54 Die Rolle des Marketings Das Einzige, was stört, ist der Marketingverantwortliche Von Christian Belz Im Gerangel der Märkte sind die Unternehmen gefordert. Es gilt, die potenziellen Kunden wirksam zum Kauf zu führen. Die Mittel sind knapp, und der Erfolgsdruck ist hoch. Leider lösen manche Marketingverant­ wortliche diese Probleme nicht – sie sind Teil davon. Spezialisten und ihre Aufgaben Für folgende Aufgaben sind Abteilungen und Spezialisten in Marketing und Vertrieb zuständig: Markenführung, internationales Marketing, Produktmanagement (auch als Verbindung zur Technik), Werbung, Online-Marketing, Messeauftritte und einiges mehr. Auch der Vertrieb hat vielfältige Ausrichtungen; Beispiele sind Grosskundenmanagement, Kleinkundenmanagement, direkter und indirekter Regionalvertrieb. Zwischen Marketing und Vertrieb liegen das Customer-Relationship-Management und das Direktmarketing, das Multichannel-Management, der Kundenservice und die Kunden-Kontaktzentren. Zudem spielen Informatik, Controlling und Produktion mit. Flankiert wird jede Gruppe durch mehr oder weniger externe Dienstleister. Selbstverständnis des Marketings Im Selbstverständnis des Marketings scheinen insbesondere die Positionierung und Nicht der schnöde Umsatz steht im Vorder- das Image wichtig. Ansätze sind Marke, Corporate Identity, unverwechselbare grund. Ästhetik und gekonnte Firmenauftritte in jeder Form. Nicht der schnöde Umsatz steht im Vordergrund – es geht darum, sich positiv im Kopf der Kunden zu verankern, damit diese zukünftig kaufen. Kunden sollen sich mit dem Unternehmen identifizieren, es genügt nicht, sie zufriedenzustellen; sie sollen begeistert werden. Marken streben den Kult an oder sollen zumindest geliebt werden. Es geht um Strategien, Konzepte, Planungen, angestrebte Zustände und Identifkations­ welten des Kunden. 0213_Index_Inhalt.indd 54 02.12.13 14:57 55 Die Rolle des Marketings Profaner Vertrieb Der Vertrieb ist im Vergleich recht profan unterwegs. Er befasst sich mit den realen Die Aufgabe des Vertriebs ist es, den Kunden Kunden und ihrem Verhalten. Er trifft auf Kunden, die ihn abwehren und seine schrittweise zum Kauf zu führen. Gesprächszeit kürzen, sie schieben auch sinnvolle Käufe auf die lange Bank, spielen Lieferanten gegeneinander aus oder verhalten sich nicht selten unfair. Die Aufgabe des Vertriebs ist es, den Kunden schrittweise zum Kauf zu führen. Nur werden diese Zwischenschritte immer mehr und verteilen sich über einen längeren Zeitraum. Die Kaufprozesse werden häufig unterbrochen oder abgebrochen. Klassische Inszenierung In schwierigen Märkten hat das Marketing eine klassische Antwort auf die Schlimm sind für Marketingleute die Frage nach dem Erfolg: Leistungen müssen inszeniert werden; damit heben sie sich Niederungen der konkreten Gespräche von der «Austauschkrankheit» ab. Die Emotionen neben dem Produkt und zwischen Kunden und Verkäufern. dem Transaktionsprozess werden genutzt. Marketing wird zur Unterhaltung. Es gilt, einfach aus dem Meer des Angebotes herauszuragen und damit die Aufmerksamkeit des Kunden zu erhaschen. Freie Kreativität ist angesagt! Zwar greift der Ansatz kaum mehr, denn Kunden gefällt vieles, aber sie kaufen anderes oder überhaupt nicht. Das scheint aber nicht zu verhindern, dass jeder Marketing­ verantwortliche es immer wieder versucht und höchstens bedauert, dass sein Budget ihm verwehrt, in den Himmel des Glamours aufzusteigen. Schlimm sind für Marketingleute die Niederungen der konkreten Gespräche zwischen Kunden und Verkäufern, das Unverständnis des Handels und dessen Werbung, die seltsamen Gewichte und niederen Beweggründe der Kunden. Die imaginäre Welt ist doch viel schöner, als das, was da täglich passiert. Abgehobene Marketingverantwortliche Marketing hat sich längst als abgehobene Disziplin etabliert und überzeugt auch Dass wahrscheinlich meistens die Kunden­ Geschäftsleitungen von dem Ansatz: Wer ein gutes Image, eine dynamische handlungen die Marke stark machen und nicht Marke hat, der gewinnt zukünftig auch Käufer. Man muss positiv bekannt sein, die Marke die Kundenhandlungen bewirkt, bevor man überhaupt etwas verkaufen kann. Dass wahrscheinlich meistens die negieren die Verantwortlichen. Kundenhandlungen die Marke stark machen und nicht die Marke die Kunden­ handlungen bewirkt, negieren die Verantwortlichen. Da regen auch Marken wie Google oder Amazon nicht an, die Realität neu zu beurteilen. Das Bild des Marketings ist stark davon geprägt, wie Positionen etwa die der Marketingleiterin oder des -leiters besetzt werden. Zunehmend sind es junge Leute, recht frisch vom Studium, mit einem guten Rüstzeug an Konzepten und Methoden und mit viel Spass an der attraktiven Scheinwelt des Marketings, unbeschwert und offen. Sie meinen, dass Marketing an den meisten Orten gleich funktioniert, dass die Marketinginszenierung den relevanten Unterschied im Markt macht, weil andere Unterschiede der Wettbewerber fehlen. Weil sie keine echten Führungskräfte sind, spielen sie halt Manager. 0213_Index_Inhalt.indd 55 02.12.13 14:57 56 Die Rolle des Marketings Das Einzige was stört … Marketingverantwortliche mit dieser Auffassung bewegen sich wie der Elefant im Es spielt keine Rolle, wenn der gestandene Porzellanladen, aber mit Stil und intellektuell eloquent (zumindest aus eigener Manager plötzlich giftgrüne Hot Pants trägt. Sicht). Ihre Kreativität, verbunden mit jener der Werbeagenturen, ist ohne Grenzen. Was zum Unternehmen passt, nahe am Kundenprozess wirkt, sich durch den Verkauf verstärken lässt, ist nicht ihr Anliegen. Übertragen: Es spielt keine Rolle, wenn der gestandene Manager plötzlich giftgrüne Hot Pants trägt. Verpackung schlägt Inhalt, Kreativität und Form schlagen Substanz. Das ist übertrieben. Aber störende Werbung, unstimmige Tonalität, unpassende Einfälle oder willkürlich abgebrochene Gewohnheiten irritieren Vertriebsmitarbeiter und Kunden – und zwar meistens negativ. Gepaart ist die jugendliche Einseitigkeit und Unerfahrenheit oft mit einer leichten Arroganz oder zumindest der Gewissheit, das eigene Fach im Griff zu haben. Es fehlt an Empathie für Vertriebsmitarbeiter und Kunden. Es fehlt an Demut und Lernbereitschaft. Vermeintlich kreative und frische Junge sind oft erstaunlich festgefahren, weil sie erst wenig wissen und erlebt haben. Auch professionelle Dienstleister als externe Partner werden oft rasch in die Schranken gewiesen. Nun liesse sich argumentieren, dass ein Schonraum des Marketings für neue Ideen, andersartige Bilderwelten, frische Argumente und Appelle im gesamten Unternehmen positiv wirken. Doch solche Verantwortliche im Marketing verlagern die Diskussion auf Neben- Wenn falsche Meinungen mit vielen Menschen schauplätze, verschwenden Geld, verhindern relevante Lösungen, streuen Sand ins geteilt werden, so ist das immer noch Getriebe. Sie verhindern gute Lösungen. Und: Die kritische Beobachtung zeigt erfolg­reicher, als alleine Recht zu haben. leider, dass sie keine Einzelfälle sind. Natürlich sind sie dabei nicht etwa böswillig. Sie glauben, das Beste für ihr Unternehmen zu tun. Ihre Denkweise und schulische Sozialisierung verhindern einfach, dass sie die Realität offen erfassen oder ihre Aufgabe intern wirksam erfüllen. Denkschemen bestimmen den Lösungsraum, und wenn falsche Meinungen mit vielen Menschen geteilt werden, so ist das immer noch erfolgreicher, als alleine Recht zu haben. Zudem: Gut gemeint ist das Gegenteil von gut. Folgerung Die Diskrepanz zu früheren Leitern und Leiterinnen im Marketing ist offensichtlich. Damals waren das Generalisten, ältere Mitarbeitende mit internationaler Vertriebs­ erfahrung, Leute mit Gewicht und ausgewogenen Urteilen. Marketingleiter mit Einfluss im Unternehmen und im Markt müssten auch heute eher diesem Profil ­ entsprechen. Es braucht Leute mit gesundem Menschenverstand, die Erfahrung, Fakten, Bauchgefühl und Gespür für Menschen verknüpfen. Das Topmanagement neigt dazu, den Vertretern des Identifikationsmarketings zu glauben. Zwar proklamieren sie Kundennähe, aber sie suchen die Lösungen in abgehobenen Zufriedenheitsstudien und Markenkampagnen. Kundennähe entscheidet sich dort, wo die Kunden sind, und nicht im Schonraum von Meetings 0213_Index_Inhalt.indd 56 02.12.13 14:57 57 Die Rolle des Marketings in der Zentrale. Es genügt nicht, die Förderung der Kundenprozesse halbherzig zu delegieren und «die da unten» wirken zu lassen. Bottom-up-Marketing, die Nähe zum Kundenprozess und substanzielle Kontakte zu Kunden sind für den Erfolg so zentral, dass sich das Management klar dazu bekennen und sich darum kümmern muss. Die Positionen im Marketing gilt es, entsprechend zu besetzen. PS: Das Alter ist natürlich nicht der bestimmende Faktor – es gibt junge und alte Verhinderer und auch junge und alte Problemlöser. Prof. Dr. Christian Belz, Ordinarius für Marketing an der Universität St. Gallen und Geschäftsführer des Instituts für Marketing ([email protected]) 0213_Index_Inhalt.indd 57 02.12.13 14:57