Was sind Salafisten, Teil 3-8 (Raschid Rida) – Leonhardt (2015)

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Walter Leonhardt, Veröffentlichungsdatum: 05.12.2015
Was sind Salafisten? (Teil 3: Der Moderate Raschid Rida)
Verfolgt man die aktuelle Berichterstattung bundesdeutscher Medien bezüglich Islam, Islamisten und Islami(-sti-)sierung taucht immer wieder der Begriff “Salafismus” auf.
Dabei haben unsere Bürger immer das Bild von böse drein blickenden Muselmanen mit Bombenleger-Bärten im Kopf, die unsere schöne christlich-demokratische Welt siebenhundert Jahre zurück in die Vergangenheit katapultieren wollen und uns ganz nebenbei noch Koran, Vollkörperschleier und Scharia aufdrücken.
Doch ist das wirklich Salafismus? Was sagt Dein gesunder Menschenverstand dazu? Bösen
Blick und Bartwuchs können die Salafisten zwar allesamt, allerdings kann Basketball-Profi
Jon Brockman das ebenfalls, ohne deshalb gleich Salafist oder gar böse zu sein…
Nummer 3: Der “Capo dei Capi” des moderaten Salafismus: Raschīd
Ridā
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Walter Leonhardt, Veröffentlichungsdatum: 05.12.2015
1865 war das Jahr, als ein bedeutender Vordenker freiheitlich-liberaldemokratisch-christlicher Werte (Abraham Lincoln) starb und ein mindestens ebenso bedeutender Vordenker
freiheitlich-liberaldemokratisch-islamischer Werte geboren wurde: Raschīd Ridā!
Raschīd Ridā wuchs als Dorfkind innerhalb einer frommen Familie im heutigen Libanon auf,
was damals aber Teil von „Ottomanisch-Syrien“ war. Im Gegensatz zu Jamal Addin al-Afghani und Muhammad Abduh genoss er bereits während der Schulzeit eine moderne Bildung. Er
besuchte danach die nationale Islamische Schule im libanesischen Tripolis und hielt später
zahlreiche Kontakte zu christlichen Intellektuellen und Missionaren in Beirut, die ihn bezüglich westlichem Gedankengut auf dem Laufenden hielten.
Nach einem kurzen Flirt mit den islamischen Lehren des Sufismus distanzierte er sich von
diesen, lehnte diese als vorislamische Rituale („spirituelles Heidentum“) ab und wandte sich
gleichzeitig den alten Schriften des Islams zu, aufgrund derer er zur Erkenntnis kam, dass der
Islam nicht nur eine das Individuum sondern eine alles mit einbeziehende universelle Lehre
sei.
1897 zog er in das (im Vergleich zum Osmanenreich deutlich) liberalere Ägypten und wurde
Muhammad Abduhs Schüler, von dem er sich dadurch unterschied, dass er westliches Denken zwar begrüßte, aber nicht seines Meisters undifferenzierte Begeisterung über europäische
Werte an sich teilte. Stattdessen engagierte sich Ridā verstärkt für einen Politischen Islam und
versuchte die geistlich-weltliche „Brückeninstitution“ des Kalifats wieder zu errichten. Darunter stellte er sich einen demokratisch gewählten Kalifen vor, der in seiner Funktion als Führer aller Muslime von einem Gremium bestehend aus weltlich und geistlich erfahrener Männer beraten wird.
War für seinen Mentor Muhammad Abduh die Bildung bereits das A und O, um die islamische Welt erfolgreich in die Moderne zu führen, ging Raschīd Ridā sogar noch einen Schritt
weiter: Da er im Mangel an Bildung die Garantie für die unliebsame Vorherrschaft des Westens sah, schätzte er auch die Bedeutung neuer Schulen höher als die Gründung neuer Moscheen ein.
Seine Werte und Vorstellungen von einer modernen islamischen Welt brachte er in der von
Muhammad Abduh gegründeten Zeitschrift „Al Manar“ („Der Leuchtturm“) ein, konnte sich
aber vor allem mit seiner ersten Forderung - der der Wiedererrichtung des Kalifats -, nicht ge2
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gen die mehrheitlich europäisch-säkularisierten Vorstellungen der muslimische Elite durchsetzen.
Ridā hielt diesen entgegen, dass er mit der offensichtlichen Doppelmoral der Europäer nicht
einverstanden sei. Diese stellten sich einerseits innerhalb Europas als moderne, fortschrittsorientierte Zivilisation dar, andererseits verhielten sie sich außerhalb Europas weiterhin wie antiquierte und Fortschritt ablehnende Kolonialherren, die fortschrittsorientierte Bestrebungen (zu
Freiheit im Denken und Freiheit im Sein) innerhalb ihrer Kolonien unterdrückten.
Um all das überwinden zu können suchte Raschīd Ridā Antworten in den ursprünglichen Lehren Mohammeds und derer der ersten Generation von Muslimen „before corruptions began to
spread among the religious practices of the faithful“. Denn Mohammed habe damals gezeigt,
dass der Islam deshalb so erfolgreich sei, da dieser nicht nur um das geistliche sondern auch
um das weltliche Wohlergehen der Menschen besorgt sei. Ridā meinte damit ganz konkret
jene Regeln, die Muslime Armenfürsorge und Nächstenliebe als oberste islamische Individualpflicht auftrug. Damit die Islamische Gesellschaft diesen Pflichten auch in Anbetracht der
Herausforderungen der (europäisierten) Moderne nachkommen könne, sprach sich Raschīd
Ridā auch dafür aus, die vom Prophet Mohammed aus damals richtiger Perspektive verbotene
Zinsnahme aus heutzutage (veränderter) richtiger Perspektive wieder aufzuheben. Ridā sagte
hierzu, dass Muslimen sich emanzipieren, deshalb auch Zinsen akzeptieren müssten wenn
man sich von der westlichen Vorherrschaft wirklich befreien wolle.
Nachdem die Muslime durch die Zerschlagung des Osmanischen Reichs (1299-1923), die Abschaffung des Sultanats 1922 und die Vertreibung des letzten Kalifen Abdülmecid 1924 eine
Sinn- und Identitätskrise durchlebten, da sie (abgesehen vom wahhabitischen Staat Saudi-Arabien und dem Königreich Hedschas) ihre letzte durch Gott legitimierte Herrschaft auf Erden verloren hatten, stimmte auch Ridā verstärkt versöhnlichere Töne gegenüber die von ihm
bist dahin strikt abgelehnten (radikalen) Wahhabiten an. Der tunesische Rechts- und Politikwissenschaftler Hamadi Redissi spricht hierbei von einem aus reiner Not heraus entstandenem
Opportunismus, da Ridā sich dem (saudi-arabischen) Königshaus Saud erst in dem Augenblick zugewandt habe, als ihm der wesentlich aufgeklärtere Hedscha-König Hussein ibn Ali
jegliche Unterstützung verweigert hatte.
Durch Ridās freundlichere Töne gegenüber den bis dahin in den urbanen Gesellschaften als
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primitiv-rückständig und aggressiv wahrgenommenen Radikalen trug er mit dazu bei, NadjdWahhabismus salonfähig zu machen.
Raschīd Ridās Gesamtwirken stellte die Grundlage der 1928 in Ägypten gegründeten
Muslimbruderschaft dar. Daraus erklärt sich auch, warum die Muslimbruderschaft einerseits
Inbegriff für freiheitlich-liberaldemokratisch-islamisches Denken, gleichzeitig aber auch die
Keimzelle für radikal-islamistisches Gedankengut war.
Es bleibt jedem selbst überlassen, darüber zu entscheiden, ob er Raschīd Ridā aufgrund seines
Werkes und Wirkens oder aufgrund dessen letzter (falschen) Handlung (dem Radikalen gegenüber) und den (später) daraus entstandenen Folgen beurteilen will.
In meinen Augen beweist letzteres nur, dass Raschīd Ridā bei aller Größe und Großartigkeit
eben doch kein Heiliger, sondern auch nur ein Mensch aus Fleisch und Blut war.
Einerseits kann man sagen, Raschīd Ridā machte in seinem Leben deutlich mehr richtig als
falsch, andererseits kann man aber natürlich genauso gut sagen, dass er das, was er falsch
machte, gleich richtig falsch machte. Daher muss jeder für sich selbst entscheiden, ob er ausreichend ohne Sünde ist, um den ersten Stein zu werfen. Ich zumindest bin das nicht.
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