OPERETTE Dein ist mein ganzes Herz Die Welt der Operette: Benefizveranstaltung für das Jüdische Zentrum am Jakobsplatz 16.02.2006 - von Marina Maisel von Marina Maisel Die Geschichte der Operette ist ohne jüdische Librettisten und Komponisten nicht vorstellbar. In dieser Aussage waren sich Klaus Schultz, Intendant und Chefdramaturg des Gärtnerplatztheaters, und Brigitte von Welser, die Hausherrin im Gasteig, in ihrem Gespräch über die Geschichte der Operette einig. Für die Musik in dieser Benefizveranstaltung in der Black Box im Gasteig sorgten Mitglieder des Ensembles des Gärtnerplatztheaters: Talia Or, Ann-Katrin Naidu, Thérèse Wincent und Wolfgang Schwaninger brachten Kostproben aus den Werken Franz Lehárs und Emmerich Kálmáns zu Gehör. Oleg Ptaschnikov begleitete sie am Klavier, gekonnt und virtuos. Die Operette in Wort und Ton vorzustellen, war ein weiterer Baustein zugunsten des Jüdischen Zentrums am Jakobs- platz in der Benefizreihe des Kulturzentrums der Israelitischen Kultusgemeinde, diesmal gemeinsam mit der Münchner Volkshochschule und der Gasteig München. Von Anfang an sei die Operette als Kunstgattung unterschätzt worden, als wäre sie eine verspielte, lustige, nicht ernstzunehmende Abart der Oper, sagte Klaus Schultz. Auch wenn sie ihre Wurzeln in der großen Oper habe, sei es nicht einfach, der „schweren Kunst der leichten Muse“ zu genügen. Das bestätigte auch Wolfgang Schwaninger, der mit dem Vorurteil aufräumte, Operette sei etwas für Anfänger. Im Gegenteil, ohne eine solide, professionelle musikalische Ausbildung sei diese Kunstform kaum zu bewältigen. Mitte des 19. Jahrhunderts habe sich die Operette in Wien und Paris etwa zeitgleich entwickelt – und das in eine französische, österreichische und ungarische Richtung. Der wohl bekannteste Name sei dabei Jacques Offenbach, Sohn eines jüdischen Kantors. Die Geschichten, die in den Operetten erzählt wurden, hatten wie die Märchen immer ein gutes Ende. Das erkläre vielleicht auch, warum die Operette immer dann besondere Blütezeiten erlebte, wenn es den Menschen besonders schlecht ging. In der Operette konnten sie ihren Alltag vergessen. Folgerichtig hatte die nationalsozialistische Kulturpolitik ein Problem mit der Operette, wie beim weiteren musikalischen Streifzug deutlich wurde: Es war das zentrale Problem ihrer kulturellen © Jüdische Allgemeine - Wochenzeitung für Politik, Kultur und Jüdisches Leben http://www.juedische-allgemeine.de/article/view/id/5247 Seite (1/3) Ideologie und Praxis schlechthin. Zudem waren die meisten Protagonisten der Operette Juden – die Komponisten, Librettisten, Theaterdirektoren. In einem Brief an Reichspropagandaminister Joseph Goebbels stellte der Reichsdramaturg und Berliner Oberregierungsrat Rainer Schlösser 1934 fest: „Bei Machtübernahme war die Lage auf dem Operettenmarkt so, daß 80 Prozent der Produktion sowohl musikalisch wie textlich jüdischen Ursprungs war.“ Durch die Vertreibung und Ermordung jüdischer Musiker gelang es den Nazis, eine ganze jüdische, eine sehr menschliche Welt zu zerstören. Die Komponisten und Librettisten, die mit Humor und Ironie, leicht und lustig das Leben genommen und künstlerisch gestaltet hatten, sahen sich auf einmal einem schrecklichen und gnadenlosen Zeitgeist gegenüber. Es gibt eine lange Liste von Namen und Schicksalen, die davon berichten. Die Nationalsozialisten verbannten alle Werke von Leo Fall, Edmund Eysler, Leon Jessel, Jean Gilbert, Oscar Straus, Kurt Weill, Ralph Benatzky, Robert Stolz von deutschen Bühnen. Einige dieser Künstler, so war zu erfahren, emigrierten, so der Komponist Emmerich Kálmán in die USA. Nicht jedem gelang die Flucht. Für Land des Lächelns hatte Victor Léon 1923 die Urfassung geschrieben, die heute gängige stammt von Ludwig Herzer und Fritz Löhner-Beda. Alle drei Librettisten waren Juden, ihre Namen durften nicht mehr genannt werden. Léon starb 1940, zwei Jahre nach dem sogenannten Anschluß Österreichs in einem Wiener Versteck, Herzer gelang die Flucht nach Frankreich. Jede ihrer Musiknummern wurde ein Hit. Das Lied des Prinzen Sou-Chong Dein ist mein ganzes Herz mit dem Text von Löhner-Beda ging in der Schallplatten-Interpretation des Tenors Richard Tauber (er war nach England emigriert) um die Welt: „Dein ist mein ganzes Herz! Wo du nicht bist, kann ich nicht sein./ So, wie die Blume welkt, wenn sie nicht küßt der Sonnenschein!/ Dein ist mein schönstes Lied, weil es allein aus der Liebe erblüht./ Sag mir noch einmal, mein einzig Lieb, oh sag noch einmal mir: Ich hab dich lieb!“ Den Autoren der berühmten Lieder war das Schicksal ebenfalls nicht gewogen: Fritz Grünbaum, Texter und Interpret, Autor von populären Schlagern, wurde deportiert und ermordet. Paul Abraham, Komponist von Die Blume von Hawai, mußte sich in der Emigration als Barpianist durchschlagen, was er seelisch nicht verkraftete. Fritz Löhner-Beda hatte sich trotz Warnungen sicher gefühlt: „Der Hitler mag meine Musik“, meinte er. Doch schon am 13. März 1938, dem Tag nach dem Einmarsch deutscher Truppen in Österreich, wurde Löhner festgenommen und bald nach Dachau und dann nach Buchenwald deportiert. Dort entstand sein Buchenwald-Marsch. 1942 wurde Fritz Löhner-Beda zusammen mit über 400 Mithäftlingen nach Auschwitz-Monowitz gebracht und im Alter von 57 Jahren von den Nazis erschlagen. © Jüdische Allgemeine - Wochenzeitung für Politik, Kultur und Jüdisches Leben http://www.juedische-allgemeine.de/article/view/id/5247 Seite (2/3) Und noch ein Beispiel wurde den Besuchern in der Black Box vor Augen geführt: Hitler sei begeistert gewesen von Lehárs Operette Die lustige Witwe, deren Uraufführung er 1905 in Wien beigewohnt hatte. Hitler und Lehár begegneten sich 1936 bei einer Tagung der Reichskulturkammer in Berlin. Hitler sei nach Albert Speers Zeugnis „noch Tage danach beglückt über dieses bedeutungsvolle Zusammentreffen“ gewesen. In seinen offiziellen Reden und in seinen Taten sah das allerdings anders aus: Anfang Januar 1945, nur gut drei Monate vor der Befreiung vom Nazi-Regime, wurde der bereits 74jährige Franz Lehár in Wien von der Polizei wegen seiner Weigerung, sich von seiner „nicht-arischen“ Frau zu trennen, unter Hausarrest gestellt. Heute beschäftige sich vor allem die Wissenschaft mit der Operette. Denn seit etwa einem halben Jahrhundert werden keine Operetten mehr komponiert. Als Kunstform ist die Operette vergangen. Aufgeführt dagegen wird sie weiterhin erfolgreich. © Jüdische Allgemeine - Wochenzeitung für Politik, Kultur und Jüdisches Leben http://www.juedische-allgemeine.de/article/view/id/5247 Seite (3/3)