Soziale Mobilität - Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät

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Soziale Mobilität
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Soziale Mobilität
1. Begriff, Messung und theoretische
Bedeutung
Mit Mobilität sind Bewegungen von Personen
(als Individuen, als Familien oder als Gruppen) zwischen sozialen Positionen, Kategorien oder Lagen gemeint. In der Regel wird
zwischen räumlicher bzw. regionaler Mobilität oder Migration (Pendeln, Nah- und
Fernwanderungen) und sozialer Mobilität in
einem engeren Sinne unterschieden, obwohl
beide Mobilitätsarten oft zusammen auftreten.
Unter sozialer Mobilität versteht man dann
Bewegungen oder Wechsel zwischen beruflichen Positionen (berufliche Mobilität) bzw.
zwischen sozialen Lagen, Schichten oder
Klassen (Schichten- oder Klassenmobilität).
Darüber hinaus kann darunter auch die
Erwerbsmobilität (z.B. Übergänge von
Vollzeiterwerbstätigkeit
in
eine
Teilzeitbeschäftigung oder in Arbeitslosigkeit),
Bewegungen zwischen Teilarbeitsmärkten oder
die „konnubiale“ bzw. Heiratsmobilität (Wahl
eines Partners mit ähnlicher/unterschiedlicher
sozialer Herkunft) gefaßt werden.
Wenn zwischen den Positionen, sozialen
Lagen, Klassen oder Schichten, zwischen denen Bewegungen stattfinden, Ungleichheiten
in der Bewertung (als „besser“ oder „schlechter“, als „rangniedriger“ oder „-höher“) oder
in der Ausstattung mit Ressourcen (z.B. Einkommens- oder Machtchancen) bestehen,
spricht man von vertikaler Mobilität bzw. von
Auf- und Abstiegen. Bewegungen zwischen
gleich oder ähnlich ausgestatteten bzw. bewerteten Positionen oder Positionsveränderungen innerhalb von Klassen und Schichten
werden demgegenüber meist als horizontale,
seltener auch als laterale Mobilität bezeichnet.
Unter intragenerationeller oder Karrieremobilität versteht man Positionswechsel oder
Wechsel der Schicht- bzw. Klassenzugehörigkeit im Lebenslauf; unter intergenerationeller
oder Generationenmobilität Wechsel zwi-
schen den Eltern- und Kindergenerationen.
Schließlich kann zwischen individueller Mobilität als Bewegungen einzelner Personen
von einer Position oder sozialen Lage in eine
andere, und kollektiver Mobilität als Auf- oder Abstieg einer ganzen Gruppe, Schicht oder Klasse unterschieden werden.
Gemessen wird soziale Mobilität mit Hilfe
von Mobilitätsquoten oder -raten, die – meist
in Form von Prozentzahlen – die Anzahl mobiler Personen in Beziehung setzen zur Anzahl der insgesamt oder in der jeweiligen
Start- bzw. Zielkategorie erfaßten Personen:
Legt man z.B. für einen ersten Beobachtungszeitpunkt eine Ausgangsmenge von 1.000
Personen zugrunde, von denen bis zu einem
zweiten Beobachtungszeitpunkt 450 ihre
Position gewechselt haben, erhält man eine
Mobilitätsrate von 45%; komplementär dazu
ergibt sich in diesem Beispiel eine Stabilitätsoder Immobilitätsquote von 55%.
Bei internationalen oder historischen Vergleichen ist dabei jedoch, wie schon Theodor
Geiger (1962) als einer der Pioniere der Mobilitätsforschung betonte, der enge Zusammenhang zwischen dem Umfang der registrierten
Mobilität einerseits, dem Zuschnitt und der
Anzahl der zugrunde gelegten Ausgangs- und
Zielkategorien andererseits zu beachten: Eine
niedrige Anzahl von Kategorien, wie z.B. eine
grobe Unterscheidung in Ober-, Mittel- und
Arbeiterklasse, ergibt notwendigerweise eine
niedrigere Mobilitätsrate; feinere Klassifizierungen, die etwa von einzelnen Berufen oder
eng umgrenzten Berufsgruppen ausgehen, ergeben dagegen eine höhere (gemessene) Mobilität. Darüber hinaus gilt, daß sowohl längere
Beobachtungszeiträume wie auch die Berücksichtigung zusätzlicher Beobachtungszeitpunkte in der Regel zu einer höheren (gemessenen)
Mobilität führen.
Geht man bei der Messung sozialer Mobilität von den Start- oder Herkunftskategorien
aus (bei intergenerationeller Mobilität werden
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dabei in den meisten Untersuchungen die beruflichen Positionen der Väter herangezogen,
die der Mütter werden dagegen bisher nur selten berücksichtigt), geben Abstromquoten
Aufschluß darüber, wie groß der Anteil derjenigen Personen (bei intergenerationeller Mobilität meist: Söhne, seltener: Töchter) ist, die
sich zu einem späteren Zeitpunkt in derselben
Kategorie befinden bzw. in eine andere gewechselt sind – Tabelle 1 gibt ein Beispiel für
eine auf Abstromquoten basierende Mobilitätstabelle, die sich in diesem Fall allerdings
auf intragenerationelle oder Karrieremobilität
zwischen Arbeitsmarktsegmenten bezieht.
Insbesondere bei intergenerationeller Mobilität werden Abstromquoten als ein Maß für
die Wahrscheinlichkeit der sozialen Vererbung von Positionszugehörigkeiten oder der
sozialen Reproduktion bzw. für ungleiche
Chancen des Zugangs zu bestimmten Positionen, also für Mobilitätsbarrieren, aufgefaßt.
Sie sollen damit Auskunft über die „Offenheit“ oder „Geschlossenheit“ einzelner Sozialkategorien oder ganzer Gesellschaften geben. Mit der Analyse von Abstromquoten verbindet sich – als erste und bis heute dominierende theoretische Blickrichtung der Mobilitätsforschung – daher meist ein Interesse am
Ausmaß und am Abbau von Chancenungleichheiten. Aus dieser Perspektive gelten
dann „offene“, dem Leistungsprinzip verpflichtete Gesellschaften als eine wesentliche
Voraussetzung für moderne, demokratischpluralistische Herrschaftsstrukturen. Die Rigidität „geschlossener“ Gesellschaften wird dagegen meist mit traditionalen oder mit totalitären Herrschaftsformen in Verbindung gebracht (vgl. z.B. Bendix/Lipset 1959).
Da nicht nur Einzelpersonen oder Familien mobil sind, sondern in modernen Gesellschaften zugleich das Positionssystem selbst,
die Berufsstruktur ebenso wie das Gefüge sozialer Schichten oder Klassen, einem fortwährenden Wandel unterliegen, sind Mobilitätsvorgänge freilich nicht allein durch die Muster von Chancenungleichheiten bzw. durch
Mobilitätsbarrieren bestimmt. Vielmehr können strukturelle Wandlungen einerseits zum
Schrumpfen von Berufsgruppen oder sozialen
Lagen (z.B. der Landwirte oder der handwerk-
Soziale Mobilität
lich-gewerblichen Selbständigen) führen, so
daß für eine Statusvererbung an nachrückende
Generationen nicht genügend „freie“ Positionen (Leerstellen oder „Vakanzen“) zur Verfügung stehen – dies wird in der Mobilitätsforschung auch als push-Faktor oder Abstoßeffekt bezeichnet. Wachsende Soziallagen oder
Berufskreise (wie z.B. die Angestelltenschaft)
können andererseits durch ein „Überangebot“
an freien Plätzen einen gewissen Sogeffekt
ausüben (pull-Faktor).
Mobilitätsströme, die durch solche Veränderungen in den Größenverhältnissen zwischen Start- und Zielkategorien „verursacht“
werden, werden als „erzwungene“ oder strukturelle Mobilität bezeichnet und so begrifflich
abgehoben von der „freiwilligen“ oder Zirkulationsmobilität, deren Umfang dann als der
eigentliche Indikator für Chancenungleichheiten bzw. für „Offenheit“ oder „Geschlossenheit“ gilt. Ein großer Teil der methodischen
Bemühungen der Mobilitätsforschung war und
ist deshalb auch darauf gerichtet, diese beiden
Mobilitätsarten durch geeignete statistische
Verfahren voneinander zu trennen: Während
sog. „absolute“ Mobilitätsraten den Einfluß von
Größenveränderungen zwischen Ausgangsund Zielkategorien und von Veränderungen in
den Chancen für Statusvererbung oder Positionswechsel in einer Maßzahl zusammenfassen,
wird insbesondere in vergleichenden Untersuchungen durch die Berechnung „relativer“ Mobilitätsraten oder sog. „odds ratios“ versucht,
den Einfluß struktureller Wandlungen auf Mobilitätsströme statistisch zu kontrollieren und
dadurch zu präziseren Aussagen über das Ausmaß und über spezifische Muster von Chancenungleichheiten zu kommen (vgl. Erikson/Goldthorpe 1992).
Werden gegenüber diesem „meritokratischen“, auf individuelle Chancenungleichheiten gerichteten Blickwinkel nicht die Ausgangspositionen, sondern die Ziel- bzw. Ankunftskategorien zur Berechnung von Mobilitätsquoten herangezogen, erhält man Zustromquoten. Sie geben Auskunft über die Zusammensetzung von Zielkategorien nach der
Herkunft ihrer aktuellen Mitglieder und können daher als ein Maß für die Heterogenität
Soziale Mobilität
oder Homogenität einer Berufsgruppe, sozialen Klasse oder Schicht verwendet werden.
In theoretischer Hinsicht zielt diese zweite
Blickrichtung eher auf die strukturellen Konsequenzen von Mobilitätsprozessen für die
Herausbildung von sozialen Klassen oder
Schichten: Dazu vermutete beispielsweise
schon Karl Marx (1982: 122) um die Mitte
des 19. Jahrhunderts, daß in den „Vereinigten
Staaten, wo zwar schon Klassen bestehen, aber sich noch nicht fixiert haben, sondern in
beständigem Flusse fortwährend ihre Bestandteile wechseln und aneinander abtreten“ der
Übergang zur politisch handlungsfähigen
„Klasse-für-sich“ wohl schwieriger sein werde. Auch Max Webers (1976: 170) Vorschlag,
soziale Klassen durch höhere Binnenmobilität
und durch Mobilitätsbarrieren nach außen
voneinander abzugrenzen, kann dieser Traditionslinie zugeordnet werden. Entsprechende
Fragestellungen nach der „demographischen
Identität“ sozialer Klassen oder Schichten
wurden jedoch erst in den 70er und 80er Jahren wieder öfter aufgegriffen und u.a. in der
sozialhistorischen Forschung fruchtbar gemacht (vgl. z.B. Giddens 1979; Kocka 1983).
Ebenfalls eine längere Geschichte weist
schließlich ein dritter Komplex theoretischer
Fragestellungen auf, der im Anschluß an Pitrim
A. Sorokin (1927) stärker auf die individuellen
und auf die soziokulturellen Folgen sozialer
Mobilität zielt: Aus dieser Perspektive kann,
wie etwa Peter L. Berger und Thomas Luckmann (1980: 148ff.) betonen, inter- wie intragenerationelle Mobilität die soziale und personale Identität gefährden, da durch die damit
verbundenen Milieuveränderungen häufig eine Diskontinuität oder gar eine „Spaltung
zwischen vergangener und gegenwärtiger Identität ... [eintritt]“. In dieser Traditionslinie
wurde vor allem in US-amerikanischen Forschungen schon in den 50er und 60er Jahren
nach den psycho-sozialen „Kosten“, nach Belastungen und Verunsicherungen gefragt, die
das Verlassen des Herkunftsmilieus und die
damit häufig verbundene Erfahrung von Statusinkonsistenzen mit sich bringen können. In
jüngerer Zeit wird die Frage nach den
individuellen Konsequenzen eines mit horizontaler oder vertikaler Mobilität oftmals
einhergehenden Herauslösens aus vertrauten
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henden Herauslösens aus vertrauten sozialen
Kontexten insbesondere im Zusammenhang
mit der von Ulrich Beck (1986) vorgetragenen
„Individualisierungsthese“ wieder verstärkt
diskutiert.
2. Soziale Mobilität in Deutschland im
historischen und internationalen
Vergleich
2.1 Langfristige Entwicklungstendenzen
Mit Blick auf langfristige Wandlungen in den
Mustern sozialer Mobilität sind zunächst verbreitete Vorstellungen von einem fast völligen
Fehlen sozialer Mobilität in vorindustriellen,
ständisch-feudalen Gesellschaften zu korrigieren: Im Zuge erster „Protoindustrialisierungen“ und der Expansion des städtischen Fernhandels läßt sich nämlich schon für das Spätmittelalter eine leichte Zunahme der vertikalen und horizontalen Mobilität vermuten. In
der Folgezeit dürften dann die Verbreitung eines protestantischen Arbeits- und Berufsethos
sowie der erleichterte Zugang zu Ausbildungsinstitutionen individuelle Aufstiegsbestrebungen verstärkt haben. Entgegen liefen
dem jedoch die durch das Bevölkerungswachstum verschärfte Konkurrenz um Aufstiegsmöglichkeiten sowie größere Fruchtbarkeit und längere Lebenserwartung in den oberen Schichten, die freie Aufstiegspositionen
knapp hielt.
Im Vergleich zum 20. Jahrhundert erscheint
auch noch während der eigentlichen industriellen Revolution das Tempo berufsstruktureller
Wandlungen als eher gering: So stieg z.B. in
Preußen der Anteil der Industriearbeiter an den
Erwerbstätigen zwischen 1822 und 1871 nur
von 3% auf 7%. Der sog. „demographische
Übergang“ mit seinem rapiden Bevölkerungswachstum ließ in der zweiten Hälfte des 19.
Jahrhunderts einerseits die Nachfrage nach Positionen im Erwerbsbereich steigen, andererseits aber auch das Angebot an freien Berufspositionen schrumpfen. Weiterhin im Vordergrund stehende Vorstellungen von einer familiären Berufsvererbung dämpften in dieser Periode eine Zunahme der Mobilität ebenso wie
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große Ungleichheiten beim Zugang zu Kapital
bzw. zu Unternehmerpositionen.
Schon im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts, das eine deutliche Expansion der Angestellten- und Beamtenschaft mit sich brachte
(der Anteil dieser beiden Kategorien an allen
Erwerbstätigen wuchs im Deutschen Reich
von gut 8% im Jahre 1895 auf rund 19% im
Jahre 1939), vergrößerten sich die Mobilitätsströme deutlich. Im Zeitraum von der Jahrhundertwende bis in die späten 20er Jahre
stieg dabei auch die Zirkulationsmobilität, so
daß man von einer allmählichen Verminderung von Chancenungleichheiten sprechen
kann (vgl. Kaelble 1983).
Die Nachkriegsperiode ist schließlich
durch eine durchgängige Tertiärisierung, also
durch das Wachstum des tertiären oder Dienstleistungssektors gekennzeichnet: In Westdeutschland ging zwischen 1950 und dem
Ende der 80er Jahre der Anteil der im primäragrarischen Sektor Erwerbstätigen von fast
24% auf unter 4% zurück. Der sekundäre oder
industrielle Sektor wuchs von etwa 43% im
Jahre 1950 auf fast 50% in den 70er Jahren,
verkleinerte sich dann aber auf gut 40% am
Ende der 80er Jahre. Der tertiäre Sektor dehnte sich dagegen kontinuierlich von rund 33%
auf mehr als 55% aus. Die Arbeiterschaft
schrumpfte im gleichen Zeitraum von gut
50% auf knapp 40%, während die Angestellten und Beamten von etwa 20% auf mehr als
50% zunahmen (vgl. Berger 1986).
Wegen der geschärften Aufmerksamkeit
für Chancenungleichheiten, die dem Leistungsprinzip als zentraler Legitimationsgrundlage
sozialer Ungleichheit in westlichen Gesellschaften zuwiderlaufen, kam es in der Nachkriegszeit zu einer Vielzahl international vergleichender Mobilitätsuntersuchungen, die
sich schwergewichtig mit der intergenerationellen Mobilität beschäftigten. Dabei wurde
u.a. deutlich, daß zwischen den Mobilitätsmustern einzelner Nationalgesellschaften z.T.
erhebliche Unterschiede bestehen. Bei den in
relativen Mobilitätsraten gemessenen Chancenungleichheiten zeigte sich jedoch auch eine große historische Konstanz.
Mit Blick auf die absoluten Raten intergenerationeller Mobilität findet man allerdings
Soziale Mobilität
in den westeuropäischen Gesellschaften durchgängig einen Rückgang der Immobilität bei den
Landwirten, einen Anstieg der Mobilität aus
der Landwirtschaft in den Bereich der industriellen Arbeiterschaft und eine leichte Zunahme
bei den Söhnen, deren Väter Landwirte oder
Arbeiter waren und die nun in sog. „Dienstklassenpositionen“ einrücken. Für die Bundesrepublik Deutschland ergibt sich aus einer vergleichenden Perspektive bei diesen beiden Mobilitätspfaden bis in die frühen 70er Jahre hinein
eine besonders starke Zunahme der Mobilitätsquoten (vgl. Erikson/Goldthorpe 1992). Im
Rahmen eines internationalen Vergleichs, der
35 Staaten umfaßte, konnte schließlich gezeigt
werden, daß es in neuerer Zeit auch im Hinblick auf relative Mobilitätsraten einen weltweiten Trend zu mehr „Offenheit“ gibt, dem
die Bundesrepublik in Verein mit anderen
fortgeschrittenen
Industriegesellschaften
gefolgt ist (vgl. Ganzeboom u.a. 1989).
2.2 Intergenerationelle Mobilität in der
Bundesrepublik und in der DDR
Sowohl berufsstrukturelle Wandlungen in
Richtung einer Dienstleistungsgesellschaft
wie auch die Bildungsexpansion, die zum
Abbau von Chancenungleichheiten zwischen
Männern und Frauen beitrug, haben in der
Bundesrepublik und vor allem in den 70er
Jahren
zu
einer
Zunahme
der
Aufstiegsmobilität bei einem gleichzeitigem
Rückgang der Abstiege geführt: Im Rahmen
einer Klassifikation nach beruflicher Stellung
und gemessen in absoluten Mobilitätsraten
konnten z.B. von den in den 40er Jahren in
den Beruf eingetretenen, westdeutschen
Männern (Frauen) etwa 27% (35%) einen
Aufstieg im Vergleich zur Berufsstellung der
Vätergeneration vollziehen; rund 35% (40%)
mußten einen Abstieg erfahren. Bei einem
Berufseintritt in den 70er Jahren finden sich
bei den Männern Aufstiegsquoten von etwa
38% (Abstiege: rund 29%). Bei den Frauen
können sogar rund 52% als Aufsteigerinnen
bezeichnet werden, und etwa ein Drittel
mußte Abstiege in Kauf nehmen (vgl. Berger
1996:
Die181ff.).
darin sich abzeichnende „Öffnung“
der westdeutschen Sozialstruktur, die freilich
Soziale Mobilität
mit dem Übergang in die 80er Jahre wieder
zum Stillstand zu kommen scheint (vgl. Geißler 1996; Vester et al. 1992), brachte jedoch
für ausländische Arbeitnehmer nur wenig verbesserte Aufstiegschancen mit sich: Auch aus
der zweiten Ausländergeneration sind in den
80er Jahren noch mehr als die Hälfte als unoder angelernte Arbeiter beschäftigt, während
dies nur auf etwa ein Fünftel der gleichaltrigen Deutschen zutrifft. Schon fast die Hälfte
der deutschen Erwerbstätigen (bis zum Alter
von 25 Jahren) befindet sich dagegen in Angestelltenpositionen; bei der zweiten Ausländergeneration beträgt diese Quote jedoch nur
rund 20% (Seifert 1995: 149).
In der westdeutschen Bevölkerung hat die
Bildungsexpansion auch zu einem tendenziellen Rückgang des Einflusses der sozialen
Herkunft auf Bildungslaufbahnen und -abschlüsse und insofern zu etwas mehr Chancengleichheit im Bildungsbereich geführt
(vgl. Henz/Maas 1995; Müller/Haun 1994; für
einen europäischen Vergleich siehe: Müller
u.a. 1997). Strittig ist jedoch, inwieweit sich
dies auch in einer größeren Chancengleichheit
beim Berufseintritt und in den Berufslaufbahnen, also im Erwerbsbereich, ausdrückt. International vergleichende Untersuchungen zeigen zudem, daß das Muster intergenerationeller Mobilität in der Bundesrepublik in einigen
Punkten deutlich von dem anderer westlicher
Gesellschaften abweicht: Vor allem die in
Deutschland seit dem frühen 20. Jahrhundert
besonders scharf gezogene „Kragenlinie“ zwischen Arbeitern und Angestellten und die hohe Statusvererbung in der Beamtenschaft hat
hier – zumindest bis in die 70er Jahre hinein –
zu einer vergleichsweise geringeren intergenerationellen Mobilität geführt (vgl. Müller
1986).
Im Unterschied zur Bundesrepublik wiesen in der DDR insbesondere die sog.
„Dienstklassen“ und die Selbständigen deutlich geringere Chancen der Positionsvererbung auf, was auf umfangreiche Abstiegsprozesse hinweist. Häufiger waren demgegenüber die intergenerationellen Aufstiege
aus der geringer qualifizierten Arbeiterschaft.
Für die Söhne von Facharbeitern erweist sich
jedoch überraschenderweise die Bundesrepu-
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blik als die „offenere“ Gesellschaft: Während
in der DDR fast 60% der Facharbeitersöhne
wiederum Facharbeiter wurden und nur etwa
11% einen Aufstieg in die „obere Dienstklasse“ erreichten, schafften dies in Westdeutschland etwa 17%, und lediglich 40% wurden erneut Facharbeiter (vgl. Mayer/Solga 1994).
Im historischen Rückblick zeigt sich dabei
in den beiden deutschen Staaten eine deutliche
Auseinanderentwicklung
der
Mobilitätsmuster: Zwar hatte zunächst auch in
der DDR die sog. „Aufbaugeneration“ der um
1930 Geborenen besonders viele und gute
Chancen des sozialen Aufstiegs. Zumindest
bis zum Mauerbau trugen dazu auch die
hohen Abwanderungsraten hochqualifizierter
Personen nach Westdeutschland bei. Die
folgenden Geburtsjahrgänge, insbesondere die
um 1960 und danach Geborenen, fanden dann
jedoch erheblich verschlechterte Aufstiegschancen vor: „Die Kinder der Intelligenz
hatten elfmal beziehungsweise fünfzehnmal
bessere Chancen als die Kinder von
Facharbeitern beziehungsweise von un- und
angelernten
Arbeitern
und
Genossenschaftsbauern. Das heißt, daß sich
diese relativen Chancen im Vergleich zur
Aufbaugeneration um das Fünffache verschlechterten.“ (Mayer/Solga 1994: 203f.; vgl.
Solga 1995). Auf eine wachsende „Schließung“ und eine zunehmende Selbstreproduktion einer „sozialistischen Dienstklasse“ deutet
auch hin, daß z.B. um 1970 noch 75-82% der
Angehörigen von DDR-Führungsschichten
(Betriebsleiter, Staatsanwälte, Richter, Offiziere) der in der DDR ja sehr weit gefaßten
„Arbeiterklasse“ entstammten, gegen Ende
der 80er Jahre diese Quoten jedoch auf 6476% gesunken waren (vgl. Geißler 1996:
240ff.). Verstärkt wurde diese Blockade von
Aufstiegskanälen in der DDR, mit der sich
vor allem die jüngeren Generationen konfrontiert sahen, schließlich noch durch den politisch gesteuerten Ausleseprozeß.
2.3 Intragenerationelle Mobilität in der
BRD
Konzentriert man sich auf die intragenerationelle Mobilität zwischen Berufseintrittspositionen und später erreichten Positionen,
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spaltet sich das westdeutsche Mobilitätsmuster auf: Während nämlich die Mobilität
zwischen sozialer Herkunft und erster beruflicher Position z.B. im Vergleich USA/
Bundesrepublik auch in den 70er und 80er
Jahren nur geringe Unterschiede aufweist,
sind vor allem die Differenzen in der Karrieremobilität, die in der Bundesrepublik als vergleichsweise gering erscheint, ausgeprägt
(vgl. Kappelhoff/Teckenberg 1987). Diese im
internationalen Vergleich zumindest auf seiten
der Männer besonders hohe berufliche Stabilität während des Erwerbslebens verweist auf
Besonderheiten des deutschen Bildungswesens: Durch seine ausgeprägte Differenzierung und die „duale Ausbildung“ bewirkt es
eine besonders enge Kopplung zwischen den
im Ausbildungssystem erworbenen Qualifikationen und den ersten beruflichen Positionen. Mobilität findet daher in Deutschland
meist vermittelt über das Bildungssystem
statt; spätere Berufswechsel waren, etwa im
Vergleich zu Frankreich, lange Zeit eher selten
(vgl. König/Müller 1986). Auch vom norwegischen und vom nordamerikanischen Muster
der Karrieremobilität weichen westdeutsche
Männer der Geburtsjahrgänge um 1930 deutlich ab: Während z.B. weiße (schwarze) Amerikaner im Laufe ihres Berufslebens durchschnittlich 6,5 (5,6) verschiedene „Berufsepisoden“ (Zeitabschnitte mit einer gleichbleibenden Berufstätigkeit) aufwiesen, und
bei norwegischen Männern im Schnitt sogar
7,5 Episoden auftraten, finden sich in der
Bundesrepublik für diese Geburtskohorte lediglich 3,5 Episoden (vgl. Allmendinger 1989).
Diese beispielsweise auch im Vergleich zu
Schweden und Großbritannien hohe Stabilität
von Berufspositionen trägt dazu bei, daß die
westdeutsche Struktur sozialer Klassen und
Schichten in intragenerationeller Hinsicht als
weniger „durchlässig“ erscheint (vgl. Allmendinger/Hinz 1997; Mayer u.a. 1989).
Trotzdem weisen viele Untersuchungen
auch im Hinblick auf die Karrieremobilität
auf eine allmähliche „Öffnung“ bzw. auf eine
gestiegene Beweglichkeit in den westdeutschen Mobilitätsmustern hin: In jüngeren Geburtsjahrgängen finden sich höhere Raten des
Berufswechsels, und in den 70er Jahren zeigt
Soziale Mobilität
sich auf seiten der Männer eine zunehmende
berufliche Aufstiegsmobilität (vgl. Carroll/
Mayer 1986; Noll 1992). Ein ähnliches Bild
ergibt ein Vergleich der Muster intragenerationeller Mobilität zwischen den 70er und den
80er Jahren: Dabei findet man für alle beruflichen Stellungen höhere Mobilitätsquoten, und
das Gesamtvolumen der Karrieremobilität hat
von 13% auf fast 25% zugenommen (vgl.
Berger 1996: 167). Gegen Ende der 80er Jahre erhöhte sich das Tempo von Stellenwechseln weiter, wofür vor allem die Ausweitung
der Beschäftigung und die beschleunigte Umschichtung der Berufsstruktur hin zu Dienstleistungen maßgeblich waren: Während 1987
rund 28% der sozialversicherungspflichtig
Beschäftigten ein neues Arbeitsverhältnis begannen, waren dies 1990 immerhin 31%; die
durchschnittliche Dauer der Beschäftigung
sank gleichzeitig von 3,6 auf 3,2 Jahre (vgl.
Klös 1992).
Umfangreiche Mobilitätsvorgänge in der
zweiten Hälfte der 80er Jahre zeigen sich
schließlich auch, wenn nicht einzelne Berufe
oder berufliche Stellungen, sondern Teilarbeitsmärkte bzw. Arbeitsmarktsegmente als
Ausgangspunkte genommen werden: Unterscheidet man beispielsweise einen sog. „betriebsspezifischen Arbeitsmarkt“ mit hohen
Qualifikationsanforderungen und hohen Bruttoverdiensten in Betrieben mit über 200 Beschäftigten, einen „fachspezifischen Arbeitsmarkt“ mit ebenfalls hohen Qualifikationsanforderungen und mittleren Verdienstchancen
in Betrieben mit weniger als 200 Beschäftigten sowie einen „unstrukturierten Arbeitsmarkt“ mit geringen Qualifikationsanforderungen und niedrigem Durchschnittseinkommen (vgl. Seifert 1995: 194ff., 201), so erfahren, wie die Abstromquoten in Tabelle 1 ausweisen, innerhalb weniger Jahre fast jeweils
ein rundes Viertel der deutschen Arbeitnehmer (ohne Beamte) einen „Aufstieg“ aus dem
unstrukturierten in das fach- oder in das betriebsspezifische Arbeitsmarktsegment. Bei
ausländischen Arbeitnehmern sind Aufstiege
in den fachspezifischen Arbeitsmarkt dagegen
seltener, während sie im Vergleich zu den
deutschen Arbeitnehmern mit Abstromquoten
von rund 30% einem deutlich höheren Risiko
Soziale Mobilität
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des Abstiegs vom betriebsspezifischen in den
unstrukturierten Arbeitsmarkt ausgesetzt sind.
Dies bedeutet auch, daß ihre Zugehörigkeit zu
dem in der Regel mit besseren Einkommenschancen und Arbeitsbedingungen verbundenen, betriebsspezifischen Arbeitsmarktsegment mit einer Quote von 55% deutlich instabiler ist als bei den deutschen Arbeitnehmern,
von denen sich auch nach 5 Jahren mehr als
vier Fünftel noch immer (oder wieder) dort
befinden.
Tabelle 1:
1984
Deutsche
Unstrukturierter
Arbeitsmarkt
Fachspezifischer
Arbeitsmarkt
Betriebsspezifischer
Arbeitsmarkt
Ausländer
Unstrukturierter
Arbeitsmarkt
Fachspezifischer
Arbeitsmarkt
Betriebsspezifischer
Arbeitsmarkt
Mobilität zwischen Arbeitsmarktsegmenten in Westdeutschland, 1984-1989 (Abstromquoten)
Unstrukturierter Arbeitsmarkt
1989
FachspeziBetriebsfischer Ar- spezifischer
beitsmarkt Arbeitsmarkt
52
25
23
9
72
19
6
13
81
64
12
24
16
71
12
30
15
55
Quelle: Seifert 1995: 199
2.4 Berufs- und Erwerbsmobilität in der
DDR und im Transformationsprozeß
Entgegen der Vorstellung von einer starren
„Regulierung“ von Berufslaufbahnen war
auch in der DDR die intragenerationelle Berufs- und Erwerbsmobilität keineswegs unerheblich (vgl. Huinink u.a. 1995: 112ff.): Nach
Ergebnissen von Lebenslaufuntersuchungen
wiesen z.B. Frauen bis zum Alter von 28 Jahren im Durchschnitt 2,7 „Erwerbsepisoden“
(Wechsel der beruflichen Tätigkeit und des
Betriebes, incl. Erwerbsunterbrechungen) auf;
bei Männern fanden sich 3,2 (Geburtsjahrgänge 1929-31) bis 2,3 (Geburtsjahrgänge
1959-61) Episoden. Betrachtet man die berufliche Mobilität i.e.S. (Wechsel des Berufsfeldes und/oder der Betriebe), so sind von den
ältesten bis zu den jüngsten Kohorten für
Männer und Frauen sinkende Raten der beruflichen Mobilität bei gleichzeitig zurückgehenden beruflichen Aufstiegsraten festzustellen. Eine gegenläufige Tendenz weisen die
innerbetrieblichen Wechsel auf, wobei sich in
der Abfolge der Geburtsjahrgänge keine gravierenden Veränderungen in den Auf- und
Abstiegen, jedoch eine deutliche Zunahme
der „horizontalen“ Mobilität innerhalb der
Betriebe nachzeichnen lassen. Diese Forschungsergebnisse fügen sich ein in das schon
anhand der intergenerationellen Mobilität
skizzierte Bild von der DDR als einer zunehmend immobiler werdenden Gesellschaft, in
der vor allem die jüngeren Generationen immer geringere Chancen des beruflichen Aufstiegs vorfanden. Die hohen und sogar steigenden Raten innerbetrieblicher Mobilität
verweisen zugleich auf die für das Leben in
der DDR besonders auffällige Zentralität des
„Betriebes“, an den ja nicht nur vielfältige
„soziale Leistungen“, sondern auch eine Vielzahl informeller Tauschnetze, die die Mängel
einer „sozialistischen Planwirtschaft“ kompensieren mußten, gekoppelt waren.
Zusammen mit der ungewöhnlich hohen
Erwerbsbeteiligung der Frauen, aber auch der
Männer hat dies die DDR zu einem exemplarischen Fall einer „Arbeitsgesellschaft“ gemacht (vgl. Kohli 1994), die jedoch mit Blick
auf die Mobilitätsprozesse in ihrer Spätphase
deutliche Anzeichen der „Erstarrung“ aufwies. Die besondere Bedeutung der Arbeitssphäre sowie die ideologische Überhöhung
von „Arbeit“ in der „realsozialistischen Arbeitsgesellschaft“ DDR macht verständlich,
warum die deutsche Vereinigung und der damit einhergehende, extrem beschleunigte
Strukturwandel im Beschäftigungssystem
vielfach zu ausgeprägten Statusunsicherheiten
geführt haben: Verwendet man auf der Datengrundlage des sog. „Sozio-ökonomischen Panels“ zur Nachzeichnung kurzfristiger Mobili-
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tätsvorgänge z.B. eine siebenstufige Klassifikation beruflicher Stellungen, so haben in
Westdeutschland innerhalb eines Jahres
(1988/89) gut 18% der erwerbstätigen Männer
und rund 20% der erwerbstätigen Frauen (im
Alter von 25 bis 55 Jahren) ihre berufliche
Stellung gewechselt. Schon im Übergang von
der Noch-DDR des Jahres 1990 zu den „Fünf
Neuen Ländern“ des Jahres 1991 haben demgegenüber in Ostdeutschland fast 28% der
Männer und gut 40% der Frauen eine Veränderung ihrer beruflichen Stellung erfahren.
Im Unterschied zu Westdeutschland und
zum „Regelfall“ beruflicher Mobilität zeichnet sich dabei auch eine Vielzahl von Abstiegsprozessen ab, von denen Frauen und ältere Männer am stärksten betroffen waren
(vgl. Berger 1996: 260ff.). Nach Ergebnissen
der ostdeutschen Lebenslaufuntersuchung haben zwischen Januar 1990 und März 1996
38% der ostdeutschen Erwerbstätigen den Betrieb, gut 17% im gleichen Betrieb den Arbeitsplatz und rund 37% den Beruf gewechselt, wobei 18% dieser Betriebs- und Berufswechsel als „Aufstieg“, etwa 30% als „Abstieg“ zu bewerten sind. Deutlich wird jedoch
dabei auch, dass einige Berufsgruppen, so
z.B. Facharbeiter, qualifizierte Angestellte
und Selbständige, von den Arbeitsmarktturbulenzen eher verschont blieben: Hier haben
sich anscheinend noch in der DDR erworbene
Bildungs- und Berufsqualifikationen als
Schutz gegenüber Abstieg und Arbeitslosigkeit erwiesen (vgl. Diewald/Solga 1997; Solga u.a. 1999).
Insgesamt haben allerdings schon im Zeitraum von 1990 bis 1991 mehr als ein Drittel
der ostdeutschen Männer und fast die Hälfte
der ostdeutschen Frauen mehr oder weniger
einschneidende Statusveränderungen erlebt
(vgl. Berger 1996: 268f.) – wobei von Mitte
1989 bis Ende 1991 auf Seiten der Männer
nur rund 44%, bei den Frauen lediglich etwa
29% durchgängig vollerwerbstätig waren (vgl.
H. Berger u.a. 1996: 50). Zwischen Dezember
1989 und Frühjahr 1993 verblieb in Ostdeutschland jeweils nur rund ein Drittel der
1939-41, 1951-53 und 1959-61 geborenen
Männern und Frauen ohne Unterbrechung in
derselben Stelle; im anschließenden Zeitraum
Soziale Mobilität
von 1993 bis 1995 waren dann von den sozialversicherungspflichtig beschäftigten ostdeutschen Männern rund 30% und von den
ostdeutschen Frauen 37% mindestens einmal
arbeitslos – gegenüber 20% der männlichen
und 19% der weiblichen Erwerbstätigen in
Westdeutschland. Ein knappes Drittel aller arbeitslosen ostdeutschen Männer ist dabei in
diesen drei Jahren sogar mindestens zweimal
arbeitslos geworden (in Westdeutschland: ein
gutes Viertel); bei den Frauen lag das Verhältnis bei 26% (Ost) zu 19% (West) (vgl. Berger
u.a. 1999).
3. Die ambivalenten Konsequenzen
sozialer Mobilität
Die umfangreichen Instabilitätserfahrungen in
Ostdeutschland machen auch darauf aufmerksam, daß soziale Mobilität nicht allein für die
Beurteilung von Chancen(un)gleichheiten oder für Prozesse der Herausbildung von sozialen Klassen und Schichten – also unter den
ersten beiden der oben genannten, theoretischen Gesichtspunkte – von großer sozialer
und politischer Relevanz ist. Vielmehr spielen
hier – im Sinne der dritten Perspektive – auch
jene ambivalenten Konsequenzen sozialer
Mobilität eine Rolle, die in jüngster Zeit meist
unter dem Stichwort „Individualisierung“
diskutiert werden (vgl. Beck 1986; Berger
1996): Einerseits können durch das mobilitätsbedingte „Herauslösen“ aus vertrauten Sozialmilieus Berufs- und Lebenserfahrungen
„entwertet“ werden, so daß auf individueller
Ebene Orientierungsschwierigkeiten und
Identitätsprobleme auftreten können. Auf kollektiver Ebene können soziale Mobilität und
sich häufende Statusunsicherheiten zudem
zum Verlust tradierter Bindungen führen und
mit sozialer Desintegration bis hin zur Anomie in Verbindung gebracht werden – insbesondere dann, wenn bei steigender Arbeitslosigkeit nicht nur in den neuen, sondern auch
in den alten Bundesländern die Chancen eines
(Wieder-)Einstiegs in das Erwerbssystem
schwinden.
Wie nicht zuletzt die Erstarrungserscheinungen in der DDR gelehrt haben, kann ein
Soziale Mobilität
hohes Maß an sozialer Mobilität jedoch andererseits auch als ein Indikator für die notwendige „Offenheit“ und „Pluralität“ einer modernen Gesellschaft aufgefaßt werden: Soziale
Mobilität bringt aus dieser Perspektive für die
Betroffenen nicht nur „Mobilitätskosten“ mit
sich, sondern eröffnet ihnen zugleich Lern- und
Selbstverwirklichungschancen. Dies kann in
ökonomischer Hinsicht zu größerer Flexibilität
und Anpassungsfähigkeit der Gesellschaft führen. In sozialer Hinsicht kann das mobilitätsbedingte Kennenlernen unterschiedlicher Berufsfelder, gesellschaftlicher Bereiche oder Milieus
auch das Entstehen oder Fortbestehen wechselseitiger Klischees und Vorurteile verhindern –
und so die soziale Integration einer Gesellschaft fördern. Auch deshalb sollte der Abbau
von Mobilitätsbarrieren weiterhin im Zentrum
von sozialwissenschaftlichen Forschungen, von
Bildungs-, Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik stehen.
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Peter A. Berger
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