1 Einleitung Theodor Mommsen hielt nichts von Kaiser Gallienus. Er schreibt in einem Brief an seinen Schwiegersohn vom 5. Februar 1884 Folgendes: „Grüß Marien; ich hätte ihr geschrieben längst, wenn mir nicht Kaiser Gallienus alle Laune verdorben hätte ... .“1 Diese launige Bemerkung blieb nicht die einzige; auch in seinen Vorlesungen äußerte er sich in diese Richtung: „Man muss zugeben, dass vielleicht nie ein Mensch vor einer schwierigeren Aufgabe gestanden hat als Gallienus. Er soll früher als Offizier ganz tüchtig gewesen sein, aber der großen Feldherrenaufgabe war er nicht gewachsen. Er ließ die Dinge gehen, gleichgültig und weibisch. Es ist ein eigenes Verhängnis, dass in derselben Zeit, wo Zenobia, ein heldenhaftes Weib, Palmyra gegen den östlichen Ansturm mannhaft verteidigte, Gallienus sich in Weibertracht auf seinen Münzen als Galliena Augusta verherrlichte - es ist der Gipfel der Schande. Die einzelnen Reichsteile mussten selbst für ihre Sicherheit sorgen.“2 Ähnlich auch das Bild im fünften Band seiner „Römischen Geschichte“: „Valerian war schwach und bejahrt, Gallienus fahrig und wüst, und der Lenkung des Staatsschiffs im Sturme weder jener noch dieser gewachsen. Zu einer wirklichen Wendung zum Besseren kam es nicht, solange Gallienus den Thron einnahm.“3 Dieses Bild von der Herrschaft des Gallienus beeinflusste in der Forschung Zeitgenossen und Nachwelt auf Jahrzehnte hin. Im Jahr 253 wurde Licinius Gallienus von seinem Vater Licinius Valerianus I. zum Mitaugustus berufen.4 Damit amtierten das letzte Mal gebürtige Senatoren als Kaiser. Während Valerian I. angeblich während der Wirren des Jahres 238 sowie unter den Kaisern Decius und Trebonianus Gallus eine politische Rolle spielte,5 liegt Gallienus’ Werdegang vor diesem Jahr im Dunkel. Er tritt wie aus dem Nichts in die Geschichte. Vater und Sohn einigten sich auf eine Aufgabenteilung in der Grenzverteidigung. Erstmals seit dem ähnlichen Ansatz unter Marc Aurel und Lucius Verus6 sowie teilweise unter Philippus I. Arabs mit dessen Bruder Priscus im Osten und wahrscheinlich dem Schwiegervater an der Donau7 wurde ein solches Konzept verwirklicht. Diesmal geschah es aber deutlicher erkennbar. Im 1 2 3 4 5 6 7 12 Calder / Kierstein 2003, 251. Mommsen 2005, 469. Mommsen 2001, 225. S. Kapitel 4,1. H A Gord. 9,7; HA Val. 5,4-6. 5,9, Zos. 1,14,1; Zon. 12,20. Birley 1987. Körner 2002, 54ff. Laufe der Herrschaft wurden auch nacheinander Gallienus’ Söhne Valerian II. und Saloninus als Teilherrscher herangezogen.8 Dieses zukunftsweisende Prinzip sollte sich in der Tetrarchie und in der konstantinisch-valentinianischen Dynastie des vierten Jahrhunderts ebenfalls durchsetzen. Ein Herrscher allein konnte die zahlreichen Aufgaben nicht mehr bewältigen. Zugleich waren die Gegner, die sich häufig zu Großverbänden zusammengeschlossen hatten, gefährlicher geworden. Bereits in den Jahrhunderten zuvor wären vermutlich ähnliche Probleme aufgetreten, wenn die außenpolitische Situation für Rom damals nicht günstiger gewesen wäre. Durch neue Zentren mit Münzstätten unter Gallienus und Valerian I. wie Mediolanum, Colonia Agrippinensis, Viminacium oder Siscia9 wurde der Trend des immer häufiger aus Rom abwesenden Herrschers verstärkt und die Dezentralisierung des Reiches befördert, was der Verteidigungsfähigkeit zugute kam. Andererseits erleichterten es diese Änderungen Usurpatoren, sofort ein eigenes Herrschaftszentrum mit Münzstätte vorzufinden und so ihre Herrschaft einfacher konsolidieren zu können, wie es in der hier behandelten Zeit vorkam.10 Im Jahr 260 wurde Gallienus Alleinherrscher, wobei er allerdings unfreiwillig in Postumus einen Konkurrenten im Westen dulden und in Odaenathus im Osten einen de facto-Mitherrscher selbst ernennen musste.11 Im Jahr 268 schließlich kam Gallienus durch eine Verschwörung seiner hohen Offiziere ums Leben.12 In mancherlei Hinsicht hatte sich das Reich während seiner Herrschaft in einem fortlaufenden Prozess deutlich verändert: Die Vergabe von Ämtern in Militär und Verwaltung folgte ungefähr seit der Alleinherrschaft des Gallienus teilweise anderen Prinzipien als noch vor deren Beginn.13 In seiner Zeit wurden gerade auf dem Gebiet der Münzprägung neue Möglichkeiten der Herrschaftsdarstellung geschaffen.14 Die Christen waren im Zeitraum 260/2 bald nach Antritt der Alleinherrschaft erstmals in der römischen Geschichte offiziell anerkannt worden und konnten Rechtssicherheit genießen. Unter Valerian I. waren sie noch schwer verfolgt worden.15 Diese Änderungen wurden alle unter Gallienus vollzogen oder beschleunigt. Wenngleich im Jahr 268 keiner der großen Problemherde wirklich gelöst war und die Lage sich wieder 8 9 10 11 12 13 14 15 S. S. S. S. S. S. S. S. Kapitel Kapitel Kapitel Kapitel Kapitel Kapitel Kapitel Kapitel 4,4. 5. 4,13. 4,10 und 4,13. 4,14. 12. 5. 8. 13 verschlechtert hatte, trug Gallienus doch indirekt zu deren Lösung bei, da seine Nachfolger viele seiner Prinzipien übernahmen und weiterentwickelten. Damit beeinflusste dieser Kaiser seine Zeit in erheblichem Ausmaß, auch wenn er persönlich scheiterte. Durch seine Förderung der Karrieresoldaten ermöglichte er den Aufstieg vieler vor allem aus bescheidenen Verhältnissen in Illyrien stammender Personen, die mit Claudius II., Aurelian und Probus auch die nächsten Kaiser stellten. Ob ein Diokletian oder Konstantin I., die Gallienus’ Politik in Militär und Verwaltung teils weiterführten, ohne die Veränderungen unter Gallienus in der Personalpolitik ihre Positionen erreicht hätten, scheint fraglich, gehörten Diokletian und Konstantins Vater Constantius I. doch zu jenen Karrieremilitärs, denen durch die Reformen des Gallienus der Aufstieg in höchste Ämter erst ermöglicht wurden. Gallienus regierte auf dem Höhepunkt der krisenartigen Zuspitzung der Ereignisse im dritten Viertel des dritten Jahrhunderts. Erste innere und äußere Faktoren, die auf bedeutende strukturelle Probleme hinwiesen, begannen bereits während des zweiten Jahrhunderts zu wirken und verstärkten sich ab den 230erJahren zunehmend. Die traditionelle römische Militärstrategie war für die nun nötige defensive Kriegsführung nicht mehr geeignet. Militärische Auseinandersetzungen fanden jetzt auf Reichsgebiet statt, was große Schäden auf dem eigenen Territorium verursachte, anstatt, wie in der Zeit davor, auf dem Terrain des Gegners. Gallienus herrschte mit einer Regierungsdauer von 15 Jahren trotzdem am längsten von allen sogenannten Soldatenkaisern, deren Regierung sonst nie länger als neun Jahre (Postumus) währte. Alle Soldatenkaiser kamen auf unnatürliche Weise ums Leben, die meisten wurden im Rahmen einer Usurpation oder eines Militäraufstandes ermordet, Decius kam gegen die Goten um, Valerian I. wurde von den Persern gefangengenommen und Claudius II. starb an einer Seuche. Gallienus wurde als einziger im Rahmen einer exklusiven Offiziersverschwörung ohne Beteiligung der Truppe beseitigt. Valerian I. und Gallienus werden zu den Soldatenkaisern gezählt, obwohl sie zum senatorischen Stand gehörten und ihren Aufstieg in einer klassischen senatorischen Laufbahn vollzogen hatten.16 Valerian I. allerdings erlangte dank eines militärischen Sonderkommandos an der oberen Donau und am Rhein die Herrschaft, wenngleich er vom Senat nach Schaffung vollendeter Tatsachen bestätigt wurde. 16 14 Eigentliche Soldatenkaiser waren lediglich Maximinus Thrax, Claudius II., Aurelian und Probus. Durch seine Reformen im Militärsektor, die zahlreichen Kriege und durch seine offenbar intensive persönliche Beteiligung an den militärischen Auseinandersetzungen ist die Bezeichnung des Gallienus als Soldatenkaiser trotzdem zutreffend, zumal dieser Herrscher in der Notsituation von 260/1 besonders eng von den ihm verbliebenen Heeresteilen und den nun überwiegend aus den Donauprovinzen stammenden Karriereoffizieren abhängig war. Für Gallienus war somit aufgrund der großen militärischen Gefährdung militärischer Erfolg noch wichtiger als für seine Vorgänger. Der Spagat zwischen einem aus der senatorischen Oberschicht stammenden Kaiser, der sich von Haus aus mit anderen Aristokraten, die häufig über unzureichende militärische Fähigkeiten verfügten, umgeben musste, und einem Pragmatiker, der das Funktionieren des Verwaltungssystems sicherzustellen hatte und dafür geeignetes Personal benötigte, war auf Dauer nicht zu halten. Gallienus entsprach also trotz seiner senatorischen Herkunft dem Bild eines Soldatenkaisers durchaus. Ein ,echter‘ Soldatenkaiser war vor ihm ohnehin nur Maximinus Thrax gewesen, wenngleich auch die anderen Vorgänger ebenfalls bereits das Heer oder Teile davon als einzige Stützen ihrer Herrschaft gehabt hatten und von diesem an die Macht gebracht worden waren.17 M. Heil führt plausibel aus, dass sich durch das Militär erhobene Kaiser zu jener Zeit nicht mehr auf andere Autoritäten berufen konnten, zumal sie selbst durch diese Art ihrer Machtübernahme die frühere Kontinuität zerstört hätten. Solche Umstände machten die jeweilige Herrschaft unsicher, zumal sich der Kaiser oft nur des Heeresteils sicher sein konnte, der ihn direkt an die Macht gebracht hatte, und dessen Unterstützung war nicht selbstverständlich. Auch deshalb erscheint „Soldatenkaiser“ als passende Bezeichnung.18 Gallienus hatte es insofern besser, als er im Jahr 260 bereits als Kaiser eingeführt war. Andererseits musste er aber die durch die Gefangennahme des Vaters drohende ,Sippenhaftung‘ in Form mehrerer Usurpationen abwehren, was auch die betont militärische Münzprägung in den Jahren 260 und 261 zeigt.19 Der Kaiser konnte es in jener Zeit nicht mehr wagen, umfassende militärische Befugnisse zu delegieren und Unterführer größere Erfolge gewinnen zu lassen. Für die Armee mussten in diesem System immer höhere Ausgaben getätigt werden, die bereits seit den Severern durch eine zunehmende Metallwertverschlechterung finanziert wurden. Vor allem der Silbergehalt der Münzen ging zurück.20 17 18 19 20 Heil 2006, 421. Heil 2006, 422. S. Kapitel 5,1,2,1 S. Kapitel 11. 15 Versuche, die eigene Machtbasis etwa durch Dynastiebildung wie bei Valerian I. oder Überhöhung der eigenen Herrschaft zu verbreitern und weniger angreifbar zu machen, scheiterten an der zu kurzen Herrschaftsdauer aller Kaiser.21 R. MacMullen schildert die herrschende Wahrnehmung der zeitgenössischen Situation treffend: „We must imagine a government confronting the gravest and most perplexing confusion of problems which it has neither the historical sense to arrange in a chain of causes and effects nor the individual analytical skills to divide into the man-made and the natural.“ Schlechte Ereignisse aber waren Zeichen fur einen schlechten, nicht ausreichend tugendhaften Kaiser.22 Gallienus, erweckte seit der Antike bei den Historikern Interesse. Während seiner Herrschaft vollzogen sich, den Zeitgenossen vermutlich großteils nicht bewusst, in einer Krisenzeit unter Fortführung von im Gang befindlichen Transformationen wichtige Prozesse und Weichenstellungen, die auf die Zeit der Tetrarchie und danach hindeuten. In viele davon griff dieser Kaiser aktiv ein. Die Herrschaft des Gallienus hatte somit an einem wichtigen Punkt der Reichsgeschichte mit teils widersprüchlichen Entwicklungen eine bedeutende Verbindungsfunktion. Zugleich versuchte dieser Kaiser aber auch, sich als Herrscher im Stil der ,guten alten Zeit‘ darzustellen, wie für alle römischen Kaiser üblich. Bis zum Jahr 253 bezogen sich die Herrscher noch deutlich auf die 235 untergegangene Severerdynastie. Auch Valerian I. berücksichtigte severische Herrschaftspraktiken, ohne dabei auf Neuerungen zu verzichten: So beteiligte er seinen erwachsenen Sohn, wie oben erwähnt, als gleichberechtigten Mitregenten an der Herrschaft und teilte so die militärischen Zuständigkeitsgebiete zwischen zwei Herrschern auf, wodurch er seine Basis gegenüber etlichen Vorgängern stärkte, und ging erstmals gezielt gegen die Christen vor. Teils baute auch Gallienus auf der Tradition seiner Amtsvorgänger auf; ein völliger Bruch wäre auch schwer vorstellbar. Die Bildung eines Kaiserkollegiums wurde von Gallienus nach dem Tod des Saloninus im Jahr 260 aufgegeben. In vielen anderen Teilgebieten, vor allem dem militärisch­ verwaltungstechnischen, wo nun Karrieresoldaten in breitem Ausmaß in die Spitzenpositionen gelangten, Reiterverbände immer mehr ins Zentrum rückten und Militär- und Zivilverwaltung zunehmend getrennt wurden,23 sowie in der den Kaiser überhöhenden Darstellung seiner Herrschaft,24 löste Gallienus sich 21 22 23 24 16 Heil 2006, 423f. MacMullen 1976, 30f. S. Kapitel 12. S. Kapitel 5. aber von seinen Vorgängern. Seine gezielten, teils auf einer im Fluss befindlichen Entwicklung aufbauenden Maßnahmen führten hier zu neuen Strukturen.25 Die alte Ideologie und damit die Rolle des Kaisers genügten offenbar durch die Verdichtung der krisenhaften Zustände mit deren Höhepunkt in den 250erund 260er-Jahren allein nicht mehr zur Rechtfertigung der Herrschaft. Diese Krise des Kaisertums erforderte neue Methoden. Einzelne Randgebiete wie das „Dekumatland“ und zunehmend Dacia wurden aufgegeben, die Provinzen an den gefährdeten Grenzen bezeichnet A. Alföldi als „Pufferstaaten“,26 während die besten Truppen im Binnenland stationiert wurden und nur im Bedarfsfall in die gefährdeten Randprovinzen ausrückten.27 Das Zentrum verlagerte sich damit weg von der Stadt Rom. Die fiskalische Krise des Staats mit erhöhten Kosten für Militärsold, Donative, Grenzverteidigung, Befestigungsanlagen, Subsidien sowie im Zusammenhang damit vermutlich spürbarer Erhöhung der Steuer- und Abgabenlasten durch Kranzgold, Durchzug von Militäreinheiten oder Einquartierungen bei gleichzeitiger Verwüstung vieler Grenzregionen, die damit für die Bereitstellung finanzieller Mittel ausfielen, machte sich verstärkt bemerkbar.28 Probleme wie eine Verschlechterung der Lage der Kolonen, Landflucht sowie Probleme für die städtischen Oberschichten bei der Erfüllung ihrer Liturgien sind bereits in der Zeit des Gallienus Tatsachen. Da diese Prozesse sich über eine sehr lange Periode erstreckten, scheint die Situation in jener Zeit aber noch nicht zu negativ bewertet werden zu dürfen.29 Solche wirtschaftlich­ gesellschaftlichen Probleme wurden außerdem von der militärischen und der Legitimitätskrise überlagert. Auch die negativen Auswirkungen von Seuchen in jener Zeit vor allem unter Trebonianus Gallus und Claudius II. sind nicht quantifizierbar.30 Dasselbe gilt für das schwere Erdbeben unter Gallienus um 262.31 Die gegenwärtige Forschungsdiskussion kreist um die Anwendbarkeit des Begriffes Krise, seitdem K. Strobel und C. Witschel meist gut begründete Argumente gegen die Propagierung einer allgemeinen Krise vorgebracht 25 26 27 28 29 30 31 Johne / H artm ann 2008,1030. Alföldi 1967, 233. S. Kapitel 12. Johne / Hartmann 2008, 1034; s. Kapitel 11,1. Johne / H artm ann 2008,1035. Aurel. Vict. Caes. 30,2; Zos. 1,27,3; Zon. 12,21. Johne / Hartmann 2008, 1035. H A Gall. 5,2. 17 haben.32 In einigen Regionen herrschten Wohlstand und Frieden. Die kaiserliche Autorität sowie die Verteidigungsfähigkeit des Reiches wurden jedoch teils über die Belastbarkeit beansprucht. Grenzprovinzen vor allem an Rhein und Donau erlebten häufig einen anhaltenden Niedergang. In solchen Gegenden kam es zu langfristigen Wirtschaftskrisen und Produktionsausfällen. Die dortige Bevölkerung wurde offenbar durch Entführung, Requisitionen seitens der Armee, Zerstörung und Zwangsverpflichtungen geschwächt, was zusätzlich die Gefahr von sozialen Unruhen mit sich brachte.33 Den Ausfall dieser Provinzen in Bezug auf Steueraufkommen, annona militaris und Bevölkerungszahl mussten die weiterhin relativ wohlhabenden Provinzen etwa in Nordafrika, Ägypten, Teilen Kleinasiens und der Levante, im Norden der italischen Halbinsel oder auf der Iberischen Halbinsel auffangen. Somit bekamen auch diese offenbar nicht oder wenig betroffenen Gebiete die Krise zu spüren.34 Deshalb ist meiner Ansicht nach die Bezeichnung ,Krise‘ berechtigt, selbst wenn tatsächlich nur die innere Instabilität des Systems und die zunehmenden äußeren Kriege im engeren Sinn ,krisenhaft‘ gewesen sein sollten.35 Aber es muss, wie Witschel aufgezeigt hat, dabei regional differenziert werden. Auch die allmählichen Veränderungen bei der Besetzungspraxis der Stellen im militärischen Bereich sind ein Hinweis auf Defizite, die jedoch bereits deutlich vor dem Beginn der Herrschaft des Gallienus bestanden, so dass der Prozess durch diesen Herrscher nicht initiiert, sondern beschleunigt wurde. Religiöse, geistige und kulturelle Veränderungen traten in jener Zeit hinzu, wenngleich Gallienus durch sein großes Interesse an griechischer Kultur, Kunst und Bildung diesem Trend entgegenstand. Seine teilweise originelle Münzprägung soll in diesem Zusammenhang genannt werden. Es wurden Mitte des dritten Jahrhunderts keine großen Bauprogramme mehr aufgelegt, es kam zu einem Rückgang bei der lateinischsprachigen Literatur. Dafür erlebten kleinere, privatere Kunstformen einen Aufschwung.36 Unter den kulturellen Entwicklungen ragen der Durchbruch des Christentums mit herausragenden Vertretern wie den Bischöfen Cyprian von Karthago oder Dionysios von Alexandria sowie das Entstehen des Neuplatonismus, der auch für Gallienus eine gewisse Bedeutung hatte,37 hervor. Seit 248/9 hatte sich die Legitimitätskrise der Kaiser durch äußere wie innere militärische Probleme mit mehreren gefährlichen Gegnern gleichzeitig 32 33 34 35 36 37 18 Strobel 1993; Witschel 1999. De Blois 2002. S. Kapitel 11,1. Ähnlich Heil 2006, 419. Borg / Witschel 2001. S. Kapitel 7,4. verschärft. Philippus I. Arabs (244-249) hatte sich in der Schlussphase seiner Amtszeit dreier Usurpationen zu erwehren, deren letzter durch Decius an der unteren Donau, wo dieser ein außerordentliches Kommando über die Moesiae und Pannoniae zur Kriegsführung gegen die Goten inne hatte, er schließlich im Spätsommer 249 in einer Schlacht im Norden Italias oder Macedonia erlag.38 Unter Decius (249-251), der im Jahr 250 seine beiden Söhne an der Herrschaft beteiligte, ließen die Probleme nicht nach. Bald erließ er ein Opferedikt, das die gesamte Reichsbevölkerung zum Opfer verpflichtete. Auf diese Weise sollten die Götter durch eine geschlossen hinter dem Staatskult stehende Bevölkerung gnädig gestimmt werden. Christen fielen dabei als einzige Verweigerer auf, was die Aufmerksamkeit der Zentrale auf diese ,Unruhestifter' richtete und zu einer Konzentration der Maßnahmen auf diese führte.39 Parallel dazu intensivierte dieser Kaiser eine in der römischen Tradition stehende Münzprägung mit starkem Bezug auf seine kaiserlichen Vorgänger, durch die Decius seine Grundeinstellung und Ziele der Reichsbevölkerung mitzuteilen versuchte.40 Das Scheitern von Decius’ Maßnahmen auf diesem Gebiet führte unter Valerian I. zu einem besser durchdachten Vorgehen gegen opferunwillige Christen.41 Diese Maßnahmen sind eine Reaktion auf die zunehmenden Probleme, deren Ursachen für die Zeitgenossen völlig unklar blieben. Decius sah sich mit Problemen in Gallien, an der Donau und in Kleinasien sowie an der persischen Grenze konfrontiert. Zudem machte eine Goteninvasion seinen erneuten Aufenthalt an der unteren Donau nötig. Dort fand er in Kämpfen gegen die Goten im Juni 251 den Tod.42 Trebonianus Gallus (251-253) folgte Decius in der Herrschaft. Die Erlaubnis für die Goten, sich mit ihrer Beute und den Kriegsgefangenen in ihre Heimat begeben zu dürfen, sowie die Zusage von Subsidien zeigt Roms Schwäche.43 Der noch lebende jüngere Sohn des Decius wurde zunächst in einer brüchigen Konstellation als Co-Augustus mit Trebonianus’ eigenem Sohn als Caesar akzeptiert und von dem neuen Machthaber adoptiert, kam aber bald ums Leben.44 Der militärische Druck an den Grenzen nahm unter Trebonianus Gallus weiter zu. Ein Teil von Mesopotamia ging an die Sassaniden verloren.45 In 38 39 40 41 42 43 44 45 Zos. 1,21,1ff. Huttner 2008, 200-203. Pietzner 2008b, 994-999. Huttner 2008, 207f. S. Kapitel 8,1. Huttner 2008, 208-211. Zos. 1,24,2; Zon. 12,21. Zos. 1,25,1f.; Aurel. Vict. Caes. 30,2; Pseudo-Aurel. Vict. 30,2. Huttner 2008, 212f. Wiesehöfer 2008, 539; Huttner 2008, 215. 19 Nordafrika sorgten einheimische Stämme für Unruhe,46 auch in Raetia scheint es durch Alamannen zu Plünderungszügen gekommen zu sein. Weiterhin aktiv blieben an der unteren Donau die Goten, die anscheinend die zugesagten Subsidien nicht erhalten hatten.47 Mit Aemilius Aemilianus gab es offenbar erneut eine Person mit außerordentlichem Kommando über die Moesiae und Pannoniae. Die Goten wurden geschlagen, Aemilianus daraufhin Mitte 253 von seinen Truppen zum Kaiser ausgerufen.48 Aemilianus rückte gegen Trebonianus Gallus vor, der seinerseits Truppen aufstellte und den Konsular Licinius Valerianus, der gerade an der oberen Donau ein vielleicht ebenfalls außerordentliches Kommando innehatte, damit beauftragte, Truppen von der oberen Donau und vom Rhein nach Italia zu holen. Bevor Valerian eingreifen konnte, wurde Trebonianus Gallus mit seinem Sohn im Sommer des Jahres 253 in Umbrien angesichts der numerisch überlegenen Truppen des Aemilianus von den eigenen Leuten ermordet.49 Der Sieger wurde jedoch von Valerian und den diesem unterstehenden Legionen nicht anerkannt. Valerian ließ sich seinerseits zum Kaiser ausrufen.50 Unzulänglichkeiten des alten Systems, vor allem in der militärischen und bürokratischen Organisation, kamen durch die genannten Konflikte ans Tageslicht. Bisherige Strategien wie das Zusammenziehen eines Heeres an der jeweiligen Grenze bei Gefahr wurden bei Gegnern an mehreren Grenzen gleichzeitig zunehmend untauglicher. Der Kaiser konnte in einer solchen Situation auch nicht mehr bei jeder Gefahrensituation persönlich anwesend sein und durch sein Siegescharisma Zuversicht auslösen. Der Schrecken, den die römische Armee auf ihre Gegner ausübte, lies nach, die militärische Stärke Roms reichte nicht für alle Reichsgrenzen aus.51 Gallienus hatte zudem das Problem eines dauerhaften Usurpators Postumus in Gallien, der an den Alpen Kräfte band, auch wenn dieser nie Anstalten gemacht zu haben scheint, seinen reichsweiten Anspruch zu verwirklichen. Zwar musste Gallienus auf diese Weise sein Herrschaftsgebiet nicht mehr vor den Franken schützen, doch die neue innere Grenze in den Westalpen und Raetia benötigte vielleicht nicht weniger Truppen. Durch diese innere Grenze entstand im transdanubischen und transrhenanischen Raetien ein von Militär entblößtes Gebiet. Dies erleichterte die Nutzung jenes Raumes als potenzielles 46 47 48 49 50 51 20 Gutsfeld 2008, 468; Huttner 2008. Zos. 1,26,1; Zon. 12,21. Huttner 2008, 215. Zos. 1,28,1f.; Iord. Get. 19, 105. Huttner 2008, 215f. Zos. 1,28,2f. Aurel. Vict. Caes. 32,1; Eutr. 9,7; Hier. chron. 220a; Oros. 7,22,1; Zon. 12,22. Johne / Hartmann 2008, 1036f. 1041. Aufmarschgebiet für Alamannen und verwandte Stämme, zumaljene bereits vor diesem Termin begonnen hatten, sich, von Rom geduldet, in diesen Gebieten niederzulassen.52 Zugleich stellte die Grenze an der mittleren und unteren Donau bereits seit der späten Regierung des Philippus I. Arabs die größte Problemzone des Reiches dar. Sie war von 247 an bis 261 Ort zahlreicher Usurpationen beziehungsweise Auseinandersetzungen mit solchen (Pacatianus ca. 248/9, Decius 249, Aemilianus 253, Ingenuus und Regalianus 259/60 oder 260/1, Macriani 261). Häufig waren diese Vorkommnisse begünstigt von Einfallen auswärtiger Raubscharen. Diese Provinzen hatten immer mehr groß angelegte Plünderzüge der nördlichen Nachbarvölker zu erleiden, allen voran der Goten. Aber auch Boranen, Markomannen, Quaden, Roxolanen, Iazygen und Karpen sorgten für Gefahr. Gallienus konzentrierte sich nach seinen Dezennalien des Jahres 262 auf die Konsolidierung dieser Grenze und es gab dort in der Tat in der Folgezeit keine Aufstände mehr. Das geschah aber um den Preis, dass Gallienus die Machtentfaltung des Usurpators Postumus im Westen nicht verhindern und vielleicht erst im Jahr 266 gegen ihn vorzugehen in der Lage war.53 Bald wieder aufflammende gotische Plünderungszüge offenbarten daraufhin prompt, dass die Donaugrenze immer noch nicht als gesichert gelten konnte. Zugleich konnte Gallienus durch diese Gebundenheit keine Präsenz im Osten zeigen, was zu einer zunehmenden Verselbständigung der Herrschaft des verbündeten Palmyreners Odaenathus bei nominaler Herrschaft Roms mit wie bisher von Rom aus eingesetzten Statthaltern senatorischer und ritterlicher Provenienz führte. Bei der ständigen Gefahr eines Mehrfrontenkrieges reichten die zur Verfügung stehenden militärischen Ressourcen nicht aus. Die Kräfte konnten also nur schwer massiert werden, um einen der inneren oder äußeren Gegner entscheidend zu besiegen. Auf Mehrfrontenkämpfe war das römische System nicht ausgerichtet, wie sich sogar am Ende von Traians Herrschaft gezeigt hatte, als er im Zweistromland abgeschnitten zu werden drohte, während sich die Juden Ägyptens, der Kyrenaika und Zyperns sowie die Karpen in Dacien erhoben.54 Zusätzlich ereigneten sich zahlreiche weitere Usurpationen in den Jahren 260/2 sowie 268, die ihren Anteil an der wachsenden Unsicherheit hatten. Unter den Severern zuvor und der Tetrarchie danach hatte es keine letztlich erfolgreichen Usurpationen (nur kurz Macrinus und in Britannia Carausius) 52 53 54 Nuber 1998, 375. S. Kapitel 4,13,5. Strobel 2010, 377ff. 21 gegeben. Deren Herrschaft war also stabiler.55 Aurelius Victor und Eutrop betrachten den Fortbestand des Reiches in der Zeit des Gallienus wie die Historia Augusta als auf Messers Schneide stehend.56 Es blieben abgesehen von Fragmenten kaum zeitgenössische literarische Werke erhalten. Cassius Dios Werk endet im Jahr 229, das von Herodian im Jahr 238. Die auf uns gekommenen Quellen setzen erst um 360 ein, sind sehr widersprüchlich in ihren Schilderungen und schwanken teilweise zwischen positiven und negativen Extremen. Die Historia Augusta etwa, den führenden senatorischen Schichten der Hauptstadt verpflichtet, stellt Gallienus in tiefschwarzen Farben dar, ohne positive Aspekte seiner Herrschaft unterdrücken zu können. Ähnlich verhält es sich bei Aurelius Victor und mit Abstrichen bei Eutrop. Die Entstehung des negativen Gallienus-Bildes dürfte verstärkt in der Zeit der Tetrarchie erfolgt sein, wie ein Panegyrikus auf Constantius I. zeigt. Der Bezug des Konstantin I. auf den Gallienus-Mörder und -Nachfolger Claudius Gothicus ab dem Jahr 310 verstärkte die Tendenz, Gallienus negativ darzustellen. Neutral bis positiv wird Gallienus dagegen bei byzantinischen Autoren wie Zonaras, Anonymus post Dionem oder auch Zosimos behandelt.57 Die Inschriften und Münzen sowie manchmal Papyri vermögen in Bezug auf unzureichende literarische Quellen teilweise Ersatz zu schaffen und korrigierend zu wirken. Dennoch sind sogar einige chronologische Fragen in Bezug auf die Herrschaft des Gallienus nicht vollständig geklärt. Bereits der Christenfeind E. Gibbon in den 1780er-Jahren hielt wenig von Gallienus’ herrschaftsrelevanten Fähigkeiten, umso mehr dagegen vom Christenverfolger Valerian I.m Sein einflussreiches Urteil, dem in den letzten Jahren noch D. Potter anhängt, lautet in engem Anschluss an die Historia Augusta, dass Gallienus ein „light, ... various, ... inconstant character“ gewesen sei. „... he attempted every art except the important ones of war and government. He was a master o f several curious but useless sciences, a ready orator, a elegant poet, a skillful gardener, an excellent cook and a most contemptible prince.“58 Den Zeitraum zwischen den Jahren 248 und 268 bezeichnet Gibbon als „twenty years of shame and misfortune“, in denen das überall heimgesuchte Reich vor seiner Auflösung gestanden sei.59 Die Rettung des Reiches obliegt für Gibbon 55 56 57 58 59 22 Darauf weisen Johne / Hartmann 2008, 1026, hin. Aurel. Vict. Caes. 33,3f.; Eutr. 9,9,1. S. Kapitel 2,1. Gibbon 1994, 266; Potter 1990, 329. Gibbon 1994, 253. den illyrischen Nachfolgern des Gallienus. Das Werk prägte die Forschung für lange Zeit.60 Eine etwas positivere Beurteilung erfährt Gallienus bei J. Burckhardt im Jahr 1853, der ihm zugesteht, dass das vor dem Zusammenbruch stehende Reich ohne sein Verschulden in eine schwierige Lage gekommen sei. Gallienus versuchte, die verzwickte Situation zu bewältigen. Letztlich hält Burckhardt Gallienus aber doch aufgrund seiner angeblichen Defizite („Indolenz“, Genusssucht) als ungeeignet für die Bewältigung der Probleme.61 Auch A. von Domaszewski sieht die Zeit von Valerian I. und Gallienus negativ und spricht von einer „Auflösung der Reichsgewalt“.62 H. Parker hält das Jahr 268 für krisenhaft, M. Besnier, der die positive Meinung von L. Homo und A. Alföldi von Gallienus kritisiert, zusätzlich das Jahr 260.63 Die große Wende, die bis hin zu einer positiven Bewertung dieses Kaisers führte, trat ab Ende der 1920er-Jahre mit A. Alföldi ein, nachdem bereits L. Homo im Jahr 1913 einen Aufsatz veröffentlicht hatte, in dem viele der feststehenden Glaubenssätze und Klischees in Bezug auf Gallienus in Frage gestellt worden waren, und dieser Kaiser für sein Vorgehen in der für Homo schlimmsten Krise der Antike Lob erhielt.64 Alföldi stellt Gallienus als großen, vorausschauenden Kaiser voller Tatkraft auf dem Höhepunkt der Krise um 260 mit großen Reformplänen auf dem kulturellen, religiösen und militärisch-verwaltungstechnischen Gebiet dar. Dieser Herrscher rettete für Alföldi letztlich das Reich durch die Initiierung von Reformen, die Förderung der fähigen Illyrer und die persönliche Bewährung in einer sehr schwierigen Lage.65 Eine positive Beurteilung des Gallienus findet sich auch 1926 bei M. Rostovtzeff, der die Kaiser in jener Zeit der in seiner Sicht allgemeinen Auflösung des Reiches allgemein als Opfer der Krise ansieht („The Roman Empire was saved by the energy and persistency of Gallienus“). Seinem persönlichen Trauma von der russischen Oktoberrevolution folgend lobt er die Ablösung der als „Bourgeoisie“ bezeichneten, unfähigen Senatoren.66 F. Altheim, H. Bengtson und A. Heuß folgen in ihren Gesamtdarstellungen der 60 61 62 63 64 65 66 Gerhardt 2006, 385. Burckhardt 1853, 19. Domaszewski 1909, 297. Parker 1935, 181f.; Besnier 1937, 179f. 191. Homo 1913, 264ff.; Alföldi 1967 (gesammelte Aufsätze). Alföldi 1967, 238. 424f. Rostovtzeff 1957, 444. 460. 23 römischen Geschichte überwiegend Alföldi.67 Die Ergebnisse Alföldis setzten sich insgesamt durch und blieben für mehrere Jahrzehnte prägend. Monographien über die Herrschaft des Gallienus hat es im Lauf der Zeit einige gegeben, keine jedoch hat versucht, alle Aspekte von dessen Herrschaft darzustellen. Heute nicht mehr genügende Werke stammen von F. Rothkegel, T. Vorbrodt, L. de Regibus, E. Manni und R. Hornsby.68 Eine neuere Monographie hat L. de Blois vorgelegt, der die Alleinherrschaft des Gallienus behandelt und sich unter Konzentration auf Herrschaftsdarstellung bei Gallienus und Maßnahmen in Militär und Verwaltung auf die Darstellung der „policy“ des Gallienus beschränkt. W. Kuhoff vermittelt in seinem Werk die meisten Aspekte sehr kompakt mit dem Schwerpunkt Münzprägung. M. Christol, dessen in der Bibliothèque interuniversitaire der Sorbonne in Paris einsehbare Thèse d ’Etat unveröffentlicht blieb, konzentriert sich auf die Prosopographie des Zeitraums 253/68, chronologische Überlegungen in einem Anhang sowie die Herrschaftsdarstellung des Gallienus.69 Der Forschungsstand dieser Werke ist mittlerweile in mancherlei Hinsicht überholt und es wird darin nicht auf alle Aspekte der Herrschaft des Gallienus eingegangen. Wichtig ist zudem die Monographie von R. Göbl über die Münzprägung von Valerian I. und Gallienus, trotz der schweren Benutzbarkeit des Werks.70 Zur Chronologie Göbls ist zudem M. Pfisterer 2004 hinzuzuziehen. Hier soll auch auf den exzellenten Beitrag zur Herrschaft von Valerian I. und Gallienus im Handbuch „Die Zeit der Soldatenkaiser“ von A. Goltz und U. Hartmann auf immerhin 72 Seiten hingewiesen werden, in dem Gallienus’ Politik vorsichtig positiv bewertet wird. „Seine Maßnahmen boten erste Antworten auf die strukturellen Probleme des Reiches und wiesen Wege aus der Krise.“71 Neuere Gesamtdarstellungen in Abhandlungen zu jener Zeit oder zu den römischen Kaisern, die Gallienus berücksichtigen, liegen, außer durch M. Christol 2006b, vor allem durch H. Halfmann 1997, H. Bellen 1998, K. Christ 2002 und J. Drinkwater 2005 vor. Es existieren zahlreiche wichtige Aufsätze über Teilaspekte der Zeit von Gallienus. Es soll angemerkt werden, dass in dieser Arbeit die Herrschaft des Gallienus, nicht seine Persönlichkeit, im Mittelpunkt steht, die sich, für die Antike typisch, kaum erschließen lässt. Die Quellenlage erlaubt Aussagen über 67 68 69 70 71 24 Altheim 1952, 268ff.; Bengtson 1967, 388f.; Heuß 92003, 430ff. Rothkegel 1894 (Werk nicht vollendet); Vorbrodt 1923; de Regibus 1939 (11f.: Gallienus eher positiv bewertet); Manni 1949; Hornsby 1952 (behandelt nur die Zeit der gemeinsamen Herrschaft von Valerian I. und Gallienus). De Blois 1976; Kuhoff 1979; Christol 1981 (Teile der Ergebnisse der Dissertation in Christol 1986 und 2006b sowie in Aufsätzen veröffentlicht). Göbl 2000; zur Kritik an dem Werk: Ehling 2003. Goltz / Hartmann 2008, 295. die Persönlichkeit antiker Persönlichkeiten in nur sehr wenigen Ausnahmefällen wie Cicero, Marc Aurel, Julian oder Augustinus, von denen auch ausreichend Selbstzeugnisse vorliegen. Ein Porträt des Zeitalters des Gallienus hingegen ist möglich und soll hier versucht werden, zumal die Anzahl der bekannten Münzen, Inschriften und Papyri seit den Arbeiten von Kuhoff 1979 und Christol 1981 weiter gewachsen ist. Die Zeit des dritten Jahrhunderts, aufgrund der schwierigen Quellenlage lange vernachlässigt, wird seit den 1990er-Jahren wieder intensiv bearbeitet.72 L. de Blois wie auch K. Christ warnen vor einer Überschätzung der Herrschaft des Gallienus, da laut Christ trotz der klugen Einleitung von Änderungen „auf seiner Regierung der Schatten der Erfolglosigkeit“ liege.73 Deshalb dürfe dieser Herrscher nicht überschätzt werden. H. Halfmann, der sich stark auf Alföldi bezieht, kommt zu dem Schluss, dass sich das Charisma des Kaisers am Ende seiner Herrschaft verbraucht hatte, und Gallienus im Angesicht der Herausforderungen des Jahres 268 von der Armee deshalb fallengelassen wurde.74 H. Bellen vermutet in seiner römischen Geschichte hinter der Ermordung des Gallienus Unwillen illyrischer Offiziere über die angebliche Vernachlässigung des pannonisch-dacischen Raums durch Gallienus,75 wobei m. E. von einer Vernachlässigung keine Rede sein kann, sondern Gallienus im Gegenteil jahrelang den Zerfall des Reiches in drei Teile duldete, um die Donaugrenze zu stabilisieren. J. F. Drinkwater bezeichnet Gallienus als überraschend erfolgreich, womöglich sei er seinen illyrischen Spitzenoffizieren gegenüber aber zu wenig energisch gewesen.76 G. Alföldy urteilte zuletzt, dass Gallienus wie andere Soldatenkaiser trotz Bemühungen um die Bewältigung der militärisch-politischen Krisen nicht in der Lage war, Machtstrukturen, Reichsverwaltung, Heerwesen, Wirtschaftsleben, soziale Strukturen und das geistige Leben auf eine neue Grundlage zu stellen. Dazu hätte es einer längeren Herrschaftsdauer bedurft.77 Positive Urteile überwiegen insgesamt Kritik. Besonderes Interesse fand in der jüngeren Forschung die Militär- und Personalpolitik dieses Kaisers, sein Interesse für griechische Kultur, die Münzprägung sowie die Vermittlung seiner Herrschaft. Es existiert trotz der genannten Titel derzeit keine den letzten Forschungsstand aufnehmende ausführliche, alle Aspekte zusammenfassende 72 73 74 75 76 77 Überblick über die Forschungsgeschichte und den Krisenbegriff besonders in Bezug auf diejüngsten Entwicklungen bei Alföldy 2011, 257-272. Christ 42002, 674. Halfmann 1997, 234. Bellen 1998, 230. S. Kapitel 4,14,11,1. Drinkwater 2005, 47. Alföldy 2011,253. 25 Gesamtdarstellung über diesen Herrscher. Dieses Ziel so gut wie möglich zu erfüllen, nimmt sich diese Arbeit vor. Zuerst sollen die historiographischen, epigraphischen, papyrologischen, numismatischen und archäologischen Quellen vorgestellt werden. Es soll geklärt werden, welche gegenseitigen Verwandtschaften zwischen den erzählenden Quellen bestehen und worin die Gründe für die negative Haltung der meisten lateinischsprachigen erzählenden Quellen gegenüber Gallienus liegen, denen eher positiv eingestellte griechischsprachige Quellen gegenüber stehen. Die Historia Augusta ist hierbei von besonderem Interesse. Auch die Familie des Gallienus soll kurz vorgestellt werden. Dann folgen Ausführungen zu chronologischen Fragen, wobei auf erzählende, numismatische, epigraphische sowie papyrologische Quellen zurückgegriffen wird. Neben den Herrschaftsdaten ist vor allem der Umgang mit den sogenannten „Teilreichen“ im Osten und Westen sowie mit den vielfältigen äußeren Gegnern von Interesse. Es soll eine Stellungnahme zu strittigen chronologischen Fragen in den Zeiträumen 259/62 und 265/8 (Plünderzüge der Iuthungen und Alamannen, Usurpationen von Ingenuus, Regalianus, Postumus und Macrianus senior und iunior sowie die Auseinandersetzungen des Gallienus mit ihnen) erfolgen. Weitere wichtige Fragen betreffen die Gründe für die plötzliche Verschlechterung der politischen Lage gegen Ende der Herrschaft des Gallienus sowie die Gründe für dessen Ermordung. Es folgt eine chronologische Darstellung der Reichsmünzprägung des Gallienus. Diese gibt in ihren unterschiedlichen Themen auch zahlreiche Hinweise auf das Selbstverständnis der Herrschaft des Kaisers und dessen Weiterentwicklung. Auch eventuelle Unterschiede in Bezug auf die Themen in der Doppelherrschaft mit Valerian I. und in der Alleinherrschaft sollen gezeigt werden. Die Abbildung des Kaisers auf den Münzaversen ist verwandt mit seiner Darstellung auf den Kaiserporträts, die ebenfalls eine Weiterentwicklung erfuhr. Einen weiteren Aspekt stellt im Anschluss auch die Beziehung des Kaisers Gallienus zur griechischen Kultur dar: Was hat es mit dem Aufenthalt des Kaisers in Athen und Eleusis auf sich? Wie sind seine Beziehungen zu Neuplatonikern um den Philosophen Plotin in Rom zu bewerten? Auch sein Bart, der vielleicht kein typischer Soldatenbart ist, sondern an einen Philosophenbart erinnert, sowie Bezugspunkte auf Alexander den Großen und Hadrian spielen eine gewisse Rolle in der Darstellung des Gallienus auf Münzen sowie bei den Kaiserporträts. Die Christengesetze, die Valerian I. und Gallienus erließen, sowie deren Aufhebung durch letzteren im Jahr 260, sollen im Anschluss daran behandelt werden. Es stellt sich die Frage nach den Gründen für diese Kehrtwende. Dabei ist man überwiegend auf christliche Autoren, vor allem Eusebius von Caesarea und Laktanz, angewiesen. Es folgt die Darstellung der kaum fassbaren Rolle der Augusta Salonina und, 26 ähnlich ungreifbar, die Rolle des Hofes, dessen Zusammensetzung sich bedingt durch den Elitenwechsel in Militär und Verwaltung geändert haben könnte. Das Kapitel „Wirtschaft“ befasst sich mit den in den letzten Jahren in der Forschung virulenten Fragen der „Krise des dritten Jahrhunderts“ sowie der Münzentwicklung und der Frage des Zeitpunkts des Einsetzens der Preissteigerungen, der häufig in der Zeit des Gallienus verortet wird. Die vielfältigen Veränderungen in den Gebieten Militär und Verwaltung, sowohl in Bezug auf die Herkunft des Personals als auch auf ,technische‘ Veränderungen, werden das Thema des darauffolgenden Kapitels sein. Wichtig ist auch die Frage, welche neuen Wege dieser Kaiser bei der Organisation der Verwaltung vor allem in Grenzprovinzen einschlug. 27