Heiner Geißler: „Internet schafft neue Ära der Aufklärung“

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PRESSEMITTEILUNG
21. Oktober 2011
MEDIENTAGE MÜNCHEN 2011 vom 19. bis 21. Oktober
Content-Gipfel: Meinungsbildung heute: Wer setzt die Themen auf die politische Agenda?
Heiner Geißler: „Internet schafft neue Ära der Aufklärung“
München – Ist die repräsentative Demokratie durch die verstärkte Bürgerbeteiligung über das Internet in die Krise gekommen? Ein Stück weit schon, waren sich die Diskutanten beim ContentGipfel der MEDIENTAGE MÜNCHEN einig. Zumindest ist die Politik nun mit einer schnellen NetzCommunity konfrontiert, die es den etablierten Parteien und den Meinungsmachern in den klassischen Medien erschwert, die Meinungsbildung zu steuern. Oder, wie es der Politiker und Stuttgart
21-Schlichter Dr. Heiner Geißler ausdrückte: Der Fakten-Check werde einfacher, das Lügen
schwerer: „Das Internet“, so lautete seine These, „schafft eine neue Ära der Aufklärung.“
Den Informationsgewinn und die verstärkten Partizipationsmöglichkeiten durch Blogs und soziale
Medien analysierte auch Thomas Krüger, Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung. In
seinem Impulsreferat zum Thema: „Revolutionsplattform Facebook? Wie das Internet politische
Umbrüche beeinflusst“ bezweifelte er, ob die Meinungsbildung durch die Partizipation 2.0 tatsächlich wirklich basisdemokratisch geworden sei. Soziale Medien bestimmten zwar den Mainstream
mit, machten aber etwa Protestbewegungen, die auf die Straße gingen, nicht überflüssig. Die
technische Reichweite des Internet vereinfache den öffentlichen Diskurs. Doch eine aufgeklärte
und demokratische Gesellschaft dürfe nicht von der Technik getrieben werden. Andernfalls drohe
womöglich eine „Diktatur der Unvernetzten“. Die Debatte über den digitalen Wandel müsse auch
im öffentlichen Raum stattfinden, sagte der Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung.
Schließlich gebe es im Internet auch eine von Facebook, Google, Twitter & Co kontrollierte Öffentlichkeit. Krügers provokante These zum Einstieg in die Diskussion: Eine kleine Elite aus Meinungsmachern, Politikern und Lobbyisten setzen die Themen für den großen Rest der Öffentlichkeit. Und diese Selbstreferentialität präge auch das Internet.
Agenda-Setting durch ein Elite-Netzwerk? Dieser These widersprach Detlef Esslinger. Der stellvertretende Ressortleiter für Innenpolitik der Süddeutschen Zeitung betonte, die Themen würden nach
dem Zeitgeist gesetzt, weil sich die Menschen nicht vorschreiben ließen, worüber sie diskutieren.
Allerdings, schränkte Politikberater und Blogger Michael Spreng ein, komme ein Thema erst dann
wirklich zur Geltung, wenn das Zusammenspiel aller Mediengattungen funktioniere. Als Beispiel
dafür führte er den während der MEDIENTAGE MÜNCHEN viel zitierten Bundestrojaner an. Blogger Markus Beckedahl, Vertreter eben jener Netzwelt, die für die Diskussionsteilnehmer ein neues
„Lebensgefühl“ symbolisiere, sieht das Zusammenspiel zwischen alten und neuen Medien nur als
Übergangsphase. Die Meinungsbildung „von unten“ werde immer stärker an Bedeutung gewinnen
– allein deshalb, weil die Organisation von Kampagnen und Protesten durch die Orts- und Zeitunabhängigkeit des Internet sehr viel einfacher werde.
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Der Begriff des Agenda-Setting werde genauso überschätzt wie die so häufig beschworene revolutionäre Wirkung des Internet, betonte dagegen der Publizist Dr. Wolfram Weimer. Das Feedback
auf die journalistische Themeneinordnung verändere das, was die Medien machen, ergänzte Christoph Keese, Konzerngeschäftsführer Public Affairs bei Axel Springer. Er warnte davor, zu unterschätzen, dass „unser Blickfeld“ in Wahrheit auch im Internet verengt werde. Am Ende bekämen
die Nutzer nur noch ihre eigene Meinung präsentiert (Tunneleffekt). Nach Ansicht von Michael
Spreng haben die klassischen Medien ihre Meinungsführerschaft an ihre Online-Medien abgegeben (Beispiel: Spiegel online), die eine direktere Lenkung als die Printausgaben ermöglichten.
Die Meinungsführerschaft der Leitmedien werde generell überschätzt, betonte dagegen Weimer:
„Die wesentlichen Triebkräfte in der Gesellschaft sind unabhängig davon, mit welchem Megaphon
gerufen wird.“ Doch wie verändern sich Politik und Gesellschaft durch das Online-Megaphon? Die
Demokratie sei in eine neue Phase getreten: Online-Beteiligung wäre ein Wert an sich. Allerdings
müsse einkalkuliert werden, dass nicht jeder Sender auf einen Empfänger stoße, gab Esslinger zu
bedenken.
Am Beispiel des Erfolgs der Piratenpartei in Berlin versuchten die Experten auf dem Gipfel-Podium
abschließend die Auswirkung des digitalen Wandels auf Meinungsbildung und Politikbetrieb zu
analysieren. In der Öffnung liege die Chance für die politischen Parteien, die das Internet weitgehend noch nicht verstanden hätten, kritisierte Spreng, der die von der Piratenpartei beschworene
Transparenz allerdings für eine große Lüge hält, weil die selbst ernannten Piraten selbst auch häufig anonym agierten: „Es ist nicht mehr üblich, Gesicht zu zeigen.“ Doch Anonymität dürfe in einer
freiheitlichen Demokratie nicht zur Regel werden.
Beckedahl hingegen findet es sehr wichtig, Meinungen äußern zu können, auch „ohne sein Gesicht zu zeigen“. Einig waren sich die Diskussionsteilnehmer mit Bezug auf die Piratenpartei allerdings, dass deren Erfolg eine „massive Entfremdung weiter Teile der Bevölkerung von den etablierten Parteien“ (Weimer) ausdrücke. Nach Ansicht von Geißler ist der Wahlerfolg der Piraten ein
Protest gegen die Basta-Politik der etablierten Parteien. Der Politiker nahm die These von Krüger
vom Wandel der repräsentativen Demokratie zur Mitmach-Demokratie auf und ergänzte sie durch
einen dritten Schritt: Die Menschen könnten online jetzt argumentativ mitbestimmen, eine Entscheidungsdemokratie sei aber durch das Internet noch nicht realisiert.
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