Von der Pause zur Stille - Nicht

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Von der Pause zur Stille - Nicht-Klang
als musikalisches Gestaltungsmittel in
der Musik des 20. Jahrhunderts
Bernadette Sattler
Diplomarbeit zur Erlangung des Magistergrades an der Universität
für Musik und darstellende Kunst Graz am Institut für
Musikpädagogik
Bei O.Univ.Prof. Mag.art. Richard Dünser im Juni 2013
Abstract
Von der Pause zur Stille – Nicht-Klang als musikalisches Gestaltungsmittel in der
Musik des 20. Jahrhunderts: Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich in einem ersten
Teil mit der Situation und der Entwicklung Neuer Musik in Europa und den USA,
definiert weiter die Begriffe von Stille, Pause, Fermate, Schweigen und Tacet und
zeigt in einem zweiten Teil anhand mehrerer Beispiele die Veränderung von Stille
in musikalisch-konzeptioneller Hinsicht. Zentralstes Werk der Analyse ist 4’33” von
John Cage, dessen Kerngedanke den Paradigmenwechsel von Stille deutlich widerspiegelt. Die Beschäftigung mit Stille wird außerdem in ihren Anfängen bei Claude
Debussy sowie der Zweiten Wiener Schule, anhand von Arnold Schönberg und Anton Webern aufgezeigt und nachvollzogen und wird weiterverfolgt in die Zeit nach
1952, als auch der Begriff von Stille aufgesplittet und umgedeutet wird und KomponistInnen sich auf vielfältige Weise damit auseinandersetzen.
From Rest to Silence – Non-sound as a musical medium of composition in 20th
century classical music: This work deals with the situation and development of
contemporary classical music in Europe and the USA. Furthermore, it defines the
terms silence, rest, fermata, hush and tacet, and uses several examples to illustrate
the transformation of silence in regard to musical conception. The central piece of the
analysis is John Cage’s 4’33”, which reflects the paradigm shift of silence through its
central idea. Moreover, this work demonstrates and retraces the handling of silence
in its beginnings by Claude Debussy, as well as by members of the Second Viennese
School and into the latter half of the 20th century, throughout which silence was
deconstructed and reinterpreted, which lead composers to deal with the term in
manifold ways.
i
(Name in Blockbuchstaben)
(Matrikelnummer)
Erklärung
Hiermit bestätige ich, dass mir der Leitfaden für schriftliche Arbeiten an der KUG
bekannt ist und ich diese Richtlinien eingehalten habe.
Graz, den ……………………………………….
…………………………………………………….
Unterschrift der Verfasserin / des Verfassers
Leitfaden für schriftliche Arbeiten an der KUG (laut Beschluss des Senats vom 14. Oktober 2008)
Seite 1 von 1
Inhaltsverzeichnis
Einleitung/Vorwort
1
1 Theoretische Grundlage
2
1.1
Einführung und Formulierung der Forschungsfrage . . . . . . . . . . .
2
1.2
Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3
1.2.1
Der Aspekt der Stille in der Geschichte der Neuen Musik . . .
4
1.2.2
Festivals . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16
1.3
Die Idee von Stille . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21
1.3.1
Definitionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22
1.3.2
Forschungsstand
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24
2 Analyseteil: Die Konzepte von Stille
27
2.1
Methoden der Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27
2.2
Stücke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28
2.2.1
Claude Debussys Pelléas et Mélisande (1893-1902) . . . . . . . 28
2.2.2
Arnold Schönbergs Sechs kleine Klavierstücke (1912) . . . . . 33
2.2.3
Anton Weberns 6 Bagatellen für Streichquartett (1911/13) . . 36
2.2.4
John Cages 4’33” (1952) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40
2.2.5
Morton Feldmans Intermission VI (1953) . . . . . . . . . . . 49
2.2.6
Morton Feldmans Neither (1976/77) . . . . . . . . . . . . . . 52
2.2.7
La Monte Youngs Compositions (1960) . . . . . . . . . . . . . 56
2.2.8
Alvin Luciers Music for Solo Performer (1965) . . . . . . . . 58
2.2.9
Arvo Pärts Tabula rasa (1977) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60
2.2.10 Luigi Nonos Fragmente, Stille - An Diotima (1980) . . . . . . 64
2.2.11 Daniel Glaus’ Stille (1982) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70
2.2.12 Wolfgang Rihms Jakob Lenz (1977/78) . . . . . . . . . . . . . 71
3 Schlusswort
74
Literaturverzeichnis
79
Internetquellen
82
iii
Abbildungsverzeichnis
1
Debussy 1907, 6 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30
2
Debussy 1907, 116 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30
3
Debussy 1907, 244 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31
4
Debussy 1907, 246 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32
5
Debussy 1907, 246 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32
6
Schönberg 1913 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34
7
Webern 1913, 7 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38
8
Cage 1993 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46
9
Feldman 1977 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54
10
Pärt 1977 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62
11
Nono 1980 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67
12
Rihm 1978, 47 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72
13
Rihm 1978, 158 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73
iv
Einleitung/Vorwort
Eine Arbeit zum Thema Stille in der Musik zu verfassen, mag auf den ersten Blick
paradox wirken. Doch gerade im 20. Jahrhundert hat die Stille in der Musik (im Speziellen in der Neuen Musik) einen grundlegenden Bedeutungswandel erfahren. War
sie zuvor eine Form des Ausdrucks, der den eigentlichen musikalischen Ausdruck
unterstützte – etwa durch ein spannungsgeladenes Einhalten kurz vor dem großen
Finale oder eine Form der Strukturierung von Rhythmus, so wird sie im 20. Jahrhundert zu einem gleichberechtigten Komplementärphänomen zu Klang. Extreme
Ansätze, wie der von John Cage mit 4’33”, sind die wohl bekanntesten Verwirklichungen von konzeptioneller Musik, die Klang als etwas betrachtet, was erst durch
Stille möglich wird. Einhergehend mit der Erkenntnis, dass auch die Grenze zwischen Ton und Geräusch im Verwischen begriffen ist, entstehen Kompositionen, die
weiter denken, aufrütteln und provozieren.
Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich in einem ersten Teil mit der Situation und
der Entwicklung Neuer Musik in Europa und den USA, definiert weiter die Begriffe
von Stille, Pause, Fermate, Schweigen und Tacet und zeigt in einem zweiten Teil
anhand mehrerer Beispiele die Veränderung von Stille in musikalisch-konzeptioneller
Hinsicht. Anhand dieser Grundlagen wird in einem dritten und letzten Teil die
Beantwortung der Forschungsfrage abgewogen, analysiert und bewertet.
Ziel dieser Arbeit kann es nicht sein, einen Überblick über die Gesamtheit dieses
sehr komplexen Themengebietes einzugehen: obwohl etwa im letzten Analysekapitel
kurz auf das Musiktheater eingegangen wird, ist dieses Forschungsgebiet um einiges
umfangreicher, als dass eine Analyse in Form einer Magisterarbeit dieses zufriedenstellend abdecken könnte. Diese Arbeit will vielmehr einen ersten Anstoß liefern,
eine These aufstellen und in Form weiterer Arbeiten beantwortet wissen, sie soll Basis und Grundlage eines Überblickes sein, der von den Lesenden beliebig erweitert
und erforscht werden kann. Außer Acht gelassen werden auch die aktuellsten Entwicklungen, da auf der einen Seite umfassende Literatur zu diesen erst geschrieben
werden muss und auf der anderen Seite die wesentlichsten Veränderungen in Bezug
auf Stille Mitte des 20. Jahrhunderts bereits passierten.
1
1 Theoretische Grundlage
1.1 Einführung und Formulierung der Forschungsfrage
„Stille“, „Schweigen“, „Pause“ sind Begriffe, deren Bedeutung im zwanzigsten Jahrhundert an Relevanz gewinnt, da dieses Zeitalter – laut Rüdiger Liedtke das Zeitalter
der „Vertreibung der Stille“ – durch seine große Lärmtoleranz akustisch völlig überlastet ist.1 Die Reaktionen auf diese Allgegenwärtigkeit von Beschallung jeglicher Art
sind zum einen das Überlagern von spontan entstehender Ruhe oder Stille mit selbst
produziertem Lärm, zum anderen das bewusste Streben nach meditativer Stille, das
bis in die Konzertsäle fortgesetzt wird.2
Die Folge ist jedenfalls gerade in der Welt der Neuen Musik ein bewusstes Umgehen, Hantieren und Komponieren mit Stille. Stille – Nicht-Klang – wird entscheidend
als Komplementärphänomen zu Klang und ist nicht minder bedeutsam als derselbe. Mit der neuen, konstitutiven Funktion von Pause, Stille und Schweigen in der
Musik im Verlauf des zwanzigsten Jahrhunderts befasst sich unter anderem Regine Elzenheimer intensiv. Sie beschreibt die Etablierung von anderen als verbalen
und rein musikalischen Ausdrucksweisen und Wahrnehmungsmustern in Musik und
Theater, die sich durch die Bedeutungswandlung von „Stille“ entwickeln konnten.3
Das Hinterfragen und Außer-Acht-Lassen von historisch fixen Formen und Mustern,
das durch diese Entwicklung passiert, bricht alte Strukturen in allen Bereichen der
Musik und des Theaters auf und mündet in der Erweiterung und Neubestimmung
differenzierten Hörens und Sehens.4
Während Elzenheimer sich in ihrem Buch mit Pause, Stille und Schweigen vor
allem mit der Performanz des Musik-Theaters auseinandersetzt, wird diese Arbeit
die Gleichstellung von Klang und Nicht-Klang ausschließlich in der Neuen Musik
nachvollziehen und zu deuten versuchen. Ulrich Dibelius, einer der Gründer der
Zeitschrift für Neue Musik „MusikTexte“, hebt die Bedeutung dieses Paradigmenwechsels so hervor:
1
Rüdiger Liedtke: Die Vertreibung der Stille. Wie uns das Leben unter der akustischen Glocke
um unsere Sinne bringt. München: Schönbergers Verlag 1996. S. 211ff.
2
Regine Elzenheimer: Pause. Stille. Schweigen. Dramaturgie der Abwesenheit im postdramatischen Musik-Theater. Würzburg: Königshausen & Neumann 2008. S. 15.
3
Ebd., S. 25
4
Ebd., S. 23
2
Nach der Demokratisierung aller zwölf Halbtöne zu einer unterschiedslosen,
von keiner tonalen Stufenordnung hierarchisierten Koexistenz, nach der Einbeziehung des Geräuschs als einer von keiner ästhetischen Schönfärberei diskriminierten akustischen Äußerungsform bildet die Gleichstellung von Pause,
also Nicht-Klang, und Klang die dritte, wesentliche Neuerung in der Musik
des zwanzigsten Jahrhunderts. (Dibelius 1994, 10)
Im Verlauf dieser Arbeit wird diese Aussage untersucht und an einzelnen Kompositionen verifiziert und nachvollzogen.5
1.2 Voraussetzungen
Entwicklung findet aufgrund verschiedener, zusammenwirkender Umstände statt.
Die sich ergebenden Konstellationen aus sich nahestehenden Komponisten, die sich
austauschen, beeinflussen, fordern und fördern; die Reife, mit der die Menge der
RezipientInnen musikalische Gedanken nachvollziehen kann; die Zeit, in der Entwicklung passiert: all das sind Faktoren, die Fortschritt entweder blockieren oder
ermöglichen. Um also dementsprechend die veränderte Perspektive auf Pausen, Stille und Schweigen in der Musik verstehen zu können, braucht man zunächst einen
Einblick in die Situation der Menschen, die sich im 20. Jahrhundert mit diesem
Thema beschäftigt haben. In der Literatur zu dieser Thematik6 geht man entweder
von einzelnen Komponisten und ihren Beiträgen zur Veränderung der Neuen Musik
aus oder man betrachtet das Phänomen Klang selbst, dessen Art und Verständnis
sich im Laufe des 20. Jahrhunderts stark entwickelte. In den folgenden Kapiteln
wird versucht diese Herangehensweisen zu kombinieren und zu vereinen, weil man
den Klang nicht ohne seine/n Autor/in, umgekehrt aber auch nicht den/die Schreibende/n ohne sein/ihr Produkt analysieren kann, ohne dass die Ergebnisse dieser
Analyse an Bedeutung und Relevanz verlieren würden. Es ist an dieser Stelle her5
Die Auswahl der Werke erfolgte hauptsächlich nach den KomponistInnen und ihren Konzepten
von und ihren Gedanken zu Stille. Außerdem relevant war der Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung,
da eine Entwicklung beobachtet werden sollte und schlussendlich wurden sie nach ihrer Bedeutung im zeitgeschichtlichen Kontext ausgewählt.
6
Jean-Noël von der Weid: Die Musik des 20. Jahrhunderts: von Claude Debussy bis Wolfgang
Rihm. Ein Handbuch. Frankfurt/Main: Insel-Verlag 2001.
Hanns-Werner Heister, Hrsg.: Geschichte der Musik im 20. Jahrhundert: 1945-1975, Band 3.
Laaber: Laaber-Verlag 2005.
Helga de la Motte-Haber, Hrsg.: Geschichte der Musik im 20. Jahrhundert: 1975-2000, Band
4. Laaber: Laaber-Verlag 2000.
Hans Heinz Stuckenschmidt: Musik des 20. Jahrhunderts. München: Kindler 1969.
Hermann Danuser: Die Musik des 20. Jahrhunderts. Hrsg. von Carl Dalhaus. Laaber: LaaberVerlag 1984.
3
auszuheben, dass sich der Begriff „Neue Musik“ in dieser Arbeit auf die progressive
Musik Europas und der USA im 20. Jahrhundert bezieht.
1.2.1 Der Aspekt der Stille in der Geschichte der Neuen Musik
1.2.1.1 Die Anfänge
Es gibt schon früh Theorien über Pause und Stille, von den Musiktheoretikern Arisides Quintiliaunus im 2. Jahrhundert, Augustinus zu Franco von Köln, Theoretikern der Figurenlehre und dergleichen. All diese Theorien verstehen die Stille aber
als dem Klang untergeordnet und als ihn unterstützend. Erste Anzeichen von Stille als eigener kompositorischen Größe gibt es dann im 19. Jahrhundert bei Franz
Schubert, Richard Wagner oder Gustav Mahler.7 Es ist aber Claude Debussy, einer der bedeutendsten Vertreter des Impressionismus, der sich zu Beginn des 20.
Jahrhunderts in seiner Oper Pelléas und Mélisande als einer der Ersten konkret
mit der Idee der Stille beschäftigt. Sein genereller Kult der Zurückhaltung und des
Leisen, paradoxerweise in großen Gesten realisiert, äußert sich in kleinsten Differenzierungen, einer Art musikalischen Mikrokosmos.8 Als notwendiger Gegensatz zum
Pathos der Romantik gibt es in seiner Komposition keine überdramatischen Höhepunkte.9 Stattdessen lässt er inmitten der drastischsten Szene im vierten Akt, als
für den/die Rezipienten/in die Beziehung zwischen Pelléas und Mélisande deutlich
wird, die Stille sprechen. Er selbst schreibt dazu 1893 an Ernest Chausson:
Ich habe mich dabei, übrigens ganz spontan, eines wie mir scheint ziemlichen
seltenen Mittels bedient, nämlich der Stille (lachen Sie nicht) als Ausdrucksfaktor und der vielleicht einzigen Möglichkeit, die Gefühlsladung einer Phrase
zur Geltung zu bringen [...]. (Gruber 1992, 16)
Die Bedeutung dieser Aussage liegt nicht unbedingt in Debussys Vorhaben, sondern vielmehr in seiner Beobachtung zur Seltenheit dieses Stilmittels. Allein dadurch
gibt er viel Aufschluss über die Rolle der Pause und Stille zur Zeit seines komponistischen Arbeitslebens.
Die Zeit der Jahrhundertwende, eine Zeit des Aufbruchs und gleichzeitig des Endens, ist ein fruchtbarer Boden für Neues. Der wirtschaftliche Aufschwung nach dem
7
Elzenheimer: Pause. Stille. Schweigen. S. 18.
Stuckenschmidt: Musik des 20. Jahrhunderts. S. 26.
9
Walter Knapp, Wolf Peschl, Hrsg.: Wege zur Musik. Innsbruck, u.a.: Helbling 1991.
8
4
deutsch-französischen Krieg 1870/71 bietet auch der Kunst- und Kulturszene die
Möglichkeit der Veränderung, des Fortschritts und Erneuerung. Die Dekadenz der
Belle Époche und die Finanzstärke des Bildungsbürgertums sind demnach die Pfeiler
eines fundierten Kunstverständnisses, das sich in den Konzertsälen und Salons dieser
Epoche herausbildet. Die sich anbahnenden politischen und sozialen Umbrüche sind
aber auch in der Welt der Musik bereits spürbar. Die Avantgardisten markieren in
ihren Kompositionen das Ende des Generalbasszeitalters und der Funktionsharmonik, das betrifft sowohl die Impressionisten, wie Debussy und Ravel, besonders aber
auch die Vertreter des Expressionismus, wie Schönberg, Strawinsky, Bartok, Berg.
Was der Impressionismus in der Musik, aber auch in der Malerei noch andeutet,
umschmeichelt und subjektiv schildert, schreit der Expressionismus dann klar und
laut hinaus: Es ist das Ende der materiellen und mentalen Sicherheit, der Mensch
ist in Not, was innen war, wird nach außen gewandt und umgekehrt; es ist der
Beginn der Orientierungslosigkeit und des Pluralismus des 20. Jahrhunderts nach
der Moderne von Richard Strauss, Gustav Mahler, Max Reger und dem Frühwerk
von Arnold Schönberg.10
Die Zweite Wiener Schule um Arnold Schönberg, Alban Berg und Anton Webern
widmet sich zu Beginn ihres Schaffens, nach konsequenter Fortführung und Beendigung des spätromantischen Konzepts von Tonalität, der freien Atonalität, der
Emanzipation der Dissonanz und schließlich der Dodekaphonie11 , wie auch schon Joseph Matthias Hauer vor und Alexander Skjrabin und Charles Ives neben ihnen.12
Dort, wo noch ein tonales Bezugssystem als Basis gegeben ist, wie etwa bei Albert
Roussel in seiner Phase ab Mitte der 1920er-Jahre, Frank Martin und Paul Hindemith, wird es erweitert, stark rhythmisiert und polytonal, bleibt aber verfremdet
neoklassizistisch. Die Gleichberechtigung der Töne und die Emanzipation der Dissonanz bewirken die Richtungslosigkeit altbekannter Harmonien, ermöglichen eine
neue Idee von Klang – jenseits von konsonant und dissonant – und begünstigen die
Anarchie der Form in der Kompositionswelt in den ersten zwei Jahrzehnten des 20.
Jahrhunderts, da das Streben nach Auflösung erst geleugnet wird, dann verschwindet
und dadurch freierem Rhythmus, freierer Struktur und dem Fokus auf Klangfarbe
10
Danuser: Musik des 20. Jahrhunderts. S. 13.
Heister: KDG: Arnold Schönberg.
12
Danuser: Musik des 20. Jahrhunderts. S. 24.
11
5
Platz und Bedeutung gibt. Der an keine Form gebundene Ausdruck des Seins im
Expressionismus zeigt Parallelen zur Künstlergruppe „der Blaue Reiter“, nachzuvollziehen an der Freundschaft zwischen Wassily Kandinsky und Arnold Schönberg,
die ihre Auffassung von der „Ästhetik einer allein vom Ausdrucksbedürfnis des Subjekt verantworteten neuen Kunst“13 verbindet.
Die Formlosigkeit der freien Atonalität; der Verzicht auf die bisherigen Großformen der Instrumentalmusik bringt Schwierigkeiten in der Umsetzung und bedeutet
die extreme Konzentration auf musikalische Kurzformen. Im Überwindungsbemühen
dieser Probleme und in der Einschränkung der Gattungsformen beginnt das Ende
der freien Atonalität.
Während Schönberg, Berg und Webern sich konsequent neues Grundlagenmaterial
erarbeiten, gibt es zeitgleich auch das Streben nach alten Formen und Ordnungen,
verbunden mit erweiterter Tonalität, die trotzdem ein gewisses Maß an Eigenständigkeit der Klassiker des 20. Jahrhunderts garantiert. Hier sind die oben bereits
erwähnten Paul Hindemith, Albert Roussel und Frank Martin als Hauptvertreter
des Komponierens mit neoklassizistischen Elementen zu nennen sowie die „Groupe
de Six“ um Francis Poulenc und Darius Milhaud.14 Bis etwa 1950 ist diese Art des
Komponierens offensichtlich ausgeschöpft, denn sie verliert ab diesem Zeitpunkt an
Bedeutung. Trotz auftretender starker Rhythmusbetonung liegt die Bedeutung der
Kompositionen dieser Komponisten, gerade wegen ihrer zurückgreifenden Formideen
und deren Verbindung mit klassischer Musik und Rhythmik, in der Neuarrangierung
von vorhandenem Material und weniger in konzeptioneller Neubetrachtung von Pause und Stille, weswegen sie bei der Analyse ausgeklammert werden.
1.2.1.2 Neue Klänge
Auf der Suche nach anderen Ordnungen wenden sich die Futuristen und speziell der
Bruitismus an Bekanntes, aber für die Musik noch Unerschlossenes. Edgar Varèse, Musiker und Naturwissenschaftler, hat den ausdrücklichen Wunsch „mit allem
was klingt Musik zu machen“, was in seiner Sehnsucht entspringt „unser musikalisches Alphabet zu erweitern“ (Weibel 1987). In dieser Hinsicht ist seine Arbeit ver13
14
Ebd., S. 36.
Heister, Hrsg.: Musik im 20. Jahrhundert. S. 135.
6
gleichbar mit der, der italienischen Bruitisten Luigi Russolo und Ferruccio Busoni,
die auch Geräusche organisierten und musikalisch-künstlerisch auswerteten und die
Welt der Maschinen in ihre Musik einbezogen. Trotz ihrer künstlerischen Irrelevanz,
tragen sie maßgeblich zur Emanzipation des Geräusches und zur Erweiterung des
traditionellen Instrumentariums bei, unter anderem durch Busonis theoretische Betrachtungen, veröffentlicht im „Entwurf einer neuen Ästhetik der Tonkunst“ 1907.15
Sie scheitern aber vor allem an der praktischen Umsetzbarkeit ihrer Konzerte mit
schwer zu transportierenden „Instrumenten“. Dennoch wichtig ist Busonis Gedanke
zu Pause und Fermate:
Was in unserer Tonkunst ihrem Ursprung am nächsten rückt, sind die Pause
und die Fermate. Die spannende Stille zwischen zwei Sätzen, in dieser Umgebung selbst Musik, läßt [sic!] weiter ahnen, als der bestimmtere, aber deshalb
weniger dehnbare Laut vermag. (Busoni 1911, 89)
Trotz dieser Erkenntnis konzentriert man sich in weiterer Folge auf die Möglichkeiten der neu entdeckten Klangkörper, weniger auf die Rolle und das Potential von
Pause und Stille.
Dass Musik nicht losgelöst von ihrem gesellschaftlichen Kontext betrachtet werden
kann, zeigt besonders die Zeit der 1930er bis nach 1945, denn diese Zeit bedeutet
in kompositorischer Hinsicht Regression. Die Unsicherheit nach der Wirtschaftkrise
Ende der Zwanzigerjahre und der damit verbundene Wunsch nach Stabilität bringt
den Vorwurf der ästhetischen Willkürlichkeit und sozialen Verantwortungslosigkeit;
man fordert Gattungszugehörigkeit, Stilbindung und tonale Ordnung, die einem
breiten Publikum zugänglich sind.16 Diese Sehnsucht geht darauf zurück, dass die
Spezialisierungen und radikalen Neuerungen in der Musik nach 1900 eine geteilte
Hörerschaft bedingen. Während auf der einen Seite das Publikum die Komplexität
der Neuen Musik mit nachvollzieht und zum Kenner wird, wendet sich das an leicht
verständlicherer Musik interessierte Publikum einem neu auflebenden Populismus
zu, der schon in der Operette des 19. Jahrhunderts bemerkbar ist und der, vom
Volkslied ausgehend, laut Kurt Weill, der sich darüber äußert: leicht „nachzupfeiffende Melodien“ (Stuckenschmidt 1969, 122) idealisiert.
15
16
Stuckenschmidt: Musik des 20. Jahrhunderts. S. 50.
Danuser: Musik des 20. Jahrhunderts. S. 196.
7
In weiterer Folge dieser Arbeit wird vorausgesetzt, dass der/die vom Komponisten antizipierte Hörer/in sich im kleinen Kennerkreis bewegt und als verstehende/r
Rezipient/in zu betrachten ist, obwohl erwähnt werden muss, dass sich einige Komponisten bewusst auch an eine breite Zuhörerschaft wandten, wie etwa Kurt Weill,
Hanns Eisler und Paul Hindemith.17 Trotzdem in der populistischen Musik die Wirkung der Pause eine große Rolle spielt, ist die konzeptionelle Idee von Stille anders zu
bewerten und zu sehen, weshalb ich ersteres in dieser Arbeit vernachlässigen werde.
Allgemein verständliche Musik von ca. 1930-1945 bedeutet eine Rückbesinnung
auf nationale musikalische Geschichte und nationalen Folklorismus auch in Belangen der Stofflichkeit, eine Tendenz, die schon in der Romantik, namhaft bei Wagner,
spürbar ist. Die propagierte Verbindung der Präsentationsinstitution „Konzerts“, die
als allgemein zugänglich gilt, mit dem Bild des kunstfördernden Staates wendet sich
dabei bewusst gegen die Moderne, in der autonome avantgardistische Aufführungen
einem Kennerkreis vorbehalten zu sein scheinen. Gemeinsam mit der systematischen
„Reinigung“ von „entarteter“ Musik werden die Erkenntnisse der ersten Jahrzehnte
des 20. Jahrhunderts auf diese Weise ausgeblendet. Mit der Emigration der geistigen und musikalischen Elite einhergehend, entwickeln sich Hauptzentren der Neuen
Musik in den USA (mit John Cage, Morton Feldman, Christin Wollf) und Europa,
insbesondere Frankreich, Italien und Deutschland.
1.2.1.3 Serielle und Elektronische Musik, Musique Concrète und Aleatorik
Abgesehen von der Zeit der Zäsur im Nationalsozialismus sind die Fokussierung auf
und die Neugier der Komponisten der Neuen Musik an der Basis des vorhandenen
Tonmaterials Voraussetzungen für die Bedeutungsveränderung von Pause und Stille. Durch das Erforschen der Grundbestandteile des bekannten Tonmaterials stößt
man an dessen Grenzen und kann darüber hinaus denken und schließlich auch schreiben und musizieren. Gerade deshalb messe ich den Komponisten der seriellen und
Elektronischen Musik und ihrer Betrachtung und kritischen Hinterfragung große
Bedeutung zu.
Olivier Messiaen, der mit seinem Klavierstück: Mode de valeurs et d’intensités
einen Grundstein serieller Technik legt, beschreibt in diesem Titel schon dessen
17
Stuckenschmidt: Musik des 20. Jahrhunderts. S. 115.
8
kompositorische Eckpfeiler.18 Zusätzlich zur Ordnung der Reihen, die ausschließlich Tonhöhen festlegt, sind die Parameter der seriellen Musik auch noch Tondauer,
Lautstärke und Klangfarbe, die innerhalb einer Reihe Funktion und Aufgabe haben. Die zugrundeliegende theoretische Basis dieses Gedankens stammt schon von
Theodor W. Adorno,19 er misst der Dauer allerdings zugunsten der primären Dimension Tonhöhe wenig Bedeutung zu. Die Organisation des Stückes von Messiaen
ist allerdings nur in verschiedene Modi unterteilt, nicht reihenmäßig strukturiert.
Diese Erweiterung der Reihen Schönbergs und besonders auch Anton Weberns
und die Determination der Serialisten (Boulez, Stockhausen, Nono, Maderna) ist die
Neuerung, die in konsequenter Fortführung die Rolle des Autors überflüssig macht,
extrem verwirklicht und weitergeführt zum Beispiel in der Aleatorik John Cages.20
Diese Strenge wird bis zu ihrer Vollendung fortgesetzt und ermöglicht dann, nach
völliger Ausschöpfung ihres Potentials, die Überwindung ihrer selbst. Neuen Erkenntnissen und Errungenschaften geht im Lauf der Geschichte das Suchen nach
Unerkanntem im Altbekanntem voraus, ist diese Sehnsucht befriedigt, kann man
sich davon abwenden und beruhigt neue Wegen gehen, ja es wird notwendig, das zu
tun, will man dem Anspruch von Kunst gerecht werden.
Die Experimente ab den 1950er Jahren in der Neuen Musik, nunmehr mit Zentrum
in Darmstadt anstatt in Wien, sind beispielgebend hierfür. Man hat Altes perfektioniert und erweitert, Pierre Schaeffer, Pierre Boulez, Karlheinz Stockhausen und
John Cage (neben vielen anderen, wie etwa Ligeti und Penderecki) beschäftigen sich
mit elektro-akustischem Material, Geräuschmontagen, „konkretem Klangmaterial“,
das die Grenzen der ursprünglichen Klangdefinition sprengt. Die Erfindungen in
technischen Bereichen bringen neue Möglichkeiten Klang wahr- und aufzunehmen,
ihn zu verfremden und musikalisch zu verwerten. Diese Zeit der „Musique Concrète“
beeinflusst auch das Klangspektrum der gewohnten Klangkörper: die Geräusche der
Umgebung inspirieren zum Experimentieren mit Instrumenten. Weiters bringt die
„Elektronische Musik“ seit 1951 mit Herbert Eimert in seinem Rundfunkstudio und
die Erfindung und Entdeckung von Computern für die Musik wesentliche Fortschrit18
Danuser: Musik des 20. Jahrhunderts. S. 302.
Stuckenschmidt: Musik des 20. Jahrhunderts. S. 52.
20
Knapp, Peschl, Hrsg.: Wege zur Musik. S. 174ff.
19
9
te auf dem Gebiet des Klangmaterials mit sich.
Schon ca. 1920 wird mit Elektronik und Instrumenten bzw. mit elektronischen
Instrumenten experimentiert, sie werden aber hauptsächlich für die Interpretation
romantischer Musik genutzt.21 Vorhandenes elektronisches Material wie Sinustöne,
Magnettöne und Weißes Rauschen musikalisch zu nutzen, ist dann aber erst die Voraussetzung für die Elektronische Musik und die Musique Concrète. Obwohl Stockhausen und Boulez, die „Gründer“ der Elektronischen Musik bei Pierre Schaeffer in
Paris ihre ersten Studio-Erfahrungen sammeln, gibt es zwischen diesen Kompositionsarten doch gravierende Unterschiede: Während die Musique Concrète collagenartig und materialpluralistisch „objet trouvés“ zusammensetzt, vereinheitlicht die
Elektronische Musik das vorhandene Tonmaterial in seriellen Reihen.22
Grundlegend für die Beschäftigung mit Stille ist außerdem die Auseinandersetzung
mit dem Medium Raum, die durch die Komponisten der seriellen Musik neue Bedeutung gewinnt, die im engeren Sinn jedoch keine wirkliche Neuerung darstellt, denn
schon in der Zeit von Doppelchören und -orchestern ist räumliche Entfernung als
Klangphänomen anerkannt und wird als Stilmittel eingesetzt. Mit zunehmendem
Wissen der Naturwissenschaften und immer komplizierter und kleiner werdender
Technik aber eröffnet sich eine Fülle an Optionen, die früher undenkbar gewesen
wären. Karlheinz Stockhausens Gesang der Jünglinge etwa wäre ohne die Summe
dieser Erkenntnisse schlicht unmöglich aufzuführen und überhaupt zu komponieren
gewesen, um nur ein Beispiel aus vielen zu nennen. Denn das Klangmaterial wird
elektronisch erzeugt und die Aufführung findet über fünf Lautsprecher statt (die
eben auch räumlich voneinander entfernt sind). John Cage erforscht auch intensiv
die Eigenschaften und Einflüsse des Raumes und diese sind nicht unwesentlich, wenn
nicht sogar konstitutiv, für sein Konzept von Stille.
Während in der seriellen Musik innerhalb eines mathematischen Prozesses komponiert wird, beschäftigt sich vor allem John Cage mit dem Zufall innerhalb einer großen Form, in der einige fixe Faktoren der einzige kompositorische Einfluss
sind. Das Komponieren als Anweisung und Anleitung und die damit einhergehende Abwesenheit von Autorenschaft, ist wesentliches Kennzeichen seiner Arbeit und
21
22
Danuser: Musik des 20. Jahrhunderts. S. 316.
Ebd., S. 317.
10
wird von KomponistInnen, die in seiner Tradition stehen, fortgesetzt (siehe etwa
La Monte Young: Composition). Was die Serialisten mit der Automatisierung und
Mechanisierung des Ablaufes beginnen, was Pierre Boulez mit seiner freieren und
doch komplexeren kompositorischen Interpretation der Reihen unterbricht, wird in
der Aleatorik obsolet und der völligen interpretatorischen Freiheit des ausführenden
Musikers untergeordnet. Cages ausdrückliches Ziel ist der Ausschluss jeder Art von
Subjektivismus und persönlicher Expression aus dem Kompositionsprozess.23 Er erreicht die Zufälligkeit durch ein übermäßiges Angebot an Spielaufgaben, aus denen
sich der/die jeweilige InterpretIn sein/ihr eigenes Stück im jeweiligen Aufführungsmoment selbst zusammenstellt. Voraussetzung für diesen Kompositionsvorgang ist
die totale Gleichberechtigung aller Einzelkomponenten. Jeder Faktor kann gleichermaßen und ohne gewichtete Selektion zufällig bestimmt werden. Eben diese Entwicklung des „zufälligen“ und damit objektiven und egalitärem Auswählens ist das
Fundament der Gleichberechtigung von Klang und Nicht-Klang. Die Musik soll über
den menschlichen Geist hinauswachsen und das ist nur durch den Zufall machbar:
ein absichtliches Komponieren ohne sich dabei selbst auszudrücken ist nur dann
möglich, wenn der subjektive Planungsprozess vom eigentlichen Ergebnis losgelöst
und objektiviert wird. Cage und in weiterer Folge auch Pierre Boulez, zu dem er
engen Briefkontakt pflegt, widmen sich solch experimentellen Aktionen, wobei Boulez in seinen musiktheoretischen Arbeiten den Zufall lenken und dirigieren will, wie
auch Karlheinz Stockhausen, der in Ansätzen den InterpretInnen seiner Stücke absichtslos und beliebig vorgegebene Klanggruppen spielen lassen will,24 während John
Cages größte Befriedigung an seinen Werke darin liegt, sie nicht mehr als seine zu
erkennen.
1.2.1.4 Klangflächen
Die Melodieorientiertheit des Mittelalters, der Renaissance, des Barock, der Klassik, der Romantik (mit Ausnahme einzelner Strömungen in diesen Zeiten, wie etwa
der Ars Nova), die Klarheit von konkreter und definierter Stimmführung und das
Fordern von Linien und Nachvollziehbarkeit finden im 20. Jahrhundert zu einem
eindeutigen Ende. Durch die Betonung der Parität aller musikalischen Ausdrucksfor23
24
Knapp, Peschl, Hrsg.: Wege zur Musik. S. 184.
Danuser: Musik des 20. Jahrhunderts. S. 343.
11
men ergibt sich die Auflösung des „Nacheinanders“ zugunsten des „Nebeneinanders“.
Vilém Flusser beschreibt in seinen Theorien zu Medien im Allgemeinen den Unterschied in der Wahrnehmung von Text und Bild. Während Text analytisches Denken
und Lesen innerhalb eines Zeitraumes erfordert, kann man den Informationsgehalt
eines Bildes innerhalb einer sehr kurzen Zeitspanne wahrnehmen. Die vermeintlich
leichter verstehbare Gleichzeitigkeit von Bildern, die laut Flusser langsam die Relevanz von Texten ablöst, ist vergleichbar mit dem Klangphänomen „Cluster“. Was bei
Flusser durchaus negativ gewertet wird, ist in diesem Fall eine konsequente Weiterführung der Gleichberechtigung, die keine Reihenfolge erlaubt. Der Vergleich lässt
sich noch weiter ziehen, denn auch Bilder müssen analytisch gelesen zu werden,
jedoch ohne Anfangs- und Endpunkte, ohne Richtung und selbstbestimmt durch
den/die Rezipienten/in.25 Genauso müssen auch Klangflächen gelesen und analysiert
werden, einziger Unterschied ist in diesem Beispiel die Einbettung von Clustern in
einen zeitlich geregelten musikalischen Ablauf, doch selbst die Dimension der Zeit
wird in derartigen Kompositionen so gut es geht ausgeklammert: György Ligeti etwa
beschreibt mit seinem Werk Atmosphères eine Klangtextur, die sich in den einzelnen Stimmen bewegt, als Klang jedoch scheinbar stillsteht. Zeit als kompositorische
Vorgabe wird hier mit der Gleichzeitigkeit der Töne peripher. Henry Cowell wendet diese Kompositionstechnik zuerst an, er schlägt am Klavier seit 1912 mehrere
nebeneinander liegende Töne mit der Faust, mit dem Unterarm oder mit der Hand
an und überträgt diesen Klang später auf Kompositionen für andere und mehrere
Instrumente.26
Neuartig ist das dafür benötigte Notenbild, das ab Cage und Penderecki eher
grafisch anmutet, als funktional kompositorisch. Mit dieser Art der Aufzeichnung
eröffnen sich scheinbar unendliche und neue klangliche Möglichkeiten für Musik, die
Klangfarbe über Melodie stellt und die nicht mehr nur aus Halbtönen besteht, sondern einen Schwerpunkt auf Mikrotonalität und „lückenlose“ Cluster legt.
Luigi Nono ist ebenfalls von Schönberg beeinflusst, im Besonderen in Bezug auf
den speziellen Umgang mit Stimme und Sprache in Kombination mit Musik. Was
ihn aber von der Zweiten Wiener Schule und auch von den anderen Repräsentanten
25
26
Vilém Flusser: Medienkultur. Frankfurt/Main: Fischer-Taschenbuchberlag 2008. S. 24ff.
Ulrich Dibelius: Moderne Musik nach 1945. München, Zürich: Piper-Verlag 1998. S. 343.
12
des Darmstädter Kreises, neben ihm Berio, Boulez und Stockhausen, unterscheidet,
ist vor allem der Umstand, dass er nicht Sprache vertont, sondern Sprache in Musikalisches übersetzt und sie selbst, in ihre kleinsten Bestandteile zerlegt, zur Musik
werden lässt. Die Menge der Neuerungen prägt seinen Stil: collagenartig nimmt er
sie auf und verarbeitet sie in seinen Kompositionen. Seine Bedeutung liegt unter
anderem in seinem Engagement, seine Musik will politisch sein, was sich allein in
den Themen schon stark ausdrückt. Luigi Nono ist für diese Zusammenfassung besonders interessant, weil er am entschiedensten alles was Schall ist, zu Musik erklärt.
Er nimmt also Umwelteinflüsse bewusst auf und hält ihnen mit seinen Werken einen
Spiegel vor. Das heißt im Umkehrschluss, dass seine Musik stellvertretend für die
extremste Auffassung von dem, was Klang ist, gesehen werden kann. Durch diese
emanzipierende Klangdefinition, untersucht man auch bewusst Nicht-Klang, als alleiniges Gegenteil zu Klang. Denn wenn alles was Schall ist, Musik ist; kann nur
die absolute Stille als Nicht-Musik gelten. Das hat zwei Konsequenzen: weil es die
absolute Stille nicht gibt (vgl. Cage), wird alles zu Musik; oder: weil das, was der
absoluten Stille am nächsten kommt der isolierte Klang unserer selbst ist, wird die
Abwesenheit von äußeren Schalleinflüssen als Stille wahrgenommen und bewusst
als Komplementärphänomen herausgehoben und eingesetzt. In beiden Szenarien gewinnt Nicht-Klang an Bedeutung und Klang unterliegt einer erweiterten Definition.
1.2.1.5 Minimal Music und Neue Einfachheit
In der Menge der Vielfalt und mitten in der Orientierungslosigkeit der Regellosigkeit
gibt es aber auch die Tendenz der Rückbildung und Rückbesinnung auf einfachste
Formen und ihre Wirkungen. Musik wird zu Mustern und Patterns, die in langen
Wiederholungen Kontemplation ermöglichen. Neben allen Arten von meditativer
Musik hat die „Minimal Music“ der amerikanischen Komponisten Terry Riley, La
Monte Young, Steve Reich, Philip Glass, John Adams, u.v.m. hohen künstlerischen
und beinahe philosophischen Anspruch. Noch mehr als in den Werken mit Clustern
ist in der „Minimal Music“ Klang in scheinbarer Gleichzeitigkeit geschrieben. Durch
die minimale Variation immer gleicher, kurzer Motive, entsteht ein sich verändernder
Klang, der trotzdem fühlbar stillsteht und die Grenzen der Zeit aufhebt, auch was
die Zeitdauer der einzelnen Kompositionen betrifft: von wenigen Sekunden bis zu
Wochen und Jahren. Die „Minimal Music“ der 1960er Jahre entstand nach Vorbil-
13
dern der indischen Musik, afrikanischer Rhythmusfiguren und der Gamelan-Musik.
Man unterscheidet zwischen dem additiven Typus von „Minimal Music“, den Philip
Glass ausbildete und dem repetitiven, für den Steve Reich bekannt wurde.27 Ohne
in der Analyse auf diese Musik einzugehen, möchte ich dennoch dieses Streben nach
reduzierter Simplizität hervorheben, das die logische Gegenbewegung zu den komplexen Strukturen der vorangegangenen Klangentwicklungen sein muss. Mit dieser
Tendenz einhergehend ist die erneute Einbindung von Konsonanzen, die gleichberechtigt neben Dissonanzen stehen, in der Neuen Einfachheit, wie etwa bei Arvo
Pärt und in manchen Bereichen auch bei Wolfgang Rihm.
1.2.1.6 Spektralmusik
„Musique spectrale“ ist die Bezeichnung für die Erforschung des innersten Lebens
von Tönen der Gruppe „L’Itinéraire“ im Frankreich der 70er Jahre um Gèrard Grisey, Tristan Murial, u.a. Ihre gemeinsame Basis ist auf der einen Seite ihr Studium
bei Olivier Messiaen, auf der anderen Seite ihr Streben, Musikelektronik mit ihren
Möglichkeiten zur Manipulation des Klanges eines traditionellen Instrumentariums
zu fusionieren. Die Techniken der Klangveränderung durch die elektronische Transformation, durch aufgefächerte Klanganalyse, ermöglichen eine neue Innensicht des
Klanges und im Speziellen der Klangfarbe, die die Spektralisten im Werk notiert wissen wollen, wozu sie die „Écriture“ neu propagieren, entgegen anderen Tendenzen
der elektroakustischen Musik, die auf schriftliche Ausformulierung verzichten.28
Tristan Murail beschreibt ihre grundsätzliche Haltung und Gemeinsamkeit mit
Giacinto Scelsi als einen anderen Bezug zum Klangphänomen, der sich nicht als
ein Übereinanderschichten und als eine Kombinatorik einzelner Töne manifestiert,
sondern als eine Dekomposition des Klanges und als eine andere Auffassung von
Zeit, die zwischen absoluter und relativer Zeit unterscheidet und Rhythmus als einen
Ausdruck dieser Dauer auffasst.29
1.2.1.7 Pluralismus
Wenn man die sogenannte „Postmoderne“ sowohl in der Musik, als auch in jedem
anderen Kunstbereich charakterisieren will, stößt man bald an die Grenzen des Mög27
Danuser: Musik des 20. Jahrhunderts. S. 397.
de la Motte-Haber, Hrsg.: Musik im 20. Jahrhundert. S. 213f.
29
Ebd., S. 245.
28
14
lichen, denn die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts zeichnet sich vor allem durch
seine Stilvielfalt aus.
Während in den Nachkriegsjahren Aufbau, Neuorientierung und Aufbruchswille leitende Motive in der Gesellschaft und in der Musik sind, kommen nach der
Sättigung der Grundbedürfnisse die Hinterfragung und die Zweifel an der Berechtigung der Kunst und der Lebensweise der vorangegangenen Jahre, verbunden mit
dem Wunsch nach Engagement und Weltoffenheit, nachzuvollziehen an der 68Generation. Die Makroentwicklung der Gesellschaft zeigt, was auch die Welt der
Neuen Musik prägt: Die auf ein „gemeinsames Ziel gerichtete Wohlstandseuphorie
und Fortschrittsgläubigkeit, überhaupt die Zeit der generell sanktionierten Regeln
und Dogmen mit ihrem exklusiven Gültigkeitsanspruch war zu Ende gegangen“ (Dibelius 1998, 399). Gesellschaftliche Entwicklungen eins zu eins auf kompositorische
zu übertragen, nimmt der Kunst den Anspruch avantgardistisch und zeitlich abgehoben zu sein. Da die Kunst aber als Vorreiter gesellschaftlicher Entwicklung gilt, sind
die Parallelen vorweggenommen, besonders in der Ablösung der Dogmenhörigkeit
und der pluralistischen Neuformierung in der Demontage vorhandener Strukturen
und Ordnungen. Der Absolutheitsanspruch dodekaphonischer und serieller Techniken, die die maximale Amplitude einer Progression in einer Richtung darstellen,
wird überholt und von ihrer Aufspaltung in viele Einzeltendenzen und Einzelentwicklungen abgelöst.30
Sprachkomposition und Musiktheater
Mauricio Kagel sieht Anfang der 70er-Jahre die aktuelle Aufgabe der Musik darin, alle Dimensionen „in den Griff zu nehmen“, weil alles zur Verfügung steht.31 In
seinem kammermusikalischen Theaterstück Sur Scène 1959/60 markiert er den Umbruch im Musiktheater durch die Mischung verschiedenster Medien: Text, Bühne,
Licht, Klangcollagen und die Aufhebung der Grenzen von Aufführung und Spielraum. Instrumentales Theater nimmt in den 50er Jahren, angeregt von John Cages Konzept der Gesamtkunst und der Happening- und Fluxusbewegung, seinen
Anfang. Die Auflösung von Gattungsgrenzen und neue Konzepte für Musiktheater
30
31
Dibelius: Moderne Musik nach 1945. S. 400ff.
Heister, Hrsg.: Musik im 20. Jahrhundert: 1945-1975. S. 213.
15
unterstreichen die Konzentration auf Performance und Inszenierung. Luciano Berio, Henri Pousseur, Dieter Schnebel und Bruno Maderna sind namhafte Vertreter
dessen, was laut Dieter Schnebel „sichtbare Musik“ ist.32
„Weltmusik“
Die „exotischen“ Einflüsse auf die „Minimal Music“ sind beispielgebend für die Öffnung, die in der Kompositionswelt der Neuen Musik im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts passiert. Diese Öffnung bezieht sich vor allem auf die Zur-Kenntnisnahme
anderer, außereuropäischer Musikkulturen und Philosophien. Stockhausen verwirklicht in seiner „Telemusik“ eine Metacollage von Tonbandaufnahmen aus Asien, Europa, Südamerika und der Sahara, zusammen mit elektronischen Klängen; Olivier
Messiaen beschäftigt sich schon früh mit indischen Rhythmen; die Öffnung bezieht
sich im Weiteren aber auch auf die der Kommunikation; weshalb es beispielsweise
Isang Yun möglich ist, eine unvergleichliche Synthese aus ostasiatischer und westeuropäischer Musikkultur zu bilden.33
Montage
Die Heterogenität und die Fülle an Möglichkeiten, die in den Verfahren der Montage
liegen, sind Schwerpunkte einer politisierten Musik nach 1968. Bernd Alois Zimmermann greift seine Zeitgeschichte in seinem Requiem für einen jungen Dichter 1968/69
auf, Luigi Nono beschäftigt sich ausgiebig mit gesellschaftlichen Missständen und sie
arbeiten mit verschiedensten Materialien und Ausdrucksweisen, innerhalb bekannter Muster, die in ihrer Neuinterpretation weit über Gattungs- und Formdefinitionen
hinausgreifen.34
1.2.2 Festivals
Die Gründung der „Internationalen Gesellschaft für Neue Musik“ 1922 in Salzburg
durch die europäischen Avantgardisten des 20. Jahrhunderts schafft eine Plattform
des Diskurses und Zusammenschlusses unter dem Präsidium von Richard Strauss,
die bis heute besteht und inzwischen international vertreten ist. Sie ist Ausdruck
32
Ebd., S. 213-263.
Ebd., S. 265.
34
Ebd., S. 285-300.
33
16
von Kommunikation und Unterstützung. Ihre Arbeit liegt hauptsächlich in der Förderung Neuer Musik. Ihr Zusammenschluss zeigt den Wunsch nach Austausch, der
in den Festivals für Neue Musik verwirklicht wird.35
Sie sind und waren maßgeblich im Entwicklungsprozess der Neuen Musik, weil bei
ihnen musiktheoretischer und künstlerischer Austausch stattfindet. Dieser öffentliche und lokal und zeitlich beschränkte Diskurs in Form einiger konzentrierter Tage
eines Festivals oder von „Musiktagen“ war und ist Nährboden für den musikalischkompositorischen Entwicklungsprozess des Einzelnen und der Gesamtheit der teilnehmenden KomponistInnen.
Die tragenden Säulen im deutschsprachigen europäischen Kulturkreis sind die
„Darmstädter Internationalen Ferientage für Neue Musik“ und die „Donaueschingener Musiktage“. Neben dem „Èclat“, das 1980 unter dem Namen „Tage für Neue
Musik Stuttgart“ gegründet wird, den „Wittener Tagen für neue Kammermusik“,
„Maerzmusik“ dem Nachfolger der „Musik-Biennale Berlin“, „Ultraschall“ und „Musica Viva“ in München, sind das die bedeutendsten Festivals für Neue Musik in
Deutschland.36
In Österreich hat man sich besonders in Graz der Förderung Neuer Musik verschrieben, namhaft im „steirischen herbst“ durch das Format „musikprotokoll“. Zu
erwähnen ist an dieser Stelle auch noch der „Warschauer Herbst“, der durch inhaltliche Unabhängigkeit Verbindungspunkt ost- und westeuropäischer Neuer Musik war
und ist.
Die Donaueschingener Musiktage
Donaueschingen ist seit 1921 einmal jährlich (mit Unterbrechungen, etwa der während des Zweiten Weltkrieges) hauptsächlich Ort von Uraufführungen. Viele der bekanntesten KomponistInnen des 20. Jahrhunderts waren und sind an diesem dreitägigen Festival vertreten. Ursprüngliches Ziel ist es, zeitgenössische Musik unbekannter KünstlerInnen zu fördern. Bis kurz vor der Zeit des Hitler-Regimes in Deutschland werden Paul Hindemith (als führende Figur), Ernst Krenek, die Komponisten
35
36
Internationale Gesellschaft für Neue Musik. http://www.ignm.at
Goetheinstitut. http://www.goethe.de/kue/mus/ned/rbk/kla/de4066397.htm
17
der Zweiten Wiener Schule, Igor Strawinsky, Ernst Toch, Darius Milhaud, u.a. eingeladen, ihre Musik aufzuführen, nach 1945 sucht man nach einer neuen Orientierung ohne die überschattende Präsenz nationalsozialistischer Ideologien. Durch die
Übernahme der Leitung vom Südwestrundfunk, kurz SWR, und damit zunächst von
Heinrich Strobel, später von Otto Tomek, Josef Häusler und Armin Köhler, werden
die Donaueschingener Musiktage Podium für Olivier Messiaen, Hans-Werner Henze, Pierre Schaeffer, Karlheinz Stockhausen, Boris Blacher, Christian Wolff, Iannis
Xenakis, György Ligeti, Luigi Nono, Wilhelm Killmayer, Wolfgang Fortner, Luciano Berio, Pierre Boulez, Roman Haubenstock-Ramati, Krzysztof Penderecki, Giselher Klebe, Dieter Schnebel, Earle Brown, John Cage, Morton Feldman, Isang Yun,
Cristóbal Halffter, Peter Ruzicka, Bruno Maderna, Rolf Riehm, Wolfgang Rihm,
Bernd Alois Zimmermann, Walter Zimmermann, Helmut Lachenmann, Gérard Grisey, Heinz Holliger, Lorenzo Ferrero, Klaus Huber, Brian Ferneyhough, JacquesClaude Eloy, Mathias Spahlinger, Mauricio Kagel, James Tenney, Georg Friedrich
Haas, Peter Ablinger, Clemens Gadenstätter, Beat Furrer, etc. Neben vielen weiteren Namen prägen diese mit ihren Werken und (Ur-)Aufführungen die Donaueschingener Musiktage. Interessant sind die vielen Schüler-Lehrer-Beziehungen innerhalb
dieser Nennungen, es scheint, als ob die Welt der Neuen Musik auf einige große
Komponisten zurückführbar ist: Die Zweite Wiener Schule und besonders Schönberg nach seiner Emigration als Ausgangspunkt; daneben die Schule von Messiaen,
die Stockhausen, Boulez und Xenakis hervorbringt sowie auch die Spektralmusiker
„l’Itinéraire“: Grisey, Murail und Levinas.
Die Donaueschingener Musiktage werden in eigener Beschreibung mit dem verglichen, was die „documenta“ für die bildende Kunst ist: eines der bedeutendsten
Festivals in diesem speziellen Fachbereich.37
Dieser Vergleich hat seine Berechtigung darin, dass sich die Nahbeziehung zur
bildenden Kunst auch im Wirkungskreis der New York School auswirkt, dem Earle
Brown, John Cage, Morton Feldman, Christian Wollf und David Tudor zugerechnet
werden. Cage wiederum ist Kompositionsschüler Schönbergs.
Im Programm kann man über die Jahrzehnte die verschiedenen Themen der Do37
Donaueschingener
Musiktage.
http://www.swr.de/swr2/festivals/donaueschingen/
ueberuns/geschichte/-/id=8414418/nid=8414418/did=8414822/mpdid=8423908/79m11w/
index.html
18
nauschingener Musiktage nachlesen, an denen man die Mikroentwicklungen der einzelnen KomponistInnen, aber auch die Makroentwicklung der Denkansätze in der
Musik des 20. Jahrhunderts nachvollziehen kann: In den Zwanzigerjahren wird das
zuerst kleine Festival durch Chor- und Blasmusik bereichert, später ist vor allem ein
Trend in Richtung Verbindung mit Filmmusik zu beobachten, die Dreißiger bringen „Rundfunk-Hörspiele, Experimente mit Schallplatten, Lehrstücke und Kinderopern“.38 Naturgemäß unterbricht die Weltanschauung des Nationalsozialismus den
Entwicklungsstrang dieses Festivals entarteter Musik.
In der Blütezeit, den 50er Jahren, stellt der SWR sein Orchester dem Festival
zur Verfügung, was sich in der damit verbundenen inhaltlichen Verschiebung in
Richtung Orchesterwerks-Uraufführungen von zum Beispiel Karlheinz Stockhausen,
Luigi Nono, Pierre Boulez, Iannis Xenakis und später Krzysztof Penderecki, György
Ligeti und Wolfgang Rihm widerspiegelt. Ab 1954 wird der Jazz miteingebunden,
im Zuge dieser Öffnung treten auch Wolff, Brown und Cage das erste Mal auf. 1959
gibt es über den Zeitraum des Festivals auch eine Ausstellung Roman HaubenstockRamatis, die kennzeichnend für die Etablierung eines grafischen Notationsstils in
Europa ist, nach den grafischen Notationen der zuvor genannten Komponisten in
den USA. Diese grafische Notation ermöglicht unter anderem das Festhalten und
Fordern von Klangprozessen, von kontinuierlich fortschreitenden Klängen. Damit
einher gehen etwa auch die Forschungen Iannis Xenakis, der Grafik über den Computer direkt in Klang umsetzen lässt.39
Dass ab 1972 mit dem Karl-Sczuka-Preis innerhalb der Musiktage in Donaueschingen auch der Hörspielpreis der SWR vergeben wird, ist bezeichnend für die Einbindung neuer Medien in den Musikdiskurs. In den Neunzigern wird diese Entwicklung
noch stärker betont, außerdem findet die thematische Akzentuierung „KLANGraum/
raumKLANG“ statt, die Platz für fortwährende Klanginstallationen bietet. Die logische Fortführung ist das Einbinden anderer Kulturen und Kunstdisziplinen, so
geschehen 1995, als das Thema „Musik und Sprache“ ist. Ende der Neunziger, bis
über die Jahrtausendwende hinaus, wendet man sich Programmen für Kinder, Experimentierlaboren, Live-Elektronik und dem Internet als verbreitendes Medium zu.
38
Donaueschingener
Musiktage.
http://www.swr.de/swr2/festivals/donaueschingen/
ueberuns/geschichte/-/id=8414418/nid=8414418/did=8414822/mpdid=8423908/79m11w/
index.html
39
Schröder: Grafische Notation und musikalische Grafik. http://beta.see-this-sound.at
19
Die Gewichtung von Ton-Bildzusammenhängen passiert ab 2001 ebenso wie die Suche nach neuen Präsentationsformen zwischen Konzert, Installation und Performance, die bis heute andauert.
Die Darmstädter Internationalen Ferienkurse für Neue Musik
Wenn man die Donaueschingener Musiktage mit der „documenta“ vergleicht, muss
man in Folge dessen die Internationalen Ferienkurse für Neue Musik in Darmstadt
mit dem Phänomen des „Bauhaus“, als Zentrum der Avantgarde der bildenden,
darstellenden und angewandten Kunst, vergleichen:
Bis heute blieb indes immer die ursprüngliche und grundlegende Idee erhalten: eine Art musikalisches „Bauhaus“ zu schaffen. Eine Situation also, in der
Schüler und Lehrer gemeinsam und gleichberechtigt miteinander arbeiten und
leben. Das barg und birgt immer noch auch eine gehörige Menge an Zündstoff, Aufruhr und Kontroversen, bildete aber nicht zuletzt den Nährboden für
einen intensiven – musikalischen und intellektuellen – Austausch, für ständige Veränderung und Weiterentwicklung und für viel kreatives Potential. Ab
den 1950er Jahren fokussierte die Auseinandersetzung dann zunehmend auf
aktuelle Themen und Musikkonzepte: Aleatorik, grafische Notation, Klanginstallationen, elektronische Musik, Spektral- und außereuropäische Musik,
Neotonalität, Neoromantik, Neue Komplexität. . . Und natürlich die serielle
Musik, die – wie könnte es anders sein – auch sofort wieder in Frage gestellt
wurde. (Internationales Musikinstitut Darmstadt)
Seit 1946 wird neben Komposition und Dirigieren auch Kammermusik, Klavier,
Gesang, Opernregie und Musikkritik in Darmstadt unterrichtet. Es gibt Konzerte,
Aufführungen, Fachgespräche, Vorträge und Komponisten-Portraits. Durch die gattungstechnische Bandbreite sind zahlreiche MusikerInnen an den Ferienkursen beteiligt, herausragend wieder Paul Hindemith, Wolfgang Fortner, Hugo Distler, Armin
Knab (Chor), Hans Heinz Stuckenschmidt, Theodor W. Adorno und Heinrich Strobel (Kritik), Rolf Liebermann, René Leibowitz, Karl Amadeus Hartmann, Hermann
Reutter, Ernst Krenek, Edgard Varèse, Hermann Scherchen, Olivier Messiaen, Luigi
Nono, Karlheinz Stockhausen, Pierre Boulez, György Ligeti, Bruno Maderna, Hermann Heiß, Stefan Wolpe, David Tudor (als Interpret), John Cage, Earle Brown,
Henri Pousseur, Mauricio Kagel, Brian Ferneyhough, Manos Tsangaris, Gérard Grisey, Rebecca Saunders, Wolfgang Rihm, Mathias Spahlinger, etc.
Die Darmstädter Internationalen Ferienkurse für Neue Musik werden vom Goetheinstitut als Ort der Begegnung der Generationen beschrieben, Didaktik und Dis-
20
kussion stehen im Vordergrund, junge MusikerInnen und KomponistInnen haben die
Chance InterpretInnen zu sein oder ihre Werke interpretiert zu hören. Das Profil der
Ferienkurse wird von großen Namen geprägt: in ihren jungen Kompositionsjahren
stellen in den Fünfziger Jahren etwa Boulez, Stockhausen und Nono Etabliertes in
Frage und erreichen so ihre legitime Bekannt- und Berühmtheit. Etwa 20 Jahre danach tut mit der „Neuen Einfachheit“ der Kreis um Wolfgang Rihm Ähnliches, Brian
Ferneyhough und andere geben der „New Complexity“, höchst ausdifferenzierter und
komplexer Musik, Richtung und Namen. Die Generation der Thirtysomethings, die
neuen Jungen im 21. Jahrhundert wollen ihre differente und vielschichtigere Lebenswelt in ihrer Musik verwirklichen:
Der virtuose, spielerische und immer kritische Umgang mit neuen Medien
und Technologien, die Integration des klingenden Alltags in ihre Werke und
die Absage an das Große und Erhabene in der Kunst – das ist die eigentliche
Gegenwart, die in Darmstadt mit Komponisten wie Johannes Kreidler, Martin
Schüttler, Stefan Prins oder Malin Bång eine Form findet. (Mauser 2009)
Ausdruck finden diese neuen Erkenntnisse in den „Darmstädter Beiträgen zur
Neuen Musik“, die Rückschau auf die zentralen Positionen der vergangenen Kurse
bieten und die durch ihre universelle Erreichbarkeit konstitutiv für die Etablierung
der Kurse als bedeutendes Theorie- und Diskursforum waren.40
Neben den Festivals gelten als Zentren für Neuen Musik die Studios für Elektronische Musik in Köln und München sowie „die reihe“ in Wien, ein Ensemble unter
Friedrich Cerha und Kurt Schwertsik, das sich auf die Aufführung von Neuer Musik
spezialisiert hat.41
1.3 Die Idee von Stille
Für die Verständlichkeit der vorliegenden Arbeit ist es notwendig, vorab die wesentlichsten Begriffe dieser Arbeit, deren inhaltliche Entwicklung hier nachvollzogen
werden soll, zu definieren.
40
41
Goetheinstitut. http://www.goethe.de/kue/mus/ned/rbk/kla/de4066397.htm
Dibelius: Moderne Musik nach 1945. S. 259.
21
1.3.1 Definitionen
1.3.1.1 Pause
Im allgemeinen Sprachgebrauch bezieht sich „Pause“ auf das Aussetzen einer Tätigkeit, auf die zeitlich begrenzte Unterbrechung eines Vorgangs, der anschließend
wieder fortgesetzt wird. Der Begriff „Pause“ wurde aus dem Altgriechischen „πα῀υσις:
paūsis“ ins Lateinische „pausa“ entlehnt, fand seinen Eingang ins Mittelhochdeutsche im 14 Jahrhundert „pūse“ aus dem Altfranzösischen „pause“ und bezeichnet
in dieser Tradition eigentlich das Aufhören, einen Ruhepunkt, Stillstand, abgeleitet
vom griechischen Verb „pauein“: „aufhören machen“ oder „beenden“, also in jedem
Fall bedeutet es ein aktives Stoppen. (Eberhard 1806)
Die herkömmliche musikalische Bedeutung bezeichnet das genau definierte Unterbrechen von Klangzeit mit Nicht-Klangzeit innerhalb des Rahmens einer Komposition, genauer das vorgegebene Schweigen diverser Instrumente an definierten Stellen
innerhalb einer Komposition. Die Pause in der Musik ist rhythmisch bestimmt und
impliziert die Erwartung auf etwas darauf Folgendes. In ihrer ursprünglichen Form
ist sie ein rhetorisches Element, ihre Funktion liegt im Auf- und Abbau von Spannungsverläufen:
Hier markierte sie Momente des Innehaltens, der Irritation, der Steigerung
und Intensivierung und war definiert als ein Moment des Übergangs zwischen
zwei Situationen oder Zuständen. (Elzenheimer 2008, 24)
Die Musikwissenschaftlerin Zofia Lissa sieht die Funktionen von Pause auch in
einem grammatikalischen Bereich: „als Interpunktion, als Aufhaltung von der Spannung, als Trugschluss, als Kulmination der Spannungswoge“ (Lissa 1962, 346).
1.3.1.2 Fermate
„Fermate“, italienisch für „anhalten“, „stoppen“, „stehen bleiben“, ist im Bereich
der Musik Bezeichnung für ein nicht klar definiertes, nach Ermessen des/r Ausführenden zu gestaltendes Anhalten des musikalischen Verlaufes – wobei sie sich
auf ein Unterbrechen der Veränderung bezieht, also ein Andauern des momentanen
Zustandes: egal ob sie über Pausen oder Noten steht.42
42
Marianne Betz: Fermate. http://www.sim.spk-berlin.de/static/hmt/HMT_SIM_Fermate.
pdf
22
1.3.1.3 Tacet
„Tacet“ ist ein Begriff, der aus dem Lateinischen übersetzt „er/sie/es schweigt“
bedeutet. In der Musik steht es üblicherweise für das Schweigen eines Instrumentes
oder eines/r Vokalisten/in während eines länger andauernden Zeitraums, wie etwa
ein Aussetzen einen ganzen Satz lang. Johannes Schöllhorn, deutscher Komponist,
sieht
eine dicke Portion Rhetorik im Tacet, in dieser Stille, in ihrer gelegentlich
ostentativen ‚Bedeutungsschwangerschaft’. Tacet ist etwas ‚Super-Minimales’,
mit möglichst wenig möglichst viel sagen, nicht einfach Löcher fabrizieren,
sondern sprechende Stille/Leere in den Raum stellen. Das mächtige Tacet,
[...], es ist das Verstummen in einer ständig zum Reden aufgelegten Welt.
(Schöllhorn 2004, S. 190)
1.3.1.4 Schweigen
Schweigen ist an sich keine rein musikalische Geste, es ist vielmehr ein bedeutungstragendes Verstummen. Das Schweigen ist das für das Sprechen, was die Pause für
die Musik ist. Es bezeichnet das Aussetzen und Minimieren der Rede, wie Stille in
der Musik ein „Fehlen“ oder ein „Minimum an Klangmaterie“ bedeutet (Lissa 1962,
318). Theatralik und Ausdruck ist sowohl im Theater wie auch in der Musik nur
durch das Wechselspiel von Klang und Nicht-Klang, von Sprache und Nicht-Sprache,
von Sein und Nicht-Sein möglich. Das erklärt das Naheverhältnis von Musik, Theater
und Musiktheater, denn dieses Wechselspiel, diese Abwechslung von Spannung und
Entspannung liegt jeder Art von Kunst in ihrer Aufführung zugrunde. Aber auch
der Begriff des Schweigens unterlag einer Entwicklung, so formuliert etwa Claudia
Benthien die Aufhebung der Trennung von Stille und Schweigen, als dass weder das
Schweigen nur noch bedeutungstragend verstanden werden kann, noch die Stille als
außerhalb des Semiotischen stehend gesehen werden kann. Vielmehr gilt: „Schweigen
wird zu einer Figur der Stille“. (Benthien 2002, 196)
1.3.1.5 Stille
Es gibt weder in der Musik, noch irgendwo sonst ein völliges akustisches Negativ,
das für den Menschen erlebbar ist. Als John Cage an der Universität von Cambridge
sein berühmtes Kammer-Erlebnis hatte, bewies er damit die Abwesenheit totaler
23
Stille.43 Eric de Visscher44 zitiert in einem seiner Artikel Thomas Clifton, der seine
Auffassung von Stille so beschreibt:
Stille ist nicht Nichts. Sie ist nicht die Null-Situation. Stille wird erfahren
als bedeutungsvoll und zugleich als zum klingenden Teil des musikalischen
Objekts gehörig. [...] Wenn Stille vom Nichts unterscheidbar ist, dann deshalb, weil Stille grundsätzlich und nicht autonom ist. In diesem Verständnis
ist erzeugte Stille von wirklicher Stille verschieden, zum Beispiel von der Stille des Weltraums. Die Bedeutung von Stille ist deshalb von der klanglichen
Umgebung abhängig. (Clifton 1976, 163)
Stille, die an sich keiner Wertung oder Bedeutung unterliegt, wird demnach durch
ihren Kontext konnotiert. Stille ist demnach in ihrer musikalischen Bedeutung die
Abwesenheit von Klang, die durch ihre Dichte bzw. Undichte den Klang im selben
Maß definiert, wie der Klang sich selbst. Thomas Clifton vergleicht diese Tatsache
mit der Wahrnehmung eines Waldes, der durch die Qualität des Platzes zwischen
den Bäumen ebenso beschrieben wird, wie durch die Bäume an sich.
1.3.2 Forschungsstand
Martin Zenck, Professor für historische Musikwissenschaft, spricht von drei Dimensionen der Stille im ausgehenden 19. Jahrhundert in der Musik, die dort an Bedeutung erlangten: „1. Das Leiserwerden der Musik, 2. ihr Verschwinden in der Ferne
und 3. ihre Aufhebung in den Generalpausen und Leertakten“. Er führt weiter aus,
dass diese drei Dimensionen der Stille „gleichsam beginnen, vom Innen der Musik
aus den Klang mit dem Nichts zu durchsetzen“ (Zenck 1992, 17ff). Nach Zencks Meinung setzt auch Anton Webern Stille in drei Formen ein: „durch Kürze, Zartheit und
‚Pointillismus’ bzw. Isolation von Noten. Diese drei Aspekte bleiben in der zeitgenössischen Musik die sichtbarsten Anzeichen von Stille“ (de Visscher 1992, 9). Siehe
dazu die Ausführungen in Kapitel 2.2.3, zum „pointillistischen Missverständnis“ von
Weberns Werk.
Die Bedeutung des Nicht-Klanges ist dementsprechend auch kein plötzliches Phänomen, sondern die Konsequenz aus verschiedenen kompositorischen Prozessen, die
sich entwickelten und in neue Kontexte gestellt wurden.
43
44
Elzenheimer: Pause. Stille. Schweigen. S. 18.
Eric de Visscher: Fragmente einer Geschichte der Stille. Wenig bekannte Konzepte zwischen
Marinetti und Cage. In: positionen, 1992, H. 10. S. 8.
24
Stille hat eine räumliche und eine zeitliche Dimension. Diese Erkenntnis, die gemeinhin John Cage zugeschrieben wird, hatte schon Marinetti, der die „Begrenzung
von Stille“ als eine Folge von Klang und Stille (zeitlich) oder als eine, durch „besondere, im Raum entsprechend ihrer akustischen Qualität platzierte Klänge“ geprägte
„Zone der Stille“ (räumlich) beschreibt. Interessant ist auch die Betrachtung, dass
nicht Stille vorhanden ist um Klang zu ermöglichen, sondern dass erst der Klang
Platz für Stille schafft (de Visscher 1992, 10). Man kann diese Idee vergleichen mit
Kurt Tucholskys Beschreibung eines Loches, das nur dann existieren kann, wenn
es von Nicht-Loch umgeben ist: „Das Loch ist der ewige Kompagnon des NichtLochs“ (Tucholsky). Regine Elzenheimer fasst in ihrer Einleitung zu Pause, Stille
und Schweigen im Musiktheater den Paradigmenwechsel von Klang zu Stille folgendermaßen zusammen: er ist ablesbar an
einer Vielzahl an Kompositionen, die sich substantiell um Stille drehen, um
die Grenzen des Klanges und des Hörens und um eine Klangerfahrung, die
mit der Reduktion herkömmlicher Parameter einhergeht und die konstitutive
Bedeutung des Raums für den Klang reflektiert. (Elzenheimer 2008, 17)
Die hintergründig zugrundeliegende Entwurfsbasis geht nicht mehr von Klang aus,
der Stille füllen soll, sondern beschäftigt sich als neuer Denkansatz mit Nicht-Klang
als struktureller Größe, die als drittes Element neben Sprache und Klang emanzipiert wird. Laut Enzenheimer lässt sich diese Entwicklung in ersten Ansätzen schon
im 19. Jahrhundert beobachten. Nach den für diesen Zusammenhang bedeutenden
Kompositionen Anton Weberns konkretisiert sie sich weiter im Œuvre der Nachkriegsavantgarde (Cage, Nono, Feldman), Giacinto Scelsis und in neuerer Zeit bei
Werken von Wilhelm Killmayer, Salvatore Sciarrino, Peter Ruzicka, Anette Schlünz,
Jakob Ullmann, Klaus Lang, u.a. Stille in der Musik manifestiert sich auf unterschiedlichste Art und Weise. Elzenheimer zitiert Dieter Schnebel, der Stille eine
‚klangliche’ und eine ‚gestische’ Qualität zuspricht, die sich in den Möglichkeiten
der Erzeugung vielfältig präsentiert: formgebend ist sie im Fragmentarischen und
Angedeuteten, rhythmisch wird sie in Pausen und Pausenfermaten realisiert, Erscheinungsform keiner absoluten Stille, aber doch wahrnehmbarer Reduktion, ist die
Abnahme der Ereignisdichte und dynamisch stellt sie sich im Piano und Pianissimo
dar, bis an die Grenze der Hörbarkeit. Die Beschäftigung mit Klangerzeugung: die
Einbindung von Geräuschen im gewohnten Instrumentarium und die Zerlegung des
25
„vollen“ Klanges in seine klanglichen Einzelteile erreichen ebenfalls einen Eindruck
des Verschwindens von Klanges, einer Auflösung in Stille, etwa im Flageolett-Spiel
der Streicher, in der Betonung der Atem- und Luftgeräusche der Bläser, durch Nachhallwirkung im Klavier, durch Streichen der Schlaginstrumente und durch Flüstern
und Hauchen im Gesang.45
Sie betont weiter ihren eigentlichen Schwerpunkt: das Schweigen, die Pause und
die Stille in dramatischen Texten, dessen Durchsetzung mit diesen Sprachfiguren
parallel zu den Entwicklungen in der Neuen Musik passiert. Das Theater etabliert
das Schweigen zu einer dritten Instanz, die sich als eigene Figur der Aufführung
einfügt und die nicht mehr auf den Ausdruck des Unsagbaren reduziert ist.46 Anton
Tschechow, Samuel Beckett, Ödön von Horvath, Peter Handke, u.a. sind Namen, die
für ein Theater stehen, das „Sprache zunehmend von der Person des Sprechenden
ablöst“ (Elzenheimer 2008, 20). Durch die anteilige Zunahme an Pause und Schweigen in Literatur und Musik im 20. Jahrhundert, deren Bedeutungsgehalt zuvor vor
allem kontextuell bestimmt war, „entsteht Stille, die nicht mehr in Bedeutung aufgelöst werden kann und die zeitliche Struktur eher zersetzt als konstituiert“. Stille wird
zur Irritation, weil sie in Form des Ausbleibens, der Lücke, der Unterbrechung, der
Abwesenheit den Status einer positiven ästhetischen Wirklichkeit erhält und Hören
und Sehen als grundlegende Wahrnehmungsebenen neu in Beziehung setzt. Elzenheimer zitiert Hans-Thies Lehmann, der Stille als Entzug beschreibt: Die spezifisch
theatrale Präsenz wird als Abwesenheit erfahren, als „Bruch und Entzug, als Verlust,
Vergehen, Nichtverstehen, Mangel, Schrecken. Entzug erst mobilisiert die emotionale Intensität von Präsenz“. (Elzenheimer 2008, 23). Regine Elzenheimer beschreibt
mit ihrer Kategorisierung des „Musik-Theaters“ im 20. Jahrhundert und mit dessen
grenzüberschreitender Aufhebung eines eingeschränkten Gattungsbegriffes die Öffnung, die Aufspaltung und die Neudefinition der Begriffe „Musik“ und „Theater“
in Bezug auf ihre gegenseitige Präsenz zum einen im Musiktheater, zum anderen in
performativen Musikaufführungen. Konkret heißt das, „dass das theatrale Moment
integraler Teil der Musik ist, oder aber die Musik das Theatrale teilweise oder auch
gänzlich an das Visuelle und/oder den Raum delegiert“. (Elzenheimer 2008, 32)
45
46
Elzenheimer: Pause. Stille. Schweigen. S. 17-18.
Claudia Benthien: Die stumme Präsenz. Zur Figur des „Schweigens“ bei Ödön von Horváth. In:
De figura. Rhetorik - Bewegung - Gestalt. München: Wilhelm Fink-Verlag 2002. S. 204.
26
2 Analyseteil: Die Konzepte von Stille
2.1 Methoden der Analyse
Analyse f. ‘Auflösung, Zergliederung, Untersuchung’, [...] zusammengesetzt
aus ana- (s. d.) und griech. lýein (λύειν) ‘lösen’ [...]. (Etymologisches Wörterbuch 1993)
Analyse, also die Auflösung einer Zusammensetzung, kann anhand verschiedener
Gesichtspunkte passieren. Clemens Kühn, ein Schüler Dieter de la Mottes, unterscheidet prinzipiell zwischen Hör- und Leseanalyse. Der wesentliche Unterschied dabei liegt in der Unmittelbarkeit des Hörens, während das Sehen an keine Zeit und
Reihenfolge gebunden ist. Über allem steht aber die zentrale Aufgabe einer Formulierung von Forschungsfragen an die Sache selbst. Ihm geht es um die eigenständige
Erarbeitung von Musik, die es notwendig macht, sich um das „Vorher“, also um den
analytischen Prozess zu kümmern, anstatt um fertige Resultate. Kühn zitiert Arnold
Schönberg in der Unterscheidung zwischen dem „wie es gemacht ist“ und dem „was
es ist“. Er deutet Schönbergs Gedanken folgendermaßen:
Das erste beschreibt den technischen, das zweite den ästhetischen Aspekt:
kompositorische Machart und wesenhafter Sinn als zwei Seiten derselben Sache. [...] Analyse sucht, all dem entsprechend, mit und in der Kompositionsweise das musikalische Wesen zu fassen. (Kühn 2008, 8)
Kühn bietet mögliche Handhaben und Angriffspunkte für Analyse und demonstriert die verschiedenen Blickwinkel, die sie einnehmen kann (Kühn 2008, 8). Er
beschreibt zwölf Bedingungen, unter anderem die Voraussetzung von Kategorien,
die in Begriffe und Normen gefasst sind: das Vokabular, um musikalische Sprache
beschreiben zu können (S. 29). Wichtig ist ihm außerdem, den Begriff der „Musik“ in „Musiken“ aufzulösen, denn es sind „epochal und stilistisch unterschiedliche
Sprechweisen“ (S. 20). Das von Kühn stark betonte Herausgreifen des Wesentlichen,
ist auch für den nachfolgenden Analyseteil unumgänglich. Als weitere Bedingung
für Analyse sieht er den Umfang des Repertoires an, das der/die Analysierende
kennt, denn vergleichen und einordnen kann nur, wer auch das Wissen und die
Möglichkeiten dazu hat. Ein weiterer und letzter Punkt, den ich herausgreifen und
unterstreichen möchte, ist der der Subjektivität. Trotzdem es objektive Kriterien
27
und Richtlinien für Analyse in der Wissenschaft geben muss, lässt sich nicht bestreiten, dass über allem dennoch der subjektive Maßstab eines/r Einzelnen liegt,
der allein schon durch Gewichtung und Selektion beeinflusst und lenkt. Um diese
Tatsache nicht zu beschönigen, werde ich im Analyseteil dieser Arbeit des Öfteren
auch aus Sicht meines „Ichs“ schreiben und dadurch meine Meinung, meine Stellungnahme oder meinen Eindruck, wenn ein/e solche/r geäußert wird, deutlich kenntlich
machen.
2.2 Stücke
Ich bin der Ansicht, dass sich heute zu komponierende Musik auf jeden Fall
zu messen hat an der Möglichkeit ihres Verstummens, des Sichverschweigens,
des Aufhörens von kompositorischer Tätigkeit überhaupt. [...] Es scheint in
der Tat eine Endzeit angebrochen. (Krellmann 1996, 123)
Ende des 20. Jahrhunderts äußert sich Hanspeter Krellmann, Musikwissenschaftler und Chefdramaturg der Bayrischen Oper in München in diesem Kommentar über
eine Entwicklung, die es hier nachzuvollziehen gilt: Schweigen und Stille nicht mehr
durch eine Beschreibung derselben auszudrücken, sondern tatsächlich zu schweigen
und still zu sein. Es fordert die kompositorische Fähigkeit, sich auf Töne zu beschränken, die um ihrer selbst Willen Klang sind und auch keine Töne zu schreiben, wenn
es notwendig ist, Platz für Nicht-Klang zu schaffen. Am Beginn dieser Entwicklung
steht Claude Debussys Oper:
2.2.1 Claude Debussys Pelléas et Mélisande (1893-1902)
Claude Debussy in dieser Analyse zu berücksichtigen mag verwundern, ist er doch
nicht im klassischen Sinne Komponist Neuer Musik. Sein ausgedehnter Briefwechsel
mit seinem Lehrer Chausson gibt aber deutlich Aufschluss über eine Stelle dieses
Bühnenwerks, die als Anfangspunkt des Wandels der Wahrnehmung von Pause und
in weiterer Folge von Stille gesehen werden kann. Diese Oper, nach einem Text von
Maurice Maeterlinck, ist ein lyrisches Drama in fünf Akten und die einzige vollendete
Oper Debussys.
Die lange Entstehungszeit lässt sich in der Tatsache begründen, dass es in einer
Zeit entsteht, in der Debussy beginnt, sich von seiner Wagner-Verehrung abzuwenden und noch unsicher und zweifelnd in Bezug auf seinen eigenen musikalischen
28
Weg ist. Regine Elzenheimer ordnet diese Oper ein, als „ein zu Wagner quasi komplementäres Musik-Theater, das auf dem Schweigen und der Stille gründet“. Sie
führt weiter aus, er habe einen „neuen, verhaltenen, flüsternden Stil“ entwickelt,
der, angeregt durch Maeterlincks Verfahren der Andeutung, sich als eine „luftige,
irrisierend-immaterielle Qualität in die musikalische Textur einarbeitet“.47 An dieser
Stelle auf das Musik-Theater und die Tradition der Dichtung zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts einzugehen, würde zu weit führen, es sei allerdings erwähnt,
dass dichterisches Schweigen und die musikalische Geste der Stille im Musik-Theater
eins werden, wodurch auch das Machwerk dieser Oper erklärt werden kann: Maeterlinck äußert sich klar gegen „die sprachliche Repräsentation des Schweigens: ‚Die
Lippen oder die Zunge können die Seele nur darstellen, wie z.B. eine Ziffer oder eine
Katalognummer ein Bild von Memling darstellt; aber sobald wir uns wirklich etwas
zu sagen haben, müssen wir schweigen.’“ (zit. n. Elzenheimer 2008, 90).
Die Behandlung der Stimme erfährt hier eine Neuinterpretation: Der, durch das
Kunsterleben dieser Zeit geforderte Ausdruck der Innerlichkeit, des Unmittelbaren,
aber kaum Greifbaren, ebenfalls in der expressionistischen und abstrakten Malerei vorgezeigt, braucht ein neues Verständnis für den Einsatz von Stimme, der sich
von rein gesanglicher Darbietung, aber auch von ausschließlich rezitativer Äußerung
wegbewegen muss. Stattdessen wird Platz für eine Zwischenstellung, die sich an
der Sprache des Theaters anlehnt und in ihr ein Vorbild sieht. Ebendiese Annäherung soll Erklärung sein, für die hier vorgenommene Betrachtung des Schweigens in
Zusammenhang mit Stille in der Neuen Musik.
Dies drückt sich in der Oper zum einen in einem „rezitativischen, parlando-artigem
Gesangsstil aus“, der zu Gunsten der Textverständlichkeit auf einige große Gesangsmomente verzichtet, zum anderen wird in den Höhepunkten der seelischen Selbstoffenbarung der Hauptpersonen der/die Ausführende vom Orchester nicht mehr begleitet: er/sie allein soll seine/ihre „Seelenlage“ ausdrücken.48 Debussy gibt also, nach
Maeterlincks These, der Stille und dem Schweigen als solches Raum. Am deutlichsten
ist dies zu sehen im vierten Akt, in der vierten Szene, als die beiden Hauptprotagonisten Pelléas und Mélisande sich eingestehen, dass sie sich lieben. Diese Szene folgt
drei Akten, in denen, etwa in Akt drei, Pelléas und Mélisande durch gegenseitiges
47
48
Elzenheimer: Pause. Stille. Schweigen. S. 83.
Ebd., S. 91.
29
schweigendes Betrachten bereits zuvor ihre Zuneigung bekunden und in denen die
dramatischsten Gefühlsbekundungen ebenfalls ohne Orchesterbegleitung stattfinden
(die Beispiele hierzu sind aus dem Klavierauszug, es handelt sich schließlich um das
Darstellen der Generalpausen und Abb. 1 stammt aus dem ersten Akt, erste Szene,
als Golaud im Wald auf Melisande trifft und sie keine tröstende Berührung zulässt):
Abb. 1: Debussy 1907, 6
Hier sind zu vergleichen (dritter Akt, erste Szene: Mélisande kämmt ihr Haar):
Abb. 2: Debussy 1907, 116
30
Einige Takte später folgt wieder eine sechstaktige Generalpause. Nicht ganz so
intensive Pausen, aber dennoch greifbare Stillen gibt es in diesen herausgegriffenen
Beispielen: Akt zwei, Szene eins: „Sie werden uns bald finden“ (Pelléas zu Mélisande); Akt zwei, Szene zwei: „Es ist nicht Pelléas“ (Mélisande zu Golaud); ebenfalls
da: „Wo ist der Ring“ (Golaud fragt Mélisande nach dem Verbleib ihres Ringes);
Akt drei, Szene eins: Golauds Schimpfen über die Kindereien von Pelléas und Mélisande; Akt drei, Szene vier: als Golaud seinen Sohn nach dessen Tränen fragt und
dieser Pelléas Freundlichkeit lobt (drei Takte); vierter Akt, Szene eins: „Ich muss
heute abend mit dir sprechen“ (Pelléas zu Mélisande); Akt vier, Szene zwei: Golaud
kündigt Pelléas Gehen an; vierter Akt, Szene vier: Pelléas und Mélisande treffen
sich, sprechen einander an und das Orchester pausiert für drei volle Takte; die Szene
baut sich auf bis zu dem Moment, in dessen Stille es zum emotionalen Höhepunkt
der Oper kommt: Sie gestehen einander, vor dem Hintergrund eines schweigenden
Orchesters, ihre Liebe, kurz bevor Pelléas von Golaud ermordet wird.
Abb. 3: Debussy 1907, 244
31
Abb. 4: Debussy 1907, 246
Abb. 5: Debussy 1907, 246
Ebenso einige Takte später, eine Wiederholung der Bestätigung ihrer Liebe und
im gleichen Moment auch die Wiederholung der musikalischen Geste der Stille, von
der Debussy sagte, er wolle sie als neuartiges, gleichwertiges Stilmittel in dieser Oper
etablieren (siehe hierzu S. 4):
Ich habe mich dabei, übrigens ganz spontan, eines wie mir scheint ziemlichen
seltenen Mittels bedient, nämlich der Stille (lachen Sie nicht) als Ausdrucksfaktor und der vielleicht einzigen Möglichkeit, die Gefühlsladung einer Phrase
zur Geltung zu bringen [...]. (Gruber 1992, 16)
Obgleich die tatsächliche Anzahl der Pausen im Verhältnis zur Gesamtanzahl der
Takte relativ gering ist (etwa in Akt 1 sind von 1943 Viertelschlägen 117 Pausen, ausgenommen Sologesang) so sind sie dennoch an bedeutungstragenden und
entscheidenden Stellen in der Oper als drastisches Ausdrucksmittel gebraucht und
deutlich hervorgehoben. So steigt bei zunehmender Intensität der Emotionen in der
Oper auch der Anteil von Sologesang ohne Orchester und damit die Anzahl der Generalpausen im Orchester (zum Vergleich: in Akt 1 liegt dieser bei circa 6%, in Akt
4, erste Szene bei 14,8%).
Man könnte es als betontes Schweigen beschreiben, das Debussy durch die Stille
des Orchesters auszudrücken beschließt. Eben dieser Einsatz von Pause und Stille
sowie sein Kommentar zu deren bewusster Inszenierung markieren einen Anfangspunkt des Bedeutungswandels zu Stille als gleichberechtigtem Gegenpol zu Klang:
Die Vertonung einer Textvorlage, die selbst aus unvollendeten „Sätzen, Lücken und
Andeutungen“ besteht, führt zu einem fragmentarisch anmutendem Ganzen, in dem
die vielen „Pianos, Pianissimos und Pausen“ die Funktion einer Rahmung der Klangmomente haben, die aber „syntaktisch-semantische Auflösung“ zur Folge haben.49
49
Ebd., S. 92f.
32
2.2.2 Arnold Schönbergs Sechs kleine Klavierstücke (1912)
Arnold Schönbergs kleine Klavierstücke machen mit einer Gesamtlänge von 4 Minuten und 43 Sekunden ihrem Namen alle Ehre – I. Leicht, zart: 01’28”, II. Langsam:
00’54”, III. Sehr langsam: 00’59”, IV. Rasch, aber leicht: 00’26”, V. Etwas rasch:
00’37” und VI. Sehr langsam: 01’39” (Hill 1996) – und sind Teil dieser Analyse,
weil sie vor dem Hintergrund von Stille passieren. Sie werden 1911 komponiert (das
sechste als einziges im Juni, alle anderen bereits Februar 1911) und 1912 in Berlin
uraufgeführt. Sie entstehen in der Phase von 1908 bis 1917 – als „atonale Phase“
bekannt – in der Schönberg beginnt, mit traditionellen Konventionen zu brechen.
Das bezieht sich auf das Materialsystem der Tonalität, die Rhythmik, Metrik und
auf Gattungs-Spezifika: deshalb auch die Bezeichnung „Stücke“ für seine Instrumentalkompositionen dieser Phase, die auch op. 11 und op. 16 betiteln.50 Die auffallende
Kürze der Stücke mag daran liegen, dass durch die Tonalitätsauflösung, die eine gewisse Tendenz zur Auflösung von Form zur Folge hat, die Konstitution von großen
Formen Schwierigkeiten birgt, die Schönberg zwar als Mangel empfindet, aber auch
nur bei größeren Textvorlagen überwinden kann. Deshalb tendieren viele seiner Instrumentalwerke – und im Besonderen diese sechs Klavierstücke – in dieser atonalen
Phase, zur Miniatur.51
Wolfgang Gratzer postuliert hierzu, dass die musikalische Zeit ab 1907 „deutlich
stärker als früher oder später“ durch Schönbergs neues Verständnis musikalischer
Parameter, „in den Mittelpunkt seines kompositorischen Denkens rückt“.52 Betrachtet man das zweite Stück, das nur die Tempobezeichnung Langsam und II als Titel
trägt, so erkennt man ein (für Schönberg) sehr ausgedünntes Satzbild. Er neigt hier
zu einem ausgedehnten Gegenerlebnis zu der Satzverdichtung bei etwa op. 9, seiner Kammersymphonie. Konträrerweise bestimmt er bei den Sechs kleinen Klavierstücken in der Anmerkung zum ersten Stück: „Nach jedem Stück ausgedehnte Pause;
die Stücke dürfen nicht ineinander übergehen!“. Gratzer beschreibt op. 19/2, in dem
Stille das „Wesensmerkmal der Satzidee“ darstellt und „nicht mehr als strukturelles
Einzelereignis“ auftritt, als Beispiel eines vereinzelten Impulses in Schönbergs Ge50
Christian Martin Schmidt: Arnold Schönberg. In: Die Musik in Geschichte und Gegenwart. Sp.
1621.
51
Ebd., Sp. 1623.
52
Wolfgang Gratzer: Wider den Zeit-Vertreib. Konträre Momentaufnahmen musikalischer Stille
im 20. Jahrhundert. In: positionen, 1992, H. 10. S. 15f.
33
samtwerk, das Stille aber noch nicht als Grundkategorie versteht.53 Es sei an dieser
Stelle kurz beschrieben:
Die neun Takte im 4/4tel-Takt beginnen nach eben beschriebener Pause nach dem
ersten Stück. Sehr bestimmt beginnt es mit einer Viertelpause und auf dem zweiten
Schlag mit der Terz g’ und h’ im Pianissimo. Von den insgesamt 36 Viertelnoten
sind exakt neun Viertel (teilweise zusammengesetzt aus Achtelpausen) Pausen. Das
ist genau ein Viertel des gesamten Stückes:
Abb. 6: Schönberg 1913
Schönberg, der sich nicht ausdrücklich mit der Rolle von Stille beschäftigt, komponiert diesen kleinen Teil seines Gesamtwerkes vor einem Hintergrund von Stille, der
erst einige Zeit später konzeptionelle Bedeutung verliehen bekommt. Nach Debussy
ist dieses Werk aber ein weiteres Anzeichen von Gestaltung durch die strukturierende
53
Ebd., S. 15.
34
Rolle von Nicht-Klang im Verhältnis zu Klang. Bei den anderen fünf Stücken dieses
Werkes ist die Bedeutung der Pausen nicht so ausgeprägt, hier sind es vor allem das
sehr reduzierte Tonmaterial und die gesamte Kürze, die als Erscheinungsform von
Ausdünnung und damit als Platzhalter für das Phänomen Stille verstanden werden
können.
35
2.2.3 Anton Weberns 6 Bagatellen für Streichquartett (1911/13)
Anton Weberns Streichquartett op. 9 wird 1924 in Donaueschingen uraufgeführt
und ist im Wesentlichen eine Zusammenstellung von zwei ursprünglichen Werken
(Nr. 2-5 aus dem zweiten Streichquartett und Nr. 1 und 6 aus „Schmerz, immer
blick nach oben“ für Gesang und Streichquartett). Es entsteht in etwa zur gleichen
Zeit wie die Sechs kleinen Klavierstücke seines Lehrers Schönberg und ist „Vielleicht
das Kürzeste, das es in der Musik bisher gegeben hat“. Webern hat „die einzelnen
Töne der chromatischen Skala aufgeschrieben haben und ihr einzelne Töne abgestrichen“, bis alle verwendet waren (man vergleiche das Prinzip der Zwölftonmusik).54
Schönberg selbst äußert sich im Vorwort zu diesem Werk ausschließlich über dessen
Sprachlichkeit und gehaltvolle Dichte:
Man bedenke, welche Enthaltsamkeit dazu gehört, sich so kurz zu fassen. Jeder
Blick läßt [sic!] zu einem Gedicht, jeder Seufzer zu einem Roman ausdehnen.
Aber: einen Roman durch eine einzige Geste, ein Glück durch ein einziges
Aufatmen auszudrücken: solche Konzentration findet sich nur, wo Wehleidigkeit in entsprechendem Maße fehlt. Diese Stücke wird nur verstehen, wer dem
Glauben angehört, dass sich durch Töne etwas nur durch Töne Sagbares ausdrücken lässt. (Schönberg, zit.n. Krones 2005, 603)
Wie auch Schönbergs Klavierstücke, sind auch diese sechs Bagatellen sehr kurz: I
(Mäßig): 00’29”, II (Leicht bewegt): 00’26”, III (Ziemlich fließend): 00’21”, IV (Sehr
langsam): 00’56”, V (Äußerst langsam): 01’20”, VI (Fließend): 00’34”. Wenn man wie
Eric de Visscher drei sichtbare Anzeichen von Stille in diesem Stück sucht (Kürze,
Zartheit und Pointillismus),55 so trifft hier das erste besonders auffällig zu: Kürze
sowohl in der Gesamtlänge der Stücke, als auch in einem Großteil der Notenwerte.
Zartheit wiederum prägt dieses Werk in seiner Lautstärke, selbst Adorno beschreibt
Webern als „Meister des dreifachen Pianissimo“ (Adorno, zit. n. Elzenheimer 2008,
109). Man betrachte an dieser Stelle Bagatelle V, in deren dreizehn Takten Webern
sich ausschließlich in einem Dynamikumfang von Pianissimo bis Pianopianissimo
bewegt, ein klein gestreckter Bereich, der sich am Rande des Hörbaren befindet und
als dritte Dynamikstufe die Stille miteinbindet. Dieses kurze Stück reduziert das
Tonmaterial („die chromatische Skala, deren Töne man einen nach dem anderen
54
Hartmut Krones: Webern, Anton Friedrich Wilhelm (von). In: Musik in Geschichte und Gegenwart. Allgemeine Enzyklopädie der Musik. Band 17. Hrsg. von Ludwig Finscher. Kassel, u.a.:
Bärenreiter, Metzler 2005. Sp. 602.
55
de Visscher: Fragmente einer Geschichte der Stille. S. 9.
36
verwendet hat“) und die Lautstärke auf das – für Webern – Wesentlichste. Er selbst
beschreibt die Kürze so, dass er das Gefühl hatte, sobald zwölf Töne abgelaufen
wären, sei das Stück zu Ende.56
Adorno sieht dieses Werk als Beispiel von Weberns „spannungsvollen Verhältnis
von extrem verdichtetem Ausdruck und ‚Kraft des Verschweigens’, als dialektisches
Wechselspiel von radikaler Vergeistigung und sinnlicher Gestalt, von Negation und
Aufhebung (im Sinne auch von Bewahrung) traditioneller Formelemente“, er meint
weiter, Weberns Ausdruck liege in der Gebärde des Verstummens und nicht im
Reden.57
Bezogen auf den Aspekt der Zartheit sieht man hier sehr deutlich, dass aus vorangehenden Pausen, also aus gewollter Stille, verdichtete Klänge auftauchen, vom
Pianopianissimo kommend und dahin wieder abtauchend, innerhalb dieses geringen
Dynamikumfangs aber beschreibt Webern sehr differenzierte Verläufe (vgl. etwa
Takt 10).
Abgesehen von diesen zwei Zeichen von Stille (Kürze und Zartheit) wird nun auch
kurz der dritte behandelt: Pointillismus. Um dieses Werk unter diesem Aspekt zu
betrachten, muss erst die Bedeutung des Begriffes geklärt werden: der Begriff Pointillismus kommt natürlich aus der impressionistischen Malerei und bezeichnet dort
das Aneinandersetzen von Punkten, Klecksen und Tupfen, die aus weiterer Entfernung gesehen ein Gesamtes ergeben. Pointillismus meint in musikalischer Hinsicht
(auch in der Literatur nur unzureichend beschrieben) Töne als „Tontupfen“, „Klangflecken“ zu verstehen, Einzelklänge, kurze Klangmomente.58 Im gleichen Moment
ist diese Analogie problematisch, weil wichtige Parallelen, wie etwa ein musikalisches Pendant zu den Grundfarben, also tonale Grundelemente gerade in der Musik
Weberns fehlen, der allen Tönen seiner Skala gleich viel Gewicht und Bedeutung
zumisst.
Analysiert man unter diesem Gesichtspunkt op. 9/5, so gibt es Elemente, die auf
diese Definition hinweisen, etwa das c” in Takt 5, das aus dem Akkord der anderen
Stimmen herauszustechen scheint und in seiner Stimme als isoliertes Einzelereignis
auftritt, ebenso die letzten drei Takte, in denen Töne in allen Stimmen, augenschein56
Elzenheimer: Pause. Stille. Schweigen. S. 110.
Ebd., S. 110f.
58
Michael von Troschke: Impressionismus. In: Terminologie der Musik im 20. Jahrhundert. Hrsg.
von Hans Heinrich Eggebrecht. Stuttgart: Franz Steiner Verlag 1995. S. 213.
57
37
Abb. 7: Webern 1913, 7
lich vereinzelt zu Tage treten.
Dieses Merkmal von Stille kann aber nicht vorbehaltlos auf Weberns Werk umgelegt werden, besonders dann nicht, wenn man bedenkt, dass Webern in seiner
Wirkungszeit oft falsch und missverstanden interpretiert wurde. Bestes Beispiel dafür sind Weberns Variationen für Klavier, op. 27, die erst nach einer intensiven
Beschäftigung mit den handschriftlichen Notizen Weberns in Peter Stadlens Exemplar der Notenausgabe tatsächlich angemessen und im Sinne Weberns interpretiert
38
werden konnten. Bei vorherigen Aufführungen entsprechen sie der Definition von
pointillistisch im Verständnis von isolierten Klangerlebnissen, doch nach der Lektüre der eigentlichen Spielanweisungen werden die Variationen zu einem völlig neuen
Stück.59 Webern selbst ist entsetzt von einer „punktuellen“ Auffassung seiner Werke:
„A hoher Ton, a tiefer Ton, a Ton in der Mitten – wie die Musik eines Wahnsinnigen!“60
Nichtsdestotrotz kann man nicht umhin festzustellen, dass Weberns Bagatellen
für Streichquartett in Hinsicht auf Stille im 20. Jahrhundert einen Beitrag zu einem
veränderten Verständnis des Gegensatzpaares Stille und Musik darstellen, der –
ähnlich wie Schönbergs Sechs kleine Klavierstücke – Basis für eine Neukonzeption
von Stille in nachfolgenden Jahrzehnten ist: Die Wirkung, die auch durch die Angabe
„verlöschend“ am Ende von Nr. III und Nr. IV bezeichnenderweise beschrieben wird,
wird verstärkt durch die sehr kurze Dauer der einzelnen Bagatellen und durch den
Umstand, dass sie durch diese Kürze mehr Klangerinnerung und Klangerwartung
projizieren, als wirklich klingen. Der Moment des tatsächlichen Klingens wird so
mitten in der Stille intensiviert und verdichtet.61
59
Peter Stadlen: Das pointillistische Mißverständnis. In: Österreichische Musikzeitschrift, 1972, H.
27. S. 152ff.
60
Ebd., S. 161.
61
Elzenheimer: Pause. Stille. Schweigen. S. 110.
39
2.2.4 John Cages 4’33” (1952)
Die Uraufführung von 4’33”, die 1952 in der Nähe von New York stattfindet, ist der
Öffentlichkeitsmoment einer langen Entwicklung, die John Cage durchlebt. Cage,
der in New York bei dem Schönberg-Schüler Adolph Weiss und in Los Angeles bei
Arnold Schönberg selbst studiert, hat in dieser Zeit auch Kontakt zu Henry Cowell,
der ihm die Augen für die außereuropäische Musik und für von Metrum befreite,
rhythmische Patterns öffnet. Diesen beiden Komponisten und dem Aufgreifen ihrer
kompositorischen Grundgedanken verdankt John Cage die Basis für seinen musikalischen Erfolg.
In den späten Dreißigerjahren des 20. Jahrhunderts bis Mitte der Vierziger widmet Cage sich der Komposition für Schlaginstrumente, baut ein Schlagzeugensemble
auf und schreibt sein erstes Stück für präpariertes Klavier, dessen Faszination für
ihn in der Verfremdung der Klänge bis zur Abstraktion liegt und in ihrer Wahrnehmung als ausschließlich rhythmische Phänomene. Er komponiert ab 1942 in New
York und konzentriert sich auf experimentelle Musik, Musik für präpariertes Klavier
und Musik für Tanztheater, was hauptsächlich in seiner Beziehung zu dem berühmten Tänzer Merce Cunningham begründet ist, den er auf diese Weise musikalisch
unterstützt.62
Thomas Maier sieht in dieser Komposition für realen Raum die Kompensation für
das Fehlen des harmonischen Raumes in Cages Werken. Er versteht den Tanz, der zu
einem unabdingbaren Teil aus Rhythmus besteht, als Kontrapunkt zu seiner Musik,
die nur noch um einen vernachlässigbaren Aspekt des Klanges erweitert wird. Dieses
ganzheitliche Verständnis von Musik und Tanz als eine Einheit, verweist auf spätere
Kompositionen, in denen er das Material- und Ausdrucksrepertoire des Komponisten
um die Klänge der Außenwelt erweitert, bis sie schließlich – wie bei 4’33” – nur noch
diesen eine Plattform bieten.63
Cages Leben ist außerdem geprägt von seinen Reisen, seinen Vorträgen und seinen
lectures, seine Lecture On Nothing, die er 1949 zum ersten Mal in einem Künstlerclub in New York liest, gibt außerdem auch Einblick in seine Beschäftigung mit
dem Zen-Buddhismus, der seiner Lebensphilosophie zugrunde liegt. Cage selbst be62
63
Heister: KDG: Cage.
Thomas M. Maier: Ausdruck der Zeit. Ein Weg zu John Cages stillem Stück 4’33”. Saarbrücken:
PFAU-Verlag 2001. S. 32f.
40
schreibt diese Lecture als rhythmisch-sprachliche Repetition seiner damaligen Kompositionen, im Speziellen Three Dances und Sonatas and Interludes, die auf dem
Prinzip der Wiederholung basieren.64
Bezeichnend sind für John Cage auch seine Kontakte zur bildenden Kunst und zur
Literaturszene, insbesondere zu James Joyce und Robert Rauschenberg, Letzterer
bekommt spezielle Bedeutung für John Cage durch seine White Paintings (1951), deren äußerliche und inhaltliche Erscheinung in den drei Tacet-Sätze von 4’33” (1952)
ein beabsichtigtes musikalisches Pendant finden.65 Henry David Thoreau, ein weiterer Schriftsteller, inspiriert ihn durch „Journals“ zu seinen ersten visuellen Notationen. Diese Beschäftigung mit Literatur und bildender Kunst reflektieren den philosophischen Anspruch Cages an sein Werk. Er entwickelt „Musik über Musik“ und
„Text über Text“, eine spezielle Metaebene, in der man sich in Sprache über Sprache äußert, beeinflusst von seinem musikalischen Vorbild Erik Satie. In Munzigers
Lexikon der Komponisten der Gegenwart misst man ihm große musikgeschichtliche
Bedeutung zu:
Doch gibt es nach Schönberg in der Geschichte der neuen Musik nur wenige
Komponisten mit einer ähnlichen Bedeutung für das Komponieren im engeren
und weiteren Umfeld und über den Bereich der Musik hinaus. Grundlegend
sind seine Arbeiten auf den Gebieten der Komposition für Schlagzeugensemble [...] und für das präparierte Klavier [...], für konkrete Klänge [...], für
Apparaturen der elektro-akustischen Industrie [...] und der Geräusch- und
Tonbandkomposition [...], der experimentellen Musik im weiteren [...] und der
Komposition mit Zufallsmethoden im engeren Sinn [...], der Konzeptmusik
als Musik der Stille ebenso (4’33”, 1952) wie als Musik des Lärms
(Musicircus, 1967), des kompositorischen Umgangs mit Text (Lecture on
Nothing, 1950) und mit Graphik [...], der Auseinandersetzung mit dem Transzendentalismus [...] und dem Anarchismus [...], mit der Musik von Satie [...]
und der Prosa von Joyce [...], mit irischer Volksmusik [...] und mit europäischer
Opernkultur [...] sowie mit hochspezialisierter Museumskultur [...]. (Heister,
Komponisten der Gegenwart)
Der Name John Cages ist über die Maßen bekannt, was wohl an seinen zahlreichen
und dabei vielseitigen Kompositionen liegt, die Schlüsselwerke der Musikgeschichte darstellen. Voraussetzung für diese Bekanntheit ist aber weiters die theoretische
Grundlage und Philosophie, auf der seine Kompositionen beruhen. In seinem Genre
ist er umstritten - Stockhausen spricht ihm sogar ab, Komponist und überhaupt
64
John Cage: Silence. Lectures and Writings by John Cage. Cambridge, u.a.: M.I.T. Press 1967.
Foreword.
65
Cage: Silence. Foreword.
41
Musiker zu sein66 – doch seine Ideen, die zugegebenermaßen eher philosophischen
als kompositorisch bedeutungsvollen Anspruch haben, sind sowohl für die indeterminierte Musik als auch für die Musik der Stille fundamental und konstitutiv.
Speziell das Konzept der stillen Musik erwähnt der Autor Henry Folk allerdings
bereits 1913 in seiner futuristischen Feen-Erzählung Musik für übermorgen, in der
er eine neue künstlerische Bewegung beschreibt, die er „Silencism“ nennt. In seiner
Geschichte gibt es eine stille Sinfonie mit dem Titel Motus, in der ein Orchester
seine Instrumente stimmt, der Dirigent den Taktstock erhebt und dann verharren
alle Musiker schweigend.67 Das ist im Wesentlichen John Cages 4’33”, unter einem
anderen Titel. Die Tatsache, dass dieses Konzept John Cage fast vier Jahrzehnte später als seines zugeschrieben wird, liegt wahrscheinlich an seiner Konsequenz,
ein solches Werk tatsächlich aufzuführen. Abgesehen von der Frage, ob John Cage
Folks Geschichte bekannt war, kann man doch auch an seiner Lebensgeschichte und
Entwicklung nachvollziehen, wie 4’33” entsteht. Denn abgesehen von aufführungstechnisch relevanter Zeit- und Ortkategorie, ist es in einen weit größeren Kontext
einzubetten. Thomas M. Maier, Musikwissenschaftler und Philosoph, erklärt in seinem Buch über einen Weg zu Cages „stillem Stück“ einen Ansatz, der den in dieser
Arbeit vertretenen untermauert und bekräftigt: 4’33” als Wendepunkt in der Musikgeschichte – ein Stück, das im Aufführungskontext ausschließlich aus je Aufführung
variierenden Umgebungsgeräuschen zusammensetzt – ist nur durch die vorangehende musikalische Entwicklung überhaupt als Komposition anzuerkennen:
4’33” halte ich dann für verständlich, wenn man es vor dem Kontext der
Entwicklung der (musikalischen) Moderne in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts betrachtet und es als einen Höhe- wie Nullpunkt dieser Entwicklung
zur Kenntnis nimmt; denn in Cages komponierter (!) Stille wurde die Geschichte des Komponierens – speziell von neuer Musik im empathischen Sinne
– ebenso an ein Ende gedacht, wie sie in letzter Konsequenz seitdem auch
permanent neu initiiert wird. (Maier 2001, 10)
Maier untersucht vor allem die kompositorischen Einflüsse auf Cage, die für die
Komposition von 4’33” maßgeblich sind. In den frühen Dreißigern beschäftigt sich
Cage mit Johann Sebastian Bachs Werk, Cage benennt seine Kompositionen mit
vorklassischer Terminologie, lässt die Instrumentierung offen – wie auch Bach in der
66
Albrecht Riethmüller, Hans Zender: Wie über den Komponisten John Cage reden? In: Archiv für
Musikwissenschaft. Band 2. Franz-Steiner Verlag 1995. S. 105.
67
de Visscher: Fragmente einer Geschichte der Stille. S. 9.
42
Kunst der Fuge auf eine Angabe der Instrumentierung verzichtet – und schlussendlich liegt seine Konzentration auf dem horizontalen, zeitlichen Klanggeschehen, das
kontrapunktisch funktioniert und Harmonik zurückstellt.68 Henry Cowells musikalische Perspektiven, die sich in dem Bestreben zeigen „neuartiges (Klang-) Material
auf neue (rhythmische) Weise zu organisieren“ (Maier 2001, 18) und zu objektivieren, sind in Cages Quartet von 1935 nachvollziehbar, wo Cage erstmals völlig auf
ein Metrum verzichtet und rhythmische Patterns vor Aspekten des Melodischen und
Harmonischen bevorzugt.69
Die Entsubjektivierung seiner Kompositionen und andere ästhetische Positionen
erläutert John Cage zum ersten Mal 1934 in seinem Essay Counterpoint. Er ist eine
„Vorformulierung seines Verständnisses von Komposition im Speziellen und Musik
im Allgemeinen“ (Maier 2001, 23). Er spricht in diesem Essay von der Loslösung
der Komposition vom Komponisten: „I think of Music not as self-expression, but
as Expression“ (Maier 2001, 24). Beachtenswert ist außerdem die Bedeutung von
spirituell-kontemplativen Qualitäten von Musik für John Cage, die für ihn wesentlich sind.70 Der Leitgedanke von Zeit als tatsächlicher Dauer, anstatt rhythmischer
Relationen, deren Zeitspanne abhängig von unterschiedlichen Tempi ist, ist grundlegend für die Konzeption von 4’33”, ist allerdings schon in früheren Werken in kleineren Zusammenhängen evident und maßgeblich, etwa in A Book of Music und Three
Dances, beide um 1944. Er errechnet die Länge der unterschiedlichen Notenwerte
anhand der Metronomangabe zu Beginn des Stückes und macht diese Zeitdauer zur
Grundstruktur dieser Stücke – dem entspricht auch die titelgebende Zeitangabe von
4’33”.71
Schon einige Zeit vor der Konzeption von 4’33” spielt Stille eine eminente Rolle
im Werk John Cages. David Revill, Biograph Cages, sieht das Phänomen von Stille
als Klangerscheinung in seinem Duet for Two Flutes, in Sonatas and Interludes, im
Schluss des Klaviers in A Flower und The Wonderful Window, „aber auch in der
Funktion der Stille in neueren Werken, beispielsweise als Kontinuitätsbruch in Two
Pastorales. Und bezeichnenderweise gehören die längsten Zeitwerte in Imaginary
68
Maier: Ausdruck der Zeit. S. 16.
Ebd., S. 18.
70
Ebd., S. 31.
71
Ebd., S. 60f.
69
43
Landscape No. 4 den Pausen“ (Revill 1995, 217).
Als John Cage 1949/50 in Cambridge ist, verbringt er Zeit an der Harvard University, genauer in einer echofreien Kammer, die nach dem damaligen Stand der Dinge
technisch nahezu schalltot und hallfrei gemacht worden war. Die gesamte, in einer
Schallwelle verfügbare Energie wird in dieser Kammer zu 99,8 Prozent absorbiert.
Cage, der erwartet in dieser Kammer absolute Stille zu finden, beschreibt dem Ingenieur der Kammer zwei Geräusche/Töne, die er vernommen hat und von denen er
denkt, sie wären auf eine Fehlkonstruktion des Raumes zurückzuführen. Tatsächlich
aber sind es die Geräusche, die sein eigener Körper produziert: der höhere Ton wird
durch sein Nervensystem verursacht, der tiefere durch seinen Blutkreislauf. Cage
erkennt in dieser Zeit und durch dieses Erlebnis, dass es keine nicht klangträchtige Stille gibt, egal wie groß auch die Bemühungen sind, eine solche zu erzeugen.72
Er selbst ist durch diese Erfahrung gezwungen, sein Verständnis vom Dualismus
von Stille und Klang aufzugeben. In seiner persönlichen Neudefinition unterscheidet er dann, gezwungen durch die Nicht-Existenz von Stille, zwischen Intention und
Nichtintention, zwischen Absicht und Unabsichtlichkeit, nicht länger zwischen Stille
und Nicht-Stille.
Die Situation, in der man sich befindet, ist nicht objektiv (Klang-Stille), sondern eher subjektiv (nur Klänge), im einen Fall werden Töne absichtlich hervorgebracht, im anderen (Stille genannt) unabsichtlich. [...] Stille ist nicht
Akustik. Sie ist ein Wandel des Geistes. Eine Kehrtwendung. Ihr habe ich
meine Musik gewidmet. (Revill 1995, 219)
Wozu Cage einige Jahre zuvor der Mut fehlt – nämlich ein Musikstück ohne Klänge
zu komponieren, entschließt er sich doch dazu, nachdem er die bereits erwähnten
weißen Gemälde Robert Rauschenbergs gesehen hat. Rauschenberg klammert in
diesen Farbe völlig aus, sie bleiben aber dennoch nicht leer, sondern werden durch
ihre Umgebung, durch sich ablagernden Staub, vorübergehende Schatten, etc. zu
„Spiegel der Luft“.73 Auf das Sehen und Erleben dieser Gemälde folgt der Einsatz
von Stille in Waiting und schließlich Cages „stummes Stück“ 4’33”. Es ist für ihn
„das Äußerste an Nichtdualität, das Äußerste an Absichtslosigkeit, das Äußerste an
72
David Revill: Tosende Stille. Eine John-Cage-Biografie. München, Leipzig: List-Verlag 1995. S.
217ff.
73
Ebd., S. 220. Cage erwähnte diese Idee schon 1947/48 in einem Vortrag: „A Composer’s Confession“. Er empfand es damals aber im europäischen Kontext als unverständlich und wollte es
nicht lächerlich wirken lassen.
44
Nichthandeln in Kunst und Leben, der Flucht- und Nullpunkt zwischen Erfahrung
und Darstellung des Lebens“. (Revill 1995, 221)
Der Großteil der Werke Anfang der Fünfzigerjahre unterliegt dem Prinzip der Zufallskomposition, Cage komponiert auf Grundlage von I-Ging-Operationen, die er
auf die Struktur des Rhythmus anwendet.74 Diesem Grundsatz folgt er auch bei
4’33”, er baut danach ein dreisätziges Werk, das sich aus aneinandergereihten, kurzen Zeitspannen von Stille zusammensetzt. Die Länge der einzelnen Sätze variiert
dabei bei den unterschiedlichen Versionen des Stückes, abgesehen davon, dass durch
die Pause zwischen den Sätzen das Stück immer länger als vier Minuten und dreiunddreißig Sekunden dauert.
Es gibt drei verschiedene Fassungen von 4’33”:
Eine erste, die 1952 David Tudor gewidmet und die verschollen ist, deren Längen
der Teile nach Cages Erinnerung bei der Uraufführung in Woodstock 33”, 2’40” und
1’20” sind. Eine von Tudor angefertigte Skizze der Originalpartitur lässt folgende
Aussagen zu: Sie ist auf Notenpapier geschrieben, beseht aus Takten mit je vier
Vierteln Dauer, wobei jede Viertel ein halbes Inch Platz braucht und steht unter
der Metronomangabe ♩ = 60, das rechnerisch einfachste Tempo, da jeder Viertel eine
Sekunde zugeordnet ist. Die Takte sind nicht mit Pausen befüllt, sondern bleiben
leer.
Eine zweite, die (ausschließlich grafisch notiert) Irwin Kremen gewidmet ist, die
erst 1993 veröffentlicht wird und deren Teillängen 30”, 2’23” und 1’40” lang sind.
Trotz der immer noch notierten Dauer der Sätze, differiert diese Fassung in ihrer
Erscheinungsform grundlegend von der ersten: Die Notation steht auf einem leeren
Blatt im Querformat, in etwa DIN A4 groß. Jeder der drei Sätze beginnt auf einer neuen Seite und jeder Satz ist nach demselben Prinzip notiert: Zeit wird mit
Raum gleichgesetzt, Cage selbst beschreibt das auf der ersten leeren Seite mit der
handschriftlichen Notiz: „1 page = 7 inches = 56 seconds“ (vgl. Abb. 8).
Über den Grund, warum die einzelnen Dauern der ersten beiden Fassungen nicht
identisch sind, wurden bisher nur Spekulationen angestellt, es gibt allerdings bis
heute keine eindeutige Antwort darauf.75
74
Ebd., S. 221. Cage verbat sich aber die missverständliche Interpretation, dass im Zufall des
Kompositions-geschehens mehr Bedeutung liegen sollte, als in den Klängen selbst (S. 204).
75
Maier: Ausdruck der Zeit. S. 147ff.
45
Abb. 8: Cage 1993
Und eine dritte Version, die, wieder Kremen gewidmet, 1960 als Tacet-Ausgabe
erstmals auch publiziert wird und in der Cage hinzufügt: „the movements may last
any lenghts of time“, in der also den einzelnen Sätzen keine genaue Dauer mehr
zugeordnet wird. Diese dritte Version besteht nur noch aus der römischen Bezifferung
der einzelnen Sätze und der jeweils darunter stehenden Bestimmung: „Tacet“, also
„Er/sie/es schweigt“.
John Cage selbst sieht in diesem Stück 1952 seine zentrale Komposition, er meint
dazu, er mache täglich Gebrauch davon, bezweifle aber, dass die Gedanken dahinter
von vielen verstanden würden.76 Die Bedeutung, die diese konzeptionelle Komposition für ihn hat, liegt im Besonderen an der Kraft, die, wie er meinte, in selbstlos konzipierter Musik liegen kann. In 4’33” vereint er die Lehren des Zen-Buddhismus mit
der mittelalterlichen christlichen Mystik zu einer Arbeit, die Antwort auf grundlegende Fragen der Gesellschaft sein will und Lösungsansätze und Lebensstrategien für
den „rational geprägten, modernen Menschen“ bieten soll. Er findet in diesem Stück
ein „Konzept, das schlüssig genug ist, die Rationalität des modernen Lebens (und
76
Ebd., S. 222f.
46
damit auch die rationalen Aspekte modernen Komponierens) einzubeziehen“ (Maier
2001, 99). John Cages ganzheitlicher Anspruch an 4’33” ist es, zur Vollständigkeit
des Menschen beizutragen, indem es zunächst die Versöhnung von Bewusstsein und
Unbewusstem, von Ratio und Irratio beabsichtigt; ferner als kulturphilosophisches
Ziel die Versöhnung von nach außen gewandtem Westen und nach innerem Frieden
suchendem Osten hat.77
Der erste Titel dieser Komposition war Silent Prayer und sie war gedacht als
„uninterrupted silence“, als „konzentriertes Anwesendsein von sinnlicher Erfahrung“
(Maier 2001, 140), demnach eine Abwesenheit ohne Inhalt, sondern bedeutungsvolles
Hören. Seine ursprüngliche Intention dieses Stück an die Muzak Corporation zu
verkaufen unterstreicht seinen Ansatz, Stille als funktionelle Musik in einem Kontext
zu verstehen. In diesem Fall lag seine Funktionalität darin, mit der Abwesenheit von
Klang zum Bemerken der Anwesenheit des Nichts zu führen.78
Die bewusste Inszenierung der Uraufführung von 4’33” betont diesen Gedanken;
eine einzelne Beschreibung aus dem Publikum erinnert sich an besagte Szene folgendermaßen:
Tudor placed the hand-written score [...] on the piano and sat motionless as he
used a stopwatch to measure the time of each movement. [...] Tudor signaled
ist commencement by lowering the keyboard lid of the piano. The sound of
the wind in the trees entered the first movement. After thirty seconds of no
action, he raiysed the lid to signal the end of the first movement. It was then
lowered fort he second movement, during which raindrops pattered on the
roof. The score was in several pages, so he turned the pages as time passed,
yet playing nothing at all. The keyboard lid was raised and lowered again
for the final movement, during which the audience whispered and muttered.
(Maier 2001, 155)
Diese Beschreibung hebt zwei Tatsachen hervor; zum ersten das Schließen und
Öffnen der Abdeckung der Klaviertastatur, das von Cage so gewünscht und ausdrücklich verlangt wird und das als absichtsvolle Geste des Schweigens zu verstehen
ist; zum zweiten ist es der Bericht selbst, der auf die Umgebungsgeräusche detailliert eingeht und in den einzelnen Sätzen diese auch differenziert. Diese Darstellung
zeugt demnach von der erfolgreich bezweckten Bewusstmachung des Nicht-Daseins
von Musik und der gleichzeitigen Anwesenheit einer Menge an Klängen, die, von Cage unbeeinflusst, ohnehin da sind. In den verschiedenen Fassungen wird außerdem
77
78
Ebd., S. 138.
Ebd., S. 142ff.
47
deutlich, dass Cage sich von klar musikalischem Vokabular – leere Notenblätter, die
durch vorangestelle Notenschlüssel und durch das Vorhandensein von Takten sehr
klar Pausen darstellen und die ausdrücklich an das Instrument Klavier gerichtet sind
– zusehends in Richtung Universalität entwickelt: über die graphische Notation, die
das Nichts thematisiert und verräumlicht und die gänzlich auf Anweisungen und
damit auf Vokabular verzichtet, bis zur Tacet-Version, die schlussendlich nur noch
aus der Anweisung des Schweigens besteht und die für jede Art der Musik sowie für
jegliche Instrumente, Stimmen und Besetzungen geschrieben ist.79 Thomas Maier
formuliert sehr treffend: „Die Partitur von 4’33” durchläuft so verschiedene Stufen:
Aus dem Pausieren der ersten Fassung ist mittels Stillsein der graphischen Fassung
das Schweigen der schließlichen Fassung geworden. Alle drei aber partizipieren an
der gleichen zugemessenen Zeit“ (Maier 2001, 158). Die konzertante Aufführung
dieser Partitur war für Cage der Raum, in dem er sein Publikum dem Nichts aussetzen konnte, Raum und Zeit wird zum Bedeutungsträger und -mittler des Nichts,
das Ausgangspunkt für das Etwas ist, das Etwas das sich diskontinuierlich und unvorhersehbar von der Kontinuität des Nichts abhebt und nur im Zusammenspiel
vollständig ist.80
1962 bringt John Cage eine weitere Fassung, die die Universalität noch erweitert,
heraus: 0’00” (4’33” No. 2), Yoko Ono und Toshi Ichiyanagi gewidmet, in der offensichtlich wird, inwieweit er in den Fünfzigerjahren seine erste Konzeption überdenkt
und überarbeitet. Es gibt in dieser Fassung keine definierte Länge mehr, im Prinzip
kann sie endlos dauern oder gar nicht mehr sein, denn sie existiert ohne Anweisungen und hebt sich damit selbst auf. Die universelle Gültigkeit des Nichts hebt auch
die Satzkategorien auf. Cage meinte dazu 1966, er brauche das Stück nicht mehr –
auch nicht die konzertante Aufführung – es sei ohnehin immerfort zu hören. 0’00”
ist die Erweiterung von einer reinen Höranweisung zur Handlungsanweisung: „In a
situation provided with maximum amplification (no feedback), perform a disciplined
action“ (Maier 2001, 168). Die Aufführung von 4’33” bzw. 0’00” ist also jederzeit
und überall und von jedem/jeder möglich, alles was es braucht, ist das bewusste
Zuhören und das eigene Schweigen.81
79
Ebd., S. 153ff.
Ebd., S. 160.
81
Ebd., S. 167ff.
80
48
2.2.5 Morton Feldmans Intermission VI (1953)
Morton Feldmans Stück für Klavier(e): Intermission VI. For one or two pianos
entsteht kurze Zeit nach Cages stillem Stück auch in New York. Vergleicht man die
Aspekte der Stille, die Eric de Visscher auf Webern bezogen hatte, mit diesem Stück,
so kann man mindestens die Zartheit und den Pointillismus an diesem Stück festmachen: Es dauert zwar etwas mehr als fünf Minuten (Feldman tendiert dazu „lange“,
also im Vergleich mit seinen Zeitgenossen „längere“ Stücke zu komponieren), doch
die vereinzelten und isolierten Einzeltöne sind sowohl zart und leise, als auch zueinander abgegrenzte Klangerlebnisse. In Musik in Geschichte und Gegenwart wird
Feldmans Œuvre als langsam und leise charakterisiert (auszunehmen sind an dieser
Stelle zum Beispiel aber die Intersections, die sich durch große Dynamikverläufe und
Schnelligkeit auszeichnen und damit im konkreten Gegensatz dazu stehen), Intermission VI kann hier als Paradebeispiel gelten, es gibt es allerdings keine Dynamikoder Rhythmikangaben.82 Es besteht aus fünfzehn einzelnen Fragmenten auf einem
einzelnen Blatt Papier und steht am Beginn von Feldmans grafischer Notation, in
dem Sinne, als das diese fünfzehn Teile keine Aussagen über Zusammenhänge, Metrik, Anzahl der Wiederholungen oder sonstige Parameter zulassen: es sind allein
stehende Ereignisse, deren Reihenfolge dem/der Interpreten/in überlassen wird, nur
mit der Anweisung jeden Ton zu halten, bis er fast nicht mehr hörbar ist:
Composition begins with any sound and proceed to any other. With a minimum of attack, hold each sound until barely audebly. Grace notes are not to
played to quickly. All sounds are to played as soft as possible. (Feldman, zit.n.
Gratzer 1992, 13)
Anfang der Fünfziger-Jahre, als dieses Stück entsteht, ist es das erklärte Ziel Feldmans, eine neue Klangwelt zu erschaffen, er ordnet der Klangfarbe die höchste
Priorität aller musikalischen Parameter zu und arbeitet streng antihistorisch. Er
folgt damit dem Gedanken der „Abstract Expressionists“, einer Gruppe bildender
Künstler, die im Wesentlichen zur Gruppe der „New York School“ gehören, deren
Mitglieder unter anderem Jackson Pollock, Mark Rothko, Barnett Newman, Philip
Guston und Willem de Kooning sind. In diesem Wirkungskreis bewegen sich auf
82
Sebastian Claren: Feldman, Morton. In: Musik in Geschichte und Gegenwart. Allgemeine Enzyklopädie der Musik. Hrsg. von Ludwig Finscher. Band 6. Kassel, u.a.: Bärenreiter, Metzler
2005. Sp. 911ff.
49
kompositorischer Seite auch John Cage, Christian Wollf, Earle Brown und als Ausführender: David Tudor. Die Idee des Abstrakten Expressionismus alles Material als
flache Oberfläche zu sehen und diese ohne perspektivische Konstruktion und besonders ohne abbildende Funktion zu gestalten, entspricht (so Sebastian Claren in der
MGG) Feldmans Absicht, Klangfarbe (mithilfe seiner Notation und Aufteilung in
drei Register: hoch, mittel und tief) ohne darunterliegende Tonhöhenkonstruktion
wahrzunehmen und in weiterer Folge auch darzustellen.83
Im Sinne von Marcel Duchamps Antiästhetik lassen sie sich als objets trouvés
begreifen, als „am Klavier vorgefundene“ fixe Ideen, die kaum komponiert sind,
sondern existieren, um in einem anderen Kontext jeweilig andere Bedeutung zu
erlangen. Durch die offene Struktur von Intermission VI ist es schwierig, Aussagen
über Pausen zu treffen: es sind nur zwei Anweisungen Achtelpausen vorangestellt, bei
einer anderen ist vor dem viertönigen Vorschlag eine Fermate über einer Leerstelle.84
Was sich aber betonen lässt, ist, dass durch die Loslösung von formalen Kriterien
(wie auch schon bei der grafischen Notation von Cages 4’33”) Freiräume geschaffen
werden, in denen der/die Interpret/in dazu angehalten wird, Leerräume freizuhalten.
Allein die reale räumliche Trennung der Einzelereignisse auf dem Blatt hält dazu an
und ergänzt Pausen im herkömmlichen Sinn durch tatsächlichen – auch grafischen
– Platz für Stille.
Der Erfolg dieses Konzepts lässt sich an der Qualität der direkten Kopie ablesen,85 denn Karlheinz Stockhausen komponierte sein Klavierstück XI von 1956 nach
eben diesem Prinzip: einzeln auf einem Blatt angeordnete Ereignisse, die in beliebiger Reihenfolge und Zeit gespielt werden können.86 Beachtlich ist in jedem Fall die
konzeptionelle Organisation von Tönen als freie Anordnung, die Option der Erweiterung durch ein weiteres Klavier und die Möglichkeit einer/s weiteren InterpretIn
und die strukturierende Rolle von leerem Platz und Raum, die die Repräsentation
83
Ebd., Sp. 912.
Gratzer: Wider den Zeit-Vertreib. S. 13.
85
An dieser Stelle muss eine Anekdote erwähnt werden, bei der Stockhausen, angeblich nichts
wissend von dieser Idee, David Tudor nach seiner Meinung zu einem Stück fragte, bei dem
er selbst entscheiden dürfe, wo und wann er weiterspielen möchte. Tudor meinte daraufhin
(weil er Feldmans Idee kannte), dass es die Idee zu einem solchen Stück schon gäbe, woraufhin
Stockhausen seinen Plan verwarf, Tudor ihn aber beschwichtigte und ermunterte, diese Idee
auch umzusetzen.
86
Claren: Feldman, Morton. Sp. 913.
84
50
von musikalischer Stille bedeuten. Feldman fasst es unter folgendem Gesichtspunkt
zusammen:
Also Silence is my substitute for counterpoint. It’s nothing against something.
It’s a real thing, it’s a breathing thing. (Feldman, zit. n. Gratzer 1992, 14)
51
2.2.6 Morton Feldmans Neither (1976/77)
Zusätzlich zu dem Klavierstück Intermission VI , schreibt Feldman Mitte der 70erJahre sein einziges Bühnenwerk: Neither, nach einer Literaturvorlage von Samuel
Beckett, eine Oper in einem Akt für Sopran und Orchester, die ebenfalls den Nerv
dieser Arbeit trifft, nicht zuletzt durch die Sprach-Figuren der Pause und des Schweigens, mit denen sich Samuel Beckett schon bei Warten auf Godot arbeitet, bei dem
Schweigen die dritte Instanz darstellt. Feldmans Abneigung Text (in Zusammenhang
mit Musik) gegenüber, bezieht sich nicht auf die Texte Samuel Becketts: er schätzt
ihn und seine Arbeit. Feldman möchte für diese Oper einen neuen Text Becketts,
da er die andern für zu dicht ausgearbeitet hält: sie brauchen keine Musik mehr.
Für Neither möchte er etwas „Unbewegtes, Schwebendes“: diese statische und doch
bewegte Charakteristik verbinde die Gesamtwerke der beiden Künstler: Feldmans
Arbeit, in der er sich in seinen Kompositionen immer an der Grenze zu Stille bewegt, bei dem Anfang und Ende sowie eine hierarchische Struktur fehlen, erinnert an
Becketts Fehlen eines sprachlichen Subjekts und die Abwesenheit der Interpunktion
als Element der Grammatik bei Beckett. (Elzenheimer 2008, 119)
Regine Elzenheimer konstituiert Feldmans Ästhetik der Stille als eine deutliche
Abgrenzung vom kompositorischen Konzept der Stille: sie vergleicht sie vielmehr
mit dem Schweigen, das vor dem Text passiert, es ist für Feldman ein natürliches
Phänomen, es erinnert ihn an das Atmen:
Ich glaube, dass ein wichtiger Aspekt meiner Musik, meines Atems, meines
Raumes, darin besteht, dass ich an Stille nicht eigens denke. [...] ich mache
vielleicht eine Struktur aus der Stille. Sie wäre wie ein Gummiband. Auf diese
Weise könnte ich Stille konstruktiv verwenden, als eine Konstruktion. [...] Ich
empfinde es so, als ob ich in der Stille wäre. Ich befasse mich zum Beispiel
nicht mit dem Vorher und Nachher. (Feldman, zit. n. Elzenheimer 2008, 119)
Feldmans Prinzip der Nuancierung wirkt sich besonders in dieser Oper – die als
drastisches Gegenbeispiel zu allem dienen soll, was Oper sonst ist: Dramaturgie,
Verlauf und personelles Handeln – aus. Es ist eine Verneinung von Tradition, innerhalb der sehr traditionellen Gattung der Oper. Er reduziert den ohnehin sehr frei
gestalteten Text, durch die hohe Sopranlage im Pianissimo und die lang gezogenen
Töne, auf Vokale und Klänge, bei denen das Nicht-Verstehen des Librettos bereits
in der Konzeption inbegriffen ist. Es geht ihm dementsprechend nicht darum, durch
52
Worte Gefühle auszudrücken, vielmehr erklärt er: „Ich glaube, dass das Wichtigste
in meiner Musik die Graduierung des Gefühls in der Musik ist“.87 Die Nuancen der
genau eingegrenzten Parameter Dynamik, geringer Tonumfang der Sopranstimme
und Dauer erzeugen einen vernetzten, fast stehenden Klang, durch den die feinen
Veränderungen innerhalb dieser Struktur für Feldman Ausdruck veräußerter Innerlichkeit und „Graduierung der Gefühle“ sind.
Der Titel der Oper ist auf Becketts Text zurückzuführen, dessen 87 Wörter er
Feldman auf einer Postkarte gesendet haben soll:
NEITHER
to and fro in shadow from inner to outer shadow | from impenetrable self to
impenetrable unself | by way of neither | as between two lit refuges whose
doors once | neared gently close, once away turned from | gently part again |
beckoned back and forth and turned away | heedless of the way, intent on the
one | gleam | or the other | unheard footfalls only sound | till at last halt for
good, absent for good | from self and other | then no sound | then gently
light unfading on that unheeded | neither | unspeakable home
Samuel Beckett (Feldman 1977, 3)
Becketts lyrischer Text, der sich auf Schatten, auf Andeutungen und auf Ahnungen bezieht („ungehörte Tritte als einziger Laut“, „Schatten, die sich zwischen innen
und außen bewegen“) und dessen konsequente Verneinung („nicht selbst“, „kein“,
„abwesend“, „kein laut“, „das nicht beachtete weder“), wird programmatisch für
die Musik der Oper. Es ist die Unmöglichkeit des Verständnisses von „Selbst“ und
„Nichtselbst“, das am Ende das „Neither“, also das „Weder-Noch“, die die schlussendliche Unentschiedenheit als einzige Lösung anbietet. Musikalisch entwickelt er
„wenig fassbare Strukturen für das ‚Selbst’ des Textes und repetitive Strukturen,
die sowohl melodische Wiederholungen als auch Akkordschläge beinhalten, für das
‘Nichtselbst’ und spielt diese im Laufe der Oper gegeneinander aus“.88
Die repetitiven Formen des „Nichtselbsts“ drücken sich auch in der mehrmaligen
Wiederholung bestimmter Textphrasen aus, etwa der letzten: „unspeakable home“.
Vergleicht man das „Nichtselbst“ und das „Selbst“ mit der naheliegenden Analogie
von Klang und Nichtklang, so entspricht das „Nichtselbst“ dem Nichtklang, denn
87
88
Elzenheimer: Pause. Stille. Schweigen. S. 120.
Heister: KDG: Feldman.
53
Abb. 9: Feldman 1977
die Statik der Bewegung und die des Bühnengeschehens sind eine Form der Stille,
die sich nicht auf klanglicher, sondern auf Bewegungsebene und der visuellen Ebene
äußert.
Zusätzlich zu diesen Aspekten ist bei Feldmans Arbeit mit Beckett der Gesichtspunkt der Zusammenarbeit insofern interessant, als dass sich auch die LiteratInnen
im 20. Jahrhundert verstärkt mit Schweigen und damit der Stille befassen. Man
vergleiche nur Peter Handkes: Die Stunde, da wir nichts voneinander wussten, in
dem durch die Abwesenheit von Sprechtext das Schau-Spiel-Erlebnis potenziert und
intensiviert wird; Maurice Maeterlinck, der sich auch theoretisch mit Schweigen und
Stille beschäftigt: Das Schweigen; Ödön von Horváth, der in der Gebrauchsanweisung 1932 den Kampf zwischen Bewusstsein und Unterbewusstsein durch Reden und
Schweigen ausdrückt:
Bitte achten Sie genau auf die Pausen im Dialog, die ich mit „Stille“ bezeichne
– hier kämpft das Bewußtsein [sic!] oder Unterbewußtsein [sic!] miteinander,
und das muß [sic!] sichtbar werden [...]. (Horváth 1988, 219)
Das deutlichste Zeichen einer Verbindung von Schweigen, Stille und Musik setzt
54
aber György Ligeti, als er bei einem Vortrag 1961 – im selben Jahr, als er Atmosphères fertig stellt, selbst ein sehr statisches Stück – in Alpbach bei den Europäischen Hochschulwochen über „Die Zukunft der Musik“ zehn Minuten lang schweigt.
Im Nachhinein dokumentiert er seine Aktion und die stürmischen Reaktionen des
akademischen Auditoriums in einer Art Partitur, die er selbst noch währenddessen
anleitet, indem er Anweisungen wie: „crescendo“, „silence“ oder „Lasst euch nicht
manipulieren“ an die Tafel schreibt. Er selbst nennt diese „Komposition“ scherzhaft: Kollektive Komposition und Musikalische Provokation für 1 Vortragenden mit
Auditorium.89 Es überwindet damit eine Grenze zwischen Musik, die für Musiker
gedacht ist und dem Gleichsetzen von Schweigen und Stille im musikalischen Sinn:
Er betitelt, wenig ernst gemeint, aber doch bezeichnend, dieses Stück als musikalischen Vortrag, der an sich, außer dem Thema und seinen Anweisungen aber nichts
mit einem traditionellen Verständnis von Musik gemeinsam hat. Die musikalische
„Textausdeutung“ ist gleichzeitig Text und Musik: vereint im Schweigen, in der Stille und im Nicht-Klang. In der Stille löst sich so die Grenze zwischen Literatur und
Musik völlig auf, denn die Stille ist ausschließlich durch ihren Kontext, nicht mehr
durch ihr Medium definiert und damit offen.
89
Heister: KDG: Ligeti.
55
2.2.7 La Monte Youngs Compositions (1960)
La Monte Youngs Gesamtwerk wird in de la Motte-Habers Geschichte der Musik
im 20 Jahrhundert als meditativ überschrieben und es ist ihm ein eigenes Kapitel
gewidmet. Während er sich im Anfang seines musikalischen Schaffens, in den Fünfzigern, am Reihendenken der Zweiten Wiener Schule bzw. am seriellen Determinismus
orientiert, beginnt er um 1960 – unter anderem eben mit den Compositions – die
musikalische Struktur seiner Werke zu öffnen und Minimalismus und Reduktion zum
Hauptthema seiner Arbeit zu machen. Er gilt deshalb als Pionier der „Minimal Music“ und der „concept art“.90 Diese Definition greift aber etwas zu kurz und deshalb
liegt Helga de la Motte-Haber richtiger, wenn sie über das Gesamtwerk La Monte
Youngs schreibt und dieses einzuordnen versucht. Sein Grundkonzept liegt in der
Annahme, dass Aufführungsraum gleichzeitig auch Lebensraum, ästhetischer Erfahrungsraum und Meditationsraum ist, weshalb während der Performanz neben der
akustischen Wahrnehmung auch der Geruchssinn und die visuelle Wahrnehmung
angesprochen werden. Er entwickelt dafür gemeinsam mit seiner Ehefrau Marian
Zazeeela sogenannte „Dream Houses“, in denen diese Performanzen stattfinden.91
Im Vergleich zu den anderen Vertretern der "Minimal Music", wie etwa Steve Reich
und Terry Riley, die ebenfalls den meditativen Charakter ihrer Musik betonen, spielt
bei Young außerdem eine spirituelle Komponente eine nicht unwesentliche Rolle: „If
people just aren’t carried away to heaven, I’m failing“.92 Seine kompositorische Intention ist die Kontemplation der RezipientInnen und ihre damit einhergehende
veränderte Haltung und Einstellung. Eine Ursache für dieses Anliegen liegt wahrscheinlich in seiner Kindheit, in der er mit dem Mormonentum seiner Familie intensiv
konfrontiert wird. Seine Arbeit wird auch erheblich von der „Fluxus-Bewegung“ (George Bracht, George Maciunas, Henry Flint, Dick Higgins, Yoko Ono, u.a.) in New
York und von Begegnungen mit Karlheinz Stockhausen und John Cage geprägt.
Die Compositions 1960 sind Beispiel für den Einfluss der Fluxus-Bewegung und
vor allem auch John Cages auf La Monte Youngs Aufführungen: es sind 15 PerformanceStücke, die nur noch aus Anweisungen (etwa bei #7 nur noch aus einer Quint und
90
Heister: KDG: La Monte Young.
de la Motte-Haber, Hrsg.: Geschichte der Musik. S. 258ff.
92
Ebd., S. 258.
91
56
der Spielanweisung „to be held for a long time“) bestehen.93
Seine Spielanweisungen sind dabei die eigentliche Komposition, während etwa bei
Cages 4’33” der Fokus klar auf den Reaktionen des Publikums und den Umgebungsgeräuschen liegt.
#4: Announce to the audience that the lights will be turned off for the duration
of the composition (it may be any length) and tell them when the composition
will begin and end. Turn off all the lights for the announced duration. When
the lights are turned back on, the announcer may tell the audience that their
activities have been the composition, although this is not at all necessary.
In den Compositions geht es ihm, auch durch das Aufgeben einer traditionellen
Auffassung eines „Werkes“, um eine direkte Vermittlung seiner musikalischen Gedanken und Absichten an das Publikum.
#5: Turn a butterfly (or any numbers of butterflies) loose in the performance
area. When the composition is over, be sure to allow the butterfly to fly away
outside. The composition may be any length but if an unlimited amount of
time is available, the doors and windows may be opened before the butterfly is turned loose and the composition may be considered finished when the
butterfly flies away.
#10: To Bob Morris. Draw a straight line and follow it.
Es gibt kaum Aufzeichnungen über seine Stücke, er vertritt die Auffassung, dass
seine Musik nur persönlich erlebt werden kann, da sie eine gewisse Bereitschaft und
Offenheit der RezipientInnen und ein geeignetes Aufnahmeumfeld erfordert.
La Monte Youngs Zugang zu Stille und Musik lässt sich schwer fassen, es braucht
eine Art von Meditation und Musikverständnis, das sich auf Stille als eine Form der
Besinnung, Ruhe und Erlebnis einlässt.94
93
Gregor Herzfeld: Young, La Monte. In: Die Musik in Geschichte und Gegenwart. Allgemeine
Enzyklopädie der Musik. Hrsg. von Ludwig Finscher. Band 17. Kassel, u.a.: Bärenreiter, Metzler
2005. Sp. 1254.
94
Heister: KDG: Young, La Monte.
57
2.2.8 Alvin Luciers Music for Solo Performer (1965)
Alvin Luciers Music for Solo Performer für verstärkte Gehirnwellen und Perkussion hat auf den ersten Blick wenig mit Pause und Stille zu tun: Er verstärkt 1965
an der Brandels University Gehirnwellen eines/r meditativ entspannten „Interpreten/Interpretin“. Auf den zweiten Blick aber ist es die konstante Weiterführung
von Cages Kammererlebnis vor seinem 4’33”: Wo Cage feststellt, dass die absolute Stille selbst in einem abgeschiedenen, schallisolierten Raum nicht existiert, weil
der eigene Körper klingt, gelingt Lucier das Hörbarmachen dieser feinsten Nuancen
von Klang. In seinen vorangehenden Naturbeobachtungen, war ihm genau das wichtig: „das Unhörbare hörbar zu machen“.95 Das Experimentieren mit ungewöhnlichen
Klangquellen ist Basis für einen Großteil seiner Arbeiten Mitte der 60er-Jahren. Sein
Bestreben liegt im Sich-Befassen mit Klängen, die unter normalen Umständen nicht
hörbar sind. Während John Cage also das Bewusstsein seiner RezipientInnen auf
Umgebungsgeräusche schärft, denkt Lucier weiter und gibt auch den Klängen, die
„unhörbar“ sind Klangkörper und damit die Gelegenheit wahrgenommen zu werden.
Es geht ihm nicht darum Ideen zu teilen, sondern er will das, was in den Dingen
ist, zum Vorschein bringen. Beispiele für dieses Anliegen sind unter anderem, neben
besagtem Music for Solo Performer: Skin, Meat, Bone – für Schauspieler, Resonanzobjekte, Tonbandgeräte, bewegliche Wände und Sinus-Oszillatoren –, Vespers
– für Ausführende und Elektrogeräte –, Sound on paper – Papier, Lautsprecher und
Oszillatoren und I am Sitting in a Room, wobei mithilfe eines elektromagnetischen
Tonbandes ein/e Ausführende(r) sein/ihr eigenes Playback innerhalb eines Raumes
aufnimmt und in Übereinstimmung mit den Resonanzfrequenzen des Raumes transformiert.96
Bemerkenswert ist die nötige äußere und innere Stille und Ruhe, die vom/von der
Ausführenden gefordert wird: die Aufführung braucht die absolute Abwesenheit von
jeglicher willkürlichen Bewegung und bewusster geistiger Aktivität. Die Entstehung
von Alphawellen, die Perkussions-Instrumente und Tonbänder steuern, kann nur so
erzielt werden. Die Vergegenwärtigung von scheinbar „Unhörbarem“ braucht also
die vorherige Ruhe und Konzentration: eine meditative Stille, in der schlussendlich
95
96
Heister: KDG: Alvin Lucier.
de la Motte-Haber: Geschichte der Musik. S. 18.
58
die vermeintliche Stille hörbar werden kann. Vor dem Hintergrund der Stille entsteht
so neuer Klang.97
Alvin Lucier äußert sich wie folgt zu diesem Stück: „I found the alpha’s quiet
thunder extremely beautiful“ (zit. n. Gardner 2011, 2). Das „stille Donnern“ der
Alphawellen, allein durch Verstärkung durch Perkussions-Instrumente überhaupt
wahrnehmbar, empfindet Lucier als etwas Schönes und intentional Musikalisches, ein
Phänomen, das erst durch meditative Stille des/der Ausführenden und damit einhergehend des Publikums, zugänglich wird. Da das Werk mehr unter dem Aspekt von
Klangperformance betrachtet werden muss, gibt es an dieser Stelle keine Analyse von
Notation oder dergleichen: Luciers Beitrag zur Veränderung der Wahrnehmung von
Stille liegt in der Fortführung von Cages Kammererlebnis. Cages Reaktion auf dieses
Erlebnis ist die Konzeption von 4’33”, dessen Ziel im weitesten Sinne die Provokation und die bewusste Aufmerksamkeit des Publikums auf Umgebungsgeräuschen
ist. Lucier dagegen schenkt den RezipientInnen kaum Beachtung: sein Anliegen ist
es, dem, was durch das Ausbleiben dieser Umgebungsgeräusche (Musik mit eingeschlossen) hörbar werden kann, zuzuhören.
97
Ebd., S. 293.
59
2.2.9 Arvo Pärts Tabula rasa (1977)
Arvo Pärts Gesamtwerk hat im Zusammenhang mit Stille und Pause in der Musik
des 20. Jahrhunderts eine Sonderstellung, da er sich der Stille von einem tonalen
Standpunkt aus nähert, was ihm innerhalb der Kompositionsszene des 20. Jhd. viel
Kritik eingebracht hat. In den Jahren ab 1976 wendet er sich stilistisch den Dreiklängen und elementaren Melodieelementen zu, trotz seiner anfänglichen Rolle als
Vorreiter der musikalischen Moderne in der UdSSR, durch seine Beschäftigung mit
Klangflächen, Aleatorik, Collagetechnik und Fluxus (vgl. sein Credo). Tabula rasa
entstand in seiner Arbeitsphase nach einer Neuorientierung auf die Musik des Mittelalters und der Renaissance.98 Der Grund, warum sein Œuvre dennoch relevant für
diese Arbeit ist, liegt in seinem tief religiösen Hintergrund: Arvo Pärt betrachtet die
Pause – ideal gesehen – als heilig.99 Er ist auf der Suche, nach einer Musik, die dieser Stille würdig ist: „Wie kann man die folgende Stille (das Schweigen) mit Tönen
füllen, die des vorangegangenen Schweigens (der Stille) würdig wären?“: die Stille durchbrechende Klänge und Töne haben dem göttlichen Schweigen zu genügen.
Der Weg zu diesem Anspruch führt für Pärt über das Entsagen: das Sich-Loslösen
von der „Überfülle der Mittel“ zugunsten des „Allernotwendigsten, des Dreiklangs“.
Er notiert zu Tabula rasa: „Wenn ich vom Schweigen spreche, dann meine ich das
‚Nichts’, aus dem Gott die Welt erschuf“. Pärt spricht also von einer Stille, die
kreativer Schöpfung vorausgeht, die die Gegebenheiten schafft, in denen „etwas“
geschehen kann. Seine Antwort auf seine Erkenntnis ist das Ausdünnen der musikalischen Gestaltungsmittel, bis zum alleinigen Dasein eines Dreiklangs, dessen Töne
glockenähnlich wirken, weswegen er es „Tintinnabuli-Stil“ nennt.100
Tabula rasa besteht aus der Synthese von Ludus und Silentium: „Spiel“ und „Stille“. Die Kompositionsweise dieses Werkes für zwei Violinen, präpariertes Klavier und
Streichorchester erinnert an die barocke Form des Doppelviolinkonzerts.101 Darüber
hinaus ist es stark reduziert und simplifizierend, wie im Titel schon gesagt, setzt es
98
Gregor Herzfeld: Pärt, Arvo. In: Die Musik in Geschichte und Gegenwart. Allgemeine Enzyklopädie der Musik. Hrsg. von Ludwig Finscher. Band 16. Kassel, u.a.: Bärenreiter, Metzler 2005.
Sp. 147f.
99
Ulrich Mosch: Tönende Stille – stilles Tönen. Zur Musik von Avo Pärt. In: positionen, 1992, H.
10. S. 18.
100
Helmut Hoping: Musik aus der Stille des Schweigens. Die musikalische Theologie des estnischen
Komponisten Arvo Pärt. In: Stimmen der Zeit. Die Zeitschrift für christliche Kultur, 2007. S.
666.
101
Heister, KDG: Arvo Pärt.
60
sich mit dem Gegensatz von „Stille“ und „Spiel“ – im weitesten Sinne „Nicht-Stille“
– auseinander. Der beschreibende Titel Tabula rasa bedeutet „geglättete Tafel“ und
steht dafür, etwas von vorne zu beginnen, nocheinmal anzufangen; die Voraussetzungen wegzulöschen und von Null zu starten. Damit nimmt Pärt sich bewusst aus
der vorangegangenen Tradition und seiner Kompositionsumgebung und betrachtet
„Spiel“ und „Stille“ für sich allein und gibt ihnen innerhalb dieses Spielraumes auch
Freiheit. Auch die Freiheit tonal zu sein und mit dem tonalen Mittel des Dreiklanges
zu arbeiten. Die Melodieführung besteht nur noch aus additiven und subtraktiven
Dreiklangs-Strukturen, die – wie er selbst beschreibt – in ihrer reduktiven Ästhetik
„Ausdruck religiöser Existenz und kontemplativer Konzentration auf das Wesentliche sind“ (Herzfeld 2005, 150). Diese Kürzung des musikalischen Materials ist für
Pärt die Askese des kompositorischen Bewusstseins, die sich zeigt in einer in Sekundschritten geführten Melodiestimme, die fast ununterbrochen an reine Dur- und
Moll-Dreiklänge gebunden ist. Diese Erfahrung einer fast provozierenden tonalen
Schlichtheit, die an manchen Stellen fälschlicherweise als „Neue Einfachheit“ beschrieben und so verzerrt wird, sicherte dem Komponisten großen Publikumserfolg.
Seine Arbeit steht für Besinnung, Ruhe und Stille, die über Musik erreicht wird,
wenn sie sich auch nicht direkt durch diese Stille ausdrückt. Die kontemplativen
Momente seiner Werke erzeugen Stille durch die Enthüllung eines „kosmischen Geheimnisses“, das laut Pärt in der Kunst zwei, drei Noten zu kombinieren liegt.102
Er selbst meint, er ziehe sich in totale Einsamkeit zurück: „Die Zeit (d.h. die Stille)
umgibt mich in so einer Dichte, daß [sic!] ich beginne, sie zu hören“ (Sonntag 2001,
33). Pärt setzt an dieser Stelle Zeit und Stille gleich. Nach dem Zeitverständnis von
Augustinus, das Pärt teilt, gibt es die klassische Zeiteinteilung in Vergangenheit,
Gegenwart und Zukunft nicht, sondern allein die Vergegenwärtigung der Zeit bzw.
Stille in drei Stadien:
Die drei Zeiten entsprechen der Erinnerung (memoria), der Anschauung (attentio) und der Erwartung (expectatio). Sie sind aber keine Zeiten im üblichen
Sinn [. . . ], sondern repräsentieren den Vorgang der Vergegenwärtigung. Erinnerung und Erwartung sind als Vollzug der Gegenwart zu sehen, der immer
gegenwärtig abläuft. (Sonntag 2001, 32)
Die Stille, die Pärt in seiner Abgeschiedenheit zu hören beginnt, ist also die Erin102
de la Motte-Haber: Geschichte der Musik. S. 269f.
61
nerung, Anschauung und Erwartung von Zeit, die Möglichkeit, sich bewusst damit
zu befassen und dadurch Gott näher zu kommen, es ist die „heilige Pause“, die sich
durch ihre Dichte schlussendlich in Musik – und im besonderen im Tintinnabuli-Stil
– äußert:
Es gibt viele Erscheinungen von Vollkommenheit: alles Unwichtige fällt weg.
So etwas Ähnliches ist der Tintinnabuli-Stil. Da bin ich alleine mit Schweigen.
Ich habe entdeckt, daß [sic!] es genügt, wenn ein einziger Ton schön gespielt
wird. Dieser eine Ton, die Stille oder das Schweigen beruhigen mich. Ich arbeite mit wenig Material, mit einer Stimme, mit zwei Stimmen. Ich baue aus
primitivstem Stoff, aus einem Dreiklang, einer bestimmten Tonalität. Die drei
Klänge eines Dreiklanges wirken glockenähnlich. So habe ich es Tintinnabuli
genannt. (Pärt, zit. n. Sonntag 2001, 38)
„Senza moto“ – ohne Bewegung – eine gedrängte Textur aus Vierteln, nur unterbrochen von gelegentlichen Einwürfen des präparierten Klaviers: programmatisch
komponiert Pärt ein Stück, das trotz oder gerade wegen seiner ständigen Bewegung
statisch wirkt und das auf Ruhe hinweist, die allein durch Konzentration auf Weniges
ermöglicht wird (vgl. Abb. 10).
Abb. 10: Pärt 1977
62
Mit der „Konzentration auf Weniges“ als Stichwort, wird an dieser Stelle noch Frederico Mompou erwähnt, der sich selbst als „Primitivist“ bezeichnet und als „Poet
der Stille“ gilt. Er will einerseits „einen Mikrokosmos schmuckloser Simplizität etablieren“ und andererseits dem „Werkideal einer ‚klanggewordenen Einsamkeit’ huldigen“. Man beschreibt seine Arbeiten als „rätselhafte Schwingungen im Raum und
transzendierende Schwebungen, ein ‚Enden im Raum, im Leeren und Unfaßbaren
[sic!]’“. Mompou konzentriert sich Zeit seines Lebens auf Klaviermusik und begleiteten Sologesang und seine „schönen Stellen“ sind nicht durch Wiedererkennbarkeit
gekennzeichnet, sondern zeichnen sich durch harmonische Detailliertheit und Talent
zur Klangnuancierung aus. Die Bezeichnung „Poet der Stille“ leitet sich ab von „differenziertem Rubato-Spiel, über mehrere Takte durchgehaltenes Pedal bzw. durch
Konturierung von außerhalb der eigentlichen Partitur gelegenen Flageolett-Stimmen
[...] (Jeunes filles au jardin, 1915/18; Prélude V, 1930)“, die als „Zelebrierung des
auskomponierten Stillstandes“ wahrgenommen wird.103 Auch bei ihm ist der größte Kritikpunkt an seiner Arbeit die tonale Basis des Dur-, Mollsystems, das keine
Erweiterung erfährt.104
103
104
Heister: KDG: Mompou, Frederico.
Ebd.
63
2.2.10 Luigi Nonos Fragmente, Stille - An Diotima (1980)
Luigi Nonos Streichquartett, dessen Uraufführung 1980 stattfindet, markiert den
Wandel von politisch engagierten und gegenwartsbezogenen Kompositionen hin zu
einer auf musikinterne Phänomene konzentrierten Kompositionsweise. Nono, der erst
bei Bruno Maderna und später bei Hermann Scherchen studiert, ist neben Boulez
und Stockhausen ein führender Vertreter der seriellen Komponisten in Darmstadt in
den 1950er Jahren. Er teilt aber weder die Philosophie der strikt naturalistischen seriellen Technik, noch die Indetermination Cages, sondern sieht seine Verantwortung
in einer musikalischen Stellungnahme zur politisch-gesellschaftlichen Realität der
jeweiligen Entstehungszeit, was sich besonders in seinen Werken der 1960er ablesen
lässt, in denen er aktuelle Ereignisse aufgreift. Mit seinem vielrezensierten Streichquartett wendet er sich den feinsten Klangnuancen zu, die prägend für seine späteren
Kompositionen sind, in denen er an der Grenze der Hörbarkeit schreibt (Heister).
Nono selbst beschreibt seinen Kompositionswandel nicht als Wende, sondern als
weiteren Aspekt seiner politischen und sozial engagierten Kompositionsarbeit:
auch das Zarte, Private hat seine kollektive, politische Seite. Deshalb ist mein
Streichquartett nicht Ausdruck einer neuen retrospektiven Linie bei mir, sondern meines gegenwärtigen Experimentierstandes: ich will die große, aufrührerische Aussage mit kleinsten Mitteln. (Nono, zit. n. Metzger 1981, 112)
Nonos Streichquartett ist gekoppelt an 53 phrasenhafte Zitate aus Gedichten Friedrich Hölderlins, mit der klaren Anweisung, diese keinesfalls bei einer Aufführung zu
rezitieren, sie aber vielmehr als Inspiration zu verstehen, als Anlass, der autonom
bleibt. Sie sind ein Teil der „Fragmente“, auf die der Titel – genauso wie „An Diotima“ – Bezug nimmt, die „in keinem Falle als naturalistischer, programmatischer
Hinweis für die Aufführung verstanden werden, aber in vielfältigen Augenblicken sind
Gedanken schweigende ‚Gesänge’, aus anderen Räumen, anderen Himmeln [...]“. Die
zweite Spielanweisung betrifft sehr spezifisch die Fermaten, sie „sind immer verschiedenartig zu empfinden mit offener Phantasie – für träumende Räume – für plötzliche
Ekstasen – für unaussprechliche Gedanken – für ruhige Atemzüge – und für die Stille
des ‚zeitlosen’ ‚Singens’“ (Vorwort der Partitur, Nono 1980). Die starke Betonung
dieser beiden nicht-klanglichen Komponenten dieser Komposition steht der Partitur voran, sie ist der Hintergrund, vor dem die „Klanginseln“ dieses Stückes aus
64
der Stille auftauchen, „um sich dorthin wieder zurückzuziehen“ (Allwardt 2003, 28).
Diese Beschreibung zeigt sich im Anfang und Ende der langen Pausen, die die – sich
am Rande des Hörbaren bewegenden oder auch kurz und expressiv einsetzenden –
Klänge begrenzen. Diese Aspekte von Stille sind beispielgebend für die drei wesentlichsten, sichtbarsten Anzeichen (neben dem tatsächlichen Nicht-Klingen) von Stille
in der zeitgenössischen Musik: Kürze, Zartheit und „Pointillismus“ bzw. Isolation
von Noten.105
Die höchst differenzierte Beschreibung der Klangerzeugung in diesem in etwa 35
Minuten dauernden Stück, nuanciert die Klangfarben der Instrumente, genauso wie
die eingesetzte Vierteltonharmonik (ab Partiturziffer 18). Ebenso detailliert ist die
Vortragsanweisung an die InterpretInnen, die Fragmente Hölderlins innerlich zu singen: Nono hat scheinbar eine genaue Vorstellung davon, was dies bewirken soll. Die
Beschaffenheit der musikalischen und nicht-musikalischen Elemente dieses Streichquartetts hat große Bedeutung. Die Partitur ist übersät mit Textfragmenten, verschiedenartigen Fermaten, Spannungsbögen, Spieltechniken und außermusikalischen
Bezügen, die für den/die Rezipienten/Rezipientin nicht akustisch wahrnehmbar sind,
aber dennoch auf so viel mehr verweisen, als das bloße musikalische Material. So gibt
es – neben weiteren – zwei umfangreiche analytische Schriften zu diesem Stück, zum
ersten von Werner zur Linden (Luigi Nonos Weg zum Streichquartett) zum zweiten
von Hermann Spree (Fragmente – Stille: An Diotima), die sich allerdings nur am
Rande mit der Rolle der Stille auseinandersetzen. Ich werde im Weiteren kurz auf
einen Artikel Wolf Frobenius’ eingehen, der sich mit der Zeitstruktur des Stückes
beschäftigt und mit der Bedeutung der Hölderlin-Fragmente für die Komposition
sowie mit der Gliederung und Gesamtgestalt. Frobenius stellt fest, dass sich besagte
Zitate als Fragmente darstellen, während die Musik selbst, zusätzlich zu den Pausen und Fermaten, die Stille bezeichnet, die im Werkstitel beschrieben ist. Dieses
Paradoxon – Musik, die Stille ist – ist wohl dem Umstand zuzuschreiben, dass die
Grenzen zwischen hörbarem Klang und Nicht-Klang verschwinden, es erscheint wie
ein fließender Übergang eines Zustandes zum nächsten. Luigi Nono meint hierzu:
In meinem Quartett gibt es Stillen, denen sich, still und unausgesprochen
Fragmente zuordnen, die aus den Texten von Hölderlin gezogen und für die
inneren Ohren der Ausführenden bestimmt sind. Diese Stillen, in denen sich in
105
de Visscher: Fragmente einer Geschichte der Stille. S. 9.
65
unserem Ohr das, was wir schon gehört haben, mit sozusagen Vorwegnahmen
und Spannungen auf das hin, was noch aussteht, summiert, sind im wahren
Sinn des Wortes suspendierte Momente. (Nono, zit. n. Frobenius 1997, 182f)
Er beschreibt die Stillen als Rilksche Augenblicke, die ableiten, vorwegnehmen
und träumen; Momente, in denen dem/der Rezipienten/Rezipientin das Nachhören und Erwarten gestattet wird.106 Die durchsetzenden Pausen und Fermaten als
Dauerangaben regulieren die Entwicklung des Stückes, die Stillen scheinen wie Unterbrechungen, die das Werk diskontinuierlich wirken lassen, doch die Anmerkungen
und Markierungen Nonos – wie Pfeile über den Pausen – und die unterschiedliche
Beschaffenheit der verschiedenen Fermaten und Pausen, widerlegen diesen Eindruck.
Vielmehr tragen diese Stillen dazu bei, sie als musikalischen Beitrag anzuerkennen,
der die Kontinuität des Quartetts gewährleistet. Diese inneren Zusammenhänge werden nicht geführt, sondern sind als „Freiraum für eigene Bezüge“ gedacht.107
Hier wird die komponierte Zeit gleichsam angehalten, wodurch eine zeitlich begrenzte Öffnung der komponierten Faktur für das Hörempfinden stattfindet.
[...] Das ständige Innehalten der Musik eröffnet die Möglichkeit, auf Sinnzusammenhänge jenseits eines linearen Diskurses zu verweisen. Aus diesem
Grund spielt das Hören und Sich-Erinnern in Nonos Musik eine wesentliche
Rolle.“ (Heister)
Besagte Sinnzusammenhänge jenseits des linearen Diskurses werden deutlich, wenn
man beachtet, dass die phrasenhaften Hölderlin-Zitate für sich genommen unverständlich sind, ebenso wie ihr direkter Zusammenhang mit der Musik, sie sind allerdings Orientierung für die musikalischen Fragmente, die nicht durch die bezeichnenden Partiturziffern gegliedert sind, sondern durch eben diese Hölderlin-Phrasen,
deren Offenheit und Kürze sich in den „Interpretations-Leerstellen“ des Werkes wiederfindet.
Martin Zenck geht in seiner Betrachtung des Stückes noch einen Schritt weiter,
indem er zum einen die Ebene der Sprache (nach den Fragmenten Hölderlins steht
das Schweigen) auf die Ebene der Musik überträgt und die Stille diesem Schweigen
gleichsetzt. Zum anderen postuliert er, dass vor und nach aller Musik die Stille steht,
dass die Ruhe, die Stille, das Schweigen die Norm sind, die den bisherig primären
Aspekt des Klanges ablösen und die Betrachtung eines – unter dem Aspekt der Stille
106
Wolf Frobenius: Luigi Nonos Streichquartett „Fragmente - Stille, An Diotima“. Stuttgart: Franz
Steiner Verlag 1997. S. 177ff.
107
Ebd., S. 184.
66
gesehenen – sehr kontinuierlichen Werkes ermöglicht. Zenck formuliert provokant:
„Die Stille erzeugt Kontinuität; wogegen der Klang und die Klanggestik eben das
Schweigen aufbricht“ (Zenck 1992, 21). Nach seiner Ansicht ist Nonos Streichquartett die Manifestation des Paradigmenwandels, bei dem die Neuinterpretation von
Stille ganz neue Sichtweisen aufdeckt und Dimensionen eröffnet.108
Eva Maria Houben erklärt diesen Ansatz noch deutlicher, indem sie die „Kontinuität des Klangs“ (nach Cage) als die Alternation von Klang und Nicht-Klang
definiert, weil ohne die Abwesenheit des Klanges, der anwesende Klang nicht mehr
als solcher wahrgenommen werden würde. Sie stellt in Folge dessen die Frage nach
den Schnittstellen, Grenzen und Nahtstellen zwischen Klang und Stille und kommt
zu der Erkenntnis, dass Stille nicht gleich Stille ist und dass Musik und Stille sich
gegenseitig durchdringen. Sie sieht in Nonos Werk eine Hinwendung zur äußersten
Verinnerlichung, die sich in von Klang gefärbter Stille äußert. Sie zieht Parallelen
zwischen dem Einswerden von Wort und Nicht-Wort im Zustand des Verschweigens
und dem Klingen der Stille, das sich in der nicht definierbaren Grenze des Aufhörens
und Endens von Klang und Stille darlegt.109
Schlüssel zur Beschreibung der Stillen, der Nicht-Klänge in diesem Werk ist die
bereits erwähnte Ausführung Nonos über die Fermaten – über Pausen und Noten –
und ihre Verschiedenartigkeit.
Abb. 11: Nono 1980
Das herkömmliche Verständnis eines rhythmischen Bezugsystems in Form von
Metrum und der Organisation von Längen in Takten ist hier außer Kraft gesetzt:
die ausgefeilte Notation von Längen durch Fermaten und die häufigen Tempiwechsel
ermöglichen eine Zeitwahrnehmung der InterpretInnen, die nicht in Viertel- und
108
Martin Zenck: Dal niente - Vom Verlöschen der Musik. Zum Paradigmenwechsel vom Klang zur
Stille in der Musik des neunzehnten und zwanzigsten Jahrhunderts. In: positionen, 1992, H. 10.
S. 20f.
109
Eva-Maria Houben: Klang-Stille, Bewegung-Erstarrung... Vexierbilder neuer Musik. In: Zeit und
Raum in Musik und Bildender Kunst. Hrsg. von Tatjana Böhme und Klaus Mehner. Köln, u.a.:
Böhlau-Verlag 2000. S. 173.
67
Achtelnoten aufgerechnet werden kann, die vielmehr sprachlich-gestischen Charakter
hat.
Weiters ist an dieser Stelle zu sagen, dass die Partiturziffern alleinige, spieltechnische Relevanz haben, jedoch nicht abschnittsgliedernd sind: das Werk unterteilt sich
nach den zugeordneten Hölderlin-Fragmenten: belegbar an musikalischen Analogien
bei Zitatwiederholungen,110 als Beispiel sei hier „wenn in reicher Stille“ angeführt
(innerhalb der Partiturziffern 18 und 20): an beiden Stellen –
♩ = 30 – beginnt die
erste Geige sehr hoch und alleine im Piano Pianissimo bzw. noch leiser im ersten
Teil. In weiterer Folge wird, feinstens nuanciert, die reiche Stille explizit ausgeführt,
durch den Dynamikverlauf am Rande des Wahrnehmbaren, aber dennoch klangfarbenreich auskomponiert ist: das Hölderlin-Fragment wird an dieser Stelle fast
programmatisch ausgedrückt. Um die Präsenz von Stille in Zahlen und Worte zu
fassen, wird von der Gesamtlänge des Quartetts: das sind 36’30”, alles intendiert
Klingende abgezogen, bis nur noch die „Stille“ übrigbleibt. Das kann natürlich nur
ein grober Richtwert sein, in striktes Reduzieren auf Tatsachen, bei denen Höreindruck und fast unhörbare Grenzen zwischen Klang und Nicht-Klang außer Acht
gelassen wurden; dennoch beläuft sich die Stille auf 6’45”, das sind in etwa 17,7%
des gesamten Werkes.
Lachenmann, Schüler Nonos, entwickelt nach Nonos Entdeckung des „bewegten
Klanges“ in den 70er-Jahren ein Ideal der „statischen Nicht-Musik“, die sich in
Erstarrung ausdrückt. Sich wiederholende Muster, stereotype Formeln, automatisierte Bewegungen bewirken einen Zustand des Nicht-Weiterkommens, Lachenmann
spricht von „Situations-Fermaten“.111 Den Zusammenhang mit Stille erklärt er in
einem Gespräch mit Heinz-Klaus Metzger, der diesen Zustand zum negativen Höhepunkt des Quartetts erklärt:
Metzger hat in gewisser Weise schon recht: Das Negativ – die destrukturierte,
musiklose Situation – beschwört das Nichts, die Leere, die Stille, wo es keine
Sprache mehr gibt. Aber diese Situation ist alles andere als belastend, sie ist
schön. Wenn hier etwas zerschlagen wird, dann im Hinblick darauf, daß [sic!]
wir besser wahrnehmen können, was es in sich birgt, und um dieses freizusetzen. Das Trümmerfeld wird zum Kraftfeld. (Lachenmann zit. n. Houben 2000,
174)
110
Frobenius: Luigi Nonos Streichquartett. S.183: „wenn in reicher Stille“ (Nr. 10 und 13) und bei
„das weißt du aber nicht“ (Nr. 28, 30, 33, 44 und 46).
111
Houben: Klang-Stille, Bewegung-Erstarrung. S. 173.
68
Lachenmann spricht über seine Musik als „Musik auf der Suche nach Nicht-Musik“,
das wird zum Beispiel unterstrichen durch das letzte Klavierstück aus Ein Kinderspiel: Schattentanz. Die hämmernden und hartnäckigen Klopf-, Poch- und Trommelmuster wird zur Beschwörung von Stille, durch die Automatisierung der Bewegung. Adriana Hölsky bemerkt hierzu, dass „die Übersteigerung des Periodischen,
des Mechanischen“ zu einer Erstarrung führt, die – kompositorisch erkämpft – zu einem „In-Besitz-Nehmen“ von Stille führt, das „bewusst und auffällig zum Vorschein
gebracht wird“.112 Man könnte sagen, die repetitiven Muster mechanisch automatisierter Bewegungsabläufe führen zurück zu einem Zustand, der von Debussy und
Maeterlinck, als „Reden über Schweigen“ verneint wird.
112
Ebd., S. 174.
69
2.2.11 Daniel Glaus’ Stille (1982)
Daniel Glaus, Schweizer Komponist und Universitätsprofessor für Orgel und Komposition an der Musikhochschule Zürich und an der Hochschule der Künste in Bern,
beschäftigt sich in seinem bisherigen Gesamtwerk mit Werken für Kammermusik,
Orgel, Vokalmusik und konzertanten Orchesterkompositionen. 1982 schreibt er eine
Studie für Violinsolo „über die Qualitäten der Stille in der Musik. Eine große interpretatorische Herausforderung“, über zwölf Minuten.113 Die Bezeichnung „Studie“
ist repräsentativ sowohl für seine Kompositionen, als auch für seine Experimente:
so war er Organist in Biel und Bern und präparierte die Orgel, die er selbst „Forschungsorgel“ nennt, bis sie „flüstert, hustet und wispert“:
Ich möchte den Menschen das Lauschen wieder zurückgeben. Damit meine
ich nicht nur die Wahrnehmung eines Klangs, sondern auch das Hineinhorchen in die Stille. [...] Für mich persönlich ist Stille ein lebensnotwendiges,
kraftspendendes Mittel, ähnlich wie der tägliche Schlaf oder wie die Nahrung. Deshalb suche ich die Stille unablässig, überall. Und ich finde sie in der
Haltung des Lauschens, wobei sich dieses Lauschen verschieden manifestieren kann: in Klänge hineinlauschen oder in die Vergangenheit, in Räume, in
Worte, in mich selbst. Stille finde ich auch in der Natur, auf Bergeshöhen, in
Felswüsten oder in Enzianblütenkelchen. (Glaus, zit. n. Staat 2007)
Für Daniel Glaus ist Stille mehr als die bloße Abwesenheit von Tönen: es ist das
Lauschen und aktive Wahrnehmen von Stille. Diese Haltung zieht sich durch sein
Gesamtwerk: Auch in seinen Sechs Liedern nach frühen Gedichten 1977 ist die Nr.
5 zum Thema Stille, nach Texten von Robert Walser und in seinen Anweisungen
zu De Angelis 1990, das er Luigi Nono widmet, steht die Beschreibung von lauten
Stillen, die zwischen zwei Fortissimo-Klangblöcken stehen und die sich im Verlauf
des Stückes nach und nach mit Strukturen [...] zu beleben anfangen. Er steht an dieser Stelle als Beispiel für einen aktuellen Komponisten (neben etwa Hugh Shrapnel,
der 1969 ebenfalls ein Stück mit dem plakativen Titel „Silence“ schreibt), Organisten und vermittelnden Lehrer, der sich aktiv mit Stille, ihren Auswirkungen und
ihrem Raum befasst und Nachweis ist für den offensichtlichen Wandel, den die Rolle
der Stille im 20. Jahrhundert durchmacht. Er hat es sich zum Ziel gemacht, sein
Auditorium zum Lauschen zu bewegen und die Stille dient ihm als Mittel.
113
Hochschule der Künste Bern. http://www.hkb.bfh.ch
70
2.2.12 Wolfgang Rihms Jakob Lenz (1977/78)
Wolfgang Rihm ist für diese Arbeit vor allem in Verbindung mit seinem Musiktheater interessant, weil er Werke für Bühne konzipiert und komponiert, in denen er
musikalische Parameter szenisch umgesetzt verstanden wissen will. Er besitzt ein
besonderes Verhältnis zum Material, er selbst nennt es: „vegetatives Komponieren“
und er bezeichnet damit den Eigenverlauf der Komposition, der sich dem Komponisten bis zu einem gewissen Grad entzieht, als hätten die Töne einen eigenen Willen,
den er als Komponist spürt und freisetzt. Er spricht weiter von der „Haptik“ des
Materials, das er, ähnlich einem Bildhauer, durch den Kompositionsprozess formt.
Was ihn besonders von den Komponisten der Nachkriegs-Avantgarde abgrenzt, die
jede Art von äußeren Einflüssen und musikgeschichtlichen Traditionen ablehnten,
ist seine Auffassung des inklusiven Komponierens:
Unter inklusivem Komponieren verstehe ich eine Arbeitsweise, die durch Einbeziehung und Umschließung aller von der Phantasie und Arbeitsökonomie
berührten und geöffneten Bereiche zu einem in mit Gegenwart vollgesogenen
Erlebnis gelangt. Dieser Vorgang liegt näher beim Integrieren als beim Summieren: das Ergebnis ist wie ein Humus voll kreativer Zukunft. (Rihm, Zit. n.
Mosch 2005, 121)
Sein umfangreiches Gesamtwerk lässt sich durch dessen Aktualität nicht in Perioden einteilen, die Entstehungszeit seiner zweiten Kammeroper Jakob Lenz fällt
allerdings in eine Schaffensphase, in der er mit großen Gegensätzen arbeitet: dynamische Klangballungen, feinste Intensität und höchste Expressivität wie bei Jakob
Lenz, aber auch den Hölderlin Fragmenten und seinem dritten Streichquartett: Im
Innersten. Gerade in seinen Werken für Musiktheater ist eine Abwendung vom Erzähltheater zu bemerken, denn für ihn hat die Musik selbst theatralische Gesten,
sodass es ihm als die logische Konsequenz erscheint, die Musik selbst zum Bühnengeschehen zu machen.114 Jakob Lenz, nach einem Prosa-Text von Georg Büchner 1835
(Libretto von Michael Fröhling), der auf dem Leben einer realen Person basiert, ist
eine Momentaufnahme innerhalb eines Zerfallprozesses, der in der Begegnung mit
dem Umfeld evident wird. Wolfgang Rihm selbst beschreibt die differenzierte Darstellung seines vielschichtigen Protagonisten durch die Direktheit der Darstellung:
die ständige Präsenz aller musikalischen Schichten, aus denen – je nach Dramaturgie
114
Ulrich Mosch: Rihm, Wolfgang (Michael). In: MGG. Band 14. Kassel, u.a.: Bärenreiter, Metzler
2005. S. 113ff.
71
– manche Schichten zeitversetzt hervorbrechen. Er definiert die Großform als mehrschichtig durchgeführtes Rondo, das psychologische Nähe und Ferne atmosphärisch
ausformuliert.115
Nach dem pragmatischen Darstellen von Stille bei Cage, Feldman, Young, etc.
gibt es bei Rihms Kammeroper einen anderen, differenzierteren Zugang zur Rolle von Stille. Regine Elzenheimer sieht diesen Ansatz als Antwort Rihms auf das
expressionistisch-dialektische Verhältnis von Aufschrei (Rihms Musiktheater bezieht
sich explizit auf Artauds, auf den Schrei begründete, Theatervision) und dessen
ungehörtes Verklingen, von „Aufruhr und Stille“. Das Ungehörtsein von Munchs
stummen Schrei als Topos des „lauten Schweigens“ ist Vorlage für ein ästhetisches
Moment im Werk Rihms: es ist die Unterwanderung der diskursiven Rede durch den
Schrei. Musik wird zum Körper, der als Figur in Klang und Abwesenheit des Klangs
agiert.116
Jakob Lenz steht am Anfang von Rihms Bühnenarbeit, doch Elzenheimer sieht
die Anzeichen dieser Ausformung von Musik als an- und abwesende Figur in folgenden Beispielen: Lenz, mit ersten Anzeichen von Schizophrenie, bleiben bei seinem
Versuch vor der Gemeinde zu predigen, die Worte im Hals stecken, wissend, dass sie
seiner Sehnsucht nach Zugehörigkeit Abhilfe schaffen könnten, ringt er nach Luft,
schreit, singt in gebrochener Falsettstimme (dazu die Regieanweisung): „Lenz scheint
übervoll an Mitteilungsdrang. Er will sofort beginnen. Es gelingt ihm aber nicht
gleich. Anscheinend bleiben ihm die Worte im Halse stecken. Langes Schweigen“.
Abb. 12: Rihm 1978, 47
Die fortschreitende Entfernung Lenz von seiner Umwelt äußert sich in stummem
Singen, nach einer Generalpause – nachdem der endgültige Bruch mit Oberlin und
115
116
Universal Edition: Wolfgang Rihm. Jakob Lenz. Werkeinführung.
Elzenheimer: Pause. Stille. Schweigen. S. 181.
72
Kaufmann durch die Zwangsjacke, die sie ihm anziehen, vollzogen ist – und seine
Stimme bricht:
Abb. 13: Rihm 1978, 158
Im Laufe der Kammeroper wird programmatisch auch die Entfernung zur geistlichen Welt Oberlins immer deutlicher durch Generalpausen gekennzeichnet, die hier
die „dramaturgische Funktion der Irritation, des Innehaltens und der Spannung
haben“. Sie sind aber auch eine deutliche Lücke, musikalisch ausgedrückt das Leerzeichen der kaum existenten Beziehung zu seinem Umfeld.117
Deutlich ist die Rolle der Pause auch bei Séraphin (1993-96). Dieser Versuch eines
Theaters für Instrumente und Stimmen ist der verwirklichte Wunsch Rihms „totales
Theater“ zu schreiben, Theater, das sich selbst Text und Handlung ist. Diese(s)
Werk(e) setzt/en sich Stille insofern auseinander, als dass zwischen den beiden Teilen
die Bemerkung Rihms steht: „Stille (Pause?)“, in der er der Regie die Möglichkeit
offen lies, mit Musiklosigkeit, mit Stille und Klanglosigkeit zu agieren. Stille wird
außerdem auch im Werk zur körperlichen Figur der Abwesenheit, indem Rihm Musik
zum Akteur und Ausführenden macht, verleiht er der Stille eine stumme Stimme,
die sich in Abwesenheit und Lücken äußert, die Zerrissenheit und Leere darstellt.
Wenn er von der Musik als „innerem Ausland“ spricht, so meint er die Kunst als
Freiheit, die für ihn mit „dem Fremden“ untrennbar verknüpft ist. In weiterer Folge,
wenn er allem Sagbaren skeptisch gegenübersteht, als Ausdruck von herrschaftlichen
Strukturen, so reagiert er mit dem „Unsagbarem“, „dem Schweigen“ als Ausdruck
größter Freiheit.118
117
118
Ebd., S. 183f.
Ebd., S. 181.
73
3 Schlusswort
Stille in der Musik bezeichnet nicht Lautlosigkeit, sondern leise, fast unmerkbare
Geräusche und solche, die man wohl hört, aber nicht als solche rezipiert.119 Musikalische Stille kann sich in den verschiedensten Ausformungen zeigen: sei es Cages
Stück, in dem er eigentlich feststellt, dass es Stille nicht gibt, dass es traditionellerweise nur die Abwesenheit von – als Gesamtheit von Tönen definierter Klang –
ist; oder in Debussys Bestreben, das Schweigen als solches zu zeigen, indem er das
Orchester im Moment der innigsten Emotionen pausieren lässt; oder bei Pärt, der
durch die Ruhe, die Stille, die sich für ihn selbst im göttlichen Dreiklang ausdrückt;
oder bei Schönberg, Webern, und Feldman die mit der Zartheit und Wahrnehmbarkeit, mit Randtönen experimentieren; oder bei Nono und Rihm, bei denen Stille eine
Gegenposition zu Klang einnimmt, die bereits völlig etabliert und gleichberechtigt
die Stille nicht mehr als tatsächliches Pausieren ausdrücken muss. Wenn diese Werke unter dem Aspekt der Stille Gemeinsamkeiten haben, so ist es ihr Umgang mit
Zeitlichkeit: Die „Musik der Stille, Musik in der Stille oder Musik aus der Stille“
haben einen „Daseinsmodus, der sich kategorial von dem der herkömmlichen, im
weitesten Sinne rhythmisch und formal verfassten Musik unterscheidet“. In der Formalität durchstrukturierter Musik hat Stille nicht den benötigten Raum, um sich
auszubreiten, das zeitliche Fortschreiten mach dies unmöglich: um der Stille Bedeutung zu ermöglichen, muss man diese Formen aufbrechen und neue entwickeln. Es
scheint, als müsse die Negation linearer Prozesse Grundlage aller Manifestationen
von Stille sein.120
Musik und Stille existieren eng nebeneinander: Klang löst Stille ab und endet im
Klang, Stille wiederum rahmt Musik ein. Besonders gut zu sehen ist das an der
neuzeitlichen Konzertkultur, in der man schweigt und still wird, bevor Musik erklingt und in der man auch danach stumm Platz lässt für das „Nachhören“ und
kurze Erinnern. Vor und nach einem klassischen Konzert spürt man den Rahmen
der Musik als Stille und je nach Komposition geht man auf diesen Rahmen mehr
oder weniger ein, indem man Musik sanft aus der Stille entwickelt und ebenso zart
und aushauchend endet oder einen bewussten Kontrapunkt setzt und die Stille laut
119
Wilhelm Seidel: Stille. In: MGG. Sachteil Band 8. Hrsg. von Ludwig Finscher. Kassel, u.a.:
Bärenreiter, Metzler 2005. Sp. 1760.
120
Ebd., Sp. 1763.
74
bricht. Beispiel für ersteres wäre (schon vor dem 20. Jahrhundert) Schuberts Lied
Meeres Stille (1815) nach einem Gedicht von Goethe, wo die Bewegungslosigkeit von
langsam und beinahe unmerklich eintretenden Klavierklängen Stille suggeriert.
Stille wird im zwanzigsten Jahrhundert zu mehr als bloß zum akustischen Negativ: sie wird zu einem Wesensbestandteil ganzer Lebenswerke. Zur gesamten Musik
von Webern meint vergleichsweise Adorno, sie sei – sich immer am Rande der Stille
bewegend – dem Verstummen nahe. Wo sich die Stille in ihrem Raum und ihrer
Essenz so verändert, muss sie auch klarer definiert werden, um fassbar zu sein.
Wilhelm Seidel etwa unterscheidet zwischen Extrovertierter Stille, für die etwa das
Werk John Cages steht und der Introvertierten Stille Nonos, Feldmans, Boulez und
Lachenmanns. Die Extrovertierte Stille meint in diesem Zusammenhang alles was
übrigbleibt, wenn man Musik abzieht, zum Klang zu erklären und alle Geräusche,
die nicht in intendiert sind, in der Stille als solche anzuerkennen und die NichtExistenz von Stille bewusst wahrzunehmen. Introvertierte Stille wiederum ist das
stetige Leiser-Werden der Musik oder sie, wie Nono mit seinen Fragmenten, zu rahmen und nur leise darauf hinzuweisen. Die Beschäftigung Scelsis mit der Stille ist
andererseits die Konzentration auf einen Ton oder auf die Skala einiger weniger
Töne (Viertes Streichquartett), ähnlich wie Feldman, der Klänge bis ins Detail nuanciert und aufsplittert. Hans Zender beschreibt diesen neu eröffneten Raum der
Stille folgendermaßen:
Verweilt der Musiker in jenem irritierenden Bereich, den er nach dem Durchschreiten des Tores der Stille betreten hat, und flieht nicht zu schnell zurück
zur gewohnten motorischen Aktivität des Machens, so kann er in diesem Nirvana noch weitere Wunder erleben. (zit. n. Seidel 2005, 1764)
Zofia Lissa geht auf diesen Gesichtspunkt ein, wenn sie postuliert, dass die Stille in der Musik – wie das Schweigen – voller semantischer Inhalte ist, es ist keine
Unterbrechung des Denkens, es ist ein Innehalten. Die Literatur dient hier als Vergleichsmoment, denn auch darin äußert sich Stille auf der einen Seite als tatsächliches
Schweigen und Lauschen und auf der anderen Seite durch die poetische Beschreibung
der Stille und ihre lautmalerische Darstellung: alle Erscheinungsformen von Randphänomenen zwischen Klang und Stille wie abbrechende Rede, Stocken, zelebriertes
Atmen, Verstummen, etc. inkludiert.
75
Um Stille zu klassifizieren, muss man auf ihre unterschiedlichen Funktionen eingehen und das funktioniert nur in einem konkret beschriebenen Kontext. Denn die
Pause vor einem Konzert ist beispielsweise voller potenzieller Klanglichkeit, ähnlich wie beim Vortrag eines Gedichtes, denn erst der Beginn der Aufführung gibt
den Ansatzpunkt einer klanglichen Richtung; die Pause danach ist eine des NachLauschens, voll von dem Eindruck des gehörten Stückes. Die Funktion von Pause
und Stille in einem Stück aber „entspringt der verschiedenen Art ihres Zusammenwirkens mit dem Ablauf des musikalischen Werks und ihrer Verbindung mit seinen
einzelnen Faktoren“. Sie sind Teil des Verlaufes des Stücks und bestimmen dessen
Zeit und Struktur wesentlich mit. Der wesentliche Unterschied zwischen Klang und
Nicht-Klang ist, dass Klang eine bestimmte Form und einen gewissen Ablauf hat,
während die Stille immer die gleiche Leerstelle ist, die durch ihren Kontext gefüllt
wird.121 Dieser Gedanke ist wesentliche Grundlage für eben diese Kontext- und Bedeutungsveränderung von Stille im 20. Jahrhundert, als sie durch ihre Konzeption
mit anderen Erwartungen besetzt wird, als der eines immer darauffolgenden, durchkomponierten Klangs: Man kann sie dementsprechend auch mit außermusikalischen
Inhalten konnotieren und zur Musik erklären, wie etwa John Cage das tut.
Es lässt sich aber durch all die Beispiele dieser Arbeit beobachten, dass dieser
Paradigmenwechsel, den Martin Zenck beschreibt, in einzelnen Werken sehr ausgeprägt stattfindet. Die Emanzipation von Pause und Stille ist in Debussys Pausieren
des Orchesters in Anfängen vorhanden, ist bei Schönbergs Sechs kleinen Klavierstücken am Prinzip der Ausdünnung erkennbar, bei dem er die einzelnen Noten
sozusagen „in Stille bettet“ und bei Weberns – dem Verstummen nahen – Werk für
Streichquartett: 6 Bagatellen 1911/13. Am radikalsten und provokativsten ist wahrscheinlich John Cages Idee, der Stille konzertanten Raum und Rahmen zu geben,
um beweisen, dass es die absolute Stille nicht gibt und dass wir ständig von Musik umgeben sind. Dieser äußere Ansatz steht wiederum im Gegensatz zu Feldmans
Intentionen, Stille durch das Pianissimo seiner Werke zu beschreiben. Ein anderer
und gefühlsbetonterer Zugang ist der von Arvo Pärt und auch von La Monte Young,
die Stille als Meditation verstehen und Musik als Mittel des Ausdrucks dieser Medi121
Lissa: Die ästhetischen Funktionen der Stille und Pause in der Musik. S. 317f.
76
tation und Ruhe. Luigi Nonos Beispiel von vereinzelten Klanginseln in einem Meer
aus Stille wiederum, ist Ausdruck eines Perspektivenwechsels, der Stille nicht als
etwas Zweitrangiges versteht, sondern Klang und Nicht-Klang als Verwebung zweier Gegensätze, die erst durch ein gleichberechtigtes Miteinander ein großes Ganzes
ergeben. In neuerer Vergangenheit beschäftigt sich etwa Wolfgang Rihm mit der
Funktion, die Stille in Kombination mit Musik-Theater und Literatur haben kann,
wenn die Musik und Nicht-Musik selbst zum Thema desselben wird.
Zusätzlich zu dieser wachsenden Bedeutungszunahme von Pause und Stille ist auch
die Rolle des Raumes Basis für Experimente mit Klang, Verklingen und Nicht-Klang,
da das Verklingen als Zustand der Grenzerfahrung und des Übergehens wesentlich
vom Raum abhängt. „Stille breitet sich aus“ und das Bewusstsein der KomponistInnen über diesen Zustand gibt Stille den Raum, den sie braucht, in formaler,
struktureller und inhaltlicher Hinsicht.
Die Gleichstellung von Stille und Musik, von Klang und Nicht-Klang hat und
hatte schwerwiegende Auswirkungen auf die Konzeption und Wahrnehmung von
Neuer Musik im 20. Jahrhundert. Als abschließendes Statement wird an dieser Stelle
noch einmal Hanspeter Krellmann zu Wort kommen, der diese Entwicklung in ihrem
Innersten erfasst und einen Ausblick auf Kommendes gibt:
Ich bin der Ansicht, dass sich heute zu komponierende Musik auf jeden Fall
zu messen hat an der Möglichkeit ihres Verstummens, des Sichverschweigens,
des Aufhörens von kompositorischer Tätigkeit überhaupt. [...] Es scheint in
der Tat eine Endzeit angebrochen. (Krellmann 1996, 123)
77
78
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