22 Jodelmusical Das welterste Jodelmusical «Stilli Zärtlichkeite» kann Komponist und Tausendsassa Ruedi Roth aus Hemberg nicht alleine leiten. Nach Olten bestellt zur Probe mit der Schauspieltruppe ist darum auch ein Profiregisseur. Katja Nideröst: Text & Bilder E rst im Zug von Wattwil nach Olten fällt Elsbeth Roth ein, dass sie und ihr Mann Ruedi heute ihren Hochzeitstag feiern. Sie schmunzeln beide und legen los mit Erzählen: Nicht von der eigenen Romanze, sondern von der Liebesgeschichte im Jodelmusical, das am 1. Oktober in Wattwil uraufgeführt wird. Dreissig Mal wird «Stilli Zärtlichkeite» auf der Tour quer durch die Schweiz gespielt. Beim Gedanken an die Première flattern bei Ruedi Roth die Nerven. Seit jemand den Begriff Weltpremière in den Mund genommen hat, wird sich die Hemberger Jodlerfamilie Roth der ganzen Dimension des Projekts bewusst. «Die Erwartungen der Leute sind immens, sowohl von Jodler-Freunden als auch von Neidern, die uns diese grosse Kiste nicht zutrauen», sagt der Komponist und musikalische Leiter. Gerechnet wird bei den Organi- www.toggenburgermagazin.ch Katja Nideröst: Text & Bilder Mit vollem Körpereinsatz und neuen Spielvorschlägen für jede satoren, wenn’s gut läuft, bis April 2017 mit zehntausend Besuchern. Szene fordert Regisseur Peter Zimmermann (links) die Schauspielkünste der Jodelmusical-Dar- Lebenslange Sehnsucht Wochenlang hat sich Ruedi Roth fürs Drehbuchschreiben zurückgezogen. Er feilte tagelang am Spannungsbogen mit guten Szenenund Liederabfolgen. Die zugrundeliegende Handlung ist wie bei jedem bekannten Musical nicht beonders kompliziert. Verfasst wurde die Geschichte von Musicalinitiant und Präsident des Jodelmusicalvereins Erwin Bertschy – von allen Buba genannt. So hat Ruedi Roth die Story nachgepfeffert mit überraschenden Wendungen und witzigen Dialogen. Wichtig ist ihm als übergreifendes Thema die lebenslange Sehnsucht der wohl meisten Menschen nach Zärtlichkeit: «Einige von uns bekommen sie nie, andere ab und steller heraus. zu, wieder andere empfangen sie im Überfluss», sinniert der 52-Jährige. Nebst den eigenen Kompositionen sind auch bekannte Titel von Willi Valotti und anderen Komponisten Teil des Musicals. «Es soll viel Abwechslung drin sein und die Jodelkultur der ganzen Schweiz vertreten», sagt Ruedi Roth. In den eigenen Werken fokussiert er nie allein auf gefällige Melodien, sondern auch auf gehaltvolle Texte. Bei der Geschichte wollte er zudem ein früh absehbares, allzu billiges Happy End vermeiden. So wurde beim Familienrat in Hemberg die kinobegeisterte Tochter beigezogen, um einen filmreifen Schlusspunkt zu erfinden. Ein knappes Dutzend Jodlerinnen und Jodler ist heute zur Probe in Olten verabredet. Aus verschiedenen Richtungen rollen die Züge mit den Darstellern an. Man trifft sich hinter den Gleisen im ersten Stock des Bahnhofbuffets. Herzliche Begrüssung, heitere Stimmung, man schiebt Tische und Stühle im Säli Mir hat diese schöne Geschichte über die verschiedenen Arten von Liebe sofort gefallen. zur Seite. Das Ganze wirkt im ersten Moment wie die improvisierte Übung eines Dorftheatervereins. Beschwingt, mit Sturmfrisur, betritt auch Regisseur Peter Zimmermann den Raum. Buba hat den erfahrenen Theatermann ins Boot geholt. Ein Projekt dieser Grössenordnung verlange professionelle Un- 24 Jodelmusical Jodelmusical 25 Es wird viel gelacht in der Probe: Peter Zimmermann und Elsbeth Roth. terstützung, findet auch Ruedi Roth. Obwohl er etliche Dorftheateraufführungen geleitet hat, wäre es «vermessen», bei der grossen Musicalnummer alles selber machen zu wollen, gibt sich der Tausendsassa bescheiden. Neue Spielideen Gänsehaut an den Armen gibt’s, als die Bernerin Barbara Klossner in der ersten Szene zum Jodeln ansetzt. Jeder Laie merkt, dass hier eine bühnenerfahrene Profijodlerin singt. Im himmelblauen Engelskostüm umtänzelt sie Res Mathys, den stämmigen Emmentaler Jodler, der einen cholerischen Bauern spielt. Dieser wettert in der Szene in seinem ausgeprägten Dialekt drauflos, dass die Tische wackeln. Die Sequenz mit dem wütenden Bauern und dem Engel wird sieben Mal wiederholt. Peter Zimmermann fordert die Darsteller heraus; verlangt hier eine Sprechpause, dort ein Augenzwinkern Richtung Publikum, bringt neue Spielideen ein und erweitert so die Szene. Gefühlslagen sollen nicht nur gespielt, sondern gespürt werden. Der Unterschied zwischen dem ersten Szenendurchlauf bis zum letzten ist gewaltig. «Wir profitieren unglaublich vom Regisseur, der die schauspielerischen Möglichkeiten auszuschöpfen weiss», resümiert Ruedi Roth anerkennend. Peter Zimmermann ist seinerseits begeistert vom Jodelmusical und vom bedingungslosen Willen der Truppe, mit so wenigen Proben so viel zu leisten: «Mir hat diese schöne Geschichte über die verschiedenen Arten von Liebe sofort gefallen. Es ist nicht das übliche Musical-Strickmuster. Und diese jodelnden Leute auf der Bühne sind fantastisch. Sie spielen ehrlich, und sie sind ziemlich mutig.» Der Regisseur definiert seine Rolle mehr als Berater. Immer wieder erkundigt er sich bei Ruedi Roth, ob dieser die Szene so gedacht habe, wie sie nun gespielt werde. Es wird viel gelacht im Bahnhofbuffet Olten. So viel, dass die Schminke um die Augen verschmiert. Mittags unten im Restaurant stimmt die Truppe zum Naturjodel an, und Elsbeth Roth verteilt den Gästen Musical-Werbeflyer. Beim www.toggenburgermagazin.ch Wenn Barbara Klossner, Res Mathys und Ruedi Roth (rechts) jodeln, gibt’s Hühnerhaut bei den Zuhörern. Naturjodel, da seien die Toggenburger und Appenzeller halt schon die stärksten, weiss Ruedi Roth und ergänzt: «Diesen Heimatschein tragen wir immer mit uns.» Obwohl alle Mitwirkenden fanatische Jodelfreunde sind, war es für Ruedi Roth eine schwierige Aufgabe, alle Rollen nach Wunsch zu besetzen: «Auch die schweizweit besten Im Musical soll viel Abwechslung drin sein und die Jodelkultur der ganzen Schweiz vertreten sein. Jodler gehen einem Beruf nach, und die Frauen sind oftmals wegen ihrer Kinder zeitlich eingeschränkt.» Alle Solisten-Parts konnten schliesslich mit bühnenerfahrenen Vorjodlern, Kursleitern oder Dirigenten besetzt werden. Insgesamt zehn Mal trifft sich das zusammengewürfelte Ensemble, um tage- oder wochenendweise Gesang, Schauspiel und Tanz einzuüben. Die Aufregung steigt. Der musikalische Leiter Ruedi Roth hat auch das Drehbuch zum ersten Jodelmusical geschrieben. Musical-Initiant Erwin Bertschy geht auf in seiner Rolle des Pfarrers mit www.jodelmusical.ch menschlichen Unzulänglichkeiten.