4 16 Auszug aus Ausgabe 4 August 2016 Vertrieb & Marketing Vertrieb 2.0 ISSN: 1611-2997 Von Dr. Günter Bleimann-Gather X_Rubrik_Unternehmen_Autor Vertrieb & Marketing Vertrieb 2.0 Nach 18 Jahren liberalisiertem Energiemarkt ist für etablierte Grundversorger längst der Zeitpunkt gekommen, Marketing und Vertrieb zu überdenken. Erwiesen sich die Kunden lange Zeit als treu, so steigt die Wechslerquote für Strom und Gas seit Jahren kontinuierlich an. Von Dr. Günter Bleimann-Gather, Vorstand Tema AG D er Wettbewerb um Energiekunden intensiviert sich weiter und wird durch die zunehmende Anzahl an Wettbewerbern im Markt weiter verstärkt. Immer mehr unabhängige Anbieter kämpfen mit Niedrigpreisprodukten um das Kundenpotenzial. Zuletzt hat jedoch das Bild der günstigen Stromanbieter infolge der Insolvenzen von Teldafax und Flexstrom stark gelitten. Man hat sich mit nicht tragfähigen Geschäftsmodellen „verzockt“, Kunden verprellt und verloren. Ein günstiger Zeitpunkt also für die Grundversorger, sich auf ihre Werte zu besinnen und nicht nur neue Kunden zu gewinnen, sondern vor allem ihre Bestandskunden zu sichern. Vom Gejagten zum Jäger Welche Werte sind das und wie werden sie in Marketing- und Vertriebsstrategien umgesetzt? Vertrauen, Seriosität und Zuverlässigkeit sind das Pfund, das die Grundversorger in die Waagschale legen können. Haben sie dann noch Ökovarianten ihrer Produkte im Portfolio, ist der nach Sicherheit verlangende Verbraucher geneigt, nicht mehr ausschließlich auf den Preis zu schauen. Zudem heben sich Stadtwerke und regionale Versorger vom breiten Markt durch das Angebot von Energiedienstleistungen ab. Ihr Portfolio reicht dabei von umfangreichen Energieberatungsleistungen über Wartungsverträge bis hin zu Contractinglösungen. Das Marketing muss das zumeist vorhandene Image hinsichtlich Verlässlichkeit so weit nach vorne stellen, dass die implizierte „Hochpreisigkeit“, wenn schon nicht dahinter verschwindet, so doch zumindest als gerechtfertigt wahrgenommen wird. Gefragt sind Strategien, die den Verbraucher in den Mittelpunkt stellen, seine Bedürfnisse, seine Sorgen. Kundenorientierung, Modernität und Sicherheit sind folglich die Faktoren, die im Marketing zum Einsatz kommen müssen und diese gelten für Image- und für Produktkampagnen gleichermaßen. 2 Auszug aus e|m|w Heft 04|2016 Viele etablierte Versorger besitzen bereits ein gutes Image, aber es mangelt häufig an marktfähigen und vor allem kommunizierbaren Produkten, die auf die Kundenbedürfnisse zugeschnitten sind. Hier gilt es, Produkte in Marken zu verwandeln und in Form von einfachen, leicht verständlichen Tarifen anzubieten. Verändertes Konsumentenverhalten Für die Verbraucher vollzieht sich gerade bereits die zweite „Energiewende“ in kurzer Zeit. Die erste begann mit der oben erwähnten Liberalisierung, die zweite geht einher mit der Abkehr von Atomkraft und fossilen Energieträgern hin zu erneuerbaren Energien. Hat die erste Energiewende den Markt mit einer unüberschaubaren Menge an neuen Anbietern überschwemmt, die dem Verbraucher zwar mehr Auswahl, aber auch ein Mehr an Unsicherheit beschert haben, so wird die zweite Wende vor allem den Erzeugermarkt deutlich verändern. Die verstärkte Dezentralisierung, aber auch die generelle Hinwendung zu Erneuerbaren Energien und das wachsende Bewusstsein der Verbraucher für Preis und Ökologie werden nicht nur das Nachfrageverhalten verändern, sondern auch aus Konsumenten Erzeuger machen. Daraus ergeben sich einige wichtige Erkenntnisse. Erstens wollen die Menschen von der Energiewende überzeugt werden. Zwar hat eine Mehrheit der Deutschen den Atomausstieg begrüßt, eine mindestens genauso große Mehrheit fürchtet nun aber als negativen Folgen steigende Preise und eventuelle Versorgungslücken. Zweitens wird sich das Konsumentenverhalten weiter wandeln. Verbraucher vergleichen mehr, informieren sich besser und wollen günstige Energie, energieeffiziente Geräte oder neue Techniken nutzen, die es ihnen ermöglichen, Energie zum richtigen Zeitpunkt günstig einzukaufen und den Verbrauch zu reduzieren. Und zahlreiche Vergleichsportale machen es den Kunden leichter denn je, die Strom- und Gaspreise zu vergleichen und den Anbieter zu wechseln. Es gibt mehr und mehr „Anbieterhopper“, die in regelmäßigen Abständen ihren Tarif checken und dann auch zu einem günstigeren Anbieter wechseln. Drittens werden immer mehr Verbraucher zu Erzeugern: im eigenen Haus mit Solarpanels, Geothermie oder einem MikroBlockheizkraftwerk oder im Verbund mit anderen, als Teilhaber einer kleinen Windkraftanlage oder eines Biomassekraftwerks. Viele Eigenheimbesitzer nutzen inzwischen sogar die Möglichkeit, den selbst erzeugten Strom in Akkumulatoren zu speichern und machen sich so immer unabhängiger von den Energieversorgern. So mancher Hausbesitzer träumt gar davon, sein Eigenheim komplett energieautark zu machen und völlig unabhängig vom Stromnetz zu sein. Komplexe Produkte verkaufen In einem Markt mit informierten Konsumenten geht es nunmehr darum, die Marketingbotschaften zu schärfen, zu vereinfachen und an ihre Bedürfnisse anzupassen. Zudem geht es gerade bei der Entwicklung neuer Produkte darum, die Politik und die Lobbyverbände, zu denen die Verbraucherorganisationen gehören, zu überzeugen. Denn hier können große Mengen an Fördermitteln verloren gehen oder gewonnen werden. Marketing muss auch die drängenden Fragen der neuen Erzeuger beantworten. Welche ist die richtige Technologie? Für welche Art der Erzeugung entscheide ich mich? Wie kann ich überschüssige Energie ins Netz einspeisen? Aufklärungs- und Informationskampagnen, wie sie Tema für einen großen kommunalen Versorger durchgeführt hat, senkten nachweislich und erheblich die Wechselquote für mehrere Monate. Branding heißt das Zauberwort Aus Marketingsicht haben sich die Entwicklung eines intelligenten Brandings Vertrieb & Marketing Foto: © fotolia/Gajus Image und Renommee aufgebaut werden soll. Vor dieser komplexen Herausforderung stehen insbesondere Firmen, die aus einer Fusion hervorgegangen sind. Bevor eigenständige Produktmarken etabliert werden können, sollte im ersten Schritt das neue Unternehmen bekannt und in der Markenwahrnehmung der Kunden verankert sein. Die Pluspunkte einer Unternehmensmarke liegen darin, dass Faktoren wie Vertrauen, Kompetenz oder Sicherheit kommuniziert werden können. So steht der Versorger mit seinem Markennamen für ein umfassendes Leistungsspektrum rund um die Energie. Dazu reicht allerdings kein noch so pfiffiger Slogan. Entscheidend ist vielmehr das damit verknüpfte Angebot. (Ausbildung einer Markenpersönlichkeit) sowie der Aufbau eines Added Value (zusätzlicher auf den Kunden fokussierter Markenwert) als schlagkräftige Maßnahmen erwiesen. Beide Aktivitäten unterstützen sowohl die Gewinnung als auch die Bindung der Kunden. Eine erfolgreich implementierte Marke erweist sich als entscheidender Differenzierungsfaktor auf dem Commodity-Markt Strom. Zumal ein positives, sympathisches Markenimage ein „austauschbares“ Produkt wie Strom zu einem unverwechselbaren Unikat verwandeln kann. Daraus resultieren in letzter Konsequenz größere Spielräume hinsichtlich der Preisgestaltung. Denn die Kunden sind bereit, für ein hochwertiges Produkt deutlich tiefer in die Tasche zu greifen. Es gibt ausreichend Beispiele aus dem Bereich der Mineralölhersteller, die belegen, wie erfolgreich diese Mechanismen greifen. Aber auch in der Energiewirtschaft selbst gibt es derlei Beispiele. Durch soziales, kulturelles und umwelttechnisches Engagement ist es diversen EVU gelungen, eine positive Marke zu kreieren und gleichzeitig für die Kunden ein Added Value im Rahmen von hochwertigen Veranstaltungen oder Förderprojekten zu schaffen. Derartige Markenpersönlichkeiten entwickeln sich, wenn ein Produkt oder eine Dienstleistung fest in der Wahrnehmung der Klientel verankert ist und damit positive Aspekte assoziiert werden. Über das Branding werden bestimmte Eigenschaften kolportiert, die als Qualitätsversprechen und dem Kunden einen Mehrwert vermitteln. Für eine solche einzigartige Iden- Fazit Die Entwicklung einer eigenständigen raffinierten Brand ist ein geeigneter Weg, um beim Kunden die Bereitschaft zur Markentreue zu wecken oder neue Kunden zu gewinnen. Ganz gleich, ob es sich um Produkt-, Dach- oder Unternehmensmarke handelt. Es ist weiterhin sinnvoll, einen emotionalen Zusatznutzen zu kommunizieren, da gerade Strom in den Augen der Verbraucher als „Low-Involvement-Produkt“ betrachtet wird. Diesen Zusatznutzen nehmen die Kunden dann war, wenn Energie kognitiv mit entsprechenden Effekten wie Hitze zum Kochen oder Wärme fürs Wohnen verknüpft wird. So wird aus dem anonymen, austauschbaren Strom ein individuelles Produkt, das einen entscheidenden Beitrag zum Erhalt beziehungsweise der Steigerung der persönlichen Lebensqualität leistet. tität ist ein hoher Bekanntheitsgrad der Marke sowie ein zielgruppenspezifisches integriertes Kommunikations- beziehungsweise Marketingkonzept mit all seinen Facetten die Voraussetzung. Dazu bedarf es eines professionellen Zusammenspiels der Kommunikationsinstrumente. Dazu gehören unter anderem die Pressearbeit, eine Webseite, diverse Printmedien wie Imagebroschüren und Flyer, sowie Suchmaschinenmarketing, Veranstaltungen, Unternehmensfilme und Social Media. Einzel- oder Dachmarke Produktmarken können als Dach- oder Einzelmarke aufgesetzt werden. Beide Ansätze haben ihre Berechtigung. Für eine Dachmarke spricht, dass die positive Ausstrahlung eines Produkts auch auf die anderen Produkte des Unternehmens transferiert werden kann (Synergieeffekte). Das setzt allerdings eine koordinierte Vermarktung der einzelnen Produkte voraus. Demgegenüber besteht die Gefahr, dass durch den gemeinsamen Auftritt unterschiedlicher Produkte kein präziser Markenkern etabliert wird. Einzelmarken wiederum zielen darauf ab, für einzelne Produkte Marken zu entwickeln und am Markt zu platzieren. Über sie können die Unternehmen „Produktpersönlichkeiten“ entwickeln und kommunizieren. Darüber hinaus können sie zu einem späteren Zeitpunkt zu Markenfamilien ausgebaut werden. Das käme in Frage, wenn weitere Produkte und Services unter dieser Brand vermarktet werden sollen. Neben den Produkten kann der Versorger selbst Gegenstand eines Branding sein. Das ist dann der Fall, wenn der Bekanntheitsgrad des Unternehmens gesteigert sowie ein positives DR. GÜNTER BLEIMANN-GATHER Jahrgang 1952 Studium der Mathematik, Physik, Psychologie an der RWTH Aachen und am CERN, Genf 1988-1990 Marketingleiter, debis – Daimler Benz Systemhaus 1990-1994 Geschäftsführer, Parsytec GmbH seit 1994 Gründer und Vorstand, TEMA Technologie Marketing AG, Aachen [email protected] Auszug aus e|m|w Heft 04|2016 3 energate gmbh Norbertstraße 5 D-45131 Essen Tel.: +49 (0) 201.1022.500 Fax: +49 (0) 201.1022.555 www.energate.de www.emw-online.com Bestellen Sie jetzt Ihre persönliche Ausgabe! www.emw-online.com/bestellen