Theater für alle, aber nicht von allen? Spannungsfelder und

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Theater für alle, aber nicht von allen?
Spannungsfelder und Perspektiven der Theatervermittlung
Myrna-Alice Prinz-Kiesbüye und Yvonne Schmidt (Bern)
Theatervermittlung ist kein einheitlich definierter Begriff. Praktiken, die unter diesem Label laufen sind
entsprechend vielfältig und die Grenzen zu Pädagogik, Marketing oder Kunsttheater uneindeutig. Anhand
theoretischer Überlegungen von Carmen Mörsch zu den unterschiedlichen Funktionen von Vermittlung
wird im Artikel zunächst das Feld der Theatervermittlung abgesteckt. Sodann werden aktuelle
Vermittlungsbeispiele aus der Schweiz näher analysiert und auf ihre Spannungsfelder und Potentiale
befragt. Gessnerallee Backstage wird dabei als Vermittlungsprojekt mit hauptsächlich reproduktiver
Funktion angeführt – es geht dabei vor allem um die Entwicklung neuer Publika. Durch einen Blick auf
Theater mit nicht-professionellen Darstellenden wird die Perspektive erweitert. Anhand von Beispielen
aus dem Bereich des Theaters mit Behinderten, welches eine grosse Nähe zur sozialen Wirklichkeit
aufweist, wird der Vermittlungsdiskurs in einen weiteren Kontext gestellt: Inwiefern kann auch hier von
Vermittlung die Rede sein und welche Auswirkungen kann diese Theaterform auf das Theatersystem
haben? Es wird konstatiert, dass Vermittlung zuweilen auch die Frage aufwirft, was als legitimes
Kunsttheater gelten kann. Vermittlung als wechselseitiger Prozess verstanden kann somit stets die Chance
oder das Risiko für die Theaterinstitutionen bergen, sich zu verändern.
Läuft der Kunst das Publikum davon? Gibt es
vielleicht zu viel, als dass wir uns noch ernsthaft mit ihr auseinandersetzen könnten? Oder
hat die Kunst die Öffentlichkeit abgehängt?
Auf jeden Fall sieht es ganz so aus, als hätte die
Beziehung zwischen Kunst und jenen, für die
sie gemacht ist, eine Therapie nötig. Ansätze
dazu gibt es unzählige, alle laufen sie unter
dem Titel ‘Kulturvermittlung’.1
Pius Knüsel, der Direktor der Schweizer
Kulturstiftung Pro Helvetia, diagnostiziert ein
Beziehungsproblem zwischen Kunst und
Öffentlichkeit, das durch das Wundermittel
der Kulturvermittlung geheilt werden könne.
Der schillernde Begriff der Kulturvermittlung
bietet sich dabei als ideale Projektionsfläche
für vielfältige Wünsche und Versprechen
unterschiedlicher Akteure an: Kulturvermittlung schützt beispielsweise vor der Überalterung des Publikums, macht fit für die
Wissensgesellschaft und ganz nebenbei können dadurch die Subventionen für kulturelle
Institutionen legitimiert werden. Der aktuelle
Vermittlungsboom – zumindest das verForum Modernes Theater, Bd. 25/1 (2010), 45–63.
Gunter Narr Verlag Tübingen
mehrte Reden darüber – ist in der Schweiz
vor dem Hintergrund des neuen Kulturförderungsgesetzes auf Bundesebene zu
verorten.2 Die Pro Helvetia wird darin zur
Förderung von Vermittlung beauftragt. Ihre
provisorische Vermittlungsdefinition lautet:
Unter Kulturvermittlung versteht die Pro
Helvetia Aktivitäten, die darauf abzielen, mehr
und unterschiedliche Menschen mit Kunst in
Berührung zu bringen und der Kunst eine
grössere Relevanz im Leben von mehr Menschen zu verschaffen.3
Einerseits wird damit eine quantitative Dimension in den Blick genommen, die auf die
Erweiterung und Entwicklung eines Publikums abzielt und einem kulturpolitischen
Paradigmenwechsel von der traditionellen
Angebotsorientierung hin zur Nachfrageorientierung Rechnung trägt. Andererseits
schwingt in der implizierten Frage, inwiefern
Kunst für die Gesellschaft relevanter werden
kann, eine qualitative Dimension mit. Doch
welcher Kunstbegriff ist hier überhaupt im
Spiel bzw. steht auf dem Spiel?
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Mit Blick auf das zeitgenössische Theaterschaffen4 kann eine Wechselwirkung zwischen künstlerischer Praxis und sozialer
Wirklichkeit beobachtet werden: nicht-professionelle Akteure werden auf die Bühnen
des Kunsttheaters geholt und Alltagsräume
zur Bühne gemacht. Auf unterschiedliche
Weise wird in den Bürgerchören eines Volker
Lösch, Performance Wettbewerben wie unart
oder Inszenierungen im Rahmen der Heimspiel-Initiative verschiedenen Gruppen –
häufig solchen, die als marginalisiert markiert
sind – auf großen Bühnen hoch institutionalisierter Theater Sichtbarkeit verschafft. Die
britische Gruppe Wrights & Sights hingegen
will durch die performative Praxis des Gehens
im öffentlichen Raum Erkenntnisse generieren und das Theaterhaus Gessnerallee hat sich
vorgenommen, Zürich in 12 Installationen,
Performances und Rundgängen inmitten der
Stadt und in Zusammenarbeit mit der Bevölkerung zu retten.
Durch solche sozialen Kunsttheaterprojekte
verschwimmen nicht nur die Grenzen zwischen Theater und Performance, zwischen
Theater und Nicht-Theater, sondern auch die
lange Zeit als unverrückbar geltenden Grenzen
zwischen der Hochkultur des professionellen
Theaters und der Soziokultur theaterpädagogischer Arbeit.5
Dieses Spannungsverhältnis zwischen der
“Pädagogisierung des Kunsttheaters” einerseits und der “Ästhetisierung des Pädagogischen”6 andererseits geht nicht ohne Grabenkämpfe über die Bühnen. Sobald es um Theater mit nicht-professionellen Darstellenden
geht, spielt daher stets die Frage des “Labels”
eine wesentliche Rolle, wie Jens Roselt bereits
vor einigen Jahren konstatierte:
Immer häufiger sieht man (bzw. sehe ich) auf
Bühnen Ensembles, die auf Profis ganz verzichten, in denen also Darsteller auftreten, die
erkennbar keine körperliche und stimmliche
Ausbildung für das Theater haben. Schnell
werden diese Ensembles durch die sozialen
Gruppen definiert, denen ihre Akteure angehören. Zu denken ist an die Arbeit mit geistig
und körperlich Behinderten, das Theater mit
Alten, Obdachlosen oder Strafgefangenen. Der
Vielfalt an Projekten, Ambitionen, Motivationen und Ergebnissen wird eine solche
theoretische Stigmatisierung nicht gerecht.7
Nicht-professionelle Darstellende treten in
differenzierten professionellen Kontexten auf.
Die von Rimini Protokoll eng gefasste Begriffsdefinition von “Experten des Alltags”8
erscheint deshalb unzureichend, um das
Phänomen fernab von Rimini Prokoll zu
beschreiben. Während nicht-professionelle
Darstellende in Rimini-Produktionen – von
Kreuzworträtsel Boxenstopp bis Call Cutta –
auf der Skala von Michael Kirby9 tendenziell
im Bereich des “Not Acting” angesiedelt sind,
sind in avancierten Jugendclubs, Freilichttheater-Produktionen in der Schweiz oder
auch im Theater mit behinderten Darstellenden die nicht-professionellen Akteure in einer
großen Bandbreite der Darstellung, vom Mitwirken in einem Chor10 bis hin zum komplexen Schauspiel zu erleben.
Diese Wechselwirkung zwischen einer
Entgrenzung des Kunsttheaters und einer
Ästhetisierung des Alltags werfen auf den
aktuellen Diskurs der Vermittlung ein anderes Licht. Die Trennungen zwischen Kunst,
Vermittlung und Pädagogik werden neu
ausgelotet und es stellt sich die Frage, ob der
Vermittlungsbegriff auch in anderen Zusammenhängen produktiv gemacht werden
könnte, wo er bisher nicht auftaucht. Im
Folgenden werden Spannungsfelder, aber
auch Perspektiven im Feld der Theatervermittlung aufgezeigt.
Aktuelle Vermittlungsdiskurse
Aus der Perspektive der Institutionen betrachtet, sind gemäss Carmen Mörsch derzeit
vier Diskurse der Kunstvermittlung am Werk:
Theater für alle, aber nicht von allen?
Der affirmative, reproduktive, dekonstruktive
und transformative.11 Sie sind als interdependent zu verstehen und folgen keiner Hierarchie oder chronologisch-historischen Entwicklung. Die Einteilung hilft, um sich einen
Überblick im heterogenen Feld der Vermittlung – nicht nur im Bereich von Museen und
Ausstellungsinstitutionen – zu verschaffen.12
Im Folgenden orientieren wir uns daher entlang der vier genannten Diskurse, um das
spezifische Feld der Theatervermittlung zu
skizzieren.
Zu den häufigsten Vermittlungsangeboten
an institutionalisierten Theatern zählen
Einführungen und Publikumsgespräche, die
sich an eine bereits interessierte Öffentlichkeit
richten. In Einführungen vor Aufführungen
werden festgelegte Inhalte von autorisierten
Sprechern – in der Regel übernehmen Dramaturgen und Dramaturginnen diese Aufgabe – übermittelt. Die Weitergabe von Wissen ist einseitig; eine Infragestellung der
Inhalte ist nicht beabsichtigt. Bei Publikumsgesprächen ist die Interaktion zwar konstitutiver Bestandteil, jedoch ist auch hier meist klar
definiert, wer lehrt und wer lernt, wer über
Wissen verfügt und wer es entgegennimmt.
Diesen Praktiken kann daher eine affirmative
Funktion zugeschrieben werden.
Eng damit verknüpft sind Vermittlungsangebote mit reproduktiver Funktion. “Der
affirmative und der reproduktive Diskurs sind
in Bezug auf das von ihnen transportierte
Bildungsverständnis beide nicht selbstreflexiv
in dem Sinne, dass sie dieses auf seine Machtstrukturen hin befragen.”13 Im Unterschied zum
affirmativen Diskurs, bei dem einem Fachpublikum kanonisierte Bildungsinhalte vermittelt werden, steht beim reproduktiven Diskurs allerdings im Fokus, neue Publika zu
erschliessen. Unter dem Vorzeichen von Inklusion und Teilhabe werden bisher vom
Theater abwesende Öffentlichkeiten anvisiert.
In Spielclubs, Workshops oder so genannten
Patenklassen kann Theater praktisch erfahren
und können vermeintliche Schwellenängste
abgebaut werden. Meist richten sich diese
handlungsorientierten Angebote an Kinder
und Jugendliche, in der Annahme, dass möglichst früh angesetzt werden muss, um ein
Publikum von morgen zu gewinnen. Diese
reproduktive Funktion ist in kulturpolitischen
Argumentationen besonders dominant und
wird auch in wissenschaftlichen Publikationen
zum Thema hervorgehoben.14
Ein Vermittlungsprojekt, das auf eine
Erweiterung des Publikums abzielt, sich aber
vor allem an Erwachsene richtet, ist das der
Theaterattachés. Es wird derzeit mit Unterstützung der Pro Helvetia an drei Theatern in
der Schweiz erprobt – der Comédie de Genève, dem Vorstadttheater Basel und dem
Schauspielhaus Zürich – und ist im
Museumsbereich bereits etabliert. Die Attachés sind mit dem jeweiligen Theater bekannt
und erhalten durch ihre Rolle einen vertieften
Einblick in Produktionen des Hauses oder
andere sie interessierende Aspekte. In weiterer
Folge laden sie eigenständig Gäste ein, um
gemeinsam mit ihnen das Theater zu entdecken.15 Im Grunde genommen werden sie
dadurch selbst zu Vermittlern oder Multiplikatoren, die dem Theater helfen, in Kontakt
mit neuen Publika zu kommen. Je nach
Theater werden die Attachés daher auch nach
strategischen Gesichtspunkten ausgewählt.
So hat das Vorstadttheater Basel bewusst
Attachés mit türkischen und kurdischen
Migrationshintergrund gesucht, um eine Bevölkerungsgruppe verstärkt anzusprechen, die
als abwesend empfunden wird. Aus den
spezifischen Zielen der drei Theater erwachsen auch divergierende Umsetzungen. Durch
die Attachés sollen am Schauspielhaus Zürich
beispielsweise nicht in erster Linie neue Zuschauer, sondern neues Wissen gewonnen
werden. Die Attachés werden zu Austauschpartnern des Schauspielhauses, die ihre Bedürfnisse und Wünsche in die Institution
einbringen können. Welche Themen beschäftigen sie? Wie wird das Theaterhaus von
Aussen wahrgenommen? Ein wechselseitiger
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Lernprozess wird initiiert: Einerseits erkunden die Attachés das Theater nach ihren
Interessen, andererseits wird ihre Stimme in
der Institution ernst genommen. Implizite
Wissenshierarchien werden aufgehoben und
die Möglichkeit zur Veränderung für alle
beteiligten Akteure ist gegeben. Dass bei
einem solchem Prozess mit Spannungen und
Widerständen zu rechnen ist, liegt auf der
Hand. Inwiefern die gesteckten Ziele tatsächlich erreicht werden, ist noch nicht erkennbar, da sich das Projekt in Zürich erst in der
Konzeptionsphase befindet. In der spezifischen Ausrichtung lässt sich jedoch neben
den deutlichen reproduktiven Anteilen, ein
transformatives Potential ausmachen. Vermittlungspraktiken mit transformativer Funktion zielen nicht so sehr darauf ab, Öffentlichkeiten an die Institutionen heranzuführen,
sondern gehen davon aus, “dass sie selbst
– aufgrund ihrer durch lange Isolation und
Selbstreferenzialität entstandenen Defizite –
an die sie umgebende Welt – z.B. an ihr
lokales Umfeld – herangeführt werden müssen”.16 Das Wissen unterschiedlicher gesellschaftlicher Akteure fließt in die Institution
ein, die als veränderbar und lernend verstanden wird.
Das kann auch Auswirkungen auf den
Spielplan haben, wie das Projekt Heimspiel
zeigt. Die deutsche Kulturstiftung des Bundes
fördert im Rahmen des Heimspiel-Fonds seit
2006 Theaterprojekte an deutschen Stadtund Staatstheatern, “die sich auf künstlerisch
herausragende Weise mit der urbanen und
sozialen Wirklichkeit der Stadt auseinandersetzen”.17 Durch den Dialog mit der sie umgebenden Wirklichkeit und Bevölkerung sollen
die Theater neue Impulse erhalten und sich
für andere Publikumsschichten öffnen. Dabei
entstehen ganz unterschiedliche künstlerische
Arbeits- und Spielformen. So wurden beispielsweise eine Reihe von Projekten mit
dokumentarischem Charakter, in denen
nicht-professionelle Darstellende bzw. “Experten des Alltags” auftreten realisiert oder
der urbane Raum selbst bespielt wird. Bei den
Heimspielen vor heimischen Fans wird letztlich eine ganz grundsätzliche Frage aufgeworfen: Welche Rolle können und sollen öffentliche Theater in der Gesellschaft künftig einnehmen? Im wechselseitigen Austausch mit
der Öffentlichkeit wird die gesellschaftliche
Relevanz von Theater neu verhandelt. Dieser
“schleichende Paradigmenwechsel”18 stösst
wie eingangs erwähnt auch auf Widerstände,
da dabei tradierte Vorstellungen von Hochkultur und künstlerischer Autonomie ins
Wanken geraten. Die Aufhebung der Trennlinien zwischen theaterpädagogischer Arbeit
und professionellem Theater, zwischen Alltag
und Kunst lässt gar die Befürchtung einer
“‘Entkunstung’ der Kunst”19 aufkommen. Ob
die Initiative des Heimspiel-Fonds nach dem
Versiegen der Geldquelle allerdings einen
nachhaltigen Einfluss auf die Profile städtischer Theater haben wird, bleibt abzuwarten
und ist unter anderem Gegenstand eines
bilanzierenden Symposiums, das 2011 in
Köln stattfinden wird.
Bisher nicht angesprochen wurde die
dekonstruktive Vermittlungsfunktion, die im
Theater eher selten zu finden ist. Den Institutionen eingeschriebene Machtverhältnisse werden dabei offen gelegt und hinterfragt. Dekonstruktive Vermittlungsformate
nehmen oftmals selbst künstlerische Züge an.
In performativen Interventionen können
beispielsweise Exklusions- und Distinktionsprozesse der Theater verhandelt werden. Ziel
ist die Kritik und nicht unbedingt – wie beim
transformativen Diskurs angestrebt – die
Veränderung der kritisierten Verhältnisse.20
“Fühl dich zu Hause – und dem
Theater den Puls!”
Bei den “klassischen” Theatervermittlungsformaten wie Einführungen, Publikumsgesprächen oder Workshops war bis anhin
selten explizit von Vermittlung die Rede.
Theater für alle, aber nicht von allen?
Durch die kulturpolitische Aufwertung dieser
Praxis und den damit verbundenen Chancen
auf Fördergelder, gerät der Begriff jedoch
zunehmend auch im Bereich des Theaters im
Umlauf.21
Als Golda Eppstein, die schon seit Jahren
Theater mit nicht-professionellen Darstellenden macht, mit einem Konzept an das Theaterhaus Gessnerallee Zürich herantrat, war sie
zunächst erstaunt, dass alle mit Begeisterung
über ihr “Vermittlungsprojekt” sprachen.22
Ihre Praxis hatte sie bis anhin als Theaterpädagogik gekennzeichnet – der Begriff der
Kulturvermittlung war ihr lediglich aus der
Integrationsarbeit mit Migranten geläufig.
Gessnerallee Backstage, das in der Projektskizze als “wilde Mischung von Theatertraining, Aufführungs- und Probenbesuchen
und thematischer Auseinandersetzung mit
dem Gesehenen”23 umschrieben wird, wurde
auch von der Pro Helvetia klar als Vermittlungsprojekt gelabelt und im Rahmen des
derzeitigen Förderschwerpunkts Vermittlung
mit 10'000 Schweizer Franken unterstützt.
Dieses Startkapital war für Golda Eppstein
unabdingbar, um das Projekt in der Saison
2008/09 am Theaterhaus Gessnerallee lancieren zu können, da ihr von Seiten der Gessnerallee keine Stelle oder direkte finanzielle
Unterstützung gewährt werden konnten.24
Eine Haupteinnahmequelle sind die Mitgliederbeiträge, die daher relativ hoch sind:
Der wöchentlich zweistündige Kurs kostet für
Erwachsene im Monat 180 Schweizer Franken
für Normalverdienende und 150 Schweizer
Franken für wenig Verdienende.25
Mit Gessnerallee Backstage möchte Golda
Eppstein grundsätzlich theaterinteressierte
Menschen erreichen. Nicht nur Menschen,
die vorwiegend selber Theaterspielen möchten, sondern auch solche, die angesichts eines
breiten und unüberschaubaren Theaterangebots orientierungslos sind. Die eigentlich
gerne ins Theater gehen würden, sich aber
nicht gut auskennen. Da die meisten Teilnehmenden von Backstage jedoch in erster Linie
kommen, um selber Theater zu spielen, muss
Golda Eppstein die produktive Verbindung
von Spielen und Schauen immer wieder
betonen. Denn Backstage will mehr sein als
nur ein Theaterkurs: “Als Backstage Mitglied
kommst du in den Genuss eines ausgewogenen Menüs, welches ein Theatertraining,
Workshops, Begegnungen mit produzierenden Künstlern des Theaterhauses Gessnerallee, Proben- und Aufführungsbesuche beinhaltet.”26 Der Zugang zum zeitgenössischen
Theater und Tanz soll in erster Linie über das
eigene Spielen erreicht werden. Die praktische
Erfahrung steht für die Projektleiterin daher
klar im Zentrum. Sie möchte keine theaterpädagogischen Einführungen anbieten, bei
denen die Teilnehmenden auf inhaltlicher
Ebene an die Aufführungen herangeführt
werden. Das wöchentliche Theatertraining
richtet sich deshalb thematisch nach den
Interessen der Backstage-Mitglieder und ist
nicht vom Programm des Theaterhauses
Gessnerallee beeinflusst. Bei diesen Trainingskursen wird auf den Prozess des eigenen
Theaterspiels fokussiert – Aufführungen vor
öffentlichem Publikum werden nicht angestrebt.
Das Theaterhaus Gessnerallee hat an dem
Projekt Gessnerallee Backstage vor allem die
Möglichkeit interessiert, ein neues Publikum
zu gewinnen. Bevölkerungsschichten, die
bisher noch keinen Kontakt mit dem Theater
hatten, sollen durchs eigene Spiel ihre Berührungsängste vor der professionellen Kunst
abbauen können. Für Niels Ewerbeck, den
Leiter des Theaterhauses Gessnerallee, steht
fest, dass lediglich das Publikum der Vermittlung bedarf, nicht die Kunst.
Doch die Kunst selbst kann eigentlich darauf
verzichten. Denn im Grunde genommen
braucht sie keine Vermittlung, wir brauchen
sie. Und wir sollten lernen, die Bälle, die uns
die Kunst zuwirft, aufzufangen.27
Angesichts eines schwindenden Bildungsbürgertums müsse sich Vermittlung um das
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Publikum der Zukunft kümmern, ohne dass
sich “die” Kunst – hier scheint ein enger
Kunstbegriff vorzuherrschen – dafür verändern müsste.
Die reproduktive Funktion, die das Projekt für das Theaterhaus Gessnerallee übernehmen kann, wurde auch von der Pro Helvetia erkannt. Die Leiterin der Abteilung
Theater der Pro Helvetia, Martha Monstein,
hat insbesondere die Frage interessiert, wie
Menschen an ein eher experimentelles Theaterprogramm herangeführt werden könnten.
Als Pilotprojekt markiert, sollte Backstage
hierzu entsprechende Erkenntnisse für die
weitere Förder- und Vermittlungspraxis
liefern.
Die Mitglieder von Gessnerallee Backstage
möchten kein neues Publikum generieren. Sie
sind gekommen, um Theater zu spielen. Viele
berichten von der Schwierigkeit, ein regelmäßiges Angebot auf hohem Niveau für
Erwachsene zu finden. Durch die Anbindung
an das Theaterhaus Gessnerallee wirkt das
Projekt professionell und seriös. Ausserdem
ist die Mitgliedschaft zeitlich nicht begrenzt.
Die meisten Teilnehmenden haben bereits zu
einem früheren Zeitpunkt ihres Lebens Theater gespielt und haben aus ganz unterschiedlichen Gründen wieder das Bedürfnis danach.
Ihre Spielerfahrung korreliert jedoch nicht
unbedingt mit häufigen Theaterbesuchen.
Eine Problematik, die viele Mitglieder ansprechen, ist, dass sie vor Backstage kaum Leute
gekannt hätten, die mit ihnen ins Theater
gekommen wären. Vor diesem Hintergrund
werden die gemeinsamen Theater- und Probenbesuche sowie Künstlergespräche im
Rahmen von Backstage als willkommene, aber
nicht unabdingbare Zusätze wahrgenommen.
Die Theaterbesuche in der Gruppe erfolgen rund einmal im Monat und werden von
Golda Eppstein in Zusammenarbeit mit der
Dramaturgie-Abteilung geplant.28 Bevorzugt
werden Produktionen, die vor Ort entstehen,
da dann die Möglichkeit besteht, schon vorher bei einer Probe dabei zu sein. Allerdings
finden Probenbesuche nur selten statt, da die
Künstler die Termine kurzfristig wieder
absagen oder sich einem Besuch von Anfang
an verschließen. Die Teilnehmenden zeigen
für dieses Verhalten zwar großes Verständnis,
betonen aber auch, wie sehr sie den Austausch schätzen, sofern er denn zustande
kommt. Insbesondere Proben zu einem
frühen Stadium und nicht erst die Generalprobe können für beide Parteien bei entsprechender Offenheit fruchtbar sein.
Publikumsgespräche nach den Vorstellungen finden zwar regelmässig statt, sind
jedoch bei den Backstage-Mitgliedern nicht
gleichermassen beliebt. Im Unterschied zu
den Probenbesuchen fehlt hier der intime
Rahmen, da die Gespräche in der Regel öffentlich, d.h. auch für das reguläre Publikum
zugänglich sind. Die Problematik der Gespräche liegt in der affirmativen Form: Ein eingeweihtes Publikum redet beispielsweise mit
großer Selbstverständlichkeit über die Tradierung von Pathosformeln oder die performative Herstellung von Realitäten. Bei den Backstage-Mitgliedern kommt die Botschaft an,
dass sie diese Sprachregister nicht beherrschen und entsprechend fehlt oft der Mut,
sich in die Diskussion einzubringen. Wie
können inklusive Sprachen für anspruchsvolle Inhalte gefunden werden? Ein erster
Schritt läge sicherlich darin, die Problematik
zu benennen, sie überhaupt ins Bewusstsein
derjenigen zu rücken, die damit Exklusion
fördern.
Obwohl vordergründig nicht von ihnen
beabsichtigt, entdecken die Teilnehmenden
durch die gemeinsamen Aufführungsbesuche
eine für sie meist unbekannte Theaterform.
Sie erhalten dadurch nicht nur Impulse für
das eigene Spiel, sondern werden auch zu
regelmässigen Gästen des Theaters. Das Ziel
der Gewinnung eines neuen Publikums
gelingt, denn die meisten Teilnehmenden
waren vor Backstage noch nie im Theaterhaus
Gessnerallee. So stellt sich die gewünschte
Bindung an das Haus her. Jedoch scheint der
Theater für alle, aber nicht von allen?
Slogan “Fühl dich zu Hause” nur dort zuzutreffen, wo die Bindung über die Theaterbesuche und deren Reflexion hinausgeht. Dies
ist beim Backstage-Amateurensemble der Fall,
das durch eine eigene Produktion einen
Beitrag zum Programm der Gessnerallee
leistet. Das Amateurensemble hat sich aus
einer Gruppe von Mitgliedern heraus entwikkelt, die irgendwann nicht mehr nur für sich
proben, sondern damit auch an die Öffentlichkeit treten wollten. Sie entschieden sich
daher eine eigene Produktion unter der
Leitung von Golda Eppstein zu entwickeln.
Neben dem Spiel ist jeder für einen Bereich
nach Wahl wie Technik, Finanzen, Werbung
oder ähnliches mitverantwortlich. Dadurch
stellt sich auch ein enger Kontakt mit dem
Personal des Theaterhauses her. Eine Teilnehmerin beschreibt ihre Erfahrung im Zuge
dieser Zusammenarbeit im Interview folgendermassen:
Ich schaue die Gessnerallee manchmal wie ein
bisschen Heimat an, also wenn du kommst,
fühlst du dich wie ein bisschen zuhause. Weil
du ja auch mitmachst.
Das Amateurensemble ist den BackstageMitgliedern unter dem Stichwort Ensemblegruppe geläufig. Im offiziellen Sprachgebrauch wird allerdings auf das Präfix
“Amateur” wert gelegt. Im Theaterhaus Gessnerallee zeigt man einerseits Verständnis für
das Begehren der Gruppe, andererseits
scheint man zu fürchten, das eigene Profil
könnte verwässern. Eine Abgrenzung zum
professionellen Schaffen muss daher klar
markiert werden. Dies geschieht nicht nur auf
sprachlicher Ebene, sondern auch räumlich,
indem die Produktion auf der Probebühne
und nicht auf der “großen Bühne” gezeigt
wird. Die Aufführungen, die Ende Mai 2010
stattfanden, waren bereits Wochen vorher
ausgebucht. Der Gruppe wurde deshalb eine
Zusatzvorstellung gewährt.
Obwohl der institutionelle Status des
Backstage-Ensembles offenkundig nicht be-
sonders hoch ist, liegt vielleicht genau in den
beobachteten Reibungsprozessen die Möglichkeit zur Entfaltung eines transformativen
Potentials.
Die Okkupation der Bühnen
Parallel zu den skizzierten Vermittlungsbestrebungen der Theaterhäuser findet in
theaterpädagogischen Praxen eine zunehmende Professionalisierung und Institutionalisierung statt. Immer häufiger stehen ästhetische
Paradigmen des Kunsttheaters im Vordergrund. Diese Projekte, meist unter professioneller künstlerischer Leitung, werden jedoch
nicht als “Vermittlung” deklariert, obwohl sie
oft ein großes Vermittlungspotential aufweisen. Als Beispiel soll im folgenden Theater
mit behinderten Darstellern im Fokus stehen.
Stärker noch als in anderen Bereichen des
Theaterschaffens mit nicht-professionellen
Darstellenden besteht insbesondere in der
Theaterpraxis mit geistig Behinderten ein
Spannungsfeld zwischen Pädagogik und
Ästhetik. Zudem ist hier eine zunehmende
Professionalisierung seit den 1990er Jahren zu
beobachten, welche sich u.a. durch eine
wachsende Anzahl von Festivals sowie kunstorientierten Projekten äussert. Ist im skizzierten Vermittlungsdiskurs tendenziell die
reproduktive Funktion dominant, so entwikkelt sich im kunstorientierten Theaterschaffen
mit behinderten Darstellenden durch die
zunehmende Professionalisierung ein transformatives Vermittlungspotential auf mehreren Ebenen, welches auf einer wechselseitigen
Annäherung von Theaterpädagogik und
Theaterkunst basiert.
Diese Annäherung zeigt sich auch im
umgekehrten Verhältnis von Produkt und
Prozess. Im Kunsttheater, in dem in der Regel
im Gegensatz zum pädagogischen oder therapeutischen Theater das aufzuführende Produkt im Sinne der “fertigen Inszenierung” als
Endziel im Vordergrund steht, spielt der
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kreative Prozess, d.h. Probenprozesse oder
auch “kollektive Kreativitätsprozesse”,29 eine
zunehmend wichtigere Rolle.30 In Lecture
Performances, Oral History-Projekten und
anderen postdramatischen Theaterformaten
sind die Akteure auf der Bühne – unabhängig
von ihrer Professionalität – nicht nur Ausführende, sondern eigenverantwortlich am
kreativen Prozess beteiligt. Schauspieler
inszenieren sich selbst und ihre (Arbeits-)
Biografien. Auf den Bühnen der Freien Szene
zelebriert beispielsweise She She Pops Vater:
Testament die Zur-Schau-Stellung von VaterKind-Verhältnissen,31 nachdem Alvis Hermanis’ dokumentarische Väter-Inszenierung am
Zürcher Schauspielhaus und anschliessend
auf den Festivalbühnen gefeiert wurde.32 Im
institutionalisierten Theater macht Joachim
Meyerhoffs Serie Alle Toten fliegen hoch am
Wiener Burgtheater von sich reden,33 während insbesondere der zeitgenössische Tanz
sowie die Performance-Kunst, von der Andcompany & Co. bis Xavier le Roy, Lecture
Performances exerziert. Der Entstehungsprozess wird dabei immer schon mitinszeniert.
Ist der Probenraum immer gleichzeitig
Erinnerungs- und Gedächtnisraum, wie
Annemarie Matzke konstatiert,34 so wird in
Formaten mit hohem Anteil an Improvisation
erst recht das Verhältnis zwischen den Aggregatzuständen “flüssig” und “fest”35 neu
ausgelotet. So ist Theater immer schon Produkt und Prozess zugleich, indem sich flüssige und feste Elemente übereinander blenden.
Je höher der Grad der Improvisation während
der Aufführung, je lockerer der Inszenierungsrahmen gespannt ist, desto stärker
gehen Produkt und Prozess ineinander auf.
Die Theaterwissenschaft bezieht, möglicherweise als Konsequenz dieser Aufwertung
des Produktionsprozesses, neben der rezeptionsästhetischen Perspektive auf das “fertige”
Endprodukt zunehmend auch Proben- und
Kreativitätsprozesse in ihre Untersuchungen
mit ein und nimmt somit auch die Sicht der
Theaterproduzenten in den Blick.36 Indem
nicht nur die Regie, sondern auch der Schauspieler in den Fokus rückt und der Diskurs
über den Schauspieler um den Diskurs vom
Schauspieler über sich selbst erweitert wird,
werden Hierarchien aufgebrochen.37
Im “kunstorientierten” Theaterschaffen
mit behinderten Darstellern ist anstelle des
Prozesses immer mehr das künstlerische
Endprodukt in den Vordergrund gerückt. Das
Ensemble RambaZamba und das Theater
Thikwa in Berlin sowie Theater HORA in
Zürich, um nur einige Gruppen im deutschsprachigen Raum zu nennen, arbeiten seit den
90er Jahren unter professionellen Bedingungen mit geistig behinderten Darstellenden,
welche durch regelmässige Aufführungspraxis
und kontinuierliche stimmliche wie körperliche Trainings unter professioneller Anleitung
ihre darstellerischen Fähigkeiten ausbilden.
Nicht mehr der (pädagogische oder therapeutische) Prozess, sondern die Aufführung vor
einem breiten, kritischen Publikum ist das
Ziel. Die Bezeichnungen “Behindertentheater” oder “Zielgruppentheater”, welche
eine geschlossene Veranstaltung im privatem
Kreis oder sogar den Verzicht auf eine Aufführung implizieren, sind unzutreffend und
unter den Theaterschaffenden in diesem
Arbeitsfeld verpönt.
Diese Akzentverschiebung vom Prozess
zum Produkt ist eine Bewegung vom “safe
space” der Einrichtungen zum Terrain des
“Kunsttheaters”. Theater mit behinderten
Darstellenden sucht sich seine Bühne. Doch
um in die Spielpläne der institutionalisierten
Kunsttheaterszene aufgenommen zu werden,
muss sich die Szene selbst institutionalisieren:
Durch eine wachsende Anzahl von internationalen Festivals in der deutschsprachigen
Theaterlandschaft besetzt diese Szene die
mehr oder weniger hoch subventionierten
Häuser, so auch in der Schweiz: Vom Theaterhaus Gessnerallee, zum Theater Basel
bis zum Schiffbau des Zürcher Schauspielhauses. Während das professionelle Theater
im Becken der Theaterpädagogen fischt,
Theater für alle, aber nicht von allen?
schafft sich das Theater mit behinderten
Darstellenden mit unterschiedlichen Strategien auf dessen Bühnen Raum.
Dieses institutionelle Transformationspotential und die damit einhergehenden
Problematiken zeigt ein Blick auf die Schweizer Festivalszene. Vier Festivals in Basel, Bern,
Genf und Zürich zeigen in der Schweiz seit
einigen Jahren mit Erfolg Gastspiele “Von
solchen und Anderen”.38 Neben zwei kleineren Tanzfestivals in Bern und in Genf wurden
zunächst Wildwuchs39 in Basel und dann
Okkupation40 in Zürich gegründet. Mit zwei
gegensätzlichen Strategien besetzen sie die
Bühnen: Als Vorreiter wurde Wildwuchs 2001
in Basel unter der Trägerschaft von örtlichen
Vereinen ins Leben gerufen, und ist inzwischen vom lokalen Ereignis in der Kaserne
Basel, einem Ort für experimentelle Kunst,
zum internationalen Gastspiel-Festival auf
den gesamten Stadtraum und dessen Bühnen
expandiert. Immer mehr Spielstätten wurden
erschlossen, immer mehr Künstler auch ohne
Behinderung aus dem Raum Basel beteiligten
sich. So vereint Wildwuchs in seiner vierten
Auflage 2009 eine vielfältige Bandbreite von
nicht-professionellem bis hin zu hoch institutionalisiertem Schaffen in verschiedenen
künstlerischen Disziplinen, wobei Kategorisierungen wie “behindert” und “nicht-behindert” überwunden werden. Die NachwuchsPlattform Schaugarten bietet den Gruppen
lokaler Freizeit- und Betreuungseinrichtungen die kleine Bühne auf dem Kasernenareal,
während in den Theaterhäusern z.B. das
koreanische Dance Theatre Chang oder das
Flaggschiff dieser Tanzsszene, CandoCo Dance
Company, auftreten. Das Festival wächst
langsam von innen – mit der Kaserne als
Zentrum – nach außen über den ganzen
Stadtraum, von Kleinbasel über den Rhein
nach Grossbasel. So wurde die Festivalleiterin
Sibylle Ott 2009 für dieses Werk mit dem
Kulturpreis des Kantons Basel-Stadt ausgezeichnet, worin sich die Anerkennung zeigt.
Gastronomiebetriebe, Vereine und Künstler
aus Basel gestalten das Festival aktiv mit. In
partizipativen Projekten wie der CrossoverPerformance Die schwitzende Löwin riefen die
Basler Kult-Frauenband Les Reines Prochaines
behinderte und nicht-behinderte Künstler
und Künstlerinnen, und jeden, der sich dazu
berufen fühlte, dazu auf, mit ihnen eine
Performance zu bestreiten. Jeder konnte eine
Nummer beisteuern, alles war erlaubt. Theater ohne Grenzen – für alle und von allen.
Die Institutionalisierung des Festivals
wurde durch die Sponsoren ausgelöst. Bei der
dritten Auflage von Wildwuchs 2007 klinkte
sich Migros Kulturprozent ein, der grösste
private Kulturförderer des Landes. Unabhängig von Wildwuchs hatte man dort das Interesse, eine Plattform zu gründen, um “den
Brückenschlag zwischen der Welt des professionellen Tanzschaffens und der Welt von
Menschen mit einer Behinderung zu unterstützen”.41 So sind die vier Festivals in Genf,
Basel, Bern und Zürich durch die Initiative
IntegrART42 von Migros Kulturprozent lose
miteinander vernetzt, indem der Sponsor die
Schweiz-Tourneen der internationalen TanzCompagnien fördert. Zusammen mit bestehenden örtlichen Theatern und Compagnien entstanden 2007 aufgrund dieser Initiative in Genf das Festival Inside/Outside, in
Bern das Community Arts Festival in der
Dampfzentrale, die ihren Schwerpunkt auf
Tanz legen, sowie Okkupation in Zürich in
Kooperation mit dem Theater HORA. Dieses
hat seit seinen Anfängen 1989 ein professionelles Theater mit geistig Behinderten in einer
eigenen Spielstätte, dem Casinosaal Aussersihl
aufgebaut, welches inzwischen als Arbeitsund Ausbildungsstätte anerkannt ist. Sie
holten einen erfahrenen Festivalleiter aus
Deutschland als künstlerischen Leiter ins
Boot, welcher in Deutschland bereits seit
Anfang der 1990er Jahre Festivals für Menschen mit und ohne Behinderung veranstaltet. So vernetzt sich die noch immer überschaubare Szene: Von Berlin nach Zürich,
über Mainz bis in die pfälzischen Kleinstädte
53
54
Myrna-Alice Prinz-Kiesbüye / Yvonne Schmidt
Kaiserslautern und Kirchheimbolanden sind
oftmals innerhalb einer Festival-Saison dieselben Künstler und Gruppen zu sehen.
Dabei ist im Gegensatz zu Basel in Zürich
eine gegenläufige Strategie zu erkennen: Die
Okkupation in Zürich verläuft dezentralistisch von außen nach innen und fängt dabei
auf den großen Bühnen an. Mit international
etablierten Künstlern wie z.B. der Compagnia
Pippo Delbono aus Italien, die in ihrem Ensemble neben Obdachlosen, PsychiatriePatienten, Rocksängern, Straßenkünstlern
und anderen Menschen mit tendenziell ungewöhnlichen Biografien auch solche mit physischen oder geistigen Behinderungen beschäftigt, oder Mat Fraser & Julie Atlas Muz,
die mit polarisierenden Performances mit
dem Freakshow-Genre spielen, werden tendenziell etablierte Künstler und Gruppen
eingeladen. Okkupation konzentriert sich
ausschließlich auf Produktionen aus dem
professionellen Bereich, welche abgesehen
vom Theater HORA und der Genfer Tanzcompagnie Danse Habile aus dem Ausland
kommen. Während in Basel die Kaserne das
Festivalzentrum bildet, spielt sich Okkupation
an den verschiedenen Spielstätten ab und
muss dort mit dem Veranstaltungsangebot
konkurrieren. Okkupation sucht die Konfrontation, indem es strategisch die Transformation der Theaterbetriebe erkämpft. Das
Konzept fügt sich gut in einen Gastspielbetrieb, wie beispielsweise des Theaterhauses
Gessnerallee, dessen sich institutionalisierende und globalisierende Freie Szene sich vom
HAU in Berlin, über das FFT in Düsseldorf
bis zum Frankfurter Mousonturm tingelt. In
Theaterhäusern mit festem Ensemble und
Repertoiretheatern ist die nachhaltige Einbindung hingegen schwieriger, da die Produktionsprozesse an die Bedürfnisse behinderter Darstellender angepasst werden müssten. Diese Transformation findet aber (noch)
nicht statt. Das Produkt ist zwar kunsttheaterkompatibel, der Prozess jedoch (noch) nicht.
Es ist ein Produkt-Prozess-Dilemma.
Denn Darsteller mit Behinderung fernab
der Festivalzeiten sind selten zu finden. Die
Probenzeiten eines Stadttheater-Betriebes
sind oft deutlich kürzer, insgesamt werden die
Produktionsbedingungen den Bedürfnissen
behinderter Menschen nur schwer gerecht.
Davon abgesehen, dass die meisten Theater
im deutschsprachigen Raum zwar für die
Zuschauer, nicht aber für Künstler im Rollstuhl zugängig sind. Zwar hat man erkannt,
dass Menschen mit Behinderung als TheaterZuschauer nicht ausgegrenzt werden dürfen.
Als Künstler auf der Bühne hingegen sind sie
hierzulande wenig präsent.43 Am Werke ist
ein Vermittlungsbegriff, der zwar Theater für
alle, aber nicht mit allen meint. Aus dieser
Problematik resultiert eine Selbstreflexivität,
durch welche sich das Theater mit behinderten Darstellenden als Sparte selbst hervorbringt und hinterfragt. Denn eines ist diesen
Festivals gemein: Das paradoxe Ziel, dass sie
nur existieren, um sich so schnell wie möglich
von selbst zu erübrigen, weil Theaterproduktionen mit behinderten Darstellenden selbstverständlicher Bestandteil der Spielpläne
etablierter Theaterhäuser werden. Bis dahin
bieten die Festivals diesen Theaterprojekten
eine Bühne, dienen als Steigbügel, um die
etablierten Bühnen zu erklimmen.
Dass sich auf dem Weg zu diesem Ziel
bereits eine Institutionalisierung und damit
die unerwünschte Nebenwirkung der Herausbildung und Manifestierung einer eigenen
Sparte vollziehen könnte, zeigt sich auch
darin, dass sich vereinzelte Gastspiel-Gruppen
nur unter Vorbehalten für die Festivals gewinnen lassen, welche jedoch explizit betonen, keine “Behindertentheater-Festivals” zu
sein. Die Namen wie Inside/Ouside, Grenzenlos Kultur oder No Limits sprechen jedoch für
sich. Obwohl die Veranstalter bewusst auf die
Etikette “Theater mit Behinderten” verzichten, schleicht sich auch in der Berichterstattung in den Medien immer wieder die Bezeichnung “Behindertentheater” ein. Dabei
zeigt sich an den Festivals das Unvermögen
Theater für alle, aber nicht von allen?
eines Konstruktes “Behindertentheater”,
welches sämtliche Arten von Behinderungen,
sei es körperlich, geistig oder psychisch, unter
einem Dach subsumiert.44 Mit anderen Worten: Wieso sollten die Gemeinsamkeiten
zwischen einem Gehörlosentheater aus Zürich, dem Theater HORA und den Tiger Lillies
größer sein als zwischen beliebigen anderen
Theatergruppen und Künstlern?
Die sprachliche Stigmatisierung behindert
den transformativen Prozess. Die Frage nach
dem sprachlichen oder theoretischen Labelling wird akut. Geläufige Bezeichnungen wie
“Amateur- oder Laientheater”, ebenso wie der
Verweis auf den Hintergrund der Darstellenden, z.B. “Migrantentheater”, “Seniorentheater” oder “Behindertentheater” werden
ungenau, wenn die Senioren eines Frankfurter Altenheimes in der Freien Szene des
Kunsttheaters mitwirken, Migranten in Volker Löschs Chören auftreten, während gleichzeitig im Kontext des “Behindertentheaters”
oder “Laientheaters” professionelle Regisseure am Werk sind und Kooperationen mit der
Freien Szene und dem Stadttheater stattfinden. Auch auf der Seite der Kulturförderung sind die Grenzen fließend.
Im Hinblick auf das gewählte Beispiel,
dem Theater mit behinderten Darstellern,
liegt in dieser Problematik ein doppeltes
Paradox: Einerseits wurden die Festivals in
Basel und Zürich eigens gegründet, um weniger etablierten Künstlern eine Plattform zu
bieten. Andererseits ist das Ziel der Anschluss
an den “Mainstream”45 einer bestehenden
Kunsttheaterszene, welches eine transformative Wirkungsabsicht impliziert. Die daraus
erwachsenden Problematiken werden dann
im Rahmen der Festivals an Symposien von
IntegrART reflektiert: Zuletzt unter dem
Motto “All inclusive – Kunst auf neu” wurden
in Arbeitsgruppen und Referaten verschiedene Spannungsfelder diskutiert: Der Inklusion
und des Zugangs zur Kultur, der ästhetischen
Norm und der aktuellen Frage nach Ausbildungsmöglichkeiten und beruflicher An-
erkennung für Künstler mit Behinderung.
Diese Krisenregulation evoziert gleichzeitig
eine Selbstvergewisserung, durch welche sich
erst das Selbstverständnis dieser Theaterszene
konstituiert.
Theater Hora: Menschen! Formen!
Innerhalb der Probenprozesse von kunstorientierten Theaterprojekten mit nichtprofessionellen Darstellenden lässt sich ebenfalls ein transformatives Potential feststellen.
Immer öfter arbeiten Darstellerinnen mit und
ohne Behinderungen in gemeinsamen Produktionen zusammen. Das Projekt Menschen!
Formen! von Theater HORA46 greift auf ein
heterogenes Ensemble zu: Drei HORA-Ensemblemitglieder, d.h. professionelle Schauspieler mit geistiger Behinderung, vier ProfiSchauspieler ohne Behinderung aus Deutschland und drei geistig behinderte Darsteller
ohne Schauspielausbildung aus dem Raum
Köln kamen durch ein Casting zusammen.47
In zwei Probenblöcken à sechs Wochen in
Köln erarbeiteten sie eine Inszenierung, die
im Freien Werkstattheater (FWT) in Köln im
Rahmen des Sommerblut Kulturfestivals uraufgeführt, und seitdem in verschiedenen
Städten wie Zürich, Bremen und Essen gezeigt wird.
Im Blickpunkt stehen die drei Filme
Elephant Man von David Lynch, Jeder für sich
und Gott gegen alle von Werner Herzog und
L’enfant sauvage von François Truffaut, die
alle von gesellschaftlichen Aussenseitern und
dem Umgang der Gesellschaft mit den Anderen handeln. Auf deren Basis setzte sich die
Gruppe mit der Freakshow-Thematik auseinander und entwickelte durch das Mittel der
Improvisation die Inszenierung Menschen!
Formen!. Die künstlerische Leitung übernahmen der HORA-Leiter Michael Elber, der
bereits seit 20 Jahren mit behinderten Darstellenden inszeniert und der Jazz- und Improvisationsmusiker Carl Ludwig Hübsch.48
55
56
Myrna-Alice Prinz-Kiesbüye / Yvonne Schmidt
Abb. 1: Das heterogene Ensemble von Menschen! Formen! (v.l.): Freya Flügge, Judith Wilhelmy, Lorraine Meier,
Christiane Grieb, Ingmar Krinjar, Peter Keller, Matthias Grandjean, Mirco Monshausen, Nico Randel.
(Abdruck mit freundlicher Genehmigung von Michael Bause)
Alle Beteiligten bringen somit unterschiedlichen Voraussetzungen und Zugänge mit.
Mit Unterschieden innerhalb der Gruppe
wurde von Anfang an locker umgegangen.
“Wir sind alle Schauspieler. Die einen nennen
sich 3000er, die anderen 1000er”, erklärt der
Darsteller Mirco Monshausen. Wer ein
3000er, wer ein 1000er sei, richte sich nach
der Gage. Die Mitglieder des HORA-Ensembles werden von der Schweizerischen Invalidenversicherung bezahlt und können deshalb
erwerbsmässig, zumindest 50 Prozent, als
Schauspieler arbeiten. Sie verdienen daher
lediglich ein Drittel des Monatsgehaltes,
müssten aber auch keine Miete zahlen, wie in
der Publikumsdiskussion scherzend bemerkt
wird. Die Gespräche mit der Regie finden bis
zu einem sehr fortgeschrittenen Zeitpunkt
immer im Kollektiv statt, was insbesondere
für die nicht-behinderten Schauspieler eine
Herausforderung darstellt. Fragen über ihre
Funktion und die Aufgabe des Einzelnen
innerhalb des künstlerischen Projektes werden akut.
“Natürlich kann es passieren, dass der
Regisseur rot oder grün verlangt, und die
Kollegen liefern lila”, meint eine Darstellerin
im Gespräch in einer frühen Probenphase.
Vermutlich wird es dann zu großen Teilen an
uns liegen, dass am Ende der Theaterabend
einen klaren Ablauf hat. Wieviele Markierungen dann fest gesteckt werden und wie viel
Improvisation drumherum sein wird, das wird
sich sicher mit der Zeit entwickeln.
Tatsächlich steht erst in der Schlussphase der
Proben das Stück. Die nicht-behinderten
Schauspieler müssen lernen, “einfach auf
die Bühne zu gehen ohne vorher zu überlegen”.
Theater für alle, aber nicht von allen?
Nicht nur der Schauspieler, auch der
Regisseur hat seine Rolle ein Stück weit
an den Nagel gehängt: Für den Regisseur
Michael Elber bedeutet diese Art der Theaterarbeit bis zu einem gewissen Grad eine Zurücknahme seiner Funktion. Vielmehr ist er,
wie Tim Etchells von Forced Entertainment
seine Rolle beschreibt, “Organizer, Framer,
Filter” des Geschehens. Die Kontrolle sei
unmöglich, sagt er. Stattdessen setze er auf
das, was ihm die Darsteller anbieten. “Und da
werde ich von den behinderten Darstellern
reich beschenkt”. Auf die Frage, wie er ihnen
ihre Spielaufgabe vermittelt, entgegnet er: “Es
ist unmöglich, ihnen das Stück zu erklären.
Aber ich kann darauf bauen, dass sie den
Kern, der wichtig ist, kennen aus ihrem Alltag
und dadurch verstehen”. Das Verstehen
funktioniert durch das Spielen, durch den
Vollzug konkreter Handlungen. Fragt man
die HORA-Darsteller nach ihrer Rolle im
Stück, beginnen sie, zu spielen: “Ich bin der
Elephant-Mensch und mein Rücken ist so…
und dann so…”. Der HORA-Darsteller Matthias Grandjean demonstriert die Körperhaltung, die er auf der Bühne einnimmt. Dieses
Konzept von geteilter Autorschaft in kollektiven Probenprozessen, die in der theaterpädagogischen Praxis Gang und Gebe ist, ist
derzeit im Kunsttheater hoch im Kurs. WolfDieter Ernst sieht in der kollektiven Kreativität gar eine Lösung des Paradoxons von
Kreativität und Pädagogik, welches er in der
Meister-Schüler-Beziehung begründet sieht,
in welcher “sich Takt und Kreativität nicht
sauber auflösen lassen”.49
Theaterprojekte mit behinderten und
nicht-behinderten Darstellenden zeigen aber
auch Grenzen des Kollektivitätsgedankens.
Darüber hinaus stellt sich die Frage, inwiefern
innerhalb von kollektiven Kreativitätsprozessen von Vermittlung die Rede sein kann. Wer
wem was vermittelt, ist nicht mehr nachvollziehbar. Durch die Einbindung aller Akteure
in den kreativen Prozess ist jedoch tendenziell
ein transformatives Potential gegeben, da die
Darsteller nicht nur an das Theater herangeführt werden, sondern im Sinne einer geteilten Autorschaft ihre soziale Wirklichkeit in
das Theater einbringen. Dabei werden Hierarchien und Arbeitsweisen des Theaters
transformiert.50
“Meine Damen und Herren: Ein nackter
… ein nackter Mensch! Ein nackter Mensch
hier auf der Bühne! Ein geistig behinderter
nackter Mensch hier auf der Bühne!” posaunt
ein Zirkusdirektor durch einen Schalltrichter.
Hinter dem Tüllvorhang erscheint die
Silhouette eines Darstellers mit Downsyndrom, nackt und in verkrümmter Haltung
zum Publikum. So beginnt die Inszenierung
Menschen! Formen!. Die anderen Darsteller
umringen ihn, teilweise auf Podesten, alle auf
der gleichen Stufe. Etwa eine Stunde später
werden sie alle zu Protagonisten einer Freakparade. Ein sehr großer, kahlköpfiger Schauspieler ohne Behinderung neben einer kleinwüchsigen Dame mit Downsyndrom werden
als Zwergenmutter und Riesenbaby angepriesen. Die Inszenierung Menschen! Formen!
wirft eng gefasste Begriffe von Kunst und
Ästhetik auf und richtet sich dekonstruktiv
gegen sie. Entstanden ist ein Stück, das die
Sichtbarkeit von Behinderung auf der Bühne
und die Problematik des Ausgestelltseins
selbstreflexiv thematisiert.
Wenn Theater vom “safe space” der Einrichtungen in die Kunsttheater-Zone eindringt, ist dies gleichzeitig eine Bewegung in
den “public space”. Diese Präsenz von behinderten Menschen, die als soziale Gruppe im
Theater als öffentlicher Raum sichtbar wird,
ruft die Frage nach dem Verhältnis von Kunst
und Ethik hervor. Nicht nur wird die Ästhetik
des Kunsttheaters transformiert, indem sie
eng gefasste Ästhetikbegriffe hinterfragt und
sich in der Freakshow zu einer Ästhetik des
Grotesken in ihr Gegenteil verkehrt. Vermittlung wird dann zur Kunst mit dekonstruktiver Funktion, ist gegen Paradigmen der Kunst selbst gerichtet. Das Groteske
dient als “Regulationsprinzip innerhalb der
57
58
Myrna-Alice Prinz-Kiesbüye / Yvonne Schmidt
Abb. 2: Die Schauspieler Mirco Monshausen, Ilil Land-Boss und Ingmar Skrinjar (v.l.) werden durch Trichter
an Armen und Beinen behindert. Die Instrumente dienen als Beschränkung und Erweiterung zugleich.
(Abdruck mit freundlicher Genehmigung von Michael Bause)
ästhetischen Welt”,51 wodurch das Spannungsfeld von Theater und Öffentlichkeit
erfahrbar wird.
Der Auftritt von Darstellern mit Behinderung evoziert eine der Ästhetik immanente
Ethik, die Aistheisis,52 die “eine mit ihrer
Konstitution und gesellschaftlichen Ausprägung verbundene Ethik enthält”.53 Aisthesis als Konzept “sinnlicher vermittelter
Wahrnehmung als auch im 20. Jahrhundert
zu verzeichnende umfassende Ästhetisierung
der Alltagswelt”54 impliziert bereits einen
wechselseitigen Prozess, welcher über die
passive Rezeption hinausgehend als Brücke
zum Anderen bzw. zur Welt fungiert. Theater
mit behinderten Darstellenden verdeutlicht
durch seine Verbindung zur Ethik mehr als
andere Theaterformen eine Ästhetik in diesem Sinne, welche durch die Verschränktheit
des Körpers mit der Welt, “an der Grenze
zwischen Körper und Welt, zwischen Sicht-
barem und Unsichtbarem […] erfahrbar”55
wird. Der Körper als “Produkt und Produzent
von Gesellschaft”56 sitzt an der Schnittstelle
zwischen Theater und Öffentlichkeit. Reaktionen der Öffentlichkeit sind deshalb oft
kritisch, wenn behinderte Akteure auf der
Bühne in ungewohnten Situationen auftreten.
Verhaltenskonventionen, die es z.B. verbieten, über Behinderung zu lachen, werden
entlarvt und hinterfragt. Darf man das? – ist
schnell die (ethische) Frage.
Nach Warstat ist “Gestaltung im therapeutischen Raum […] – idealiter – eine Gestaltung im safe space”.57 Angestrebt werde
“eine Liminalität mit möglichst geringem
Risiko für die Betroffenen”.58 Bereits das
Warm-up bei der Probe mit Atem- und Körperübungen sei ein Schutzmechanismus, um
besondere Verletzungen, Gefährdungen und
Empfindlichkeiten einzelner Teilnehmer […]
Theater für alle, aber nicht von allen?
erkennbar [zu machen], so dass der Spielleiter
sein Programm gegebenenfalls modifizieren
und entschärfen kann. Indem jeder Spieler
behutsam an den theatralen Prozess herangeführt wird, sollen Momente der Irritation, der
Verunsicherung oder gar des Schocks, wie sie
im Kunsttheater des 20. Jahrhunderts immer
wieder angestrebt wurden, weitgehend ausgeschlossen werden.59
Inszenierungen wie Menschen! Formen! spielen mit Konventionen, wohl wissend, dass der
Kunstraum auch ein öffentlicher ist. Plötzlich
tritt Carl Ludwig Hübsch, der auch als Darsteller mitspielt, vor das Publikum: “Sie
fragen sich sicher doch schon die ganze Zeit,
wer von denen behindert ist und wer nicht?”
Der Reihe nach werden die Darsteller an den
Pranger gestellt, der Zuschauer wird in die
Rolle des Scharfrichters versetzt. Dabei outen
sich gleichzeitig zwei Darsteller als schwul,
andere vermeintlich “Normale” erweisen sich
als “Anormal”. Auch in anderen Szenen wird
mit der Visibiliät von Behinderung gespielt.
Teile von Blechblasinstrumenten, die als
Vehikel des Spiels dienen, kommen als Prothese zum Einsatz, und das in zweifacher
Hinsicht: Einerseits werden die nicht-behinderten Schauspieler durch Trichter an Armen
und Beinen behindert. Dadurch wird mit
Behinderung als ästhetisches Mittel gespielt.
Andererseits wird nicht nur mit, sondern
auch auf den Instrumenten gespielt. Während
die nicht-behinderten Schauspieler im musikalischen Sinne Laien sind, haben die HORAEnsemblemitglieder bereits umfangreiche
musikalische Erfahrungen, sind also zumindest semi-professionell.
Im Theater als Ereignis kann die Andersartigkeit der Darstellenden aus Sicht der
Zuschauer entweder hervorgehoben oder
nivelliert werden. Ersteres evoziert eine
Existenz im Sinne von “ex-istere”. Dabei
spielt nach Goffman die Sichtbarkeit des
Stigmas, ebenso wie seine Aufdringlichkeit
eine entscheidende Rolle. Die Sichtbarkeit
von Behinderung auf der Bühne impliziert
dabei eine Teilhabe, die über die Kunst hinausgehend eine gesellschaftliche ist. Das
Spannungsfeld zwischen Andersartigkeit und
Inklusion in die Gemeinschaft wird auf dem
Theater als Brennspiegel verhandelt, indem es
die Möglichkeit besitzt, mit ästhetischen
Mitteln mit Behinderung umzugehen. Gleichzeitig wird die Schwierigkeit einer Trennung
von Theater und sozialer Wirklichkeit und
das daraus resultierende transformative
Potential von Kunst bewusst. Oder, mit Pius
Knüsel gesprochen: Die Öffentlichkeit holt
die Kunst wieder ein.
Ausblick
Versucht man, das aktuelle Feld der Theatervermittlung zu skizzieren, gerät man zunächst
mit dem Begriff in Konflikt: Welche Praktiken gehören dazu, welche nicht? Kulturvermittlung umschreibt gemäss Birgit Mandel
Aufgaben der Kulturpolitik, des Kulturmanagements und der Kulturpädagogik, denen
gemeinsam ist, dass sie Verbindungen herstellen und Durchlässigkeiten schaffen zwischen künstlerischer Produktion und kultureller Rezeption, zwischen Kultur und Gesellschaft, zwischen Kulturinstitutionen und
Publikum, zwischen und Kunst und individuellem Rezipienten.60
Das Spektrum ist breit und ergibt sich aus den
spezifischen Funktionen, die der Vermittlung
zugeschrieben werden. Dabei konnte zunächst festgestellt werden, dass der Diskurs
bis anhin stark reproduktiv ausgerichtet ist.
So zielen Vermittlungspraktiken in der Regel
darauf ab, ein “Publikum der Zukunft” zu
gewinnen. Theater – immerhin von allen
durch Steuergelder mitfinanziert – soll auch
für alle zugänglich sein. Theater mit und von
allen ist dagegen nicht unproblematisch und
muss besonders gekennzeichnet sein, wie bei
dem Amateurensemble des Theaterhauses
Gessnerallee deutlich wurde. Die anvisierte
59
60
Myrna-Alice Prinz-Kiesbüye / Yvonne Schmidt
Demokratisierung des Theaters hat demnach
nicht unbedingt eine Demokratisierung des
Theaterverständnisses zur Folge. Kunst und
Vermittlung werden gemeinhin als separate
Bereiche betrachtet, wobei zunächst die Kunst
da ist und diese in einem weiteren Schritt an
ein Publikum vermittelt wird.
Vermittlung kann jedoch selbst künstlerische Praxis sein, wie am Beispiel von
Theater mit behinderten Darstellenden argumentiert wurde. In kunstorientierten Theaterprojekten mit behinderten Darstellenden,
die in der Regel nicht unter dem Label “Vermittlung” laufen und entsprechend auch aus
anderen Fördertöpfen gezahlt sind, konnte
ein transformatives Potential auf drei Ebenen
ausgemacht werden: Erstens institutionell,
indem es im Kunsttheater auftreten, in Spielpläne aufgenommen und nicht als eigenes
Label betrachtet werden will, zweitens kreativ:
indem es in kollektiven Kreativitätsprozessen
die Darstellenden am kreativen Prozess beteiligt und damit eine Wechselwirkung zwischen Theater und sozialer Wirklichkeit
entsteht, und drittens ästhetisch: indem es die
Ästhetik des Kunsttheater hinterfragt, sich
dekonstruktiv gegen Kunsttheater richten
kann und die Vermittlungsanteile, die jeder
Kunst durch die Verbindung zwischen Theater und Öffentlichkeit immanent ist, sichtbar
macht.
Natürlich sind die angeführten Potentiale
nicht generell für Projekte mit behinderten
Darstellenden bzw. nicht-professionellen
Darstellenden gültig. In Inszenierungen von
Volker Lösch oder Rimini Protokoll stellt sich
beispielsweise die Frage, welches Demokratieund Emanzipationsverständnis vorherrscht.
Werden die Darsteller zu Material degradiert
oder ist eine aktive Mitarbeit und Mitbestimmung im Sinne einer geteilten Autorschaft
vorgesehen?
In Abgrenzung zu solchen Projekten mit
partizipativem Charakter scheint sich die
Theaterpädagogik für einen enger gefassten
Vermittlungsbegriff einzusetzen. Angesichts
des Realitätshungers des Gegenwartstheaters
warnt etwa die Theaterpädagogin Mira Sack
vor zuviel Enthusiasmus. Sie plädiert für
einen “pädagogischen Filter”, ohne den
Kunstvermittlung nicht auskomme, wenn sie
mehr leisten wolle “als nur Stimulans für
einen Markt, mehr sein will als nur die Brükke zwischen einem Produkt und seinem
Käufer” und kommt zum Schluss: “Vermittlung ohne Pädagogik ist leer, mag einen
Bildungsbegriff des Bürgertums bestätigen,
taugt aber nicht für den konstruktiven Umgang mit aktuellen gesellschaftlichen Problemen”.61
Tatsächlich stellt sich die Frage nach einer
Notwendigkeit der Pädagogik als Schaltstelle
zwischen Kunst und Vermittlung, auch angesichts von erfolgreichen Modellen wie dem
bekannten TUSCH-Projekt in Berlin, bei dem
Schulen mit Künstlern und Künstlerinnen
kooperieren. Ohne die funktionierende Zusammenarbeit zwischen Lehrern und Künstlern, zwischen Schule und Theater, wären
solche Projekte schwer zu realisieren. Wieviel
Pädagogik braucht die Vermittlung? Vermittlung ohne Bildungsgedanken ist jedenfalls
nicht sinnvoll denkbar.
Die Theaterwissenschaft ist erst dabei, das
skizzierte Spannungsfeld zwischen Kunsttheater, Vermittlung und Pädagogik zu entdecken. Auch hier werden Abgrenzungsbestrebungen zur Theaterpädagogik laut.
Besteht möglicherweise eine Gefahr der
Entgrenzung der Theaterwissenschaft, als
Folge der Entgrenzung des Kunsttheaters?
Nichtsdestotrotz wird nach der Diskussion
um Theater mit nicht-professionellen Darstellenden, den “Experten des Alltags”, dem
daraus hervorgegangen Authentizitätsdiskurs,
welcher die bereits durch das Paradigma der
Theatralität und des Performativen eingeleitete Entgrenzung des (Kunst-)Theaters zum
Alltag anvisierte, in jüngeren Publikationen
die Frage nach Theater als sozialer Kunstform
oder auch als kollektiver Prozess62 laut und
dabei gleichzeitig hinterfragt.63
Theater für alle, aber nicht von allen?
Eine Anbindung des skizzierten Forschungsfeldes an den theaterwissenschaftlichen Diskurs eröffnet spannende Perspektiven, die hier nur angedeutet werden konnten.
Der Vermittlungsdiskurs enthält jedoch auch
Fallstricke. Schließlich steht die vermeintliche
Autonomie der Kunst, auf dem Spiel, althergebrachte Kunstbegriffen müssen neu verhandelt werden. So könnte Vermittlung aus
diesem Blickwinkel auch als ein Versuch
betrachtet werden, einer sinnentleerten Kunst
wieder Inhalt, gesellschaftliche Relevanz zu
geben. Der Regisseur Frank Castorf, bekennender RambaZamba-Fan, hat einmal gesagt,
das Theater mit Behinderten sei das einzige,
das ohne Sinnkrise auskomme.
Mit dem Begriff von Vermittlung verhält
es sich so wie mit Theater an sich, welches
Andreas Kotte als eine opake Kugel beschreibt:64 Je nachdem, aus welcher Position
man die Kugel Vermittlung beleuchtet, entsteht ein anderes Bild.
6
7
8
9
10
11
Anmerkungen
1
2
3
4
5
Pius Knüsel. “Beziehungsproblem.” passagen.
Kulturmagazin der Pro Helvetia 3 (2009): S. 3.
Die Schweizer Bundesverfassung enthält seit
2000 einen Kulturartikel (Artikel 69 BV). Mit
dem Kulturförderungsgesetz, das 2012 in Kraft
treten wird, soll eine formell-gesetzliche
Grundlage zur Umsetzung des Verfassungsauftrags geschaffen werden.
Pius Knüsel, “Kulturpolitik und Kulturvermittlung”, Vortrag am Symposium Die Künste
zwischen Bildung und Ausbildung am 26.9.2009
an der Hochschule der Künste Bern, S. 6
(unveröffentlichtes Vortragsmanuskript).
“Das” zeitgenössische Theaterschaffen ist
selbstverständlich ein Konstrukt. An dieser
Stelle werden einige Tendenzen vor allem im
deutschsprachigen Raum genannt.
Ulrike Hentschel. “Übertragen – Übersetzen –
Überführen. Drei Modi der Bezugnahme von
Theaterpädagogik auf theatrale und gesellschaftliche Wirklichkeiten.” Korrespondenzen.
12
13
14
15
16
17
18
Theater – Ästhetik – Pädagogik. Hg. von
Florian Vaßen. Milow, 2010. S. 61.
Ulrike Hentschel / Ute Pinkert, “Was tue ich
hier und warum?”, Vortrag bei der Ständigen
Konferenz Spiel und Theater in Görlitz 2008.
Jens Roselt. “Der Schritt vom Wege – Schauspielkunst jenseits der Perfektion.” dramaturgie. Zeitschrift der Dramaturgischen Gesellschaft
1 (2006): S. 32–37.
Miriam Dreysse / Florian Malzacher. Experten
des Alltags – Das Theater von Rimini Protokoll.
Berlin, 2007.
Michael Kirby. A Formalist Theatre. Philadelphia, 1987.
Der Regisseur Volker Hesse inszenierte beispielsweise im Welttheater Einsiedeln 2007 die
Textfassung von Autor Thomas Hürlimann
ausschließlich mit nicht-professionellen Darstellenden als eine Choreografie der Massen
auf dem Klosterplatz des Klosters Einsiedeln
im Kanton Schwyz.
Carmen Mörsch. “Am Kreuzpunkt von vier
Diskursen: Die documenta 12 Vermittlung
zwischen Affirmation, Reproduktion, Dekonstruktion und Transformation.” Kunstvermittlung II. Zwischen kritischer Praxis und Dienstleistung auf der documenta 12. Ergebnisse eines
Forschungsprojekts. Hg. von Carmen Mörsch
[et al.]. Berlin/Zürich, 2009. S. 9–33.
Auch Carmen Mörsch beschränkt diese Einteilung nicht auf die Bildende Kunst. Vgl. z.B.
Carmen, Mörsch. “Watch this Space!: Position
beziehen in der Kulturvermittlung. Basistext
für die Fachtagung ‘Theater – Vermittlung –
Schule’”, http://ipf.zhdk.ch/daten/watch-thisspace_c-morsch.pdf, 23.8.2010.
Mörsch 2009, S. 12.
Z.B. Karin v. Welck/Margarete Schweizer,
Kinder zum Olymp. Wege zur Kultur für Kinder
und Jugendliche. Köln, 2004.
In der Regel handelt es sich dabei um Freunde,
Bekannte, Verwandte oder Arbeitskollegen.
Mörsch 2009, S. 10.
Kulturstiftung des Bundes, “Heimspiel. Der
Fonds zur Förderung von Theaterprojekten im
Überblick”, http://www.kulturstiftung-desbundes.de/cms/de/programme/kunst_der_ve
rmittlung/heimspiel_1056_91.html, 8.6.2010.
Eva Behrendt. “Bildung ist es!” Theater heute
Jahrbuch, 2006. S. 18.
61
62
Myrna-Alice Prinz-Kiesbüye / Yvonne Schmidt
19 Ingrid Hentschel. “Medium und Ereignis –
warum Theaterkunst bildet.” Korrespondenzen. Theater – Ästhetik – Pädagogik. Hg. von
Florian Vaßen. Milow 2010. S. 43.
20 Mörsch 2009, S. 10–13.
21 Im Bereich der Visuellen Künste hat dieser
Prozess schon stattgefunden. Der Begriff
der Museumspädagogik ist vielfach durch
den Begriff der Kunstvermittlung ersetzt worden.
22 Der folgende Abschnitt beruht auf teilnehmenden Beobachtungen und qualitativen
Interviews, die Myrna-Alice Prinz-Kiesbüye
zwischen September 2009 und Februar 2010
führte.
23 Golda Eppstein. Gessnerallee Backstage, unveröffentlichtes Konzept, 2008. S. 4.
24 Die Gessnerallee stellt kostenlos Proberäume
zur Verfügung und übernimmt die Kommunikation für das Projekt. Die Infrastruktur und
das Personal (vor allem die Techniker) können
ferner für Aufführungen der Backstage Gruppen genutzt werden.
25 Entspricht umgerechnet etwa 130 bzw. 108 L.
Bei den Kindergruppen, auf die im Folgenden
jedoch nicht näher eingegangen wird, liegt der
Ansatz mit 100 bzw. 86 L im Monat etwas
tiefer.
26 Golda Eppstein, “Theatertraining für Erwachsene”, http://www.eppstein.ch/, 8.6.2010.
27 Niels Ewerbeck, “Warum ich meinen Beruf so
liebe.” 20 Jahre Theaterhaus Gessnerallee Zürich. Zürich, 2009. S. 13.
28 Individuelle Theaterbesuche zu reduziertem
Preis sind durch einen Mitgliederausweis
ebenfalls möglich.
29 Vgl. Hajo Kurzenberger [et al.]. Kollektive in
den Künsten. Hildesheim, 2008.
30 Die Dichotomie von Produkt und Prozess ist
streng genommen nicht haltbar, da Theater
nie ein Produkt, sondern immer transitorischer Prozess ist.
31 http://www.sheshepop.de/produktionen/
testament/, 9.6.2010.
32 Väter, Konzept und Regie: Alvis Hermanis,
Uraufführung 22.03.2007, Schauspielhaus
Zürich.
33 Alle Toten fliegen hoch, von und mit Joachim
Meyerhoff, Serie seit 2007 am Burgtheater
Wien.
34 Annemarie Matzke. “Konzepte proben –
Probenprozesse in postdramatischen Theaterformen”, Vortrag im Rahmen der Mastertagung Wirkungsmaschine Schauspieler. Vom
Menschendarsteller zum multifunktionalen
Spielemacher an der Zürcher Hochschule der
Künste, 23.04.2010.
35 Aleida Assmann. Erinnerungsräume. Formen
und Wandlungen des kulturellen Gedächtnisses.
München, 1999.
36 Matzke 2010.
37 Tilman Broszat/Sigrid Gareis (Hg.). Global
Player, Local Hero. Positionen des Schauspielers
im zeitgenössischen Theater, München, 2000
sowie Ole Hruschka. Magie und Handwerk.
Reden von Theaterpraktikern über die Schauspielkunst. Hildesheim [etc.], 2005.
38 Wildwuchs 2009, Programmbroschüre.
39 www.wildwuchs.ch, 9.6.2010
40 www.hora-okkupation.ch/, 9.6.2010
41 http://www.kulturprozent.ch/integrart,
2.3.2010.
42 www.integrart.ch/, 10.9.2010.
43 Als der Regisseur Stefan Bachmann in seiner
Hamlet Inszenierung 2002 am Königlichen
Theater Kopenhagen die Ophelia-Rolle von
Christina Knudsen, einer Darstellerin mit
Down-Syndrom besetzen wollte, scheiterte
dies an den Bedingungen des Theaterapparates
und war von polarisierenden Reaktionen in
den Medien begleitet, die sich mehrheitlich für
die Entscheidung des Theaters positionierten.
44 Petra Kuppers. Disability and Contemporary
Performance. Bodies on Edge. London/New
York, 2003.
45 Braunreiter, Michaela. “Kultur des Zugangs.
Anregungen zum Mainstreaming von Behinderung,” Vortrag im Rahmen des Symposium
IntegrART-Symposiums All inclusive – Kunst
auf neu, Zürich, Museum für Gestaltung der
Zürcher Hochschule der Künste, 18.6.2009.
46 Es handelt sich um eine Koproduktion mit
dem FWT Köln und dem Sommerblut Kulturfestival.
47 Der folgende Abschnitt beruht auf teilnehmenden Beobachtungen, qualitativen Interviews und Publikumsdiskussionen, die Yvonne
Schmidt im Zeitraum zwischen dem 6. März
und 25. Mai 2010 in Köln durchgeführt hat.
48 www.clhuebsch.de/, 9.6.2010.
Theater für alle, aber nicht von allen?
49 Wolf-Dieter Ernst. “Takt und Taktlosigkeit.
Zum Paradox der Meister-Schüler Beziehung.”
double 3 (2009): S. 12–15.
50 Selbstverständlich ist zu bedenken, dass bei
Theater mit geistig Behinderten meist die
nicht-behinderten Darsteller den Raum bieten,
Theater zu spielen.
51 Dominik Jehl. “Ethik und Ästhetik des Grotesken.” Ethik der Ästhetik. Hg. von Christoph
Wulf [et al.]. Berlin, 1994. S. 95–103.
52 Vgl. Gernot Böhme. Aisthetik. Vorlesungen
über Ästhetik als allgemeine Wahrnehmungslehre. München, 2001.
53 Christoph Wulf [et al.], “Einleitung.” Ethik der
Ästhetik. Hg. von Christoph Wulf [et al.].
Berlin, 1994. S. VII–XI.
54 Doris Kolesch. “Ästhetik.” Metzler Lexikon
Theatertheorie. Hg. von Erika Fischer-Lichte
[et al.]. Stuttgart/Weimar, 2005. S. 6–13.
55 Wulf [et al.] 1994, S. X.
56 Imke Schmincke. Gefährliche Körper an gefährlichen Orten. Eine Studie zum Verhältnis von
Körper, Raum und Marginalisierung. Bielefeld,
2009, hier S. 244.
57 Matthias Warstat. “Spielen und Heilen. Zur
Theatralisierung des Therapeutischen.” Theatralisierung der Gesellschaft 1: Soziologische
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Theorie und Zeitdiagnose. Hg. von Herbert
Willems. Wiesbaden, 2009. S. 533–547.
Warstat 2009, S. 544.
Warstat 2009, S. 545.
Birgit Mandel, “Vorwort.” Audience Development, Kulturmanagement, Kulturelle Bildung.
Konzeptionen und Handlungsfelder der Kulturvermittlung. Hg. von Birgit Mandel. München,
2008, S. 9.
Mira Sack, “Konstellationen von Künstlern
und Kindern. Ein pädagogischer Blick auf
Vermittlungskünste und die Kunst der Vermittlung.” Korrespondenzen. Theater – Ästhetik
– Pädagogik. Hg. von Florian Vaßen. Milow,
2010, S. 126.
Vgl. Hajo Kurzenberger. Der kollektive Prozess
des Theaters. Chorkörper, Probengemeinschaften, theatrale Kreativität. Bielefeld, 2009.
Vgl. Matthias Warstat. “Gleichheit – Mitwirkung – Teilhabe: Theatrale Gemeinschaftskonzepte vor und nach 1968.” Politik mit dem
Körper. Performative Praktiken in Theater,
Medien und Alltagskultur seit 1968. Hg. von
Friedemann Kreuder/Michael Bachmann.
Bielefeld, 2009. S. 13–26.
Andreas Kotte. Theaterwissenschaft. Eine
Einführung. Köln [etc.] 2005, S. 63.
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