Medien Ein Traum von Werbung Text Eva Keller Warum gibt es das Mädchen mit Downsyndrom in einem Rama-Werbespot noch nicht? Die Werbebranche will Wünsche wecken. Sind Menschen mit Behinderung dafür nicht geeignet? Eine Familie am Frühstückstisch: Vater, Mutter, Sohn und Tochter. Kaffee und Kakao, Brötchen und Marmelade stehen bereit – nur die Margarine fehlt! Das Mädchen geht zum Kühlschrank. Es stellt die Margarine auf den Tisch und lächelt. Das Mädchen hat blonde Zöpfe, ein rotes Kleid, und sie hat das Downsyndrom. Ein Traum von Werbung. Wenn es stimmt, dass Werbung die Menschen zum Träumen bringen will – warum wagt sie dann nicht einmal dies? In Wirklichkeit kommen Menschen mit Behinderung in der Werbung so gut wie gar nicht vor. Mercedes Benz wirbt zwar mit seinem Slogan „Lassen Sie sich nicht behindern“ und einem Rollstuhlfahrer für seine behindertengerecht ausgestatteten Autos – aber eben nur in einschlägigen Zeitschriften. Sicher, Nike lässt anlässlich der Paralympics Sportler mit Körperbehinderungen für Schuhe und Trikots werben – aber eben nicht den normalen Menschen mit Behinderung die neueste Sneaker-Kollektion präsentieren. Warum? Folgt man Volker Nickel, dem Sprecher des Zentralverbands der Deutschen Werbewirtschaft (ZDW), hat das einen guten Grund. „Wenn ein Unternehmen für Margarine oder Zahnpasta wirbt, verfolgt es kommerzielle Interessen“, stellt Nickel klar: „Es ist nicht Auftrag der Werbung, Sozialpolitik zu betreiben. Und es funktioniert auch nicht, eine sozialpolitische Aufgabe huckepack zu nehmen. Das Unternehmen ist als Produktanbieter glaubwürdig und nicht als Sozialarbeiter.“ 22 Mit anderen Worten: Im besten Fall sind die Konsumenten irritiert. Im weniger schlimmen Fall lenkt sie der Anblick der Behinderung vom Produkt ab. Und im schlimmsten Fall provoziert solche Werbung Ablehnung – und den Vorwurf, das Unternehmen würde Menschen mit Behinderung nur „benutzen“. Dass dieses Argument gerne vorgebracht wird, ist nicht zuletzt das Verschulden des Fotografen Oliviero Toscani. Er verstieß mit seiner Kampagne für das Modelabel Benetton gegen alle möglichen Tabus. Seine Motive: HIV-Kranke, Kinder mit Downsyndrom, zum Tode verurteilte Häftlinge. „Benetton hatte behauptet, soziale Absichten zu haben. Aber die Menschen haben durchschaut, dass es nur um Aufmerksamkeit für das Unternehmen ging“, meint Nickel. Ähnliche Kritik handelte sich die Autovermietung Sixt mit einem Werbespot ein, in dem ein kleinwüchsiger Mann per Gepäckband im Flughafen ankommt und den Wartenden ein Lied vorträgt: „... es gibt was, das ich liebe, weil's kleiner ist als ich. Ich fühl mich wie ein Riese, bei den Preisen von Sixt ...“. „Nicht überzeugend“, urteilt Vincent Schmidlin, Partner der Werbeagentur Scholz & Friends: „Das ist für mich Benetton in soft: Benetton zielte auf Schockgefühle, Sixt auf Lachmuskeln.“ Auf Kosten der Menschen mit Behinderung? Nicht jeder antwortet mit einem klaren „Ja“. Benetton halten einige zugute, dass die Kampagne den Menschen reißerische Bilder untergejubelt hat, bei denen diese sonst weiterzappen oder -blättern. Der Sixt-Spot hingegen scheint – wenn man sich die Kommentare auf YouTube anschaut – vor allem von Menschen abgelehnt zu werden, die selbst nicht Menschen 4/2011 022-025_MmB_werbung.indd 22 07.09.11 19:27 Noch immer die Ausnahme von der Regel: Rip Curl sponsort die einarmige Surferin Bethany Hamilton. kleinwüchsig sind oder eine Behinderung haben. Raúl Krauthausen wundert das nicht. Der Gründer des Vereins Sozialhelden, der wegen Glasknochen im Rollstuhl sitzt, meint, Unternehmen und Werber hätten viel zu viel Angst, etwas falsch zu machen: „Warum sollten wir stärker geschont werden als Frauen, die immer wieder als Sexobjekte dargestellt werden? Natürlich kann es passieren, dass eine Werbung mit Behinderten andere Betroffene verletzt oder dass Nicht-Behinderte über Behinderte lachen. Aber ich finde es viel diskriminierender, als Werbeträger gar nicht in Frage zu kommen.“ FOTOS: PICTURE ALLIANCE, LEVIS Die Sorge der Unternehmen, empörte Reaktionen auf sich zu ziehen, ist natürlich nur die halbe Wahrheit. Die andere Hälfte ist schlicht die Angst vor den wirtschaftlichen Folgen, wenn Konsumenten sich mit der Werbung nicht identifizieren – und das beworbene Produkt dann nicht kaufen. Man könnte es also so zuspitzen: Die Unternehmer haben Angst vor den Ängsten der Konsumenten. Kein Wunder, denn hier wie dort haben wir es mit Menschen zu tun. Und Menschen, davon ist Werber Schmidlin überzeugt, sind von Natur aus vorsichtig gegenüber allem, was anders ist. Und mehr „Anderssein“ als eine Behinderung zu haben, geht nun mal nicht. Allerdings scheinen manche Behinderungen in der Gesellschaft besser akzeptiert zu werden als andere. Wollte man sie in einem Ranking erfassen, so Schmidlin, dann stünden körperliche Behinderungen, wie fehlende Gliedmaßen und Sinnesbehinderungen, wie Blindheit p Provokante Werbestrategie? US-Model Amanda Swafford ist fast blind und modelt für Levis. Menschen 4/2011 022-025_MmB_werbung.indd 23 23 07.09.11 19:27 VANESSA LOW WELTMEISTERIN FOTOS: STADTWERKE DUISBURG, NIKE VANESSA HAT DIE POWER, WIR DIE ENERGIE: WWW.RHEINPOWERN.DE AM: KOMM INS TE .DE N ER W O P RHEIN R(H)EINPOWER ist eine Marke der Stadtwerke Duisburg AG STROM GAS Läuferin Vanessa Low in einer Kampagne der Stadtwerke Duisburg. US-Werbung: Der Sprinter Oscar Pistorius für Nike. ganz oben. Denn hier vermittelt uns die Medizin: Das ist lösbar, dafür haben wir Hilfsmittel. Es folgen Krankheiten, über die wir wenig wissen – degenerative Krankheiten wie Muskelschwund oder Krankheiten, die auf einer genetischen Abweichung beruhen. Ganz ratlos und unsicher machen uns schließlich psychische und geistige Krankheiten, weil wir nicht wissen, wie wir mit Menschen umgehen sollen, die ihren eigenen inneren Regeln folgen. Menschen mit Behinderung in der Werbung untersucht hat. Mehr noch: Spitzensportler mit Behinderung passen ganz wunderbar zum vitalen, lebensbejahenden Image ihrer Sponsoren. So beweisen die Nike-Sportler mit ihren Prothesen oder Rollstühlen die gleiche Lebensenergie und Willensstärke wie die Surferin Bethany Hamilton, der ein Hai einen Arm abgebissen hat und die seitdem einarmig weitersurft. „Wir sind auf der Suche nach Glück. Der Anblick von Behinderung erinnert uns daran, dass unser Glück fragil ist“, sagt Vincent Schmidlin. Die Gleichung lautet also Behinderung = Unglück? Der „Dinner-foreveryone“-Moderator Volker Westermann, der ebenfalls Glasknochen hat, wehrt sich vehement dagegen: „Meine Frau und ich haben einen Beruf, wir haben Freunde, wir haben uns. Wir führen ein glückliches Leben. Aber die Leute glauben uns das nicht. Es bleibt immer ein: Ja, aber ...“ Westermann lässt dieses „Aber“ nicht gelten: „Meine Denkweise ist nicht: Was für ein Mist, dass ich im Rollstuhl sitzen muss. Sondern: Wie blöd, dass mein Rolli einen Platten hat.“ Wahrnehmung und Klassifizierung von Behinderungen spiegeln sich also in der Werbung wider. Bei Menschen mit körperlichen oder Sinnesbehinderungen ist es wahrscheinlicher, dass sie in Anzeigen oder Spots auftauchen, beobachtet auch Michaela Mallinger. Die Wienerin war Co-Projektleiterin von „iSpot“, das die Präsenz von 24 Auch in der Kampagne „Rheinpowern“ der Duisburger Stadtwerke ist eine Leichtathletin mit Behinderung zu sehen: Vanessa Low verkörpert mit nichtbehinderten Spitzensportlern den Slogan „Hier fließt die Energie“. Die Behinderung sollte nicht im Mittelpunkt stehen – weil das weder im Sinne von Vanessa Low noch im Sinne der Kampagne gewesen wäre, heißt es von Seiten der Firma ZWEI, die die Kampagne entwickelt hat: „Uns ging es um dynamische, sportliche Motive sowie eine Ästhetik, die ein powervolles Team und die Spitzenleistung eines jeden Sportlers zeigt.“ Champions also, nicht Behinderte, werden uns hier präsentiert. Wenn Werbung mit Menschen mit Behinderungen funktionieren solle, brauche es eine Rolle für diese Menschen. Eine glaubwürdige Rolle, die über die Behinderung hinaus gehe, erklärt Vincent Schmidlin. Wie in dem VW-Spot über einen blinden alten Mann, der auf der Suche nach seinem Sohn ist. Nichts als ein Foto hat er von ihm – aber der nette Autofahrer, der ihn quer durchs Land fährt, erkennt schließlich ein Gebäude im Hintergrund und bringt den Blinden zu seinem Sohn. Menschen 4/2011 022-025_MmB_werbung.indd 24 07.09.11 19:27 Michaela Mallinger erinnert sich an einen weiteren Spot aus den USA, der nur wegen der Behinderung der Hauptfigur funktioniert und deshalb Sinn ergeben habe: ein Blindenführhund, der sein Frauchen absichtlich in ein Hindernis laufen lässt, damit sie die Tasche fallen lässt und der Hund sich auf das gerade eingekaufte Hundefutter stürzen kann. An viele gelungene Beispiele aus dem deutschsprachigen Raum können sich weder Schmidlin noch Mallinger erinnern. Zufall? „Es ist nicht so, dass es deutsche Unternehmen per se ausschließen, mit Menschen mit Behinderung zu werben. Aber die Gesellschaft muss wohl noch ihre Sinne für dieses Thema schärfen“, gibt Schmidlin zu. Mag sein, dass die Zeit noch nicht reif ist. Dass erst mehr Kinder und Erwachsene mit Behinderung im Straßenbild sichtbar werden müssen, dass erst durch gemeinsamen Schulunterricht der selbstverständliche Umgang miteinander eingeübt werden muss. Dann könnte Werbung auch diese Realität widerspiegeln, glaubt Volker Nickel vom ZDW. So lange möchte Raúl Krauthausen allerdings nicht warten: Er will mehr mutige, witzige Werbung sehen. Und er schlägt den Kreativen vor, für die Entwicklung von Ideen und Konzepten künftig den Kontakt zu Menschen mit Behinderung zu suchen. Vincent Schmidlin ist dafür offen: „Werbung hat keinen politischen Auftrag, aber ein Schuss Ethik gehört dazu.“ Die Rama-Familie mit einem behinderten Kind kann er sich für die Zukunft durchaus vorstellen: „Warum nicht? Die Marke ist stark genug.“ f Notiz: Für ihren Artikel „Eine Klasse, alle Klassen“, erschienen in MENSCHEN. das magazin 3/2010, ist die Autorin dieses Beitrags kürzlich mit dem Hessischen Journalistenpreis 2011 ausgezeichnet worden. Eva Keller belegte den 3. Platz in der Kategorie Print. Anzeige für barrierefreie Fahrzeuge von Mercedes-Benz. FOTOS: MERCEDES BENZ, SIXT, VW Die Autovermietung Sixt zeigt einen kleinwüchsigen Mann mit Ukulele im Werbespot. Auch für den US-Markt gedreht: Ein blinder Vater sucht in einem VW-Golf nach seinem verschollenen Sohn. Menschen 4/2011 022-025_MmB_werbung.indd 25 25 07.09.11 19:27