Polychromatismus: Prozesse in der Natur

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Polychromatismus:
Prozesse in der Natur
Michi Tobler
Mit großem Interesse habe ich die Berichte über
„Fehlfarben“ bei Cichliden und anderen Fischen,
die in den letzten Monaten in den DCG-Informationen erschienen sind, verfolgt (geschrieben von
Peter Buchhauser 4/2004, Lutz Krahnefeld 5/2004
und Erwin Schraml 10/2004). Obschon ich nachvollziehen kann, dass man abweichend gefärbte
Fische in Aquarienpopulationen, die man als solches nicht in den natürlichen Populationen findet,
als „falsch gefärbt“ bezeichnet, finde ich den
Begriff Fehlfarben nicht sehr glücklich (wie schon
von Krahnefeld angesprochen). Besser spricht man
von verschiedenen Farbmorphen oder Chromen.
Das Phänomen, dass innerhalb von Populationen
verschiedne Farbformen vorkommen, nennt man
Farbpolymorphismus oder Polychromatismus.
Besonders interessant sind natürliche Populationen, in denen verschiedene Farbmorphen einer Art
im gleichen Habitat vorkommen (beispielsweise
bei verschiedenen Mbuna aus dem Malawisee).
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Polychromatismen bei Cichliden
Farbpolymorphismen kann man im Tierreich sehr
häufig beobachten. Meist sind neben den extremen
Morphen zahlreiche Zwischenformen zu finden, so
dass die verschiedenen Extreme fließend in einander übergehen. Interessiert man sich für das Phänomen des Polychromatismus, dann sind Cichliden
aus drei Gründen außergewöhnlich:
• In der Familie Cichlidae sind Polychromatismen
in natürlichen Populationen vergleichsweise häufig
(oder nur außergewöhnlich gut dokumentiert?).
Innerhalb der Familie ist die Ausbildung von verschiedenen Farbmorphen in den unterschiedlichsten Verwandtschaftsgruppen zu finden.
• Besonders oft findet man bei Cichliden diskrete
Farbformen, d.h. neben der Normalmorphe (so
wird im Allgemeinen einfach die häufigste Morphe
bezeichnet) findet man weitere Chromen, die vollkommen anders gefärbt sind. Zudem gibt es keine
Zwischenformen.
• Bemerkenswert ist, dass die alternativen Farbmorphen selbst in nur entfernt verwandten Art-
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komplexen und unabhängig von der Normalfärbung oft ähnlich aussehen: Entweder sind es so genannte O-Morphen oder OB-Morphen. O-Morphen
sind xanthoristische Individuen, die außer den gelben keine Farbpigmente mehr bilden. Die Körperfarbe variiert so von weißlich über gelb zu orange.
Im Gegensatz zu Albinos sind die Augen stets pigmentiert. OB-Tiere zeigen eine weiß-gelbliche bis
orangefarbene Körpergrundtönung mit unregelmäßigen braun-schwarzen Flecken.
Vor- und Nachteile anders zu sein
Während man abweichende Individuen im Aquarium getrost als Fehler oder Laune der Natur bezeichnen kann, trifft das auf alternative Farbformen
in der Natur keineswegs zu: Die Natur verzeiht
keine Fehler. Die Farbe einer Art entstand im Laufe
der Evolution nicht durch Zufall. Im Gegenteil
erfüllt die Färbung einer Art im täglichen Leben
wichtige Funktionen wie Tarnung, Warnung und
Kommunikation. Man würde also erwarten, dass
gravierend abweichend gefärbte Individuen benachteiligt sind und eher früher als später wieder
aus den Populationen verschwinden.
Amphilophus citrinellus aus Nicaragua kommt auch in
natürlichen Populationen in verschiedenen Farbmorphen vor. Unten: Normalmorphe; Seite 270: O-Morphe. Entsprechende Morphen sind von fast allen anderen Arten aus diesem Artkomplex bekannt
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Gerade die O- und OB-Morphen der Cichliden sind
ein gutes Beispiel dafür: Je nach Hintergrund sind
die Tiere sehr auffällig, was beispielsweise die
Aufmerksamkeit von Räubern auf sich ziehen
kann. Da Farbsignale eine wichtige Rolle bei der
Kommunikation bei Cichliden spielen, ist möglicherweise auch die innerartliche Verständigung
(wichtig bei Revierverhalten und Fortpflanzung)
nicht ohne weiteres möglich. Warum sind diese
abweichenden Morphen dann trotzdem in den
natürlichen Habitaten zu finden? Um des Rätsels
Lösung gleich vorwegzunehmen: Die exakten
Mechanismen liegen nach wie vor im Dunkeln,
denn detaillierte Studien fehlen bis heute weitgehend.
Abweichend gefärbte Morphen können sich in
natürlichen Populationen behaupten, wenn die Färbung schlicht keine biologische Relevanz mehr hat
(d.h. keinen Einfluss auf Überlebenswahrscheinlichkeit oder Fortpflanzungserfolg). Das ist beispielsweise im Dunkeln der Fall und in lichtlosen
Habitaten kann das dazu führen, dass die alternative
Morphe die Normalmorphen sogar verdrängen
(siehe beispielsweise beim Höhlenmolly, Poecilia
mexicana).
Normalerweise kann man aber davon ausgehen,
dass die Färbung eines Tieres durchaus biologische
Relevanz hat. Findet man folglich Populationen, in
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Unter bestimmten Umständen können sich alternative Farbformen durchsetzen und die Normalmorphe verdrängen:
In einer Kalkhöhle in
Tabasco (Mexico) haben
unpigmentierte Poecilia
mexicana (links) die normal gefärbten Individuen,
wie sie in Oberflächenhabitaten zu finden sind
(unten), verdrängt.
Im Dunkeln hat die Färbung der Fische schlicht
keine biologische Relevanz
Fotos: Michi Tobler
denen verschiedene Farbmorphen stabil miteinander koexistieren, dann müssen die O- und OBMorphen allfällige Nachteile gegenüber den normal gefärbten Tieren wettmachen. Dazu haben sie
grundsätzlich zwei Möglichkeiten:
Sie können ihre Überlebenswahrscheinlichkeit
steigern oder ihren Fortpflanzungserfolg.
Wie bereits erwähnt sind nur wenige Arten überhaupt untersucht worden. Eine durch George Bar-
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low und seine Studenten besonders gut untersuchte Art ist Amphilophus citrinellus. Innerhalb der
Gattung Amphilophus (sensu stricto) zeigen fast
alle Arten den beschriebenen O/OB-Polymorphismus. Für A. citrinellus konnte gezeigt werden, dass
gelb gefärbte Individuen zwar häufiger Prädatoren
zum Opfer fallen, sich dafür aber früher fortpflanzen und ihre Brut aggressiver verteidigen.
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Von einigen Mbuna, den
„Felscichliden“ des Malawisees, ist Polychromatismus
bekannt.
Etwa ein Dutzend Arten bildet neben der „normalen“
Chrome eine sogenannte
OB-Morphe aus
(OB=Orange Blotch=orange dunkel getupf).
O-Morphen (O=orange)
sind xanthoristische Individuen einer Art.
Im Bild: „Normalform“ von
Pseudotropheus fainzilberi
Foto: Andreas Spreinat
Die alternative Morphe hat folglich eine reduzierte
Überlebenswahrscheinlichkeit. Sie macht dies durch
einen erhöhten Fortpflanzungserfolg wieder wett.
Neue Arten?
Wiederholt wurde in der wissenschaftlichen Literatur schon die Idee geäußert, dass die Aufsplittung
in verschiedene Farbmorphen ein erster Schritt zur
Bildung einer neuen Art sein kann. Bei verschiedenen Arten, so auch bei den A. citinellus kann man
beobachten, dass sich die Tiere einer Farbmorphe
eher mit der gleichen Morphe verpaaren als mit
einer anderen. Ein ähnliches Muster fanden Ole
Seehausen und Mitarbeiter auch bei einem Viktoriasee-Cichliden (Neochromis omnicaeruleus).
Hält dieses selektive Paarungsmuster über Generationen an, können sich zumindest theoretisch
eigenständige Arten entwickeln, die sich schlussendlich nicht nur in der Farbe, sondern auch in
anderen Merkmalen unterscheiden.
Viele Prozesse über die Evolution von Farbpolymorphismen bei Cichliden liegen heute noch im
Dunkeln. Beobachtungen wie die von Lutz Krahnefeld, dessen Vieja sich mehrfach umfärbten, sind
äußert wertvolle Beiträge zum Verständnis der Problematik und zeigen, dass man auch im eigenen
Aquarium tolle Entdeckungen machen kann.
Ich bin jedenfalls stets auf neue Beobachtungen
gespannt!
OB-Morphe eines Pseudotropheus-fainzilberiMännchens.
OB-Morphen zeigen eine
weiß-gelbliche bis orangefarbene Körpergrundtönung mit unregelmäßigen
braun-schwarzen Flecken.
In der Regel bilden vornehmlich Weibchen diese
Morphe aus. Derartig gefärbte Männchen sind in
der Natur ausgesprochen
selten und werden deshalb
als „Marmalde Cat“
bezeichnet
Foto: Erwin Schraml
DCG-Informationen 36 (12): 270–273
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