Kritik in «oper-aktuell» von Herrn Kaspar

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Pfäffikon: AMICI DELL'ARTE (Aufbruch in der Natur), 01.04.2017
Leroy Anderson: The First Day of Spring | Uraufführung: 1954 | Edvard Grieg:
Morgenstimmung aus PEER GYNT | Uraufführung: 24. Februar 1874 in Christiania (heute
Oslo) | Antonin Dvořák: Legenden op. 59 | Uraufführung: 1882 in Prag (Nr. 1-3) und im
selben Jahr in Wien (Nr. 2,5,6) | Émile Waldteufel: Les Violettes op. 148 | Uraufführung:
1876 | Johann Strauss: Frühlingsstimmen op. 410 | Uraufführung: anlässlich eines
Wohltätigkeitskonzerts in Anwesenheit von Franz Joseph II. und Kaiserin Elisabeth im
Theater an der Wien, am 1. März 1883 | Dieses Konzert am 1.4. in der Reformierten Kirche
Pfäffikon ZH um 19.30 Uhr und am 2.4.2017 in der Predigerkirche Zürich um 17 Uhr
Kritik:
Es kommt ja nicht von ungefähr, dass gewisse Werke aus dem
Klassikbereich von Werbefirmen für ihre Auftraggeber vereinnahmt
(missbraucht) werden. Denn alle diese Kompositionen haben neben
ihrer musikalischen Qualität (und dass man ihrer nie überdrüssig
wird) eines gemeinsam: Sie vermögen beim Anhören
Glückshormone auszuschütten! So geschieht einem das auch bei
Edvard Griegs MORGENSTIMMUNG aus seiner Schauspielmusik
zu PEER GYNT, welche im gestrigen Konzert von Marcel
Bilder: K. Sannemann, 1.4.17, Kammerorchester
Blanchard und seinem Kammerorchester AMICI DELL'ARTE in
Amici dell'Arte
der Reformierten Kirche Pfäffikon ZH als zweiter Programmpunkt zu
erleben war. Welch wunderbare Musik, vom Dirigenten mit
fantastischer Klarheit und ausgeklügelter Dynamik aufgebaut und
von den knapp drei Dutzend Musikerinnen und Musikern des
Orchesters sorgfältig und konzentriert gespielt wurde. Zart und
einschmeichelnd beginnt die Soloflöte, ihr Motiv setzt sich über die
Holzbläsergruppe fort und kulminiert eben in einer Glückshormone
freisetzenden Steigerung im Orchestertutti, um sich gegen das
Ende hin wieder in Ehrfurcht vor der Natur leise verebbend zu
verabschieden. Ein anderes Instrument der Holzbläsergruppe, die
Oboe, stand im Zentrum des Eröffnungsstücks des Konzerts,
welches unter dem Motto „Aufbruch in der Natur“ stand: Leroy
Andersons THE FIRST DAY OF SPRING. Hand aufs Herz:
Welchem Musikfreund ist der Komponist Anderson ein Begriff?
Einmal mehr bewies Marcel Blanchard mit seiner Stückauswahl ein
ausgezeichnetes Gespür und nahm das Publikum mit auf eine
spannende Entdeckungsreise. Sicher, dieses Stück mag
Gebrauchsmusik sein, doch sie ist von allererster Güte, versehen
mit einem Hauch von spätromantischem Schwulst und einer Prise
Wehmut. Eindringlich spielte die Solooboistin ihre herrliche Phrase,
setzte das Orchester im Tutti wiederum Gänsehaut-Akzente, brachte die Natur zum Erwachen, die
Orchesterfarben zum Leuchten und Marcel Blanchard verstand es hervorragend, diese Effekte mit Emphase und
Geschmack auszukosten. Auch Émile Waldteufels Konzertwalzer waren einst Gebrauchsmusik an den Höfen der
Kaiser und Könige im 19. Jahrhundert, auch sie mit hochklassigem Schliff komponiert. Bei Waldteufel überrascht
immer wieder sein unaufhörlich sprudelnder melodischer Einfallsreichtum, man hat das Gefühl, dass dieser
Komponist es grandios verstand, an der Schraube seiner Melodien immer noch ein Stück weiter zu drehen, und
doch trifft sie die Hörerwartungen ganz genau, man scheint jeden Ton, jede kommende Harmonie vorauszuahnen.
Es ist also Musik ohne doppelten Boden, eingängig, beschwingt und erneut glücklich machend. Das Orchester
interpretierte diesen Konzertwalzer LES VIOLETTES mit der gebotenen Spritzigkeit, brachte die Melodienseligkeit
mit federndem Witz und Schmiss zum Klingen, so dass man sich unweigerlich dabei ertappte, wie der Fuss zu
wippen begann. Der Konzertwalzer FRÜHLINGSSTIMMEN von Waldteufels Konkurrenten Johann Strauss
beschloss diesen Konzertabend: Strauss' Komposition scheint gegenüber Waldteufels Werk organischer
aufgebaut, konzentrierter die Ausgangsidee umsetzend. Mit präziser Zeichengebung setzte Marcel Blanchard die
Akzente, überhastete die Tempi nicht und sorgte trotzdem für einen fulminanten Schluss.
Im Zentrum des abwechslungsreichen Konzerts stand jedoch eine Musik, die den Schwerpunkt auf einen anderen
Aspekt des Aufbruchs in der Natur legte, Dvořáks LEGENDEN I-IV. Sicher, auch hier sind folkloristische, populäre
Einsprengsel zu hören, wie stets bei diesem Komponisten. Doch kommt bei ihm eine weitere Ebene dazu, die des
Mystischen, Rätselhaften, Melancholischen. Das Orchester durchschritt die verschiedenen Stimmungen mit
austarierter Akkuratesse, begeisterte mit wunderbaren, warmen Introduktionen der Streicher, mit sehr gepflegt
intonierten Einleitungen der Hörner, welche sich dann besonders in der Legende IV kraftvoll und bestimmt
profilieren konnten. Eindringliche Dialoge zwischen wiegenden Streichern und der fordernden Holzbläsergruppe
waren zu erleben, energiegeladene und mit Vehemenz gespielte tänzerische Passagen wechselten mit quasi
vernebelt hereinwehenden Rhythmen. Dvořák war ja bekannt für seine lautmalerischen Orchesterdichtungen (z.B.
DIE MITTAGSHEXE). Schön, dass das Kammerorchester Amici dell'arte uns diesen grossartigen Komponisten
mit seinen eher selten aufgeführten LEGENDEN zur weiteren Beschäftigung mit seinen Orchesterwerken
angeregt hat.
Das Publikum zeigte sich überaus begeistert und liess das Orchester und den Dirigenten erst nach der Zugabe
von Johann Strauss' witzig und mit grandioser Spielfreude vorgetragenen TRITSCH-TRATSCH-POLKA in den
Frühlingsabend aufbrechen.
Tritsch-Tratsch-Polka, Video der Zugabe
Werke:
Leroy Anderson (1908-1975) war ein amerikanischer Komponist schwedischer Abstammung. Er komponierte
viele beliebte Konzertstücke im Auftrag von Arthur Fiedler und dessen Boston Pops Orchestra. Andersons Musical
GOLDILOCKS lief am New Yorker Broadway, seine populären Musikstücke waren erfolgreich in den US-Charts,
wurden in Filmen eingesetzt (SLEEPLESS IN SEATTLE mit Meg Ryan und Tom Hanks) oder als
Erkennungsmelodien verwendet (Radio Luxemburg, The Late Show, Büro, Büro).
Die Morgenstimmung aus Edvard Griegs (1843-1907) Schauspielmusik zu Ibsens grandiosem Drama PEER
GYNT ist wohl jedem bekannt, auch wenn ihm der Name des Komponisten nicht geläufig ist. Kaum ein anderes
Musikstück aus dem Klassikbereich wurde öfter für Werbezwecke ge- und missbraucht als die Morgenstimmung
aus PEER GYNT, von Margarine über Waschmaschinen zu Bier. Die Band In Mood &Juliette verwendete die
Melodie für ihren erfolgreichen Song Ocean of light.
Antonin Dvořák komponierte seine LEGENDEN ursprünglich für Klavier zu vier Händen. Die Komposition dieser
zehn kurzen Stücke fiel in die Zeit der Entstehung seiner sechsten Sinfonie. Noch im selben Jahr (1881) erstellte
er ein Arrangement der LEGENDEN für Orchester. Die Komposition ist dem scharfzüngigen Wiener Kritiker
Eduard Hanslick gewidmet. Wie oft in seinen Werken verbindet Dvořák folkloristische Weisen mit romantischem
Klang. Harmonisch geht der tschechische Komponist in dieser Komposition hoch interessante, experimentelle
Wege. In diesem Konzert werden die ersten vier der zehn LEGENDEN gespielt.
Émile Waldteufel (1837-1915) wurde in Strasbourg geboren. Im Alter von 27 Jahren wurde er Hofpianist der
Kaiserin Eugénie und Leiter der Bälle des Kaiserpaars in Biarritz und Compiègne. Auch begleitete er den Violine
spielenden Kaiser Napoléon III am Klavier. All seine Kompositionen entstanden am Klavier, er orchestrierte sie
jeweils später. Seine unzähligen Walzerkompositionen waren ausserordentlich beliebt, selbst der englische König
Edward VII. engagierte Waldteufel für Konzerte. In Berlin lieferte sich Waldteufel einen freundschaftlichen
Wettstreit mit dem Walzerkönig Johann Strauss. Sein bekanntestes Werk ist wohl der Schlittschuhläufer-Walzer.
Seine ESPAÑA – Bearbeitung (nach Chabrier) wurde vom Schlagerduo Cindy und Bert in den 70ern vereinnahmt
und fand den Weg so in die deutsche Hitparade. Der Estudiantina Walzer wurde zum Jingle für Rheingold-Bier
und wurde auch auf der untergehenden TITANIC noch gespielt.
Der FRÜHLINGSSTIMMENWALZER gehört in der Orchesterfassung zu den beliebtesten Walzern des
unumstrittenen Walzerkönigs Johann Strauss (1825-1899), wurde oft auch in der Pop- und Filmkultur weiter beund verarbeitet. Der britische Choreograf Sir Fredrick Ashton schuf einen Pas de deux dazu für Merle Park und
Wayne Eaglen. Die ursprüngliche Fassung für Koloratursopran und Orchester mit dem Text von Richard Génée
(der auch den FLEDERMAUS-Text geschrieben hatte) war erst weniger erfolgreich. Doch wenn man sich
heutzutage die FRÜHLINGSSTIMMEN mit Kathleen Battle oder Natalie Dessay anhört, kommt man ins
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