Das metaphysik-kritische Potential des biblischen

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基調講演3
Das metaphysik-kritische Potential des
biblischen Schoepfungsglaubens
聖書の創造信仰の形而上学批判的可能性
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Die Ausbildung einer christlichen Theologie, d.h. einer
Heideggers eine wenn auch indirekte, so dennoch
methodisch-kritischen
christlichen
wichtige Rolle: (1) Die These, die abendlaendische Meta-
Glaubensverstaendnisses gehoert zu den grundlegenden
physik vollende sich im Wesen der modernen Technik, d.i.
Eigentuemlichkeiten
Geistes-
in einem Wirklichkeitsbezug des Menschen, dem es
geschichte. Bei dieser Ausbildung kommt der Philosophie
ausschliesslich um die rechnende Sicherstellung alles
(in der Vielfalt ihrer Ausformungen) eine unverzichtbare
Seienden geht. (2) Die These, der biblische Schoep-
Rolle zu. Die Sache einer christlichen Theologie ist die
fungsglaube habe dieser Metaphysik infolge einer inneren
Offenbarung Gottes in Jesus Christus. Offenbarung ergeht
Affinitaet zum Sieg verholfen, und sei demnach mitver-
immer an jemanden, von dem sie verstanden und existen-
antwortlich fuer den in der Zwischenzeit global gewor-
ziell angenommen werden moechte. Deshalb gehoert der
denen Willen zur totalen Machbarkeit, dessen Auswirkun-
Adressat−es ist der seinsverstehende Mensch−wesentlich
gen nicht abzuschaetzen sind.
Aneignung
der
des
abendlaendischen
in das Offenbarungsgeschehen hinein. Ist nun das Medium
der goettlichen Offenbarung das Seinsverstaendnis des
Im Folgenden wird versucht, im Gegensatz zu Heidegger
Menschen,
das
dann
erfordert
ein
reflektiertes
Offen-
metaphysik-kritische
Potential
des
Schoepfungs-
barungsverstaendnis eine kritisch reflektierte Entfaltung
gedankens aufzuweisen. Es geschieht dies in der Absicht
dieses Seinsverstaendnisses. Da diese Entfaltung Sache
aufzuzeigen, dass die Beschaeftigung mit klassischen Tex-
der Philosophie ist, ist die Philosophie in einer christli-
ten der Geistesgeschichte unverzichtbar ist, wenn man
chen Theologie unverzichtbar.
sich den Vorurteilen der eigenen Gegenwart nicht kritiklos
ausliefern will.
Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass die Theologie
massgeblich von den Grundbegriffen der klassischen
1. Die metaphysische Seinsthese: die Unterscheidung
griechischen Metaphysik bestimmt ist. Gewiss wurde die
von essentia und existentia
metaphysische Begrifflichkeit dem Glaubensverstaendnis
nicht unkritisch aufgepraegt, sondern in der UEbernahme
Heidegger eroertert die seiner Meinung nach bestehende
durch die Theologie umgeformt. (Hier waere auf den Per-
Affinitaet des Schoepfungsgedankens mit der abend-
sonbegriff zu verweisen, der in der Philosophie eine
laendischen Metaphysik relativ ausfuehrlich im Rahmen
grosse Rolle spielt, aber theologischen Ursprungs ist.)
der auf Aristoteles zurueckgehenden Seinsthese der mitte-
Dennoch ist eine Dominanz der klassisch-metaphysischen
lalterlichen Metaphysik. Diese Eroerterung findet sich in
Grundbegriffe innerhalb der Theologie nicht zu ueberse-
einer Vorlesung, die Heidegger im Sommersemester 1927
hen−ein Problem, das unter dem Titel ,Hellenisierung des
unter dem Titel ,,Die Grundprobleme der Phaenomenolo-
Christentums
‘ ein lang und breit diskutiertes Thema ge-
gie“ gehalten hat, und die als Band 24 der Gesamtausgabe
worden ist. In dieser Diskussion spielen zwei Thesen
seiner Werke erschienen ist (zitiert als GA 24 mit Angabe
42 基調講演 3
der Seitenzahlen). Die folgenden Ueberlegungen beziehen
ontischen Fundaments einer Ontologie. ,,Die Ontologie
sich deshalb vorwiegend auf diese Vorlesung. Das bedeu-
laesst sich selbst nicht rein ontologisch begruenden. ...
tet zwar im Hinblick auf Heideggers seinsgeschichtliche
Ontologie hat ein ontisches Fundament“ (GA 24/26).
Deutung der Metaphysik eine Beschraenkung, die aber
fuer unsere Zwecke in Kauf genommen werden kann.
1.2 Die Funktion der Seinsthese der mittelalterlichen Ontologie
1.1 Die Frage nach dem Sinn von Sein ueberhaupt und
die Notwendigkeit einer phaenomenologischen Destruk-
Die auf Aristoteles zurueckgehende Seinsthese der mitte-
tion
lalterlichen Ontologie lautet: ,,Zur Seinsverfassung eines
Der Vorlesung geht es um die Frage nach dem ,,Sinn von
Vorhandensein (existentia)“ GA 24/20). Nach Heidegger
Sein ueberhaupt“ (GA 24/21). Die Ausarbeitung dieser
sind ,essentia/existentia
‘ die beiden Grundbegriffe der mit-
Frage erfolgt im methodischen Dreischritt von phaenome-
telalterlichen Ontologie. Mit Hilfe dieser Seinsthese laesst
nologischer Reduktion, Konstruktion und Destruktion. (1)
sich das endliche Seiende von dem unendlichen Seienden,
Philosophie ist ,,kritisch transzendentale Wissenschaft
d.i. das geschaffene Seiende von dem ungeschaffenen,
vom Sein“ (GA 24/23). (Heidegger gebraucht hier die
hoechsten Seienden, d.i. Gott, unterscheiden (GA 24/110).
Seienden gehoeren das Was-sein (essentia) und das
Ausdruecke ,Philosophie
‘, ,Ontologie
‘ und ,Metaphysik
‘ synonym.) Sein ist jeweils ,,Sein eines Seienden“ (GA
(a) Das endliche Sein ist durch den Unterschied von es-
24/22) und nur in ihm zugaenglich. Eine Wissenschaft
sentia und existentia charakterisiert. Das endliche Seiende
vom Sein muss demnach in ihrem ersten Schritt Seiendes
kann auch nicht existieren (nicht wirklichsein), das Ex-
auf dessen Sein zurueckfuehren (phaenomenologische Re-
istieren folgt bei ihm nicht aus seinem Wesen, d.h. das
duktion) 1. (2) Weil jedoch Sein kein vorfindbares
Existieren ist eine Wesenszufaelligkeit. Seiendes, welches
Seiendes ist, muss es ,,in einem freien Entwurf in den
auch nicht existieren (nicht wirklichsein) kann, ist ,,moeg-
Blick gebracht werden“ (Seinsentwurf als phaenomenolo-
liches Seiendes“ (GA 24/110). Dass ein moegliches
gische Konstruktion, GA 24/30). (3) Und weil sich jedes
Seiendes dennoch existiert (wirklich ist), heisst, dass seine
philosophische Fragen notwendigerweise in geschichtlich
essentia verwirklicht ist. ,,Das Moegliche hat sich ver-
bestimmten Vorbegriffen bewegt, deren sachliche Ange-
wirklicht, die essentia ist wirklich, existiert“ (GA 24/111).
messenheit erst auszuweisen ist, muss in einem dritten
Die Wirklichkeit eines geschaffenen Seienden beruht in
Schritt der bedeutungsgebende Ursprung der ueberkom-
der Verwirklichung seiner Moeglichkeit. (b) Beim un-
menen Begrifflichkeit freigelegt werden (phaenomenolo-
endlichen Sein verhaelt es sich hingegen anders. Ex-
gische Destruktion, GA 24/31) 2. Der bedeutungsgebende
istieren ist fuer Gott keine Wesenszufaelligkeit, sondern
Ursprung einer ontologischen Begrifflichkeit liegt in
eine Wesensnotwendigkeit, die Folge seines Wesens. Das
einem bestimmten seinsverstehenden Verhalten zu Seien-
Wesen (essentia) Gottes schliesst die Moeglichkeit des
dem. Heidegger nennt diesen Ursprung das ontische Fun-
Nicht-Existierens (Nicht-Wirklichseins) aus. Das unendli-
dament einer Ontologie. Wenn naemlich der Seinsentwurf
che Sein Gottes ist deshalb durch die Identitaet von es-
immer nur in einem Verhalten zu Seiendem vollzogen
sentia und existentia charakterisiert. In Gott ,,fallen Exis-
wird, dann ist umgekehrt dieses Verhalten von wesentli-
tenz und Wesenheit zusammen. Das Wesen Gottes ist
cher Bedeutung fuer die Gewinnung der ontologischen
seine Existenz.“ (GA 24/116).
Begrifflichkeit. Phaenomenologische Reduktion, Konstruktion und Destruktion sind untrennbar. Deshalb gehoert zur phaenomenologischen Destruktion der Aufweis des
1
Die phaenomenologische Reduktion im Sinne Heideggers ist Rueckfuehrung des Seienden auf dessen Sein, nicht aber im Sinne Husserls
Rueckfuehrung der natuerlichen Einstellung auf das transzendentale Bewusstseinsleben (GA 24/29). Sie nimmt genauer besehen ihren Ausgang
vom verstehenden Sich-Verhalten zu Seiendem und fuehrt dieses zurueck auf das Seinsverstehen als dessen Ermoeglichung: Sie ist Rueckfuehrung
der “Erfassung des Seienden auf das Verstehen des Seins” (GA 24/29).
2 Die Destruktion ist als ,,kritischer Abbau der ueberkommenen und zunaechst notwendig zu verwendenden Begriffe auf die Quellen, aus denen
sie geschoepft sind“, keine Negation der Tradition, sondern bedeutet ,,umgekehrt gerade <ihre> positive Aneignung“ (GA 24/31).
基調講演 3 43
2. Die phaenomenologische Destruktion der These: Das
Seienden mit Ruecksicht auf das herstellende Verhalten
herstellende Verhalten als Bedeutungsursprung von es-
entwachsen, und zwar auf ein herstellendes Verhalten, das
sentia und existentia
in dieser Interpretation nicht eigens erfasst und ausdruecklich begriffen ist.“ (GA 24/147 f). In den ontologischen
Will man den Sinn von ,essentia
‘ und ,existentia
‘ verste-
Grundbegriffe ,essentia/existentia
‘ drueckt sich ein techno-
hen, muss man die Fragen beachten, auf welche die
morphes (=ein vom technisch-praktischen Verhalten ge-
beiden ontologischen Grundbegriffe antworten.
praegtes) Seinsverstaendnis aus. Zur Bekraeftigung verweist Heidegger auf die klassisch-griechische Metaphysik.
Mit der essentia wird auf die Frage geantwortet, was et-
In ihr besitzt das EIDOS (Aussehen) den Vorrang vor der
was ist - abgesehen davon, ob das in Frage Stehende ex-
MORPHE (Gepraege) eines Seienden.
istiert oder nicht. Essentia meint ?das sachhaltige Wesen,
Washeit, Sachheit (realitas)
‘ (GA 24/ 119). Der lateinische
Die lateinische ,essentia
‘ weist zurueck auf die beiden
Ausdruck ,essentia
‘ meint das, was im Griechischen mit
Grundworte MORPHE und EIDOS. Es sind dies die
TO TI EN EINAI bezeichnet wird. Heidegger uebersetzt
griechischen ,,Bestimmungen fuer die Sachheit, das
und interpretiert den griechischen Ausdruck mit: ,,das,
Aussehen und das Gepraege eines Dinges“ (GA 24/149).
was jegliches Ding seiner Sachheit nach schon war, bevor
Das Gepraege (MORPHE) gruendet im Aussehen (EI-
es sich verwirklichte” (GA 24/120). Damit will er deutlich
DOS). Der Vorrang des EIDOS vor der MORPHE findet
machen, weshalb in der neuzeitlichen Metaphysik ,essen-
seine Erklaerung darin, dass diese Begriffe ,,im Hinblick
tia
‘ die Bedeutung von ,Moeglichkeit
‘ bekommen hat.
auf das Herstellen“ (GA 24/150) gewonnen worden sind.
Denn was jegliches schon gewesen ist, ist es seiner Moeg-
Denn bei der Herstellung wird das Aussehen des Dinges
lichkeit nach gewesen.
vorweggenommen, und das Hergestellte erhaelt im Hinblick auf das zuvor gesichtete Aussehen (EIDOS) sein
Mit der existentia wird auf die Frage geantwortet, ob et-
Gepraege (MOPRHE). Das EIDOS als das ,,vorweg-
was ist. Auch hier verweist Heidegger auf Begriffe, die
genommene Aussehen des zu Praegenden gibt das Ding
mit ,existentia
‘ verwandt sind. Statt ,existentia
‘ wird ,esse
‘
hinsichtlich dessen, was dieses vor aller Verwirklichung
(Sein) sowie ,actualitas
‘ (Wirklichkeit) gebraucht. Actuali-
schon war und ist.“ (GA 24/150 f). Deshalb ist das EI-
tas
‘ ist vom lateinischen ,agere
‘ (wirken) abgeleitet. Ex-
DOS fuer die griechische Metaphysik das TO TI EN
istieren heisst, aufgrund eines Wirkens (agere) sein. Das
EINAI (= das, was das Seiende schon war) (GA 24/151).
Wirkliche ist das Gewirkte, das fuer sich bestehende Resultat eines Wirkens. Existenz ,,besagt Gewirktheit bzw.
Damit bestaetigt sich fuer Heidegger, dass ,existentia
‘ ,V
die in der Gewirktheit liegende Wirklichkeit (actualitas,
ohrandenheit
‘ bedeutet: ,,Sein, Wirklichsein, Existieren im
ENERGEIA, ENTELECHEIA)“ (GA 24/123). Dieses
traditionellen Sinne besagt Vorhandenheit“ (GA 24/152).
Wort nennt den Grund eines Zustands bzw. den Zustand
Denn das Hergestellte ist das, was zum Vorliegen, d.i. ,,in
selbst, in dem sich ein Sachgehalt (essentia) befindet.
den engeren oder weiteren Umkreis des Zugaengli-
Durch die Existenz ,,wird eine Sache, d.h. ein bloss
chen“ gebracht ist (GA 24/152). Heidegger fragt sich al-
Moegliches, ein bestimmtes Was, ausserhalb der Ursachen
lerdings, ob nicht seine ,,Interpretation des Seins des
gesetzt und gestellt” (GA 24/123).
Seienden als eines Hergestellten eine unertraegliche Einseitigkeit“ (GA 24/162) darstelle, und ob nicht die Inter-
Die Leitfrage der phaenomenologischen Destruktion lau-
pretation von existere als ,,Vorhandenheit und Herg-
tet: ,,Warum wird Existenz als Verwirklichung und Wirk-
estelltheit“ scheitern muesse (GA 24/162).
lichkeit gefasst ? Warum geht die Interpretation der Existenz auf das agere, auf das agens, auf das ENERGEIN,
Auf diesen seinen Selbsteinwand antwortet Heidegger mit
auf das ERGAZESTHAI zurueck?“ (GA 24/ 142). Das ist
dem Hinweis auf die zentrale Stellung, die das Begriff-
deshalb so, antwortet Heidegger, weil das ontische Funda-
spaar ,Materie/Form
‘ in der abendlaendischen Metaphysik
ment der Ontologie in einem technisch-praktischen (= her-
einnimmt. Was vor allem Herstellen schon vorliegt, ist der
stellenden) Verhalten zu Seiendem liegt. ,,Die beiden Be-
Stoff, das Material, auf dessen Verwendung das Herstellen
griffe essentia und existentia sind einer Interpretation des
angewiesen bleibt, weil etwas aus etwas hergestellt wird.
44 基調講演 3
Indem naemlich das von Natur aus Wirkliche, das ohne
fuehrung alles Seienden auf ein hoechstes Seiendes,
Zutun des Menschen schon Vorliegende, als ,,Stoff, Mate-
naemlich Gott. Das Geschaffene ist das von Gott ,,Ange-
rial“ (GA 24/163) verstanden wird, ist es bereits aus dem
fertigte“ (GA 5/14). Der selbst technomorphe Schoep-
Herstellungshorizont begriffen. Es ist das herstellungsun-
fungsgedanke verstaerkt und verfestigt also den Sein-
beduerftige Seiende, ,,das an sich vorhanden ist vor aller
sentwurf
und fuer alle weitere Herstellung“ (GA 24/163). ,An-sich-
diese
sein
‘ heisst ,herstellungsunbeduerftig sein’. Auf etwas
Auslegung des Seins. Diese Vorherrschaft behauptet sich
Herstellungsunbeduerftiges kann man nur im Horizont
in der abendlaendischen Metaphysik auch dann noch,
von Herstellung stossen (GA 24/163). Der Aufweis des
wenn der Glaube an einen Schoepfergott seine Kraft ver-
technomorphen Ursprungs der Begriffe essentia und exis-
liert, und an die Stelle Gottes die menschliche Vernunft
tentia beinhaltet also nicht die Behauptung, wirklich sei
tritt, fuer die alles Seiende zum blossen Gegenstand und
nur das vom Menschen Hergestellte, sondern er besagt,
im Zeitalter der Technik (seit der europaeischen Neuzeit)
dass das Wort ,wirklich
‘ vom Herstellen her und auf es
dem Gedanken der totalen Machbarkeit unterworfen wird.
hin verstanden wird. Das Wirkliche insgesamt wird her-
Fuer Heidegger hat diese geschichtliche Konstellation
stellungsanalog verstanden.
zwei denkwuerdige Folgen:
3. Schoepfungsgedanke und metaphysisches Seinsver-
(1) Wo Gott als Wirkursache der Welt gedacht wird, ver-
staendnis.
liert er seine unnahbare Heiligkeit. ,,So kann, wo alles
der griechischen Metaphysik und sichert auf
Weise
Anwesende
die
sich
Vorherrschaft
im
Lichte
des
der
technomorphen
Ursache-Wirkung-
Der Grund fuer die Uebernahme der antiken ontolo-
Zusammenhangs darstellt, sogar Gott fuer das Vorstellen
gischen Grundbegriffe durch die mittelalterliche Ontologie
alles Heilige und Hohe, das Geheimnisvolle seiner Ferne
liegt fuer Heidegger in der fraglosen Geltung des bib-
verlieren. Gott kann im Lichte der Kausalitaet zu einer
lischen Schoepfungsgedankens. ,,Man haelt an der uner-
Ursache, zur causa efficiens, herabsinken. Er wird dann
schuetterlichen UEberzeugung fest, dass das Seiende als
sogar innerhalb der Theologie zum Gott der Philosophen,
von Gott geschaffen verstanden werden muesse“ (GA 24/
jener naemlich, die das Unverborgene und Verborgene
140). Schoepfung aber wird immer−dies der durchge-
nach der Kausalitaet des Machens bestimmen, ohne dabei
hende Tenor Heideggers bis in seine Spaetphilosophie
jemals die Wesensherkunft dieser Kausalitaet zu be-
hinein−als Herstellung verstanden, Gott, der Schoepfer,
denken.“ (Die Frage nach der Technik, in: Die Technik
gilt als ,,Hersteller der Dinge“ (GA 24/148). Wenngleich
und die Kehre, Pfullingen 1962, S. 26). (2) Das Sein des
,,die Schoepfung aus dem Nichts nicht mit dem Herstellen
Seienden verliert den Charakter des denkwuerdigen Ge-
von etwas aus einem vorhandenen vorliegenden Material
heimnisses. Mit dem Verursachtsein kommt die Mach-
identisch ist, so hat doch dieses Schaffen der Schoepfung
barkeit des Seienden zum Vorschein. ,,Dieses ehemals
den allgemeinen ontologischen Charakter des Herstellens.“
vom Schoepfergott gemachte Seiende wurde dann zum
(GA 24/167 f). Dieser ,ontologische Charakter des Her-
Gemaechte des Menschen, sofern jetzt das Seiende nur in
stellens
‘ ist nach Heidegger der Grund fuer die mittelalter-
seiner Gegenstaendlichkeit genommen und beherrscht
liche Rezeption der antiken ontologischen Begrifflichkeit.
wird” (GA 65/111). Heidegger spricht von Seinsverlassen-
Diese Begrifflichkeit ist ,,der christlichen Weltauffassung
heit 3, an der das Christentum mit seiner Umdeutung des
und Auffassung des Seienden als ens creatum gleichsam
Seienden zu einem goettlichen Machwerk mitgewirkt habe.
auf den Leib zugeschnitten. Gott ist als das ens increatum
Unter Seinsverlassenheit versteht Heidegger ein Seinsver-
das herstellungsunbeduerftige Seiende schlechthin und
staendnis, fuer welches das Seiende zu etwas prinzipiell
fuer alles andere Seiende die causa prima“ (GA 24/168).
Verfuegbarem und Gleichgueltigem geworden ist und
Fuer Heidegger ist der Schoepfungsgedanke eine ,,on-
jedes ,nicht
‘ von vornherein zu einem ,noch nicht
‘ um-
tische Erklaerung“ (GA 24/140), d.h. eine kausale Rueck-
gedeutet wird. Sehr scharf heisst es in den ,,Beitraegen
3 ,,Seinsverlassenheit des Seienden: dass das Seyn vom Seienden sich zurueckgezogen und das Seiende zunaechst (christlich) nur zu dem von
anderem Seienden Gemachten wurde. Das oberste Seiende als Ursache alles Seienden uebernahm das Wesen des Seyns. Dieses ehemals vom
Schoepfergott gemachte Seiende wurde dann zum Gemaechte des Menschen, sofern jetzt das Seiende nur in seiner Gegenstaendlichkeit genommen
und beherrscht wird“ (GA 65/111).
基調講演 3 45
zur Philosophie“: ,,Die Seinsverlassenheit ist am staerk-
che Machtaeusserung noch ein Machen−der Schoepfer-
sten dort, wo sie sich am entschiedensten versteckt. Das
gott ist kein Demiurg−, sondern ein Freigeben, ein Ein-
geschieht da, wo das Seiende das Gewoehnlichste und
raeumen eines Lebensraumes. Im Schoepfungsbericht der
Gewohnteste geworden ist und werden musste. Das
Genesis heisst es, Gott schafft, indem er spricht−das
geschah zuerst im Christentum und seiner Dogmatik,
schliesst den metaphysischen Gedanken einer Effizienzur-
wonach alles Seiende in seinem Ursprung erklaert ist als
saechlichkeit von vornherein aus −, nicht aber wird Gott
ens creatum und wo der Schoepfer das Gewisseste ist,
nach Art eines Welt-Baumeisters vorgestellt. Weil das
alles Seiende die Wirkung dieser seiendsten Ursache. Das
Geschaffene Wort-Charakter besitzt, ist das Sein des
Ursache-Wirkung-Verhaeltnis aber ist das Gemeinste und
Geschaffenen ein Geheimnis: Das Seiende ist erkennbar
Groebste und Naechste, was alle menschliche Berechnung
und zugleich unbegreiflich. Die hebraeische Bibel hat
und Verlorenheit an das Seiende sich zuhilfe nimmt, um
sogar ein Wort, das ausschliesslich fuer das Schaffen Jah-
etwas zu erklaeren, d.h. in die Klarheit des Gemeinen und
wes vorbehalten ist: BARAH. Auf diese Weise wird das
Gewohnten zu ruecken.“ (GA 65/110).
schlechthin Unvergleichliche des goettlichen Schaffens
angezeigt4. Und in Roem 1, 18−21 spricht Paulus vom
4. Das metaphysik-kritische Potential des Schoepfungs-
Niederhalten der Wahrheit durch die Ungerechtigkeit: Ob-
gedankens
wohl Gott in der Schoepfung erkennbar ist, und die Menschen Gott erkannt haben, haben sie ihm nicht gedankt.
Heideggers Kritik kann nach unserer UEberzeugung nicht
Dank ist aber die Antwort auf ein Beschenktsein. Die Bi-
ernst genug genommen werden − was allerdings nicht
bel spricht auch sonst von der Schoepfung Gottes in Kate-
heisst, sie kritiklos zu uebernehmen. Zweierlei faellt an
gorien des Geschenks (vgl. auch Ps 8; 19; 104; 139).
ihr auf: (1) Sie betrifft gleicherweise die biblischen Aus-
Heidegger ignoriert das einfach.
sagen wie deren theologisch-philosophische Auslegung,
sie unterscheidet also nicht zwischen beiden, und sie
4.2 Technomorphe Auslegung des Schoepfungsverstaend-
basiert (2) auf einer nur kursorischen Befassung mit Tex-
nisses
ten mittelalterlichen Philosophie, insbesondere denen des
Thomas von Aquin.
So fragwuerdig Heideggers Vormeinung ueber die biblische Rede von Schoepfung ist, so sehr gibt seine Kritik
4.1 Der Schoepfungsgedanke
an der technomorphen Auslegung dieser Rede und an den
ihr zugrundeliegenden hermeneutischen Prinzipien zu
Heidegger beruft sich auf den ,,Schoepfungsbericht der
denken.
Genesis“, demgemaess ,,alles Seiende, das nicht Gott
selbst ist, Geschaffenes ist“ (GA 24/167), und behauptet,
Ein technomorphe Interpretation der Schoepfung muss
dass ,,dieses Schaffen der Schoepfung den allgemeinen
sich auf das Selbstverstaendnis des Menschen negativ
ontologischen Charakter des Herstellens“ hat (GA 24/167).
auswirken. Sie fuehrt konsequenterweise zur Vergegen-
Diese Behauptung ist nicht nur pauschal und undifferen-
staendlichung des Subjekts, fuer welches alles Seiende
ziert, sondern wird auch in keiner Weise begruendet. Der
zum verfuegbaren Objekt wird, und damit zur Vergegen-
Schoepfungsgedanke liefert nicht, wie Heidegger unter-
staendlichung der mitmenschlichen Bezuege. Aus dem
stellt, eine Welterklaerung, aus der man auf das eigene
Subjekt wird
Hergestelltsein schliessen koennte. Schoepfung ist primaer
ethischen Konsequenzen, die von solch einer Wirk-
gar nicht Werkschoepfung, sondern Wortschoepfung. Und
lichkeitsauffassung beguenstigt werden. Verbindet sich
Wortschoepfung meint weder eine geistige und willentli-
diese Auslegung noch dazu mit einem negativen Kontin-
ein
Objekt
des
Machens−mit
allen
4
,Das‘creare-erschaffen’ genannte Tun/Wirken Gottes ist im Glauben als ein solches erfahren, das als schlechthin von Gott allein vollzogenes
erfasst wird und folglich als ein schlechthin von ihm allein auszusprechendes Wirken, fuer das es keinerlei wie auch immer vergleichbares Tun/
Wirken bei den Geschoepfen gibt. Das ist dem Alten Testament, d.h. denen, die um ihre Jahwe-Erfahrung wissen, derart offenkundig und daher
eindeutig bewusst, dass dafuer im Hebraeischen der Bibel ein Sprachausdruck steht, der fuer Jahwe schlechthin reserviert ist: barah. Dieses Taetigkeitswort ... wird absolut allein nur fuer dieses unvergleichliche, streng analogielose Wirken Jahwes gesetzt, das wir ’erschaffen’ im Sinne des
Glaubensbekenntnisses nennen” (R. Schulte, ’Schoepfung’ und ’Natur’, in: Wissenschaft und Glaube 4 (1991), 159−181, 167.
46 基調講演 3
genzgedanken−der Endlichkeit mit Unvollkommenheit
Fuer den essentialistischen, in der skotistischen Tradition
und Hinfaelligkeit identifiziert−, ist der Erfolg einer
stehenden Seinsbegriff liegt der Schwerpunkt auf dem
negativen Religionskritik im Sinne eines postulatorischen
Wesen (essentia), wobei ,Wesen
‘ die vollinhaltlich bestim-
Atheismus bereits vorprogrammiert 5. Wird der Bezug von
mte Moeglichkeit (Was-heit, Sachgehalt, Realitaet) bedeu-
Schoepfer und Geschoepf rein negativ nach Art eines
tet. Das Sein (existentia) hat bloss die Aufgabe, das We-
Konkurrenzverhaeltnisses vorgestellt, muss Gott um der
sen aus dem Zustand der Moeglichkeit in den Zustand der
Freiheit des Menschen willen negiert werden.
Wirklichkeit ueberzufuehren. Das Sein wird damit zur bedeutungsnackten Faktizitaet, es meint nur mehr das blosse
Es ist Heidegger zuzugeben, dass die abendlaendische
Dass-sein eines Wesens. Heidegger hielt dieses skotis-
Metaphysik auf weite Strecken hin durch ein technomor-
tische Seinsverstaendnis, an dem sich seine Kritik
phes Seinsverstaendnis gekennzeichnet ist, seine Behaup-
entzuendete, fuer das allein massgebliche der mittelalterli-
tung aber, die abendlaendische Metaphysik insgesamt sei
chen Metaphysik, weshalb er es auch in Thomas zu fin-
durch Seinsvergessenheit charakterisiert und laufe infol-
den meinte.
gedessen auf ein rechnend-verfuegendes Wirklichkeitsverstaendnis hinaus, laesst sich in dieser Form nicht au-
Es gibt bei Thomas jedoch ganz andere Ansaetze, die der
frechterhalten. Und ebensowenig wurde der Schoepfungs-
von Heidegger kritisierten Unterscheidung von essentia
gedanke ausschliesslich in technomorphem Sinn interpre-
und existentia geradezu zuwiderlaufen. Thomas redet im
tiert. Als Beispiel fuer das metaphysik-kritische Potential
Zusammenhang dieser Unterscheidung bezeichnender-
des Schoepfungsgedankens sei Thomas von Aquin ange-
weise nicht von ,existentia
‘, sondern von ,esse
‘, was sich
fuehrt, dessen Frageansaetze um einiges differenzierter
wiederum auf das Verstaendnis von ,essentia
‘ auswirkt.
sind, als die Darstellung Heideggers nahelegt.
Thomas meint mit ,essentia
‘ im Gegensatz zu Heideggers
Auslegung
nicht
einen
vollinhaltlich
konstituierten
Heidegger orientiert sich naemlich nur an jenen Thomas-
Sachgehalt, der nur darauf wartet, in den Zustand der Ex-
texten, die Anlass fuer jenen essentialistischen Seinsbe-
istenz (Wirklichkeit) uebergefuehrt zu werden. ,Essentia
‘
griff gewesen sind, der ueber die Vermittlung der von
(Wesen) bedeutet bei ihm nicht einen existenz-neutralen
Duns Scotus (1265/66−1308) ausgehenden Tradition (,
Sachgehalt, sondern das jeweilige Sein-koennen eines
skotistische Tradition
‘) die neuzeitliche Metaphysik (Kant,
Seienden, d.h. es benennt die Art und Weise, gemaess der
Schelling, Hegel) und vor allem die Neuscholastik des 19.
ein Seiendes am Sein teilnimmt und das Ganze des Seins
und des beginnenden 20. Jahrhunderts bestimmt hat. (Un-
repraesentiert. Und ,esse
‘ meint nicht den Existenzzustand
ter ,Neuscholastik
‘ versteht man eine von Italien zu Be-
eines Moeglichen, nicht das Gesetztsein ausserhalb der
ginn des 19. Jahrhunderts ausgehende Erneuerungsbewegung
Ursachen (positio extra causas), sondern Seinsfuelle (,per-
christlicher Philosophie an den katholischen Hochschulen
fectio perfectionum
‘). Das Sein des Seienden ereignet sich
und kirchlichen Lehranstalten, welche die Ausbildung des
als Teilhabe (participatio) und Symbol (repraesentatio)
Klerus zur Aufgabe hatten. Diese Erneuerungsbewegung
dieser Seinsfuelle. ,Wirklich
‘ heisst nicht ,verwirklicht
orientierte sich an der von der Philosophie und Theologie
sein
‘, sondern ,an der Seinsfuelle teilhaben‘. ,Teilhaben
‘
des 13. Jahrhunderts ausgehenden Tradition mittelalterli-
heisst nicht, einen Teil haben, sondern ,teilweise sein
‘.
chen Denkens. Ihr Verdienst liegt nicht so sehr in der
Das wird noch deutlicher, wenn man genau auf den
Entdeckung neuer Fragestellungen, sondern darin, die im
Schoepfungsbegriff bei Thomas achtet.
19. Jahrhundert fast abgebrochene metaphysische Tradition ueberhaupt wachgehalten zu haben.)
Gewiss sagt Thomas, man koenne den Bezug von
Schoepfer und Schoepfung mit der Beziehung von Kuenstler und Kunstwerk vergleichen, und Gott sei die causa
5
Die geradezu klassische Formulierung solch eines antithetischen Schoepfungsverstaendnisses findet sich bei L. Feuerbach: ,,Gott ist nicht, was
der Mensch ist - der Mensch nicht, was Gott ist. Gott ist das unendliche, der Mensch das endliche Wesen; Gott vollkommen, der Mensch unvollkommen; Gott ewig, der Mensch zeitlich; Gott allmaechtig, der Mensch ohnmaechtig; Gott heilig, der Mensch suendhaft. Gott und Mensch sind
Extreme: Gott das schlechthin Positive, der Inbegriff aller Realitaeten, der Mensch das schlechtweg Negative, der Inbegriff aller Nichtigkeiten.
“ (Das Wesen des Christentums, Stuttgart 1974, 80).
基調講演 3 47
prima alles Seienden. Aber diese Aussagen stehen in
fungsgedanke fuehrt in die Grundhaltung des Dankes und
einem Kontext, der nicht mehr von einem metaphysisch-
ermoeglicht es, das Verfuegen zu relativieren und in die
technomorphen
Das
Haltung der Gelassenheit aufzuheben. Er erkennt, dass
belegen die Grundworte, in denen Thomas die Rede von
alles menschliche Tun im Grund einen antwortenden
Schoepfung auslegt. Schaffen (creare) heisst, das Sein ge-
Charakter besitzt. Was wahrhaft menschlich ist, wird ja
ben (,,creare autem est dare esse rei creatae“, Super Ev. S.
von uns in der Weise vollbracht, dass es zur Gabe an uns
Joannis lect. V, n. 133). Und das Wort ,agere
‘ (wirken)
wird, an der wir teilnehmen duerfen. Erstaunlicherweise
bzw. ,actus
‘ (Wirklichkeit) verweist nicht in den Kontext
gewinnen wir Anteil an dem, was wir selbst vollbringen,
einer Effizienzursaechlichkeit, es bedeutet nicht ,leisten
‘,
und so ist es nie nur eine Leistung. Genau das sagen ja
,machen
‘ oder ,verwirklichen
‘, sondern ,mitteilen
‘ bzw. ?
die alten Worte ,Gunst
‘, ,Gluecken
‘. Wer Sein als Gabe
(Selbst-)Mitteilung
‘. ,Wirken
‘, sagt Thomas, bedeute
zu verstehen gelernt hat, wird offen fuer die denkwuer-
nichts anderes als ,mitteilen
‘ (,,agere vero nihil aliud est
dige Erfahrung, dass wir unter dem lautlosen Anruf des
quam communicare“, Pot. 2, 1). Thomas legt den Schoep-
Guten stehen, dass das Gute von uns vollbracht werden
fungsbezug nicht herstellungsanalog, sondern freiheitsana-
moechte, und wir zu solchem Tun gewuerdigt sind, d.h.
log aus. Das Schaffen Gottes beruht im Geben, in der Ge-
dass wir Gutes tun duerfen. Er erfaehrt sein Dasein als
waehr des Seins. Geschaffen zu sein heisst: mit sich selbst
Quellgrund, aus dem uns die Moeglichkeiten, das Gute zu
begabt sein, sein duerfen. Seiendes ist, indem es sich
tun, jeweils neu entspringen. Es waere wert darueber
gegeben ist. Bei Thomas ist der bedeutungsgebende Ur-
nachzudenken, inwieweit die Auslegung des Menschen als
sprung der ontologischen Grundbegriffe ,esse
‘ und ,essen-
Trieb- und Beduerfniswesen die Folge einer Unter-
tia
‘ das personale Verhaeltnis der Gabe und des Sich-
drueckung und eines Niederhaltens dieser grundlegenden
schenkens. (So wie Liebende sich einander schenken und
Erfahrung ist.
Seinsverstaendnis
bestimmt
ist.
so zur Selbstaendigkeit verhelfen.) Dass das Sein des
Seienden durch die Differenz von esse und essentia gek-
Wie immer es auch damit bestellt sein mag: Bei Thomas
ennzeichnet ist, bedeutet, dass Seiendes zur Gaenze sich
hat der Schoepfungsgedanke die genau gegenteilige Funk-
selbst gegeben ist und so zu seiner Selbstaendigkeit er-
tion, die ihm Heidegger im Hinblick auf die Metaphysik
maechtigt ist. Fuer Thomas ist ein verbales (zeitwoertli-
zuschreibt.
ches) Seinsverstaendnis massgeblich. Er denkt Sein als Er-
metaphysisch-technomorphe Seinsverstaendnis,
eignis der Seins-Mitteilung und Seins-Teilhabe (participa-
bricht es−ganz im Gegenteil− auf. Man muss allerdings
tio): Das Sein des Seienden ereignet sich als Gegebensein
einschraenkend hinzufuegen, dass der Geschenkcharakter
und Gegebenwerden. Im Falle des Menschen bedeutet
des Seins bei Thomas zwar an den entscheidenden Stellen
das: Das Dasein des Menschen geschieht als ein
seines Werks ausdruecklich betont wird, aufs Ganze gese-
Freigegeben-sein bzw. Freigegeben-werden zur Freiheit,
hen jedoch eher den unausgesprochenen Hintergrund
d.i. zur Selbstaendigkeit des Seins und Sich-Vollziehens.
seines Denkens bildet. Im Vordergrund steht oft eine tech-
Der entsprechende ethische Imperativ wuerde lauten:
nomorphe Begrifflichkeit. Dadurch geraet sein Denken in
Einander zur Freiheit freigeben
eine eigentuemliche Spannung. Bezeichnenderweise wurden
Er
seine
verstaerkt
ueber
das
und
verfestigt
nicht
herstellungsanaloge
das
sondern
Denken
Die Bedeutung solch eines Seinsverstaendnisses fuer die
hinausweisenden Ansaetze in der Geschichte der Schul-
Gegenwart kann kaum ueberschaetzt werden. Es kann
philosophie bis in unser Jahrhundert hinein kaum wirk-
naemlich den Menschen vom Druck einer ueber das
maechtig. Freilich: Dass man sie bei genauem Hinsehen
Seiende (und damit auch ueber sich selbst) total verfuegen
bei ihm entdecken kann, verdankt man zum Grossteil
wollenden Haltung befreien kann. Befreiung bedeutet
nicht
nicht einen Verzicht, sondern einen radikalen Wandel des
phiegeschichtliche Forschung verdankt ihm die Moeg-
Verfuegens. Wer von diesem Druck befreit ist, verzichtet
lichkeit einer neuen Wuerdigung der ontologischen Texte
nicht einfachhin auf das Verfuegen (was ohnehin unmoeg-
christlicher Denker, insbesondere eine verstaendnisvollere
lich waere), sondern er raeumt ihm nicht mehr den ober-
Relektuere des Thomas von Aquin−und das in Ueber-
sten Stellenwert ein, macht diese Haltung nicht zum ober-
windung der neuscholastischen Auslegungsbahnen, in
sten Massstab des Lebens. Ein recht verstandener Schoep-
denen Heidegger noch befangen war. Denn so wichtig
48 基調講演 3
zuletzt
der
Kritik
Heideggers.
Die
philoso-
textkritische Quelleneditionen sind−die Texte bleiben
pus Philosophorum Teutonicorum Medii Aevii
‘). Dennoch
stumm, wenn sie nicht durch unsere Fragen zum Sprechen
bleibt in der Zukunft noch viel zu tun uebrig. So ist z.B.
gebracht werden und darin umgekehrt zur Anfrage an uns
die historisch-kritische Ausgabe der Werke Meister Eck-
werden koennen.
harts (1260?−1327) (begonnen 1936) ebenso unvollstaendig wie diejenige der Werke des Nikolaus von Kues
Es war unter anderem das Verdienst der phaenomenolo-
(1401−1464) (begonnen 1929). Vor allem fehlt es immer
gischen Devise ,Zu den Sachen selbst
‘, das Bewusstsein
noch an textkritischen zweisprachigen Ausgaben der
von der notwendigen Destruktion tradierter Grundbegriffe
grossen Autoren. So gibt es immer noch keine voll-
und Fragehinsichten geweckt zu haben. Heideggers Kritik
staendige lateinisch/deutsche Ausgabe der Werke des
am onto-theologischen Charakter der abendlaendischen
Augustinus (354−430). Und die lateinisch/deutsche Aus-
Metaphysik war ein markantes Beispiel dafuer. Destruk-
gabe der Theologischen Summe des Thomas von Aquin
tion zielt nicht auf Zerstoerung, sondern verfolgt eine
(1225−1274) (begonnen 1933) ist ebenfalls noch unvoll-
positive Absicht: Gemeint ist das Freilegen verschuetteter
staendig. Quelleneditionen sind von bestimmten Interessen
Moeglichkeiten, die darauf warten, neu ergriffen zu wer-
geleitet. Das gegenwaertige Forschungsinteresse an der
den. Das Gewesene ist nicht einfach das Vergangene, das
mittelalterlichen Philosophie bezieht sich in erhoehtem
uns nichts mehr zu sagen hat, sondern dasjenige, was
Mass auf die (spaet-)mittelalterlichen Wurzeln der mod-
Zukunft eroeffnet, weil es unbedachte Moeglichkeiten in
ernen Wissenschaft und der neuzeitlichen Philosophie.
sich enthaelt. In unserem Fall handelt es sich um Moeg-
Aus diesem Grund hat sich die Aufmerksamkeit in den
lichkeiten eines neuen Weltverstaendnisses im Zeitalter
letzten Jahren Denkern zugewendet, die in traditioneller
der Technik. Dabei kann es nicht darum gehen, den Men-
Sicht dem ,Nebenstrom
‘ mittelalterlichen Denkens ange-
schen wissenschaftlich zu erklaeren und auf diese Weise
hoeren. Es sei hier auf die in Hamburg erscheinende Aus-
theoretisch abzuschaffen, sondern darum, methodisch-
gabe der Werke des Dietrich von Freiberg (gest. um
kritisch ein Welt- und Selbstverstaendnis zu erarbeiten, in
1320) verwiesen.
dem er sich als Mensch wiederfinden kann. Es kann kein
Zweifel sein, dass dabei dem christlichen Glauben und
So unentbehrlich die historisch-kritische Forschung jedoch
seiner philosophisch-theologischen Auslegung eine unver-
ist, sie darf nicht zum Selbstzweck werden und nicht um-
zichtbare Rolle innerhalb der grossen Weltkulturen
willen eines bloss historischen Interesses betrieben werden.
zukommt. Genau darin liegt nicht nur die Notwendigkeit,
Es geht ja nicht bloss um eine aeusserliche Kenntnis-
sondern auch die Fruchtbarkeit einer Auseinandersetzung
nahme von laengst Vergangenem, sondern um eine
mit der klassischen christlichen Literatur.
selbstkritische Auseinandersetzung, die sich um gemeinsame Wahrheitsfindung bemueht. Das aber ist eine
Solch eine Auseinandersetzung setzt die historisch-
Aufgabe, mit der wir an kein definites Ende kommen
kritische Edition des entsprechenden Quellenmaterials
koennen. Denn die Wirklichkeit gibt uns immer mehr zu
voraus. Hier ist in der Vergangenheit Grosses geleistet
denken, als wir von ihr erfassen koennen. Was wir er-
worden. Es darf
stellvertretend auf die allgemeinen
fasssen koennen, ist allemal sprachlich-geschichtlich und
Textsammlungen der klassischen christlich-philosophischen
kulturell begrenzt. Freilich wissen wir um diese unsere
Literatur verwiesen werden. Als Beispiele seien genannt:
Begrenztheit. Deshalb sind wir aufgefordert, uns in das
(1) Die in Wien erscheinende Sammlung Kirchlicher
Gespraech mit anderen Denkansaetzen zu begeben und
lateinischer Schriftsteller (,Corpus Scriptorum Ecclesiasti-
uns davon kritisch in Frage stellen zu lassen. Denn kein
corum Latinorum
‘, welches u.a. textkritische Einzelausga-
um Wahrheit bemuehter Gedanke ist so neu, dass er der
ben der Schriften des Augustinus enthaelt). (2) Die in
unueberholbar letzte waere, keiner aber auch so alt, dass
Turnhout/Belgien erscheinende, mehrere Abteilungen um-
er keine Bedeutung mehr fuer uns haette. Das ist der
fassende Sammlung Christlicher Schriftsteller (,Corpus
Grund, weshalb eine weltweite Erforschung klassischer
Christianorum
‘ mit den Abteilungen: ,Series Latina
‘, ,
Literaturen zu den wichtigsten Aufgaben der Zukunft ge-
Continuatio Mediaevalis
‘, ,Series Graeca
‘ und ,Series
hoert.
Apocryphorum
‘) (3) Die in Hamburg herausgegebene
Sammlung deutscher Philosophen des Mittelalters (,Cor-
基調講演 3 49
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