5/2009 Wolfgang Hierneis Ein Klischee sagt mehr als tausend Bilder Der nutzbringende Einsatz von Klischees in der Werbung Sonderdruck Sonderdruck Ein Klischee sagt mehr als tausend Bilder Der nutzbringende Einsatz von Klischees in der Werbung Der Autor Wolfgang Hierneis, Diplom-Volkswirt, ist Gesellschafter von MediaAnalyzer Software & Research, Hamburg. Nach seinem Studium war er zunächst für eine Managementholding im Bereich Mergers & Acquisitions sowie Business Development tätig. Seine Schwerpunkte sind Werbung und deren Wirkung auf Konsumenten. Zudem arbeitet Wolfgang Hierneis seit 1998 als selbständiger Berater für junge und etablierte Unternehmen. [email protected] D em Begriff Klischee haftet etwas Abwertendes, fast schon Anrüchiges an. Sie haben, so die gängige Vorstellung, etwas mit oberflächlichem Denken und Trivialität zu tun. Klischees sind nicht originell, sie sind nicht wertvoll, sie sind vielmehr nahe Verwandte der Stereotypen und der Vorurteile und sie sollten deswegen möglichst vermieden werden. Diese negative Beurteilung mag daher stammen, dass der Begriff Klischee neben anderem ursprünglich auch in der bildenden Kunst den Abklatsch, also den Abdruck einer Skulptur oder eines Reliefs bezeichnet. Dieses Klischee eignet sich dann als Vorlage zur Massenherstellung von Kopien, die – da durch den Abklatsch meist die Feinheiten des Originals verloren gehen – dann allerdings wesentlich gröber und von schlechterer Qualität sind als das ursprüngliche Kunstwerk. Nun haben wir es hier aber nicht mit Kunst und Kultur zu tun, sondern mit Werbung und da gelten möglicherweise andere Regeln. Hat diese negative Sicht auf Klischees auch hier noch ihre Gültigkeit? Macht sie hier überhaupt einen Sinn? Könnten nicht vielmehr gerade in der Werbung Klischees sehr nützlich sein? Und wenn man sich schließlich einmal doch an ihnen stößt, werden sie dann wirklich überwunden oder doch einfach nur durch neue ersetzt? Kann Werbung ohne Klischees überhaupt funktionieren? Stärken von Klischees in der Kommunikation Werbung ist zu allererst Kommunikation der Unternehmen mit ihren Kunden. Dabei geht es letzten Endes immer nur darum, die er- 2| planung & analyse 5/2009 zeugten Produkte möglichst wirkungsvoll anzupreisen, denn die Kunden sollen sie letztlich kaufen. Werbung ist also eine sehr zielgerichtete Kommunikation, die Kaufimpulse auslösen will. Zugleich aber hat diese Kommunikation wenig Zeit, sie muss schnell passieren. Werbung hat immer etwas von einem ungebetenen Monolog an sich – so, als wenn man auf der Straße unvermittelt angesprochen wird. Wenn Werbung aber schnell und wirkungsvoll kommunizieren muss, dann hat sie auch das Recht – und die Pflicht – sich derjenigen Elemente zu bedienen, die ihr das in bester Weise ermöglichen. Und Klischees gehören unbedingt dazu. Zunächst einmal sind Klischees sehr leicht verständlich. Gerade weil es sich bei ihnen um vergröberte und vereinfachte Bilder und Konzepte handelt, können ihre Inhalte von den Adressaten schnell und vor allem richtig entschlüsselt und verstanden werden. Man mag über Klischees vieles sagen, aber Rätselhaftigkeit gehört bestimmt nicht zu ihren Eigenschaften. Und mehr noch: Je öfter ein Klischee bemüht wird, je abgegriffener es ist, desto besser wird es erlernt, desto stärker wird das Verständnis für seine Bedeutung von den Konsumenten eingeübt. Ein älterer Herr, der mit ruhiger, leicht sonorer Stimme etwas anpreist, transportiert nun einmal die Eigenschaft Seriosität. Dabei kommt es weniger darauf an, ob diese Seriosität vom Betrachter auch wirklich so empfunden wird. Wichtiger ist, dass der Betrachter schnell und sicher versteht, dass hier Seriosität vermittelt werden soll. Darüber hinaus transportieren Klischees zumeist aber auch emotionale Botschaften. Allerdings werden auch diese Botschaften ebenfalls nicht in besonders origineller Form dargeboten. Vielmehr werden durch Klischees eher einfache, bekannte und nicht sehr komplexe Gefühle angesprochen. Und auch das ist in der Werbung völlig gerechtfertigt. Zum einen sind unsere Gefühle und Bedürfnisse in der Regel weit weniger komplex als es uns manchmal lieb ist. Zumindest diejenigen Bedürfnisse und Emotionen, die den Kaufakt entscheidend beeinflussen, sind doch eher gering in der Anzahl. Zum anderen aber hat Werbung nun einmal nur wenig Zeit, um ihre Botschaft zu kommunizieren. Da ist es durch- aus sinnvoll, wenn auch Gefühle direkt und einfach, dafür aber in jedem Falle treffsicher, angesprochen werden. Mit Klischees lässt sich das ohne weiteres sicherstellen. Man mag, um ein Beispiel zu nennen, seine eigenen Ideen haben, was individuellen Erfolg für einen ausmacht. Dennoch wird das Bild eines Mannes, der die angewinkelten Arme hochreißt, und dessen Gesichtsausdruck dem man das „Yeah“ regelrecht ansieht, immer das Gefühl des gerade erlangten Erfolges vermitteln. Und das auch dann, wenn man seine eigenen Erfolge ganz anders feiern würde. Schließlich haben Klischees noch einen dritten wesentlichen Vorteil: Die Werbung und ihre Botschaft bleiben leichter in Erinnerung. Es ist ja gerade eines der wesentlichen Kennzeichen der Klischees, dass sie in der einen oder anderen Weise schon unzählige Male gesehen oder gelesen wurden. Sie sind also gut im Kopf verankert. Wenn nun Werbung auf Klischees zurückgreift, dann kann sie diese eingeprägte Erinnerung nutzen, um ihre eigene Werbebotschaft daran zu binden. Klischees wirken also wie ein Erinnerungsanker, durch den die Werbung selbst besser erlernt und im Gedächtnis behalten werden kann. Identifikationswirkung von Klischees Eng mit dieser emotionalen Wirkung verknüpft ist auch die Identifikationsstärke von Klischees. Gerade weil sie weder inhaltlich noch emotional komplex sind, gerade weil sie keine Kanten haben, sondern eher nur die allgemeinen, großen Linien betonen, können sich Menschen leicht mit Klischees identifizieren. Es ist eine ganz wesentliche Aufgabe der Werbung, im Käufer einen Impuls des „Ja, ich auch“ auszulösen. Zustimmung und Besitzbedürfnis gehen aber damit einher, dass sich der Konsument mit dem Produkt, mit den angebotenen Nutzenversprechen und mit dem erwarteten Lebensgefühl identifizieren kann. Es mag richtig sein, dass heute die Betonung des Einzigartigen, des Individuellen für Konsumenten an Bedeutung gewinnt. Doch betrifft das eher die äußerliche Gestaltung und weniger die Bedürfnisse selbst. Diese sind letztlich www.planung-analyse.de Sonderdruck Kurzfassung Klischees sind oberflächlich und verallgemeinern. Aber sollte man sie deshalb unbedingt vermeiden? Sind Klischees in der Werbung nicht sogar eher nützlich und damit sinnvoll? Werbung ist Kommunikation mit dem Kunden und muss schnell und wirkungsvoll passieren. Klischees können durch intuitive Verständlichkeit und geringe Komplexität dabei helfen, Werbebotschaften im Kopf der Konsumenten leichter zu verankern. Dabei bieten sie dem Konsumenten eine einfache Möglichkeit, sich mit einer dargestellten Situation oder Lebensgefühl zu identifizieren. Eine Studie zeigt, dass Klischees durchaus Akzeptanz genießen und häufig zur Beurteilung von Menschen und Situationen herangezogen werden. Außerdem wirken sie in der Werbung glaubwürdig und überzeugend. durch Physiologie, Kultur und wohl auch Genetik auf einige wenige zentrale Gefühle beschränkt. Genau diese klar umrissenen, elementaren Bedürfnisse gilt es durch die Werbung in kürzester Zeit und zielgenau anzusprechen. Das gelingt mit Klischees meist sehr einfach. Es kommt dann nicht so sehr darauf an, dass das vermittelte emotionale Bild die individuellen Vorstellungen des Konsumenten in all ihren Facetten nachzeichnet. Vielmehr geht es darum, die emotionale Kernbotschaft prägnant zu vermitteln: Dieses Produkt macht Dich erfolgreich, schön, stark. Wer erfolgreich oder stark sein will, der wird die Botschaft verstehen und sie aufgreifen, auch und gerade dann, wenn sie nur durch ein Klischee dargestellt wird. Akzeptanz von Klischees Nun könnten zwar diese ganzen Vorteile in der Theorie bestehen und doch würden sie in der praktischen Anwendung nichts nützen, wenn Klischees von den Konsumenten abgelehnt würden. Das ist aber ganz und gar nicht der Fall, vielmehr gilt sogar das Gegenteil. In einer von MediaAnalyzer durchgeführten Online-Studie ergaben sich zum Teil hochinteressante Ergebnisse. Für diese Studie wurden 200 Probanden (49 Prozent Männer, 51 Prozent Frauen) im Alter zwischen 18 und 59 Jahren rekrutiert. Zunächst einmal wurden die Teilnehmer einer allgemeinen Befragung zum Thema unterzogen. In dieser Befragung gaben 37,5 Prozent der Befragten an, dass ihrer Meinung nach Klischees einen wahren Kern hätten. Knapp die Hälfte gab unumwunden zu, dass sie manchmal Vorurteile habe, und dass diese zur Orientierung im Leben nützlich seien. Es fällt dabei allerdings auf, dass nur 26 Prozent der Befragten angaben, jede Situation vorurteilsfrei zu beurteilen. Dies heißt umgekehrt, dass 74 Prozent implizit zugeben, hin und wieder doch Vorurteile in ihre Beurteilungen einfließen zu lassen. Hier spiegelt sich wohl etwas wider, was auch in anderen Teilen der Befragung zum Thema Klischees und Vorurteile deutlich wurde: Die meisten Menschen orientieren sich offenbar mit Hilfe von Klischees und Vorurteilen im Leben – vermutlich alleine schon aus einer Art Erkenntnisökonomie heraus – aber nicht alle wollen sich dazu bekennen. Es scheint politisch korrekter zu sein, sich hiervon zumindest pro forma zu distanzieren. Die Überzeugungskraft von Klischees Im zweiten Teil der Studie wurden den Probanden verschiedene Anzeigen zur Bewertung vorgelegt und hierzu eine Reihe geschlossener Fragen gestellt. Das Ergebnis war, dass diejenigen Werbeanzeigen, die eher klischeehafte Bilderwelten transportierten, die höchsten Werte bei „Glaubwürdigkeit“, „Anregung zur Auseinandersetzung mit dem Produkt“ und „Zusammenhang zwischen Anzeige und Produkt“ erzielten. Besonders waren dabei drei Anzeigen von Interesse: Tchibo, DMAX und Alldays. Alle drei Anzeigen leben davon, dass sie Menschen in klischeehaftem Verhalten und Situationen abbilden. Es wird darüber hinaus keine große Story erzählt, es werden keine Produktvorzüge erläutert und es werden auch keine komplexen neuen Gefühlswelten konstruiert (siehe Abbildung 1). Die Wirkung dieser Anzeigen beruht ganz offensichtlich auf etwas anderem: der einfachen, klaren und unmittelbaren Darstellung eines Lebensgefühls in einer formelhaften Art und Weise. Gerade weil diese Anzeigen Klischees nutzen, können sie auf Komplexität verzichten. Dadurch können sie wiederum schnell und unmissverständlich an den Betrachter die Aufforderung richten, sich mit ihrem Lebensgefühl zu identifizieren. Werbung passiert im Kopf Wie stark die Überzeugungskraft von Klischees wirken kann, zeigte sich auch daran, dass alle drei Anzeigen extrem niedrige Werte für „Langeweile“ erzielten (siehe Abbildung 2). 1 Anzeigen der Studie von Tchibo, Dmax und Alldays © Hierneis; planung & analyse 5/09 3| planung & analyse 5/2009 www.planung-analyse.de Sonderdruck Abstract Clichés are superficial and generalising. But should they therefore be necessarily avoided? Are not clichés in advertisement rather useful and thus make sense? Advertisement is communication with the customer and needs to take place quickly and effectively. With their intuitive understandability and little complexity, clichés can make it easier for advertising messages to stay in consumers‘ minds. They offer the consumer a simple opportunity to identify with a presented situation or lifestyle. A study shows that clichés are actually accepted and are often consulted for judgment of persons and situations. Furthermore, in advertisement, they appear believable and convincing. Obwohl wenig darauf zu sehen ist, und das Wenige sogar noch klischeehaft aufgemacht ist, finden Betrachter die Anzeigen interessant. Das kann nur daran liegen, dass diese Bilderwelten, eben gerade weil sie allgemein und faltenfrei gehalten sind, die Konsumenten einladen, sich ihre eigenen spannenden Ausschmückungen hinzuzudenken. Wenn Werbung aber vor allem im Kopf der Konsumenten passiert, dann sind Klischees – eben weil sie so sehr vertraut sind – eine gute Vorlage, um schnell und treffsicher Assoziationen anzuregen. Klischees im Wandel Im dritten Teil der Studie wurden offene Fragen zu bestimmten, ausgewählten Klischees gestellt. Wir wollten wissen, was die Probanden zur Geschlechterrolle sagen, wie sie Erfolg definieren würden und was für sie den Wert einer Familie ausmacht. 42 Prozent der Antworten zur Geschlechterrolle fielen dabei in ein klassisch-traditionelles Schema. Da wurden Frauen als emotional, diplomatisch und familienorientiert gesehen; Männer hingegen als rational und erfolgsorientiert. Wo- bei es wohl auch zu diesem traditionellen Bild gehört, dass die aktiven Männer auch wehleidig, Frauen dagegen verantwortungsbewusst sind. Dem gegenüber lassen sich nur 15 Prozent aller Antworten einem Schema zuordnen, das man als „politisch-korrekt“, „modern“ oder „emanzipiert“ beschreiben könnte. Dieses Ergebnis war nicht zuletzt deshalb unerwartet, da das Panel online rekrutiert wurde, hier also Personen befragt wurden, die nicht nur Internetnutzer sind, sondern auch innovativen Befragungsformen aufgeschlossen gegenüberstehen. Auch Erfolg wird wohl bis auf weiteres in der Werbung am besten durch Attribute wie Geld, Sozialstatus, Luxus oder auch durch Schönheit dargestellt. Denn die Mehrheit der Befragten gab genau diese Eigenschaften als Kriterien des Erfolges an. Vorgeblich modernere und zeitgemäßere Attribute, wie etwa Zufriedenheit, intakte Familie, Selbstverwirklichung und anderes, rangierten weit abgeschlagen auf den hinteren Plätzen. Apropos Familie: Bei einigen Antworten zu diesem Thema wurden wir beinahe schon an 3 2 Anzeige von Miele mit Klischee Anzeigenbewertung in der Übersicht © Hierneis; planung & analyse 5/09 4| planung & analyse 5/2009 Sittengemälde der 1950er Jahre erinnert. Eine ideale Familie wird beschrieben mit Begriffen wie Zusammenhalt, Zusammensein, Geborgenheit, Sicherheit, Kinder. Dass dabei der Mann berufstätig sein und die Frau sich um den Haushalt kümmern sollte, das kann dann – auch wenn es nur vereinzelt in dieser Deutlichkeit formuliert wurde – nur noch als übergeordnete Bestätigung einer zugrunde liegenden Struktur gesehen werden. Es stellt sich bei alledem die Frage, welche Ergebnisse eine internationale Befragung ergeben hätte. Denn es steht in genug Nachrichten, dass in Deutschland die Labour-Force-Participation der Frauen besonders niedrig ist und dass hierzulande die Rollenverteilung zwischen den Geschlechtern konservativer sei als anderswo. Und doch drängt sich bei der Betrachtung einer Miele-Anzeige aus dem Jahre 2009 die Frage auf, der man auch mit noch so kritischem Verstand, auch mit noch so abgeklärter Sicht auf die wirtschaftlichen Notwendigkeiten der Werbung des 21. Jahrhunderts nicht ausweichen kann: Eine Mutter, die neben ihrem Nachwuchs niederkniet, ihm die Welt erklärt und ihn zugleich auf sein eigenes Leben vorbereitet – wird dieses Bild nicht schon im Neandertal zu einem deutlichen Anstieg des Feuersteinabsatzes im dritten Quartal geführt haben (siehe Abbildung 3)? Manche Klischees sind vielleicht nichts anderes als der eindeutige und eindringliche Appell an unser genetisches Programm. Wenn dem so wäre, dann wäre auch verständlich, woher ihre zwingende Wirkung rührt. ⌬ © Hierneis; planung & analyse 5/09 www.planung-analyse.de