Rede des Meisters vom 1.1.2005 in Manapakkam, Indien Die Kunst, auf die Natur zu hören Rede von Shri P. Rajagopalachari Neujahr 2005 im Babuji Memorial Ashram, Manapakkam, Indien Liebe Brüder und Schwestern, ein glückliches Neues Jahr euch allen. Mein Meister pflegte zu sagen, dass ein spiritueller Führer gar nicht zu sprechen braucht. Wie ihr wisst, sprach Babuji Maharaj sehr wenig. Er sagte: „Wenn ein Führer sprechen muss, sollte es nur sein, um uns zu lehren, was wir tun müssen, wie wir es tun müssen, wann wir es tun müssen, wo wir es tun müssen und natürlich warum wir es tun müssen.“ Es gibt keinen Raum für Philosophie in Reden über Sahaj Marg. In Wirklichkeit hat Sahaj Marg keine Philosophie. Es basiert auf keiner Philosophie. Es ist weder advaita (Nicht-Zweiheit) noch dvaita noch vishishta advaita. Ihr kennt all diese Dinge. Trotzdem müssen wir sprechen, denn es wird von uns erwartet, dass wir sprechen. Babuji pflegte noch etwas anderes, viel Wesentlicheres zu sagen, seht ihr, dass die Natur spricht. Er pflegte sich zu bücken und eine kleine Blume zu pflücken und zu sagen: „Dies spricht.“ Er pflegte zu sagen: „Wenn Du den Himmel oder die Sterne ansiehst, sprechen sie zu Dir.“ Aber wissen wir, was sie sagen? Hören wir ihnen zu? Oder behandeln wir sie wie Blumen und Schlamm und Wasser und Luft? Wir haben die Kunst des Zuhörens verlernt. Die heutige Welt ist voll von Reden, Reden, Reden. Jedes Mal, wenn ich diese Air Tel-Werbung sehe: „Redet mehr!“ [lacht leise]. Indern muss man nicht sagen, dass sie mehr reden sollen. Wir reden zu viel, und weil wir immer reden, hören wir nie zu; weil wir nie zuhören, wissen wir nicht, was die Natur uns sagt. Babuji sagte: „Die Natur ist ruhig, wenn sie keine Lasten zu tragen hat.“ Ihr wisst, ein Kind schläft ruhig, wenn es keine Schmerzen, keinen Hunger, keinen Durst hat. Es schreit, wenn es Schmerzen hat – die Mutter weiß es. Es weint, wenn es hungrig ist – die Mutter weiß es. Es lacht, wenn es glücklich ist. Wir haben das alle gesehen, wir haben Babys um uns herum aufwachsen sehen. Babuji sagte: „Wenn die Natur spricht, wann hören wir zu? Dann, wenn die Sprache der Natur, wenn ihre Botschaften, wenn ihre Signale uns gewaltsam erscheinen.“ Babuji sagte: „Die Natur ist nie gewaltsam. Wenn Du zuviel isst und einen verdorbenen Magen hast, zeigt sich das innere Fehlen des Gleichgewichts als Notwendigkeit, auf die Toilette zu gehen oder sich zu übergeben – und das ist nicht sanft, es ist gewaltsam. Abhängig vom Ausmaß Deines Genusses kontrolliert es die Gewalt der Reaktion. Dies ist individuell. Wenn wir zu viele Eindrücke aufgenommen haben, haben wir Träume. Es mögen solche sein, die wir gute Träume, glückliche Träume oder Alpträume nennen. Es hängt von den Eindrücken ab, die wir aufnehmen. Wenn du keine Eindrücke aufnimmst, gibt es keine Träume. Und wenn wir die Erde mit unseren Vergröberungen belasten, und diese sich immer weiter anhäufen, möchte die Natur diese Vergröberungen abwerfen, und dann gibt es Symptome wie Erdbeben, den Tsunami, den wir vor ein paar Tagen hatten, Kriege, Seuchen, weit verbreitete Krankheiten. Wir sollten nicht ungerechter Weise den Präsidenten verschiedener Länder für die Kriege , die sie kämpfen , die Schuld geben. Natürlich denkt der Präsident, dass er die Ursache des Krieges ist; er hat eine wunderbare Entscheidung getroffen. Wenn er gewinnt, rühmt ihn das Volk. Die verlierende Nation gibt ihrem die Schuld. Aber er ist nicht verantwortlicher als du verantwortlich für deine Träume bist. Er ist auch ein Symptom der Vergröberungen, unter denen die Erde stöhnt. Und weil die Last so groß ist, bricht sie so gewaltsam aus. Ob es der Irak Seite 1 von 4 Rede des Meisters vom 1.1.2005 in Manapakkam, Indien oder Jugoslawien oder Korea ist oder in der Zukunft ein beliebiges anderes Land, es sind unsere Gedanken, unsere Handlungen, die Vergröberungen des Menschen, die diese Reaktionen hervorbringen. Die Natur ist nicht zornig. Jemand sagte heute: „Ich möchte die Natur beschwichtigen.“ Die Natur ist nicht zornig, seht ihr. Wenn du plötzlich aus einem Alptraum aufwachst und schreist, bist du nicht verantwortlich. Es muss passieren, seht ihr. Was innen ist, muss herauskommen. Solange wir also fortfahren, unsere Welt, diesen Planeten mit unseren Vergröberungen zu belasten, müssen wir immer mehr dieser gewaltsamen Ausbrüche erwarten in Form von menschlichen Reaktionen, die Kriege sein können – die Ursachen können beliebige sein, eine Ursache kann die Verteilung von Wasser sein, es kann Religion sein, es können grenzübergreifende kriegerische Auseinandersetzungen sein, es kann irgend etwas sein. Wir brauchen nicht viele Entschuldigungen, um zu kämpfen. Also lasst uns daran erinnern, dass es von uns abhängt; wir kreieren die Welt, in der wir leben. Dies ist seit tausenden von Jahren gesagt worden, in der okkulten Literatur, in der esoterischen Literatur, auch in Religionen. Auch unser Meister sagt dasselbe, aber wir hören nicht zu. Wir sagen nur: „Ja, ja, wunderbar! Ich habe heute Abend mein Cleaning gemacht.“ Und morgen machen wir fröhlich weiter und häufen weiter Samskaras an. Wir vergessen, dass das, was wir gestern gegessen haben, uns nicht bekommen ist, und essen es auch heute weiter. „Nein, heute wird es mir bekommen, heute ist es richtig zubereitet.“ Ihr seht also, wir suchen immer nach Rechtfertigungen für unsere Handlungen, obwohl wir sehr gut wissen, dass unsere Handlungen nicht rechtfertigbar sind. Es ist menschliche Natur, nicht fähig zu sein, Vorwürfe und Kritik anzunehmen. Wir mögen Lob, aber wir mögen keine Kritik. Nun sind wir alle hier spirituelle Aspiranten. Wir sind nicht nur menschliche Wesen, die herum laufen und Vergröberungen ansammeln, wir sind spirituelle menschliche Wesen, die Vergröberungen ansammeln, und in diesem Fall sind die Vergröberungen noch schwieriger, giftiger, bitterer in ihren Auswirkungen. Denn wir wissen, dass wir es nicht tun sollten, und tun es. Es gibt ein Gesetz, das besagt, dass jemand, der weiß und nicht gehorcht, strafbarer ist als jemand, der nicht weiß und nicht gehorcht. Die Spiritualität sucht ihren Erfolg in sehr wenigen Prinzipien. Liebe ist natürlich das höchste. Wenn Liebe da ist, brauchst du nichts anderes. Wenn nicht, brauchst du Toleranz, brauchst du Vertrauen, brauchst du Mut, und du darfst keine Vorurteile haben. Mut kann nur entstehen, wenn Vertrauen da ist. Wenn ich in einer Welt leben muss, die heute voll von Seuchen und Kriegen und Tsunamis ist, muss ich Mut haben. Und worauf basiert Mut? Auf dem Vertrauen, dass Er bei mir ist. Aber dieses Vertrauen ist nicht genug. Wenn du denkst: „Er ist bei mir, daher werde ich nicht in den Ozean gespült werden“, ist das kein Vertrauen. Wenn du denkst: „Mein Haus wird nicht zusammenbrechen, weil Babuji bei mir ist“, ist das kein Vertrauen; das ist Wunschdenken. Vertrauen sagt: „Was immer mir passieren mag, Er ist bei mir, und wenn Er bei mir ist, kann es nur gut für mich sein.“ Nun, wie viele von euch sind bereit, so zu denken oder die Wahrheit eines solchen Vertrauens anzunehmen? Wir wollen ein solches Vertrauen nicht. Also wenden wir uns von der Spiritualität ab, gehen zurück zu unseren Tempeln und denken, dass der Gott in den Tempeln mehr Macht hat und mich beschützen wird. Aber auch die Tempel werden weggespült. Ihr wisst, Dwaraka ist weg. Es war der Aufenthaltsort von Lord Krishna, von einem himmlischen Architekten, Vishwakarma, erschaffen. Wo ist Dwaraka? Wir müssen also Vertrauen haben. Das bedeutet, was immer mir passieren mag, wenn mein Meister bei mir ist, ist es gut für mich – sogar der Tod ist gut für mich. Stell dir ein Leben ohne Tod vor. Stell dir vor, ich soll tausend Jahre leben, was wird passieren? Ein junger Europäer wollte lange leben. Seite 2 von 4 Rede des Meisters vom 1.1.2005 in Manapakkam, Indien Ich sagte: „Wie lange?“ Er sagte: „Oh, sehr lange.“ Ich sagte: „Ich möchte lieber bald sterben.“ Er sagte: „Das ist verrückt, Chari.“ Ich sagte: „Nein.“ Er sagte: „Oh, nun komm schon, Ihr Inder! Ihr seid alle pessimistisch. Erklär es mir.“ Ich sagte: „OK. Siehst Du, stell Dir vor, Du lebst zweihundert Jahre, was wird passieren? Natürlich wäre Dein Vater schon vor mehr als hundert Jahren gestorben. Deine Frau wäre tot, Deine Kinder wären tot, Deine Enkel wären tot, Du wirst Deine Urenkel sterben sehen. Und wenn Du dreihundert bist, sind sieben Generationen von Kindern fort. Wenn Du sechshundert bist, was ist dann?“ Er sagte: „Oh mein Gott, ich wusste nicht, dass es so schlimm ist.“ Ich sagte: „ Du dachtest nicht, dass es so schlimm ist, weil Du nicht gedacht hast.“ Ein langes Leben kann ein Fluch sein. Der Tod ist eine große Erleichterung. Der Tod ist nicht dieser wundervolle alte Mann auf dem Büffel, weißt du, Yama Dharma. Er kommt und sagt: „Genug! Komm mit mir.“ Wie eine Mutter, die zur Schule geht, um ihr Kind abzuholen, natürlich will das Kind weiter spielen. Es sagt: „Die Schule ist vorbei, jetzt möchte ich spielen.“ Mama sagt: „Nein, mein Liebling, Du musst nach Hause kommen.“ So ist Yama. Und natürlich gibt es in der Spiritualität keinen Yama. Wenn wir sterben, kommt Meister Selbst, um uns zu holen. Und wenn du sagst: „Der Meister ist bei mir. Ich spüre seine Gegenwart die ganze Zeit“, und wenn Er kommt, warum hast du Angst? „Nein, nein, Sir, Er kommt nicht, um mich nach Shahjahanpur zu bringen. Ich weiß nicht, wohin Er mich bringen wird.“ Wohin wolltest du denn in der Spiritualität gehen? Du musst also nachdenken, siehst du. „Nein, Sir, ich habe Vertrauen in den Meister, aber weißt Du, ich habe einen Verlust erlitten. Ich weiß nicht, wie ich weiterhin Vertrauen haben kann.“ Vertrauen bedeutet also nicht, dass wir erfolgreich im Leben sein werden; Vertrauen bedeutet nicht, dass wir nicht krank werden. Es bedeutet gar nichts. Es bedeutet nur – ich habe Vertrauen. Ich habe Vertrauen in Ihn, der mein Geliebter, mein Meister ist. Er kann nichts tun, was schlecht für mich ist, auch wenn es mir schlecht erscheinen mag. Nur ein solches Vertrauen kann uns Mut geben. Und natürlich: die wichtigste Sache, die wir nicht haben dürfen, sind Vorurteile. Was sind diese Vorurteile? Dass jemand weiß, jemand schwarz ist, jemand Hindu, jemand Moslem ist, jemand groß, jemand klein ist, reich oder arm; zu versuchen, nur in deiner eigenen Kaste zu heiraten: Khamma heiratet Khamma, Naidu heiratet Naidu, Brahmin heiratet Brahmin – noch nicht einmal Brahmin heiratet Brahmin – es muss die richtige Art von Brahmin sein! Vadama heiratet Vadama, Iyengar heiratet Iyengar. Auch da, wisst ihr, macht ein Y oder ein U einen großen Unterschied [Er zeigt auf die Stirn, zum Kastenzeichen]. Dies hat unser Land ruiniert, wo es heute, wie ich allerdings glaube, statt eines Landes so viele Indien wie Individuen gibt. Wie können wir ein vereintes Volk sein, wenn wir durch so viele Vorurteile gespalten sind? Babuji sagte, Religion spaltet, Kasten spalten, Hautfarben spalten, Meinungen spalten. Ich wisst, zwei Leute können unterschiedliche Meinungen haben und plötzlich wird ein Mann zornig, und da ist ein Mord – nur aufgrund einer Meinungsverschiedenheit! Seite 3 von 4 Rede des Meisters vom 1.1.2005 in Manapakkam, Indien Wenn ihr also ein glückliches neues Jahr haben wollt – und natürlich wünsche ich es euch allen – aber ihr müsst dieses neue Jahr für euch selbst erschaffen, und jeden Tag des neuen Jahres, und jeden Tag der folgenden Jahre, denn wir sind nicht mit dem ersten Januar allein glücklich. ‚Glückliches Neues Jahr’ ist nur ein verdichteter Begriff für ‚Glückliches neues 2005, 2006, 2007 - so weit, wie ich sehen kann, ineinander geschoben, wisst ihr. Wenn ich morgen früh glücklich aufwachen soll, muss ich glücklich geschlafen haben. Ich darf keine Feinde haben, wenn ich schlafen gehe. Ich darf meinen Magen und mein Gewissen nicht überladen haben – dann werde ich glücklich aufwachen. Wenn ich glücklich aufwache, kann ich andere Menschen glücklich machen. Ihr seht also, Glück ist kein Ergebnis des Wechsels eines Kalenders oder einer Veränderung der Position von Mond und Sonne. Es hängt von jedem von uns ab, was morgen sein wird und für immer danach. Sahaj Marg ist also sehr einfach, aber es wird nicht richtig praktiziert, es wird nicht verstanden, die Menschen sprechen nicht darüber, sie bringen ihre Vorurteile hierher. Sie kommen und meditieren – sie sind Abhyasis in dieser Halle; wenn sie zurückgehen, sind sie wieder Nordinder und Südinder, Andhravadus und Karnatakas, Khammas und Naidus und Iyengars, Maharashtrians, was auch immer. Also, Brüder und Schwestern, alles hängt von euch ab – nicht nur euer Morgen, nicht nur euer nächstes Jahr; der Zustand der Welt hängt von euch ab. Ob es frische Erdbeben geben wird, hängt von euch ab. Ob es katastrophale Kriege geben wird, hängt von euch ab. Alles hängt von euch ab. Wenn wir also versuchen, Spiritualität in uns zu erwecken und mit unablässiger Anstrengung auf das Ziel hinzuarbeiten, mit Vertrauen und Mut – wenn wir das richtig machen, tragen wir zur Wohlfahrt unseres Planeten, zur Wohlfahrt der Welt, zur Wohlfahrt des Universums bei. Alles, was du dagegen tust, ist nicht nur gegen dich selbst, sondern gegen den Rest der Welt. Wir dürfen uns nicht vorstellen, dass wir nur für uns selbst leben. Alles, was du tust, gut oder schlecht, spiegelt sich im ganzen Universum wider. Wenn du in diesem Bewusstsein weiter arbeitest und dich um ein spirituelles Leben bemühst, wird die Welt automatisch zu einem besseren Ort. Wir müssen nicht auf einen weiteren Ram Rajya warten, wisst ihr. Es gibt keinen Ram Rajya. Es gab nie einen Ram Rajya. In der Zeit von Rama gab es keinen Frieden, sein Leben war ein Desaster. Jeder weiß es. Er verlor seine Frau, er beging Selbstmord, indem er in den Sarayu ging, und von seinen Nachkommen gibt es keine Erwähnung. Aber wir sagen immer noch Ram Rajya, Ram Rajya – ich weiß nicht wofür. Wenn er heute nicht hier ist, ist es egal, ob er in der Vergangenheit war oder in der Zukunft sein wird. Vergangenheit und Zukunft haben keine Bedeutung für uns. Wir sind hier und jetzt. Wenn du es hier und jetzt möchtest, musst du hier und jetzt handeln. Um hier und jetzt zu handeln, musst du jetzt und in diesem Moment alle Vorurteile abwerfen, Vertrauen und Mut haben, und vorwärts gehen. Ich bete für euch alle. Danke. Übersetzung Amrei Weidtler Die Originalrede steht im Internet unter http://www.srcm.org/literature/lectures/050101_Manapakkam.htm) Seite 4 von 4