基調講演3 Das metaphysik-kritische Potential des biblischen Schoepfungsglaubens 聖書の創造信仰の形而上学批判的可能性 G u e n th e rP O E L T N E R P ro fe sso ra nd e rU n iv e rsita tW ie n Die Ausbildung einer christlichen Theologie, d.h. einer Heideggers eine wenn auch indirekte, so dennoch methodisch-kritischen christlichen wichtige Rolle: (1) Die These, die abendlaendische Meta- Glaubensverstaendnisses gehoert zu den grundlegenden physik vollende sich im Wesen der modernen Technik, d.i. Eigentuemlichkeiten Geistes- in einem Wirklichkeitsbezug des Menschen, dem es geschichte. Bei dieser Ausbildung kommt der Philosophie ausschliesslich um die rechnende Sicherstellung alles (in der Vielfalt ihrer Ausformungen) eine unverzichtbare Seienden geht. (2) Die These, der biblische Schoep- Rolle zu. Die Sache einer christlichen Theologie ist die fungsglaube habe dieser Metaphysik infolge einer inneren Offenbarung Gottes in Jesus Christus. Offenbarung ergeht Affinitaet zum Sieg verholfen, und sei demnach mitver- immer an jemanden, von dem sie verstanden und existen- antwortlich fuer den in der Zwischenzeit global gewor- ziell angenommen werden moechte. Deshalb gehoert der denen Willen zur totalen Machbarkeit, dessen Auswirkun- Adressat−es ist der seinsverstehende Mensch−wesentlich gen nicht abzuschaetzen sind. Aneignung der des abendlaendischen in das Offenbarungsgeschehen hinein. Ist nun das Medium der goettlichen Offenbarung das Seinsverstaendnis des Im Folgenden wird versucht, im Gegensatz zu Heidegger Menschen, das dann erfordert ein reflektiertes Offen- metaphysik-kritische Potential des Schoepfungs- barungsverstaendnis eine kritisch reflektierte Entfaltung gedankens aufzuweisen. Es geschieht dies in der Absicht dieses Seinsverstaendnisses. Da diese Entfaltung Sache aufzuzeigen, dass die Beschaeftigung mit klassischen Tex- der Philosophie ist, ist die Philosophie in einer christli- ten der Geistesgeschichte unverzichtbar ist, wenn man chen Theologie unverzichtbar. sich den Vorurteilen der eigenen Gegenwart nicht kritiklos ausliefern will. Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass die Theologie massgeblich von den Grundbegriffen der klassischen 1. Die metaphysische Seinsthese: die Unterscheidung griechischen Metaphysik bestimmt ist. Gewiss wurde die von essentia und existentia metaphysische Begrifflichkeit dem Glaubensverstaendnis nicht unkritisch aufgepraegt, sondern in der UEbernahme Heidegger eroertert die seiner Meinung nach bestehende durch die Theologie umgeformt. (Hier waere auf den Per- Affinitaet des Schoepfungsgedankens mit der abend- sonbegriff zu verweisen, der in der Philosophie eine laendischen Metaphysik relativ ausfuehrlich im Rahmen grosse Rolle spielt, aber theologischen Ursprungs ist.) der auf Aristoteles zurueckgehenden Seinsthese der mitte- Dennoch ist eine Dominanz der klassisch-metaphysischen lalterlichen Metaphysik. Diese Eroerterung findet sich in Grundbegriffe innerhalb der Theologie nicht zu ueberse- einer Vorlesung, die Heidegger im Sommersemester 1927 hen−ein Problem, das unter dem Titel ,Hellenisierung des unter dem Titel ,,Die Grundprobleme der Phaenomenolo- Christentums ‘ ein lang und breit diskutiertes Thema ge- gie“ gehalten hat, und die als Band 24 der Gesamtausgabe worden ist. In dieser Diskussion spielen zwei Thesen seiner Werke erschienen ist (zitiert als GA 24 mit Angabe 42 基調講演 3 der Seitenzahlen). Die folgenden Ueberlegungen beziehen ontischen Fundaments einer Ontologie. ,,Die Ontologie sich deshalb vorwiegend auf diese Vorlesung. Das bedeu- laesst sich selbst nicht rein ontologisch begruenden. ... tet zwar im Hinblick auf Heideggers seinsgeschichtliche Ontologie hat ein ontisches Fundament“ (GA 24/26). Deutung der Metaphysik eine Beschraenkung, die aber fuer unsere Zwecke in Kauf genommen werden kann. 1.2 Die Funktion der Seinsthese der mittelalterlichen Ontologie 1.1 Die Frage nach dem Sinn von Sein ueberhaupt und die Notwendigkeit einer phaenomenologischen Destruk- Die auf Aristoteles zurueckgehende Seinsthese der mitte- tion lalterlichen Ontologie lautet: ,,Zur Seinsverfassung eines Der Vorlesung geht es um die Frage nach dem ,,Sinn von Vorhandensein (existentia)“ GA 24/20). Nach Heidegger Sein ueberhaupt“ (GA 24/21). Die Ausarbeitung dieser sind ,essentia/existentia ‘ die beiden Grundbegriffe der mit- Frage erfolgt im methodischen Dreischritt von phaenome- telalterlichen Ontologie. Mit Hilfe dieser Seinsthese laesst nologischer Reduktion, Konstruktion und Destruktion. (1) sich das endliche Seiende von dem unendlichen Seienden, Philosophie ist ,,kritisch transzendentale Wissenschaft d.i. das geschaffene Seiende von dem ungeschaffenen, vom Sein“ (GA 24/23). (Heidegger gebraucht hier die hoechsten Seienden, d.i. Gott, unterscheiden (GA 24/110). Seienden gehoeren das Was-sein (essentia) und das Ausdruecke ,Philosophie ‘, ,Ontologie ‘ und ,Metaphysik ‘ synonym.) Sein ist jeweils ,,Sein eines Seienden“ (GA (a) Das endliche Sein ist durch den Unterschied von es- 24/22) und nur in ihm zugaenglich. Eine Wissenschaft sentia und existentia charakterisiert. Das endliche Seiende vom Sein muss demnach in ihrem ersten Schritt Seiendes kann auch nicht existieren (nicht wirklichsein), das Ex- auf dessen Sein zurueckfuehren (phaenomenologische Re- istieren folgt bei ihm nicht aus seinem Wesen, d.h. das duktion) 1. (2) Weil jedoch Sein kein vorfindbares Existieren ist eine Wesenszufaelligkeit. Seiendes, welches Seiendes ist, muss es ,,in einem freien Entwurf in den auch nicht existieren (nicht wirklichsein) kann, ist ,,moeg- Blick gebracht werden“ (Seinsentwurf als phaenomenolo- liches Seiendes“ (GA 24/110). Dass ein moegliches gische Konstruktion, GA 24/30). (3) Und weil sich jedes Seiendes dennoch existiert (wirklich ist), heisst, dass seine philosophische Fragen notwendigerweise in geschichtlich essentia verwirklicht ist. ,,Das Moegliche hat sich ver- bestimmten Vorbegriffen bewegt, deren sachliche Ange- wirklicht, die essentia ist wirklich, existiert“ (GA 24/111). messenheit erst auszuweisen ist, muss in einem dritten Die Wirklichkeit eines geschaffenen Seienden beruht in Schritt der bedeutungsgebende Ursprung der ueberkom- der Verwirklichung seiner Moeglichkeit. (b) Beim un- menen Begrifflichkeit freigelegt werden (phaenomenolo- endlichen Sein verhaelt es sich hingegen anders. Ex- gische Destruktion, GA 24/31) 2. Der bedeutungsgebende istieren ist fuer Gott keine Wesenszufaelligkeit, sondern Ursprung einer ontologischen Begrifflichkeit liegt in eine Wesensnotwendigkeit, die Folge seines Wesens. Das einem bestimmten seinsverstehenden Verhalten zu Seien- Wesen (essentia) Gottes schliesst die Moeglichkeit des dem. Heidegger nennt diesen Ursprung das ontische Fun- Nicht-Existierens (Nicht-Wirklichseins) aus. Das unendli- dament einer Ontologie. Wenn naemlich der Seinsentwurf che Sein Gottes ist deshalb durch die Identitaet von es- immer nur in einem Verhalten zu Seiendem vollzogen sentia und existentia charakterisiert. In Gott ,,fallen Exis- wird, dann ist umgekehrt dieses Verhalten von wesentli- tenz und Wesenheit zusammen. Das Wesen Gottes ist cher Bedeutung fuer die Gewinnung der ontologischen seine Existenz.“ (GA 24/116). Begrifflichkeit. Phaenomenologische Reduktion, Konstruktion und Destruktion sind untrennbar. Deshalb gehoert zur phaenomenologischen Destruktion der Aufweis des 1 Die phaenomenologische Reduktion im Sinne Heideggers ist Rueckfuehrung des Seienden auf dessen Sein, nicht aber im Sinne Husserls Rueckfuehrung der natuerlichen Einstellung auf das transzendentale Bewusstseinsleben (GA 24/29). Sie nimmt genauer besehen ihren Ausgang vom verstehenden Sich-Verhalten zu Seiendem und fuehrt dieses zurueck auf das Seinsverstehen als dessen Ermoeglichung: Sie ist Rueckfuehrung der “Erfassung des Seienden auf das Verstehen des Seins” (GA 24/29). 2 Die Destruktion ist als ,,kritischer Abbau der ueberkommenen und zunaechst notwendig zu verwendenden Begriffe auf die Quellen, aus denen sie geschoepft sind“, keine Negation der Tradition, sondern bedeutet ,,umgekehrt gerade <ihre> positive Aneignung“ (GA 24/31). 基調講演 3 43 2. Die phaenomenologische Destruktion der These: Das Seienden mit Ruecksicht auf das herstellende Verhalten herstellende Verhalten als Bedeutungsursprung von es- entwachsen, und zwar auf ein herstellendes Verhalten, das sentia und existentia in dieser Interpretation nicht eigens erfasst und ausdruecklich begriffen ist.“ (GA 24/147 f). In den ontologischen Will man den Sinn von ,essentia ‘ und ,existentia ‘ verste- Grundbegriffe ,essentia/existentia ‘ drueckt sich ein techno- hen, muss man die Fragen beachten, auf welche die morphes (=ein vom technisch-praktischen Verhalten ge- beiden ontologischen Grundbegriffe antworten. praegtes) Seinsverstaendnis aus. Zur Bekraeftigung verweist Heidegger auf die klassisch-griechische Metaphysik. Mit der essentia wird auf die Frage geantwortet, was et- In ihr besitzt das EIDOS (Aussehen) den Vorrang vor der was ist - abgesehen davon, ob das in Frage Stehende ex- MORPHE (Gepraege) eines Seienden. istiert oder nicht. Essentia meint ?das sachhaltige Wesen, Washeit, Sachheit (realitas) ‘ (GA 24/ 119). Der lateinische Die lateinische ,essentia ‘ weist zurueck auf die beiden Ausdruck ,essentia ‘ meint das, was im Griechischen mit Grundworte MORPHE und EIDOS. Es sind dies die TO TI EN EINAI bezeichnet wird. Heidegger uebersetzt griechischen ,,Bestimmungen fuer die Sachheit, das und interpretiert den griechischen Ausdruck mit: ,,das, Aussehen und das Gepraege eines Dinges“ (GA 24/149). was jegliches Ding seiner Sachheit nach schon war, bevor Das Gepraege (MORPHE) gruendet im Aussehen (EI- es sich verwirklichte” (GA 24/120). Damit will er deutlich DOS). Der Vorrang des EIDOS vor der MORPHE findet machen, weshalb in der neuzeitlichen Metaphysik ,essen- seine Erklaerung darin, dass diese Begriffe ,,im Hinblick tia ‘ die Bedeutung von ,Moeglichkeit ‘ bekommen hat. auf das Herstellen“ (GA 24/150) gewonnen worden sind. Denn was jegliches schon gewesen ist, ist es seiner Moeg- Denn bei der Herstellung wird das Aussehen des Dinges lichkeit nach gewesen. vorweggenommen, und das Hergestellte erhaelt im Hinblick auf das zuvor gesichtete Aussehen (EIDOS) sein Mit der existentia wird auf die Frage geantwortet, ob et- Gepraege (MOPRHE). Das EIDOS als das ,,vorweg- was ist. Auch hier verweist Heidegger auf Begriffe, die genommene Aussehen des zu Praegenden gibt das Ding mit ,existentia ‘ verwandt sind. Statt ,existentia ‘ wird ,esse ‘ hinsichtlich dessen, was dieses vor aller Verwirklichung (Sein) sowie ,actualitas ‘ (Wirklichkeit) gebraucht. Actuali- schon war und ist.“ (GA 24/150 f). Deshalb ist das EI- tas ‘ ist vom lateinischen ,agere ‘ (wirken) abgeleitet. Ex- DOS fuer die griechische Metaphysik das TO TI EN istieren heisst, aufgrund eines Wirkens (agere) sein. Das EINAI (= das, was das Seiende schon war) (GA 24/151). Wirkliche ist das Gewirkte, das fuer sich bestehende Resultat eines Wirkens. Existenz ,,besagt Gewirktheit bzw. Damit bestaetigt sich fuer Heidegger, dass ,existentia ‘ ,V die in der Gewirktheit liegende Wirklichkeit (actualitas, ohrandenheit ‘ bedeutet: ,,Sein, Wirklichsein, Existieren im ENERGEIA, ENTELECHEIA)“ (GA 24/123). Dieses traditionellen Sinne besagt Vorhandenheit“ (GA 24/152). Wort nennt den Grund eines Zustands bzw. den Zustand Denn das Hergestellte ist das, was zum Vorliegen, d.i. ,,in selbst, in dem sich ein Sachgehalt (essentia) befindet. den engeren oder weiteren Umkreis des Zugaengli- Durch die Existenz ,,wird eine Sache, d.h. ein bloss chen“ gebracht ist (GA 24/152). Heidegger fragt sich al- Moegliches, ein bestimmtes Was, ausserhalb der Ursachen lerdings, ob nicht seine ,,Interpretation des Seins des gesetzt und gestellt” (GA 24/123). Seienden als eines Hergestellten eine unertraegliche Einseitigkeit“ (GA 24/162) darstelle, und ob nicht die Inter- Die Leitfrage der phaenomenologischen Destruktion lau- pretation von existere als ,,Vorhandenheit und Herg- tet: ,,Warum wird Existenz als Verwirklichung und Wirk- estelltheit“ scheitern muesse (GA 24/162). lichkeit gefasst ? Warum geht die Interpretation der Existenz auf das agere, auf das agens, auf das ENERGEIN, Auf diesen seinen Selbsteinwand antwortet Heidegger mit auf das ERGAZESTHAI zurueck?“ (GA 24/ 142). Das ist dem Hinweis auf die zentrale Stellung, die das Begriff- deshalb so, antwortet Heidegger, weil das ontische Funda- spaar ,Materie/Form ‘ in der abendlaendischen Metaphysik ment der Ontologie in einem technisch-praktischen (= her- einnimmt. Was vor allem Herstellen schon vorliegt, ist der stellenden) Verhalten zu Seiendem liegt. ,,Die beiden Be- Stoff, das Material, auf dessen Verwendung das Herstellen griffe essentia und existentia sind einer Interpretation des angewiesen bleibt, weil etwas aus etwas hergestellt wird. 44 基調講演 3 Indem naemlich das von Natur aus Wirkliche, das ohne fuehrung alles Seienden auf ein hoechstes Seiendes, Zutun des Menschen schon Vorliegende, als ,,Stoff, Mate- naemlich Gott. Das Geschaffene ist das von Gott ,,Ange- rial“ (GA 24/163) verstanden wird, ist es bereits aus dem fertigte“ (GA 5/14). Der selbst technomorphe Schoep- Herstellungshorizont begriffen. Es ist das herstellungsun- fungsgedanke verstaerkt und verfestigt also den Sein- beduerftige Seiende, ,,das an sich vorhanden ist vor aller sentwurf und fuer alle weitere Herstellung“ (GA 24/163). ,An-sich- diese sein ‘ heisst ,herstellungsunbeduerftig sein’. Auf etwas Auslegung des Seins. Diese Vorherrschaft behauptet sich Herstellungsunbeduerftiges kann man nur im Horizont in der abendlaendischen Metaphysik auch dann noch, von Herstellung stossen (GA 24/163). Der Aufweis des wenn der Glaube an einen Schoepfergott seine Kraft ver- technomorphen Ursprungs der Begriffe essentia und exis- liert, und an die Stelle Gottes die menschliche Vernunft tentia beinhaltet also nicht die Behauptung, wirklich sei tritt, fuer die alles Seiende zum blossen Gegenstand und nur das vom Menschen Hergestellte, sondern er besagt, im Zeitalter der Technik (seit der europaeischen Neuzeit) dass das Wort ,wirklich ‘ vom Herstellen her und auf es dem Gedanken der totalen Machbarkeit unterworfen wird. hin verstanden wird. Das Wirkliche insgesamt wird her- Fuer Heidegger hat diese geschichtliche Konstellation stellungsanalog verstanden. zwei denkwuerdige Folgen: 3. Schoepfungsgedanke und metaphysisches Seinsver- (1) Wo Gott als Wirkursache der Welt gedacht wird, ver- staendnis. liert er seine unnahbare Heiligkeit. ,,So kann, wo alles der griechischen Metaphysik und sichert auf Weise Anwesende die sich Vorherrschaft im Lichte des der technomorphen Ursache-Wirkung- Der Grund fuer die Uebernahme der antiken ontolo- Zusammenhangs darstellt, sogar Gott fuer das Vorstellen gischen Grundbegriffe durch die mittelalterliche Ontologie alles Heilige und Hohe, das Geheimnisvolle seiner Ferne liegt fuer Heidegger in der fraglosen Geltung des bib- verlieren. Gott kann im Lichte der Kausalitaet zu einer lischen Schoepfungsgedankens. ,,Man haelt an der uner- Ursache, zur causa efficiens, herabsinken. Er wird dann schuetterlichen UEberzeugung fest, dass das Seiende als sogar innerhalb der Theologie zum Gott der Philosophen, von Gott geschaffen verstanden werden muesse“ (GA 24/ jener naemlich, die das Unverborgene und Verborgene 140). Schoepfung aber wird immer−dies der durchge- nach der Kausalitaet des Machens bestimmen, ohne dabei hende Tenor Heideggers bis in seine Spaetphilosophie jemals die Wesensherkunft dieser Kausalitaet zu be- hinein−als Herstellung verstanden, Gott, der Schoepfer, denken.“ (Die Frage nach der Technik, in: Die Technik gilt als ,,Hersteller der Dinge“ (GA 24/148). Wenngleich und die Kehre, Pfullingen 1962, S. 26). (2) Das Sein des ,,die Schoepfung aus dem Nichts nicht mit dem Herstellen Seienden verliert den Charakter des denkwuerdigen Ge- von etwas aus einem vorhandenen vorliegenden Material heimnisses. Mit dem Verursachtsein kommt die Mach- identisch ist, so hat doch dieses Schaffen der Schoepfung barkeit des Seienden zum Vorschein. ,,Dieses ehemals den allgemeinen ontologischen Charakter des Herstellens.“ vom Schoepfergott gemachte Seiende wurde dann zum (GA 24/167 f). Dieser ,ontologische Charakter des Her- Gemaechte des Menschen, sofern jetzt das Seiende nur in stellens ‘ ist nach Heidegger der Grund fuer die mittelalter- seiner Gegenstaendlichkeit genommen und beherrscht liche Rezeption der antiken ontologischen Begrifflichkeit. wird” (GA 65/111). Heidegger spricht von Seinsverlassen- Diese Begrifflichkeit ist ,,der christlichen Weltauffassung heit 3, an der das Christentum mit seiner Umdeutung des und Auffassung des Seienden als ens creatum gleichsam Seienden zu einem goettlichen Machwerk mitgewirkt habe. auf den Leib zugeschnitten. Gott ist als das ens increatum Unter Seinsverlassenheit versteht Heidegger ein Seinsver- das herstellungsunbeduerftige Seiende schlechthin und staendnis, fuer welches das Seiende zu etwas prinzipiell fuer alles andere Seiende die causa prima“ (GA 24/168). Verfuegbarem und Gleichgueltigem geworden ist und Fuer Heidegger ist der Schoepfungsgedanke eine ,,on- jedes ,nicht ‘ von vornherein zu einem ,noch nicht ‘ um- tische Erklaerung“ (GA 24/140), d.h. eine kausale Rueck- gedeutet wird. Sehr scharf heisst es in den ,,Beitraegen 3 ,,Seinsverlassenheit des Seienden: dass das Seyn vom Seienden sich zurueckgezogen und das Seiende zunaechst (christlich) nur zu dem von anderem Seienden Gemachten wurde. Das oberste Seiende als Ursache alles Seienden uebernahm das Wesen des Seyns. Dieses ehemals vom Schoepfergott gemachte Seiende wurde dann zum Gemaechte des Menschen, sofern jetzt das Seiende nur in seiner Gegenstaendlichkeit genommen und beherrscht wird“ (GA 65/111). 基調講演 3 45 zur Philosophie“: ,,Die Seinsverlassenheit ist am staerk- che Machtaeusserung noch ein Machen−der Schoepfer- sten dort, wo sie sich am entschiedensten versteckt. Das gott ist kein Demiurg−, sondern ein Freigeben, ein Ein- geschieht da, wo das Seiende das Gewoehnlichste und raeumen eines Lebensraumes. Im Schoepfungsbericht der Gewohnteste geworden ist und werden musste. Das Genesis heisst es, Gott schafft, indem er spricht−das geschah zuerst im Christentum und seiner Dogmatik, schliesst den metaphysischen Gedanken einer Effizienzur- wonach alles Seiende in seinem Ursprung erklaert ist als saechlichkeit von vornherein aus −, nicht aber wird Gott ens creatum und wo der Schoepfer das Gewisseste ist, nach Art eines Welt-Baumeisters vorgestellt. Weil das alles Seiende die Wirkung dieser seiendsten Ursache. Das Geschaffene Wort-Charakter besitzt, ist das Sein des Ursache-Wirkung-Verhaeltnis aber ist das Gemeinste und Geschaffenen ein Geheimnis: Das Seiende ist erkennbar Groebste und Naechste, was alle menschliche Berechnung und zugleich unbegreiflich. Die hebraeische Bibel hat und Verlorenheit an das Seiende sich zuhilfe nimmt, um sogar ein Wort, das ausschliesslich fuer das Schaffen Jah- etwas zu erklaeren, d.h. in die Klarheit des Gemeinen und wes vorbehalten ist: BARAH. Auf diese Weise wird das Gewohnten zu ruecken.“ (GA 65/110). schlechthin Unvergleichliche des goettlichen Schaffens angezeigt4. Und in Roem 1, 18−21 spricht Paulus vom 4. Das metaphysik-kritische Potential des Schoepfungs- Niederhalten der Wahrheit durch die Ungerechtigkeit: Ob- gedankens wohl Gott in der Schoepfung erkennbar ist, und die Menschen Gott erkannt haben, haben sie ihm nicht gedankt. Heideggers Kritik kann nach unserer UEberzeugung nicht Dank ist aber die Antwort auf ein Beschenktsein. Die Bi- ernst genug genommen werden − was allerdings nicht bel spricht auch sonst von der Schoepfung Gottes in Kate- heisst, sie kritiklos zu uebernehmen. Zweierlei faellt an gorien des Geschenks (vgl. auch Ps 8; 19; 104; 139). ihr auf: (1) Sie betrifft gleicherweise die biblischen Aus- Heidegger ignoriert das einfach. sagen wie deren theologisch-philosophische Auslegung, sie unterscheidet also nicht zwischen beiden, und sie 4.2 Technomorphe Auslegung des Schoepfungsverstaend- basiert (2) auf einer nur kursorischen Befassung mit Tex- nisses ten mittelalterlichen Philosophie, insbesondere denen des Thomas von Aquin. So fragwuerdig Heideggers Vormeinung ueber die biblische Rede von Schoepfung ist, so sehr gibt seine Kritik 4.1 Der Schoepfungsgedanke an der technomorphen Auslegung dieser Rede und an den ihr zugrundeliegenden hermeneutischen Prinzipien zu Heidegger beruft sich auf den ,,Schoepfungsbericht der denken. Genesis“, demgemaess ,,alles Seiende, das nicht Gott selbst ist, Geschaffenes ist“ (GA 24/167), und behauptet, Ein technomorphe Interpretation der Schoepfung muss dass ,,dieses Schaffen der Schoepfung den allgemeinen sich auf das Selbstverstaendnis des Menschen negativ ontologischen Charakter des Herstellens“ hat (GA 24/167). auswirken. Sie fuehrt konsequenterweise zur Vergegen- Diese Behauptung ist nicht nur pauschal und undifferen- staendlichung des Subjekts, fuer welches alles Seiende ziert, sondern wird auch in keiner Weise begruendet. Der zum verfuegbaren Objekt wird, und damit zur Vergegen- Schoepfungsgedanke liefert nicht, wie Heidegger unter- staendlichung der mitmenschlichen Bezuege. Aus dem stellt, eine Welterklaerung, aus der man auf das eigene Subjekt wird Hergestelltsein schliessen koennte. Schoepfung ist primaer ethischen Konsequenzen, die von solch einer Wirk- gar nicht Werkschoepfung, sondern Wortschoepfung. Und lichkeitsauffassung beguenstigt werden. Verbindet sich Wortschoepfung meint weder eine geistige und willentli- diese Auslegung noch dazu mit einem negativen Kontin- ein Objekt des Machens−mit allen 4 ,Das‘creare-erschaffen’ genannte Tun/Wirken Gottes ist im Glauben als ein solches erfahren, das als schlechthin von Gott allein vollzogenes erfasst wird und folglich als ein schlechthin von ihm allein auszusprechendes Wirken, fuer das es keinerlei wie auch immer vergleichbares Tun/ Wirken bei den Geschoepfen gibt. Das ist dem Alten Testament, d.h. denen, die um ihre Jahwe-Erfahrung wissen, derart offenkundig und daher eindeutig bewusst, dass dafuer im Hebraeischen der Bibel ein Sprachausdruck steht, der fuer Jahwe schlechthin reserviert ist: barah. Dieses Taetigkeitswort ... wird absolut allein nur fuer dieses unvergleichliche, streng analogielose Wirken Jahwes gesetzt, das wir ’erschaffen’ im Sinne des Glaubensbekenntnisses nennen” (R. Schulte, ’Schoepfung’ und ’Natur’, in: Wissenschaft und Glaube 4 (1991), 159−181, 167. 46 基調講演 3 genzgedanken−der Endlichkeit mit Unvollkommenheit Fuer den essentialistischen, in der skotistischen Tradition und Hinfaelligkeit identifiziert−, ist der Erfolg einer stehenden Seinsbegriff liegt der Schwerpunkt auf dem negativen Religionskritik im Sinne eines postulatorischen Wesen (essentia), wobei ,Wesen ‘ die vollinhaltlich bestim- Atheismus bereits vorprogrammiert 5. Wird der Bezug von mte Moeglichkeit (Was-heit, Sachgehalt, Realitaet) bedeu- Schoepfer und Geschoepf rein negativ nach Art eines tet. Das Sein (existentia) hat bloss die Aufgabe, das We- Konkurrenzverhaeltnisses vorgestellt, muss Gott um der sen aus dem Zustand der Moeglichkeit in den Zustand der Freiheit des Menschen willen negiert werden. Wirklichkeit ueberzufuehren. Das Sein wird damit zur bedeutungsnackten Faktizitaet, es meint nur mehr das blosse Es ist Heidegger zuzugeben, dass die abendlaendische Dass-sein eines Wesens. Heidegger hielt dieses skotis- Metaphysik auf weite Strecken hin durch ein technomor- tische Seinsverstaendnis, an dem sich seine Kritik phes Seinsverstaendnis gekennzeichnet ist, seine Behaup- entzuendete, fuer das allein massgebliche der mittelalterli- tung aber, die abendlaendische Metaphysik insgesamt sei chen Metaphysik, weshalb er es auch in Thomas zu fin- durch Seinsvergessenheit charakterisiert und laufe infol- den meinte. gedessen auf ein rechnend-verfuegendes Wirklichkeitsverstaendnis hinaus, laesst sich in dieser Form nicht au- Es gibt bei Thomas jedoch ganz andere Ansaetze, die der frechterhalten. Und ebensowenig wurde der Schoepfungs- von Heidegger kritisierten Unterscheidung von essentia gedanke ausschliesslich in technomorphem Sinn interpre- und existentia geradezu zuwiderlaufen. Thomas redet im tiert. Als Beispiel fuer das metaphysik-kritische Potential Zusammenhang dieser Unterscheidung bezeichnender- des Schoepfungsgedankens sei Thomas von Aquin ange- weise nicht von ,existentia ‘, sondern von ,esse ‘, was sich fuehrt, dessen Frageansaetze um einiges differenzierter wiederum auf das Verstaendnis von ,essentia ‘ auswirkt. sind, als die Darstellung Heideggers nahelegt. Thomas meint mit ,essentia ‘ im Gegensatz zu Heideggers Auslegung nicht einen vollinhaltlich konstituierten Heidegger orientiert sich naemlich nur an jenen Thomas- Sachgehalt, der nur darauf wartet, in den Zustand der Ex- texten, die Anlass fuer jenen essentialistischen Seinsbe- istenz (Wirklichkeit) uebergefuehrt zu werden. ,Essentia ‘ griff gewesen sind, der ueber die Vermittlung der von (Wesen) bedeutet bei ihm nicht einen existenz-neutralen Duns Scotus (1265/66−1308) ausgehenden Tradition (, Sachgehalt, sondern das jeweilige Sein-koennen eines skotistische Tradition ‘) die neuzeitliche Metaphysik (Kant, Seienden, d.h. es benennt die Art und Weise, gemaess der Schelling, Hegel) und vor allem die Neuscholastik des 19. ein Seiendes am Sein teilnimmt und das Ganze des Seins und des beginnenden 20. Jahrhunderts bestimmt hat. (Un- repraesentiert. Und ,esse ‘ meint nicht den Existenzzustand ter ,Neuscholastik ‘ versteht man eine von Italien zu Be- eines Moeglichen, nicht das Gesetztsein ausserhalb der ginn des 19. Jahrhunderts ausgehende Erneuerungsbewegung Ursachen (positio extra causas), sondern Seinsfuelle (,per- christlicher Philosophie an den katholischen Hochschulen fectio perfectionum ‘). Das Sein des Seienden ereignet sich und kirchlichen Lehranstalten, welche die Ausbildung des als Teilhabe (participatio) und Symbol (repraesentatio) Klerus zur Aufgabe hatten. Diese Erneuerungsbewegung dieser Seinsfuelle. ,Wirklich ‘ heisst nicht ,verwirklicht orientierte sich an der von der Philosophie und Theologie sein ‘, sondern ,an der Seinsfuelle teilhaben‘. ,Teilhaben ‘ des 13. Jahrhunderts ausgehenden Tradition mittelalterli- heisst nicht, einen Teil haben, sondern ,teilweise sein ‘. chen Denkens. Ihr Verdienst liegt nicht so sehr in der Das wird noch deutlicher, wenn man genau auf den Entdeckung neuer Fragestellungen, sondern darin, die im Schoepfungsbegriff bei Thomas achtet. 19. Jahrhundert fast abgebrochene metaphysische Tradition ueberhaupt wachgehalten zu haben.) Gewiss sagt Thomas, man koenne den Bezug von Schoepfer und Schoepfung mit der Beziehung von Kuenstler und Kunstwerk vergleichen, und Gott sei die causa 5 Die geradezu klassische Formulierung solch eines antithetischen Schoepfungsverstaendnisses findet sich bei L. Feuerbach: ,,Gott ist nicht, was der Mensch ist - der Mensch nicht, was Gott ist. Gott ist das unendliche, der Mensch das endliche Wesen; Gott vollkommen, der Mensch unvollkommen; Gott ewig, der Mensch zeitlich; Gott allmaechtig, der Mensch ohnmaechtig; Gott heilig, der Mensch suendhaft. Gott und Mensch sind Extreme: Gott das schlechthin Positive, der Inbegriff aller Realitaeten, der Mensch das schlechtweg Negative, der Inbegriff aller Nichtigkeiten. “ (Das Wesen des Christentums, Stuttgart 1974, 80). 基調講演 3 47 prima alles Seienden. Aber diese Aussagen stehen in fungsgedanke fuehrt in die Grundhaltung des Dankes und einem Kontext, der nicht mehr von einem metaphysisch- ermoeglicht es, das Verfuegen zu relativieren und in die technomorphen Das Haltung der Gelassenheit aufzuheben. Er erkennt, dass belegen die Grundworte, in denen Thomas die Rede von alles menschliche Tun im Grund einen antwortenden Schoepfung auslegt. Schaffen (creare) heisst, das Sein ge- Charakter besitzt. Was wahrhaft menschlich ist, wird ja ben (,,creare autem est dare esse rei creatae“, Super Ev. S. von uns in der Weise vollbracht, dass es zur Gabe an uns Joannis lect. V, n. 133). Und das Wort ,agere ‘ (wirken) wird, an der wir teilnehmen duerfen. Erstaunlicherweise bzw. ,actus ‘ (Wirklichkeit) verweist nicht in den Kontext gewinnen wir Anteil an dem, was wir selbst vollbringen, einer Effizienzursaechlichkeit, es bedeutet nicht ,leisten ‘, und so ist es nie nur eine Leistung. Genau das sagen ja ,machen ‘ oder ,verwirklichen ‘, sondern ,mitteilen ‘ bzw. ? die alten Worte ,Gunst ‘, ,Gluecken ‘. Wer Sein als Gabe (Selbst-)Mitteilung ‘. ,Wirken ‘, sagt Thomas, bedeute zu verstehen gelernt hat, wird offen fuer die denkwuer- nichts anderes als ,mitteilen ‘ (,,agere vero nihil aliud est dige Erfahrung, dass wir unter dem lautlosen Anruf des quam communicare“, Pot. 2, 1). Thomas legt den Schoep- Guten stehen, dass das Gute von uns vollbracht werden fungsbezug nicht herstellungsanalog, sondern freiheitsana- moechte, und wir zu solchem Tun gewuerdigt sind, d.h. log aus. Das Schaffen Gottes beruht im Geben, in der Ge- dass wir Gutes tun duerfen. Er erfaehrt sein Dasein als waehr des Seins. Geschaffen zu sein heisst: mit sich selbst Quellgrund, aus dem uns die Moeglichkeiten, das Gute zu begabt sein, sein duerfen. Seiendes ist, indem es sich tun, jeweils neu entspringen. Es waere wert darueber gegeben ist. Bei Thomas ist der bedeutungsgebende Ur- nachzudenken, inwieweit die Auslegung des Menschen als sprung der ontologischen Grundbegriffe ,esse ‘ und ,essen- Trieb- und Beduerfniswesen die Folge einer Unter- tia ‘ das personale Verhaeltnis der Gabe und des Sich- drueckung und eines Niederhaltens dieser grundlegenden schenkens. (So wie Liebende sich einander schenken und Erfahrung ist. Seinsverstaendnis bestimmt ist. so zur Selbstaendigkeit verhelfen.) Dass das Sein des Seienden durch die Differenz von esse und essentia gek- Wie immer es auch damit bestellt sein mag: Bei Thomas ennzeichnet ist, bedeutet, dass Seiendes zur Gaenze sich hat der Schoepfungsgedanke die genau gegenteilige Funk- selbst gegeben ist und so zu seiner Selbstaendigkeit er- tion, die ihm Heidegger im Hinblick auf die Metaphysik maechtigt ist. Fuer Thomas ist ein verbales (zeitwoertli- zuschreibt. ches) Seinsverstaendnis massgeblich. Er denkt Sein als Er- metaphysisch-technomorphe Seinsverstaendnis, eignis der Seins-Mitteilung und Seins-Teilhabe (participa- bricht es−ganz im Gegenteil− auf. Man muss allerdings tio): Das Sein des Seienden ereignet sich als Gegebensein einschraenkend hinzufuegen, dass der Geschenkcharakter und Gegebenwerden. Im Falle des Menschen bedeutet des Seins bei Thomas zwar an den entscheidenden Stellen das: Das Dasein des Menschen geschieht als ein seines Werks ausdruecklich betont wird, aufs Ganze gese- Freigegeben-sein bzw. Freigegeben-werden zur Freiheit, hen jedoch eher den unausgesprochenen Hintergrund d.i. zur Selbstaendigkeit des Seins und Sich-Vollziehens. seines Denkens bildet. Im Vordergrund steht oft eine tech- Der entsprechende ethische Imperativ wuerde lauten: nomorphe Begrifflichkeit. Dadurch geraet sein Denken in Einander zur Freiheit freigeben eine eigentuemliche Spannung. Bezeichnenderweise wurden Er seine verstaerkt ueber das und verfestigt nicht herstellungsanaloge das sondern Denken Die Bedeutung solch eines Seinsverstaendnisses fuer die hinausweisenden Ansaetze in der Geschichte der Schul- Gegenwart kann kaum ueberschaetzt werden. Es kann philosophie bis in unser Jahrhundert hinein kaum wirk- naemlich den Menschen vom Druck einer ueber das maechtig. Freilich: Dass man sie bei genauem Hinsehen Seiende (und damit auch ueber sich selbst) total verfuegen bei ihm entdecken kann, verdankt man zum Grossteil wollenden Haltung befreien kann. Befreiung bedeutet nicht nicht einen Verzicht, sondern einen radikalen Wandel des phiegeschichtliche Forschung verdankt ihm die Moeg- Verfuegens. Wer von diesem Druck befreit ist, verzichtet lichkeit einer neuen Wuerdigung der ontologischen Texte nicht einfachhin auf das Verfuegen (was ohnehin unmoeg- christlicher Denker, insbesondere eine verstaendnisvollere lich waere), sondern er raeumt ihm nicht mehr den ober- Relektuere des Thomas von Aquin−und das in Ueber- sten Stellenwert ein, macht diese Haltung nicht zum ober- windung der neuscholastischen Auslegungsbahnen, in sten Massstab des Lebens. Ein recht verstandener Schoep- denen Heidegger noch befangen war. Denn so wichtig 48 基調講演 3 zuletzt der Kritik Heideggers. Die philoso- textkritische Quelleneditionen sind−die Texte bleiben pus Philosophorum Teutonicorum Medii Aevii ‘). Dennoch stumm, wenn sie nicht durch unsere Fragen zum Sprechen bleibt in der Zukunft noch viel zu tun uebrig. So ist z.B. gebracht werden und darin umgekehrt zur Anfrage an uns die historisch-kritische Ausgabe der Werke Meister Eck- werden koennen. harts (1260?−1327) (begonnen 1936) ebenso unvollstaendig wie diejenige der Werke des Nikolaus von Kues Es war unter anderem das Verdienst der phaenomenolo- (1401−1464) (begonnen 1929). Vor allem fehlt es immer gischen Devise ,Zu den Sachen selbst ‘, das Bewusstsein noch an textkritischen zweisprachigen Ausgaben der von der notwendigen Destruktion tradierter Grundbegriffe grossen Autoren. So gibt es immer noch keine voll- und Fragehinsichten geweckt zu haben. Heideggers Kritik staendige lateinisch/deutsche Ausgabe der Werke des am onto-theologischen Charakter der abendlaendischen Augustinus (354−430). Und die lateinisch/deutsche Aus- Metaphysik war ein markantes Beispiel dafuer. Destruk- gabe der Theologischen Summe des Thomas von Aquin tion zielt nicht auf Zerstoerung, sondern verfolgt eine (1225−1274) (begonnen 1933) ist ebenfalls noch unvoll- positive Absicht: Gemeint ist das Freilegen verschuetteter staendig. Quelleneditionen sind von bestimmten Interessen Moeglichkeiten, die darauf warten, neu ergriffen zu wer- geleitet. Das gegenwaertige Forschungsinteresse an der den. Das Gewesene ist nicht einfach das Vergangene, das mittelalterlichen Philosophie bezieht sich in erhoehtem uns nichts mehr zu sagen hat, sondern dasjenige, was Mass auf die (spaet-)mittelalterlichen Wurzeln der mod- Zukunft eroeffnet, weil es unbedachte Moeglichkeiten in ernen Wissenschaft und der neuzeitlichen Philosophie. sich enthaelt. In unserem Fall handelt es sich um Moeg- Aus diesem Grund hat sich die Aufmerksamkeit in den lichkeiten eines neuen Weltverstaendnisses im Zeitalter letzten Jahren Denkern zugewendet, die in traditioneller der Technik. Dabei kann es nicht darum gehen, den Men- Sicht dem ,Nebenstrom ‘ mittelalterlichen Denkens ange- schen wissenschaftlich zu erklaeren und auf diese Weise hoeren. Es sei hier auf die in Hamburg erscheinende Aus- theoretisch abzuschaffen, sondern darum, methodisch- gabe der Werke des Dietrich von Freiberg (gest. um kritisch ein Welt- und Selbstverstaendnis zu erarbeiten, in 1320) verwiesen. dem er sich als Mensch wiederfinden kann. Es kann kein Zweifel sein, dass dabei dem christlichen Glauben und So unentbehrlich die historisch-kritische Forschung jedoch seiner philosophisch-theologischen Auslegung eine unver- ist, sie darf nicht zum Selbstzweck werden und nicht um- zichtbare Rolle innerhalb der grossen Weltkulturen willen eines bloss historischen Interesses betrieben werden. zukommt. Genau darin liegt nicht nur die Notwendigkeit, Es geht ja nicht bloss um eine aeusserliche Kenntnis- sondern auch die Fruchtbarkeit einer Auseinandersetzung nahme von laengst Vergangenem, sondern um eine mit der klassischen christlichen Literatur. selbstkritische Auseinandersetzung, die sich um gemeinsame Wahrheitsfindung bemueht. Das aber ist eine Solch eine Auseinandersetzung setzt die historisch- Aufgabe, mit der wir an kein definites Ende kommen kritische Edition des entsprechenden Quellenmaterials koennen. Denn die Wirklichkeit gibt uns immer mehr zu voraus. Hier ist in der Vergangenheit Grosses geleistet denken, als wir von ihr erfassen koennen. Was wir er- worden. Es darf stellvertretend auf die allgemeinen fasssen koennen, ist allemal sprachlich-geschichtlich und Textsammlungen der klassischen christlich-philosophischen kulturell begrenzt. Freilich wissen wir um diese unsere Literatur verwiesen werden. Als Beispiele seien genannt: Begrenztheit. Deshalb sind wir aufgefordert, uns in das (1) Die in Wien erscheinende Sammlung Kirchlicher Gespraech mit anderen Denkansaetzen zu begeben und lateinischer Schriftsteller (,Corpus Scriptorum Ecclesiasti- uns davon kritisch in Frage stellen zu lassen. Denn kein corum Latinorum ‘, welches u.a. textkritische Einzelausga- um Wahrheit bemuehter Gedanke ist so neu, dass er der ben der Schriften des Augustinus enthaelt). (2) Die in unueberholbar letzte waere, keiner aber auch so alt, dass Turnhout/Belgien erscheinende, mehrere Abteilungen um- er keine Bedeutung mehr fuer uns haette. Das ist der fassende Sammlung Christlicher Schriftsteller (,Corpus Grund, weshalb eine weltweite Erforschung klassischer Christianorum ‘ mit den Abteilungen: ,Series Latina ‘, , Literaturen zu den wichtigsten Aufgaben der Zukunft ge- Continuatio Mediaevalis ‘, ,Series Graeca ‘ und ,Series hoert. Apocryphorum ‘) (3) Die in Hamburg herausgegebene Sammlung deutscher Philosophen des Mittelalters (,Cor- 基調講演 3 49