Kommunikation für Nahrungsergänzungsmittel - GIM

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Kommunikation für
Nahrungsergänzungsmittel
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Chancen und Herausforderungen in Zeiten der Health-Claim-Verordnung
Jahrbuch Healthcare Marketing 2013
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motionales Branding oder wissenschaftliche
Argumente als Basis der Markenführung? Loyalisierung von bestehenden Käufergruppen oder
Erschließung ganz neuer Zielgruppenpotenziale?
Die GIM Gesellschaft für Innovative Marktforschung hat untersucht, wie Anbieter von Nahrungsergänzungsmitteln die Konsumenten trotz
der vom Gesetzgeber auferlegten Werbebeschränkungen überzeugen können.
Healthcare ist einer der aktuellen Megatrends:
Immer mehr Menschen interessieren sich für die
vielfältigen Facetten des Themas Gesundheit und
sind folglich auch motiviert, ihr körperliches und
geistiges Wohlergehen selbst und eigeninitiativ zu
steuern und zu managen. Die unmittelbare Konse-
quenz: Der Markt der Gesundheitsprodukte boomt,
speziell der Bereich OTC, also frei verkäufliche Präparate, zu denen auch das Segment der Nahrungsergänzungsmittel (NEM) zählt.
Diese Aussichten für die NEM-Hersteller werden
allerdings getrübt durch erhebliche Werbebeschränkungen: Die Health-Claim-Verordnung der
European Food Safety Authority (EFSA) schreibt vor,
dass Aussagen zur Wirkungsweise der Produkte
wissenschaftlich belegbar sein müssen. Allerdings,
das hat die GIM Gesellschaft für Innovative Marktforschung in zahlreichen Studien beobachtet, bergen die Beschränkungen der EFSA auch Chancen:
Durch eine saubere, seriöse Positionierung kann
sich ein NEM-Produkt im vielschichtigen Markt
Der Markt der Nahrungsergänzungsmittel ist
durch eine Vielzahl von Anbietern geprägt. In
diesem fragmentierten Markt sind nach Angaben
des Bundes für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde e. V. (BLL) 19 Hersteller für die Hälfte
des NEM-­Umsatzes verantwortlich; die Top-AchtHerstellermarken steuern ein Drittel des Umsatzes
bei. Laut BLL und Nielsen entfällt 2012 im Markt der
Gesundheitsprodukte auf Nahrungsergänzungsmittel ein Umsatz von 953 Millionen Euro – das sind 7,8
Prozent des Gesamtbereichs OTC, der insgesamt
auf eine Größenordnung von 12,3 Milliarden Euro
kommt. Gemessen an den Packungen halten die
Nahrungsergänzungsmittel mit rund 160 Millionen
Einheiten einen Anteil von 21,6 Prozent am OTCMarkt. Die wichtigsten Warengruppen bei Nahrungsergänzungsmitteln sind Vitamine und Mineralstoffe.
� Gesetzgeber verlangt
Beweise für Claims
Was sich Nahrungsergänzungsmittel nennen darf
oder nicht, ist per Gesetz definiert. Die Verordnung
über Nahrungsergänzungsmittel (NemV) definiert
Nahrungsergänzungsmittel als „Lebensmittel, das
1.) dazu bestimmt ist, die allgemeine Ernährung zu
ergänzen, 2.) ein Konzentrat von Nährstoffen oder
sonstigen Stoffen mit ernährungsspezifischer oder
physiologischer Wirkung allein oder in Zusammensetzung darstellt und 3.) in dosierter Form (...) in den
Verkehr gebracht wird. Nährstoffe im Sinne dieser
Verordnung sind Vitamine und Mineralstoffe, einschließlich Spurenelemente“. Auch hinsichtlich
Verpackung und Bewerbung eines NEM-Produktes
trifft die NemV eine Aussage: „Die Kennzeichnung
und Aufmachung eines Nahrungsergänzungsmittels sowie die Werbung dafür dürfen keinen Hinweis enthalten, mit dem behauptet oder unterstellt
wird, dass bei einer ausgewogenen, abwechslungsreichen Ernährung im Allgemeinen die Zufuhr angemessener Nährstoffmengen nicht möglich sei.“
Seit Dezember letzten Jahres dürfen Lebensmittelhersteller in Europa 222 gesundheitsbezogene
Angaben verwenden, die von der EFSA in ihrer
Claims-Verordnung freigegeben wurden – voraus-
PRODUKTE + DISTRIBUTION
� Nahrungsergänzungsmittel –
ein dynamischer Markt
gesetzt, die Werbeaussage ist wissenschaftlich
belegbar. Da es schon früher für die NEM-Hersteller schwierig war, die potenziellen Konsumenten
vom Nutzen ihrer Präparate zu überzeugen, behalfen sich viele Anbieter mit großen Werbeversprechungen. Diesen Claims hat der Gesetzgeber,
wie dargelegt, einen Riegel vorgeschoben. Viele
Hersteller wichen daher auf eine eher emotional
geprägte Markenführung aus. Doch das reicht aus
Sicht der GIM nicht aus, um heutige Zielgruppen zu
überzeugen: Sind lediglich diffuse Benefits wahrnehmbar, erwartet der Konsument glaubwürdige
Beweise dafür, dass das Produkt tatsächlich Wirkung zeigt.
� Hoher Forschungsbedarf
Angesichts des großen und heterogenen Marktes
mit vielen Neuproduktentwicklungen und ProduktRange-Erweiterungen besteht für Anbieter im
Segment der Nahrungsergänzungsmittel hoher
Forschungsbedarf – mit den unterschiedlichsten
Fragestellungen: Wie muss eine Marke im Wettbewerbsumfeld positioniert werden? Welche Angebotsnischen sind ein vielversprechendes Betätigungsfeld? Mit welcher Kommunikationsstrategie
lassen sich bestehende und potenzielle Kunden
überzeugen? Übrigens: Im Bereich Markenpositionierung hat das Segment der Nahrungsergänzungsmittel noch viel Potenzial. Denn die Mehrheit
der Kunden fragt – etwa beim Kauf in der Apotheke
– nicht nach einer bestimmten Marke.
Hersteller von Nahrungsergänzungsmitteln können, wie erwähnt, die gesetzlichen Vorschriften
durchaus als Chance begreifen, ihre Produkte als
glaubwürdige, leistungsfähige Angebote zu positionieren. Das ist auch dringend nötig: Da die Verbraucher selbst die Wirkung (inklusive Nebenwirkungen) der NEM in den seltensten Fällen überprüfen oder spüren können, herrscht Verunsicherung
über die Sinnhaftigkeit von NEM-Produkten. Und:
Der Konsument von heute ist weitaus kritischer als
früher. Als mündiger Patient hinterfragt er die Vorschläge des Arztes oder des Apothekers wie auch
die Werbeaussagen von Anbietern.
Im Zusammenhang mit Nahrungsergänzungsmitteln wird der Begriff Gesundheit übrigens gar nicht
so häufig genannt, wie die GIM in mehreren Studien beobachtet hat. Erwähnt werden eher Begriffe,
die Teilfacetten des großen Bereichs Gesundheit
abdecken, also beispielsweise Energie, Wohlfüh-
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hervorheben und glaubwürdig die potenziellen Verwender überzeugen.
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Abb. 1: Beispielhafte Auszüge: „Laddering“ zu Effekten von NEM
Energie
Sich wohlfühlen
Gutes Gewissen
Attraktivität
Fitness
Folgen des
Älterwerdens
vorbeugen
Dem Körper
etwas Gutes tun
„Für die Nerven“
Gegen Krämpfe
Immunsystem
stärken
Cholesterin
senken
Quelle: NEM – Ein Rädchen im Getriebe der Gesundheit, Seite 6
len, gutes Gewissen, Attraktivität und Schönheit,
Fitness oder Vorbeugung gegen Auswirkungen
des Älterwerdens (� Abb.1). Gesundheit ist zu
einem gewissen Grad zum Konsumgut geworden.
Viele Menschen haben ein analytisches und funktionales Körperbewusstsein: Bestimmte Körperregionen oder Gesundheitsprozesse glauben sie
– auch ohne Ingredient-Wissen – beeinflussen zu
können.
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� Bestehende und
potenzielle Zielgruppen
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Die erfolgreiche Positionierung eines NEM-Angebots erfordert profunde Zielgruppen-Insights und
Erkenntnisse darüber, wie die Menschen generell
mit dem Thema Gesundheit umgehen. Viele Konsumenten sehen sich als Gesundheitsmanager,
die ihr Wohlbefinden in die eigene Hand nehmen,
selbst zu Wirkungsweisen recherchieren und im
Zuge dessen andere, als wirkungsvoller wahrgenommene, Produktalternativen finden. Und sie
sagen: Wer sich bewusst ernährt, braucht im Grunde genommen keine Nahrungsergänzungsmittel.
Konsumenten treffen ihre Kaufentscheidungen bei
Nahrungsergänzungsmitteln häufig kurzfristig und
spontan, selbst wenn bereits seit längerem ein
entsprechendes Bedürfnis besteht. Das bedeutet:
Ausführliche Wissensprüfungen oder Produktvergleiche werden kaum angestellt – oder man glaubt,
über manche Wirkstoffe wie etwa Vitamin C oder
Calcium schon alles zu wissen. Davon profitieren
jedoch vor allem NEM-Produkte, die schon länger
auf dem Markt sind, weil sie – auch ohne Claim –
vom Allgemeinwissen der Zielgruppen zehren können.
Zusätzlicher Forschungsbedarf besteht für NEMAnbieter, weil sich das Feld der potenziellen Verwender stark erweitert hat. Dies hängt mit dem
allgemeinen Umdenken beim Thema Gesundheit
zusammen. Waren es früher vor allem ältere Konsumenten, die Nahrungsergänzungsmittel anwendeten – etwa als Präventivmaßnahme zur Stärkung
der Knochen oder als Abwehrmaßnahme gegen
Alterserscheinungen –, so zählen bei heutigen
NEM-Zielgruppen auch Aspekte wie Fitness, Körperoptimierung, Leistungsfähigkeit oder Schönheit.
In jüngster Zeit versuchen Hersteller, über neue
Formate wie Tonics, Vitamin-Shots oder VitaminGummis die Zielgruppe der bisherigen Nicht-Verwender zu knacken.
Abhilfe schafft hier, so die Erkenntnis der GIM,
eine klar nachvollziehbare und glaubwürdige Darstellung dessen, was ein Produkt leistet. Damit
vermeidet der Anbieter nicht nur Konflikte mit der
Health-Claim-Verordnung, sondern erhöht auch
die Chancen, Ärzte und Apotheker zu überzeugen:
Diese Multiplikatoren empfehlen in der Regel ein
Nahrungsergänzungsmittel nur, wenn es einen
echten Beweis für dessen Wirksamkeit gibt.
� Die erfolgreiche Positionierung
von NEM-Marken
Nahrungsergänzungsmittel müssen nicht nur aufgrund der Health Claims der EFSA ihre Wirkungsweise wissenschaftlich untermauern und damit
unter Beweis stellen, sondern auch deshalb, weil
die Konsumenten einen klar erkennbaren Benefit
wünschen. Um eine Marke im Bereich Nahrungsergänzungsmittel erfolgreich zu positionieren, gibt
die GIM folgende Handlungsempfehlungen:
Sicherheit vermitteln:
Die Chancen der Zwischenposition von Nahrungsergänzungsmitteln in Abgrenzung zu Lebensmitteln, Functional Food und Arzneimitteln kann für
eine medizinisch-wissenschaftliche, seriöse Positionierung genutzt werden.
Marken stärken:
Analog zu OTC-Produkten sollten Nahrungsergänzungsmittel als vertrauensbildende, starke Marke
positioniert werden. Testimonials können hier die
Glaubwürdigkeit von Werbeaussagen untermauern.
Transparenz schaffen:
Frühzeitig sollten alle beteiligten Interessengruppen wie Konsumentenzielgruppen, Rechtsexperten,
Forschung & Entwicklung und Marketing integriert
werden, um einen gemeinsamen Nenner zu finden.
Klar kommunizieren
und Zielgruppen-Insights nutzen:
Der Konsument sollte sich in der Marke wiederfinden, ein NEM-Angebot sollte also den User abholen und ihm Orientierung, Hilfestellung und einen
klaren Benefit vermitteln. Das bedeutet: Claims so
gestalten, dass die Kunden den zielgruppenspezifischen Benefit quasi im Vorbeigehen erkennen,
etwa durch visuelle Elemente und relevante, kulturell verankerte Zeichen.
PRODUKTE + DISTRIBUTION
Sich vom Markt abheben:
Enthält ein NEM-Produkt neue oder verbesserte
Inhaltsstoffe, sollten neue Produktformate entwickelt werden – um damit aktuelle Zielgruppentrends wie etwa Convenience auf neue Art und
Weise zu bedienen.
Dr. Sigrid Schmid
leitet in der GIM Gesellschaft
für Innovative Marktforschung,
Heidelberg, den Gesamtbereich
Health und ist im Management Board der
GIM für Forschung & Entwicklung zuständig.
*[email protected]
Patricia Blau
leitet bei der GIM, Gesellschaft
für Innovative Marktforschung,
Heidelberg, den Bereich Consumer Health. Seit vielen Jahren unterstützt
sie Kunden aus der NEM-Branche mit Forschung und Beratung. Innovationsmanage­
ment und Konzeptentwicklung sind ihre
Schwerpunkte.
*[email protected]
Jahrbuch Healthcare Marketing 2013
Fest steht allerdings: In der Wahrnehmung der Konsumenten verschwimmen die Grenzen zwischen
Nahrungsmitteln, Functional Food oder Medizinprodukten – angesichts einer riesigen Zahl von
Multivitaminsäften, probiotischen Milchprodukten
oder mit Mineralstoffen angereicherten Drinks. Ein
Problem, das sich in diesem großen Feld immer
wieder stellt: Wenn etwa Kampagnen für Functional-Food-Produkte von Verbraucherorganisation
als Werbelüge“bezeichnet werden, geraten auch
Nahrungsergänzungsmittel in Gefahr, mit am Pranger zu stehen.
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