Hanspeter Frick Was macht das „Singen mit Kindern (SIMIKI ©)“ so bedeutungsvoll auch für die allgemeine Bildung der Kinder und was leistet diesbezüglich der Verein zur Förderung des Singens mit Kindern? 1. Der Verein zur Förderung des Singens mit Kindern belebt und fördert ein verloren gegangenes Gut: die Fähigkeit von Eltern und anderen Erziehungspersonen, auf ganz natürliche Art mit Kindern zu singen und musikalisch zu spielen! Eltern werden eingeladen, sich an gezielten Musizierprogrammen gemeinsam mit ihren Kindern zu beteiligen und erwerben so wieder eine verloren gegangene Kompetenz zurück, welche so hilfreich für eine tiefe emotionale Bindung1 fürs Leben sein kann. a. Kindern werden dadurch nicht nur Grundlagen für musikalische Entwicklung angelegt. Darüber hinaus wird durch feinfühlige, liebevolle musische Gestaltung der Lebenswelt die Grundlage geschaffen für unschätzbare Chancen: Ausgleich der intellektuellen und emotionalen Persönlichkeitsentwicklung Förderung der Ressourcen für den Sprach- und Wissenserwerb. Dem Sinnesorgan Ohr als „Tor zur Seele“ wird in hohem Maße Beachtung geschenkt, um die Charakter bildenden Eigenschaften der Musik nutzbar zu machen. Rhythmik, als Struktur von Text und Melodie, prägt in hohem Maße die Fähigkeiten, welche für die Ausbildung der sprachlichen Kompetenzen (Sinn für Syntax, Grammatik und Semantik)Bedeutung haben. Passiv können hier bereits fremdsprachliche Idiome einfließen. b. Wir möchten dazu wieder bewusst die Kompetenzen in die Hände der den Kindern am nächsten stehenden Personen legen und nicht allein Institutionen anvertrauen, da auch die Bindung zwischen Eltern und Kind dadurch gestärkt wird und dies wiederum fördernd auf die kindliche Entwicklung wirkt. Um die positiven Eigenschaften des Musizierens (Intelligenz- und Kreativitätsförderung, Stärkung der Selbst- und Sozialkompetenz 2 u.s.w.) nutzbar zu machen, müssen diese früh und in hoher Qualität mit großem emotionalem Anteil (Freude) erfahrbar sein. Selbst ein hohes Ausmaß musikalischer Förderung im Schulalter, kann nur bedingt Früchte tragen, da nur noch auf 1 2 Decker – Voigt, Hans Helmut: Mit Musik ins Leben, Kreuzlingen 1999. bei Gardner „intra –bzw. interpersonale Intelligenzen“ einen geringen passiven Musikschatz zurückgegriffen werden kann. Den Grund dafür sehen Experten3 in der schwindenden Tradition selbst von Ansätzen aktiven Musizierens in Familien (z.B. Singen, Musik-, Tanz-, Kniereiterspiele) mit Kindern ab der frühesten Kindheit: „Sowohl das diesbezügliche traditionelle Wissen als auch eine lebendige Alltagskultur des Singens gehen in unserer Gesellschaft zunehmend verloren“. 2. Daher haben wir in der ersten Ausbaustufe eine Ausbildung kreiert, bei welcher Multiplikatoren mit den Fähigkeiten ausgestattet werden sollen, Eltern-Kind-Singgruppen anzuleiten. Dadurch geben diese über ein niederschwelliges Mitmachangebot einem in nächster Nähe zur eigenen Lebenswelt liegenden Personenkreis praktisch das Know-how weiter. Damit können wiederum viele Familien darin gestärkt werden, mit ihren Kindern auf diese wertvolle Art und Weise musikalisch zu interagieren. 3. Wir sind davon überzeugt, dass unser Angebot, das sich auf jüngste entwicklungspsychologische Erkenntnisse und auf Ergebnisse der Kognitions- und Lern- und Sozialforschung stützt, bisher zu extensiv genutzte Ressourcen ausschöpfen hilft, welche weder von den Institutionen Kindergarten, Schule noch Musikschule in geforderter Frühe des Alters noch der erforderlichen Intensität gefördert werden können. Daher sehen wir uns als Zusatzangebot zu den bestehenden institutionellen Angeboten. Psychologische Hintergründe Ø Neurobiologische Erkenntnisse: Willi Stadelmann (Direktor der Päd. Hochschule Zentralschweiz): „Musizieren stimuliert das Gehirn und bildet Strukturen, die die Lernfähigkeit erhöhen können. Das Spielen eines Instrumentes ist eine der komplexesten menschlichen Tätigkeiten. Sie führt zur Bildung von Hirnstrukturen, die auch für andere Lerntätigkeiten eingesetzt werden können, zum Beispiel beim Spracherwerb oder in der Mathematik.“4 Ø Lerntheoretische Erkenntnisse: Das Gehirn ist in den ersten Lebensjahren besonders lernfähig und verfügt über eine hohe Kapazität. Alle Impulse und Erfahrungen tragen zu Ausbildung und Wachstum der neuronalen Hirnverbindungen bei und fördern damit die Leistungsfähigkeit des Gehirns. Positive emotionale Stimmungen bewirken eine erhöhte Lernbereitschaft, negative hingegen, wie z.B. Angst, hemmen diese. Für H. Brupbacher, E. Garo, E.W. Weber, in: „Musikalische Bildung in der Schweiz“, Studie im Auftrag des Bundesamtes f. Kultur, 2004, Materialband S. 21. 3 4 St.Galler Tagblatt, 4.Oktober 2005 den lustvollen kreativen Umgang mit Aufgaben und Herausforderungen sind positive Rückkoppellungen notwendig. Jeglicher spätere Aufbau von Fertigkeiten kann nur auf einem soliden Fundament an entsprechenden Grunderfahrungen stattfinden, die in „sensiblen Hirnwachstumsphasen“ ausgebildet werden können, jedoch nur, wenn entsprechende Umweltreize dies erfordern. Verbleiben Entwicklungsphasen ungenutzt, schließen sich Entwicklungsfenster und eine spätere „Öffnung“ ist nur mehr bedingt bzw. mit hohem Aufwand möglich. Ø Erkenntnisse der Intelligenzforschung: Howard Gardner hat erstmals die Musikalische unter den 9 Intelligenzen in ihrer eigenen Qualität hervorgehoben. Darunter versteht er Die Fähigkeit in Musik zu denken, musikalische Rhythmen und Muster wahrzunehmen, zu erkennen, zu erinnern, umzuwandeln und wiederzugeben. Viele Komponisten, Musikerinnen und Dirigenten sprechen davon, ständig «Töne im Kopf» zu haben. Neue Untersuchungen zeigen, dass eine frühe musikalische Förderung viele andere Intelligenzbereiche wesentlich und positiv beeinflusst. Intelligenz kann weder nur durch eine IQ-Zahl erfasst, noch bloß anhand von Leistungen erkannt werden. Faktoren wie Motivation und Kreativität sowie das Umfeld des Kindes spielen eine große Rolle. Was wir ebenfalls wissen ist, dass Begabungen durch das Zusammenspiel von erblichen Anlagen und Umwelt bestimmt werden. Das heißt: Begabungen können verkümmern oder sich entfalten. Deshalb ist es wichtig, diese früh zu erkennen und zu fördern. Ø Erkenntnisse über die psychosoziale Entwicklung d. Menschen: Als hervorragendste Erkenntnis aus der sechsjährigen Langzeitstudie an Berliner Grundschulen 2000 wies Hans Günther Bastian5 die sozialpädagogische Wirkkraft der Musik nach. Musizierende Kinder lehnen andere signifikant weniger ab („den mag ich nicht“) als in der Kontrollgruppe ohne Musikschwerpunkt. Das heißt, Musikalisierung per se, stärkt Selbst- und Sozialkompetenz. (Musik-)didaktische Hintergründe Ø 5 Aufbau eines passiven Musikschatzes: Die musikalische Intelligenz kann nur durch aktives Musizieren gefördert werden. Nach dem, was unter „Lerntheoretische Erkenntnisse“ dargelegt wurde, hängt von einer frühen Interaktion mit der musikalischen Umwelt auch die Erfolgsquote eines späteren Musikunterrichts ab. Mit anderen Worten: Erfolg und Qualität der musikalischen Ausbildung hängen mit der frühen emotionalen Bindung an musikalische Erfahrungen und der damit zusammenhängenden Ausbildung musikalischer Grundkenntnissen zusammen. Bastian, Hans Günther: Kinder optimal fördern, Schott Musik International, 2001. Ø Vernetzung von Bewegung und Ausdruck: Jede musikalische Äußerung ist mit Bewegung und innerer Regung verbunden. Sowohl die musikalische Ausdruckskraft, wie auch die „intrapersonalen und interpersonalen Intelligenzen“ können dadurch gefördert werden. Ø Ausbildung Rhythmischer Grundstrukturen: Das rhythmische Empfinden prägt sich in den ersten Lebensmonaten aus und ist über die musikalische Komponente der Sprache (Rhythmik, Gliederung, Melodie) Grundlage für die Ausbildung sprachlicher Syntax, Grammatik und Semantik. So kann den Sprach- und Lernschwierigkeiten, welche 7% der 12 Jährigen aufweisen entgegnet werden6. Dadurch werden durch frühe musikalische Interaktion Grundqualifikationen sowohl von Musik- und Sprachentwicklung entfaltet Ø Ausbildung von Wahrnehmungs- und Höreigenschaften: Es sind „wahrnehmen“ und „hören“ im funktionalen Sinne zu unterscheiden. Beides wird begünstigt durch aktives Musizieren. Wahr nehmen beginnt mit dem ersten Erfahren von Stimmen und Stimmungen im Mutterleib ab dem 5. vorgeburtlichen Lebensmonat. Das Ohr bleibt auch nach der Geburt wichtigstes Sinnesorgan. Es „führt die Welt in den Menschen, während das Sehen den Menschen in die Welt hinaus führt“ (Zen-Spruch). „An Musik lernt das Kind die Welt und sich auf einer nichtverbalen Ebene kennen, die bereits im 2. Jahr, mit dem Spracherwerb nahezu fertig ausgebildet ist“(Decker – Voigt). Sprachstrukturen werden ganzheitlich implizit erworben, was seinen Abschluss mit ca.6 Jahren findet. Auch musikalische Strukturen, wie z.B. das Unterscheiden von Tonhöhen, strukturelle Bauelemente der Musik, wie Tonstufen, Intervallempfinden, Formenaufbau werden implizit erworben durch die aktive musikalische Erfahrung beim ersten experimentieren mit der eigenen Stimme und dem Hören und Antworten auf eine musikalische Umwelt (Sing-Sang in der Sprache, Lieder und Reime, die Spiel und Tagesablauf mitgestalten etc.). Gezielte Ausbildung kann dann auf diese Grundfertigkeiten aufbauen. Ø Nutzung der „offenen Entwicklungsfenster“: Während seiner Entwicklung durchläuft das Kind so genannte "sensible" oder "sensitive Perioden". In solchen Phasen ist das Kind in besonderer Weise empfänglich für bestimmte Anreize aus der Umwelt, zum Beispiel im Zusammenhang mit Bewegung, Sprache oder sozialen Aspekten. Findet das Kind während einer sensiblen Phase eine Beschäftigung, die genau seine Bedürfnisse anspricht, ist das Kind zu einer tiefen Quelle: „Musikalische Bildung in der Schweiz“, Studie im Auftrag des Bundesamtes f. Kultur, 2004. 6 Konzentration fähig. In einer solchen Phase tiefer Konzentration lässt sich das Kind nicht von anderen Reizen ablenken – es durchläuft einen Erkenntnisprozess, der nicht nur sein Denken, sondern laut Maria Montessori seine gesamte Persönlichkeitsentwicklung positiv beeinflusst. Analog zur Sprachentwicklung, wozu empirische und experimentelle Untersuchungen 7 Thesen lieferten, folgt auch die Musikalische Reifung weitgehend (begünstigt durch eine genetische Veranlagung dazu) den Gesetzen der Nachahmung von aus der Umwelt erfahrbaren akustischen Reizen. Kinder sind bist zum 6.Lebensjahr sensibel und offen für weit mehr Laute, als Erwachsene diese noch reproduzieren können. Eine anfängliche Rezipier- und Reproduzierfähigkeit und für sämtliche Sprachlaute, die sich in der Umgebung vorfinden lassen, wird im Laufe der Entwicklung zu Gunsten einer Vertiefung in der Muttersprache wieder verlernt. Diese für die Nutzung einer Fähigkeit offenen Entwicklungsphasen sollten auch für den Erwerb elementarer musikalischer Strukturen genutzt werden. Denn nur dadurch kann eine Vertiefung des Musikalischen und daher die Fähigkeit zu spielerischer und kreativer Anwendung und Ausübung von Musik erlangt werden. 7 u.a. von J. Piaget, N. Chomsky, J.S. Bruner