In diesem Kapitel werden einige wichtige stetige Wahrscheinlichkeitsverteilungen vorgestellt, die in der Technik, Naturwissenschaften und der Statistik eine wichtige Rolle spielen. Die Exponentialverteilung spielt eine wichtige Rolle in der Warteschlangentheorie (queuing theory) und Zuverlässigkeit von Systemen (reliability problems). Die Verteilung der Lebensdauer z.B. von Bauteilen kann durch die Dichtefunktion der Exponentialverteilung beschrieben werden. Die Lebensdauern in (Jahren) von 40 baugleichen elektronischen Dioden einer Serienproduktion wurden gemessen. 0,2 1,5 2,7 4,8 0,3 1,6 2,78 5,0 0,4 1,72 3,1 5,8 0,55 1,8 3,2 5,99 0,6 1,9 3,8 6,0 0,8 1,92 3,96 6,7 0,84 2,0 4,1 7,0 1,0 2,1 4,32 7,4 1,2 2,35 4,5 8,6 1,45 2,5 4,65 9,4 Aus den Ergebnissen der Messungen wurde die folgende klassierte Häufigkeitstabelle erstellt. Klasse Kj [0 ; 2) [2 ; 4) [4 ; 6) [6 ; 8) [8 ; 10) j 1 2 3 4 5 KlassenBreite: d j 2–0=2 2 2 2 2 KlassenMitte: m j ½ (0+2) = 1 3 5 7 9 Abs. Häuf. h j 16 10 8 4 2 Rel. Häuf. fj 16 40 = 0,4 0,25 0,2 0,1 0,05 Klassendichte: Kumulierte Häufig. F j f j 0,4 0,4 2 = 0,2 0,125 0,65 0,1 0,85 0,05 0,95 0,025 1 In der Abbildung sind das Dichte-Histogramm und die Kurve der Dichtefunktion, die an den Messdaten angepasst wurde, dargestellt. j Häufig. f 0.3 f(x) Die approximierte Dichtefunktion lautet: 0.25 0.2 f (x 0.15 )= 0 0,3 e für − 0,3 x für x ≤ 0 x > 0 0.1 0.05 x 0 2 4 6 8 10 12 1 Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass eine Diode eine Lebensdauer zwischen 2 bis 4 Jahren besitzt? ! Mit Hilfe des Dichte-Histogramms: Der Flächeninhalt des 2. Rechteckes: 2 ⋅ 0,125 = 0,25 Mit Hilfe der Dichtefunktion: Der Flächeninhlt unterhalb des Graphen der Dichtefunktion zwischen den Grenzen 2 und 4: P (2 ≤ X ≤ 4) = 4 0 ,3 e 2 − 0,3 x dx = 0 , 247 Exponential-Verteilung Die Verteilung einer stetigen Zufallsvariable X mit der Dichtefunktion: 0 f (x x ≤ 0 für )= , − αx α e α >0 mit x > 0 für heißt Exponetialverteilung. Die Verteilungsfunktion der Exponentialverteilung lautet: 0 x F(x ) = P(X ≤ x ) = f ( u ) du x ≤ 0 = 1− e − ∞ − αx F(x) " f(x) für für x > 0 # " # # 1 0.14 F ( x0 ) 0.12 F ( x0 ) = P ( X 0.1 x0 ) 0.08 0.06 0.04 x 0.02 0 5 x100 15 20 x 0 x0 2 $ # " Die Lage- und Streu-Parameter der Exponentialverteilung, wie der Mittelwert (Erwartungswert) und die Varianz bzw. die Standardabweichung, können mit Hilfe der Formeln zur Berechnung von Parametern stetiger Zufallsvariablen bestimmt werden. (s. Kapitel 4: Zufallsvariablen) Satz: Erwartungswert und Varianz der Exponential-Verteilung Der Erwartungswert der Exponential-Verteilung ist: ∞ x ⋅ f ( x ) dx = µ = − ∞ 1 α Die Varianz der Exponential-Verteilung ist: ∞ σ 2 = − ∞ f ( x ) ⋅ ( x − µ ) 2 dx = 1 2 α % & Die Wahrscheinlichkeitsverteilung der Lebensdauer X aus Beispiel 1 wurde durch die folgende Dichtefunktion gegeben: f ( x ) = 0,3 e – 0,3 x , für x>0 ' Geben Sie mit Hilfe der Verteilungsfunktion die Wahrscheinlichkeit dafür an, dass die Lebensdauer einer Diode zwischen 2 bis 4 Jahren beträgt. &' Geben Sie die durchschnittliche Lebensdauer an. ' Geben Sie die Varianz (bzw. die Standardabweichung) der Verteilung der Lebensdauer an. ! 3 ( ) " Das q-Quantil mit 0 < q < 1 ist der x-Wert, der die Gesamtfläche unterhalb der Dichtefunktion f (x) in 2 Teilflächen aufteilt, so dass links von ihm der Inhalt der einen Teilfläche q und rechts von ihm der Inhalt der anderen Teilfläche 1 – q beträgt. Der Flächeninhalt unter dem Graphen der Dichtefunktion f (x) bis zu einem beliebigen x-Wert wird durch den Funktionswert der Verteilungsfunktion F (x) bei diesem x-Wert angegeben. Wenn die Verteilungsfunktion F streng monoton wachsend ist, dann lassen sich die Quantilen mit Hilfe dieser Verteilungsfunktion bestimmen. Bestimmen Sie den Median xMed = x 0,5 (das 50%-Quantil) der Exponentialverteilung aus Bsp. mit Hilfe der Verteilungsfunktion: – 0,3 x , für x > 0 F(x)= 1– e ! q = ½ F (xMed ) = ½ − 0 , 3 ⋅ x Med 1− e e − 0 , 3 ⋅ x Med = = – 0,3 xMed ½ | ln ½ = ln (½ ) = 2,31 [Jahren] xMed Satz: Quantilen der Exponential-Verteilung Das q-Quantil xq der Exponentialverteilung mit 0 < q < 1 ist die Zahl auf der x-Achse, für die gilt: F (xq ) = q 1− e Folglich lässt sich das q-Quantil xq xq f(x) = − α⋅ xq = q der Exponentialverteilung wie folgt bestimmen: − ln ( 1 − q ) α F(x) " # # " # 1 F (xq) = q 0.14 0.12 Fläche: F (xq) 0.1 0.08 0.06 0.04 0.02 0 q-Quantil q q-Quantil x 5 10 xq 15 20 x 0 xq 4 % & Die Dichtefunktion und Verteilungsfunktion der Exponentialverteilung aus Bsp. f ( x ) = 0,3 e – 0,3 x und F(x)= 1– e – 0,3 x , für lauten: x>0 ' Bestimmen Sie das 25%-Quantil dieser Verteilung mit Hilfe der Verteilungsfunktion. &' Verifizieren Sie Ihr Ergebnis aus a) mit Hilfe der obigen Formel. ! * # + , "- Wenn z.B. die Lebensdauer X eines Bauteils (in Stunden) eine exponentialverteilte Zufallsvariable ist und das Bauteil eine bestimmte Lebensdauer X = w [Stunden] erreicht hat, so ist seine weitere Lebensdauer x0 unabhängig, von der bereits erreichten Lebensdauer w. Aus diesem Grund wird die Exponentialverteilung als gedächtnislos bezeichnet. Satz: Gedächtnislosigkeit der Exponentialverteilung Eine stetige Zufallsvariable X ist dann exponentialverteilt, wenn für alle w > 0 und x0 > 0 gilt: P ( [X ≤ w + x0 ] [X >w ] ) = P(X ≤ x0 ) 5 . Seien folgende Ereignisse gegeben: A : „Lebensdauer mehr als X = w Stunden.“ B : „Lebensdauer weniger als X = w + x0 Stunden.“ Dann ist die Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Lebensdauer des Bauteils noch x0 Stunden mehr dauert, unter der Bedingung, dass es schon w Stunden erreicht hat, gegen durch: P(B | A ) P ( B A) P(A) = f(x) P(w w + x0 ) X P(X >w ) x x0 w P ( [X ≤ w + x0 ] [X >w ] ) = = = P (w ≤ X ≤ w + x 0 P (X >w F (w + x 0 )− ) F (w 1 − F (w ) ) ) ( 1 − e − α [w + x 0 ] ) − ( 1 − e = 1− e 1 − − α x0 (1 − e = ) = F (x0 ) ) − αw P (X ≤ x0 − αw ) Aus diesem Ergebnis sehen wir, dass die Wahrscheinlichkeit, dass die Lebensdauer noch weitere x0 Stunden dauert, unabhängig von der vorher bereits erreicht Lebensdauer w ist. % & $ Eine Diode aus Bsp. 1- hat bereits eine Lebensdauer von 3 Jahre erreicht, wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass diese Diode eine Lebensdauer von 5 Jahre erreicht? Die Dichtefunktion und Verteilungsfunktion der Exponentialverteilung aus Bsp. lauten: f ( x ) = 0,3 e – 0,3 x und F(x)= 1– e – 0,3 x , für x>0 ' Bestimmen Sie diese Wahrscheinlichkeit, indem Sie die bedingte Wahrscheinlichkeit wie im obigen Beweis berechen. &' Verifizieren Sie Ihr Ergebnis aus a) mit Hilfe des obigen Satzes: Gedächtnislosigkeit der Exponentialverteilung 6 ! $ / & # Die Zuverlässigkeit (Reliability) wird meist mit der Überlebenswahrscheinlichkeit (Lebensdauerwahrscheinlichkeit) bezeichnet. Das Gegenteil dazu ist die Ausfallwahrscheinlichkeit. Der Zusammenhang zwischen der Ausfallrate und der Lebensdauer lässt sich mit Hilfe der Weibull-Verteilung darstellen. Die Weibull-Verteilung kann als eine Verallgemeinerung der Exponential-Verteilung angesehen werden. Die Exponentialverteilung bietet sich als Verteilung von Lebensdauern an, wenn die Ausfallrate als konstant angesehen wird. Ändert sich dagegen die Ausfallsrate mit der Zeit, so wird die Verteilung durch die Weibull-Verteilung gegeben. Weibull-Verteilung Die Verteilung einer stetigen Zufallsvariable X mit der Dichtefunktion: 0 für x ≤ 0 f (x) = , α ⋅ β ⋅ x β −1 e − α⋅x β für mit α > 0 und β > 0 x > 0 heißt Weibull-Verteilung. Die Verteilungsfunktion der Weibull-Verteilung lautet: 0 x F (x) = P(X ≤ x ) = f ( u ) du − ∞ für x ≤ 0 = 1− e − α⋅x β für x > 0 Für β = 1 ergibt sich aus der Weibull-Verteilung die Exponential-Verteilung. 7 f ( x) α =1 β = 4 α =1 β =1 α =1 β = 2 α =1 β = 0,5 x 0 Satz : Erwartungswert und Varianz der Weibull-Verteilung Der Erwartungswert der Weibull-Verteilung ist: ∞ x ⋅ f ( x ) dx = α µ = − 1 β ⋅Γ β +1 β − ∞ Die Varianz der Weibull-Verteilung ist: ∞ σ 2 2 f ( x ) ⋅ ( x − µ ) dx = α = − 2 β ⋅ Γ β +2 − ∞ β − Γ2 β +1 β Γ ( α ) gibt die Gamma-Funktion an. Gamma-Funktion Die Funktion Γ ( α ) wird als die Gamma-Funktion bezeichnet. Einige Werte der Gammafunktion können mit Hilfe von Rekursionsformeln berechnet werden. Einige spezielle Werte und Rekursionsformeln der Gammafunktion sind wie folgt: Γ ( )= 1 2 Γ(1 ) = 1 π Γ(α + 1) = α⋅Γ(α) mit α > 0 Γ(n + 1) = n! mit n = 1 ; 2 ; 3 ; . . . ( Γ n + 1 2 )= 1⋅ 3 ⋅ 5 ( 2 n − 1) 2n ⋅ π mit n = 1 ; 2 ; 3 ; . . . 8 $ Die Lebensdauer X (in Stunden) einer mechanischen Feder sei eine Zufallsgröße, die durch eine Weibull-Verteilung mit α = 0,1 und β = 0,5 beschrieben wird. Berechnen Sie ' die mittlere Lebensdauer der Feder . &' die Wahrscheinlichkeit, dass die Lebensdauer der Feder mehr als 30 Stunden ist. ! ' µ = 0 ,1 − 1 0,5 0,5 + 1 ⋅Γ 0,5 = 0 , 1 − 2 ⋅ Γ ( 3 ) = 100 ⋅ 2 ! = 200 [ h ] &' 30 P ( X > 30 ) = 1 − P ( X ≤ 30 ) = 1 − = 1− { 0 − ∞ 0 ⋅ dx + 0 + = 1 − 0 + 1 – = − ∞ = 1 − = f ( x ) dx 30 0 1 0 ,1 ⋅ 0 , 5 ⋅ x 0 , 5 − 1 e − − e 1 − e − 0 , 1⋅ x 0 , 5 0 , 1⋅ x 0 , 5 dx } 30 0 − 0 , 1 ⋅ 30 0 , 5 − 1 − e − 0 , 1⋅ 0 0 , 5 { 0,421 } = 0,578 % & ( Leiten Sie aus der Verteilungsfunktion der Weibull-Verteilung F(x) = 1 − e − α ⋅x β für x > 0 die Dichtefunktion dieser Verteilung her. ! 9 % & ( Die Wahrscheinlichkeitsverteilung der Lebensdauer X einer mechanischen Feder aus Beispiel 2 wurde durch eine Weibull-Verteilung mit α = 0,1 und β = 0,5 gegeben. Geben Sie mit Hilfe der Verteilungsfunktion die Wahrscheinlichkeit dafür an, dass die Lebensdauer der Feder mehr als 30 Stunden dauert. ! 10