Hauptergebnisse Zusammenfassung 01. In den meisten Ländern sind Armut und soziale Ausgrenzung große Hindernisse für die Verwirklichung des Europa-2020-Ziels des integrativen Wachstums. Obwohl einige Mitgliedstaaten positive Maßnahmen eingeführt haben, gibt es nur wenig oder gar keinen Fortschritt bei dem Engagement der Regierungen für die nationalen Ziele der Strategie und den entsprechenden Ergebnissen. 02. Die Ursachen für Armut und soziale Ausgrenzung haben sich in vielen Ländern verschlimmert. Trotz der positiven Politikansätze, die einige Länder eingeführt haben, ist zu erwarten, dass sich das stagnierende BIP, der starke Anstieg der Arbeitslosigkeit und die Ausgabenkonsolidierung negativ auf die Reduzierung der Armut auswirken und das Armutsrisiko der Bevölkerung erhöhen. In vielen Ländern unterlaufen Sparkurse die sozialen Sicherungssysteme als automatische Stabilisatoren. Dies hat dramatische Auswirkungen auf die Menschen, die im Armutsrisiko leben. Darüber hinaus werden neue Armutsrisiken hervorgerufen und die Ungleichheit erhöht sich. 03. Die fiskalischen Maßnahmen, die derzeit umgesetzt werden, sind nicht dazu geeignet, das Armutsrisiko zu reduzieren. Die strengen Sparkurse tragen nicht dazu bei, dass die Ziele der Europa-2020-Strategie erreicht werden, obwohl die in der Strategie gesetzten Ziele miteinander verknüpft sein sollten. Zum Beispiel werden in den Mitgliedstaaten, die strenge Sparkurse umsetzen weder die Beschäftigungsrate erhöht noch Armut und soziale Ausgrenzung verringert. 04. Alle Caritas-Mitgliedsorganisationen sorgen sich darüber, wie sich die sozialen Reformen auf den Schutz vulnerabler Gruppen auswirken, insbesondere auf die sozialen Rechte und die Menschenrechte. Länder mit einem hohen Maß an Sozialschutz schränken den Zugang zu öffentlichen Dienstleistungen für besonders vulnerable Gruppen ein (höhere Voraussetzungen, mehr Verpflichtungen oder Einschnitte in der Finanzierung); in Ländern mit fragilen sozialen Sicherungssystemen (und strengen Sparkursen) ist das Ausmaß sozialer Ausgrenzung aufgrund der Polarisierung der sozialen Sicherungssysteme gewachsen (viele vulnerable Gruppen können nicht am ökonomischen und sozialen System teilnehmen). 05. Trotz der positiven Maßnahmen, die in diesem Bericht dargestellt werden, entwickeln die moisten Mitgliedstaaten weder die verlangten integrierten Strategien noch folgen sie den Prinzipien der aktiven Eingliederung. Diese werden gebraucht, um Menschen und Gruppen im Armutsrisiko effektiv zu unterstützen und ihre Teilhabe an der Wirtschaft und Gesellschaft zu garantieren. In dieser Hinsicht ignorieren die meisten der im Schattenbericht analysierten Mitgliedstaaten die Empfehlung des Jahreswachstumsberichts 2012, die vulnerablen Bevölkerungsteile zu schützen indem „die Effektivität der sozialen Sicherungssysteme weiter verbessert wird [...], die Strategien zur aktiven Eingliederung, die eine aktive Arbeitsmarktpolitik und angemessene sowie finanziell tragbare soziale Dienstleistungen umfassen, um die Marginalisierung vulnerabler Gruppen zu verhindern, umgesetzt werden.“ Caritas Europa 1 06. Nach Informationen von Caritas Europa und den Erfahrungen ihrer Mitgliedsorganisationen geben die offiziellen Statistiken die tatsächliche Armutsentwicklung in den betroffenen Ländern nicht immer wieder. Teilweise sind die Angaben und Statistiken unvollständig oder veraltet, in anderen Fällen wird die spezifische Situation vulnerabler Gruppen nicht beschrieben. 07. Beim Thema „Beschäftigung“ bereitet die Armut trotz Arbeit den Mitgliedsorganisationen Sorge. Zum Beispiel bestimmen Arbeitsmarktreformen die Sozialpolitik, wohingegen die anderen Säulen der sozialen Inklusion gar nicht beachtet werden. Die Rolle, die die Sozialwirtschaft und der nonprofit-Sektor in der Bereitstellung von Dienstleistungen und inklusiver Beschäftigung spielen können, sollte in den NRPs besser beleuchtet werden. 08. Im Bereich Bildung scheint es überall große Fortschritte bei der Umsetzung von Maßnahmen gegeben zu haben, die die Zahl der frühen Schulabgänger reduzieren sollen. Dies spiegelt sich in guten Resultaten wider. Die Mitgliedsorganisationen von Caritas Europa beunruhigt allerdings, dass dieser Indikator nicht die Qualität der Bildung misst. Deswegen sollte der Indikator um weitere Maßzahlen ergänzt werden, die schulischen Misserfolg messen. Des Weiteren berichten viele Mitgliedsorganisationen von – teilweise gravierenden – Kürzungen der Finanzierung, die zu einer verminderten Qualität und Zugänglichkeit von Bildung gerade für die am meisten gefährdeten Kinder führen. 09. Die Verminderung von Armut ist nach wie vor das Hauptanliegen der Mitgliedsorganisationen von Caritas Europa. Die Kinderarmut nimmt weiter zu und geht nun in eine wachsende Jugendarmut über (betroffen sind Jugendliche zwischen 18 und 25 Jahren). Dass einige Mitgliedstaaten kein Grundsicherungssystem haben und die meisten Länder keine umfassende Inklusionspolitik verschärft die Situation. 10. Wenn man die Politiktrends der Jahre 2011 und 2012 miteinander vergleicht, kommt man zu unterschiedlichen Ergebnissen: Manche Länder machen große Fortschritte dabei, Maßnahmen umzusetzen, um Missstände zu beheben und richten sich dabei auch nach den länderspezifischen Empfehlungen. Andere Länder setzen die Empfehlungen nur spärlich um, und in wieder anderen Mitgliedstaaten verliert die soziale Inklusion an Bedeutung oder fällt gar ganz aus der Agenda. 11. Die Beziehung der Strukturfonds zu den EU-2020-Zielen wird in den NRPs nur selten dargestellt. Sie geben kaum Informationen darüber wie die Mitgliedstaaten die Mittel aus den Fonds zur Zielerreichung einsetzen wollen; häufig wird über eine schwache Umsetzung und fehlende Transparenz berichtet. Nur selten gibt es Anzeichen dafür, dass die Strukturfonds dafür verwendet werden sollen, Armut zu reduzieren. 12. Die Einbeziehung der Nichtregierungsorganisationen und der Zivilgesellschaft in die Erstellung der Nationalen Reformprogramme bleibt, trotz Verbesserungen in einigen Ländern und einem weniger straffen Zeitplan, eingeschränkt, wenn sie nicht sogar abnimmt. Wo Partizipation stattfindet, ist sie selten einflussreich und qualitativ hochwertig. Die Nationalen Reformprogramme werden nur selten in den Parlamenten der Mitgliedstaaten oder auf deren regionalen und örtlichen Ebenen besprochen. 13. Die Rolle der Nationalen Sozialberichte im Bezug zu den Nationalen Reformprogrammen ist, dort wo die Nationalen Sozialberichte überhaupt erstellt wurden, weitgehend ungeklärt. Außerdem gibt es nur kleine Fortschritte bei der Projizierung von sozialen Zielen in messbare Indikatoren und Handlungen. Die meisten tragen nicht dazu bei, die drei Säulen der Offenen Methode der Koordinierung abzudecken: basierend auf gemeinsamen Zielen die Armut und Ausgrenzung zu bekämpfen und den Sozialschutz aufrecht zu erhalten. Caritas Europa 2 Hauptforderungen 2011 wurde im Schattenbericht von Caritas Europa festgestellt, dass die Nationalen Reformprogramme hauptsächlich auf die Wirtschaft, fiskalische Maßnahmen und Strukturreformen ausgerichtet waren und soziale Aspekte häufig vernachlässigt wurden. Es wurde vorgeschlagen, in den NRPs umfassender auf die Gebiete Sozialschutz und soziale Eingliederung einzugehen und einen stärkeren Fokus auf die Ziele zu legen, die mit der Verminderung von Armut und Ausgrenzung einhergehen. 2012 bleibt der beobachtete Trend bestehen. Deswegen richtet Caritas Europa ihre Empfehlungen in drei Dimensionen aus: A. Die Inhalte des Jahreswachstumsberichts Schwerpunkte haben: 2013 sollten folgende 01. Die Mitgliedstaaten sollen eine kinderspezifische, mehrdimensionale und auf Rechten basierende Politik umsetzen, die das Ziel hat, Kinderarmut zu reduzieren und die Armut von Jugendlichen zu verhindern. 02. Die Politik sollte auf die Kinder und ihre Familien fokussieren, die am stärksten von Armutsrisiken betroffen sind. Das Ziel muss sein, den Armutskreislauf zu durchbrechen und die Vererbung von Armut zu beenden. In den Nationalen Reformprogrammen sollten jährlich Ziele im Kampf gegen Kinderarmut gesetzt werden. 03. Das Potential der Pflege und Sozialwirtschaft, Arbeitsplätze zu schaffen muss anerkannt werden. Das Beschäftigungswachstum in diesem Bereich muss erleichtert werden, indem Initiativen der Sozialwirtschaft und Beschäftigungsförderungsprogramme in den Pflegediensten häufiger in den Operationellen Programmen der Strukturfonds 2014-2020 vorkommen und unterstützt werden. Außerdem muss der Mehrwert des non-profit-Sektors bei der Bereitstellung von Dienstleistungen für vulnerable Menschen anerkannt werden. 04. Das Thema „Armut trotz Arbeit“ muss angegangen werden. Die Segmentierung des Arbeitsmarkts muss aufgelöst werden, indem die Gesetzgebung verbessert wird und Maßnahmen umgesetzt werden, die prekäre Arbeit verhindern und die Arbeitsqualität verbessern. 05. Existenzsicherungsmechanismen müssen garantiert und als Grundrecht anerkannt werden. Damit kann Armut verringert und die Menschenwürde gesichert werden. B 01. 02 02. B. Zu der Umsetzung der EU-2020-Strategie und ihren sozialen Ziele Die Armutsziele müssen sowohl in der Agenda der EU-2020-Strategie als auch in den NRPs stärker betont werden. Dafür muss eine stärkere politische Unterstützung der Mitgliedstaaten angestrebt werden, die gewährleistet, dass diese Ziele unter den Prioritäten des Rates sind und dass mindestens 20 Prozent der ESF-Mittel der nächsten Programmperiode auf die Themen soziale Eingliederung und Armutsbekämpfung verwendet werden. Es müssen europäische Investitionsprogramme aufgelegt werden, die die fiskalischen Maßnahmen kompensieren, indem sie neue Arbeitsplätze schaffen, Initiativen zur Stärkung der Sozialwirtschaft unterstützen und die Rolle des non-profit-Sektors bei der Schaffung von Arbeitsplätzen für ausgegrenzte Menschen stärken. Caritas Europa 3 C. Zum Europäischen Semester und der Governance 01. Es müssen Maßnahmen ergriffen werden, die die negativen Auswirkungen von Reformen auf vulnerable Menschen kompensieren. Dabei müssen die Säulen des europäischen Sozialmodells gestärkt und die Belastung durch fiskalische Maßnahmen aufgefangen werden. 02. Der Governance-Prozess zu den Nationalen Reformprogrammen und den Nationalen Sozialberichten muss verbessert werden, indem mehr Informationen bereitgestellt werden und das Ausmaß und die Qualität der Beratung mit der Zivilgesellschaft erhöht werden. 03. Die Monitoring-Mechanismen müssen verbessert werden. Dazu muss die Überprüfung von Armutsreduktion und sozialen Zielen demselben Niveau stattfinden wie diejenige von Finanzund Budgetplänen durch makroökonomische Daten. Das würde eine stärkere und detailliertere Kontrolle des Fortschrittes im Rahmen der Nationalen Reformprogramme bedeuten, indem von jedem Mitgliedstaat ein detaillierter, quantitativer und qualitativer Bericht über umgesetzte Maßnahmen und deren Effektivität verlangt werden müsste. 04. Die Informationsqualität muss erhöht werden, indem aktuelle Daten und vollständige Angaben erhoben und veröffentlicht werden, damit das Ausmaß der sozialen Ausgrenzung besser beschrieben wird. Caritas Europa 4 ZUSAMMENFASSUNG DES LÄNDERBERICHTS DEUTSCHLANDS – ANALYSEN, TRENDS UND EMPFEHLUNGEN BESCHÄFTIGUNG 1. Trends Insgesamt hat sich die Beschäftigungssituation in Deutschland seit 2006 erheblich verbessert. Die Erwerbstätigenquote ist zwischen 2006 und 2011 von 71,1 Prozent auf 76,3 Prozent gestiegen. Die Quote ist eine der höchsten in der EU und erreicht fast das nationale EU-2020-Ziel von 77 Prozent. Obwohl die Kluft zwischen den Geschlechtern abnimmt, liegt der Unterschied zwischen der Erwerbstätigenquote der Männer (81,4%) und Frauen (71,1%) 2011 immer noch bei 10 Prozentpunkten. Die Arbeitslosenquote verbesserte sich seit 2006: Sie sank von 10,3 Prozent auf 5,9 Prozent 2011. Dabei sank die Jugendarbeitslosigkeit von 13,8 Prozent auf 8,6 Prozent und die Langzeitarbeitslosigkeit von 5,8 Prozent auf 2,8 Prozent. 2. Politische Entwicklungen Die meisten der Maßnahmen, die in den Nationalen Reformprogrammen von 2011 und 2012 vorgestellt wurden, sind schon umgesetzt worden oder befinden sich im politischen Umsetzungsprozess. Dies betrifft vor allem den Ausbau der Kindertagesbetreuung, die Familienpflegezeit, Angebote, die junge Menschen bei der Arbeitsplatzsuche unterstützen und die bessere Finanzierung von Universitäten. Darüber hinaus wurde die Steuer- und Abgabenbelastung der Löhne leicht reduziert. Im Bereich „aktive Eingliederung vulnerabler Gruppen“ werden Maßnahmen für Migranten und Alleinerziehende aufgeführt. Außerdem wird die Instrumentenreform in der aktiven Arbeitsmarktpolitik erwähnt. Es sind jedoch keine zusätzlichen spezifischen Maßnahmen vorgesehen, die die aktive Eingliederung von Langzeitarbeitslosen mit multiplen Vermittlungshemmnissen (zum Beispiel Sucht, psychische Probleme, etc.) fördern. Darüber hinaus wurden die Mittel, die für die aktive Eingliederung von Langzeitarbeitslosen mit multiplen Vermittlungshemmnissen bereitstehen, Anfang 2011 gekürzt. Diese Kürzung wird im Nationalen Reformprogramm nicht aufgeführt. Der demografische Wandel und andere sozioökonomische Entwicklungen erhöhen die Nachfrage nach sozialen Dienstleistungen. In vielen Bereichen, wie zum Beispiel in der häuslichen Pflege und Kinderbetreuung, wird gut ausgebildetes Personal benötigt. Deswegen braucht es Strategien, die das Interesse an sozialen Berufen erhöhen. Des Weiteren muss in Weiterbildungen und gesundheitsfördernde Maßnahmen für ältere Arbeitnehmer investiert werden. Dies wird für die sozialen Dienste in den kommenden Jahren eine der größten Herausforderungen sein. 3. Kann das EU-2020-Ziel einer Erwerbstätigenquote von 77 Prozent erreicht werden? Schon 2011 wurden fast alle EU-2020-Ziele im Bereich Beschäftigung beinahe erreicht: die allgemeine Erwerbstätigenquote betrug 76,3 Prozent (Ziel: 77 Prozent), die der Frauen 71,4 Prozent (Ziel: 73 Prozent) und die der älteren Menschen 60,2 Prozent (Ziel: 60 Prozent). Aufgrund des demografischen Wandels und der Arbeitsmarktreformen der letzten Jahre erwartet der Deutsche Caritasverband weiterhin gute Ergebnisse. Es wird jedoch prognostiziert, dass das Wachstum in Deutschland stagnieren wird. Daher hängt die zukünftige Beschäftigungsentwicklung auch von der Entwicklung des gesamtwirtschaftlichen Umfelds ab. Caritas Europa 5 4. Herausforderungen und Empfehlungen Mehr Bemühungen um die aktive Eingliederung langzeitarbeitsloser Menschen mit multiplen Vermittlungshemmnissen Bewältigung des demografischen Wandels durch die Überwindung des Fachkräftemangels und die Erhöhung der Beschäftigungsfähigkeit älterer Menschen Erhöhung der Beschäftigungsfähigkeit benachteiligter Gruppen Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, auch durch die Bereitstellung qualitativ hochwertiger Kindertagesbetreuung BILDUNG 1. Trends Deutschland hat sich in beiden Bildungszielen im Vergleich zum Jahr 2005 verbessert: Die Quote der frühen Schulabgänger ist von 13,5 Prozent 2005 auf 11,1 Prozent im Jahr 2009 gesunken. Im Jahr 2010 stieg die Quote dann um 0,8 Prozentpunkte an und sank 2011 wieder auf 11,5 Prozent. Die Quote liegt unter dem EU-Durchschnitt von 13,5 Prozent. Der Anteil der Schüler, die die Schule ohne Hauptschulabschluss verlassen, beträgt 7 Prozent. Der Anteil der 30- bis 34-Jährigen mit einem tertiären oder vergleichbaren Abschluss lag 2011 bei 30,7 Prozent im Vergleich zu 26,1Prozent im Jahr 2005. Trotz dieses Anstiegs liegt der Anteil weiterhin unter dem EU-Durchschnitt von 34,6 Prozent. 2. Politische Entwicklungen In Deutschland liegt die Bildungspolitik – und damit die meisten Maßnahmen zur Senkung der Quote der frühen Schulabgänger und zur Erhöhung des Bevölkerungsanteils mit tertiären Abschlüssen – in der Verantwortung der Länder. Dies hat zur Folge, dass in den Nationalen Reformprogrammen nicht sehr ausführlich über die Bildungspolitik berichtet wird. Im Nationalen Reformprogramm werden zumeist Projekte auf Bundesebene aufgeführt, die zum Beispiel die Schüler im Lernen fördern und ihre Kompetenzen erhöhen sollen oder auf frühe Hilfen für Eltern und Kinder abzielen. Derzeit ist es noch zu früh, um abzuschätzen, ob diese Projekte eine positive Wirkung haben. 3. Können die EU-2020-Ziele einer Quote von 9,9 Prozent frühen Schulabgängern und einem Anteil von 47 Prozent der 30- bis 34-Jährigen mit einem tertiären Abschluss erreicht werden? Auch wenn sich die Quote der frühen Schulabgänger und der Anteil der 30- bis 34-Jährigen mit einem tertiären Abschluss zu verbessern scheinen, ist es noch zu früh, einen positiven Trend auszumachen, da die Daten über die Zeit variieren. Das Ziel scheint deswegen schwer erreichbar zu sein, wenn keine zusätzlichen oder gezielteren politischen Maßnahmen ergriffen werden. 4. Herausforderungen und Empfehlungen Design und Umsetzung von Maßnahmen, die den Schulabgang ohne Hauptschulabschluss vermeiden: Jugendliche ohne Hauptschulabschluss haben große Probleme, da der Hauptschulabschluss in der Regel die geringste Qualifikation ist, die benötigt wird, um einen Ausbildungs- oder Arbeitsplatz zu finden. Der Deutsche Caritasverband hat eine Untersuchung zu dem Thema durchgeführt. Die Ergebnisse zeigen, dass in Regionen, in denen es viele Förderschüler und eine hohe Arbeitslosigkeit gibt, auch mehr Kinder die Schule ohne Hauptschulabschluss verlassen. Das Bildungsniveau der Eltern, die wirtschaftliche Prosperität der Region und die Zahl der ausländischen Schüler sind zusätzliche Einflussfaktoren. Gleichzeitig hat die Untersuchung gezeigt, dass gemeinsame Anstrengungen der örtlichen Akteure (Behörden, Schulen, Firmen, Caritas Europa 6 Wohlfahrtsverbände, Job-Center, etc.) helfen können, das Problem zu überwinden. Die Grundvoraussetzung dafür ist der gemeinsame politische Wille, das Problem anzugehen. Auflösung der engen Verbindung zwischen Bildungserfolg und sozialer Herkunft Umsetzung der UN- Behindertenrechtskonvention im Schulsystem. ARMUT 1. Trends Obwohl die Erwerbstätigenquote erhöht und die Arbeitslosenquote gesenkt wurde, hat die Quote der Menschen, die von Armut und sozialer Ausgrenzung bedroht sind seit 2005 zugenommen. Ihren Höchststand erreichte sie im Jahr 2009 mit 20 Prozent. Im Jahr 2010 sank sie dann leicht um 0,3 Prozentpunkte. Damit liegt die Quote der von Armut und sozialer Ausgrenzung bedrohten Menschen aber immer noch deutlich unter dem EU-Durchschnitt von 23,4 Prozent. Die Armutsrisikoquote ist seit 2005 ebenfalls gestiegen und erreichte im Jahr 2010 15,6 Prozent. Das Armutsrisiko der Kinder unter 18 Jahren lag bei 17,5 Prozent, das der Personen über 65 Jahre bei 14,1 Prozent, das der Haushalte von Alleinerziehenden bei 43 Prozent und das Personen mit „sehr niedriger Arbeitsintensität“ bei 67,3 Prozent. Die Quote der materiellen Deprivation hat sich zwischen 2005 (4,6 Prozent) und 2008 (5,5 Prozent) ebenfalls erhöht, sank im Jahr 2010 allerdings wieder auf 4,5 Prozent. Der EU-Durchschnitt lag bei 8,1 Prozent. Der Anteil der erwerbslosen Haushalte schwankte in diesem Zeitraum zwischen 11,9 und 10,8 Prozent und liegt aktuell bei 11,1 Prozent. Damit liegt er über dem EU-Durchschnitt von 10 Prozent. Der Anteil der „working poor“ lag im Jahr 2010 bei 7,2 Prozent gegenüber 4,8 Prozent 2005 und 7,5 Prozent im Jahr 2007. 2. Politische Entwicklungen Die meisten Maßnahmen, die in den Nationalen Reformprogrammen 2011 und 2012 beschrieben wurden, sind bereits umgesetzt oder sind Teil des politischen Prozesses. Die Berechnung des Regelbedarfs in der Grundsicherung wurde reformiert. Dies resultierte in einer geringfügigen Erhöhung der Regelbedarfe. Außerdem wurde ihre Steigerung weitgehend an die Inflation angepasst, was das Existenzminimum auch bei steigenden Preisen sichern soll. Allerdings werden einige Aspekte der Reform der Berechnungsgrundlagen, wie zum Beispiel die veränderte Referenzgruppe oder mangelnde Flexibilitätsreserven, vom Deutschen Caritasverband kritisch gesehen. Weiterhin gab es positiv zu bewertende Maßnahmen für Migranten, die ihre Beschäftigungsfähigkeit erhöhen sollen. Nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von 2012 über die Leistungen für Asylbewerber haben die Länder beschlossen, diese Leistungen stark zu erhöhen. Allerdings fordert der Deutsche Caritasverband die Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes und die Einbeziehung der Asylbewerber in die Grundsicherungssysteme. Der Deutsche Caritasverband bedauert die sinkende Finanzierung von kommunalen sozialen Projekten. Darüber hinaus sind im Nationalen Reformprogramm keine Maßnahmen vorgesehen, die extreme Armut bekämpfen oder gezielt sehr vulnerable Gruppen wie wohnungslose und drogenabhängige Menschen oder Langzeitarbeitslose mit multiplen Vermittlungshemmnissen unterstützen. Zur Bekämpfung der Kinderarmut hat die Regierung im Jahr 2011 das sogenannte Bildungs- und Teilhabepaket eingeführt. Das Bildungs- und Teilhabepaket sieht Leistungen für Kinder vor, die ihre soziale Teilhabe und ihre Bildungschancen verbessern sollen. Der Deutsche Caritasverband hatte die Einführung solcher Leistungen gefordert und begrüßt sie. Allerdings muss die Inanspruchnahme des Bildungs- und Teilhabepakets erleichtert werden, indem die Antragstellung entbürokratisiert wird und die Anspruchsvoraussetzungen gelockert werden. Familien, die „working poor“ sind werden im Nationalen Reformprogramm nicht erwähnt. Bei ihnen reicht das Arbeitseinkommen nicht aus, um die Existenz der ganzen Familie zu sichern. Diese Familien Caritas Europa 7 erhalten ergänzendes Arbeitslosengeld II. Das ergänzende Arbeitslosengeld II wird häufig als stigmatisierend empfunden. Deswegen fordert die Caritas unabhängige und zusätzliche Leistungen für Kinder in Familien mit niedrigem Einkommen. 3. Kann das EU-2020-Ziel, die Anzahl der Langzeitarbeitslosen um 20 Prozent zu reduzieren, erreicht werden? Angesichts der guten Entwicklung auf dem deutschen Arbeitsmarkt erscheint das EU-2020- Ziel als realistisch und nicht allzu ehrgeizig. Trotzdem kann die Reduzierung der Langzeitarbeitslosigkeit ein guter Maßstab für die Armutsbekämpfung sein. Allerdings muss die Regierung dann nicht nur die Zahl der Langzeitarbeitslosen (länger als 1 Jahr arbeitslos) in den Blick nehmen, sondern auch die Zahl der Menschen, die schon sehr lange arbeitslos sind und zusätzliche Vermittlungshemmnisse aufweisen. 4. Herausforderungen und Empfehlungen Bessere Maßnahmen für extrem vulnerable Gruppen wie z. B. Obdachlose, Flüchtlinge und langzeitarbeitslose Menschen mit multiplen Vermittlungshemmnissen Bessere Bildungschancen und mehr soziale Teilhabe für armutsgefährdete Kinder, um die Vererbung von Armut zu überwinden. Prävention von zukünftiger Altersarmut Änderungen in der Berechnung des Regelbedarfes und Verbesserung der Rechte von Asylbewerbern EMPFEHLUNGEN Beschäftigung Schaffung von spezifischen Maßnahmen für langzeitarbeitslose Menschen mit multiplen Vermittlungshemmnissen Maßnahmen zur Förderung der Beschäftigung älterer Menschen (altersadäquate Arbeitsplätze, neue Ruhestandsmodelle, Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz etc.) Bildung Gemeinsame Anstrengungen auf allen Ebenen, um zusammen mit örtlichen Behörden, Schulen, Wohlfahrtsverbänden, Arbeitsagenturen, Unternehmen, etc. die Zahl der Schulabgänger ohne Hauptschulabschluss zu reduzieren Förderung der inklusiven Bildung Armut Eine eingehendere Darstellung von Armut in Deutschland im Nationalen Reformprogramm, auch mit Themen wie Kinderarmut oder Vererbung von Armut Veränderungen in der Berechnung des Regelbedarfs (zum Beispiel Änderung der Referenzgruppe des Regelbedarfs für Erwachsene und Einführung einer Flexibilitätsreserve) Entwicklung eines Systems unabhängiger Leistungen für Kinder in Familien mit niedrigem Einkommen. Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes Caritas Europa 8