Prof. Dr. H. Zähle 1 1.1 Vorlesung Stochastische Prozesse, Anlage 1 Universität des Saarlandes, WS 2012/13 Das Kolmogorov’sche Null-Eins-Gesetz Die Tail-σ-Algebra Seien (Ω, F, P) ein W-Raum, (Ω0 , F 0 ) ein messbarer Raum, und X := (Xn ) ein Folge von (Ω0 , F 0 )-wertigen Zufallselementen. Definition 1.1 Für jedes m ∈ N sei Tm (X) := σ(Xm , Xm+1 , . . .) die von Xm , Xm+1 , . . . erzeugte σ-Algebra. Dann nennt man die σ-Algebra ∞ \ T∞ (X) := Tm (X) m=1 die Tail-σ-Algebra der Folge X. Ereignisse, die in T∞ (X) liegen, können nur von asymptotischen Eigenschaften“ ” der Folge X abhängen. Die folgende Proposition liefert ein paar Beispiele. Proposition 1.2 Seien (Ω0 , F 0 ) = (R, B(R)) und (an ) ⊂ (0, ∞) mit an % ∞. Ferner P sei X n := a1n ni=1 Xi für alle n ∈ N. Dann sind die Zufallsvariablen X∗ := lim inf Xn n→∞ X ∗ := lim sup Xn n→∞ X ∗ := lim inf X n n→∞ X ∗ := lim sup X n n→∞ alle (T∞ (X), B(R))-messbar. Insbesondere liegen die Ereignisse {X∗ ∈ B}, {X ∗ ∈ B}, ∗ {X ∗ ∈ B} und {X ∈ B} für jede Wahl von B ∈ B(R) in T∞ (X). Beweis Wir kümmern uns zunächst um die Messbarkeit von X ∗ und X∗ . Für jedes n ∈ N ist Yn := supm≥n Xm messbar bzgl. Tn (X), da jedes Xm , m ≥ n, messbar ist bzgl. Tn (X). Wegen der Monotonie der Folge (Yn ) haben wir X ∗ = inf n≥1 Yn = inf n≥m Yn für jedes m ∈ N. Zudem ist Yn messbar bzgl. Tm (X) für jedes n ≥ m. Also ist X ∗ messbar bzgl. Tm (X) für jedes m ∈ N, d. h. insbesondere messbar bzgl. T∞ (X). Analog erhält man (T∞ (X), B(R))-Messbarkeit von X∗ . ∗ Wir kommen nun zur Messbarkeit von X und X ∗ . Für jedes feste m ∈ N konverP giert a1n m i=1 Xi für n → ∞ gegen 0, da an % ∞. Somit erhalten wir für jedes feste m∈N n n 1 X 1 X X = lim sup Xi = lim sup Xi . n→∞ an n→∞ an i=1 i=m 1 ∗ Somit ist X messbar bzgl. Tm (X) für jedes m ∈ N, d. h. insbesondere messbar bzgl. T∞ (X). Analog erhält man (T∞ (X), B(R))-Messbarkeit von X ∗ . 2 1.2 Das Kolmogorov’sche Null-Eins-Gesetz Satz 1.3 (Kolmogorov’sches Null-Eins-Gesetz) Ist X = (Xn ) eine Folge von unabhängigen Zufallselementen auf (Ω, F, P), dann gilt P[A] ∈ {0; 1} für jedes A ∈ T∞ (X). Beweis Wir definieren F∞ (X) := σ(X1 , X2 , . . .) und Fm (X) := σ(X1 , . . . , Xm−1 ) für jedes m ∈ N. Schritt 1. Die σ-Agebren Fm (X) und Tm (X) sind unabhängig. In der Tat: Die Unabhängigkeit liegt genau dann vor, wenn die Mengensystem {Xn−1 (A0 ) : A0 ∈ F 0 , 1 ≤ n ≤ m − 1} {Xn−1 (A0 ) : A0 ∈ F 0 , n ≥ m} und unabhängig sind. Die Unabhängigkeit dieser beiden Mengensysteme folgt aus der Unabhängigkeit der Mengensysteme {Xn−1 (A0 ) : A0 ∈ F 0 }, n = 1, 2, . . . Diese Unabhängigkeit ist aber gleichbedeutend mit der Unabhängigkeit der σ-Algebren σ(Xn ), n = 1, 2, . . ., d. h. mit der Unabhängigkeit der Folge (Xn ). S Schritt 2. Die σ-Agebren ∞ m=1 Fm (X) und T∞ (X) sind unabhängig. In der Tat: Gemäß Schritt 1 sind Fm (X) und Tm (X) unabhängig. Damit erhält man leicht die T∞ S Unabhänigkeit von ∞ m=1 Tm (X). Die letzt genannte σ-Algebra ist m=1 Fm (X) und aber gerade T∞ (X). Schritt 3. Die σ-Agebren F∞ (X) und T∞ (X) sind unabhängig. Diese Aussage folgt S sofort aus Schritt 2, da ∞ m=1 Fm (X) und T∞ (X) durchschnittsstabile Erzeugendensysteme von F∞ (X) bzw. T∞ (X) sind. Schritt 4. Die σ-Agebra T∞ (X) ist unabhängig von sich selbst. In der Tat: Es gilt T∞ (X) ⊂ F∞ (X), und F∞ (X) und T∞ (X) sind gemäß Schritt 3 unabhängig. Schritt 5. Mit Schritt 4 erhalten wir P[A] = P[A ∩ A] = P[A]2 , d. h. P[A] ∈ {0; 1}, für jedes A ∈ T∞ (X). 2 Korollar 1.4 Sei X = (Xn ) eine Folge von unabhängigen Zufallselementen auf (Ω, F, P). Dann ist jede T∞ (X)-messbare Zufallsvariable X : (Ω, F) → (R, B(R)) P-f.s. konstant. Beweis Wir werden zeigen, dass P[X = c] = 1 für c := sup{x ∈ R : P[X ≤ x] = 0} ∈ R mit den Konventionen sup ∅ := −∞ und sup R := ∞. 2 Im Fall von c = ∞ erhalten wir mit Hilfe der Stetigkeit von unten von P und der Definition von c P[X = ∞] = 1 − P[X < ∞] = 1 − lim P[X ≤ n] n→∞ = 1−0 = 1. Sei nun −∞ < c < ∞. In diesem Fall erhalten wir mit Hilfe der Stetigkeit von oben von P zunächst P[X ≤ c] = lim P[X ≤ c + 1/n]. n→∞ Das Ereignis {X ≤ c + 1/n} hat per Definition von c strikt positive Wahrscheinlichkeit und liegt wegen der T∞ (X)-Messbarkeit von X in T∞ (X). Das Kolmogorov’sche NullEins-Gesetz von Satz 1.3 liefert dann P[X ≤ c + 1/n] = 1 für alle n ∈ N, also P[X ≤ c] = 1. Mit Hilfe der Stetigkeit von unten von P und der Definition von c erhalten wir außerdem P[X < c] = = lim P[X ≤ c − 1/n] n→∞ lim 0 n→∞ = 0. Insgesamt ergibt sich P[X = c] = P[X ≤ c] − P[X > c] = 1 − 0 = 1. Sei schließlich c = −∞. Mit Hilfe der Stetigkeit von oben von P erhalten wir zunächst P[X = −∞] = lim P[X ≤ −n]. n→∞ Das Ereignis {X ≤ −n} hat per Definition von c strikt positive Wahrscheinlichkeit und liegt wegen der T∞ (X)-Messbarkeit von X in T∞ (X). Das Kolmogorov’sche Null-EinsGesetz von Satz 1.3 liefert dann P[X ≤ −n] = 1 für alle n ∈ N, also P[X = −∞] = 1. 2 Korollar 1.5 Sei X = (Xn ) eine Folge von u.i.v. Zufallsvariablen in L2 (Ω, F, P) mit P E[X1 ] = 0 und σ := Var[X1 ]1/2 > 0. Für Sn := ni=1 Xi , n ∈ N, gilt dann i h Sn P lim sup √ = ∞ = 1 n n→∞ und 3 h i Sn P lim inf √ = −∞ = 1. n→∞ n Beweis Wir zeigen nur die erste Gleichung. Die zweite Gleichung zeigt man analog. Für die erste Gleichung genügt zu zeigen, dass h i Sn P lim sup √ ≥ c > 0 n n→∞ ∀ c > 0. (1) Sn In der Tat: Das Ereignis {lim supn→∞ √ > c} liegt gemäß Proposition 1.2 in T∞ (X), n also hat es nach dem Kolmogorov’schen Null-Eins-Gesetz von Satz 1.3 Wahrscheinlichkeit 1 für jedes c > 0. Die Stetigkeit von unten von P liefert dann die erste Gleichung in Korollar 1.5. Wir notieren zunächst, dass n o o o nS \ [ n Sm Sn n √ >c . lim sup √ ≥ c ⊃ lim sup √ > c := n n m n→∞ n→∞ (2) n∈N m≥n Sn > c} gilt In der Tat: Für jedes ω ∈ lim supn→∞ { √ n Sn (ω) √ n > c für unendlich viele Sn {lim supn→∞ √ n n ∈ N. Also liegt ω auch in ≥ c}. Mit Hilfe von (2) und der Stetigkeit von oben von P erhalten wir nun für jedes c > 0 nS h i h oi Sn n P lim sup √ ≥ c ≥ P lim sup √ > c n n n→∞ n→∞ h\ [ nS oi √m > c = P m n∈N m≥n h\n oi Sm = P sup √ > c m m≥n n∈N i h Sm = lim P sup √ > c n→∞ m m≥n hS i n ≥ lim P √ > c n→∞ n h S ci n = lim P √ > n→∞ σ nσ = 1 − Φ0,1 (c/σ) > 0, wobei der vorletzte Schritt durch den zentralen Grenzwertsatz gerechtfertigt ist. 4 2