Kapitel II Die Entstehungsgeschichte der konkreten (dialektischen) Vorstellung über den Anfang Der Anfang als Erkenntnisprinzip (Das Allgemeine und die Erfahrung) In der Neuzeit wurden philosophische und wissenschaftliche Probleme in einer prinzipiell anderen sozialen und geistigen Atmosphäre behandelt. Während die scholastische Philosophie sich im Mittelalter von der wissenschaftlichen Naturerkenntnis abkehrte, Versuche und Experimente mit Verachtung ablehnend, gingen in der Neuzeit grundsätzliche Veränderungen vor sich. Forschung und Erklärung der Natur, aufmerksame Faktenansammlung und ihre Verallgemeinerung galten als die wichtigste Aufgabe der sich entwickelnden Wissenschaft. Bezüglich dieses Problems schrieb F. Engels: „Die gegenwärtige Naturforschung ist das einzige, was zur wissenschaftlichen, systematischen, allseitigen Entwicklung führte, entgegen den genialen naturphilosophischen Vermutungen der alten und sehr wichtigen, aber sporadischen und größtenteils spurlos verschwundenen Entdeckungen der Araber, …beginnt ihre Zeitrechnung mit der großen Epoche, die wir Deutschen… Reformation nennen…” Und die Naturforschung ging damals unter den Bedingungen der allgemeinen Revolution vor sich, und war selbst durch und durch revolutionär: ja, sie sollte sich das Recht auf Existenz erkämpfen. Zusammen mit den großen Italienern, seit denen die neue Philosophie ihre Zeitrechnung führt, lieferte sie Märtyrer für Scheiterhaufen und Kerker der Inquisition. Es ist auch kennzeichnend, dass die Protestanten die Katholiken in der Verfolgung der freien Naturforschung überbieten. Calvin verbrannte Servet, als jener kurz vor der Entdeckung des Blutkreislaufes war, und ließ ihn dabei zwei Stunden am lebendigen Leibe schmoren; die Inquisition begnügte sich wenigstens damit, dass sie Giordano Bruno einfach verbrannte” 1. Die Renaissance war eine wirklich große Epoche. Sie versetzte der Religion einen gewaltigen Schlag, wendete das menschliche Denken zur Natur und erklärte sie zum Gegenstand der Wissenschaft und Philosophie. Für die sich entwickelnde Wissenschaft waren nur die sozialen Bedingungen ungenügend, aber es war notwendig, eine ausreichende Anzahl von Fakten zur Verallgemeinerung zu haben. Deshalb ist klar, warum solche Wissenschaften wie Mathematik, Mechanik, die noch in der alten Welt dank der Schöpfungskraft von Euklid, Archimedes u.a. entstanden waren, eine schnelle Reife erreichten. In dieser Epoche begannen sich die entsprechenden Wissenschaften im Ergebnis der kreativen Bemühungen von Kopernikus, Kepler, Galilei und im Zusammenhang mit den Bedürfnissen der sich entwickelnden materiellen Produktion herauszubilden. Seit dieser Zeit begann tatsächlich die wirkliche Entstehungsgeschichte der Wissenschaft, die wahre Erforschung der Natur und der Fakten. Eben dieser ideologische Kampf, die sozialhistorische Situation waren der Ausgangspunkt der Philosophie von Bacon und Descartes. Sie beide erarbeiteten tiefschürfend den Begriff des Anfangs, hauptsächlich in Zusammenhang mit der Erforschung des Anfanges in der Wissenschaft und Erkenntnis. Wenn die alte Philosophie die Kategorie des Anfanges hauptsächlich als Anfang des Seienden betrachtete, d.h. aus ontologischer Sicht, so wird dieser Begriff in der Neuzeit immer mehr im Zusammenhang mit der Analyse der Natur der Erkenntnis untersucht. Um diese Zeit wird zwar die ontologische Behandlung des Problems, die Analyse und Erforschung des Anfangs des Seienden nicht unterbrochen, aber die Fragestellung und ihre Lösung nehmen einen einigermaßen spezifischen Charakter an. Die Philosophen der Neuzeit beschäftigen sich zum Unterschied von den alten nicht unmittelbar mit der Aufdeckung des Anfangs des Seienden und der Welt, sondern sie konzentrieren ihre Aufmerksamkeit hauptsächlich auf die Begründung und Ableitung dieser 39 Anfänge (Gott, Substanz) von näher liegenden erkenntnistheoretischen Prinzipien. Eben deshalb bekamen die Fragen nach dem Anfang von Wissenschaft und Erkenntnis der Neuzeit eine vorrangige Bedeutung. In der alten Philosophie entstanden vor allem Schwierigkeiten in ontologischer Beziehung. Die Philosophen der Neuzeit lösten dieses Problem nicht, weil sie metaphysisch an die Sache herangingen. In der neuen Philosophie entstanden auch andere Schwierigkeiten in der Auffassung des Anfangs in Zusammenhang mit der Frage nach dem Anfang der Erkenntnis. Vorwiegend bekämpften sich hier die Vertreter des Rationalismus und des Empirismus. Wenn die Rationalisten die Quelle des menschlichen Wissens in den Begriffen, in den angeborenen Prinzipien sehen, so finden sie die Empiriker in der unmittelbaren Erfahrung. Die führenden Theoretiker des Rationalismus Descartes, Spinoza und Leibniz behaupteten im Gegensatz zu den Empirikern, dass die Empfindung keine Quelle des wahren Wissens sein kann. Aus der Sicht des Rationalismus ist die Quelle der wahren Erkenntnis die reine Selbstbetätigung des Subjektes, d.h. die Vernunft. In ihrer Gnoseologie weisen sie nicht auf den Entstehungsprozess der Ideen, der Begriffe hin. Die letzten nehmen sie direkt als fertige Begriffsbestimmungen wie zum Beispiel Substanz, Unendlichkeit, Ausdehnung usw. Nach Descartes war der Grundmangel der vorigen Philosophie und Wissenschaft das Fehlen sicherer und unbedingt wahrer Anfänge. Viele Prinzipien und Grundsätze, mit denen sie begannen und auf die sie sich bei der Errichtung des wissenschaftlichen Gebäudes stützten, waren nicht direkt wahrheitsgetreu. „Aber keine Schlussfolgerung”, schrieb Descartes, „die aus einem unklaren Anfang abgeleitet wurde, kann nicht offensichtlich sein, obwohl diese Schlussfolgerung daraus ganz unbestritten abgeleitet wurde. Hieraus folgt, dass keine Schlussfolgerung, die auf ähnlichen Anfängen basiert, zur zuverlässigen Erkenntnis irgendeiner Erscheinung führen konnte, und dass sie uns folglich um keinen einzigen Schritt auf der Weisheitssuche weiter voranbringen kann” 2. Descartes maß der Klarheit und Offensichtlichkeit des Anfangs in der Philosophie und in der ganzen Wissenschaft eine große Bedeutung bei. Die wahren Grundlagen des Wissens sollen wir seiner Meinung nach in denjenigen Prinzipien sehen, die nicht mittelbare, sondern unmittelbare Kenntnisse beinhalten, und ihrem Charakter nach nicht wahrscheinliche, sondern absolute Wahrheiten sein sollen. Diese sicheren Kenntnisse sind für die Beweisführung vieler Erscheinungen ausreichend. Jede Auseinandersetzung zwischen Wissenschaft und Realität entsteht aus dem Fehlen solcher wahren Kenntnisse. Das Ideal der Wissenschaft sah er in Arithmetik und Geometrie, deren Rolle darin bestand, dass man in ihnen von einfachen und klaren Prinzipien ausgeht. Alle Wissenschaften, darunter auch die Philosophie, können ihren Leitsätzen den Charakter des Allgemeinen geben, wenn sie den Methoden dieser Wissenschaften folgen werden. Wie Spinoza ganz genau bemerkte, glaubte Descartes: „Wenn er imstande wäre, klar und deutlich einfache Ideen wahrzunehmen, so könnte er zweifelsohne ebenso klar und deutlich alle anderen Ideen verstehen, die aus diesen einfachen bestehen” 3. Descartes war tief davon überzeugt, dass jedes Wissen, das nicht auf solchen Prinzipien und Anfängen beruht, nur wahrscheinlich, aber nicht wirklich sein kann. Die Kenntnisse haben nur deshalb irgendeinen Wert, weil sie auf unmittelbar sicheren Kenntnissen und Grundlagen ruhen, die uns unbedingt zu wahren Zielen führen. Wer bei der Begründung der Wissenschaft falsche Anfänge nutzt, ähnelt dem Wanderer, der sich mehr und mehr vom Ziel entfernt. Der Philosoph maß einen enorm großen Wert seinem Ausgangsprinzip bei. „Die Anfänge”, schrieb er, „die ich in diesem Buche anbiete, sind die echten Anfänge, mit deren Hilfe man die höchste Stufe der Weisheit erreichen kann” 4. Weiter weist Descartes auf die wichtigsten Kriterien dieser Anfänge hin: „Diese Anfänge sind durchaus klar, und zweitens, man kann aus ihnen alles Übriggebliebene ableiten; außer diesen zwei Bedingungen braucht man für die Anfänge keine anderen” 5. 40 Das descartessche Verständnis des Anfanges spielte in der neuen Philosophie eine große Rolle, es wurde in der Philosophie vieler Rationalisten beträchtlich weiter entwickelt. In der Lehre von Descartes wird der Begriff des Anfangs vor allem als absolut zuverlässiger, unmittelbar vollständig unableitbarer und unverkennbarer Grundsatz der Wissenschaft. Wenn der Anfang ableitbar wäre, so wäre er nicht unbedingt einfach und klar, denn ein anderer Grundsatz existierte in diesem Fall, der noch primärer wäre als dieser. Deshalb müssen die Anfänge der Wissenschaft wahrhaftig primär sein. Aus diesem Grunde meinte Descartes, dass der intuitive Erkenntnisakt wahrheitsgetreuer ist als die Deduktion, weil man mittels der Intuition direkt einfache, klare und deutliche Wissenschaftsprinzipien beobachten kann. Das Resultat der Intuition charakterisierte Descartes als den durch das Licht der Vernunft natürlich geborenen „Begriff des klaren und aufmerksamen Geistes, dermaßen einfach und klar, dass er keinen Zweifel daran aufkommen lässt, dass wir denken” 6. Den großen Wert der Intuition sah er darin, dass Prinzipien und Grundsätze der Wissenschaft erst durch die Intuition erkennbar sind, aber die daraus unmittelbar fließenden Grundsätze und Folgen können sowohl durch die Intuition als auch durch die Deduktion erkannt werden. „Die sich unmittelbar aus dem ersten Prinzip ergebenden Grundsätze, kann man sagen, lassen sich auf dem intuitiven und deduktiven Wege im Zusammenhang mit ihrer Behandlungsart erfassen, die Prinzipien selbst können jedoch nur auf dem intuitiven Wege, sowie umgekehrt, ihre Einzelfolgen nur deduktiv erkannt werden” 7. Wenn der Philosoph die Wichtigkeit der Intuition durch die Notwendigkeit der Erkenntnis des Ausgangsprinzips der Wissenschaft begründet, so erläutert er die Deduktionsnotwendigkeit dadurch, dass „es viele Erscheinungen gibt, die zwar nicht augenscheinlich sind, aber einer zuverlässigen Erkenntnis offen stehen, wenn sie nur aus richtigen und verständlichen Prinzipien durch den stufenartigen und ununterbrochenen Gedankenlauf bei scharfer Intuition jedes Einzelgrundsatzes abgeleitet werden” 8. Nach Descartes ist der Grundanfang nicht nur etwas Einfaches und Offenkundiges, sondern noch etwas Absolutes. Nur das Absolute, nach seiner Meinung, enthält in sich die unbedingte Klarheit und Einfachheit. Das Relative versteht er jedoch als etwas, was manches Gemeinsame mit dem Absoluten hat, wodurch es mit dem Absoluten zusammengebracht und daraus abgeleitet werden kann, der bekannten Regel folgend. Die Hauptaufgabe der Wissenschaft sah Descartes darin, dass man vom Relativen ausgehend, das Absolute erreicht, woher dann alle Grundsätze der Wissenschaft stufenweise abgeleitet werden. Er war der Meinung, dass solche absolute, klare und verständliche Begriffe in der Wissenschaft und Philosophie sehr rar sind. Sogar viele Grundsätze der Mathematik können einer scharfen Kritik nicht standhalten. Deshalb ist es notwendig, sie gründlich zu fixieren. Sie sind die einfachsten in jeder Reihe. „Alle anderen können wir nicht anders erkennen”, schrieb Descartes, „als durch Ableitung aus diesen Dingen entweder unmittelbar und direkt, oder durch zwei-drei verschiedene Schlüsse…, deren Anzahl auch fixiert werden sollte, um zu wissen, um wie viele Stufen sie vom ersten einfachsten Grundsatz entfernt sind” 9. Descartes betonte auch die Notwendigkeit einer gut durchdachten Methode bei der richtigen Feststellung von Prinzipien der Wissenschaft. „Unter der Methode”, schrieb er „verstehe ich präzise und einfache Regeln, deren strenge Einhaltung immer die Annahme des Falschen anstelle des Wahren verhindert, ohne unnötigen Verbrauch der Denkkräfte, aber allmählich und ununterbrochen die Kenntnisse erweiternd, trägt sie dazu bei, dass der Verstand die wahre Erkenntnis von allem erreicht, was ihm zugänglich ist” 10. Die wichtigste Bedingung des vollkommenen Wissens, ist seiner Meinung nach die theoretische Methode, die hilft, die Intuition und Deduktion richtig anzuwenden. In der Erkenntnis ist die Methode ebenso notwendig wie der Faden von Theseus für jeden, der das Labyrinth durchdringen will. Deshalb wäre es besser, überhaupt nicht zu forschen als zu forschen ohne Methode, weil der Mensch, der die Methode vernachlässigt, demjenigen ähnlich ist, „der versucht, mit einem 41 Satz vom Boden aus das Hausdach zu erreichen, die Leiterstufen verachtend, die diesem Zweck dienen” 11. Eine wichtige Aufgabe der Methode besteht nach Descartes in der Herausarbeitung des einfachen, absoluten Prinzips der Wissenschaft. Wir folgen streng der Methode, wenn wir die dunklen und verworrenen Behauptungen der Wissenschaft auf einfache und klare reduzieren, und erst dann bemühen wir uns, von den einfachsten Prinzipien der Intuition ausgehend, zur Erkenntnis aller anderen stufenweise emporzusteigen. Er schrieb: „…Man muss mit den einfachen und leichten Gegenständen beginnen und niemals zu den anderen übergehen, solange ich nicht einsehe, dass ich daraus nichts mehr schöpfen kann” 12. Die Vorteile der mathematischen Wissenschaft sieht der Philosoph darin, dass die theoretische Methode eine längere Zeit in ihr spontan angewandt wurde. Descartes war davon überzeugt, dass die Methode ihre weitere Entfaltung in allen Wissenschaften, insbesondere in der Philosophie, findet. Er maß der Aufdeckung des bedingungslos Zuverlässigen eine sehr große Bedeutung in der philosophischen Wissenschaft bei, die „die ersten Anfänge der menschlichen Denkweise in sich beinhalten und ihre Aufgaben der Wahrheitsgewinnung in Bezug auf einen beliebigen Gegenstand ausstrecken soll. Offen gestanden bin ich davon überzeugt, dass sie allen anderen Wissensarten, die uns Menschen zur Verfügung stehen, bevorzugt werden soll, denn sie ist ihre Quelle”13. In seiner berühmten „Abhandlung über die Methode” formulierte er vier Grundregeln der Methode, die sich nach seiner Meinung prinzipiell von den alten Grundsätzen der scholastischen Logik unterscheiden, und die den Grundinhalt des neuen methodologischen und logischen Prinzips der Naturforschung ausmachen. Die erste Regel: niemals etwas als wahr anzunehmen, was nicht klar als solches erscheint; und in die Urteile nur das aufnehmen, was sich so klar und bestimmt darbietet, dass es keine Veranlassung gibt, es in Zweifel zu ziehen. Die zweite Regel: jede der Schwierigkeiten in so viele Teile zu zerlegen als es nur möglich und erforderlich ist, um sie in der besten Weise aufzulösen. „Die dritte Regel: sich an eine bestimmte Ordnung der Gedanken zu halten, bei den einfachsten und am leichtesten zu erkennenden Gegenständen beginnen, um nach und nach bis zur Erkenntnis der zusammengesetzten aufzusteigen, und sogar dort eine Ordnung voraussetzen, wo die Denkobjekte nicht in der natürlichen Weise aufeinanderfolgen”14. Endlich die letzte Regel: überall so vollständige Aufzählungen und so allgemeine Übersichten anzustellen, dass man sicher sein kann, nichts ausgelassen zu haben. Die Ausarbeitung einer rationellen Methode hat jedoch für Descartes eine untergeordnete Bedeutung. Er strebte danach, alle Regeln in der Philosophie auf der Suche nach dem bedingungslosen Anfang zu realisieren, woher alle anderen Wissenschaften ihre Prinzipien entlehnen werden. „Aber unter Berücksichtigung dessen, dass alle Prinzipien der Wissenschaften der Philosophie entlehnt werden sollen, wo ich noch keine sicheren Prinzipien herausfand, meinte ich, dass diese vor allem eben in ihr festgestellt sein müssen” 15. Der Ausgangspunkt der Philosophie von Descartes bildet das Prinzip: alles zu bezweifeln. Um den absolut sicheren Anfang zu finden, muss man, seiner Meinung nach, alles in der sinnlichen und gedanklichen Erkenntnis bezweifeln, dem Zweifel alles Geistige und Materielle aussetzen, sogar das eigene Sein und das Sein der mathematischen Wahrheiten. Der Descartessche Zweifel unterscheidet sich jedoch grundsätzlich vom Skeptizismus, der sich keine anderen Ziele hat, als den Zweifel selbst, der aber nur den Sinn hat, dass wir jedes Vorurteil, jede Voraussetzung ablehnen müssen, die unmittelbar als wahr angenommen werden, sondern wir müssen mit dem Denken beginnen, um etwas Festes zu erreichen und den wahren Anfang zu erlangen. Um dieses Ziel zu erreichen, so Descartes, muss man sich in erster Linie von allen Meinungen befreien, „die auf Treu und Glauben angenommen werden, und alles von Anfang an, von 42 Grund auf beginnen”16. Dabei ging er davon aus, dass er in seinem Leben mehrmals auf falsche Meinungen stieß, die auf unzuverlässigen Grundlagen errichtet waren. Den allgemeinen Zweifel brauchte er, um das Unzweifelhafte und Wahrheitsgetreue im Wissen aufzudecken. Um dieses Prinzip folgerichtig durchzuführen, ist es nicht notwendig, alle Meinungen und Sätze zu kritisieren, es genügt, sich in den Grundlagen zurechtzufinden. „Da die Zerstörung des Fundamentes unausweichlich zur Ruinierung des ganzen Gebäudes führt, so werde ich meinen Angriff direkt auf die Prinzipien richten, auf denen früher alle meine Meinungen basierten”17. Im Ergebnis solch eines allgemeinen Zweifels will Descartes zum bedingungslos glaubwürdigen Gedanken kommen, dessen Existenz nicht abgestritten werden kann. Den radikalen Zweifel an allem voraussetzend und real angenommen, dass weder Himmel, noch Gott, noch Erde, noch wir selbst existieren, „…immerhin können wir nicht voraussetzen, dass wir nicht existieren, indem wir die Wahrheit all dieser Dinge bezweifeln”18. Nach Descartes ist der Grundsatz: „Ich denke, also bin ich” die sicherste Grundlage aller wahren Erkenntnis. In den „Grundlagen der Philosophie” schrieb er: „Ich denke, also bin ich, ist wahr, deshalb ist es die erste und die sicherste aller Schlussfolgerungen, die jedem erscheinen, der methodisch richtig seine Gedanken ordnet” 19. Der Philosoph war davon überzeugt, dass es durch den umfassenden Zweifel unmöglich ist, wahrheitsgetreue, klare und unverkennbare Grundlagen der Wissenschaft fallen zu lassen. Eben darin liegt die Anerkennung dessen, dass das Zweifelnde existiert. „Die Existenz dieses Bewusstseins nahm ich für den ersten Anfang an, woraus ich die Folge vollkommen klar ableitete” 20. Descartes schätzte die Grundlagen seiner Philosophie sehr hoch ein. Er schrieb: „dass es unnötig ist, nach anderen, außerhalb meiner Anfänge zu suchen, um die höchsten Kenntnisse, die dem menschlichen Verstand zugänglich sind, zu erreichen”21. Er war davon überzeugt, dass er die absolute, glaubwürdige Wahrheit entdeckt hatte, aufgrund derer man alles wirklich Existierende mit mathematischer Exaktheit erklären kann. Die reale Existenz desjenigen, der denkt, bleibt nach Descartes eine nicht zu beseitigende Tatsache”. „Gut nachgedacht und alles sorgfältig abgewogen”, schrieb Descartes, „muss man zur Schlussfolgerung gelangen und als zuverlässig anerkennen, dass der Leitsatz „Ich bin, ich existiere” jedes Mal unausweichlich ist, sobald ich ihn ausspreche oder mit meinem Verstand erfasse”22. Der Philosoph unterzog den Leitsatz „Ich bin, ich existiere” einer tiefschürfenden logischgnoseologischen Analyse. Nach seiner Meinung ist es methodologisch falsch, das „Ich” durch die nächste Art, d.h. durch den Begriff „Tier”, wie es in der aristotelischen Logik behandelt wurde, zu bestimmen, weil der Begriff „Tier” selbst eine Klärung und Präzisierung braucht. Solch eine Begriffsbestimmung charakterisiert Descartes als eine Bestimmung des Unbekannten durch das Unbekannte. Diese Kritik des alten Bestimmungsprinzips hatte in seiner Zeit eine völlig positive Bedeutung, weil ihre Spitze gegen Formalismus und Scholastik in der Begriffsbestimmung gerichtet war. Descartes beschränkt sich nicht auf der Kritik des alten Bestimmungsprinzips, sondern wandte sein logisch-gnoseologischen Prinzip auf die wahre Bestimmung der Begriffsnatur an. Nach Descartes ist das „Ich” in erster Linie eine Einheit vielfältiger Eigenschaften, eben das, was Leib, Seele, Gefühle und Gedanken hat. Um den Gegenstand zu verstehen, meinte er, ist es notwendig, ihn so gründlich wie möglich zu analysieren. Bei der Realisierung dieser Forderung stellt es sich heraus, dass weder der Gang, noch das Essen, noch das Fühlen auf Grund der Untrennbarkeit vom Leib zur eigentlichen Natur von „Ich” gehört. Man kann ganz sicher an deren Existenz zweifeln. Deshalb ist nur „das Denken”, schrieb Descartes, „das Attribut, welches mir gehört: es kann von mir nicht abgetrennt werden. Ich bin, ich existiere, das ist ganz echt”23. 43 Descartes als Rationalist betonte auch den Vorzug des Denkens, der intellektuellen Intuition bei der Erkenntnis. Interessant ist sein Beispiel mit dem Wachsstück, das eben erst vom Bienenstock geholt wurde. Es hat noch nicht seine sinnlichen Merkmale, Farbe, Form usw. verloren. Wenn man es aber dem Feuer näher bringt, so verliert es naturgemäß diese Merkmale. Niemand wird jedoch bezweifeln, dass das Wachs erhalten geblieben ist, trotz des Verlustes der Honigsüße und des Blumendufts. Das letzte ist der sinnlichen Vorstellung unzugänglich. „Ich bin nicht imstande”, schrieb Descartes, „das Unendliche durch meine Vorstellungskraft zu erfassen; folglich entstand auch mein Wachsbegriff nicht durch meine Vorstellungsfähigkeit”24. Somit kann die Vorstellungskraft die Verwandlung eines Dings in eine andere Form auffangen, wenn die Sinnesorgane nur einzelne Merkmale der Gegenstände erfassen. Das unendliche Wesen eines Gegenstandes ist nur im Begriff erkennbar. „Man muss zugeben”, schrieb Descartes, dass ich nicht imstande bin, mit meiner Vorstellung zu erfassen, was dieser Wachsklumpen ist, und dass nur mein Verstand es begreift. Ich spreche nur über den einzelnen Klumpen, denn alles Vorhergesagte ist in Bezug auf das Wachs überhaupt noch augenscheinlicher”25. Das Wesen der Dinge wird nicht durch die Vorstellung erkannt, sondern unmittelbar durch das Denkvermögen erfasst. „Aber, wenn ich,“ schrieb Descartes, „das Wachs von seinen äußeren Formen unterscheide, und es entlarvend im nackten Zustand betrachte, und wenn auch irgendein Fehler in meinem Urteil vorhanden wäre, so bin ich selbstverständlich nicht imstande, ihn ohne Hilfe des menschlichen Geistes zu verstehen”26. Descartes begnügte sich nicht mit der Feststellung des Ausgangspunktes, des klaren und durchsichtigen Erkenntnisprinzips, sondern stieg von ihm aus zu den „wahren Gründen” aller körperlichen und geistigen Dinge empor. Dabei meinte er, dass wir eine Ideenvielfalt, darunter auch die Idee eines vollkommenen Wesens, besitzen. Die Entstehungsursache vieler dieser Ideen ist der Mensch selbst, aber er ist keinesfalls die Ursache der Gottesidee, eines vollkommenen Wesens, denn das weniger Vollkommene kann nicht die Ursache eines mehr Vollkommenen sein. Zum Anfangsgrund, nach Descartes, gehört die größere Realität als zur Folge. Das Sein eines vollkommenen Wesens ist von seiner Existenz untrennbar. In der descartesschen Philosophie unterscheidet sich der Leitsatz „ich denke” grundsätzlich von dem wahren Anfang alles Leiblichen und Gedanklichen. Die Forschung mit dem unmittelbar Glaubwürdigen zu beginnen, ist ein bestimmtes theoretischer Verfahren, um weiter zum „wahrem Anfang” aufsteigen zu können. Als wahrer Anfang tritt bei Descartes die Gottesidee, die absolut notwendig ist und ewig existiert. Nach ihm wäre es gegen jede Vernunft, diese Idee als Hirngespinst oder Fiktion zu betrachten, denn den Ideen gehört desto mehr Realität, je objektiver die Vollkommenheit gehört ihren Ursachen ist. Der Philosoph denkt etwa so: in uns, in unserem Bewusstsein finden wir die Idee eines vollkommenen Wesens. Deshalb sind nicht wir die Quelle all dieser Vollkommenheit, sondern Gott, der real existiert. Descartes hob hervor, dass wir nicht nur nicht die Ursache der Gottesidee, sondern auch nicht die Grundursache für uns selber sind, denn daraus, dass wir in dieser Zeit existieren, folgt nicht unsere Existenz in der Zukunft. Nur das vollkommene Wesen, Gott, ist solch eine wahre Grundursache. Wären die Menschen der Grund ihrer selbst, so besäßen sie alle Vollkommenheiten. In Wirklichkeit haben sie sie nicht. Diese Vollkommenheiten, so Descartes, sind nur Gott eigen, und er ist der Grund alles Seienden. Somit ist uns die Logik von Descartes klar. Im Laufe der Erkenntnis bringt er das bedingungslos glaubwürdige Wissen an den Tag („Ich denke, also bin ich”), dann aber kommt er durch Reduktion zum wahren Anfang alles Seienden, von dem alle materiellen und geistigen Dinge abhängen. Wer den wahren Anfang, Gott, erkennt, der erkennt alle seinen Attribute. „Wenn ich über mich selbst nachdenke”, schrieb Descartes, „so erkenne ich klar meine Unvollkommenheit, und dadurch wird mir auch bewusst, dass der, von dem ich mich in 44 Abhängigkeit befinde, nicht nur unbestimmt und potentiell alle großen Dinge, nach denen ich strebe, und die Ideen, die in mir liegen, besitzt, sondern sie auch aktuell und tatsächlich unendlich gebraucht, der ist folglich Gott” 27. Im Laufe der Analyse der Beziehung des „vollkommenen Wesens” zu den endlichen materiellen und geistigen Dingen, offenbarte sich das descartessche Verständnis der Kausalität ganz deutlich. „So wie die objektive Existenzart”, schrieb Descartes, „den Ideen kraft ihrer eigenen Natur gehört, gehört ebenso die formale Art und Weise der Existenz zu den Ursachen dieser Ideen (mindestens den ersten und wichtigsten) kraft ihrer eigenen Natur. Es kann zwar sein, dass eine Idee eine andere nach sich zieht, das kann aber nicht bis zur Unendlichkeit fortdauern. Schließlich muss man an die erste Idee gelangen, deren Ursache als Urbild angenommen werden könnte, oder als Original, das formal und richtig alle Realität oder Vollkommenheit in sich birgt” 28. Das descartessche Verständnis der Kausalität ist im Grunde genommen mechanistisch, denn die Ursache-und-Folge-Beziehung betrachtet dieser Philosoph als gleichbedeutend, d.h. in der Folge gibt es nichts, was in der Ursache früher nicht war. Deshalb gilt als Grundursache das, was die ganze Realität formal und tatsächlich in sich enthält. Descartes versteht nicht das Prinzip der Entwicklung. Infolgedessen behandelt er den Anfang und seine Erscheinungsform als identisch. Aus diesem Grunde unterscheidet sich die descartessche Deduktion nicht von der inhaltsreichen Deduktion, wo der Anfang als etwas Allgemeines und Abstraktes behandelt wird und wo seine Verbindung mit den Erscheinungsformen nicht unmittelbar ist, sondern durch das Besondere realisiert wird. Die descartessche Philosophie analysiert tiefschürfend die Beziehung des bedingungslosen Anfangs zu den erschaffenen Dingen. Zum Unterschied von den erschaffenen Dingen besitzt Gott als der wahre Anfang alle Vollkommenheiten, er ist nicht übergroß, nicht leiblich, besteht nicht aus Einzelheiten. Die ganze Vielfalt der leiblichen und gedanklichen Dinge wird unmittelbar nicht auf Gott zurückgeführt, sondern gruppiert sich anfangs um die Substanz der Größe und Vernunft. Wenn das Wahrnehmen, die Aufregung, das Gedächtnis zur gedanklichen Substanz gehören, so zählen Gestalt, Bewegung, Anordnung und Teilbarkeit zur Substanz der Ausdehnung. Nach Descartes existiert eine Substanz unabhängig von der anderen, zwischen ihnen gibt es keine Verbindung. Unter der Substanz „können wir”, schreibt Descartes, „nur ein Ding verstehen, das für seine Existenz nichts braucht als sich selbst”29. Streng genommen gehört diese Definition nach Descartes nur Gott, alles andere aber hängt von ihm ab. Immerhin bestimmt der Philosoph das Denken und die Ausdehnung als Substanzen zum Unterschied von den gewöhnlichen Dingen. Im Folgenden bedarf die materielle und geistige Substanz keiner Hilfe seitens eines „erschaffenen Dings”. Alle leiblichen und geistigen Dinge werden auf diese zwei Substanzen, die sich „real” voneinander unterscheiden, zurückgeführt. Unter dem realen Unterschied versteht Descartes den Unterschied zwischen den Substanzen, d.h. über eine Substanz kann man unabhängig von den anderen nachdenken. Wenn Gott eine denkende Substanz mit der leiblichen fester vereinigt hätte, schrieb Descartes, so „blieben dennoch beide Substanzen real voneinander unterschiedlich, ohne diese Vereinigung zu berücksichtigen”30. Descartes ließ die Idee der Einheit von Sein und Denken nicht zu. Dieser Zentralgedanke der Descartesschen Philosophie wurde von Spinoza überwunden, der in seiner Philosophie die Einheit von Denken und Sein erörterte. Er behandelte sie nicht als selbständige Substanzen, sondern als Attribute einer und derselben Substanz. Die Lehre des Spinoza von der Substanz ist eine große Errungenschaft des philosophischen Denkens. Hier fand die Idee des materiellen Anfangs ihre weitere Entwicklung. Bei Spinoza trat der Anfang als etwas Allgemeines auf, er ist auch nicht passiv. Die Substanz erscheint als Ursache von sich selbst. Wenn die Materie der Alten eine wirkende Form verlangt, so benötigt die Substanz von Spinoza nichts, sie ist der schöpferische Anfang selbst. Dagegen brauchen alle endlichen Dinge eine Substanz. Die Welt ist zugleich Substanz und Akzidenz. 45 Nach Spinoza gibt es keine Vielfalt von Substanzen, es existiert nur eine Substanz, deren Attribute Denken und Ausdehnung sind. Spinoza lehnt entschieden die Idee von der Vielfalt der Ideen ab. Aber was stellen einzelne Dinge dar? In ihrer Einzelheit können sie nicht eine Substanz sein, weil die Substanz einzig ist; sie können auch ihre Attribute nicht sein, weil Attribute ihrem Begriffe nach, der allgemeine Inhalt aller gleichartigen Dinge sind. Daher betrachtet Spinoza einzelne Dinge als Modi der Attribute. Spinoza definiert die Substanz so: „Unter der Substanz verstehe ich das, was allein für sich existiert und sich durch sich selbst bestimmt, d.h. das, dessen Darstellung kein anderes Ding benötigt, woraus es sich entwickeln könnte”31. Diese Definition ist die allgemeine Charakteristik des absolut Seienden. Aus der Substanzdefinition von Spinoza folgt: erstens, dass sie in jeder Beziehung unendlich ist. Wäre die Subsanz eingeschränkt, so würde sie durch etwas anderes bestimmt, was ihrer Bestimmung widerspricht. Und daraus folgt, zweitens, dass die Substanz, ihre eigene Realität in sich einschließend, nur einzig sein kann. Diese unendliche Substanz nennt Spinoza Gott oder Natur. Er bestimmt auch die Attribute der Substanz. „Unter dem Attribut”, schrieb Spinoza, “verstehe ich, dass der Verstand in der Substanz ein Bestandteil ihres Wesens ist”32. Unter so einem Inhalt der Substanz versteht man Denken und Ausdehnung. Wenn Descartes diese Bestimmtheiten als Substanzen behandelte, so führte Spinoza sie auf den Begriff wahrhaft-allgemeine Einheitssubstanz zurück. Modi bestimmt er als Zustände der einheitlichen Substanz, d.h. als etwas, das in dem anderen existiert und durch das andere dargestellt wird. In der Philosophie von Spinoza wird nur die Substanz als das bedingungslos Seiende behandelt. Die Vielfalt der natürlichen Dinge wird als Spielarten und Modifikationen der Substanz betrachtet. Da nichts außerhalb der Substanz existiert, so fließt alles, was sie hervorbringt, notgedrungen aus ihrer eigenen Natur heraus. Aber darauf beschränkt sich die spinozistische Philosophie nicht. Man muss noch nachweisen, auf welche Weise aus der inneren Natur der Substanz die Vielfalt ihrer Erscheinungsformen von einzelnen Dingen erfolgt. Nach Spinozas Überzeugung erscheint eine unendliche Zahl von Modi aus der unendlichen Natur der Substanz. Diese Behauptung ist aber nicht ganz klar, denn sie nimmt nur die mannigfaltige Existenz an, erklärt sie aber nicht. Es handelt sich um folgendes: wenn man die Existenz der endlichen Dinge anerkennt, die in sich keinen Grund ihrer eigenen Existenz besitzen, so setzen sie dabei zweifellos eine Substanz voraus und fließen aus ihrer Natur. Aber die Aufgabe besteht nicht einfach in der Erklärung der Tatsache der Existenz von endlichen Dingen, sondern in ihrer genetischen Ableitung. Der Natur der Substanz folgt aber nicht die vielfältige und endliche Existenz. Und wenn Spinoza das Gegenteil behauptet, so macht er das deshalb, weil er solch eine Existenz in der empirischen Wirklichkeit findet. Somit konnte Spinoza das Prinzip des Historischen in der Substanz nicht erreichen. Deshalb meinte Hegel, dass die Überwindung der Abstraktheit der spinozistischen Konzeption in der Steigerung seines Prinzips bis zum Begriff der Substanz, zum Objekt liegt. Der rationalistische Begriff des Erkenntnisanfangs wurde einer gründlichen Kritik in der Philosophie von Locke unterzogen, der, nachdem er die Schwäche des rationalistischen Prinzips nachgewiesen hatte, seinerseits die Grundthese des englischen Empirismus über die Herkunft aller Kenntnisse aus der Empfindung begründete. Die Lehre von Locke beginnt mit der Kritik der rationalistischen Theorie der angeborenen Ideen. Auf Grund zahlreicher Tatsachen bewies Locke die Unzulänglichkeit dieser Theorie. Nach seiner Meinung sind Empfindungen und Reflexionen die einzige Quelle unserer Kenntnisse. Die konzentrierteste Untersuchung des ganzen Vorrats unserer Kenntnisse ist nicht imstande, eine einzige Spur der Ideen, die sich aus anderen Quellen entwickelten, zu entdecken. Ungeachtet dessen, dass der Hinweis auf die zweite Quelle unserer Erkenntnis ein gewisser Rückzug von den Positionen des konsequenten Sensualismus ist, hatte die Lehre Lockes von der sinnliche Herkunft des menschlichen Wissens eine große Bedeutung in der 46 Geschichte der Philosophie. Den ganzen Inhalt des menschlichen Wissens betrachtete Locke aus der Sicht seines Grundprinzips: „Im Intellekt gibt es nichts, was in der Empfindung nicht gewesen wäre”. Locke beschränkt sich nicht auf die Begründung der Frage nach dem sinnlichen Ursprung unserer Kenntnisse, sondern untersuchte und unterzog zahlreiche Begriffe einer kritischen Analyse. Da kam aber seine empirische Beschränktheit an den Tag, denn in Bezug auf die kognitive Bedeutung einiger Gemeinbegriffe und Ideen fiel er in Agnostizismus. Gemeinbegriffe und Ideen drücken nach Locke nicht die Macht des menschlichen Geistes aus, sondern zeugen eher von seiner Schwäche. Zur Behandlung dieser Frage ging er von dem Standpunkt des Nominalismus aus, den objektiven Gehalt der Gemeinideen verneiend. All diese Ideen, nach Locke, entsprangen dem Verstand, und deshalb entspricht ihnen nichts in der Wirklichkeit. Locke kritisierte scharf die Idee der Substanz. Lockes Lehre von der Substanz ist widerspruchsvoll, weil er, einerseits, in den Dingen ihre „Stütze” sieht, andererseits, die Gesamtheit von Eigenschaften als Gattungswesen anerkennt. Das erste nennt er das Unbekannte, das Unerkennbare, das zweite – das Zugängliche, das Erkennbare. Das Fehlen der dialektischen Sicht führte Locke soweit, dass er die Erkennbarkeit der realen Substanz verneinte. Locke wollte hartnäckig jenen Umstand nicht verstehen, dass das Wesen und die Erscheinung gemeinsam auftreten, das Wesen erscheint, die Erscheinung ist wesentlich. Auf die weitere Entwicklung der Philosophie hatte die Gnoseologie von Locke einen zweifachen Einfluss. In ihr nehmen ihren Anfang die französischen Materialisten, einerseits, Berkeley und Hume, andererseits. Der letzte, das skeptische Zurückweichen von Locke konsequent entwickelnd, übte idealistische Kritik an der Kausalitätstheorie. Nach Hume entspricht der Kausalverbindung in der Wirklichkeit nichts als eine Aufeinanderfolge der Erscheinungen, und die scheinbare Allgemeinheit und Notwendigkeit der Kausalität ist nur mit der subjektiven Gewohnheit des Menschen verbunden, die Aufeinanderfolge von Erscheinungen und die Kausalverbindung zwischen ihnen zu identifizieren. Hume verneinte die Möglichkeit der Urteile, die unsere Kenntnisse erweitern und zugleich eine allgemeine und notwendige Bedeutung haben. Nach seiner Meinung erweitert die Erfahrung unser Wissen, verleiht ihm aber nicht den Charakter der Allgemeinheit und der Notwendigkeit. Das Wissen, das eine allgemeine und notwendige Bedeutung hat, gehört nur der Vernunft und besitzt demzufolge nur analytischen Charakter. Hume verneinte entschieden die Allgemeinheit und Notwendigkeit der Kategorien in der Philosophie und dadurch auch ihren Erkenntniswert. Wenn die Rationalisten als Anfang das Allgemeine, den Begriff betrachten, so konzentrieren die Vertreter des Empirismus ihre Aufmerksamkeit auf das Sinnliche und Einzelne. Jede Seite rückt einseitig entweder das Allgemeine oder das Einzelne in den Vordergrund. Deshalb stoßen beide auf unüberwindliche Schwierigkeiten bei der Lösung von Problemen der Erkenntnistheorie. Es handelt sich darum, dass das Wissen, der Begriff keine Summe von Tatsachen, sondern etwas qualitativ Bestimmtes ist. Das bedeutet, dass jedes neue Wissen eine Einheit von analytischen und synthetischen Momenten ist, es erweitert nicht nur unsere ehemaligen Kenntnisse, sondern verleiht ihnen den Charakter des Allgemeinen. Im Grunde genommen sind alle realen Ergebnisse der Wissenschaft, wie zum Beispiel die Grundsätze der Euklidischen Geometrie und die der Newtonschen Physik, eben solcher Art. In der Geschichte der neuen Philosophie konnten sowohl Empiriker als auch Rationalisten die Möglichkeit solch eines theoretischen Wissens, das imstande wäre, sich zu erweitern und zugleich eine allgemeine Bedeutung zu haben, nicht befriedigend erklären. Die Rationalisten verstehen die Herkunft des Wissens analytisch, indem sie das Allgemeine, den Begriff als Anfang vorbringen. Nach ihrer Auffassung gibt es in der Folge nichts, was früher in der Basis nicht gewesen wäre. Zwischen Anfang und Form, Ursache und Wirkung 47 gibt es eine eindeutige Beziehung. Infolgedessen ist das Wissen, obwohl es in sich das Allgemeine und das Notwendige enthält, nicht im Stande, das vormalige Wissen zu erweitern. Das Moment des synthetischen Wissens können Empiriker leicht erklären, wobei sie direkt vom Einzelnen und der sinnlichen Herkunft unseres Wissens ausgehen. Aber sie sind nicht imstande, die Allgemeinheit und die Notwendigkeit des menschlichen Wissens rational zu verstehen. Deshalb verneinen sie die Objektivität der logischen Formen, der Kausalitätstheorie, der Substanz. Eben deshalb waren Empiriker nicht im Stande, jene reale Tatsache zu verstehen, die seit Platon bekannt war, dass in der Gesellschaft Formen und Systeme der gegebenen Beziehungen und Normen bestehen, die unabhängig von einzelnen Individuen existieren. Jedes Individuum hat in seiner praktischen Tätigkeit mit diesen Formen zu tun, es eignet sich den Inhalt dieser Kategorien an und gebraucht sie. Aber diese Formen, die Wesensart des allgemeinen theoretischen Wissens werden nicht auf die Empfindungen, Wahrnehmungen eines einzelnen Menschen sowie eines Kollektivs zurückgeführt. Freilich beseitigt das nicht die Tatsache, dass der Mensch auch durch seine Empfindungen und Kontemplation die Welt erkennt. Aber die Empiriker übertreiben die Rolle des letzten. Das Ideal der Philosophie des Empirismus ist die reine Kontemplation, die nach Möglichkeit rein von den logischen Formen sein muss. Die Aktivität des menschlichen Denkens behandelt der Empirismus als Hindernis bei der reinen und richtigen Betrachtung der Wahrheit. Aber Locke kritisierte systematisch den Begriff der Substanz und Hume unterzog konsequent die Kategorie der Kausalität der Kritik. In der empirischen Philosophie wurde aber die Rolle des Denkens in der Erkenntnis darauf zurückgeführt, dass es die Gegenstände vereinigt, abstrahiert und zerlegt. Deswegen wurde das durch Sinnesorgane gewonnene Wissen, hier für reicher und konkreter gehalten, als das durch das Denken erhaltene Wissen. Freilich leugnete die Philosophie des Empirismus die Rolle der individuellen Vernunft, der Abstraktion nicht, aber sie verneinte die Rolle der allgemeinen und der notwendigen logischen Formen. Inwieweit die Empiriker das tätige Denken auf die einseitige Analyse und Verallgemeinerung zurückführen, verstehen sie auch die Rolle der Begriffe als subjektive Bequemlichkeit. Als prominenter Empiriker verstand Locke im Arbeitsgang der Verallgemeinerung und Abstraktion nur die Verarmung der Erkenntnis. Die Abstraktion ist nur für die Bequemlichkeit und Einschränkung der sinnlichen, in der Empfindung gegebenen Vielfalt nötig. Dabei spielte der Empirismus eine positive Rolle, weil er die Aufmerksamkeit der Forscher auf Tatsachen, einzelne Realitäten lenkte. Von nun an wurden Dinge der Natur und Verallgemeinerung sinnlicher Angaben in der Erkenntnis als wichtig erklärt. Diese Philosophie schritt Hand in Hand mit der sich entwickelnden Wissenschaft, denn sie interessierte sich nicht für das Ganze, wie es bei den griechischen Philosophen der Fall war, sondern erforschte peinlich genau Tatsachen und Einzelheiten. Infolgedessen wurden viele Grundsätze des Empirismus von den Vertretern der Wissenschaft begeistert aufgenommen. Freilich war diese Begeisterung kurzfristig, weil der Empirismus das Wesen des theoretischen Denkens nicht befriedigend erklären konnte. Die Grundsätze der empirischen Philosophie erwiesen sich als zu eng und abstrakt für das umfassende Verständnis und die Erklärung der Wesenheit des Wissens. 48 Die zweite Synthese (Kant) Das Problem des Anfangs wurde von Kant in jener Zeit erarbeitet, wo die alte Philosophie und Logik im Verständnis der Welt eine tiefe Krise des Wesens der Erkenntnis und des theoretischen Denkens erlebte. Die dogmatische Philosophie und traditionelle Logik waren nicht imstande, nicht nur die Angaben der sich entwickelnden Wissenschaft theoretisch richtig zu verallgemeinern, sondern auch apodiktisch ihre eigenen Grundsätze zu fundieren. Die vormalige Metaphysik strebte im Allgemeinen danach, den absoluten Anfang der Welt, die „simple Eigenart der Seele”, das Sein, Gott usw. zu ergründen. Nach Kant bedeutete das, dass sie den Rahmen jeglicher Erfahrung sprengte, ohne vorher das Wesen des Menschenverstandes einer theoretischen Analyse und Kritik zu unterziehen. Man entwickelte zahlreiche illusorische dogmatische Systeme, die beständig einander ablösten. „Wegen der inneren Fehden,” schrieb Kant, „entartete die Herrschaft der Metaphysik allmählich zur vollen Anarchie, und die Skeptiker, Nomaden gewissermaßen, jegliche dauernde Bodenbestellung verachtend, zerstörten von Zeit zu Zeit die bürgerliche Einheit”33. Deswegen herrschte, laut Kant, in der Denkatmosphäre volle Gleichgültigkeit in Bezug auf Metaphysik. Wenn man früher die Metaphysik „die Königin aller Wissenschaften nannte”, so wurde sie später zum Gegenstand der „Verachtung”.34 Solch ein Verachten der traditionellen Metaphysik gegenüber ist ganz verständlich. „Man kann nicht auf ein Buch zeigen”, schrieb Kant, „wie man zum Beispiel auf Euklids [Grundlagen] zeigt, und sagen: da ist die Metaphysik, hier finden sie das Grundziel dieser Wissenschaft” 35. Aber Kant leugnete nicht grundsätzlich die Bedeutung der ehemaligen Philosophie. Er sah darin das Vorhandensein mancher apodiktischer Grundleitsätze, die er als analytische behandelte und meinte, dass die synthetischen Grundsätze der traditionellen Metaphysik nicht von einer Einheitsvernunft abgeleitet werden können. Infolgedessen widersprach diesbezüglich eine Metaphysik immer der anderen. Eben das war, nach Kant, die Erscheinungsursache des Skeptizismus, wo die Vernunft gegen sich selber wirkte. Solch eine Denkweise konnte bei der völligen Verzweiflung aufkommen, eine befriedigende Lösung der Vernunftsaufgaben zu erreichen. Seine Kritik der alten Philosophie unterscheidet Kant grundsätzlich vom Skeptizismus. Der Kampf gegen den Dogmatismus, nach Kant, konnte den Skeptizismus nicht begünstigen, der die Metaphysik leichten Henzens rundweg verneinte. „Eher umgekehrt, die Kritik ist die notwendige Vorbedingung für die Förderung einer stichhaltigen Metaphysik als Wissenschaft”36. Kant trat nicht gegen Metaphysik im Allgemeinen auf, sondern gegen die alte Metaphysik. Seine „Kritik der reinen Vernunft” enthält eine positive Aufgabe, die künftige Metaphysik zu begründen, eine tatkräftige Reinigung des Entstehungsweges für diese Wissenschaft. „Darunter verstehe ich,” schrieb Kant, „nicht die Kritik an Büchern und Systemen, sondern die Kritik der Möglichkeiten der Vernunft im „Allgemeinen in Bezug auf alle Kenntnisse, nach welchen sie unabhängig von jeglicher Erfahrung streben kann, also die Lösung der Frage nach Möglichkeiten oder Unmöglichkeiten der Metaphysik im Allgemeinen und Feststellung der Quellen sowie des Umfangs und der Grenzen der Metaphysik auf Grund der Prinzipien”37. In seinen theoretischen Untersuchungen kritisierte Kant diejenigen scharf, die jede Metaphysik, Philosophie leugneten. „Sobald sie zu denken beginnen”, schrieb er, „kommen sie unausweichlich zu den metaphysischen Leitsätzen zurück, denen sie in Worten so eine tiefe Verachtung ausdrücken”38. Diese Wissensart, behauptete er, muss man als das Seiende in gewissem Sinne betrachten. Metaphysik liegt in uns tiefer als eine andere Wissenschaft. Kant war sich zweifellos darin sicher, dass er fast alle grundsätzlichen Probleme der künftigen Metaphysik löste. Davon ist die Rede in der „Kritik der reinen Vernunft”. „In dieser Abhandlung…”, schrieb Kant „wage ich zu behaupten, dass es kein einziges metaphysisches 49 Problem gibt, das hier nicht gelöst würde, oder für dessen Lösung es wenigstens kein Schlüssel gäbe.” 39 Natürlich stellten viele von Kants Vorläufern auch solche kategorische Behauptungen auf. Aber sein wahres Verdienst liegt vor allem in der Fragestellung selbst, in der Zurückführung des Problems über die Möglichkeiten der Naturkunde und der Metaphysik auf eine erkenntnistheoretische Frage, auf die Frage der Möglichkeit allgemeinen synthetischen Wissens, dessen Begründung zu einer Reform der vormaligen Philosophie und Logik führen sollte. Kant strebte nicht danach, das Problem der Weltstruktur im Großem und Ganzen zu lösen, was die vormalige Metaphysik beanspruchte, sondern versuchte, die Möglichkeit eines synthetischen apriorischen Wissens zu begründen. Solch eine Problemstellung hatte eine große Bedeutung in der Geschichte der Logik und der Theorie der Erkenntnis. Das führte den Philosophen zum Widerspruch mit der alten Denkweise, mit der traditionellen Logik, verlangte eine Begründung der neuen Logik, wo die Prinzipien der Dialektik eine wesentliche Bedeutung hatten. Zum Unterschied von Hume, der die Möglichkeit des allgemeinen und synthetischen Wissens verneinte, ging Kant von der Tatsache der Existenz apriorischer synthetischer Urteile aus. Obwohl es schwer ist, laut Kant, die Möglichkeiten solcher Kenntnisse in der Metaphysik nachzuweisen, existieren aber solche allgemeinen und notwendigen Kenntnisse zweifellos in Mathematik und Naturkunde. Solche Grundsätze der Geometrie wie „eine gerade Linie ist die kürzeste Entfernung zwischen zwei Punkten” sind synthetisch und apriorisch, denn der Begriff der geraden Linie, möge man sie noch so genau wie möglich gliedern, beinhaltet nicht die Vorstellung des kürzesten Weges. Eine ähnliche synthetische Bedeutung a priori hat der Grundsatz der Naturkunde: „Jede Wandlung in der Natur hat ihre Ursache”. Der Philosoph war davon überzeugt, dass es unmöglich ist, durch analytische Urteile und Erfahrung die Möglichkeit und Notwendigkeit solcher wissenschaftlich-theoretischer Kenntnisse wie die Grundsätze der Euklidischen Geometrie und der Newtonschen Physik zu begründen. Jedes wirklich wissenschaftlich-theoretische Wissen, nach Kant, muss eine allgemeine Bedeutung haben und gleichzeitig unsere Kenntnisse über den Gegenstand erweitern. So zum Beispiel enthält das Urteil „die Sonne ist die Ursache der Wärme” keinen Begriff der Wärme, möge man den Begriff der Sonne zigmal analysieren. Solch ein Urteil, nach Kant, ist kein Resultat einer empirischen Verallgemeinerung durch Induktion. Durch empirische Verallgemeinerung kann man nur das Urteil formulieren: „die Sonne erwärmt den Stein”. Das Urteil des letzten Typs unterscheidet sich grundsätzlich von dem ersten Urteil. Das letzte Urteil ist das Resultat der empirischen Wahrnehmung, es konstatiert das, was bisher in der Erfahrung beobachtet wurde, und deshalb garantiert uns absolut nicht für die Zukunft, weil die Subjekt-Prädikat-Beziehung hier notwendigerweise nicht ausgedrückt bleibt. Kant war davon überzeugt, dass der Ausdruck der allgemeinen Beziehung der Dinge für die Wissenschaft äußerst wichtig ist. Ohne diese Eigenschaft verlöre die Wissenschaft einen jeglichen Wert. Kant verstand tiefgründig, dass die Grundlagen der Newtonschen Physik und der Euklidischen Geometrie eine nicht problematische, sondern eine allgemeine und notwendige Bedeutung in jeder Erfahrung haben. Die Zentralaufgabe der Kantischen Kritik war der Nachweis allgemeiner Möglichkeitsbedingungen eines synthetischen apriorischen Wissens. Obwohl die Frageform über das synthetische Urteil a priori eine spezifisch Kantische Fragestellung ist, bleibt sie bis heute aktuell. Für die Wissenschaft ist es immer wichtig, dass die universellen Vorstellungen und Begriffe, die eine allgemeine und notwendige Bedeutung haben, das Resultat der Tätigkeit eines Wissenschaftlers bilden sollen. Für Kant ist es unmöglich, die Daten der Geometrie und Physik durch empirische Verallgemeinerungen und Induktionen zu erhalten. Sie sind eine Form des theoretischen 50 Wissens und unterscheiden sich deswegen grundsätzlich von dem empirischen Wissen, das keine allgemeine und notwendige Bedeutung hat. Selbst die Fragestellung nach dem Unterscheid zwischen dem empirischen und theoretischen, zwischen dem allgemeinen und notwendigen Wissen hat eine kolossale Bedeutung für Geschichte der Logik. Aber die Dialektik von Kant liegt nicht in der Problemstellung selbst, sondern in jener prinzipiellen Lösung, die der Philosoph erreicht. Kant ist vor allem davon überzeugt, dass die synthetischen apriorischen Kenntnisse auf Grund von Regeln der allgemeinen Logik unmöglich sind. Die allgemeine Logik stellt keineswegs die Frage nach der Gestaltung der wissenschaftlich-theoretischen Kenntnisse. Solche Kenntnisse sind auch durch die Erkenntnistheorie des Rationalismus und Empirismus unerreichbar. Der Rationalismus kann nur die Möglichkeit des analytischen Wissens begründen, und der Empirismus ist nicht imstande, seinen Urteilen eine allgemeine und notwendige Eigenart zu geben. Kant beweist die Fruchtlosigkeit sowohl des Rationalismus als auch des Empirismus infolge ihrer Einseitigkeit. Jede Richtung betont eine Seite und wirft die andere weg. Kant verstand zutiefst in seiner Philosophie, dass die Einheit von Gegensätzen nötig ist, um die Möglichkeit des synthetischen und apriorischen Wissens nachzuweisen, d.h. die Einheit des Allgemeinen mit dem Einzelnen, des Notwendigen mit dem Zufälligen, der Form mit dem Inhalt. Zwar formulierte Kant diesen Gedanken nicht ganz klar, aber er wandte ihn bei der Begründung des synthetischen apriorischen Wissens an. Somit verzichtete Kant grundsätzlich auf die alte Denkart, auf die alte Logik zur Begründung des synthetischen Wissens. Wenn die abstrakte Identität und der abstrakte Unterschied für die ganze vorkantische Logik das einzige Wissensprinzip war, so rückte Kant als Grundprinzip die Einheit des einen mit dem anderen in den Vordergrund. Eben deshalb unterschied Hegel die kantische Logik von der gewöhnlichen gedanklichen Logik. Den wahren Sinn der kantischen Philosophie und Dialektik entstellten die Vertreter der modernen westlichen Philosophie, insbesondere die Neokantianer. In der kantischen Begründung des synthetischen apriorischen Wissens sehen sie nur die Bekundung der Idee des kantischen gnoseologischen Dualismus. Es ist nur zu bedauern, dass solch eine unrichtige Vorstellung von Kants Philosophie eine ziemlich große Verbreitung gefunden hat. Die kantische Begründung des synthetischen apriorischen Wissens wäre ohne Anerkennung des dialektischen Widerspruches unmöglich. Es ist auch unmöglich, sich damit einverstanden zu erklären, dass das synthetische apriorische Wissen eine Folge des kantischen gnoseologischen Dualismus sei. Kants Behauptung selbst, dass es hier keinen Widerspruch gibt, soll uns nicht irreführen. Freilich erinnert uns die Form der kantischen Begründung an den Dualismus, aber der Grundgedanke wird hier durchaus nicht auf den Dualismus zurückgeführt, sondern auf die Anerkennung des Widerspruchs als Grundlage des theoretischen Wissens. Davon überzeugt uns auch die Tatsache, dass man gar keine Schaffung der neuen, transzendentalen Logik braucht, um den prinzipienlosen Dualismus zu begründen. Die kantische dualistische Form ist eine unentwickelte, schamhafte Form der Dialektik. Die Anerkennung der Notwendigkeit von Einheit der gegensätzlichen Aspekte tritt bei Kant in dualistischer Form auf. Ähnliche Dinge kann man noch in der heutigen Zeit beobachten. So traten die Wellen von de Broglie auf dem Gebiet der Quantenmechanik und der Korpuskularwellen-Aspekt in Form des Korpuskularwellen-Dualismus auf. So wird er auch in der Literatur behandelt. Aber der wahre heuristische Sinn dieses Prinzips besteht in der Anerkennung der Einheit von gegensätzlichen Seiten. Die Grundprinzipien der kantischen Dialektik traten klar in der transzendentalen Lehre von den Anfängen auf. Hier handelt es sich vor allem um die transzendentale Synthese von Kant. Wenn die Sensualisten die Rolle des sinnlichen Wissens übertrieben, und die Rationalisten 51 die Wahrhaftigkeit der Kenntnisse, die von den Empfindungen abgeleitet werden, verneinten, so sieht Kant in der Sinnlichkeit und im Verstand zwei Seiten des geeinten allgemeinen synthetischen Wissens. Eine Seite ist die Fähigkeit, Vorstellungen zu bekommen (Empfänglichkeit für Eindrücke), die zweite ist die Fähigkeit, das Ding zu erkennen („Selbstbetätigung der Begriffe”). Das wahre Wissen geben uns der Verstand und die Sinnlichkeit in ihrer Einheit. Selbst solch eine Fragestellung ist zutiefst dialektisch, ein Schritt vorwärts im Vergleich mit der vorherigen Philosophie. Somit sind „weder die Begriffe, ohne ihnen entsprechende, gewisse anschauliche Vorstellungen, noch die anschaulichen Vorstellungen ohne Begriffe imstande, uns Kenntnisse zu geben”. Sinnlichkeit ist der Inhalt der Erkenntnis, und der Begriff ist seine Form, die die Verbindung unter den Erfahrungserscheinungen feststellt. Durch Sinnlichkeit werden die Gegenstände, nach Kant, uns g e g e b e n, durch Verstand werden sie g e d a c h t. „Gedanken ohne Inhalt sind leer, anschauliche Vorstellungen ohne Begriffe sind blind”. 40 Die Kategorien sind objektiv, wenn sie gegenständlich sind, und die Betrachtungen sind objektiv, wenn sie den Kategorien untergeordnet werden. Kant beschränkt sich nicht auf das Konstatieren der Einheit von Sinnlichkeit und Verstandeskategorien, sondern unterzieht jede Seite dieser einheitlichen theoretischen Erkenntnis einer genauen Analyse. Er setzt sich mit der Frage auseinander, wie Gegenstände und Erscheinungen den Verstandeskategorien zugeordnet werden. Die Gegenstände den Kategorien zuzuordnen, bedeutet ein Urteil fällen, und die dieser Tätigkeit entsprechende Fähigkeit heißt Urteilsfähigkeit. Nach Kant kann die allgemeine Logik, sich von jeglichem Inhalt abstrahierend, keine Begründung der Urteilsfähigkeit geben. Etwas anderes ist die transzendentale Logik, die sich vom Inhalt der Begriffe nicht abstrahiert, sondern lehrt, reine Begriffe des Verstandes in Bezug auf Gegenstände richtig zu gebrauchen. Sie zeigt, ob der Gegenstand den gegebenen Regeln des Verstandes unterliegt oder nicht, und schützt uns kritisch vor Fehlern der Urteilsfähigkeit bei der Anwendung reiner Verstandsbegriffe. Bei jeglicher Zuordnung des Gegenstandes zu einem Begriff soll, nach Kant, die Vorstellung des ersten gleichartig mit dem letzten sein, d.h. der Begriff soll das beinhalten, was in dem ihm zugeordneten Gegenstand dargestellt wird. So, zum Beispiel, ist es nicht schwer, ein Urteil – der Teller ist rund – abzugeben, weil sowohl das Prädikat wie auch das Subjekt gleich sinnlich sind, d.h. der empirische Begriff eines Tellers ist mit dem reinen geometrischen Begriff der Rundheit gleichartig, weil die Rundheit, die im geometrischen Begriff gedacht wird, im empirischen Begriff des Tellers anschaulich dargestellt ist. Anders sieht es aus, wenn wir das Urteil „die Sonne ist die Ursache der Wärme” nehmen. Hier gesellt sich das Sinnliche zum gedanklichen Begriff. Die gedanklichen Begriffe sind mit den empirisch anschaulichen Vorstellungen gleichartig. Sie entstehen aus ganz unterschiedlichen Quellen. Apriorische Kategorien können in keiner anschaulichen Vorstellung gefunden werden. Daher kommt die Frage: Wie kann man die reinen Kategorien auf die Erscheinungen anwenden? Darauf gibt uns die transzendentale Lehre die Antwort über die Urteilsfähigkeit, die zeigt, wie reine Begriffe des Verstandes auf Erscheinungen im allgemeinen angewandt werden. Die reinen gedanklichen Begriffe-Kategorien beziehen sich nur auf die Form des Denkens, als apriorische Begriffe sind sie auf Erscheinungen unanwendbar. Um die Kategorien des Verstandes auf Erscheinungen anzuwenden, braucht man etwas Drittes, sowohl den Erscheinungen wie auch den Begriffen Gleichartiges. Diese vermittelnde Vorstellung soll rein und nichtsdestoweniger intellektuell einerseits, und andererseits sinnlich sein. Dieses Schema nennt Kant transzendental und seine Anwendung den Schematismus der reinen Verstandsbegriffe. Die Schemaidee ist in der kantschen Philosophie sehr interessant, denn hier wird in der Ausgangsform die Bedeutung, die Rolle des Besonderen erfasst, wo das Allgemeine mit dem Einzelnen verbunden wird. Dem Schema liegt die Form der Zeit zu Grunde. Nach Kant ist die 52 Zeit als formale, nach ihrer Herkunft apriorische Bedingung, jeder Erscheinung eigen, und ist jedem Verstandesbegriff sowie jeder Form der anschaulichen Vorstellung gleichartig. Eben deshalb betrachtet Kant die Zeit als notwendige Komponente des Begriffsschemas. Das Begriffsschema muss man von der Gestalt unterscheiden, denn das Schema zieht nicht die einzelne anschauliche Vorstellung in Betracht, sondern nur die Einheit in der Bestimmung der Sinnlichkeit. Das Schema weist nur auf die allgemeine Art hin, wie die Gestaltform, dem Begriff entsprechend, zu Stande kommt. Den reinen Begriffen zu Grunde liegen nicht die Gestaltformen der Gegenstände, sondern nur ihre Schemata. Nur die anschaulichen Objekte haben eine Gestalt, die reinen Begriffe aber besitzen sie nicht. Und wirklich, keine Gestaltsform eines Gegenstandes fällt mit ihrem Begriff zusammen. Kant weist zum Beispiel nach, dass keine Gestalt dem Begriff des Dreiecks im allgemeinem adäquat ist, weil sie nicht im Stande ist, die Allgemeinheit des Begriffs zu erreichen, die alle Dreiecke erfasst. Deshalb haben wir es, über alle Dreiecke im Allgemeinen sprechend, mit dem Schema als einer Bestimmungsregel für unsere anschauliche Vorstellung zu tun, dem bekannten allgemeinen Begriff entsprechend. Das Schema ist nicht im Stande, sinnliche Erscheinung farbenreich zu bemalen, es kann nur in groben Zügen die Umrisse der Begriffe skizzieren. Darin liegt, nach Kant, die in der Tiefe der menschlichen Seele verschlossene Kunst, deren wahre Methoden wir kaum irgendwann der Natur entreißen werden… Jede Erscheinung hat eine bestimmte Dauerhaftigkeit in der Zeit. Diese Dauerhaftigkeit der Erscheinungen bildet nach Kant eine Zeitreihe. Die Vorstellung von der Zeitreihe zieht durch die aufeinander folgende Addition gleicher Teile der Zeit, wobei jeder Teil von ihr eine Einheit bildet, und deren Addition eine Zahl ergibt. Jede Erscheinung füllt fließend die Zeit und bildet den Inhalt der Zeit. Aber die Erscheinungen füllen die Zeit nicht gleichartig: einige bleiben, indem die anderen verschwinden, sie folgen aufeinander oder existieren zu gleicher Zeit. Solch eine zeitliche Beziehung nennt Kant die Zeitordnung. Schließlich erfasst die Zeit auf bestimmte Weise das Sein der Erscheinung in sich: die Erscheinung existiert entweder ehemals, oder in einem bestimmten Moment, oder zu jeder Zeit. Wollen wir solch eine Zeitbestimmung die Gesamtheit der Zeit nennen. Dadurch werden alle möglichen Zeitbestimmungen erschöpft: sie ist eine Zeitreihe, der Inhalt der Zeit, die Ordnung der Zeit, die Gesamtheit der Zeit. Jede Erscheinung besitzt eine bestimmte Zeitgröße, bildet einen bestimmten Zeitinhalt, befindet sich in einer Beziehung zu den anderen Erscheinungen in dieser oder jener Weise. Wenn wir jetzt diese Zeitdefinitionen mit den reinen Begriffen vergleichen, so stellt es sich heraus, dass die Zahl der Quantität, der Inhalt der Qualität, die Zeitordnung der Relativität und endlich die Zeitgesamtheit der Modalität entspricht. Die Zahl ist ein Schema der Quantität, der Zeitinhalt, die ausgefüllte Zeit ist ein Schema der Realität, indem die leere Zeit das Schema der Negation ist. Die Zeitordnung hat eine dreifache Beziehung: eine Erscheinung bleibt bestehen, indem die anderen verschwinden; das Verbleiben bei Ablösung ist das Schema der Substanz; das Aufeinanderfolgen von Erscheinungen, wenn es regelrecht vor sich geht, ist das Schema der Kausalität, und, der Regel entsprechend, der gleichzeitige Verbleib der Erscheinungen ist das Schema der Kommunikation oder der Interaktion. Das Sein ist zu einer beliebigen Zeit ein Schema der Möglichkeit, das Sein zu einer bestimmten Zeit ist ein Schema der Wirklichkeit, das Sein zu jeder Zeit (immer) ist ein Schema der Notwendigkeit. Diese Schemata machen Erscheinungen und Kategorien einander zugänglich. Der Verstand bindet Erscheinungen mit Hilfe der Kategorien zusammen; er ordnet mit Hilfe der Schemata die ersten den zweiten unter, d.h. erzeugt Urteile durch das Schema der reinen Einbildungskraft. So gibt Kant nicht nur Regeln, sondern auch eine Anleitung ihrer Anwendung. Erscheinungen, die sich regelmäßig zu einer Zeit wiederholen, werden wir nicht als Ursache und Wirkung verbinden; Erscheinungen, die in Zeit verlaufen, werden wir uns 53 nicht als Begriff der Sustanz vorstellen, und Erscheinungen, die zu jeder Zeit existieren, werden wir nicht als Erscheinungen betrachten, die nur zufällig stattfinden. Weiter behandelt Kant die Frage, auf welche Weise sich die Gesetzte des Verstandes aus den Kategorien der reinen Verstandsbegriffe entwickeln. Die Grundbegriffe des reinen Verstandes, sagte er, zerfallen nach den Kategorien der Art in vier Gruppen: Axiome der Betrachtung, Antizipationen der Wahrnehmung, Analogien der Erfahrung und Postulate des empirischen Denkens. Somit ist der Schematismus des reinen Verstandes, die transzendentale Einbildungskraft in Kants Gnoseologie das Bindeglied zwischen Sinnlichkeit und Verstand, worüber bis heute als über die einzigen Fähigkeiten der Erkenntnis die Rede war. Ihre Funktion (Synthese genannt) besteht darin, die in Raum und Zeit gegebene Vielfalt zu binden. Wenn die zu bindende Vielfalt uns in Erfahrung gegeben ist, so wird die Synthese empirisch, wenn aber die Vielfalt uns a priori gegeben ist, so bleibt sie rein. Das Streben, das Sinnliche und Gedankliche in Verbindung zu bringen, gehört zu den größten Verdiensten der kantischen Philosophie. Dieser Umstand wurde von Hegel bemerkt, der schrieb: „Infolgedessen wurden die reine Sinnlichkeit und der reine Verstand, die Kant uns früher als etwas absolut Gegensätzliches darstellte, jetzt vereinigt. In dieser Ansicht ist schon ein gewisser betrachtender Verstand oder eine vernünftige Betrachtung vorhanden; aber Kant versteht das auf diese Weise nicht, er kommt mit seinen Gedanken knapp aus, er versteht nicht, dass er diese zwei Bestandteile der Erkenntnis hier zusammen brachte und dadurch sie „in sich” zeigte. Und wirklich, die Erkenntnis selbst ist die Einheit und die Wahrheit dieser zwei Momente, aber bei Kant bleiben der denkende Verstand und die Sinnlichkeit als etwas Besonderes, das nur auf äußere, oberflächliche Weise damit in Verbindung gebracht wurde, ähnlich wie man ein Holzklötzchen mit dem Bein mittels eines Stricks verbindet”41. In der Tat stellte Kant die Frage über die Einheit von Sinnlichkeit und Begriffen richtig, konnte aber diese Frage wissenschaftlich nicht bis zum Ende lösen, weil er Dialektik und die Einheit von Sinnlichkeit und Begriffen folgerichtig nicht durchführt und nicht weiß, dass das Sinnliche die Quelle der Begriffe und Kategorien ist. Nach Kant sind das Sinnliche und die Kategorien einander fremd, weil sie unterschiedlichen Quellen entstammen. Eben deshalb sucht er seine Zuflucht bei der Zeitform, wodurch er künstlich, rein äußerlich Kategorien mit Erscheinungen verbindet. Unterdessen werden die Kategorien nicht deshalb auf Erscheinungen angewandt, weil es etwas Mittleres (Form der Zeit) gibt, das sie mit Sinnlichkeit verbindet, sondern deswegen, weil die Kategorien selbst von der objektiven materiellen Welt abstrahiert und infolgedessen auf die letzte angewandt werden. Der Subjektivismus stört Kant, die Dialektik in der Erkenntnistheorie konsequent anzuwenden. Weder Sinnlichkeit noch Begriffe spiegeln, nach Kant, den realen Inhalt der objektiven Welt und ihre Gesetzmäßigkeiten wider. Es handelt sich deshalb bei Kant in beiden Fällen um etwas rein Subjektives. Die kantische Gnoseologie ist voller unlösbarer Widersprüche. In Anerkennung der Erfahrung als Quelle der Erkenntnis einerseits, und in der Behauptung, die Erfahrung sei ohne die Verstandeskategorie unmöglich andererseits, liegt Kants Widerspruch, sowie in der Anerkennung der Existenz von Dingen außer uns und in der Verneinung der Möglichkeit, diese Dinge zu erkennen. Selbst der Auffassung der Empfindungen als einer der Erkenntnisquellen der Philosophie von Kant ist ein Widerspruch eigen. Kant behauptet, dass die Sinnlichkeit ein Resultat der Einwirkung des Dings auf uns ist. Aber diese Gefühle, Empfindungen spiegeln nicht den realen Inhalt der Dinge wider, sondern ergeben nur Erscheinungen, die, nach Kant, nichts Gemeinsames mit den Dingen an sich haben. Zwischen unseren sinnlichen Kenntnissen und den Dingen an und für sich gibt es grundsätzlich keine Ähnlichkeit. Die Empfindungen formal erhebend und sie für den Inhalt der Erkenntnis haltend, verneint Kant ihre Bedeutung als Quellen der Umwelterkenntnis. 54 Aber das behebt nicht die Richtigkeit jenes Grundsatzes, dass Kant bei der Erforschung der Natur der Erkenntnis und des theoretischen Denkens einen Schritt vorwärts gemacht hat im Vergleich mit der vorigen Philosophie und Logik. In der traditionellen Formallogik werden allgemeine logische Formen und Kategorien nicht speziell erforscht. In der kantischen Philosophie wurde die Tradition der aristotelischen Metaphysik zum ersten Mal in der neuen Zeit fortgesetzt. Bei der Begründung des synthetischen apriorischen Wissens wendet sich Kant den Kategorien als allgemeine Formen und Gesetze des theoretischen Wissens zu. Deshalb ist die transzendentale Logik von Kant keine Logik im traditionellen Sinne (reine Formen, Sprache der Wissenschaft), sondern sie tritt als inhaltliche Logik der allgemeinen Bedingungen der wissenschaftlich-theoretischen Erkenntnis auf. Daher ist die Bewegung des logischen Denkens von Kant zu Hegel und Marx eine wirklich produktive Form der Entwicklung des logischen Denkens. Die neokantianische Logik aber entfernte sich von den wahren Begriffen der Logik. Die Neokantianer bauschten die schwache Seite der kantischen Philosophie, den Apriorismus und Agnostizismus von Kant auf. Nach Kant bekommt das theoretische Wissen seine Allgemeinheit und Notwendigkeit nur dank den logischen Kategorien. So wie ein Standbild dank den künstlerischen Formen, der Idee ein Standbild wird, so wird das Wissen allgemein und notwendig dank den logischen Kategorien. Infolgedessen unterscheidet sich die transzendentale Logik, als Entwurf der zukünftigen dialektischen Logik von Hegel, grundsätzlich von der allgemeinen Logik. In erster Linie unterscheidet sie sich von der Formallogik als wissenschaftlich-theoretische Anwendung der Vernunft im Akte des Denkens von der formalen, empirischen Beschreibung der gegebenen Formen der Vorstellungen. Wenn die Kompetenz der allgemeinen Logik in der Möglichkeit der analytischen Urteile, der empirischen Beschreibung der vorhandenen Vorstellungen liegt, so besteht die Aufgabe der transzendentalen Logik in Erforschung der Bedingungen und Möglichkeiten des apriorischen synthetischen Wissens. Zum Unterschied vom empirischen, abstrakt-allgemeinen Wissen, das eine beschränkte Bedeutung hat, beansprucht das theoretische Wissen die Allgemeinheit, es bezieht sich auf jede mögliche Erfahrung. Deshalb wird nicht irgendeine abstrakt allgemeine Eigenschaft des zu erforschenden Objekts in Form eines wissenschaftlich-theoretischen Wissens zum Ausdruck gebracht, sondern die wesentliche Artbestimmtheit des Gegenstandes erfasst. Kant führte in die Logik Dialektik, die dialektische Behandlung der Erkenntnis ein. Das bezieht sich vor allem auf die kantische Idee der aktiven Erkenntnis, der theoretischen Denkweise. Zum Unterschied vom metaphysischen, kontemplativen Materialismus behandelt Kant das Wesen des menschlichen Bewusstseins nicht als passive Widerspiegelung des Objektes, sondern betont die Aktivität, die Tätigkeit des menschlichen Bewusstseins. Die allgemeine Form dieser Aktivität bilden die logischen Kategorien, die, in unserem Bewusstsein wurzelnd, die Möglichkeit und Wirklichkeit der wissenschaftlich-theoretischen Erkenntnis bestimmen. Kant war davon überzeugt, dass sich das Wissen in wahres theoretisches Wissen verwandelt, dass es eine allgemeine Geltung nur dank den Kategorien, Normen bekommt, mit deren Hilfe sich die Materialien der Kontemplation formieren. Empirisches Wissen, Urteil, Wahrnehmung bekommen die Bedeutung der Objektivität und Wissenschaftlichkeit erst durch die Kategorien des Verstandes. „Die Rezeptivität kann nur in Verbindung mit der Selbsttätigkeit das Wissen erzeugen.” Die Kategorien des Verstandes sind Prinzipien und Gesetze des Denkens, sie bilden die Grundelemente der menschlichen Erkenntnis. Das wichtigste Problem der kantischen Philosophie bildet die Frage, wie die subjektive Bedingung des Denkens eine objektive Bedeutung bekommt. Diesbezüglich spielte die kantische Lehre von Kategorien, von synthetischen Urteilen und von der Ureinheit der 55 Apperzeption eine große Rolle in der Geschichte der Logik. Freilich, es gibt viel Idealismus im kantischen Grundsatz über die Ureinheit der Apperzeption. Aber er enthielt rationelle Momente über die Aktivität des erkennenden Subjekts. Diese Frage berührend, schrieb K. Marx in seinen „Feuerbachthesen”: „Der Grundmangel des ganzen vorherigen Materialismus – auch den Feuerbachschen einschließend – besteht darin, dass Gegenstand, Wirklichkeit, Sinnlichkeit nur in Form des Objektes, oder in Form der Kontemplation, nicht aber als menschliche sinnliche Tätigkeit, als Erfahrung subjektiv behandelt werden. Daher kam es, dass die tätige Seite im Gegensatz zum Materialismus vom Idealismus entwickelt wurde, aber nur abstrakt, weil der Idealismus die Wirklichkeit, die sinnliche Tätigkeit als solche natürlich nicht kennt.” 42 Nach Kant sind Kategorien diejenige Normen, nach denen die Welt unserer Kontemplation kraft der Einbildung („der bewusstlose Verstand”) errichtet wird, und nach denen „der bewusste Verstand” denkt. Die Größe der kantischen Frageauslegung zeigt sich noch deutlicher, wenn man die kantische transzendentale Logik mit der gnoseologischen Feststellung der vorherigen Philosophie vergleicht. In der Lehre von den Gespenstern ließ Bacon eine gewisse Aktivität des Menschen im Zuge seiner Erkenntnistätigkeit zu, aber darin sah er etwas Negatives, ein Hindernis im Wege der objektiven Erkenntnis. Das Ideal des menschlichen Bewusstseins, nach Bacon, ist seine Unberührtheit. Deswegen hält er für die Grundbedingung der objektiven wahren Erkenntnis die Vertreibung von Götzen und Gespenstern. An dieselbe Konzeption hielten sich Voltaire und Rousseau in der Erziehungstheorie, als sie die Gestalt eines von der Zivilisation unberührten Jünglings in die Literatur einführten. Wir verstehen natürlich, dass die entfremdete soziale Wirklichkeit den Menschen verdirbt, und deswegen kann ein abstrakter Mensch, der außerhalb der Sozialbeziehungen steht, keineswegs ein Ideal sein. Selbst die philosophische Begründung eines solchen Menschen bleibt ein Produkt historisch bestimmter sozialer Beziehungen. Von Anfang an betonte Kant die Aktivität, die kategoriale Bedingtheit des menschlichen Bewusstseins. Die Bedingungsmöglichkeit des wahren Wissens besteht, nach Kant, in der tätigen Bearbeitung einer empirischen Tatsache vermittels der Denkkategorie. Den Erkenntnisprozess behandelt er nicht als eine spiegelungstote Handlung, wo das Ding die Ursache und das Bewusstsein die Folge ist, sondern als einen bilateralen Prozess, wo Ursache und Wirkung beständig ihre Stellen wechseln. Selbst die Fragestellung nach den Kategorien hatte eine wichtige Bedeutung, obwohl Kant die Rolle der letzteren übertrieb. In der kantischen Philosophie unterscheiden sich die Erfahrungsurteile, die eine objektive Bedeutung haben, weil sie eine beständige Bedeutung besitzen, von den Wahrnehmungsurteilen, die nur eine subjektive Bedeutung haben. Es sei darauf hingewiesen, dass die kantische Auffassung des Objektiven und Subjektiven mit der echt wissenschaftlichen Auffassung dieser Frage nichts Gemeinsames hat, weil die Objektivität eines Erfahrungsurteils von Kant nicht in jenem Sinne verstanden wird, dass der Inhalt dieser Urteile das Wesen der realen Dinge, die außer uns und unabhängig von uns existieren, widerspiegelt. In letzterem Sinne hat jedes Urteil für Kant nur einen subjektiven Charakter unabhängig davon, ob von den Urteilen der Wahrnehmung oder von der Erfahrung die Rede ist. Obwohl die Erfahrungsurteile allgemeine und notwendige Bestimmungen sind, bleiben sie doch unsere Urteile, und sind, nach Kant, von den Dingen in sich durch eine undurchdringliche Grenze abgetrennt. Kant versteht nicht den Umstand, dass die Denkformen, die Erfahrungsurteile nicht deshalb objektiv sind, weil sie für jedes Bewusstsein eine obligatorische Bedeutung haben, sondern deswegen, weil ihr Inhalt die Widerspiegelung des Wesens der objektiven Welt ist. Theorien und Grundsätze haben für das ganze Bewusstsein eine allgemeinobligatorische Bedeutung und besitzen deshalb die Festigkeit eines Vorurteils, weil sie durch Erfahrung wiederholt bestätigt wurden. 56 Immerhin hat die kantische Einteilung in Wahrnehmungsurteile und Erfahrungsurteile eine positive Bedeutung besonders dort, wo Kant den Übergang von den Wahrnehmungsurteilen zu den Erfahrungsurteilen behandelt. Diesen Umstand kann man als eine der starken Seiten der kantischen Philosophie betrachten, weil er hier das Problem der Beziehung zwischen dem empirischen und dem theoretischen Wissen ziemlich tiefgründig stellt. Der Übergang von Wahrnehmungen zu Erfahrungsurteilen ist, nach Kant, erst durch Begriffe des Verstandes möglich, die Prädikate eines potenziellen Urteils sind. Nehmen wir ein Beispiel von Kant selbst. Das Urteil „wenn die Sonne einen Stein bescheint, so wird er warm” ist ein einfaches Wahrnehmungsurteil, das nur eine subjektive Bedeutung hat. „Wenn wir diesem Urteil den Charakter der Allgemeinheit, der Objektivität geben wollen”, fügt Kant hinzu, „so müssen wir ihm reine Verstandesbegriffe zufügen. Möge ein solcher Begriff der Begriff der Kausalität sein. Er verbindet obligatorisch den Begriff der Wärme mit dem Begriff der Sonne und verwandelt damit das subjektive Wahrnehmungsurteil in das objektive Erfahrungsurteil, das eine allgemeine und notwendige Bedeutung hat.” Diesen Umstand betonend, schreibt Kant, dass „das Erfahrungsurteil seine objektive Bedeutsamkeit nicht der direkten Erkenntnis des Gegenstandes entlehnt (was unmöglich ist), sondern aus der Bedingung der Allgemeingültigkeit der empirischen Urteile, ihre Allgemeingültigkeit, wie es oben gesagt wurde, hängt ja nicht von den empirischen und überhaupt nicht von den sinnlichen Bedingungen, sondern immer von dem reinen Verstandsbegriff ab.” 43 Somit ist es nach Kant klar, welche Erkenntniskraft die Begriffe (Kategorien) des Verstandes haben. Das Erfahrungsurteil (das synthetische Urteil a priori) ist erst durch Begriffe des Verstandes möglich. Sie schaffen die Möglichkeitsbedingungen eines synthetischen Urteils a priori, dessen Begründung das Grundziel der „Kritik…” gewidmet ist. Der Mangel der kantischen Philosophie besteht darin, dass sie Begriffe und Kategorien nur aus der Sicht ihres Wertes betrachtet, d.h. die Kategorien haben nur eine Bedeutung, insofern sie die Möglichkeit eines Erfahrungsurteils bedingen. An diese Seite der kantischen Philosophie klammerte sich die neokantianische Schule und bauschte sie zu ihrer Zeit einseitig auf, insbesondere Rickert, der die Widerspiegelung der objektiven Welt durch Begriffe verneinte und sie nur als Erkennungswerte, als subjektive Werkzeuge der Erkenntnis anerkannte. Ungeachtet des idealistischen Charakters bleibt die Idee von Kant von der Verbindung der Kategorien mit den Urteilen genial, weil in ihr die Vorstellung von der Verbindung und Abhängigkeit der Denkformen voneinander in Urform zum Ausdruck gebracht wurde. Zweifelsohne halten die Beweisführung und der Ausgangspunkt der kantischen Philosophie deswegen der Kritik nicht Stand, weil sie idealistisch sind. Nach Kants Meinung vollzieht sich der Übergang von einem individuellen Wahrnehmungsurteil zu den Erfahrungsurteilen nicht auf der Basis der Wirklichkeit, sondern durch das Hinzufügen der apriorischen Verstandsbegriffe zu den sinnlichen Tatsachen. Aus diesem Grund enthält die kantische Lehre von den Kategorien bedeutende Mängel. Das bezieht sich vor allem auf die kantische Deutung der Kategorien als apriorische Produkte des Verstandes. Bei aller Bedeutsamkeit der kantischen Fragestellung nach der Rolle der Kategorien bei der Formierung des synthetischen Wissens versteht Kant nicht die wahre Quelle ihrer Herkunft. Aus allen Kräften klammert sich Kant an die apriorische, die der Erfahrung vorangehende Herkunft der Kategorien, weil er die Basis der Allgemeinheit und der Notwendigkeit darin sieht. Kant verstand, dass es unmöglich ist, die Allgemeinheit von Kategorien durch die empirischen Verallgemeinerungen zu begründen. Darin ist er mit Hume einer Meinung, der die Unmöglichkeit, die Kausalitätskategorien durch die empirische Aufeinanderfolge der Erscheinungen zu begründen, nachgewiesen hat. Deshalb klammert er sich an die apriorische Herkunft der Kategorien. Obwohl Kant in der Lehre vom synthetischen apriorischen Wissen den Verstand zu überwinden sucht, bleibt er doch im Rahmen des verstandesmäßigen 57 Denkens, weil der Apriorismus sich als die äußerste Anstrengung der verstandesmäßigen theoretischen Begründung erweist. In der kantischen Lehre von den Kategorien bleibt der Psychologismus nicht überwunden, weil er den Prozess der Erkenntnis als Resultat der Tätigkeit und der Anstrengungen eines einzelnen Individuums behandelt. Wenn der Philosoph die Struktur des menschlichen Wissens analysiert, findet er dort gemeinsam mit den sinnlichen Angaben auch Kategorien, die als apriorische behandelt werden. Der Grund des kantischen Apriorismus liegt auch in dem Nichtverständnis der Dialektik der individuellen und der gesellschaftlichen Erfahrung. Im Grunde genommen kennt Kant nur die individuelle Erfahrung, die allgemein menschliche Erfahrung aber versteht er als eine einfache Summe, als Wiederholung der individuellen Erfahrung. Deshalb versteht er nicht die Herkunft der Kategorien, die eine allgemeine Bedeutung haben, die sich auf alle Objekte der Kontemplation ohne Ausnahme beziehen. Zum Unterschied von Hume versteht Kant, dass man die Kategorien auf die subjektive Gewohnheit nicht zurückführen kann, dass sie eine objektiv allgemeine Bedeutung haben. Aber er kann die Kategorien von der Erfahrung nicht ableiten, tritt für die Apriorität ein, weil er die Erfahrung rein empirisch versteht. Die kritische Überwindung des kantischen Apriorismus hat erst Hegel realisiert, freilich, auf der Grundlage des objektiven Idealismus. Hegel sucht die Quellen der Herkunft von Kategorien nicht in dem Bewusstsein des Individuums, sondern in der Selbstentwicklung des Geistes, in der Tätigkeit des absoluten Bewusstseins, des bedingungslosen Subjekts, das ursprünglich, objektiv und unabhängig nicht nur von dem empirischen Individuum und dem Bewusstsein existiert, sondern auch vor der Natur und der menschlichen Gesellschaft. Die logischen Kategorien, nach Hegel, treten als Stufen, Knotenpunkte in der Tätigkeit des absoluten Denkens auf. Laut Hegel ist es falsch, „wenn man über Urteile spricht, dass sie infolgedessen entstehen, dass dem Subjekt das Prädikat zugeschrieben wird. Das Subjekt ist dabei als selbständig existierend, außerhalb von uns, und das Prädikat befindet sich in unserem Kopfe. Dieser Vorstellung widerspricht die Kopula „ist”. Wenn wir sagen „diese Rose ist rot”, oder „dieses Bild ist wunderschön”, so behaupten wir damit, dass nicht wir die Rose von außen her rot sein ließen und das Bild wunderschön, sondern das machen die eigenen Bestimmungen dieser Gegenstände aus.” 44 Es ist daraus ersichtlich, dass der Idealist Hegel den Mangel der kantischen Gnoseologie richtig bemerkt hat, obwohl er selbst diese Frage aus der Sicht des Idealismus begründete und glaubte, dass Dinge dank den Begriffen existieren. Die gegenwärtige Auffassung geht davon aus, dass nicht wir den Dingen, dem Subjekt das Prädikat willkürlich zuschreiben, sondern dass unsere Urteile Widerspiegelungen der objektiven Prozesse sind, in unseren Urteilen spiegeln sich die realen Verbindungen und Beziehungen der Dinge wider. Wenn das Urteil „die Sonne erwärmt den Stein” ausgesprochen wird, so schreiben wir die Kausalitätskategorie nicht den Tatsachen seitens unseres Verstandes zu, wie Kant es meinte, sondern spiegeln nur in unserem Urteil die realen Zusammenhänge der Dinge. Die Kategorien der Philosophie sind nicht reine Produkte des Verstandes, sondern Widerspiegelungen der Gesetzmäßigkeiten der objektiven materiellen Welt und zugleich Stufen, Knotenpunkte in der Erkenntnis. Die Kategorien sind das Ergebnis zahlreicher Bestimmungen, Urteile, Erfahrungen. Die Kategorien entwickelten sich historisch im Ergebnis der Erfahrung. Sich auf Grund der Erfahrung entwickelnd, zahlreiche Urteile und Schlüsse in sich aufnehmend, nehmen die Kategorien einen axiomatischen Charakter an. Im Zusammenhang damit treten sie als Grundlagen der Urteile auf. Der wissenschaftliche Begriff der Kategorien unterscheidet sich dadurch von der Lehre der kritischen Philosophie, dass, wenn die Kategorien, nach Kant, als apriorische Form des Verstandes den Tatsachen von außen zugeschrieben, den Urteilen durch Verstand zugefügt werden, um ihnen allgemeine Bedeutung zu verleihen, hier die Kategorien 58 als Widerspiegelungen von Gesetzmäßigkeiten der objektiven Welt behandelt werden und unseren alltäglichen Urteilen zu Grunde liegen, insofern sie den inneren Zusammenhang der Wirklichkeit ausdrücken. Die Kategorien würden nie unseren Urteilen zu Grunde liegen, wenn sie das Wesen des objektiven Zusammenhangs nicht ausdrücken würden. Der Zusammenfall der fortschreitenden Entwicklung der Kategorien und Urteile, zum Beispiel, Wesen – kategorisches Urteil, Kausalität – kausales (konventionelles) Urteil, Notwendigkeit – apodiktisches Urteil usw. wird dadurch erklärt, dass sowohl die Kategorien als auch die Urteile die gemeinsame Grundlage besitzen, d.h. beide sind sie eine Widerspiegelung der Wirklichkeit. In Wirklichkeit verläuft die Entwicklung vom Untersten zum Obersten. Und das findet in der sukzessiven Entwicklung der Urteile und Kategorien seinen Ausdruck. Das große Verdienst von Kant besteht darin, dass er das Problem des Zusammenhangs der Kategorien und Urteile zum ersten Male in der Geschichte der Philosophie behandelte (in der „Kritik der reinen Vernunft”). Aber nichts Gemeinsames hat der Grundsatz von Kant mit der Wissenschaft, in dem die Begriffe nur vom Standpunkt ihres Wertes aus unabhängig von ihrem objektiven Charakter gesehen werden. Das Wesen der Denkformen analysierend, schrieb W.I. Lenin: „Auch über die Denkformen kann man nicht sagen, dass sie uns dienen, denn sie ziehen „durch unsere Vorstellungen…”, sie sind „das Allgemeine als solches”. Die Begriffe haben eine wirkliche Erkennungsbedeutung, weil die inneren Zusammenhänge, das Wesen der Dinge und Erscheinungen in ihnen zum Ausdruck kommen. Diesen Umstand betonend, schrieb W.I. Lenin: „…die Denkkategorien sind keine Hilfemittel des Menschen, sondern ein Ausdruck der Gesetzmäßigkeit sowohl der Natur wie auch des Menschen”45. Die kantische Philosophie verneint den objektiven Charakter der Gesetze der Natur und der Gesellschaft. Nach Kant werden Gesetze der Natur vom Menschenverstand diktiert. „Der Verstand schöpft nicht seine Gesetze (a priori) aus der Natur, sondern schreibt sie ihr zu”. 46 In Zusammenhang damit ist es notwendig, eine vorbreitete Meinung zu unterstreichen: Wenn man über den subjektiven Idealismus von Kant spricht, so behält man eben diese Bestimmung im Auge („der Verstand schreibt seine Gesetze der Natur zu”). Aber es darf nicht außer Acht gelassen werden, wie er die Natur selbst versteht. Unterdessen ist die Natur für Kant eine Tatsache der Erkenntnis. Er behandelt sie auf der subjektiven Ebene als „Gesamtheit der möglichen Erfahrung”. Und die Denkkategorien sind Bedingungen „der möglichen Erfahrung”. Die Kategorien und Gesetze des Verstandes sind, nach Kant, auch Bedingungen der Natur. Nicht die Natur bedingt die Möglichkeit der Kategorien und Verstandesgesetze, sondern, umgekehrt, die Kategorien und die Verstandesgesetze bestimmen die Möglichkeit der Erfahrung und der Natur. Deshalb erschien es Kant ganz logisch, dass unser Verstand nicht nur seine Gesetze der Natur aufzwingt, sondern sie im Grunde genommen schafft. Indem Kant seine Position ähnlich dem Standpunkt von Berkeley sieht, klammert er sich mit ganzer Kraft an das unerkennbare „Ding in sich”, das Kant als unabhängig von den Verstandeskategorien erklärt. „Und wirklich,” schrieb Kant, „die Gesetze existieren nicht in den Erscheinungen, sondern nur in Bezug auf das Subjekt, dem die Erscheinungen eigen sind, weil es den Verstand eben so besitzt, wie die Erscheinungen nicht an und für sich existieren, sondern nur in Bezug auf dasselbe Wesen, insofern es Gefühle besitzt. Die Gesetzmäßigkeit der Dinge an und für sich wäre ihnen notwendigerweise auch außerhalb des sie erkennenden Verstandes eigen. Aber Erscheinungen sind nur Vorstellungen von Dingen, in Bezug auf sie bleibt es unbekannt, wie sie an und für sich sein können. Einfach als Vorstellungen werden sie sich keinem Gesetz des Zusammenhangs als einem Gesetz, das die Verbindungsfähigkeit vorschreibt, unterordnen.” 47 Dieser kantische Standpunkt wurde der berechtigten Kritik Hegels unterzogen. Wenn uns die Eigenschaften der Dinge bekannt sind, behauptete Hegel, so kennen wir auch das Ding selbst. Das unerkennbare Ding für sich ist eine leere und inhaltslose Abstraktion. Das unerkennbare Ding in sich berührend, schrieb Engels, dass die Erfahrung der Menschen die Macht des 59 menschlichen Wissens demonstriert, auf ihrer Grundlage vollzieht sich ununterbrochen vor unseren Augen die Verwandlung der Dinge in sich in ein Ding für uns; zwischen ihnen liegt keine undurchdringliche Grenze, und der Unterschied wird auf das zurückgeführt, was schon erkannt und was noch nicht erkannt ist. Die kantische Philosophie behandelt die Frage nach der Herkunft der Kategorien und ihre Erkenntnisrolle als eine Einheit. Diesen Umstand muss man zweifellos als eine positive Erscheinung betrachten. Die Meinung von Hume über den Begriff analysierend, schrieb Kant: „Es handelt sich ja nur um die Herkunft dieses Begriffs, aber nicht um die Notwendigkeit seiner Anwendung; wenn man seine Herkunft erklärt hätte, so wären schon die Bedingungen seiner Anwendung und die Sphäre seiner Verwendung an und für sich klar”48. Der Marxismus betrachtet auch die Frage nach der gnoseologischen Rolle der Begriffe im Zusammenhang mit der Frage nach ihrer Herkunft. Die Lösung dieses Problems durch den Marxismus ist der kantischen Gnoseologie direkt entgegengesetzt. Der Erkennungswert der Begriffe ist mit dem objektiven Charakter verbunden. Begriffe werden von der Wirklichkeit abstrahiert und spiegeln das Wesen der Erscheinungen wider. Die erdachten und mit dem objektiven Gang der Dinge nicht verbundenen Abstraktionen haben keine erkennungswerte Bedeutung. Kant geht an die Kategorien ganz von einer anderen Seite heran. Freilich verneint er die angeborenen Ideen, darin ist er mit Locke einig, der die Anhänger der Theorie von den angeborenen Ideen faule Philosophen nannte. Zugleich ist Kant mit der Position von Locke über die erfahrungsmäßige Herkunft unseres Bewusstseins nicht einverstanden, weil die Erfahrung nur eine einzigartige und subjektive Vorstellung gibt. Nach Kant ist die wahre erkennende Bedeutung der Begriffe, ihre Allgemeingültigkeit und Notwendigkeit mit ihrer apriorischen Herkunft unzertrennlich verbunden. Es ist daher selbstverständlich, dass die Verstandeskategorien keineswegs empirische Produkte sind. In Bezug auf die Kausalitätstheorie schrieb Kant, dass es notwendig ist, die Apriorität ihrer Herkunft anzuerkennen, denn bei der gegenteiligen Auffassung ist sie es würdig, weggeworfen zu werden. „Und wirklich”, schrieb er, „dieser Begriff verlangt unbedingt, dass ein A so sein soll, damit ihm notwendig und nach der bedingungslos allgemeinen Regel ein anderes (B) folgt. Erscheinungen geben natürlich viele Fälle für die Aufstellung einer Regel, als deren Folge sich gewöhnlich etwas ereignet, aber sie beweisen nie, dass die Folge sich daraus mit Notwendigkeit ergibt, daher besitzt die Synthese von Ursache und Wirkung solch einen Vorzug, der auf keine Weise empirisch ausgedrückt werden kann: er besteht darin, dass die Wirkung nicht einfach der Ursache angeschlossen wird, sondern von der Ursache herkommt und aus ihr folgt. Die strenge Allgemeinheit der Regeln kann auch nicht die Eigenschaft der empirischen Regeln sein, die nur die vergleichbare Allgemeinheit mit Hilfe der Induktion erlangen, d.h. eine weite Anwendbarkeit. Die Anwendung reiner Verstandesbegriffe hätte sich vollkommen geändert, wenn man sie nur als empirische Erzeugnisse behandelt hätte.” 49 Die Frage nach der Anwendung der Kategorien auf Erscheinungen untersucht Kant im Abschnitt „Die transzendentale Deduktion”. Das Wesen der Deduktion charakterisierend, schrieb Kant: „Deshalb nenne ich die Erklärung dessen, auf welche Weise Begriffe sich a priori auf Gegenstände beziehen können, die transzendentale Deduktion…und unterscheide sie von der empirischen Deduktion, die darauf hinweist, auf welche Weise der Begriff sich dank der Erfahrung und dem Nachdenken über ihn verändert, und dann nicht die Gesetzmäßigkeit betrifft, sondern nur die Tatsache, durch welche wir den Begriff begreifen.” 50 Nach Kant ist nur die transzendentale Deduktion in Bezug auf die Verstandesbegriffe möglich, aber nicht die empirische. In der Geschichte der Philosophie war Kant jener Denker, der als erster nach Aristoteles die Kategorien tiefgründig untersuchte. In der Deduktion der Kategorien ging er viel weiter als Aristoteles. Laut Kant beschrieb der Stagirit zufälligerweise die zehn logischen Kategorien, aber er stellte ihren Erkenntniswert nicht fest, behandelte nicht ihren objektiven Charakter, 60 bestimmte nicht die Deduktion der Kategorien auf Grund eines einheitlichen Prinzips. „Da er kein Prinzip hatte, so griff er sie auf, je nach dem sie ihm begegneten, und sammelte zuerst 10 Begriffe, die er Kategorien (Prädikamente) nannte. Dann schien es ihm, dass er noch fünf solcher Begriffe fand, die er den vorigen unter dem Namen Postprädikamente hinzufügte.” 51 Kant beschrieb gewissenhaft seine Tabelle und das Prinzip des Herangehens an die logischen Kategorien. Vor allem stellte er die Frage nach der Notwendigkeit eines einheitlichen Prinzips bei der Kategoriendeduktion. Freilich leitete er sie von der Funktion des Urteils ab. Nichtsdestoweniger bleibt die Fragestellung über die Notwendigkeit der Kategorienableitung von einem einheitlichen Prinzip eine wertvolle Errungenschaft der Philosophie. „Diese Einteilung”, schrieb Kant, „wurde systematisch aus dem allgemeinen Einheitsprinzip, nämlich aus der Urteilsfähigkeit (die nichts anders ist als die Denkfähigkeit) erstellt; sie entwickelte sich nicht aus fragmentarischer, aufs Geratewohl unternommener Suche nach reinen Begriffen, deren Bestandsüberflusses man niemals sicher sein kann, denn man schlussfolgert über sie nur aus der Induktionsgrundlage, geschweige denn, dass man durch die Induktion niemals feststellen kann, warum eben diese und nicht die anderen Begriffe dem reinen Verstand eigen sind.” 52 Es ist selbstverständlich, dass, laut Kant, „derselbe Verstand und dieselben Handlungen, die durch analytische Einheit die logische Form des Urteils in Begriffen zu Stande bringt, auch den transzendentalen Inhalt in seine Vorstellungen durch die synthetische Einheit der Vielfältigkeit in der Beobachtung im allgemeinen hineinträgt, infolgedessen sie reine Verstandsbegriffe genannt werden und a priori auf Objekte bezogen werden, was die allgemeine Logik nicht geben kann.” 53 Die kantische Deduktion entbehrt auch nicht der Fehler, ihre Formelhaftigkeit wurde schon von Hegel bemerkt. Wenn Hegel sich bei der Deduktion der Kategorien auf die Geschichte der Erkenntnis stützt, so strebt Kant danach, sie von den gegebenen Urteilsformen abzuleiten. Hier zeigen sich die Beschränktheit und der Formalismus der kantischen Deduktion. Immerhin ist in ihr ein Schritt vorwärts im Vergleich mit der vorigen Philosophie gemacht worden. Kant strebt vor allem danach, die Klassifikation der Kategorien nicht subjektiv, sondern objektiv, durch das Hervorheben eines bestimmten Gegenstandgebietes zu begründen. Der Wert solch eines Herangehens ist unverkennbar, wenn man in Betracht zieht, dass in der philosophischen Literatur jenes Gegenstandsgebiet noch nicht festgestellt worden ist, innerhalb dessen die Zusammenhänge und Zusammenwirkungen der philosophischen Kategorien bestimmt werden. Kant schätzte seine Tabelle der Kategorien hoch ein: „Im theoretischen Teil der Philosophie ist diese Tabelle höchst nützlich und sogar dafür notwendig, einen vollständigen Plan der Wissenschaft als etwas Ganzes zu entwerfen, die sich auf apriorische Begriffe stützt, und sie systemhaft nach bestimmten Prinzipien einteilt; das versteht sich von selbst schon daraus, dass die Tabelle der Kategorien alle ursprünglichen Begriffe des Verstandes und sogar ihre Systemform im menschlichen Verstand enthält, folglich weist sie auf alle Momente der spekulativen Wissenschaft, die erst errichtet werden soll, und sogar auf ihre Ordnung hin.” 54 Wir leugnen auch nicht die Tatsache, dass die Kategorien miteinander verbunden sind und dass man sich bei ihrer Klassifizierung von einheitlichen Prinzipien leiten lassen soll. Reale Verbindungen der Gegenstände und Erscheinungen liegen dem Zusammenhang der Kategorien zu Grunde. In der Welt gibt es nichts Isoliertes, alles befindet sich in allgemeiner Verbindung. Ihren Ausdruck findet sie in den Gesetzen der Dialektik. Die Kategorien sind Momente dieser universalen Verbindung. Die leninsche Charakteristik der Kausalitätstheorie als ein allgemeines, universelles Moment der Verbindung gilt auch in Bezug auf alle Kategorien der Philosophie. Sie alle nähern sich ständig in ihrer Einheit dem Erfassen des ganzheitlichen Weltbildes. W.I. Lenin schrieb: „Die Kategorien muss man ableiten (und nicht willkürlich oder mechanisch nehmen) nicht erzählend, nicht „beteuernd”, sondern 61 „nachweisend”, den einfachsten Grundlagen folgend (das Sein, nicht das Werden) (ohne andere zu nehmen), hier, in ihnen „die ganze Entwicklung in diesem Keime.” 55 Der Grundmangel der kantischen Philosophie besteht darin, dass sie die Begriffe nicht vom Leben, von der realen Grundlage ableitet, sondern stellt sie als reine und apriorische hin. Ungeachtet dessen, dass Kant bei Ableitung der Kategorien auf Funktionen der Verstandesurteile hinweist, als ob sich daraus die Kategorien ergäben (d.h. nach Kant soll es ebenso viele Begriffsarten geben, wie viele Arten es bei den logischen Urteilen gibt), aber in Wirklichkeit werden diese Kategorien von Kant durch Deduktion nicht abgeleitet, sondern der vorkantischen Formallogik) entnommen. Diesen Umstand hat bereits Hegel zu seiner Zeit bemerkt, der schrieb: „Kant kommt zu solchen Ergebnissen dadurch, dass er sie einfach in der alten Fassung nimmt, die sie in der üblichen Logik bekamen. In der allgemeinen Logik, sagt er, wird eben auf besondere Urteilsarten hingewiesen; da aber das Urteil eine gewisse Art von Wechselbeziehung der Vielfältigkeit ist, so treten in ihm jene mannigfaltigen Funktionen des Denkens auf, die das „Ich” „in sich” enthalten. Wir aber unterscheiden folgende Urteilsarten: allgemeine, besondere und einzelne; bejahende, verneinende, unendliche; kategorische, hypothetische, disjunktive, assertorische, problematische und apodiktische.” 56 Der Hauptgesichtspunkt der kantischen Philosophie ist die Idee der Systemhaftigkeit von Kategorien. Dabei betonte Kant, dass es sich nicht um ein einfaches Aggregat handelt, sondern um die innere Einheit des Wissens. Er glaubte, dass diese Relativität „nur durch die Vermittlung von der Idee des apriorischen Verstandeswissens als Ganzes, und infolge der daraus folgenden Teilung der Begriffe, die diese Ganzheitsidee bilden, möglich ist, deshalb ist sie dadurch möglich, dass sie zu einem System zusammen geflochten wird.” 57 Kants Lehre von der Systemhaftigkeit der Kategorien ist höchst aktuell. Sie zeugt davon, dass das Verständnis der Logik als ein System von innerlich zusammenhängenden Kategorien durchaus keine Spezifik der Hegelschen Philosophie ist. Diese Idee in ihrer Urform wird von Kant in seiner transzendentalen Logik entwickelt. Freilich hat er die Grundgesetze und Prinzipien der Dialektik noch nicht erarbeitet. Aber selbst der Gedanke über die Systemhaftigkeit des Wissens und der logischen Kategorien bedeutet eine wertvolle Errungenschaft der Philosophie. Die Grundaufgabe seiner „Kritik der reinen Vernunft” sah Kant nicht in der Herstellung des Kategoriensystems, sondern in der Herausarbeitung seiner Hauptprinzipien. Diese Aufgabe hielt Kant für die allerschwierigste. „Die ursprünglichen Grundbegriffe besitzend”, schrieb Kant, „ist es nicht schwer, von ihnen abgeleitete und untergeordnete Begriffe hinzuzufügen, und auf diese Weise den Stammbaum der reinen Vernunft in seiner Fülle darzustellen. Da für mich hier nicht die Vollkommenheit des Systems wichtig ist, verschiebe ich diese Ergänzung auf einen anderen Fall.”58 Kant meinte, „dass das volle Vokabular dieser Begriffe mit allen nötigen Erläuterungen nicht nur möglich, sondern leicht realisiert werden kann” 59 und schlug die Methode für Erarbeitung dieses Vokabulars vor. So muss man, sagte er, der Kausalitätskategorie die Prädikabilien von „Kraft, Handlung, Leiden, den Modalitätskategorien die Prädikabilien von Entstehung, Schwund und Veränderung usw. hinzufügen. All das hatte zweifellos eine positive Bedeutung in der Geschichte der Philosophie, obwohl es in der hegelschen und dialektisch-materialistischen Logik auf Grund tiefgreifenderer theoretischer Prinzipien kritisch überwunden wurde. In seiner Logik verstand Hegel ganz klar, dass die abstrakte Fragestellung nach dem System zu keinem Resultat führen wird. Deswegen erarbeitete er spezifische, dialektisch-logische Prinzipien: Konkretheit, Historismus und Logizismus, Aufstieg von Konkretheit zu Abstraktheit, Widersprüchlichkeit, vermittels derer das System der Logik errichtet wird. Nach der Ableitung der Kategorien geht Kant zur Analyse der zweiten Seite der Deduktion über, die die Objektivität der Kategorien a priori, ihre Anwendbarkeit auf jede mögliche 62 Erfahrung nachweisen soll. In diesem Zusammenhang entsteht gesetzmäßig die Frage danach, dass die reinen Vernunftbegriffe sich nur auf die Denkform beziehen, d.h. an und für sich fehlt ihnen jeglicher Inhalt, sie stehen in keiner Relation zu irgendeinem Gegenstand, sind absolut leer und können zu keiner Erkenntnis führen; aber wenn sie als apriorische Begriffe keiner Erfahrung entlehnt worden sind, so ist es unklar, aus welchem Grund wir sie auf die Gegenstände beziehen können. Anders gesagt, die reinen Begriffe, als von der ganzen Erfahrung unabhängige Erscheinungen, sollen eine Bedeutung bei jeder Erfahrung haben. Als ihrer Herkunft nach subjektive Erscheinungen erheben sie ihrer Bedeutung nach Anspruch auf empirische Objektivität. Wie kann das sein? Auf diese Frage antwortet Kant, dass wir in der Erfahrung nicht mit dem Dingen in sich zu tun haben. In Bezug darauf, was die Dinge in sich darstellen, kann der Verstand uns so wenig wie auch die Sinnlichkeit lehren. So wie wir kein Recht haben zu behaupten, dass Dinge in sich in Raum und Zeit sind, ebenso haben wir kein Recht zu behaupten, dass sie eine Größe besitzen, dass sie Substanzen sind, und sich in der Relation Ursache und Wirkung befinden usw. Nach Kants Meinung haben wir es in der Wirklichkeit nur mit den Erscheinungen zu tun, deren Möglichkeit durch Formen der Kontemplation und des Denkens bestimmt wird. Darum ist es an und für sich klar, dass nicht Begriffe der Erfahrung entnommen werden, sondern dass ihre Möglichkeit durch Kategorien der Vernunft bedingt ist. Die Denkkategorien werden auf die Gegenstände angewandt, haben das Recht auf objektive Bedeutung deswegen, weil sie selbst im Grunde genommen die Erfahrung und Gegenstände der Erkenntnis schaffen. „Den Gegenstand” erklärt Kant nur als Gegenstand der Erkenntnis, ihn vom Ding in sich unterscheidend. Den Ausgangspunkt der kantischen Deduktion bildet jene allgemeine Tatsache, dass die uns unmittelbar gegebene vielfältige Kontemplation uns immer als innerlich zusammenhängend erscheint. Die Zusammenfügung der Vielfältigkeit kann im Allgemeinen durch Sinnesorgane niemals wahrgenommen werden und folglich kann sie auch nicht in reiner Form der sinnlichen, anschaulichen Vorstellung bestehen. Sie muss auf die Vernunfterfahrung reduziert werden (abgesehen davon, ob wir uns ihrer bewusst sind oder nicht, oder ob diese Zusammenfügung der Vielfältigkeit in einer auschaulichen Vorstellung oder in irgendwelchen Begriffen realisiert wird), der „wir den allgemeinen Namen Synthese geben, um damit zu betonen, dass wir …uns im Objekt nichts Zusammenhängendes vorstellen können, was wir vorher selbst nicht zusammengefügt haben; unter allen Vorstellungen ist die Verbindung das einzige, was durch das Objekt nicht gegeben ist, und vielleicht nur durch das Subjekt selbst zu Stande kommt, denn sie ist ein Akt seiner Selbständigkeit”.60 Von dieser allgemeinen Tatsache der Vielfältigkeitsverbindung, die auf den Verstand reduziert werden soll, ging Kant zur Einheit der Apperzeption über, auf die sich die Vielfältigkeit der Kontemplation in einer bestimmten Relation von Anfang an beziehen muss, um die Möglichkeit der Verbindung durch den Verstand erhalten zu können. Kant schenkt dieser Einheit der Apperzeption in seiner Deduktion besondere Aufmerksamkeit. Kategorien sind Bedeutungen der Einheit des Selbstbewusstseins, darin liegt nach Kant der charakteristische Zug der Deduktion. Die Verbindung bestimmt notwendigerweise die Ureinheit des Selbstbewusstseins, das aus der Verbindung nicht entstehen kann. Eher umgekehrt, „sie macht den Begriff der Verbindung vor allem dadurch möglich, dass sie sich der Vorstellung über die Vielfältigkeit anschließt.” 61 Diese Einheit geht, nach Kant, allen Verbindungsbegriffen a priori voran. Die ursprüngliche Einheit der Apperzeption unterscheidet Kant von dem empirischen Bewusstsein, wo das „Ich” nur den entsprechenden Zustand ohne jeglichen Bezug auf die „Ich”-Einheit darstellt. Freilich, Kant unterscheidet manchmal die Einheit der Apperzeption von der Apperzeption selbst. Die Einheit der Apperzeption im ersten Fall wird als diejenige Einheit verstanden, die durch das Bewusstsein in eine vielfältige Vorstellung hineingetragen 63 wird. Aber meistenteils versteht Kant die Einheit der Apperzeption im Sinne ihrer Identität und setzt sie der reinen Apperzeption gleich. In Bezug auf die analytische Einheit der Apperzeption ist das richtig, immerhin bildet die synthetische Einheit eine Kombination der ursprünglichen Apperzeption mit den anderen Elementen der Erkenntnis. Die analytische Einheit der Apperzeption, d.h. die Tatsache, dass ich die Identität meines „Ichs”, dem Bewusstsein zuführen kann, und dass ich immer, wenn ich über diese Identität nachdenke, die Vorstellung „ich denke” auslösen kann, unterscheidet sich von der synthetischen Einheit der Apperzeption. Die analytische Einheit ist erst durch die synthetische Einheit möglich. Die Menge der Vorstellungen muss ich zu einer Einheit verbinden und das als etwas von mir produziertes verstehen, nur in diesem Fall kann ich die Identität meines „Ichs” als verbindendes Subjekt dem Bewusstsein zuführen. Die analytische Einheit des Selbstbewusstseins ist erst dann möglich, wenn die Vorstellungen bewusst zusammengebracht werden, und sie setzt dadurch die allgemeine Verbindungsmöglichkeit meiner Vorstellungen voraus, ihre Fähigkeit, in der Einheit meines Bewusstseins verknüpft zu sein. „Somit”, schrieb Kant, „ist die synthetische Einheit der Vielfältigkeit (des Inhalts) von Kontemplationen, die uns a priori gegeben ist, die Grundlage der Identität der Apperzeption selbst, die meiner bestimmten Denkweise a priori vorangeht. Aber nicht der Gegenstand schließt in sich die Verbindung ein, die ihm durch Wahrnehmung entlehnt werden kann, und nur infolgedessen kann sie durch den Verstand erfasst werden, sondern die Verbindung selbst ist eine Funktion des Verstandes, und der Verstand selbst ist etwas Anderes, als die Fähigkeit a priori zu verbinden und die Vielfältigkeit (den Inhalt) der gegebenen Vorstellungen der Apperzeptionseinheit zuzuordnen. Dieses Prinzip ist die wichtigste Grundlage des ganzen menschlichen Wissens.” 62 Bevor wir weiter gehen, wollen wir hier eine Anmerkung machen. Bei Kant kommen viele Termini in verschiedenen Bedeutungen vor. Vor allem bezieht sich das auf den Begriff des Gegenstandes. Die Gegenstände, die eine Wirkung auf mich ausüben und dadurch in mir Empfindungen auslösen, sind reale Dinge im gewöhnlichen Sinne des Wortes. Kant nennt sie „Dinge in sich”. Ihnen ist eine reale, von meinen Vorstellungen unterschiedliche Existenz eigen, absolut unabhängig von meiner vorstellenden Tätigkeit. Hingegen, die mir gegebenen Gegenstände (Kant nennt sie auch Objekte, das ist ein Ausdruck, den er in einzelnen Fällen auch in Bezug auf die Dinge in sich gebraucht) sind meinen Betrachtungen identisch. Die letzteren nennt Kant als Produkte meiner betrachtenden Tätigkeit ebenfalls Erscheinungen, während Erscheinungen in den Fällen, wo der Ausdruck „Kontemplation” die Selbständigkeit der Betrachtung unterscheidet, werden Gegenstände der Betrachtung genannt. In der kantischen Deduktion werden Zusammenhänge und Beziehungen entstellt und, wie man sagt, auf den Kopf gestellt. Der Ausgangspunkt der Erkenntnis und der Ableitung von Kategorien ist nach Kant die ursprüngliche Einheit des Selbstbewusstseins. Begriffe verbinden ja nur sinnliche Wahrnehmungen, denen zufolge Gegenstände der Erfahrung entstehen, deren Gesamtheit Kant die Natur nennt. Die Synthese der Begriffe von sinnlichen Wahrnehmungen vollzieht sich a priori. Kant erklärt das dadurch, dass Raum und Zeit auch apriorische Formen, Formen der Kontemplation sind. Deshalb können wir dank der Einbildungskraft das sinnliche Schema der Begriffe schaffen, a priori die Sinnlichkeit von Raum und Zeit durch Begriffe vereinigen. Da aber Raum und Zeit Formen aller Erscheinungen sind, ergibt sich, dass die Einheit des Bewusstseins durch Denkkategorien die Natur schafft. Den Ausgangspunkt der Erkenntnis und Kategorien bilden in Wirklichkeit Einheit, Verbindung und Gesetzmäßigkeiten der objektiven Welt, die jeder Erkenntnis wirklich vorangehen. Der rationelle Kern der kantischen Auslegung besteht darin, dass er in der Einheit des Selbstbewusstseins die wirkliche ursprüngliche Einheit, Verbindung und Gesetzmäßigkeit der Welt erraten hat. 64 Mit besonderem Nachdruck betonte Kant den Gedanken, dass die ganze Welt unserer Kontemplation durch Einbildungskraft nach den Normen der Kategorien gesetzmäßig geformt wird, weswegen die Kategorien selbst und die aus ihnen fließenden Gesetze der Natur wieder in ihr entdeckt werden können. Er behauptet mit voller Bestimmtheit, dass die Wahrnehmungen selbst auch erst durch die mittels der Kategorien verbindende Tätigkeit möglich werden. „Es gibt nur zwei Wege”, weist Kant hin, „auf welchen man die notwendige Übereinstimmung der Erfahrung mit den Begriffen über seine Gegenstände denken kann: entweder die Erfahrung macht diese Begriffe möglich, oder diese Begriffe machen die Erfahrung möglich. Das erste kann in Bezug auf die Kategorien nicht sein (und auch auf die reine sinnliche Betrachtung), weil sie apriorische und demzufolge von der Erfahrung unabhängige Begriffe sind… Es bleibt folglich nur die zweite [Annahme] (sei es ein System der Epigenese der reinen Vernunft), und zwar, dass die Kategorien im Allgemeinen in sich seitens der Vernunft die Grundlagen der Möglichkeit jeder Erfahrung enthalten”.63 Somit werden die Kontemplationen, deren Komplexe die Welt der Erscheinungen bilden, durch die Bearbeitung nach Normen der Kategorien des Materials der Empfindungen zusammengestellt, deshalb kann die gedankliche Erkenntnis dieser Welt der Kontemplationen (der Welt der Erfahrung) durch Untersuchung derjenigen ihrer Zusammenhänge stattfinden, die in den Urteilen mit Hilfe der Kategorien realisiert werden. Damit endet die Deduktion der kantischen Philosophie. Hegel schätzte die kantische Philosophie hoch ein, besonders Kants Lehre von den synthetischen apriorischen Urteilen und von der ursprünglichen Einheit der Apperzeption, weil er hier den Anfang des dialektischen Problemverständnisses sah. Deswegen unterschied Hegel deutlich die kantische transzendentale Logik von der so genannten gedanklichen Logik. Nach der gedanklichen Logik, bemerkte Hegel, „besitze ich Begriffe ebenso, wie ich irgendwelche äußeren Merkmale besitze”. Diese gedankliche Vorstellung von einem Begriff wurde zum ersten Mal durch die kantische Philosophie erschüttert, die den wichtigen Grundsatz aufstellte, wie Hegel betonte, dass die Einheit, die das Wesen des Urteils bildet, die ursprüngliche Einheit der Apperzeption ist. Die kantische transzendentale Kategoriendeduktion hielt Hegel für einen der schwierigsten Teile von Kants Philosophie, weil sie verlangt, dass wir weiter als die verstandesmäßige Begriffsvorstellung gehen sollen. Bei der verstandesmäßigen Untersuchung des Begriffs steht jede Vielfältigkeit außerhalb des Begriffs. Ihnen ist nur die Form der abstrakten Allgemeinheit eigen. Das synthetische apriorische Urteil bleibt abstrakt nicht allgemein, sondern stellt solch eine Allgemeinheit dar, wo der Unterschied eine ebensolche wesentliche Bedeutung hat. „Diese ursprüngliche Synthese der Apperzeption”, schrieb Hegel, „stellt eines der tiefsten Prinzipien der spekulativen Entfaltung dar; sie enthält in sich den ersten Schritt zum wahren Verständnis der Begriffsnatur…” 64 Zweifelsohne verstand Hegel richtig, dass das synthetische apriorische Urteil nach seiner logischen Natur und die ursprüngliche Einheit der Apperzeption dem Abstrakt-Allgemeinen, dem Quantitativ-Allgemeinen, das keine Synthese in seinem Inneren bildet, gegenüber gestellt werden. Deshalb ist es unmöglich, ein synthetisches apriorisches Urteil durch Regeln der allgemeinen Logik zu erklären. Kants Lehre vom synthetischen apriorischen Urteil war ein bedeutendes Ereignis in der Geschichte der Logik. Darin erarbeitete Kant ziemlich tiefgründig das Problem des Anfangs, die Lehre von dem dialektischen konkreten Begriff als einer Einheit von zahlreichen Bestimmungen. Im kantischem synthetischen Urteil a priori sah Hegel nicht nur die Aufdeckung des Allgemeinen, sondern auch die Betonung der Notwendigkeit der Unterscheidung. Gleichzeitig kritisierte Hegel scharf die Beschränktheit und Inkonsequenz der kantischen Dialektik. „Aber diesem ersten Schritt”, schrieb Hegel, „entspricht die weitere Ausarbeitung wenig. Schon der 65 Ausdruck „Synthese” führt wieder leicht zur Vorstellung von irgendeiner äußeren Einheit und zur nackten Kombination solcher Elemente, die an und für sich getrennt sind”.65 Die Hegelsche Kritik an Kant ist begründet, sie wird aus der Sicht der folgerichtigen Dialektik geführt. Allgemeines, Besonderes und Einzelnes sind nicht von außen her miteinander gekoppelt. Das Allgemeine, der Begriff in seiner eigenen, immanenten Bewegung produziert das Besondere und Einzelne, die dem Allgemeinen nicht fremd sind, sondern treten als seine Bestimmtheiten auf. Bei allen Unzulänglichkeiten der Hegelschen Auslegung der Dialektik des Allgemeinen, Besonderen und Einzelnen ist seine Kritik an Kant zweifellos fruchtbar. Kant war das Prinzip der Entwicklung im Grunde genommen fremd, er verstand nicht die innere Einheit von Allgemeinem, Besonderem und Einzelnem. In Kants Philosophie bleiben die Bestimmtheiten des Allgemeinen und Einzelnen ursprünglich selbständig, und erst später kommt die Synthese durch das Besondere – durch Formen der Zeit hinzu. Deshalb tritt die Beziehung des Allgemeinen zum Einzelnen bei Kant nicht als Resultat der eigenen, immanenten Tätigkeit des Allgemeinen auf, sondern bleibt als etwas Äußeres, eine von außen kommende Relation. Lenin schätzte die Hegelsche Kritik an Kant hoch ein. Hegel widerlegt Kant gerade gnoseologisch, betonte Lenin, die kantische Zwiespältigkeit und Inkonsequenz enthüllend. „Marxisten kritisierten (am Anfang des XX. Jahrhunderts) die Kantianer und Humisten mehr nach der Art von Feuerbach (und Büchner) als nach der Art von Hegel.” 66 Eben dort schrieb er: „Plechanow … widerlegt rundweg nur ihre Denkweise, aber korrigiert nicht (wie Hegel Kant korrigierte) diese Denkweise, vertieft, verallgemeinert, erweitert sie nicht, auf den Zusammenhang und die Übergänge aller und jeglicher Begriffe hinweisend.” 67 In Kants Philosophie bleibt auch wichtig, dass er das Prinzip der Triplizität bei der Klassifizierung von Kategorien einführte. Wenn Aristoteles die Kategorien nur aufzählte, so teilte Kant 12 Kategorien in vier Gruppen ein. Jede Gruppe enthält drei Kategorien. Hegel schätzte diese Seite der kantischen Deduktion hoch ein: „Nachdem die kantische nur instinktiv gefundene, noch tote, noch in einem Urteil nicht gefasste Dreifachheit (Triplizität) in ihre absolute Bedeutung gehoben wurde, wurde demnach die wahre Form in ihrer echten Bedeutung festgestellt, und der Begriff der Wissenschaft trat in den Vordergrund.” 68 Hegel unterstrich absolut richtig die Vorzüge und Mängel der von Kant verstandenen Dreifachheit. In der kantischen Philosophie erreichte die Idee der Dreifachheit noch nicht die allgemeinen Formen, die Bedeutung der Grundgesetze der Entwicklung, denn Kant konnte das Entwicklungsprinzip in die Logik nicht einführen. Deswegen trat das Prinzip der Dreifachheit nicht als Allgemeingesetz auf, sondern als eine lokale und enge Regel in dieser oder jener Gruppe. Hier ist es wichtig, dass Kant das Prinzip der Dreifachheit zum ersten Mal auf die Logik anzuwenden versuchte, aber er erreichte nicht die inhaltliche, allgemeine Bedeutung dieses Prinzips. Dieses erstmalig von Kant entdeckte Prinzip, zwar in eingeschränkter Form und in Hegelscher Logik substanziell weiterentwickelt, ist das grundlegende und allgemeine Gesetz der Dialektik als Logik der wissenschaftlichen Erkenntnis. Freilich trat das Prinzip der Dreifachheit bei Kant noch nicht als immanente Logik des Prozesses auf. Immerhin weist Hegel richtig darauf hin, dass demzufolge „die wahre Form in ihrem echten Inhalt festgestellt wurde und der Begriff der Wissenschaft hervortrat.” Hier sah Hegel den Anfang der wahren Systematisierung der Wissenschaft, den Anfang der dialektisch-logischen Betrachtung der Kategorien. 66 Das konkrete Verständnis des Anfangs (Hegel) Eine besondere Stellung im Verstehen und in der Analyse des Begriffs „Anfang” nimmt die hegelsche Philosophie ein. Die vorhegelsche Forschung zum Begriff des Anfangs enthielt schwerwiegende Mängel, obwohl es auch einzelne wichtige Ausarbeitungen dieser Frage gab. Die hegelsche Deutung des Anfangs ist innerlich mit der ganzen Problematik seiner Logik, mit der Begründung des Systems der theoretischen Tätigkeit verbunden, die Hegel als die im Laufe der historischen Entwicklung entstandene [Tätigkeit] verstand und erklärte. Der wahre Träger, das Subjekt dieser reinen Tätigkeit ist die absolute Idee, die verschiedene Formgestaltungen in ihrer Selbstentwicklung durchmacht. „Weil sie”, schrieb Hegel, „in sich allerlei Bestimmtheit enthält und ihr Wesen aus der Rückkehr zu sich selbst über die eigene Selbstbestimmung oder die Isolierung besteht, so hat sie unterschiedliche Formationen, und die Aufgabe der Philosophie besteht darin, sie in diesen verschiedenen Formationen zu erkennen.”69 Nach Hegel „ist die logische Idee die Idee selbst in ihrem reinen Wesen, denn sie (die Idee) ist durch reine Identität in ihren Begriff nicht eingeschlossen und hat nicht angefangen, in irgendeiner Bestimmtheit der Form zu leuchten. Somit stellt die Logik die Selbstbewegung der absoluten Idee dar… Die absolute Idee selbst hat ferner als ihren Inhalt nur das, dass ihre eigene, vollzogene Totalität, der reine Begriff ihre Formbestimmung bildet. Eben diese Bestimmtheit der Idee und der ganze Gang der Entfaltung dieser Bestimmtheit bilden den Gegenstand der logischen Wissenschaft, aus diesem Gang der Entfaltung entstand die absolute Idee für sich.”70 Die Logik und die reine theoretische Tätigkeit (Bewegung der absoluten Idee) fallen nach Hegel zusammen. In diesem Zusammenhang entsteht das Problem über den Anfang der Logik und des logischen Prozesses. Hegel kritisierte scharf diejenigen, die den Anfang als eine subjektive, willkürliche Art der Gegenstandsbetrachtung behandeln. „Das Bedürfnis, das zu finden, womit man beginnen soll, scheint unwichtig zu sein im Vergleich mit der Notwendigkeit, das Prinzip zu finden, weil, wie es scheint, nur das einzige von Interesse ist, einzig und allein liegt das Wesen im Prinzip; wir interessieren uns dafür, was Wahrheit ist, was die absolute Grundlage aller Dinge und Erscheinungen ist”.71 Solch ein Verhalten zum Anfang kann Hegel nicht befriedigen. Er betonte, dass man erst in der neuesten Zeit die Schwierigkeiten beim Feststellen des Anfangs zu verstehen begann. In den philosophischen Systemen begann man sorgfältig zu begründen, dass der Anfang der Wissenschaft unmittelbar oder mittelbar, einzeln oder allgemein sein muss. In diesen Lehren wurde die Frage über den Anfang metaphysisch, formal gestellt. Die Beschränktheit der gedanklichen Gegenüberstellung des Allgemeinen und des Einzelnen hat schon Kant in seiner Lehre von den synthetischen apriorischen Kenntnissen nachgewiesen. Deswegen schrieb Hegel: „Es ist leicht zu behaupten, … es kann weder das eine noch das andere sein; folglich finden beide Arten des Anfangs ihre Widerlegung.” 72 Nach Hegel entstehen alle Hauptprobleme und Schwierigkeiten, die mit der Begründung des Anfangs zusammenhängen, auf einer breiteren Grundlage, als es sich die dogmatische Philosophie vorstellt. Das Problem des Anfangs entsteht vor allem dann, wo man das Wesen des reinen Denkens als Ganzes zu verstehen sucht, und sich bemüht, das Denken, die theoretische Tätigkeit in ihrer organischen und notwendigen Verbindung wieder zu erzeugen. „Die philosophische Darstellung des Gedankenreichs,” schrieb Hegel, „d.h. in seiner eigenen immanenten Tätigkeit, oder, was auf dasselbe hinausläuft, in seiner notwendigen Entwicklung, sollte deshalb ein neues Unterfangen sein, und man war gezwungen, alles von Anfang an zu beginnen.” 73 67 Tatsächlich, solch eine dialektische Behandlung der theoretischen Tätigkeit, des Denkens in seiner systemhaften Form begann grundsätzlich erst Hegel. In der vorhegelschen Logik hatten wir nur Ansätze, einige Aspekte der konkreten, dialektischen Untersuchung. Freilich, übertrieb Hegel übermäßig das Denken selbst, wobei er den Entwicklungsprozess der Denkkonkretheit mit der Entstehung der Konkretheit selbst identifizierte. Daher behandelte er die absolute Idee als eine einzig wahre Realität, und alles Übrige, Natur und Gesellschaft, verstand er als Erscheinungsform dieser allgemeinen Grundlage. Nach Hegel ist der Begriff des Anfangs mit der systematischen Entwicklung des Wissens, mit der Begründung der Logik als eines Systems von idealen Wesenheiten verbunden. Deshalb betrachtet er es als unbefriedigend, jede Aufforderung, das ganze Unternehmen direkt mit der inneren Offenbarung zu beginnen, die außerhalb der Methode und Logik steht. Er deckte die Logik auf, die innere Einheit der Methode mit dem Inhalt, der Form mit dem Prinzip. „So entsteht die Aufforderung”, schrieb Hegel, „dass das Prinzip zugleich der Anfang ist, und das, was sich als erstes (primus) für das Denken bietet, wäre auch das Erste im Laufe der Denkbewegung.”74 Die hegelsche Analyse des Begriffs des Anfangs hat eine wichtige Bedeutung. Wenn seine Vorgänger den Inhalt abstrakt der Form gegenüberstellten, so werden sie hier als dialektische Einheit betrachtet. Die Logik versteht Hegel als eine reine theoretische Tätigkeit, die von Anfang an mit einem gewissen Inhalt zu tun hat. Die Entfaltung dieses Inhaltes ist einer bestimmten Methode untergeordnet, sie ist die Entwicklung und Aufgliederung des Inhalts selbst, sie ist seine Seele. In der theoretischen Tätigkeit fällt die Form der Inhaltsentwicklung mit dem Prozess ihrer Vertiefung zusammen, es verläuft die Entwicklung von Einfachheit zu Kompliziertheit, von Allgemeinheit zu Einzelheit, von Abstraktheit zu Konkretheit. Infolgedessen sind die Prinzipien nicht alles, und alle ihre Vorzüge bestehen darin, dass sie der Anfang eines bestimmten, sich innerlich entwickelnden Systems sind. Deshalb irren sich diejenigen, die danach trachten, das Verständnis des Konkreten und des Systems nur auf Prinzipien zu reduzieren, die bei weitem nicht den ganzen Inhalt des Objekts ausmachen, sie erreichen es erst im Laufe der Entfaltung ihres Inhalts. Weiter bestimmt Hegel konkret den Begriffs des Anfangs. Er betrachtet den logischen Anfang sowohl als etwas Mittelbares wie auch Unmittelbares. Im Begriff des Systemanfangs befinden sich diese Bestimmtheiten des Denkens in einer dialektischen Einheit. Die Kategorie des Seins tritt als logischer Anfang erst im System des reinen Wissens auf, in der Logik. Es tritt hier als eine Unmittelbarkeit auf, aber in einem anderen System als Resultat der historischen Entwicklung des Bewusstseins. Die „Phänomenologie des Geistes” ist die Wissenschaft über das Bewusstsein, die Darstellung dessen, dass das Bewusstsein den Begriff der Wissenschaft als Resultat hat eine Mittelbarkeit, d.h. es zeigt sich als das reine Wissen. Folglich, das reine Wissen ist durch den ganzen Verlauf der Bewusstseinsentwicklung vermittelt. „In dieser Wissenschaft über den erscheinenden Geist”, schrieb Hegel, „geht man von dem empirischen, sinnlichen Bewusstsein aus, und das letztere ist das wahre unmittelbare Wissen; eben so klärt sich, wie sich die Sache mit diesem unmittelbaren Wissen verhält.”75 Grundlage der Logik ist nach Hegel nicht das unmittelbare Bewusstsein, nicht das Bewusstsein eines Individuums in seinem Verhalten zum Gegenstand, sondern ein Gedanke, der seine Gegensätzlichkeit zum Gegenstand überwunden, seine Bestimmtheiten als Momente seiner Entwicklung in sich eingeschlossen hat, und dadurch zu reinem Wissen geworden ist. Als solcher ist er der Anfang, die ärmste Bestimmtheit der Logik, obwohl er durch das Ergebnis des ganzen historischen Verlaufs des empirischen Bewusstseins vermittelt wird. Das Sein als Anfang ist in der Logik im System der reinen Wesenheiten absolut notwendig, wenn man sich von allen Nebenumständen abstrahiert und nur den gegenständlichen Bereich des Denkens betrachtet, d.h. „das wahrnimmt, was vorhanden ist.” 68 Als Anfang ist das Sein eine Zelle des Systems der reinen theoretischen Tätigkeit, die die logische Entwicklung möglich macht. Solch eine Bedeutung hat nach Hegel das reine Wissen nur in der Logik, aber das Sein tritt als etwas Besonderes und Inhaltsreiches in der „Phänomenologie des Geistes” auf. „Das reine Wissen”, schrieb Hegel, “als etwas in dieser Einheit Zusammengeflossenes, hat jede Beziehung zu einem anderen und zur Vermittlung aufgehoben; sie ist das, was der Unterschiede bar ist; folglich das, was der Unterschiede beraubt war, hört selbst auf, das Wissen zu sein; es gibt jetzt nur die reine Unmittelbarkeit.”76 Nach Hegel sind die Unmittelbarkeit und die Mittelbarkeit absolut nicht voneinander getrennt, sondern sie bilden eine Einheit, d.h. der Gedanke verfügt über diese Charakteristiken in Abhängigkeit davon, wo die Sache behandelt wird. Die einfache Unmittelbarkeit aber ist das reine Sein. Das Sein ist, nach Hegel, der höchstabstrakte Gedanke in der logischen Entfaltung des Denkens, und daher tritt es als Ausgangspunkt der Logik auf. Hegel gab folgende Definition des Anfangs: „… Der Anfang muss absolut sein, oder, was hier gleichbedeutend ist, der absolute Anfang; er muss somit nichts voraussetzen, durch nichts vermittelt sein, auch keine Grundlage haben; er muss umgekehrt selbst die Grundlage der ganzen Wissenschaft sein, er muss deshalb etwas gänzlich Unmittelbares, oder genauer gesagt, nur das Unmittelbarste sein. Er kann keine einzige Bestimmung in Bezug auf den anderen haben, denn er kann keine Bestimmungen auch in sich intern besitzen, kann in sich keinen Inhalt schließen, weil der Inhalt solcher Art eine Unterscheidung und Wechselbeziehung des Verschiedenen zueinander wäre, folglich etwas Mittelbares.” 77 In Verbindung damit trat Hegel entschieden gegen diejenigen auf, die den Anfang als etwas Hypothetisches verstanden. Auf die Unzulänglichkeit solch einer Betrachtungsweise hinweisend, bemüht sich der große Dialektiker, ein allgemeines Schema und den Inhalt der logischen Vorwärtsbewegung des Gedankens zu geben. Nach Hegel ist die Vorwärtsbewegung des Gedankens zugleich Rückwärtsbewegung zur Basis. Nur in solch einer Bewegung offenbart sich, dass der Anfang nicht etwas willkürliches, sondern wahr ist. „Die Vorwärtsbewegung”, schrieb er, „ist die Rückkehr zur Basis, zum Ursprünglichen und Wahrhaftigen”, wovon das abhängt, womit man beginnt, und wodurch es wirklich hervorgebracht wird. So, zum Beispiel, wird das Bewusstsein auf seinem Wege von der Unmittelbarkeit, womit es beginnt, zum absoluten Wissen wie zu seiner internsten Wahrheit zurückgeführt. Dieses Letzte, die Basis ist auch zugleich das, woraus sich das Erste entwickelt, das anfangs als Unmittelbares auftrat.” 78 Erstmalig in der Geschichte der Philosophie erforschte Hegel tiefschürfend die Dialektik des Anfangs und Resultats, der Ursache und Wirkung. Nach Hegel sind die Begriffe des Anfangs und Resultats keine abstrakten Gegensätze, weil die Bewegung, die logische Entwicklung vom Abstrakten zum Konkreten ein ganzheitlicher Prozess, das Werden des Konkreten ist. Der Anfangspunkt tritt erst als abstraktes Moment dieser Konkretheit auf. Diesen Umstand illustrierte Hegel am Beispiel der Beziehung des konkreten Geistes zum unmittelbaren uns abstrakten Sein. „So wird,” schreibt Hegel, „noch in größerem Maße der absolute Geist, der sich als konkrete und letzte hohe Wahrheit des ganzen Seins ergibt, sich als frei Entfremdender am Ende der Entwicklung und sich Befreiender erkannt, um die Gestalt des unmittelbaren Seins anzunehmen, als Geist, der sich entschlossen hat, die Welt zu erschaffen, in der alles enthalten ist, was in die Entwicklung, die diesem Resultat voranging, hineinpasste, und was sich dank dieser Rücklage zusammen mit seinem Anfang in etwas bestimmtes, vom Resultat wie vom Prinzip abhängendes, verwandelte.”79 In Hegels Philosophie wird das Konkrete als Produkt der Selbstbewegung, der Selbstentwicklung dargestellt. Der Anfang der Möglichkeit hat in seiner Entwicklung den ganzen Inhalt der künftigen Logik. Die logische Bewegung vom Anfang, vom Sein zur absoluten Idee bildet, im Grunde genommen, die Selbstbegründung des Anfangs, die im Laufe der Entwicklung noch tiefere und inhaltsreichere Bestimmtheiten bekommt. Deshalb 69 entsteht der Eindruck, dass das Resultat selbst die Basis und der Anfang das Resultat sei. Deswegen erklärte Hegel mehrmals, „dass das Wesentliche für die Wissenschaft eben nicht das ist, das als Anfang etwas Unmittelbares dient, sondern das, das ihre volle Ganzheit in Wirklichkeit ein Kreislauf in sich selbst ist, in dem das Erste auch das Letzte sein wird, und das Letzte auch das Erste.” 80 Dieser Grundsatz von Hegel hatte eine fundamentale Bedeutung für die wissenschaftliche Erkenntnis. Hegel verfolgte die logische Bewegung des Gedankens vom Anfang bis zur Konkretheit hin. Im Laufe der Bewegung des Gedankens verliert, nach Hegel, der Anfang seine Einseitigkeit und Abstraktheit und wird immer inhaltsreicher und inhaltsreicher, wodurch der Gedanke hervorgehoben wird, dass noch nicht die ganze Wahrheit in Form des Anfangs der Erkenntnislogik erkannt wird, sondern nur ihre eine Seite. Nur der ganze Prozess der theoretischen Entwicklung zeigt den Inhaltsreichtum, und die wahre Begründung des Anfangs. Es wäre aber auch falsch, den Anfang als etwas Vorläufiges und Willkürliches zu betrachten, dessen Wahrhaftigkeit nur im Resultate der theoretischen Forschung klargestellt werden kann. In Wirklichkeit wird die Bedeutung des Anfangs eines theoretischen Systems, seines objektiven Inhalts durch den Charakter des zu behandelnden Objekts festgestellt. „Aber jener Umstand”, schrieb Hegel, „dass nur das Resultat sich als absolute Basis erweist, bedeutet bei weitem nicht, dass die Vorwärtsbewegung dieser Erkenntnis etwas Vorläufiges oder etwas Problematisches und Hypothetisches ist. Dieser Vorwärtszug der Erkenntnis muss durch die Wesenheit der Dinge und durch den Inhalt selbst bestimmt werden. Der oben behandelte Anfang ist nicht etwas Willkürliches, sondern etwas nur zeitweilig Vermutetes…”81 Nach der Charakterisierung des Grundinhaltes des Anfangsbegriffs geht Hegel zur Begründung des Anfangs in der Logik über. Für solch einen Anfang hält er das Sein, weil es die unmittelbare, die ärmste Bestimmtheit vom System des reinen Wissens ist. Wenn das Sein für seine Begründung etwas anderes benötigte, so wäre es inhaltsreich und, folglich, könnte es nicht als Anfang des Systems behandelt werden. Alles Inhaltsreiche und Konkrete, nach Hegel, benötigt Voraussetzungen, der Ausgangsanfang aber braucht sie nicht. Hegel betonte, dass das reine Wissen als Ergebnis der bestimmten Deduktion, der bestimmten Bewusstseinsentwicklung ein System, ein intern gebundenes Ganzes bildet, das einen Anfang und ein Resultat hat. Am Anfang dieses Systems unterscheidet sich das reine Wissen nicht vom reinen Sein, das aller Bestimmtheiten ledig ist. Deshalb liegt im reinen Wissen kein Inhalt außer dem Sein, und es ist unmöglich, die Logik mit einem anderen Punkt zu beginnen. Hegel kritisiert diejenigen, die die Wissenschaft nicht mit dem Sein, sondern mit der Vorstellung über den Anfang beginnen wollen. „Auch mit dieser Handlungsart,” schreibt er, „hätten wir keinen besonderen Gegenstand bekommen, weil der Anfang als Anfang des Denkens völlig abstrakt, völlig allgemein sein soll, es soll gänzlich eine Form ohne jeglichen Inhalt sein; wir hätten folglich nichts anderes als Vorstellungen über den nackten Anfang als solchen. Wir müssen daher nur hinschauen, was wir in dieser Vorstellung haben.” 82 Das ist zweifellos eine wertvolle Bemerkung. Es handelt sich darum, dass der Anfangsbegriff des Anfangs erst innerhalb des Systems eine Bedeutung hat, aber die Vorstellung davon liegt außerhalb dessen und bleibt daher eine Vorbemerkung. In der hegelschen Deutung des Anfangs handelt es sich um die inhaltslose Bestimmtheit, die mit etwas zusammenfällt, „er ist nicht das Sein, das zugleich auch das Sein ist, und auch das Sein, das zugleich auch das Nichtsein ist”. Aber diese Gegensätze treten ursprünglich in unentwickelter Form auf, sie befinden sich in einer unmittelbaren Einheit. Als Anfang darf man, nach Hegel, nicht etwas Zusammengesetzes und Konkretes, das in sich das Mittelbare enthält, behandeln. Hegel unterscheidet das Konkrete in der Vorstellung vom konkreten Gedanken. Der letzte ist das notwendige Ergebnis der Gestaltung und Bewegung des Gedankens. Infolgedessen beginnt der Gedanke nicht mit der Konkretheit, sondern er hat als seinen Ausgangspunkt nur das 70 einfache Unmittelbare. „Außerdem”, schrieb Hegel, „wenn man das Konkrete zum Anfang macht, so fehlt es an Beweis, den die Vereinigung der im Konkreten enthaltenen Bestimmungen braucht.” 83 Die Wissenschaft, nach Hegel, kann auch nicht direkt mit dem Wesentlichen beginnen, denn das Wesentliche wäre in diesem Fall seinem Inhalt nach etwas Abstraktes. Ein beliebiger als Anfang zu betrachtender Gegenstand wird unter der Abstraktheit, der Leere des Daseins leiden. Hegel übt an den Ansichten derer, die das „Ich” als Anfang betrachten, gerechtfertigte Kritik. Dieser Gedanke, nach Hegel, entstand auf der Grundlage, dass man alle weiteren Inhalte von dem ersten ableiten soll. Das alles scheint dem gesunden Menschenverstand nicht zu widersprechen, denn das „Ich” ist wirklich auf den ersten Blick etwas Unbekanntes im Vergleich mit den anderen Vorstellungen. In Wirklichkeit ist das „Ich” konkret. Damit das „Ich” zum Anfang der Logik wird, ist eine hohe Abstraktion, „seine Reinigung von sich selbst” nötig. Aber das wird schon kein gewöhnliches und unmittelbares „Ich” sein, sondern ein Aufsteigen zum Standpunkt des reinen Wissens. Die Forderung, mit dem unmittelbaren „Ich” zu beginnen, führt weg von der Logikproblematik und hin zu den Problemen der „Phänomenologie des Geistes”, wo der Prozess des Erhöhung des individuellen Bewusstseins auf das Niveau des reinen Wissens realisiert wird. Ohne diese Deduktion, sagt Hegel, ist jeder Hinweis auf das Bewusstsein unbegründet. Infolgedessen gehen alle Vorzüge, die aus diesem Anfang der Philosophie entstehen, verloren. Das reine Wissen ist ein Resultat der bekannten Bewegung der sinnlichen Glaubwürdigkeit zum absoluten Wissen. Der Anfang der Logik kann nur das reine Wissen sein, in dem die Gegensätze zwischen Bewusstsein und Gegenstand überwunden sind. Nach dem logischen Gehalt ist er das Sein, ungeachtet dessen, welchen erhabenen Namen man ihm auch gibt und wie man es auch absolut und ewig bestimmen würde. In seiner Logik beschränkt sich Hegel nicht auf die Begründung des Anfangs, sondern verfolgt tiefgründig den logischen Prozess des Aufstiegs vom Sein zur absoluten Idee hin. Als Kernpunkt, als immanente Quelle dieser logischen Bewegung gilt das Gesetz der Identität der Gegensätze. Erstmalig in der Geschichte der Philosophie erarbeitete Hegel den Begriff der Kategorie. Alle logischen Kategorien sind für ihn intern miteinander verbunden und bilden ein integriertes System, das sich vom Niedrigsten zum Höchsten entwickelt. Die Kategorien treten als Stufen, als Knotenpunkte des sich selbst entwickelnden ontologischen Denkens auf. Das Denken, die theoretische Aktivität wird von Hegel als einzig wahre Realität behandelt. Aber ein wichtiges Verdienst von Hegel besteht darin, dass er sich bemühte, das Wesen des Denkens als Ganzes zu verstehen. Er untersuchte nicht irgendwelche einzelne Seiten und Formen des Denkens, sondern war bestrebt, das ganzheitliche Denken in all seiner organischen und notwendiger Verbindung vom Niedrigsten zum Höchsten, als einen Prozess, der dem Prinzip des Aufstiegs vom Abstrakten zum Konkreten untergeordnet ist, nachzubilden. Nachdem er aber die Frage über das inhaltliche und sich entwickelnde Denken richtig gestellt hatte, hypertrophierte Hegel das Denken selbst, interpretierte es als absolut selbständige Realität. Er verzichtete auf so eine wichtige und wahre Charakteristik des Denkens wie die Widerspiegelung der objektiven Realität. Deswegen wird das Verstehen des Denkens in Hegels Philosophie entstellt, weil der Prozess der theoretischen Meisterung der konkreten Wirklichkeit der Entstehung und Formbildung selbst der Wirklichkeit gleichgesetzt wird. Infolgedessen behandelt er das Denken als das echte Objekt jeder Entwicklung und Veränderung, und die Wirklichkeit wird als Produkt, als Erscheinungsform dieser allgemeinen Basis verstanden. In Bezug auf diese Seite der hegelschen Philosophie schrieb Marx: „Die Idee verwandelt sich in das selbständige Subjekt, und die echte Beziehung der 71 Familie und der Zivilgesellschaft zum Staat verwandelt sich in eine imaginäre innere Tätigkeit der Idee”.84 Und weiter: „Die Wirklichkeit verwandelt sich in ein Phänomen, aber die Idee hat keinen anderen Inhalt als dieses Phänomen. Die Idee hat auch kein anderes Ziel als das logische: „ein unendlicher, wirklicher Geist für sich selbst zu werden…”85 Im Großem und Ganzen sind die Grundlagen der hegelschen Logik falsch und der Wahrheit fremd. Idealistisch bleibt selbst der Begriff der Logik als einer „reinen” Wissenschaft, als „Reich der reinen Begriffe”, die ursprünglich und unabhängig von der Natur existieren. Ungeachtet dessen ist sie die dialektische Logik. Dort findet man zahlreiche fruchtbringende Ideen: den Gedanken über den konkreten Begriff des Anfangs, über die Einheit des Allgemeinen, des Besonderen und des Einzigen, über Gegensätze und Systemhaftigkeit der Kenntnisse usw., die zweifellos zu den großen Errungenschaften des philosophischen Denkens gehören. Deshalb interessieren wir uns in Hegels Logik in erster Linie für die rationellen Momente seiner Dialektik und Logik. „Wenn diese vergessene Dialektik”, schrieb Engels, „sogar von der Sicht des reinen Denkens zu solchen Resultaten führte…, besitzt sie folglich jedenfalls etwas Größeres als einfach Sophistik und scholastische Raffiniertheit”.86 Denkformen und Kategorien behandelte Hegel vom Standpunkt der idealistischen Dialektik aus. Er erforschte das Denken vom Gesichtspunkt des Verstandes und der Vernunft. Deshalb soll das wahrlich-wissenschaftliche Herangehen an Begriffe den abstrakten Begriff von dem konkreten unterscheiden. In der herkömmlichen Logik sieht man den Unterschied zwischen dem Verstand und der Vernunft darin, dass man unter dem Verstand die Fähigkeit zur Begriffsbildung im Allgemeinen versteht, in dem die Vernunftkraft in der Fähigkeit zu Schlussfolgerungen liegt. Eine solche Meinung äußert auch Kant in der transzendentalen Logik. Ungeachtet mancher Ähnlichkeiten in der Begriffseinteilung gibt es bei Kant und Hegel grundsätzliche Unterschiede. Für Kant liegen die Urteilsformen den gedanklichen Kategorien zu Grunde; für die Deduktion der Vernunft sind die Schlussfolgerungsformen nötig. Hegel geht jedoch an diese Frage von einem anderen Standpunkt heran. Begriffe, Urteile und Schlussfolgerungen behandelt er als Verstandesformen, wenn man sie formell und abstrakt betrachtet. Konkret können alle Gedanken sein, wenn sie nur Inhaltsformen sind. Konkretheit und Abstraktheit unterscheidet Hegel nach dem Grad ihrer „Wahrhaftigkeit”. Wenn ein konkreter Begriff die Wahrheit erfasst, das Wesen aufdeckt, selbst Wesen und Wahrheit ist, so ist der abstrakte Verstandesbegriff kraft seiner Einseitigkeit, Unbeweglichkeit und Gegensatzlosigkeit nicht imstande, das Wesen aufzudecken. Daher kommt der tiefgehende Grundsatz von Hegel, dass es keine abstrakte Wahrheit gibt, sie ist immer konkret. Die Wahrheit wird nur durch einen konkreten Begriff erfasst, der eine Menge zahlreicher intern gegensätzlicher Bestimmungen ist. Verstandsbegriffe sind infolge ihrer Einseitigkeit nicht imstande, die Wahrheit zu erfassen. Sie ergreifen nur einzelne Seiten des Ganzen. Nach Hegel wird die abstrakte, gedankliche Untersuchungsart dadurch charakterisiert, dass eine Seite von der anderen abgerissen wird, wobei eine ernste Entstellung der Wirklichkeit stattfindet, weil das Leben vernünftig, gegensatzvoll, fließend, beweglich und veränderlich ist. Der Verstand aber vereinfacht, macht grob, zerlegt, lässt das Lebendige absterben, er stoppt die Bewegung, führt die qualitative Vielfalt nicht auf die quantitative, löst die Vielfältigkeit von zufälligen Naturerscheinungen in der abstrakten Notwendigkeit auf usw. „Die lebendige Kreativität der Natur verstummt in der Stille des Gedankens. Ihre uns mit Wärme umgebende Vollkommenheit, die sich in Tausende von anziehenden und wundervollen Erscheinungen organisiert, verwandelt sich in trockene Formen und formlose Allgemeinheiten, die dem trüben Nordnebel ähnlich sind”.87 Sich auf die dialektische Methode und auf den objektiven Idealismus stützend, bemüht sich Hegel, den Bruch zwischen Leben und Philosophie zu überwinden, die Theorie solcher Begriffe zu begründen, die das Lebendige nicht vereinfachen, es nicht grob machen, es nicht 72 absterben lassen, sondern es als Lebendiges zeigen, wenn auch nicht in der vollen Farbenskala, so wenigstens in seiner wesentlichen Vielfalt. Darin sah Hegel die Aufgabe der dialektischen Logik, die die Kategorien in ihrer Bewegung, Gegensätzlichkeit und notwendigen Verbindung untersucht. „Damit diese toten Knochen der Logik durch den Geist lebendig werden und auf diese Weise Inhalt und Fülle bekommen, muss ihre Methode diejenige sein, die allein imstande ist, sie in eine reine Wissenschaft zu verwandeln. In dem Zustand, in dem sie sich befindet, gibt es noch keine Vorahnung der wissenschaftlichen Methode”.88 Hier charakterisierte Hegel das Wesen seiner dialektischen Methode. Jede Erscheinung, nach Hegel, verneint sich selbst in ihrer Entwicklung. Der abstrakte Blickwinkel auf die Negation entspricht nicht der Wahrheit. In der Vorwärtsbewegung des Gedankens zeigt das Negative auch seine positive Seite. Um es bestimmter zu sagen, verwandelt sich das in sich Widerspruchsvolle nicht in eine Null, löst sich nicht in einem absoluten Nichts auf, sondern in der Verneinung seines eigenen Inhalts. Diese als Resultat erhaltene Negation ist ein reicherer Begriff als der vorangehende, weil er sich durch die Negation bereichert hat. Er bildet eine Synthese der in den vorhergehenden Bestimmungen enthaltenen Momente. „Er enthält folglich in sich den alten Begriff, aber enthält mehr als diesen Begriff in sich, er wird zur Einheit in sich selbst und seiner Gegensätzlichkeit.”89 Durch diese im Grunde genommen idealistische dialektische Methode, die Hegel erstmalig in der “Phänomenologie des Geistes” angewandt hatte, wurde die alte gedankliche Logik umgestaltet und die neue dialektische Logik herausgearbeitet. Hier tritt vor allem Hegels logische Lehre vom Inhaltsreichtum des Denkens auf. Er kritisiert die Formallogik für die Loslösung des Denkens und der Begriffe vom Inhalt. „Wenn man Logik als eine Lehre vom Denken betrachtet, so versteht man darunter, dass dieses Denken nur eine nackte Form irgend einer Erkenntnis darstellt, dass Logik sich von jeglichem Inhalt abstrahiert.” 90 Aber solch eine Behauptung ist an und für sich, sagt Hegel, nicht stichhaltig, denn Logik hat das Denken zu ihrem Gegenstand, das eben ihren Grundgehalt ausmacht. Die Inhaltlosigkeit der Denkform aber betrachtet Hegel als Resultat der gedanklichen Behandlung, die nicht imstande ist, sie im Prozesse der Entwicklung zu verfolgen. Deswegen stellen sie tote Formen dar, wo der „Geist nicht wohnt”, der ihre lebendige, konkrete Einheit bildet. Hegel betonte mehrmals den richtigen Gedanken, dass, wenn Begriffe nur tote Denkformen wären, es absolut unnötig wäre, sie zu kennen. „Aber in Wirklichkeit,” schrieb Hegel, „sind die Begriffsformen, gerade im Gegenteil der lebendige Wirklichkeitsgeist, und in der Wirklichkeit ist nur das wahr, was infolge dieser Formen durch sie und in ihnen wahr ist. Aber die Wahrheit dieser Formen, an und für sich genommen, so wie auch ihre notwendige Verbindung wurde bis auf heute niemals behandelt, und war nie Forschungsgegenstand”.91 Die Forderung der inhaltlichen Betrachtungsweise ist einer der hervorragenden Grundsätze der hegelschen Logik. Hegel hatte Recht, als er gegen die metaphysische Loslösung der Form vom Inhalt auftrat. Aber hier ist auch sein Idealismus zu sehen, da er Begriffe nicht vom Leben ableitet, sondern umgekehrt, die reale Welt als Resultat der Selbstentwicklung der Begriffe betrachtet. Für Hegel tritt der Begriff als Subjekt der Entwicklung auf, aber das echte Subjekt, wie Marx bemerkte, verwandelt sich in das Prädikat. Auf diese Weise erscheint der Gedanke selbst als Inhalt des Gedankens. Deshalb ist er, nach Hegel, so wenig formelhaft, enthält so wenig Inhalt für die wirkliche und wahre Erkenntnis. „Logik…”, schreibt Hegel, „muss man als System der reinen Vernunft, als Reich des reinen Gedankens verstehen. Dieses Reich ist die Wahrheit, wie sie unverhüllt in sich und für sich selbst ist.”92 Dieser Grundsatz hält der Kritik nicht stand. Hegels Philosophie ist voll von unversöhnlichen Widersprüchen, und in ihr verbinden sich auf Schritt und Tritt rationelle Momente mit den idealistischen, mit mystischem Inhalt. Hegel hatte Recht, wo er schreibt, dass es keine inhaltslose, leere Form gibt, jede Form ist inhaltsreich. Und dabei rückt er als Nachweis etwas 73 Idealistische in den Vordergrund: „Begriff ist Anfang des ganzen Lebens” usw. In der marxistischen Behandlung ist ein Begriff keine leere Hülle, kein unveränderlicher Behälter, sondern Widerspiegelung der objektiven Realität. Eine Form hat keine Bedeutung, wenn sie keine Inhaltsform ist. „Logik ist eine Lehre nicht von äußeren Denkformen”, schrieb Lenin, „sondern von Entwicklungsgesetzen „aller materiellen, natürlichen und geistigen Dinge”, d.h. Entwicklung des ganzen konkreten Weltinhalts…” 93 Obwohl Hegel die dialektische Logik für eine einzig wahrhafte Logik hielt, verneinte er jedoch auch die Formallogik nicht, sondern betonte mehrmals die Bedeutung der aristotelischen Logik. Aber die Wahrheit ergibt nur die dialektische Logik, die die Formallogik nur als Moment in sich einschließt, so wie der Verstand als Moment der Vernunft auftritt. Den Grundfehler der so genannten Verstandeslogik sieht Hegel in ihrer Formalität, im Fehlen innerer Verbindung. Ohne sich auf die allgemeine Kritik der Formallogik zu beschränken, übt er am formal-logischen Prinzip der Einteilung der Begriffe, zum Beispiel in klare und dunkle, in konkrete und kontradiktorische usw. detaillierte Kritik. Aus der Sicht der heutigen Wissenschaft ist vieles der hegelschen Kritik schon veraltet, aber es ist wichtig, dass er Form und Inhalt in ihrer Einheit zu betrachten verlangte, Begriffe sollen seiner Meinung nach nicht abstrakte Bestimmungen des Gedankens bleiben, sondern in ihrem inneren Unterschied verstanden werden. Nach Hegel erhalten sogar solche geprüfte Bestimmungen des Gedankens wie Allgemeinheit, Besonderheit und Einzelheit einen anderen Sinn, weil nur die quantitative Seite in diesen Bestimmungen erfasst wird. Die Allgemeinheit wird als das behandelt, was weitestgehend als Besonderes und das Besondere als das, was weitestgehend das Einzelne ist. Aus der Sicht der hegelschen dialektischen Logik ist ein Begriff nicht nur die Möglichkeit der Quantität, aber zugleich auch der Qualität, d.h. seine Bestimmungen sind auch qualitativ unterschiedlich. Hegel betrachtet das Allgemeine, Besondere und Einzelne nicht als verschiedene Begriffsarten, sondern als Momente des Konkreten, des Wahren, des Allgemeinen. Ein konkreter Begriff ist nach Hegel nicht einfach ein allgemeiner Begriff, der dem einzelnen und besonderen gegenübersteht, keine nackte und abstrakte Gemeinsamkeit, sondern solch eine Allgemeinheit, die in sich selbst, in ihrer Entwicklung ihr Anderes, d.h. das Einzelne und Besondere enthält. Konkret ist solch ein Begriff, der das Allgemeine nicht außerhalb des Besonderen, sondern in sich selbst findet. Hegel bemerkt, dass ein konkreter allgemeiner Begriff eine Ganzheit von Momenten des Allgemeinen, des Besonderen und Einzelnen ist. „Das allgemeine jedoch”, sagt Hegel, „ist etwas Einfaches, das zugleich auch das Allerreichste in sich selbst ist, weil es ein Begriff ist.”94 Ein Begriff ist keine abstrakte, in sich selbst identische Allgemeinheit. Das Allgemeine ist deshalb konkret, weil es vielfältig in sich selbst ist, aber nicht jede Vielfältigkeit ist etwas Wahrhaft-Konkretes. Hegel unterscheidet das Sinnlich-Konkrete und das Wahrhaft-Konkrete. Das SinnlichKonkrete ist nur der Form nach konkret, aber dem Inhalt nach ist es abstrakt. Es ist mannigfaltig und in sich selbst unterschiedlich, aber es erreicht das Wahrhaft-Konkrete, den Begriff eines Dings nicht. In diesem Zusammenhang übt Hegel Kritik am Empirismus von Locke. Wenn Spinoza und Malebranche ihre Philosophie mit der unterschiedslosen Allgemeinheit beginnen, so tritt Locke dagegen auf. Er behauptet, dass das Einzelne, Sinnliche, Begrenzte, unmittelbar Seiende die Hauptgrundlage der Erkenntnis bildet. Nach Hegel weisen Descartes und Spinoza nicht auf den Velauf der Ideenentstehung hin. Sie nehmen sie als Definitionen hin wie zum Beispiel Substanz, Unendlichkeit, Modus, Dehnung usw., die keine absolut zusammenhängende Reihe bilden. Nach Hegels Meinung verließ Locke den Weg der nackten Definitionen und machte den Versuch, allgemeine Begriffe abzuleiten. Das ist ein unverkennbares Verdienst der lockeschen Philosophie. Locke kritisiert zu Recht das abstrakt Allgemeine von Spinoza und Malebranche, verfällt aber selbst in Einseitigkeit und Subjektivismus, als er die Existenz des Allgemeinen rundweg 74 verneint. Nach Lockes Meinung, wenn das Allgemeine, die Art existieren, so wären Abweichungen von ihnen unmöglich. Hegel lehnt den Subjektivismus von Locke ab, der die Objektivität des Allgemeinen verneint. In Bezug auf diese Frage betont er, dass „die Arten nicht nur eine Gesamtheit ähnlicher Merkmale, die von uns errichtete Abstraktion darstellen, dass sie nicht nur über gemeinsame Merkmale verfügen, sondern das echte innere Wesen der Gegenstände selbst bilden; und ebenso dienen uns die Reihen nicht nur zur Erleichterung unseres Tierartenüberblicks, sondern sind Leitersprossen der Natur.”95 Das ist eine der tiefsinnigsten Grundlagen der hegelschen Logik. Hier betonte Hegel auch, dass das Allgemeine dem Besonderen nicht gleichgültig ist; es stellt eine sich selber füllende Allgemeinheit dar, die in sich das Besondere enthält. Für Hegel ist die Einheit von Einzelnem und Besonderem wichtig. „Wenn Arten und Kräfte die innere Seite der Natur bilden und das Äußere und Einzelne im Vergleich mit dieser Allgemeinheit vorübergehend und winzig ist, so verlangen wir jedoch als die dritte Stufe etwas noch Interneres als das, was das Innere des Innersten darstellt, und das ist dem Vorangehenden zufolge, die Einheit des Allgemeinen und des Einzelnen.” 96 Nach Hegel ist das Auseinanderreißen des Allgemeinen, Besonderen und Einzelnen nicht stichhaltig, denn solch eine abstrakte Allgemeinheit, die außerhalb des Besonderen liegt, wäre selbst eine neue Besonderheit. Die Schwäche des Verstandes besteht darin, dass er gerade jene Bestimmung beseitigt, die er selber festlegt. Der Verstand will in seiner Behandlung das Besondere vom Allgemeinen loslösen, aber in der Tat stellt sich heraus, dass das Besondere infolgedessen in das Allgemeine hineingeführt wird. Daher stellt sich das wirklich Seiende als Einheit des Allgemeinen und des Besonderen heraus. Das wahrhaft Allgemeine, als Einheit des Besonderen mit dem Einzelnen gesehen, stellt einen lebendigen Gedanken her, von dem man sagen kann, dass tausend Jahre notwendig waren, um zum Bewusstsein der Menschen vorzudringen. Dieser Grundsatz von Hegel ist im Wesentlichen richtig. Zwischen dem Abstrakt-Allgemeinen und dem Wahrhaft-Allgemeinen besteht ein großer Unterschied: ein allgemeiner Begriff ist nicht abstrakt, sondern konkret. Hier fand Hegel eine wahre dialektische Kategorie heraus. Wenn das Allgemeine einen konkreten Charakter hat, so ist es mit dem Besonderen und Einzelnen einig. Das konkrete Allgemeine ist, nach Hegel, ein Resultat der Entwicklung, etwas Gewordenes. Über den konkreten Begriff kann man sagen, dass er eine einfache Bestimmung ist, aber so einfach, dass er den höchsten Grad von Unterschiedlichkeit und Bestimmtheit in seinem Inneren enthält. Daher unterscheidet sich die Einfachheit der Begriffe grundsätzlich von der Einfachheit des Daseins, das aller Bestimmtheit ledig ist, und bildet deswegen so eine Einfachheit, die in ihrer Gegensätzlichkeit verschwindet; ihr Begriff ist das Werden. Übrigens, das Werden ist der erste konkrete Begriff des logischen Systems von Hegel. Eben im Werden wird die Abstraktheit der Kategorien des Seins und Nichts aufgehoben. Das Werden ist die erste Konkretheit als Einheit der Gegensätze. Die große Rolle der Kategorie des Werdens sieht man daran, dass ihr die heraklitische Etappe in der Philosophiegeschichte entspricht. Der höchste Begriff, nach Hegel, ist die absolute Idee. Die Rolle und der Wert anderer Kategorien des logischen Systems werden durch ihre Relation zur absoluten Idee bestimmt, und die Rolle der philosophischen Systeme durch ihre Stelle in Bezug auf das hegelsche System, das die Aufhebung der ganzen vorherigen Philosophie ist. Somit ist der wahrhaft-allgemeine Begriff ein so einfacher Begriff, der zugleich das Reiche in sich enthält. Wenn das abstrakte Allgemeine alles Besondere einfach verneint und dadurch auf das Niveau des Besonderen sinkt, so verneint das konkrete Allgemeine das Einzelne und Besondere, hebt sie hervor und unterscheidet sie von sich selbst nur, um sie zu vereinigen. Es tritt nicht als nackte, metaphysische Negation auf, sondern bleibt als Einheit des Allgemeinen und Besonderen, als ihre Synthese. 75 Außerdem, bei der Charakteristik des Begriffs des konkreten Allgemeinen vergleicht Hegel ihn oft mit dem Sein, das, infolge seiner Armut in seinem anderen verschwindet, und als seine Wahrheit eine andere von ihm unterschiedliche Bestimmung hat. Das Allgemeine als ein konkreter Begriff verschwindet nicht in seinem anderen, bewahrt sich in ihm, kommt durch ihn und infolge seiner zum Vorschein. Hegel schrieb darüber folgendes: „…Das Allgemeine, wenn es sich in eine Bestimmung hineinlegt, bleibt darin eben das, was es ist. Es ist die Seele jenes Konkreten, in dem es wohnt, ist nicht beengt und sich selber gleich in seiner Vielfalt und Unterschiedlichkeit.” 97 Nach Hegel kann man über den allgemeinen Begriff nicht sagen, dass er „in sein Anderes hinein scheint”, wie es bei den reflektierenden Bestimmungen vorkommt, die sich in ihrem Anderen melden. Hegel zufolge ist es mit dem echten Allgemeinen ganz anders bestellt. Das Allgemeine ist das Wesen dieser Bestimmungen. Das Wesen des konkreten Allgemeinen sieht er darin, dass es sich selber und sein Anderes erfasst. Das Allgemeine, der Begriff tritt als das Wesen seines Anderen auf. Bei einem konkreten Begriff darf man nicht vom Allgemeinen sprechen, ohne die Bestimmtheit zu erwähnen, die Besonderheit und Einzelheit ist. Die Bestimmtheit der Allgemeinheit wird nicht von außen gegriffen, sie schließt ihre Bestimmtheit in sich als ihre Negation ein. Nach Hegel ist der Begriff von dem Realen nicht abstrahiert. Es ist umgekehrt, der Begriff produziert in seiner Entwicklung das Einzelne und Konkrete aus sich selbst. Bei dem objektiven Idealisten Hegel wird die Entwicklung der realen Erscheinungen, wie es K. Marx bemerkte, als „ein Resultat des in sich synthetisierenden, in sich vertiefenden und aus sich selbst entwickelnden Denkens behandelt.” 98 Obwohl die hegelsche Vorstellung vom Begriff als einer Einheit des Allgemeinen, des Besonderen und Einzelnen eine große Errungenschaft der vormarx’schen Logik ist, konnte Hegel immerhin keine wissenschaftliche Lösung dieses Problems geben. An und für sich führt das größte Prinzip, aus der Feder des objektiven Idealisten Hegel fließend, zu ganz falschem Verständnis von Erscheinungen. Die hegelsche idealistische Dialektik mit der materialistischen von K. Marx vergleichend, schrieb F. Engels: „Vergleichen Sie wenigstens die Entwicklung der Ware zum Kapital bei Marx mit der Entwicklung des Seins zum Wesen bei Hegel und Sie bekommen eine wunderbare Parallele: auf einer Seite ist eine konkrete Entwicklung, wie sie in der Wirklichkeit vor sich geht, und auf der anderen Seite ist eine abstrakte Konstruktion, wo im höchsten Grade geniale Gedanken und stellenweise sehr wichtige Übergänge, wie zum Beispiel der Qualität in die Quantität und umgekehrt, in eine scheinbare Selbstentwicklung eines Begriffs aus dem anderen verarbeitet werden.”99 Hegels Lehre vom konkreten Begriff behandelt den Begriff in Einheit seiner Gegensätze. Die alte Verstandesphilosophie leugnete die Gegensätze im Denken. In diesem Zusammenhang gehört der kantischen Philosophie das Verdienst, dass sie die Notwendigkeit der Gegensätze, der Antinomien, in der Vernunft nachgewiesen hat. Aber Kant sah in der Antinomie einen Mangel der vernünftigen Erkenntnis. Das wird dadurch erklärt, dass das Verstandesdenken noch auf ihm lastete. Aber es ist wichtig, dass Kant die Notwendigkeit der Widersprüche im Denken zum Unterschied von der traditionellen Logik begründete, die im Widerspruch nur die Willkür des Subjekts sah. Der konkrete Begriff vereint den Gegensatz in der Identität und erkennt sie als Resultat eines Prozesses an. Zuerst die unmittelbare Einheit, dann der Unterschied und endlich die Versöhnung, die Synthese der Gegensätze – so ist das allgemeine Gesetz jeglicher Entwicklung. Nach Hegels Meinung wird die Wahrheit nicht durch den abstrakt denkenden Verstand und nicht durch die mystische Kontemplation erfasst, sondern durch die Vernunft, und sie offenbart sich als Fähigkeit zum konkreten Begriff. Die Konkretheit ist so ein Begriff, der seine Gegensätzlichkeit nicht aufgibt, sondern sich mit ihr vereint, und sich von der These 76 zur Antithese und mit ihr zur Synthese bewegt. Die Vernunft fixiert und verneint nicht die Gegensätze, sie erkennt sie in der Lösung. Der Gegenstand der Philosophie nach Hegel ist nicht das Relative, sondern das Absolute und das Absolute ist nicht die ruhende Substanz, sondern ein lebendiges, in Unterschiede zerfallendes und vermittels ihrer zur Identität zurückkehrendes Subjekt, das sich durch Gegenstände entwickelt. Das Absolute ist ein Prozess. Wenn die Wissenschaft der Wirklichkeit entsprechen will, so muss sie eben solch ein Prozess sein. Philosophie ist eine Bewegung des Gedankens, ein System von Begriffen, von denen jedes sich in das Nächste verwandelt, es aus sich selbst eben so entwickelt, wie es selber aus dem Vorhergehenden entstand. Alles Wirkliche ist Bewegung, und ihre Quelle ist Widerspruch. Ohne Widerspruch wäre keine Bewegung, kein Leben möglich. Deshalb ist alles Wirkliche widerspruchsvoll und dennoch venünftig. Ein Widerspruch ist nicht etwas Alogisches. Er ist das, was zum weiteren Denken zwingt. Man muss ihn nicht vernichten, sondern „aufheben”, d.h. als etwas Negatives bewahren. Das spielt sich dann ab, wenn einander widersprechende Begriffe zusammen in einem dritten gedacht werden, in einem höheren oder weiteren, reicheren Begriff, dessen Momente sie werden. Jetzt ist ihr Widerspruch überwunden. Aber diese Synthese ist nicht endgültig. Es entsteht ein neuer Widerspruch, der seinerseits überwunden werden soll usw. Jeder Einzelbegriff ist einseitig, unzureichend, er bedarf der Ergänzung durch seine Gegensätzlichkeit und bildet erst in Verbindung mit ihr einen höchsten Begriff, der sich mehr der Wahrheit nähert, aber erreicht sie noch nicht. Nach Hegel ist selbst der letzte und der reichste Begriff – die absolute Idee – an und für sich noch keine volle Wahrheit. Zu dem endgültigen Resultat gehört auch die ganze Entwicklung, die er durchgemacht hat. Nur dank solch einer Dialektik der Begriffe entspricht die Philosophie der lebendigen Wirklichkeit. Die Entwicklung der Begriffe ist die Wirklichkeit selbst. Der gedankliche Prozess ist kein willkürliches Begriffspiel des denkenden Subjekts. Da die Welt und ihre Basis Entwicklung ist, so kann sie nur durch Entwicklung erkannt werden. Das Gesetz, dem die Entwicklung eines Begriffs folgt, sowohl in groben Zügen wie auch in Details, ist Bewegung vom Satz zum Gegensatz und von ihm aus zur Vereinigung. Die Logik der Entwicklung des ganzen Systems ist dem Gesetz der Negation der Negation untergeordnet. Auf diese Weise entsteht ein Begriffssystem, weil seine dialektische Verarbeitung nicht nur die Aufdeckung der inneren dialektischen Widersprüche in isolierten Einzelbegriffen ist, sondern auch die Feststellung der dialektischen Wechselbeziehung, des Übergangs eines Begriffs in den anderen. So eine Entwicklung der Begriffe ist, nach Hegel, eine objektive, aber nicht subjektive Notwendigkeit, weil ein Begriff für ihn selbst die Objektivität der absoluten Idee ist. Die Bewegung der Wissenschaft zum konkreten ist dem wirklichen Gang der Entwicklung der Objektivität selbst näher. Hegel betonte immer, dass die analytische vom Konkreten ausgehende Handlungsart eine Einteilung ist, die nur im Subjekt außerhalb des Dings selbst verläuft. Analyse hat mit dem fertigen Ganzen zu tun, das sie zerlegt. Aber die synthetische Wiederherstellung des Konkreten gibt die Möglichkeit, die wirkliche Entwicklung des Gegenstandes, mit den Anfangsstufen beginnend und mit dem Resultat endend, zu erforschen. Die Analyse beginnt mit dem konkreten Ganzen, um es auf das Einfache zurückzuführen; die Synthese beginnt mit dem Einfachen, und die Entwicklung dieses Einfachen, seine allmähliche Komplikation verfolgend, ergibt die wahre Analogie der Entwicklung von natürlichen und geistigen Erscheinungen, die sich tatsächlich von Einfachem zu Kompliziertem entwickeln. Wie F. Engels sagt, „in der Geschichte sowie in ihrer literarischen Widerspiegelung verläuft die Entwicklung im Großen und Ganzen auch von den einfachsten Beziehungen zu den komplizierteren…”100 K. Marx bemerkte, dass „der Lauf des abstrakten Denkens, vom Einfachsten zum Komplizierten emporsteigend, dem wahren, geschichtlichen 77 Prozess entspricht.”101 Folglich entspricht die Bewegung der Logik vom Abstrakten zum Konkreten der objektiven dialektischen Entwicklung des Gegenstandes, seiner Entwicklung vom Einfachen zum Komplizierten. Das ist eines der Bewegungsprinzipien der logischen Wissenschaft, das der dialektischen Negation folgt. Die empirische Wissenschaft beginnt mit dem Konkreten und geht von ihm zum Abstrakten, Allgemeinen hin. Aber das ist eine Vorbereitungsetappe der wahren, ganzheitlichen, systematischen, synthetisch abbildenden Wissenschaft, die nicht mit dem Konkreten, sondern mit dem Abstrakten, Allgemeinen beginnen muss, und eben deswegen, weil es einfach ist. „An und für sich genommen, ist das Allgemeine deshalb das erste Moment des Begriffs, weil es das Einfache ist.” Dies behauptend führt Hegel Beispiele an, die beweisen sollen, dass ein beliebiges systematisierendes Wissen, und nicht nur Logik, mit dem Einfachen, Abstrakten, Allgemeinen beginnt, um dann zum Konkreten, Besonderen überzugehen. Hegel kritisiert nicht einfach die abstrakten Begriffe der Verstandeslogik, sondern entwickelt und stellt ihnen die konkreten Begriffe der dialektischen Logik gegenüber. Er übt gründliche Kritik an den Gesetzen der Formallogik: an den Gesetzen der Identität, des Widerspruchs, des ausgeschlossenen Dritten usw. Nach Hegels Meinung verläuft das Denken nicht nach den Gesetzen der Formallogik. In der Welt gibt es keine Erscheinung, die nach diesen Gesetzen verliefe, denn jede Bestimmtheit des Seins ist im Grunde genommen der Übergang in das Gegensätzliche; die Negation jeder Bestimmtheit ist eben so notwendig wie sie selbst. Deswegen, wenn diese Kategorien durch solche abstrakten Sätze wie A=A ausgedrückt werden, so entstehen ebenfalls auch kontroverse Sätze. Sowohl jene wie auch andere Grundsätze erscheinen mit gleicher Notwendigkeit, und als unmittelbare Behauptungen sind sie gleich rechtmäßig. Ein Grundsatz verlangt Nachweise seiner Wahrhaftigkeit dem anderen gegenüber, und deshalb besitzen die erwähnten Behauptungen nicht den Charakter der unwiderlegbaren Gesetze des Denkens. Wahr ist nur eine konkrete Identität, die Unterschiede in sich intern hat. Sie unterscheidet sich von einer abstrakten Identität. Die abstrakte Identität wird von Hegel als Ausdruck einer leeren Tautologie charakterisiert. „So ist jene leere Tautologie, an die sich diejenigen andauernd festhalten, die sie als etwas Gegebenes, etwas Wahres hinnehmen, und immer belehrend mitteilen: Tautologie ist kein Unterschied, Tautologie und Unterschied sind unterschiedlich.” 102 Nach Hegel sind abstrakte Identität und abstrakte Verschiedenheit einseitige Bestimmungen. Die konkrete Identität ist eine Einheit von Identität und Unterschied. Konkrete Identität „ist in ihrer Gleichheit mit sich selbst ungleich und widerspruchsvoll, aber in ihrer Entwicklung, in ihrer Widersprüchlichkeit ist sie mit sich identisch…” 103 Die hegelsche Kritik an der abstrakten Identität ist im Grunde genommen richtig. Von der abstrakten Identität gibt es deswegen keinen Übergang zum Unterschied, weil eine notwendige Verbindung zwischen ihnen fehlt. Darauf hinweisend schrieb Hegel: „Wenn man die Identität als etwas Unterschiedliches vom Unterschied behandelt, so bleibt bei uns auf diese Weise einzig und allein nur der Unterschied. Dank diesem Umstand kann man den Übergang zum Unterschied nicht beweisen, denn es fehlt der Ausgangspunkt, von dem aus der Übergang vor sich gehen soll, für denjenigen, der fragt, auf welche Weise dieser Übergang realisiert wird.” 104 Nach Hegels Meinung ist der abstrakte Unterschied, der von der Identität abweicht, auch nicht stichhaltig. In seiner Einseitigkeit und Abstraktheit entspricht er nicht der Wahrheit. Solche Bestimmungen wie Ähnlichkeit und Unähnlichkeit haben nur in ihrer Einheit eine Bedeutung. Die Notwendigkeit der Identität und des Unterschieds hervorhebend, klagt Hegel über die Naturwissenschaft seiner Zeit, die den Unterschied wegen der Identität und die Identität wegen des Unterschieds vergisst. Nach Hegel hält sich die spekulative Logik an dem einzig 78 richtigen Gesichtspunkt fest, die „auf die Nichtigkeit des Abstrahierenden vom Unterschied, von rein gedanklicher Identität hinweist, obwohl sie dann darauf besteht, allerdings eben so energisch, dass wir uns nicht mit der einzig nackten Unterschiedlichkeit begnügen müssen, sondern müssen die innere Einheit des ganzen Seienden erkennen.” 105 Weiter übt Hegel Kritik am „Gesetz des ausgeschlossenen Dritten” der Formallogik. Er charakterisiert es als Gesetz des abstrakten Verstandes, das, statt den Wiederspruch vermeiden zu wollen, unausweichlich in ihn hineinfällt. Das Streben, den Widerspruch zu vermeiden, ist unbegründet, weil alle Dinge in sich selbst widerspruchsvoll sind. Die gedankliche Logik jedoch hält den Widerspruch für etwas Unwahres, als ob der Widerspruch nicht eben so wesentlich und innerlich bestimmt wie die Identität sei. Wenn man diese zwei Gesichtspunkte vergleicht, so muss man den Widerspruch als eine tiefere und wesentlichere Bestimmung des Gedankens anerkennen. Nach Hegel ist eine abstrakte Identität eine oberflächliche Bestimmung, während „der Widerspruch… die Wurzel aller Bewegung und Vitalität ist; nur insofern etwas einen Widerspruch in sich selbst hat, bewegt es sich, besitzt Impuls und Aktivität.”106 In der Wirklichkeit sind die Widersprüche der Grundinhalt des Begriffs. Der Widerspruch ist die echte allgemeine Kategorie, das Prinzip jeder Selbstbewegung. Bei all seiner Bedeutung besitzt das hegelsche Verständnis des Widerspruchs wesentliche Mängel. Die Gegensätzlichkeit der marxistischen dialektischen Methode offenbart sich in Bezug auf die hegelsche besonders prägnant in der Lehre vom Widerspruch. Für Hegel handelt es sich nicht um den Widerspruch der objektiven materiellen Welt, sondern um die Selbstentwicklung der absoluten Idee. Der Inhalt des logischen Prozesses, der sich vom Sein zum Wesen und von ihm zum Begriff entwickelt, bleibt für ihn die absolute Idee, die sich in der Richtung zu sich selbst entwickelt. In ihrer Entwicklung produziert die absolute Idee etwas Besonderes, das auch keine absolute Bestimmtheit bildet, sondern sich in der höheren Synthese auflöst. Diese Frage streifend schrieb K. Marx: „Da die unpersönliche Vernunft außerhalb sich selbst weder den Boden, auf den sie sich stellen könnte, noch das Objekt, dem sie sich entgegenstellen könnte, noch das Subjekt, mit dem sie sich verbinden könnte, hat, muss sie notgedrungen Purzelbäume schlagen, sich selbst hinstellend, sich selbst 107 entgegensetzend und sich mit sich selbst verbindend: Satz, Gegensatz, Verbindung.” In der hegelschen Logik handelt es sich somit um den rein logischen Prozess, um den sich voraussetzenden und sich selber entgegensetzenden Gedanken; der Kampf dieser entgegengesetzten Elemente bildet die dialektische Bewegung und geht dann in ihre Synthese über. Das Grundlaster der hegelschen Lehre von den Widersprüchen besteht darin, dass der Widerspruch rationell nicht gelöst wird, sondern er versöhnt sich, hebt sich auf. „Auf diese Weise”, schrieb K. Marx, „wiegen sich die Gegensätze gegenseitig auf, sie neutralisieren und paralysieren einander. Die Verschmelzung dieser zwei sich einander widersprechenden Gedanken ergibt einen neuen Gedanken, ihre Synthese”.108 In diesem Zusammenhang muss man betonen, dass die idealistischen Mängel seiner Lehre vom Widerspruch zweifellos die theoretische Grundlage des hegelschen Konservatismus bezüglich der preußischen absoluten Monarchie bilden. Die echt wissenschaftliche Aufdeckung der Wesensart des Widerspruchs ist nur aus der Sicht des dialektischen Materialismus möglich, der den Widerspruch eines konkreten Begriffs als Abbild des objektiven Widerspruchs der Dinge und Erscheinungen selbst betrachtet. Ihrem Wesen nach ist die Bewegung die Auflösung der Widersprüche. Der Widerspruch ist die Quelle der Bewegung. Die Bloßlegung des Widerspruchs im Objekt und die Wege seiner rationalistischen Auflösung bleibt das Wichtige in der dialektisch-materialistischen Logik. Die Frage nach den widersprüchlichen und einander ausschließenden Beziehungen im Prozesse des Warenumtausches berührend schrieb K. Marx im „Kapital”: „Die Entwicklung der Ware hebt diese Widersprüche nicht auf, schafft aber die Form für ihre Bewegung. So ist überhaupt jene Methode, mit deren Hilfe die wirklichen Widersprüche aufgehoben werden”. 79 Dasselbe betonte auch F. Engels: „Da wir hier nicht den abstrakten Prozess des Denkens behandeln, der nur in unseren Köpfen verläuft, sondern den wirklichen, einst stattgefundenen oder noch immer stattfindenden Prozess, so entwickeln sich diese Widersprüche in der Praxis und fanden wahrscheinlich ihre Lösung. Wir werden verfolgen, auf welche Weise sie aufgehoben werden, und werden finden, dass es durch die Festlegung einer neuen Beziehung erreicht wurde, deren zwei gegenüberliegende Seiten wir weiterentwickeln sollen usw.” 110 Im Rahmen der hegelschen dialektisch-idealistischen Logik blieb die echt wissenschaftliche Lehre von der Natur des theoretischen Denkens, vom konkreten Begriff jedoch nicht ausgearbeitet. Ihr Hauptmangel besteht darin, dass sie den Begriff nicht als eine logische Form der Widerspiegelung der objektiven materiellen Wirklichkeit behandelt, sondern als etwas selbständig Lebendes, als ideales „Subjekt”, als reines Denken, als „absolute Idee”, die der objektiven materiellen Welt vorangeht. Hegel zufolge ist Philosophie keine Widerspiegelung der objektiven materiellen Wirklichkeit, sondern eine Darstellung der teleologischen Entwicklung der absoluten Idee. Das sich selbst entwickelnde Denken, nach Hegel, stellt sich selbst als Objekt hin, erkennt und überwindet sich selbst in der höchsten Synthese. Hegels Vokabular ist ein Vokabular der vom Individuum entfernten „reinen Vernunft”. Die wirkliche Welt erscheint für Hegel nur als Gesamtheit von Formen, Mustern, die als Grundlage logische Kategorien haben. Folglich riss die hegelsche Philosophie das menschliche Denken von seinem realen Fundament ab, hypostasierte das Denken und stellte es als die einzig wahre Realität dar. Hegel beschränkte sich nicht auf die Kritik der Gnoseologie des alten Materialismus, sondern zeigte die Dialektik der Denkformen und deckte die innere Dialektik der Bewusstseinsentwicklung auf. Aber die Naturwissenschaft jener Zeit war noch metaphysisch. Dieser Umstand spielte eine bestimmte Rolle im Werden der hegelschen Philosophie und in Hegels Verneinung der Widerspiegelung der Natur durch das Denken. In der hegelschen Philosophie wird das reale Denken falsch und verzerrt verstanden, deshalb musste sein System unvermeidlich fallen. Kritik an der hegelschen Philosophie wurde schon von den Junghegelianern geübt. Aber das war die Kritik der Nachfolger von Hegel, die sein System auf die Theologie anwandten, wobei sie weiterhin auf dem Boden seines Idealismus blieben. Ganz anders ist es mit dem Materialisten Feuerbach bestellt, der die Grundlagen des hegelschen Idealismus einer Kritik unterzog. Für Feuerbach ist die hegelsche Philosophie eine Entfremdung der menschlichen Natur. Gewiss, man muss dabei den feuerbachschen Anthropologismus im Auge haben, den er der alten Philosophie gegenüberstellte. Feuerbach war bestrebt, sowohl Philosophie wie auch Theologie auf Grund der menschlichen Natur zu erklären, die er nur als leiblich und physisch verstand. Er kritisierte stets die idealistische Philosophie wegen ihrer Loslösung des Denkens „vom Leib”. Diese Trennung, so meinte Feuerbach, ist erst in der Sphäre der Philosophie möglich. In Wirklichkeit aber sind sie unzertrennlich. Die wahre Beziehung des Denkens zum Sein, schrieb Feuerbach, ist folgende: „das Sein – das Subjekt, das Denken – das Prädikat”.111 Engels schrieb über den enorm befreienden Einfluss, den „Das Wesen des Christentums” von Feuerbach auf seine Zeitgenossen ausübte. An Stelle der hegelschen abstrakten, übermenschlichen, übernatürlichen „absoluten” Idee setzte er den sinnlich realen Menschen. Natur und Mensch, das ist der wahre Gegenstand der Philosophie. Dabei betonte er die Vielfältigkeit der Natur. Feuerbach stellte den Materialismus in seinen Rechten wieder her, darin liegt sein Verdienst. Feuerbach zeigte sehr prägnant und überzeugend die Mangelhaftigkeit des hegelschen Idealismus. „Der absolute Geist” der hegelschen Philosophie, meinte Feuerbach, ist einfach ein menschlicher Geist, aber ein abstrahierter und vom Menschen und vom realen Boden isolierter Geist. Aber Feuerbach fehlte es an Verständnis der Rolle der hegelschen 109 80 Philosophie, des rationellen Kerns seiner Dialektik. Es ist unmöglich, den ganzen Reichtum der dialektischen Begriffsentfaltung, die ganze Tiefe der hegelschen dialektischen Logik richtig einzuschätzen, und ihn auf Grund des feuerbachschen an einer bestimmten Enge leidenden Materialismus zu verstehen. Die hegelsche Philosophie wurde von Feuerbach nicht überwunden, er lehnte sie einfach ab, erklärte sie für falsch und fehlerhaft. Der Materialismus von Feuerbach war kontemplativ und metaphysisch; das gesellschaftliche Leben verstand er idealistisch. Feuerbach verstand nicht die wahre Natur des Menschen, er war nicht imstande, die Natur des menschlichen Denkens zu erklären. In Feuerbachs System waren die Probleme, mit denen sich die alte Philosophie abgab, nicht gelöst, sie nahmen nur eine andere Form an. Um den deutschen klassischen Idealismus zu überwinden, ist es nicht ausreichend, das Primäre der Natur einfach zu konstatieren. Dafür sollte man bis zur Philosophie des dialektischen Materialismus, bis zum materialistischen Verständnis der Gesellschaft, bis zum Verständnis des Menschen als Gesamtheit der gesellschaftlichen Beziehungen emporsteigen und die Abhängigkeit der Ideen und ihren Gesetzmäßigkeiten vom Charakter der materiellen Produktion erblicken. ________________________________________________________________ 1 Marx K., Engels F. Werke Bd. 20. S.345-347. Descartes R. Ausgewählte Werke. Мoskau, 1950. S.416. 3 Spinoza B. Ausgewählte Werke. Bd.1. Мoskau, 1957. S.186. 4 Descartes R. Ausgewählte Werke. S.417. 5 Ebd. 6 Ebd. S.86. 7 Ebd. S.88. 8 Ebd. S.87. 9 Ebd. S.98. 10 Ebd. S.39. 11 Ebd. S.95. 12 Ebd. S.94. 13 Ebd. S.91. 14 Ebd. S.272. 15 Ebd. S.274. 16 Ebd. S.335. 17 Ebd. S.336. 18 Ebd. S.428. 19 Ebd. 20 Ebd. S.417. 21 Ebd. S.418. 22 Ebd. S.342. 23 Ebd. S.344. 24 Ebd. S.348. 25 Ebd. 26 Ebd. S.349-350. 27 Ebd. S.369. 28 Ebd. S. 360. 29 Ebd. S. 448. 30 Ebd. S. 453. 31 Spinoza B. Ausgewählte Werke. Bd.1. S.361 32 Ebd. 2 81 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71 72 73 74 75 76 77 78 79 80 81 82 Kant I. Werke. Bd.3. S.74 Ebd. Ebd. Bd.4. S.88. Ebd. Bd.3. S.99. Ebd. S.76. Ebd. S.75. Ebd. S.76. Ebd. S.155. Hegel. Werke.Bd.XI. Мoskau.,1935.S.429-430. Marx К., Engels F. Werke.Bd.3. S.1. Kant I. Werke. Bd.4. S.116-117. Hegel. Werke. Bd.1. Мoskau,1930. S.274. Lenin W.I. Gesammelte Werke.Bd.29. S.83 Kant I. Werke Bd.4(1). S.140. Ebd. Bd.3. S.213. Ebd. Bd.4(1). S.73. Ebd. Bd.3. S.186. Ebd. S.182. Ebd. S.176. Ebd. S.175-176. Ebd. S.174. Ebd. S.177. Lenin W.I. Gesammelte Werke.Bd.29. S.86. Hegel. Werke.Bd.1. S.427. Kant I. Werke.Bd.3. S.164. Ebd. S.176. Ebd. S.177. Ebd. S.190. Ebd. S.191. Ebd. S.193. Ebd. S.214. Hegel. Werke. Bd.VI. Мoskau, 1939. S.19. Ebd. S.19-20. Lenin W.I. Gesammelte Werke.Bd.29. S.161. Ebd. Hegel. Werke. Bd. IV. S.26. Ebd. Bd.VI. S.296. Ebd. S. 297. Hegel. Werke.Bd.V.1937, S.49. Ebd. Ebd. S.6. Ebd. S.60. Ebd. S.51. Ebd. S.52. Ebd. S.53. Ebd. S.54. Ebd. Ebd. Ebd. S.55. Ebd. S.57. 82 83 Ebd. S.32. Marx К., Engels F. Werke.Bd.1. S.224. 85 Ebd. S.226. 86 Ebd. Bd.13. S.496. 87 Hegel. Werke.Bd.II. S.11. 88 Ebd. Bd.V. S.32. 89 Ebd. S.33. 90 Ebd. S.20. 91 Ebd. Bd.1. S.267. 92 Ebd. Bd.V. S.28. 93 Lenin W.I. Gesammelte Werke. Bd.29. S.84. 94 Hegel. Die Wissenschaft der Logik. Bd.3.Мoskau,1972. S.36. 95 Hegel. Werke.Bd.II. S.15. 96 Ebd. S.17-18. 97 Ebd. Bd.VI. S.34. 98 Marx К., Engels F. Соч.Bd.12. S.727. 99 Ebd. Bd.38. S.177. 100 Ebd. Bd.13. S.497. 101 Ebd. Bd.12. S.728-729. 102 Hegel. Werke Bd. V. S.484-485. 103 Ebd. S.483. 104 Ebd. Bd.1. S.199. 105 Ebd. S.202. 106 Ebd. Bd. V. S.520. 107 Marx K., Engels F. Werke.Bd.4. S.130. 108 Ebd. S.132. 109 Ebd. Bd.23. S.113-114. 110 Ebd. Bd.13. S.498. 111 Feuerbach L. Ausgewählte philosophische Werke.Bd.II.Мoskau,1955. S.662. 84 83