allgemeinen Krise vorgebracht
25
26
27
28
29
30
31
Johne / H artm ann 2008,1030.
Alföldi 1967, 233.
S. Kapitel 12.
Johne / Hartmann 2008, 1034; s. Kapitel 11,1.
Johne / H artm ann 2008,1035.
Aurel. Vict. Caes. 30,2; Zos. 1,27,3; Zon. 12,21. Johne / Hartmann 2008, 1035.
H A Gall. 5,2.
17
haben.32 In einigen Regionen herrschten Wohlstand und Frieden. Die kaiserliche
Autorität sowie die Verteidigungsfähigkeit des Reiches wurden jedoch teils über
die Belastbarkeit beansprucht. Grenzprovinzen vor allem an Rhein und Donau
erlebten häufig einen anhaltenden Niedergang. In solchen Gegenden kam es zu
langfristigen Wirtschaftskrisen und Produktionsausfällen. Die dortige
Bevölkerung wurde offenbar durch Entführung, Requisitionen seitens der
Armee, Zerstörung und Zwangsverpflichtungen geschwächt, was zusätzlich die
Gefahr von sozialen Unruhen mit sich brachte.33 Den Ausfall dieser Provinzen in
Bezug auf Steueraufkommen, annona militaris und Bevölkerungszahl mussten
die weiterhin relativ wohlhabenden Provinzen etwa in Nordafrika, Ägypten,
Teilen Kleinasiens und der Levante, im Norden der italischen Halbinsel oder auf
der Iberischen Halbinsel auffangen. Somit bekamen auch diese offenbar nicht
oder wenig betroffenen Gebiete die Krise zu spüren.34
Deshalb ist meiner Ansicht nach die Bezeichnung ,Krise‘ berechtigt, selbst
wenn tatsächlich nur die innere Instabilität des Systems und die zunehmenden
äußeren Kriege im engeren Sinn ,krisenhaft‘ gewesen sein sollten.35 Aber es
muss, wie Witschel aufgezeigt hat, dabei regional differenziert werden. Auch die
allmählichen Veränderungen bei der Besetzungspraxis der Stellen im
militärischen Bereich sind ein Hinweis auf Defizite, die jedoch bereits deutlich
vor dem Beginn der Herrschaft des Gallienus bestanden, so dass der Prozess
durch diesen Herrscher nicht initiiert, sondern beschleunigt wurde.
Religiöse, geistige und kulturelle Veränderungen traten in jener Zeit hinzu,
wenngleich Gallienus durch sein großes Interesse an griechischer Kultur, Kunst
und Bildung diesem Trend entgegenstand. Seine teilweise originelle
Münzprägung soll in diesem Zusammenhang genannt werden. Es wurden Mitte
des dritten Jahrhunderts keine großen Bauprogramme mehr aufgelegt, es kam zu
einem Rückgang bei der lateinischsprachigen Literatur. Dafür erlebten kleinere,
privatere Kunstformen einen Aufschwung.36 Unter den kulturellen
Entwicklungen ragen der Durchbruch des Christentums mit herausragenden
Vertretern wie den Bischöfen Cyprian von Karthago oder Dionysios von
Alexandria sowie das Entstehen des Neuplatonismus, der auch für Gallienus
eine gewisse Bedeutung hatte,37 hervor.
Seit 248/9 hatte sich die Legitimitätskrise der Kaiser durch äußere wie
innere militärische Probleme mit mehreren gefährlichen Gegnern gleichzeitig
32
33
34
35
36
37
18
Strobel 1993; Witschel 1999.
De Blois 2002.
S. Kapitel 11,1.
Ähnlich Heil 2006, 419.
Borg / Witschel 2001.
S. Kapitel 7,4.
verschärft. Philippus I. Arabs (244-249) hatte sich in der Schlussphase seiner
Amtszeit dreier Usurpationen zu erwehren, deren letzter durch Decius an der
unteren Donau, wo dieser ein außerordentliches Kommando über die Moesiae
und Pannoniae zur Kriegsführung gegen die Goten inne hatte, er schließlich im
Spätsommer 249 in einer Schlacht im Norden Italias oder Macedonia erlag.38
Unter Decius (249-251), der im Jahr 250 seine beiden Söhne an der
Herrschaft beteiligte, ließen die Probleme nicht nach. Bald erließ er ein
Opferedikt, das die gesamte Reichsbevölkerung zum Opfer verpflichtete. Auf
diese Weise sollten die Götter durch eine geschlossen hinter dem Staatskult
stehende Bevölkerung gnädig gestimmt werden. Christen fielen dabei als einzige
Verweigerer auf, was die Aufmerksamkeit der Zentrale auf diese ,Unruhestifter'
richtete und zu einer Konzentration der Maßnahmen auf diese führte.39 Parallel
dazu intensivierte dieser Kaiser eine in der römischen Tradition stehende
Münzprägung mit starkem Bezug auf seine kaiserlichen Vorgänger, durch die
Decius seine Grundeinstellung und Ziele der Reichsbevölkerung mitzuteilen
versuchte.40 Das Scheitern von Decius’ Maßnahmen auf diesem Gebiet führte
unter Valerian I. zu einem besser durchdachten Vorgehen gegen opferunwillige
Christen.41 Diese Maßnahmen sind eine Reaktion auf die zunehmenden
Probleme, deren Ursachen für die Zeitgenossen völlig unklar blieben. Decius
sah sich mit Problemen in Gallien, an der Donau und in Kleinasien sowie an der
persischen Grenze konfrontiert. Zudem machte eine Goteninvasion seinen
erneuten Aufenthalt an der unteren Donau nötig. Dort fand er in Kämpfen gegen
die Goten im Juni 251 den Tod.42
Trebonianus Gallus (251-253) folgte Decius in der Herrschaft. Die
Erlaubnis für die Goten, sich mit ihrer Beute und den Kriegsgefangenen in ihre
Heimat begeben zu dürfen, sowie die Zusage von Subsidien zeigt Roms
Schwäche.43 Der noch lebende jüngere Sohn des Decius wurde zunächst in einer
brüchigen Konstellation als Co-Augustus mit Trebonianus’ eigenem Sohn als
Caesar akzeptiert und von dem neuen Machthaber adoptiert, kam aber bald ums
Leben.44 Der militärische Druck an den Grenzen nahm unter Trebonianus Gallus
weiter zu. Ein Teil von Mesopotamia ging an die Sassaniden verloren.45 In
38
39
40
41
42
43
44
45
Zos. 1,21,1ff. Huttner 2008, 200-203.
Pietzner 2008b, 994-999.
Huttner 2008, 207f.
S. Kapitel 8,1.
Huttner 2008, 208-211.
Zos. 1,24,2; Zon. 12,21.
Zos. 1,25,1f.; Aurel. Vict. Caes. 30,2; Pseudo-Aurel. Vict. 30,2. Huttner 2008, 212f.
Wiesehöfer 2008, 539; Huttner 2008, 215.
19
Nordafrika sorgten einheimische Stämme für Unruhe,46 auch in Raetia scheint es
durch Alamannen zu Plünderungszügen gekommen zu sein. Weiterhin aktiv
blieben an der unteren Donau die Goten, die anscheinend die zugesagten
Subsidien nicht erhalten hatten.47
Mit Aemilius Aemilianus gab es offenbar erneut eine Person mit
außerordentlichem Kommando über die Moesiae und Pannoniae. Die Goten
wurden geschlagen, Aemilianus daraufhin Mitte 253 von seinen Truppen zum
Kaiser ausgerufen.48 Aemilianus rückte gegen Trebonianus Gallus vor, der
seinerseits Truppen aufstellte und den Konsular Licinius Valerianus, der gerade
an der oberen Donau ein vielleicht ebenfalls außerordentliches Kommando
innehatte, damit beauftragte, Truppen von der oberen Donau und vom Rhein
nach Italia zu holen. Bevor Valerian eingreifen konnte, wurde Trebonianus
Gallus mit seinem Sohn im Sommer des Jahres 253 in Umbrien angesichts der
numerisch überlegenen Truppen des Aemilianus von den eigenen Leuten
ermordet.49 Der Sieger wurde jedoch von Valerian und den diesem
unterstehenden Legionen nicht anerkannt. Valerian ließ sich seinerseits zum
Kaiser ausrufen.50
Unzulänglichkeiten des alten Systems, vor allem in der militärischen und
bürokratischen Organisation, kamen durch die genannten Konflikte ans
Tageslicht. Bisherige Strategien wie das Zusammenziehen eines Heeres an der
jeweiligen Grenze bei Gefahr wurden bei Gegnern an mehreren Grenzen
gleichzeitig zunehmend untauglicher. Der Kaiser konnte in einer solchen
Situation auch nicht mehr bei jeder Gefahrensituation persönlich anwesend sein
und durch sein Siegescharisma Zuversicht auslösen. Der Schrecken, den die
römische Armee auf ihre Gegner ausübte, lies nach, die militärische Stärke
Roms reichte nicht für alle Reichsgrenzen aus.51
Gallienus hatte zudem das Problem eines dauerhaften Usurpators Postumus
in Gallien, der an den Alpen Kräfte band, auch wenn dieser nie Anstalten
gemacht zu haben scheint, seinen reichsweiten Anspruch zu verwirklichen. Zwar
musste Gallienus auf diese Weise sein Herrschaftsgebiet nicht mehr vor den
Franken schützen, doch die neue innere Grenze in den Westalpen und Raetia
benötigte vielleicht nicht weniger Truppen. Durch diese innere Grenze entstand
im transdanubischen und transrhenanischen Raetien ein von Militär entblößtes
Gebiet. Dies erleichterte die Nutzung jenes Raumes als potenzielles
46
47
48
49
50
51
20
Gutsfeld 2008, 468; Huttner 2008.
Zos. 1,26,1; Zon. 12,21. Huttner 2008, 215.
Zos. 1,28,1f.; Iord. Get. 19, 105. Huttner 2008, 215f.
Zos. 1,28,2f.
Aurel. Vict. Caes. 32,1; Eutr. 9,7; Hier. chron. 220a; Oros. 7,22,1; Zon. 12,22.
Johne / Hartmann 2008, 1036f. 1041.
Aufmarschgebiet für Alamannen und verwandte Stämme, zumaljene bereits vor
diesem Termin begonnen hatten, sich, von Rom geduldet, in diesen Gebieten
niederzulassen.52
Zugleich stellte die Grenze an der mittleren und unteren Donau bereits seit
der späten Regierung des Philippus I. Arabs die größte Problemzone des Reiches
dar. Sie war von 247 an bis 261 Ort zahlreicher Usurpationen beziehungsweise
Auseinandersetzungen mit solchen (Pacatianus ca. 248/9, Decius 249,
Aemilianus 253, Ingenuus und Regalianus 259/60 oder 260/1, Macriani 261).
Häufig waren diese Vorkommnisse begünstigt von Einfallen auswärtiger
Raubscharen. Diese Provinzen hatten immer mehr groß angelegte Plünderzüge
der nördlichen Nachbarvölker zu erleiden, allen voran der Goten. Aber auch
Boranen, Markomannen, Quaden, Roxolanen, Iazygen und Karpen sorgten für
Gefahr. Gallienus konzentrierte sich nach seinen Dezennalien des Jahres 262 auf
die Konsolidierung dieser Grenze und es gab dort in der Tat in der Folgezeit
keine Aufstände mehr. Das geschah aber um den Preis, dass Gallienus die
Machtentfaltung des Usurpators Postumus im Westen nicht verhindern und
vielleicht erst im Jahr 266 gegen ihn vorzugehen in der Lage war.53 Bald wieder
aufflammende gotische Plünderungszüge offenbarten daraufhin prompt, dass die
Donaugrenze immer noch nicht als gesichert gelten konnte. Zugleich konnte
Gallienus durch diese Gebundenheit keine Präsenz im Osten zeigen, was zu
einer zunehmenden Verselbständigung der Herrschaft des verbündeten
Palmyreners Odaenathus bei nominaler Herrschaft Roms mit wie bisher von
Rom aus eingesetzten Statthaltern senatorischer und ritterlicher Provenienz
führte.
Bei der ständigen Gefahr eines Mehrfrontenkrieges reichten die zur
Verfügung stehenden militärischen Ressourcen nicht aus. Die Kräfte konnten
also nur schwer massiert werden, um einen der inneren oder äußeren Gegner
entscheidend zu besiegen. Auf Mehrfrontenkämpfe war das römische System
nicht ausgerichtet, wie sich sogar am Ende von Traians Herrschaft gezeigt hatte,
als er im Zweistromland abgeschnitten zu werden drohte, während sich die
Juden Ägyptens, der Kyrenaika und Zyperns sowie die Karpen in Dacien
erhoben.54 Zusätzlich ereigneten sich zahlreiche weitere Usurpationen in den
Jahren 260/2 sowie 268, die ihren Anteil an der wachsenden Unsicherheit hatten.
Unter den Severern zuvor und der Tetrarchie danach hatte es keine letztlich
erfolgreichen Usurpationen (nur kurz Macrinus und in Britannia Carausius)
52
53
54
Nuber 1998, 375.
S. Kapitel 4,13,5.
Strobel 2010, 377ff.
21
gegeben. Deren Herrschaft war also stabiler.55 Aurelius Victor und Eutrop
betrachten den Fortbestand des Reiches in der Zeit des Gallienus wie die
Historia Augusta als auf Messers Schneide stehend.56
Es blieben abgesehen von Fragmenten kaum zeitgenössische literarische
Werke erhalten. Cassius Dios Werk endet im Jahr 229, das von Herodian im Jahr
238. Die auf uns gekommenen Quellen setzen erst um 360 ein, sind sehr
widersprüchlich in ihren Schilderungen und schwanken teilweise zwischen
positiven und negativen Extremen. Die Historia Augusta etwa, den führenden
senatorischen Schichten der Hauptstadt verpflichtet, stellt Gallienus in
tiefschwarzen Farben dar, ohne positive Aspekte seiner Herrschaft unterdrücken
zu können. Ähnlich verhält es sich bei Aurelius Victor und mit Abstrichen bei
Eutrop. Die Entstehung des negativen Gallienus-Bildes dürfte verstärkt in der
Zeit der Tetrarchie erfolgt sein, wie ein Panegyrikus auf Constantius I. zeigt. Der
Bezug des Konstantin I. auf den Gallienus-Mörder und -Nachfolger Claudius
Gothicus ab dem Jahr 310 verstärkte die Tendenz, Gallienus negativ
darzustellen. Neutral bis positiv wird Gallienus dagegen bei byzantinischen
Autoren wie Zonaras, Anonymus post Dionem oder auch Zosimos behandelt.57
Die Inschriften und Münzen sowie manchmal Papyri vermögen in Bezug auf
unzureichende literarische Quellen teilweise Ersatz zu schaffen und korrigierend
zu wirken. Dennoch sind sogar einige chronologische Fragen in Bezug auf die
Herrschaft des Gallienus nicht vollständig geklärt.
Bereits der Christenfeind E. Gibbon in den 1780er-Jahren hielt wenig von
Gallienus’ herrschaftsrelevanten Fähigkeiten, umso mehr dagegen vom
Christenverfolger Valerian I.m Sein einflussreiches Urteil, dem in den letzten
Jahren noch D. Potter anhängt, lautet in engem Anschluss an die Historia
Augusta, dass Gallienus ein „light, ... various, ... inconstant character“ gewesen
sei. „... he attempted every art except the important ones of war and government.
He was a master o f several curious but useless sciences, a ready orator, a elegant
poet, a skillful gardener, an excellent cook and a most contemptible prince.“58
Den Zeitraum zwischen den Jahren 248 und 268 bezeichnet Gibbon als „twenty
years of shame and misfortune“, in denen das überall heimgesuchte Reich vor
seiner Auflösung gestanden sei.59 Die Rettung des Reiches obliegt für Gibbon
55
56
57
58
59
22
Darauf weisen Johne / Hartmann 2008, 1026, hin.
Aurel. Vict. Caes. 33,3f.; Eutr. 9,9,1.
S. Kapitel 2,1.
Gibbon 1994, 266; Potter 1990, 329.
Gibbon 1994, 253.
den illyrischen Nachfolgern des Gallienus. Das Werk prägte die Forschung für
lange Zeit.60
Eine etwas positivere Beurteilung erfährt Gallienus bei J. Burckhardt im
Jahr 1853, der ihm zugesteht, dass das vor dem Zusammenbruch stehende Reich
ohne sein Verschulden in eine schwierige Lage gekommen sei. Gallienus
versuchte, die verzwickte Situation zu bewältigen. Letztlich hält Burckhardt
Gallienus aber doch aufgrund seiner angeblichen Defizite („Indolenz“,
Genusssucht) als ungeeignet für die Bewältigung der Probleme.61
Auch A. von Domaszewski sieht die Zeit von Valerian I. und Gallienus
negativ und spricht von einer „Auflösung der Reichsgewalt“.62 H. Parker hält
das Jahr 268 für krisenhaft, M. Besnier, der die positive Meinung von L. Homo
und A. Alföldi von Gallienus kritisiert, zusätzlich das Jahr 260.63
Die große Wende, die bis hin zu einer positiven Bewertung dieses Kaisers
führte, trat ab Ende der 1920er-Jahre mit A. Alföldi ein, nachdem bereits L.
Homo im Jahr 1913 einen Aufsatz veröffentlicht hatte, in dem viele der
feststehenden Glaubenssätze und Klischees in Bezug auf Gallienus in Frage
gestellt worden waren, und dieser Kaiser für sein Vorgehen in der für Homo
schlimmsten Krise der Antike Lob erhielt.64
Alföldi stellt Gallienus als großen, vorausschauenden Kaiser voller Tatkraft
auf dem Höhepunkt der Krise um 260 mit großen Reformplänen auf dem
kulturellen, religiösen und militärisch-verwaltungstechnischen Gebiet dar.
Dieser Herrscher rettete für Alföldi letztlich das Reich durch die Initiierung von
Reformen, die Förderung der fähigen Illyrer und die persönliche Bewährung in
einer sehr schwierigen Lage.65
Eine positive Beurteilung des Gallienus findet sich auch 1926 bei M.
Rostovtzeff, der die Kaiser in jener Zeit der in seiner Sicht allgemeinen
Auflösung des Reiches allgemein als Opfer der Krise ansieht („The Roman
Empire was saved by the energy and persistency of Gallienus“). Seinem
persönlichen Trauma von der russischen Oktoberrevolution folgend lobt er die
Ablösung der als „Bourgeoisie“ bezeichneten, unfähigen Senatoren.66 F.
Altheim, H. Bengtson und A. Heuß folgen in ihren Gesamtdarstellungen der
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66
Gerhardt 2006, 385.
Burckhardt 1853, 19.
Domaszewski 1909, 297.
Parker 1935, 181f.; Besnier 1937, 179f. 191.
Homo 1913, 264ff.; Alföldi 1967 (gesammelte Aufsätze).
Alföldi 1967, 238. 424f.
Rostovtzeff 1957, 444. 460.
23
römischen Geschichte überwiegend Alföldi.67 Die Ergebnisse Alföldis setzten
sich insgesamt durch und blieben für mehrere Jahrzehnte prägend.
Monographien über die Herrschaft des Gallienus hat es im Lauf der Zeit
einige gegeben, keine jedoch hat versucht, alle Aspekte von dessen Herrschaft
darzustellen. Heute nicht mehr genügende Werke stammen von F. Rothkegel, T.
Vorbrodt, L. de Regibus, E. Manni und R. Hornsby.68 Eine neuere Monographie
hat L. de Blois vorgelegt, der die Alleinherrschaft des Gallienus behandelt und
sich unter Konzentration auf Herrschaftsdarstellung bei Gallienus und
Maßnahmen in Militär und Verwaltung auf die Darstellung der „policy“ des
Gallienus beschränkt. W. Kuhoff vermittelt in seinem Werk die meisten Aspekte
sehr kompakt mit dem Schwerpunkt Münzprägung. M. Christol, dessen in der
Bibliothèque interuniversitaire der Sorbonne in Paris einsehbare Thèse d ’Etat
unveröffentlicht blieb, konzentriert sich auf die Prosopographie des Zeitraums
253/68, chronologische Überlegungen in einem Anhang sowie die
Herrschaftsdarstellung des Gallienus.69 Der Forschungsstand dieser Werke ist
mittlerweile in mancherlei Hinsicht überholt und es wird darin nicht auf alle
Aspekte der Herrschaft des Gallienus eingegangen. Wichtig ist zudem die
Monographie von R. Göbl über die Münzprägung von Valerian I. und Gallienus,
trotz der schweren Benutzbarkeit des Werks.70 Zur Chronologie Göbls ist zudem
M. Pfisterer 2004 hinzuzuziehen. Hier soll auch auf den exzellenten Beitrag zur
Herrschaft von Valerian I. und Gallienus im Handbuch „Die Zeit der
Soldatenkaiser“ von A. Goltz und U. Hartmann auf immerhin 72 Seiten
hingewiesen werden, in dem Gallienus’ Politik vorsichtig positiv bewertet wird.
„Seine Maßnahmen boten erste Antworten auf die strukturellen Probleme des
Reiches und wiesen Wege aus der Krise.“71 Neuere Gesamtdarstellungen in
Abhandlungen zu jener Zeit oder zu den römischen Kaisern, die Gallienus
berücksichtigen, liegen, außer durch M. Christol 2006b, vor allem durch H.
Halfmann 1997, H. Bellen 1998, K. Christ 2002 und J. Drinkwater 2005 vor. Es
existieren zahlreiche wichtige Aufsätze über Teilaspekte der Zeit von Gallienus.
Es soll angemerkt werden, dass in dieser Arbeit die Herrschaft des
Gallienus, nicht seine Persönlichkeit, im Mittelpunkt steht, die sich, für die
Antike typisch, kaum erschließen lässt. Die Quellenlage erlaubt Aussagen über
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Altheim 1952, 268ff.; Bengtson 1967, 388f.; Heuß 92003, 430ff.
Rothkegel 1894 (Werk nicht vollendet); Vorbrodt 1923; de Regibus 1939 (11f.:
Gallienus eher positiv bewertet); Manni 1949; Hornsby 1952 (behandelt nur die Zeit der
gemeinsamen Herrschaft von Valerian I. und Gallienus).
De Blois 1976; Kuhoff 1979; Christol 1981 (Teile der Ergebnisse der Dissertation in
Christol 1986 und 2006b sowie in Aufsätzen veröffentlicht).
Göbl 2000; zur Kritik an dem Werk: Ehling 2003.
Goltz / Hartmann 2008, 295.
die Persönlichkeit antiker Persönlichkeiten in nur sehr wenigen Ausnahmefällen
wie Cicero, Marc Aurel, Julian oder Augustinus, von denen auch ausreichend
Selbstzeugnisse vorliegen. Ein Porträt des Zeitalters des Gallienus hingegen ist
möglich und soll hier versucht werden, zumal die Anzahl der bekannten
Münzen, Inschriften und Papyri seit den Arbeiten von Kuhoff 1979 und Christol
1981 weiter gewachsen ist.
Die Zeit des dritten Jahrhunderts, aufgrund der schwierigen Quellenlage
lange vernachlässigt, wird seit den 1990er-Jahren wieder intensiv bearbeitet.72
L. de Blois wie auch K. Christ warnen vor einer Überschätzung der
Herrschaft des Gallienus, da laut Christ trotz der klugen Einleitung von
Änderungen „auf seiner Regierung der Schatten der Erfolglosigkeit“ liege.73
Deshalb dürfe dieser Herrscher nicht überschätzt werden. H. Halfmann, der sich
stark auf Alföldi bezieht, kommt zu dem Schluss, dass sich das Charisma des
Kaisers am Ende seiner Herrschaft verbraucht hatte, und Gallienus im Angesicht
der Herausforderungen des Jahres 268 von der Armee deshalb fallengelassen
wurde.74 H. Bellen vermutet in seiner römischen Geschichte hinter der
Ermordung des Gallienus Unwillen illyrischer Offiziere über die angebliche
Vernachlässigung des pannonisch-dacischen Raums durch Gallienus,75 wobei m.
E. von einer Vernachlässigung keine Rede sein kann, sondern Gallienus im
Gegenteil jahrelang den Zerfall des Reiches in drei Teile duldete, um die
Donaugrenze zu stabilisieren. J. F. Drinkwater bezeichnet Gallienus als
überraschend erfolgreich, womöglich sei er seinen illyrischen Spitzenoffizieren
gegenüber aber zu wenig energisch gewesen.76 G. Alföldy urteilte zuletzt, dass
Gallienus wie andere Soldatenkaiser trotz Bemühungen um die Bewältigung der
militärisch-politischen Krisen nicht in der Lage war, Machtstrukturen,
Reichsverwaltung, Heerwesen, Wirtschaftsleben, soziale Strukturen und das
geistige Leben auf eine neue Grundlage zu stellen. Dazu hätte es einer längeren
Herrschaftsdauer bedurft.77 Positive Urteile überwiegen insgesamt Kritik.
Besonderes Interesse fand in der jüngeren Forschung die Militär- und
Personalpolitik dieses Kaisers, sein Interesse für griechische Kultur, die
Münzprägung sowie die Vermittlung seiner Herrschaft.
Es existiert trotz der genannten Titel derzeit keine den letzten
Forschungsstand aufnehmende ausführliche, alle Aspekte zusammenfassende
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Überblick über die Forschungsgeschichte und den Krisenbegriff besonders in Bezug auf
diejüngsten Entwicklungen bei Alföldy 2011, 257-272.
Christ 42002, 674.
Halfmann 1997, 234.
Bellen 1998, 230. S. Kapitel 4,14,11,1.
Drinkwater 2005, 47.
Alföldy 2011,253.
25
Gesamtdarstellung über diesen Herrscher. Dieses Ziel so gut wie möglich zu
erfüllen, nimmt sich diese Arbeit vor.
Zuerst sollen die historiographischen, epigraphischen, papyrologischen,
numismatischen und archäologischen Quellen vorgestellt werden. Es soll geklärt
werden, welche gegenseitigen Verwandtschaften zwischen den erzählenden
Quellen bestehen und worin die Gründe für die negative Haltung der meisten
lateinischsprachigen erzählenden Quellen gegenüber Gallienus liegen, denen
eher positiv eingestellte griechischsprachige Quellen gegenüber stehen. Die
Historia Augusta ist hierbei von besonderem Interesse. Auch die Familie des
Gallienus soll kurz vorgestellt werden. Dann folgen Ausführungen zu
chronologischen Fragen, wobei auf erzählende, numismatische, epigraphische
sowie
papyrologische
Quellen
zurückgegriffen wird. Neben den
Herrschaftsdaten ist vor allem der Umgang mit den sogenannten „Teilreichen“
im Osten und Westen sowie mit den vielfältigen äußeren Gegnern von Interesse.
Es soll eine Stellungnahme zu strittigen chronologischen Fragen in den
Zeiträumen 259/62 und 265/8 (Plünderzüge der Iuthungen und Alamannen,
Usurpationen von Ingenuus, Regalianus, Postumus und Macrianus senior und
iunior sowie die Auseinandersetzungen des Gallienus mit ihnen) erfolgen.
Weitere wichtige Fragen betreffen die Gründe für die plötzliche
Verschlechterung der politischen Lage gegen Ende der Herrschaft des Gallienus
sowie die Gründe für dessen Ermordung. Es folgt eine chronologische
Darstellung der Reichsmünzprägung des Gallienus. Diese gibt in ihren
unterschiedlichen Themen auch zahlreiche Hinweise auf das Selbstverständnis
der Herrschaft des Kaisers und dessen Weiterentwicklung. Auch eventuelle
Unterschiede in Bezug auf die Themen in der Doppelherrschaft mit Valerian I.
und in der Alleinherrschaft sollen gezeigt werden. Die Abbildung des Kaisers
auf den Münzaversen ist verwandt mit seiner Darstellung auf den Kaiserporträts,
die ebenfalls eine Weiterentwicklung erfuhr. Einen weiteren Aspekt stellt im
Anschluss auch die Beziehung des Kaisers Gallienus zur griechischen Kultur
dar: Was hat es mit dem Aufenthalt des Kaisers in Athen und Eleusis auf sich?
Wie sind seine Beziehungen zu Neuplatonikern um den Philosophen Plotin in
Rom zu bewerten? Auch sein Bart, der vielleicht kein typischer Soldatenbart ist,
sondern an einen Philosophenbart erinnert, sowie Bezugspunkte auf Alexander
den Großen und Hadrian spielen eine gewisse Rolle in der Darstellung des
Gallienus auf Münzen sowie bei den Kaiserporträts. Die Christengesetze, die
Valerian I. und Gallienus erließen, sowie deren Aufhebung durch letzteren im
Jahr 260, sollen im Anschluss daran behandelt werden. Es stellt sich die Frage
nach den Gründen für diese Kehrtwende. Dabei ist man überwiegend auf
christliche Autoren, vor allem Eusebius von Caesarea und Laktanz, angewiesen.
Es folgt die Darstellung der kaum fassbaren Rolle der Augusta Salonina und,
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ähnlich ungreifbar, die Rolle des Hofes, dessen Zusammensetzung sich bedingt
durch den Elitenwechsel in Militär und Verwaltung geändert haben könnte. Das
Kapitel „Wirtschaft“ befasst sich mit den in den letzten Jahren in der Forschung
virulenten Fragen der „Krise des dritten Jahrhunderts“ sowie der
Münzentwicklung und der Frage des Zeitpunkts des Einsetzens der
Preissteigerungen, der häufig in der Zeit des Gallienus verortet wird. Die
vielfältigen Veränderungen in den Gebieten Militär und Verwaltung, sowohl in
Bezug auf die Herkunft des Personals als auch auf ,technische‘ Veränderungen,
werden das Thema des darauffolgenden Kapitels sein. Wichtig ist auch die
Frage, welche neuen Wege dieser Kaiser bei der Organisation der Verwaltung
vor allem in Grenzprovinzen einschlug.
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